Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 12: Von verliebten Zombies und verpatzten Gesprächen ------------------------------------------------------------ Je näher der Samstagabend kam, desto nervöser wurde ich.   Oh, ich weiß, was ihr jetzt denkt. Man, Benedikt, du hast ein Date, ja, aber verhalt dich doch einfach so, als hättest du einen Kumpel eingeladen. Bisschen chillen und den Rest auf dich zukommen lassen. Seht ihr und genau da fing mein Problem an. Ich hatte so richtig keine Erfahrung mit so was, weil … okay, das ist jetzt ein bisschen peinlich, aber … ich hatte keine Freunde. Also klar, ich hatte Anton, aber wie wir ja schon festgestellt hatten, war der nicht so der Typ für „Pizza-und-Netflix“-Abende. Und natürlich hab ich früher nicht alleine im Sandkasten gesessen. Ich hatte das mit dem Sandförmchen-Abgeben schon ganz gut drauf im Gegensatz zu gewissen Klassenkaspern. Aber mit der Zeit wurde die Decke an Leuten, mit denen ich Zeit verbringen konnte und wollte, immer dünner.   In der Grundschule war das ja alles noch nicht so das Problem. Bei uns im Dorf gab es ein Mädchen, bei dem sich irgendwie immer alle getroffen haben. Ihr Eltern fanden das okay, die hatten einen riesigen Garten und immer ne Schüssel mit Süßigkeiten, die wir plündern durften, also alles prima. Ich war beim Fußball, in der Flötengruppe und na ja. Lief bei mir. Aber ich sag es jetzt mal so: Der Zeitraum, in der du als Junge Flöte spielen kannst, ist begrenzt. Irgendwann ist es halt nicht mehr niedlich, wenn du zusammen mit lauter Mädchen zu Weihnachten in der Kirche vor dich hin piepst. Und Fußball war irgendwann auch nicht mehr so meins. Weiß auch nicht, wieso.   Meine Mutter wollte mich dann im Jugendmusikverein anmelden wegen der Gemeinschaft und weil es ja so schade gewesen wäre, wenn ich kein weiteres Instrument mehr gespielt hätte. Leider waren die ganzen, einigermaßen coolen Instrumente bereits besetzt und ich sollte doch tatsächlich Posaune lernen. Posaune! Falls ihr Posaune spielt, entschuldigt bitte an dieser Stelle meine Meinung, aber Posaune ist einfach mal nur lahm. Saxophon oder Schlagzeug oder so hätte ich ja ganz nett gefunden, meinetwegen wäre ich auch mit nem Triangel rumgelaufen, aber Posaune? Ich wollte nicht, wirklich nicht, aber der Musiklehrer und meine Mutter haben so lange auf mich eingeredet, bis ich Ja gesagt habe. Als ich dann zur ersten Unterrichtstunde sollte, bin ich stattdessen mit dem Fahrrad in den Wald gefahren und habe mich da versteckt, bis die Zeit um war. Hinterher hab ich das meiner Mutter dann gebeichtet, sie hat angerufen und sich für mich entschuldigt und seitdem hat nie wieder einer ein Wort übers Musikmachen gesprochen. Nur auf Sport hat sie bestanden, weswegen ich jetzt einmal die Woche zum Judo gehe. Das ist ganz cool, man trifft nochmal ein paar andere Leute als in der Schule, aber wenn die Stunde vorbei ist, geh ich halt wieder allein nach Hause.   Ich war auch nie zu Geburtstagen eingeladen, wenn nicht sowieso die halbe Klasse kam. Und das war auch okay, ihr braucht jetzt also nicht die große Dose Mitleid aufzumachen. Ist ja nicht so, dass mir was gefehlt hätte. Ich kann mich super allein beschäftigen. Nur wie man einen Abend mit Besuch verbringt, davon hatte ich mal so überhaupt keine Ahnung. Wen hätte ich denn auch einladen sollen? Ein Freund war, wie gesagt, nicht vorhanden und ein Mädchen … na ich denke, das erklärt sich jetzt irgendwie von selbst. Von daher hatte ich leider keinerlei praktische Erfahrung, wie so was abläuft. Auch der große, weise Ratgeber, das Internet, schwieg sich diesbezüglich ziemlich aus. Da gab es zwar tolle Vorschläge, was Jungs mit ihren Freundinnen unternehmen konnte, was diese romantisch fanden und wie man sie beeindrucken konnte, aber wie das mit Jungs lief und was man tat, wenn man quasi im Haus festsaß, weil das obendrein auch noch keiner wissen durfte, das stand da nicht. Und genau deswegen war ich so nervös.   Zum Glück war ich nicht der Einzige, der gerade, gelinge gesagt, Panik schob. Meine Mutter verbrachte jetzt bereits anderthalb Stunden im Badezimmer und ich fand, dass sie so langsam mal fertig werden konnte, denn die Zeit, die ich Manuel genannt hatte, rückte immer näher und schließlich sollte sie zu ihrem Date ja auch nicht zu spät kommen.   Ja, ihr habt richtig gehört, Date. Ich mag ja vielleicht nicht so viel Ahnung von dem ganzen Quatsch haben, aber dass meine Mutter nicht einfach nur mit Kollegen zum Essen ging, also ich sag mal, das hatte ich inzwischen auch geschnallt. Da steckt mit ziemlicher Sicherheit dieser Möller dahinter. Mochte ja sein, dass sie in größerer Runde unterwegs waren, aber für Frau Reinhold vom Ordnungsamt machte sie sich bestimmt nicht so schick. Zumal die ungefähr 20 Jahre älter war als meine Mutter und somit kurz vor der Rente stand. Die Chancen hätten also eh denkbar schlecht gestanden.   Als ein Auto vor unserer Einfahrt hielt, brüllte ich dementsprechend nach oben: „Mama, Besuch für dich!“   Mir antwortete ein spitzer Schrei, gefolgt von der Bitte, mal eben die Tür aufzumachen, sie wäre gleich da. Also tat ich ihr den Gefallen und ging nach vorne um ihren Fahrer hereinzubitten. Als die Tür aufging, verschlug es mir allerdings kurz mal die Sprache. Da stand ein „Herr“ vor der Tür. Also tatsächlich nicht einfach ein Mann, sondern ein Herr so mit Jackett, Brille und Schnurrbart. Ein ausgewachsener Schnurrbart! Mit nach oben gezwirbelten Enden!! Hallo? Falsches Jahrhundert, Junge! „Ist deine Mutter zu Hause, junger Mann?“   Ich war kurz davor mich umzudrehen und zu gucken, mit wem er spricht. Wie alt war ich denn? Fünf? Da allerdings kam meine Mutter schon die Treppe hinuntergeschwebt. In einem Kleid! Meine Mutter trug nie Kleider, es sei denn, jemand heiratete oder war gestorben. „Ich bin schon da, Armin. Ich hol nur noch meine Tasche.“   Armin?Ich glaube, es hackt. Per du war sie also mit diesem Schnösel auch noch. Ich sagte allerdings nichts dazu, ließ noch den Sermon an Ermahnungen, die Pizza nicht anbrennen zu lassen und nicht zu spät ins Bett zu gehen, über mich ergehen und bedachte währenddessen den Schnurrbart mit finsteren Blicken. Ja, pass nur auf du! Bissiger Teenager auf 12 Uhr. Nicht mit mir hier!   „Benedikt, Schätzchen, nun schau nicht so. Ich komme auch nicht so spät heim.“ „Na, das wirst du ja wohl noch selbst entscheiden können, nicht wahr, Sabine?“   Danke, ich weiß, wie meine Mutter heißt. Aber schön, dass du es auch weißt und sie nicht aus Versehen Jutta genannt hast oder wie auch immer deine Frau heißt. Der Ehering an seiner Hand war nämlich nicht zu übersehen bei den breiten Wurstfingern.   Meine Mutter lächelte – nein strahlte – ihn an.   „Natürlich. Sollen wir dann? „Bitte nach dir.“ Meine Mutter winkte mir noch einmal zu, bevor sie sich an Armins – würg – Arm zum Auto führen ließ. Ich starrte ihnen noch eine Weile nach und beschloss, dass ich diesen Möller nicht leiden konnte. Allein wie der mich angesehen hatte. Wie etwas, das ihm unterm blank geputzten Lederschuh klebte. Vielen Dank, aber so was hätte ich bestimmt auch mit meinem echten Vater haben können. Der hatte sich ja schließlich auch nur per Vaterschaftstest und Gerichtsbeschluss überhaupt zu einer leidlichen Anerkennung meiner Person durchringen können. Wobei er wenigstens zahlte im Gegensatz zu Dianas Vater, der mehr so der Typ Lebemann gewesen war, den Schmuck meiner Mutter für seine Eskapaden versetzt hatte und am Schluss irgendwo im Ausland verschollen war. Also nein, vielen Dank, wir kamen hier gut ohne irgendwelche Männer klar, die meinten, meiner Mutter den Hof machen zu müssen.   Ich wollte mich gerade noch ein bisschen weiter echauffieren, als es plötzlich im Gebüsch neben mir raschelte. Ich schrak zusammen und stand im nächsten Augenblick einem grinsenden Manuel gegenüber. „Alter, erschreck mich doch nicht so. Sein Grinsen wurde breiter. „Warum nicht? Ich steh drauf, wenn du für mich springst.“ Ich schnaubte nur. „Sabbel nicht und komm lieber rein.“   Während er sich doch tatsächlich die Schuhe auszog – ich war begeistert! – wies er mit dem Kopf in Richtung Tür.   „Wer war das denn?“ „Der Typ? Kollege meiner Mutter. Die gehen heute Abend essen.“ „Heißt das, wir haben sturmfrei?“ „Äh … ja klar.“   Das Funkeln, das daraufhin in seine Augen trat, jagte mir einen Schauer den Nacken rauf und gleich danach wieder runter, als er mich mitten im Flur küsste. Und mir sein Knie zwischen die Beine schob, während er mich an sich zog. Ich verlor kurzzeitig die Orientierung, schloss einfach die Augen und ließ mich küssen. Küsste zurück. Erst nur Lippen, dann mit Zunge. Wow, das fühlte sich so gut an. Ich hätte das stundenlang machen können. War ich vielleicht irgendwie oral veranlagt, weil ich da so drauf abfuhr?   „Wollen wir nicht erst mal was essen?“, fragte ich, nachdem ich meine Lippen irgendwann doch wieder von seinen gelöst hatte. Am liebsten hätte ich meine Nase ganz tief an seinem Hals vergraben, aber ich musste hier dringend ein bisschen Tempo rausnehmen. Wer wusste schon, wo das nachher noch hinführte. In meinem Schritt pochte es.   „Mhm, hast du Hunger?“, schnurrte er. (Ich schwöre, anders konnte man diesen Tonfall nicht beschreiben.) „Mir wäre gerade eher nach was anderem.“   Das merkte ich, denn seine Hände bahnten sich zielstrebig ihren Weg unter meine Kleidung. Dabei waren wir noch nicht mal aus dem Flur rausgekommen. Ich beschloss, den Spieß kurzerhand umzudrehen und ließ meine Lippen seinen Kiefer entlang bis zu seinem Ohr streichen.   „Ich habe Pizza“, raunte ich möglichst verführerisch. „Mhm, ich mag es, wenn du mir so versaute Sachen sagst.“ „Wieso? Die Pizza ist doch ganz und gar ohne Schweinefleisch.“ Ich schnappte kurz nach seinem Ohrläppchen. „Magst du Thunfisch?“ „Du isst Pizza mit Katzenfutter?“ „Du nicht?“ „Nur über meine Leiche.“   Okay, da hatte ich wohl die falsche Wahl getroffen. Der Einkaufsladen hier war halt nicht eben gut sortiert und Salami mochte ich nicht.   Ich lächelte tapfer. „Tut mir leid, ich hab nur die.“ Er grinste, als er mein Gesicht sah. „War ein Witz. Thunfisch geht klar.“   Ich atmete auf. Die erste Hürde war schon mal genommen.   Während er seine Jacke auf einen der Stühle im Essbereich schmiss, machte ich mich am Backofen zu schaffen, um die Pizza reinzuschieben. Im nächsten Moment wanderten ein paar sehr interessierte Hände über meinen Hintern. „Sorry, Bambi“, tönte es hinter mir. „Du sahst einfach zu verführerisch aus. „Wolltest du nicht aufhören, mich so zu nennen?“ „Ich? Nein. Du wolltest das.“   Ich schüttelte den Kopf und brachte es doch tatsächlich fertig, die Pizza in den Ofen zu befördern, bevor er mich gegen die Küchenzeile drängte. Wir küssten uns wieder und ich war ziemlich froh, dass ich dran gedacht hatte, die Jalousien bereits runterzulassen. So konnten uns keine neugierigen Nachbarn dabei beobachten, wie wir hier hemmungslos rummachten   „Mhm“, machte er gegen meinen Hals, während seine Hand verdächtig nahe an meinem Hosenbund vorbeiglitt. „So ne Pizza dauert doch ne Weile, oder?“ „Ja, schon, aber nicht so lange.“ „Ich kann auch schnell sein.“   Oh ja, das konnte ich mir vorstellen, aber auf ne „schnelle Nummer“, wie man so schön sagte, hatte ich keine Lust, obwohl das mit der Lust schon nicht so weit hergeholt war. Ich musste mich wirklich beherrschen, um meine Hände nicht ebenso auf Wanderschaft zu schicken wie er. „Erst Essen …“, begann ich. „Dann Sex?“, unterbrach er mich sofort. Ich spürte, wie ich rot wurde. „Also das, ich, äh...“ Er lächelte. „Ich bin auch ganz vorsichtig.“   Er kam näher und küsste meinen Hals, begann daran zu saugen. Oh bitte, keinen Knutschfleck! Wie sollte ich den denn meiner Mutter erklären? Entschieden schob ich ihn von mir.   „Ich muss wirklich erst mal was essen. Mein Magen hängt mir schon in den Kniekehlen.“   Stimmte nicht. Ich hatte den ganzen Tag schon keinen richtigen Hunger gehabt. Lag vielleicht an dem komischen Tee von Antons Mutter oder so. Trotzdem war ein bisschen was im Magen sicherlich keine schlechte Idee. Und ein bisschen Abstand. Um mich abzukühlen.   „Willst du was trinken?“, fragte ich daher und holte schon mal zwei Gläser aus dem Küchenschrank. „Was hast du da?“ „Wasser, Cola und Apfelsaft.“   Er kommentierte das nicht, aber ich sah, wie seine Mundwinkel zuckten. Okay, ich gebe ja zu, die Auswahl war nicht eben prickelnd. Bisschen wie beim Kindergeburtstag. Aber was anderes hätte meine Mutter nicht abgesegnet und ich mochte Bier oder so auch nicht besonders. Außerdem war ich wir ziemlich sicher, dass das bei ihm „zu Hause“ auch verboten war, deswegen hatte ich mich gar nicht erst auf irgendwelche dummen Gedanken bringen lassen und nur alkoholfreie Sachen eingepackt.   „Und?“, hakte ich nach. „Cola. Hält wenigstens wach.“   Er zwinkerte mir zu und ich musste grinsen. Warum musste ich nur dauernd grinsen?   „Und jetzt?“, fragte er, nachdem er mir das Glas Cola abgenommen und einen winzigen Schluck getrunken hatte. Ich zuckte mit den Achseln. „Hast du Lust, einen Film zu gucken?“ „Klar. Was hast du da?“ „Wir können ja mal gucken, was es so gibt.“     Ich lotste ihn erfolgreich ins Wohnzimmer und stellte den Fernseher an. Als er das Netflix-Logo aufleuchten sah, wanderten seine Augenbrauen kurz nach oben. Ich reichte ihm die Fernbedienung. „Such du was aus.“   Zwei Minuten später bereute ich die Entscheidung wieder. Manuel durchsuchte die Horrorfilme. Gerade las er sich die Beschreibung von irgendwas durch, auf der eine halbnackte Frau blutüberschmiert und schreiend durch die Gegend lief und wenn mich nicht alles täuschte, hatte der Mann da im Hintergrunde eine … nein, ich wollte es gar nicht wissen. Das Einzige, was mich tröstete, war, dass der Film ab 18 war und wir ihn somit sowieso nicht gucken konnten. Ich hätte zwar den Code raussuchen können, mit dem man die Filme freigab – ich war ja schließlich auch nicht ganz doof – aber im schlimmsten Fall würde ich das eben als Ausrede benutzen.   Der nächste Film, den er begutachtete, sah noch schlimmer aus und war ab 16. Na prima. „Ich, äh … ich bin eigentlich nicht so der Horrorfan“, wagte ich einzuwerfen. Mich traf ein amüsierter Blick. „Hast du Schiss?“ „Nein, natürlich nicht, aber … ich mag das halt nicht so.“   Irgendwie war mir das jetzt peinlich. Warum hatte ich das gesagt? Ich hätte doch einfach was nicht so Splatteriges mitbestimmen können. Mussten ja nicht gleich drei Millionen Liter Kunstblut fließen. Aber ich … okay, vielleicht hatte ich doch ein bisschen Schiss. Also nicht wirklich, aber ich fand das Meiste davon einfach nur furchtbar und eklig. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie mir Maja, unser Klassengrufti, mal ihre Lieblingsstellen aus Saw aufgezählt hatte. (Weiß der Kuckuck, wo sie die herhatte.) Ich fand’s ganz schlimm, auch wenn ihr mich jetzt deswegen auslacht. Das ist einfach nicht meins. Wirklich nicht.   „Der hier wird dir gefallen. Ist auch was Romantisches.“ „Na wenn du meinst“, entgegnete ich zögerlich und ließ zu, dass er ein bisschen näher heranrutschte und einen Film startete, dessen Titel eher nach Soft-Porno klang.   Ne gute halbe Stunde und eine Pizza später musste ich zugeben, dass der Film gar nicht so übel war. Okay, der Zombie hatte das Gehirn eines Jungen gefressen und war deswegen jetzt in dessen Freundin verknallt, aber ansonsten war das schon irgendwie witzig. Die meisten der Zombies waren auch eher dumm als gefährlich. So konnte ich das aushalten. Vor allem mit Manuel an meiner Seite.   „Ich geh mal eine rauchen“, verkündete der allerdings nach dem letzten Stück Pizza. Ich stoppte den Film und brachte die Teller in die Küche, während er nach draußen verschwand.   Unschlüssig stand ich anschließend im Flur rum. Manuel war noch nicht wieder zurück und ich wollte nicht einfach wieder ins Wohnzimmer gehen und dort auf ihn warten. Raus wollte ich aber auch nicht, weil ich mir dann hätte was überziehen müssen und das lohnte sich bestimmt nicht mehr. Also wartete ich einfach, bis er wieder reinkam. Als er mich da so stehen sah, lachte er leise. „Vermisst du mich etwa schon?“ Ich lächelte zurück. „Immer.“   Er kam näher und roch nach frischem Rauch. Das war aushaltbar.   „Wollen wir weitergucken?“, fragte ich. Er grinste und legte die Arme um mich. „Ich kann dir auch verraten, wie der Film ausgeht, dann könnten wir was anderes machen.“ „Und was?“ „Rate.“   Das war wieder dieses Magenkribbeln, als er mich an sich zog und mich küsste. Rauch und Pfefferminz.   „Du weißt, dass ich dich scharf finde, oder?“   Ich schluckte und nickte. Viel zu nah.   „Warum gehen wir dann nicht zu dir und gucken mal, wie weit wir kommen?“   Manuels Worte machten einen komischen, kleinen Knoten in meinen Magen.   „Wie meinst du das?“ „Wie meine ich was?“ „Na was meinst du mit 'wie weit wir kommen'? Womit denn?“   Er lächelte und küsste mich noch mal. „Kannst du dir das nicht denken?“ „Du willst … mit mir …?“ „Mhm-mhm.“   Seinen Lippen brachten mich ganz durcheinander. Das Ziehen wanderte aus meinem Magen eine Etage tiefer.   „Willst du nicht?“ „Doch schon. Es ist nur … ich hab doch noch nie.“ „Ich zeig’s dir. Komm schon, Bambi. Es ist keine große Wissenschaft und du wirst es mögen.“   Würde ich das? Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust. Ich … also ich wollte. Scheiße, klar wollte ich. Aber … mein Magen machte trotzdem diese Knoten bei dem Gedanken. Einen nach dem anderen.   Er knabberte an meinem Hals, leckte darüber. Das weckte Erinnerungen an seine Zunge an ganz anderer Stelle. Hart war ich sowieso schon und so wie ich das beurteilte, musste Manuel das spüren. Ich spürte das bei ihm nämlich auch. Gleichzeitig kam ich mir echt bescheuert vor, wie ich da so rumzickte. Er fand mich scharf, er wollte … mit mir schlafen. Der Gedanken gefiel gewissen Körperteilen von mir. Sollte ich es da nicht einfach tun? Ich war doch schließlich kein Mädchen, das man erst noch bequatschen musste, damit man ihr mal an die Brust fassen durfte. Über die Stufe waren wir obendrein schon hinaus. Ich hatte sogar Kondome gekauft. Es konnte also quasi nichts schiefgehen. Warum also machte ich dann nicht einfach mit?   „Weißt du, ich würde lieber warten, bis wir uns noch ein bisschen besser kennengelernt haben.“   Feigling!   Manuel schnaufte, rückte von mir ab und musterte mich.   „Wirklich jetzt, Bambi?“ „Ja, ich … ich wüsste gerne noch ein bisschen mehr über dich. Wo du herkommst, was du so machst und so.“ „Und das ist interessant warum?“ „Na weil …“   Ich fühlte mich ein bisschen überfordert von der Frage. Er seufzte.   „Vielleicht geh ich besser wieder.“ „Nein, ich … bleib doch noch.“ „Also hast du doch Lust?“ Ich sah ihn an. „Ich … ich hab Lust, okay? Sehr sogar. Aber ich würde halt gerne …“ Plötzlich lachte er. „Du hast Schiss.“   Na toll, jetzt lachte er mich schon wieder aus. Ich war wirklich eine Memme.   „Ich hab keinen Schiss, aber ich will heute noch nicht mit dir schlafen, okay?“ „Noch nicht?“ „Nein, noch nicht. Aber …“, ich zog ihn näher an mich, „wir können gerne was anderes machen, wenn du möchtest.“ „Ich bin ganz Ohr.“     Gut, die Ohren waren vielleicht auch ein bisschen an der Sache beteiligt, aber eigentlich hatten wir eher andere Körperteile eingesetzt, bevor wir beide hinterher nackt zusammen in meinem Bett lagen. Dieses Mal waren wir beide gekommen und er hatte meinen Schwanz sogar nochmal in den Mund genommen. Ich stand total drauf, wenn er das tat. Meinetwegen dreimal am Tag. Natürlich hatte ich mich revanchiert und jetzt lagen wir Arm in Arm da, Manuels Kopf an meiner Schulter, sein Bein zwischen meinen Beinen, sein Arm über meiner Brust.   „Dir sei übrigens verziehen“, brummelte er und gähnte. „Verziehen? Was denn?“ „Dass du mich immer noch nicht ranlässt. Dafür bläst du wirklich gut.“ „Ich, äh, danke“, murmelte ich. „Ich mach das gerne.“ „Mhm, merkt man.“ Er gähnte nochmal. „Ich muss noch mal eine rauchen. Kann ich hier?“ „Ich weiß nicht. Meine Mutter dreht durch, wenn sie das riecht.“   Er schnaufte und machte Anstalten, sich aus dem Bett zu rollen. Ich hielt ihn fest und zog ihn an mich.   „Willst du jetzt wirklich da raus?“, fragte ich und nickte mit dem Kopf Richtung Rollo. „Kannst mich ja hier rauchen lassen. Wenn wir das Fenster aufmachen?“   Ich überlegte. Wenn ich hinterher gut lüftete, würde es wohl gehen, oder? Meine Mutter würde, wenn sie heimkam, schon nicht in mein Zimmer kommen, und bis Morgen früh hatte sich der Rauch bestimmt verzogen.   „Na gut, aber nur am Fenster. „Klasse, Bambi. Bist der Beste.“   Er drückte mir noch einen Kuss auf den Mund, bevor er sich seine Zigaretten schnappte und Anstalten machte, das Fenster zu öffnen.   „Halt, zieh dir erst was an.“ „Wieso? Ich dachte, du stehst drauf, wenn ich nix anhabe.“   Er grinste und reckte sich und ich … ich starrte. Auf so ziemlich alles, aber besonders auf seinen Bauch und … naja, das da drunter. Er war auch in dem Zustand nett anzusehen, fand ich.   „Wie kriegt man eigentlich solche Bauchmuskeln?“ „Training?“, schlug er lachend vor. „Schon klar, aber wo trainierst du? Studio oder wie?“   Er zog sich die Hose über, öffnete das Fenster, steckte die Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.   „Studio lassen die mich noch nicht rein. Ich mach einfach so Übungen. Sit-Ups, bisschen Hanteltrainig. Das … entspannt.“ „Mhm, kenne ich. Also das Entspannen beim Sport. Ich geh einmal die Woche zum Judo.“ „Ach echt? Ich hab mal Kickboxen gemacht. Musste dann aber aufhören.“   Ich beobachtete ihn, wie er da so am Fenster stand. Er schien gut drauf zu sein, also vielleicht …   „Warum musstest du aufhören?“ Er zuckte mit den Schultern. „Hatte keinen Bock mehr.“   Ich runzelte die Stirn. So ganz glaubte ich ihm das nicht. Er hatte doch gesagt, dass er aufhören musste.   „Wegen des Umzugs?“, fragte ich daher. Er sah mich fragend an. „Dass du aufgehört hast.“ „Ja genau.“   Okay, er wollte also nicht damit rausrücken, was bei ihm los war. Aber wie lange sollten wir das Spiel denn bitte noch spielen? Ich kam mir blöd vor, weiter so zu tun, als wenn ich von nichts wusste. Ich warf noch einen Blick auf ihn, nahm meinen ganzen Mut zusammen, und … „Du, Manuel, hör mal, ich … ich weiß, wo du wohnst. Meine Mutter hat mir von dem Wohnheim erzählt.“   Ich sah, wie sich sein Körper leicht versteifte, bevor er den nächsten Zug aus seiner Zigarette nahm. „Ach ja? Hat ja lange gedauert.“ Er sah mich nicht an. „Ich … du … du musst dich deswegen nicht schämen.“ „Schämen?“ Er fuhr herum und funkelte mich an. „Wer sagt, dass ich mich dafür schäme? Du bist doch derjenige, der alles vor Mami geheimhalten will.“ „Ja, weil sie mir verboten hat, mit jemandem … mit euch …“   Ich spürte förmlich, wie das Eis unter mir nachgab.   Er lächelte, aber es war kein nettes Lächeln. „Mit jemandem wie mir. Sag’s ruhig, Bambi. Mit so ’nem asozialen Schmarotzer, der sich auf Staatskosten ein schönes Leben macht. Ich weiß nämlich auch einiges über dich. Unter anderem, dass deine Mutter sich hier auf dem Amt den Hintern breitsitzt.“ „Das stimmt doch gar nicht.“ „Ach nein? Ich hab den Typ erkannt, der sie abgeholt hat. Das ist der, der Jens so einen Stress gemacht hat. Als wär’s sein Geld, der Arsch.“   Er nahm noch einen Zug aus seiner Zigarette und schmiss den Rest in hohem Bogen raus in den Garten. Danach sah er mich voller Abscheu an. „Weißt du, ich hätt’s wissen müssen, dass so ein reiches Bonzensöhnchen wie du nichts für mich ist. Wahrscheinlich muss ich dir deinen Arsch erst noch mit Goldstaub pudern, damit wir ficken können. Aber weißt du was, das ist mir zu blöd. Ich hau ab.“ „Aber ich hab doch gar nichts gesagt.“ „Brauchst du auch nicht. Dein Blick hat vollkommen gereicht. Spar dir dein Scheißmitleid für jemand anderen auf.“   Er riss seine Pullover vom Boden, zog ihn grob über den Kopf und funkelte mich noch ein letztes Mal an.   „Du weißt nichts über mich, Bambi, und das wird auch so bleiben. Ich such mir wen anders, der mich nicht so zutextet und über seine Gefühle reden will und so ne Scheiße.“   Ich wusste in dem Moment nicht, was ich sagen sollte. Ich war wie gelähmt und erst, als die Haustür hinter ihm zukrachte, erwachte ich aus meiner Starre. Ich lief zur Tür, aber auf dem Weg wurde mir bewusst, dass ich immer noch nackt war. Ich blieb stehen und starrte unseren Flur entlang, bis ich mich langsam umdrehte und wieder zurück in mein Zimmer ging.   Hier war noch alles zerwühlt; das Bett, das bestimmt nach Manuel roch, meine Sachen auf dem Boden, das offene Fenster, durch das kühle Nachtluft hereinwehte und langsam den Zigarettenrauch vertrieb. Wie in Trance griff ich nach Shirt und Boxer, zog beides über und ging dann zurück ins Wohnzimmer. Dort lief immer noch der Film, den wir vorhin angefangen hatten, im Standbild. Zwei Gläser auf dem Tisch, Pizzakrümel auf dem Boden. Ich schob sie mit dem Fuß zur Seite, als ich mich aufs Sofa fallen ließ und einfach die Playtaste drückte. Der Zombie fing wieder an, seiner großen Liebe hinterherzuschlurfen, von der keiner seiner Zombiefreunde was wissen durfte, damit sie sie nicht auffraßen, und ich sah ihm dabei zu, wie er wieder zu einem normalen Menschen wurde, sich von ihrem Vater ne Kugel fing und am Ende trotzdem das Mädchen bekam. Erst als die Credits über den Bildschirm liefen, merkte ich, dass meine Augen feucht waren. Da sah man es mal wieder. Sogar Zombies kriegten das mit der Liebe besser hin als ich. Was für ne verdammte Scheiße. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)