Zum Inhalt der Seite

Ich, er und die Liebe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Von tollen Plänen und feuchten Träumen

Der nächste Tag begann großartig. Ich hatte zwar Probleme, aber ich hatte auch einen Plan, was ich dagegen unternehmen konnte, und den würde ich durchziehen. Außerdem hatte ich den Plan noch um einen weiteren Punkt ergänzt: Ich würde aufhören, in T verliebt zu sein.

 

Mal ehrlich, da machte ich mich heimlich über Jo lustig, weil der an „nur Mia“ rumgrub und nicht begriff, dass er chancenlos war, und ich machte genau das Gleiche. Mit dem Unterschied, dass ich noch nicht mal in Erwägung zog, T um ein Date zu bitten, weil: Er war nun mal hetero. Er stand nicht auf mich und würde das niemals tun. In seiner Welt existierte ich quasi nur als bedeutungslose Randfigur, deren einzige Aufgabe es war, ihn noch besser aussehen zu lassen, und es würde kaum eine gute Fee vorbeikommen und meinen Kürbis in eine Kutsche verwandeln. Mal abgesehen davon, dass mir babyblau nicht stand und ich mir Schuhe aus Glas echt unbequem vorstellte. Also war es vollkommen sinnlos, sich da weiter in etwas zu verrennen. Prinz Charming würde Grizabella heiraten oder wie diese hässliche Stiefschwester hieß, und ich mir einen einigermaßen passablen Bauernburschen suchen, der mich tagsüber auf Händen trug und mir nachts im Bett das Hirn rausvögelte. Jetzt musste ich diesen Plan nur noch in die Tat umsetzen und alles war paletti.

 

 

Der Beginn meines neuen Lebens lief eigentlich auch ziemlich gut. Ich lavierte mich heute mal ohne große Schwierigkeiten durch den Schultag, schilderte Anton mein Computerproblem, von dem er sofort versprach, es sich am Wochenende mal anzusehen, gönnte mir in der Pause ein gegrilltes Sandwich mit Schinken und Ananas – nein warme Ananas ist nicht eklig! – und schlug gut gelaunt gegen halb zwei in der Bücherei auf, um mich einem weiteren Nebenpunkt auf meiner Liste zu widmen: meine Schulleistungen zu verbessern. Wenn ich schon kein Liebesleben hatte, konnte ich die Zeit, die andere dafür aufwendeten, auch sinnvoll nutzen. Zumal mich mehr lernen davon abhalten würde, Zeit an Orten zu verbringen, an denen mich Manuel erwischen konnte. Ich schätzte ihn nicht als großen Büchereigänger ein, selbst wenn das bestimmt ein ganz böses Vorurteil war.

 

Als ich durch die erste, große Glastür des Windfangs trat, der die Bücherei vor dem grauseligen Schietwetter schützte, das draußen herrschte, konnte ich es bereits sehen. Mein Reich. Regale über Regale vollgestopft mit Büchern, die es noch zu lesen galt. Wenn man reinkam, sah man nämlich als Erstes die Erwachsenenabteilung und ich hatte, wenn ich ehrlich war, bisher eigentlich eher bei den Kinder- und Jugendbüchern geschmökert. Ich liebte Abenteuer- und Detektiv-Geschichten und, auch wenn das vielleicht ein bisschen peinlich ist, ich vergötterte so Bücher mit „dem Auserwählten“. Damit meine ich jetzt nicht nur Harry Potter und dessen griechisch-römische Version, Percy Jackson, sondern eigentlich alle Romane, in denen ein jugendlicher Held auf einmal in eine magische Welt entführt wurde, die er nach allerlei Irrungen und Wirrungen am Ende dann doch noch rettete. Natürlich sprang ich jetzt nicht auf dem Spielplatz rum und focht mit Stockschwertern imaginäre Kämpfe aus – wie wir wissen, machte ich auf Spielplätzen ja neuerdings ganz andere Sachen – aber ich sah den Helden gerne dabei zu, wie sie sich abrackerten, um dann am Ende Erfolg zu haben. Das war so furchtbar befriedigend, dass ich glatt überlegte, erst noch einen Abstecher in diese Abteilung zu machen, als mich nach dem Durchqueren der zweiten Tür fast der Schlag traf.
 

Die Bücherei war voller Kinder!

 

Ach du Scheiße, wer hatte die denn hier reingelassen? Sie belagerten den kompletten vorderen Teil der Bücherei, rannten zwischen den Regalen herum, besetzten die bequeme Sitzecke, brachten alles durcheinander und vor allem aber waren sie laut. In einer Bücherei war man nicht laut. Man schlich ganz ehrfürchtig auf Zehenspitzen zwischen den Bergen von Papier herum und hoffte, dass man beim Umblättern auch wirklich niemanden störte. Hatte denen das denn keiner beigebracht?

 

Die dunkelhaarige Dame, die an dieser Aufgabe offenbar gescheitert war, saß mit geröteten Wangen mitten unter den Zwergen und las ihnen irgendwas vor. Also den drei Hanseln, die auch zuhörten und nicht damit beschäftigt waren Chaos zu stiften.

 

Ich prallte entsetzt zurück und wollte schon fast flüchten, als mir einfiel, dass momentan eh kein Bus fuhr und ich die nächsten zwei Stunden hier in der Stadt festsaß. Wenn ich also nicht draußen durch den Nieselregen laufen wollte, musste ich mir eine trockenen Unterkunft suchen. Und diese Unterkunft hieß nun mal Bücherei, ob mir das nun passte oder nicht.

 

Ich schlüpfte also aus meiner feuchten Jacke, hängte diese ordnungsgemäß an einen Haken – ja, ich hab gesehen, dass einige von euch Teppichratten ihre Klamotten einfach auf den Boden geworfen oder in den Schirmständer gestopft haben – und machte mich hocherhobenen Hauptes auf den Weg zu der Ecke, wo der altersschwache Suchcomputer der Bücherei stand. Es gab weiter hinten zwar noch eine Arbeitsecke, in der auch Rechner mit Internetzugang standen, aber dafür würde ich an den Tresen gehen und mir das aktuelle Passwort holen müssen, was wiederum bedeutete, dass ich mir von den Bibliothekarinnen so einen mahnenden Blick einfangen würde mit dem Hinweis, dass nur jugendfreie Inhalte abgerufen werden durften.

 

Hallo, was dachten die denn? Nur weil ich ein bis über beide Ohren mit Hormonen vollgestopfter Teenager war, hieß das noch lange nicht, dass ich mein Sexualleben in aller Öffentlichkeit zelebrierte. Ich hatte ja schließlich auch meinen Sto… Oh, okay, vergesst es einfach und lasst uns bitte nicht mehr von Spielplätzen reden, ja? Das war wirklich eine saudumme Idee und wird definitiv nicht wieder vorkommen.

 

An dem PC, der sich ganz in der Nähe der Toiletten befand, saß eine ältere Dame und tippte mit spitzen Fingern auf der angegrauten Tastatur herum. Also eigentlich hackte sie eher wie ein leicht irrer Raubvogel im Zehn-Sekunden-Takt darauf ein, sodass ich mich unwillkürlich fragte, ob ihr wohl gleich eine der Tasten entgegenspringen würde. Nach zwei Minuten überlegte ich, ob ich sie fragen sollte, ob ich ihr helfen kann. Nach fünf Minuten überlegte ich, ob ich einfach mal auf gut Glück in die Fachbuch-Abteilung gehen sollte und mich anhand der Beschriftungen durchwühlen konnte. Nach zehn Minuten ließ ich Miss alterndes Adlerauge mit ihrem blöden Computer alleine und trollte mich zwischen die Buchreihen. Alte Leute waren manchmal wirklich sowas von rücksichtslos!

 

Kurz darauf stand ich vor einem Regal, an dem groß „Geographie“ dranstand und das vollgepackt war mit dem, was ich suchte. Na ja gut, mit einer kleinen, aber feinen Auswahl mit Büchern über Japan. Also genauer gesagt waren es fünf. F-ü-n-f!

 

Ich starrte auf die magere Ausbeute und entdeckte damit nicht den ersten Fehler im System. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? In einer Bücherei zu suchen war doch mal total rückständig. Hier fand man ja nix!

Ohne große Lust pulte ich ein schmales Büchlein aus dem Regal. Es war ein Reiseführer, der mich über die großartigen Insider-Geheimnisse des Lands der aufgehenden Sonne informieren wollte. Ich klappte es auf und fand Bilder von Suhsi, Geishas, Pagoden, Kirschblüten und … Klimadiagramme. Was zum …? Ha! Ein Treffer. Klein und kompakt stand dort alles, was ich für einen kurzen Überblick brauchen würde. Mein eben noch schlapp am Boden liegendes Weltbild blähte sich auf und stand im nächsten Augenblick wieder groß und leuchtend da wie eine Eins. Das war ja nicht zu fassen. Am besten, ich steckte das handliche Teil von der Größe eines schmalen Taschenbuchs gleich ein und dann konnte ich … nicht nach Hause, weil ja immer noch kein Bus fuhr. Fuck! Und mich ruhig in eine Ecke zu setzen um zu lesen, fiel auch aus, weil ja Schneewittchen und die 37 Zwerge fast das gesamte Areal belagerten. So ein Mist aber auch.

 

Ich seufzte abgrundtief und machte ich auf den Weg, um meinen Collegeblock aus meinem Rucksack zu holen. Eine Tasche mit hineinnehmen war nämlich nicht erlaubt, weil man ja was hätte einstecken können. Die Bücher waren zwar alle elektronisch gesichert, aber sicher war sicher. Vielleicht gab es die Regelung auch, damit niemand die Heiligen Hallen mit Essen oder Trinken verschmutzte. Ich fügte mich murrend und schlurfte in Richtung Arbeitsecke, um mein Referat einfach dort anzufertigen. Ich würde alles Wichtige rausschreiben, eines von diesen putzigen Diagrammen abpauschen und fertig war der Lack.

 

 

Im hinteren Bereich der Bücherei herrschte himmlische Stille und die Schreie der verzogenen Gören hallten nur noch ganz leise an mein Ohr. Meine Schritte wurden beschwingter, je weiter ich mich von ihnen entfernte, ich schwebte geradezu um die Ecke, nur um dann wie angewurzelt stehenzubleiben.

 

Das war nicht deren Ernst. Was hatte ich bitte irgendwem da oben getan, dass er mich so quälte? Dass er mich mit dem milden Glanz der Hoffnung köderte, nur um mir dann hinterrücks den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Was? Warum? Das war doch einfach nicht fair und ich hatte das bestimmt nicht verdient. Nicht, wenn ich nicht in irgendeinem früheren Leben ein ganz übles Arschloch gewesen war. Was, wenn ich es mir recht überlegte, ja vielleicht der Fall gewesen war. Ich musst das dringend mal in Erfahrung bringen.

 

Jetzt jedoch stand ich erst mal vor dem Problem, dass alle Plätze der Arbeitsecke besetzt waren. Normal war in diesem Teil der Bücherei so gut wie nichts los und die fünf Tische, die dort herumstanden, wo sie niemanden störten, fristeten ein recht friedliches Dasein. Heute jedoch waren anscheinend noch mehr Leute auf die Idee gekommen, sich vor den kleinen Monstern hier zu verstecken, und einer von ihnen war T. Er saß an dem Tisch, der blöderweise auch noch genau in der Mitte des Raumes stand und vier Stühle aufwies. Vermutlich, um dort Platz für angeregte Diskussionsrunden zu bieten oder so. Er jedoch hatte den ganzen Platz allein belegt, ungefähr eine Million Bücher dort verteilt und arbeitete.

 

Ich stand wie an den Fleck genagelt da und wagte nicht zu atmen. Wenn er jetzt den Kopf hob, würde er mich genau ansehen. So wie in der Schule. So wie in der Mathestunde, als ich mich in ihn verknallt hatte. Ich sah es quasi vor mir, wie sich seine blauen Augen auf mich richteten, der Funken des Erkennens darin aufglomm und er den Mund öffnete, um mich anzusprechen.
 

„Hallo Benedikt!“

 

Hä? Was? Oh, Scheiße! Das war ja gar kein Traum. Er sah mich wirklich an und ich spielte Karpfen auf dem Trockenen. Nicht cool. Absolut nicht cool! Konnten die kichernden 13-jährigen nicht mal eben ihren Tisch räumen, der hinter T lag, damit ich mich dort hinsetzen und wieder unsichtbar werden konnte? So wie immer wenn wir zusammen in einem Raum waren. Er machte, was er eben machte, und ich … sabberte natürlich nicht in mein Heft, sondern konzentrierte mich ganz professionell auf mein Referat und … Scheiße! Jetzt begann er auch noch, seine Bücher zuzuklappen.

 

„Wenn du möchtest, kannst du dich zu mir setzen.“

 

Weia. Aschenputtel hatte eine Einladung ins Schloss bekommen. Dabei hatte ich doch gar kein Ballkleid dabei. Nur Jeans, ein Band-Shirt von den Killers und ausgelatschte Turnschuhe.

 

Ich schluckte und ging im Kopf meine Optionen durch. Ich konnte jetzt einfach verneinen, mich umdrehen und flüchten. Allerdings wäre das eine ziemlich durchschaubare Lüge gewesen, denn schließlich hielt ich den Beweis für meine Absichten deutlich sichtbar in Händen. Ich konnte sagen, dass ich ihn nicht stören wollte und mich nach einem anderen Platz umsehen. Bei den Zwergen war bestimmt noch ein Tisch frei und so kompliziert konnte die Sache mit dem Wetter nicht sein. Allerdings hatte ich dazu so gar keinen Bock und außerdem war das vielleicht die Gelegenheit, ihn endlich mal ein bisschen näher kennenzulernen. Ich wusste doch im Grunde genommen nichts von ihm, außer dass er in meiner Klasse war. Vielleicht entpuppte sich Prinz Charming ja beim genaueren Hinsehen doch als die Flachpfeife, für die ich ihn die ganze Zeit gehalten hatte. Es ging schließlich nicht nur um das Äußere. Die inneren Werte waren schließlich viel wicht… ach scheiße, wem machte ich hier eigentlich was vor? Ich lechzte nach seiner Aufmerksamkeit und wollte nichts lieber, als mich an diesen Tisch setzen. Also tat ich das, bevor die Stimme der Vernunft wieder anfing rumzuplärren, dass das gegen den Plan war.

 

„Danke“, bekam ich schließlich heraus, bevor ich Block und Buch auf meiner Ecke des Tischs ausbreitete. Dabei versuchte ich zu erkennen, was er gerade machte. Da waren jede Menge Landkarten, Texte in dieser altdeutschen Schriftart, die kein Schwein lesen konnte, und obendrein ein dicker, grauer Wälzer, der aussah, als wäre er noch aus dem vorletzten Jahrhundert.

 

„Geschichte?“, fragte ich sinnigerweise, obwohl das ja nun wirklich offensichtlich war.

„Ja. Bodenreform. Total spannend.“

 

Er lächelte mich an, bevor er sich wieder seinen Karten zuwandte und mit dem Finger darauf herumfuhr, als suche er etwas. Ich wusste, ich sollte nicht starren, aber ich konnte nicht anders, als die Bewegungen seiner Hand verfolgen, die da so sanft über die Seiten fuhr. Wow, er hatte so schöne Hände. Lange, schlanke Finger die sich gegen die weißen Seiten und vor allem das weiße Langarmshirt abhoben, das er trug. Es strahlte geradezu und ich fragte mich, wie er das wohl machte, dass das so blütenweiß war. Jeder normale Mensch hätte nach einem Schultag Schmutzränder an den Ärmeln gehabt, aber er nicht. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt. Alles an ihm sah einfach wundervoll aus. Die dunkelblonden Haare, die ihm wie immer ein bisschen ins Gesicht fielen, die schmale, fast aristokratisch wirkende Nase mit der randlosen Brille, der Mund, dessen Unterlippe ein bisschen voller war als die obere, das ausdrucksstarke Kinn, auf dem nicht ein einziger Pickel zu sehen war, der durchtrainierte Körper, den, wie ich wusste, zwar kein Sixpack zierte, dafür aber eine breite Brust und lange, wohldefinierte Beine und eben dieser wundervolle, knackige Hintern, den ich momentan zwar nicht sehen, mir aber lebhaft vorstellen konnte.

 

Wenn ich nicht aufpasste, fing ich doch gleich an zu sabbern.

 

Um mich abzulenken, schlug ich meinen Reiseführer auf und kam mir gleich noch ein bisschen unscheinbarer vor. Er arbeitete hier mit hochwissenschaftlichen Quellen wie ein Student, während ich in einem Reiseführer schmökerte. Ach Käse. Ich konnte ihm eben einfach nicht das Wasser reichen. Außerdem war da immer noch das Problem, dass an meinem Körper Dinge fehlten, die er vermutlich anziehend fand, während ich andere Dinge hatte, die er bestimmt nicht berühren wollt. Also zumindest nicht bei anderen Jungs … Männern … wie auch immer.

 

Ich stopfte das Bild, wie T sich selbst anfasste ganz, ganz, ganz tief in mein schmutziges Unterbewusstsein zurück und begann zu lesen. Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinbekommen würde.

 

Wie sich herausstellte, war das mit dem Wetter in Japan dann doch nicht so einfach, weil dieser dämliche Inselstaat sich über sage und schreibe sechs verschiedene Klimazonen zog, aber ich sollte ja nur einen Überblick liefern. Also schrieb ich für jede Zone ein paar Stichpunkte auf, malte mir eine ungefähre Karte von dem Ganzen ab und war innerhalb kürzester Zeit tatsächlich fertig. Der Hammer. Ich hatte es geschafft, mein Referat fertigzukriegen, obwohl T mir gegenübersaß und auf wirklich obszöne Weise an seinem Bleistift kaute. Gott, wie gerne wäre ich jetzt an Stelle dieses Stifts gewesen. An mir hätte T auch gerne mal rumknabbern dürfen …

 

Fuck! Wie oft hatten wir das mit dem „keine versauten Gedanken wenn man vorhatte gleich vom Tisch aufzustehen“ jetzt schon? Genau. Viel zu oft. Und ich fiel jedes Mal wieder darauf rein. Himmel nochmal! Also gut, ich saß jetzt hier fest und musste aufhören, Ts Lippen, Mund, Finger oder was auch immer von ihm anzusehen und mir vorzustellen, wie er mich auf der Bücherei-Toilette gegen die Wand drückte und mich besitzergreifend küsste. Dabei war das so eine nette Vorstellung, die mich unwillkürlich grinsen ließ.

 

In diesem Moment sah er hoch. „Ist was?“

„Äh, ach, ich hab nur gerade an was denken müssen.“

 

Schnell guckte ich auf die Seite, die ich vor mir liegen hatte. Sitten und Gebräuche. Was? In Japan brachte es Unglück, wenn sich die Geschenkbänder überkreuzten? Das war ja mal interessant!
 

„Und an was?“

 

Ich blinzelte T an. Er lächelte freundlich.

 

„Hä?“

„An was du denken musstest.“

„Ich … äh … an meine Mutter. Die steht total auf Kriegsfuß mit dem Einpacken von Geschenken. Vor allem mit dem Geschenkband. Als Kind musste ich immer den Daumen drauftun, wenn sie das zuknoten wollte, und wenn es meine eigenen Geschenke waren, musste ich mir dabei noch die Augen zuhalten.“

 

Gott, BENEDIKT! Reiß dich zusammen und hör auf zu schwafeln. Das interessiert keine Sau und T schon gar nicht. Er guckt schon so, als wärst du ein bisschen plemplem.

 

„Und … ich … in Japan … also da dürfen keine Knoten in den Geschenkbändern sein, weil das Unglück bringt. Meine Mutter sollte vielleicht dahin auswandern.“ Ich lachte dümmlich.

 

Okay, das war’s, ich konnte mich einweisen lassen. Am besten kaufte ich mir ein Ticket nach Australien und fing an, dort Koalabären zu züchten oder so. Damit wäre ich bestimmt erfolgreicher als mit dem Versuch, mit T ein vernünftiges Gespräch zu führen.

 

Doch was war das? Er lachte leise. Das war so sexy, dass es mir am ganzen Körper eine Gänsehaut verpasste.

 

„Da kann sie meine Mutter gleich mitnehmen. Die kann das auch nicht.“
 

Er sah mich an und mein Magen machte Purzelbäume. Scheiße, wie war noch der Plan gewesen? Mich entlieben? Wie sollte ich das denn bitte anstellen, wenn er hier wie frisch vom Himmel gefallen vor mir saß und so … so war?

 

T schaute plötzlich zur Uhr, die an der Wand hing. „Oh, ich muss los.“

„Ich auch“, rief ich, obwohl das gar nicht stimmte. Ich wollte einfach nur noch ein bisschen in seiner Nähe bleiben.

„Musst du auch in die Stadt?“

„Ja.“

„Cool, dann komm doch mit.“

 

Wir packten unsere Sachen zusammen, ich räumte meinen popeligen Reiseführer wieder weg, während er seine Quellen zurück ins Geschichtsregal verfrachtete, und gingen anschließend gemeinsam zum Ausgang.

 

T zog sich seine Jeansjacke über, wobei sein Shirt schon wieder hochrutschte. Man, machte der das extra? Wusste er denn nicht, dass er damit vollkommen falsche Signale in meine Richtung sendete und ich nichts lieber wollte, als diesen Streifen nackter Haut zu berühren, ihn zu küssen und vielleicht noch was ganz anderes mit ihm anzustellen? Ob das wohl schon mal ein Mädchen bei ihm gemacht hatte? Bestimmt. Aber was, wenn nicht? Was, wenn ich der Erste wäre? Würde er mich das tun lassen? Würde ihm das gefallen?
 

„Kommst du?“

 

T sah mich erwartungsvoll an und ich kämpfte meine schon wieder erwachende Erektion nieder. Ich musste echt aufhören an so was zu denken, wenn ich in der Öffentlichkeit war.

 

Zu meinem Erstaunen griff er nach einer großen Tasche, deren Form keinen Zweifel an ihrem Inhalt ließ. Ich hob beide Augenbrauen.
 

„Du spielst Gitarre?“

„Ja, hab gleich Unterricht.“

 

Okay, feuchter Traum, nächstes Level. Man stelle sich bitte T auf einer Bühne vor, mit nacktem Oberkörper, ich in der ersten Reihe und dann … Bämm, Gitarrensolo, er kommt nach vorne, die Menge tobt, aber während er spielt, sieht er die ganze Zeit nur mich an.

 

Ich glaubte, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen.

 

„Spielst du gut?“, krabbelte ich.

„Na ja, es wird. Fürs Lagerfeuer reicht’s schon.“

 

Der feuchte Traum wechselte von der Bühne ans Feuer.

 

„Ich würd dich gerne mal spielen hören.“

 

Äh was? War ich denn bescheuert? So was sagten Mädchen zu ihrem Schwarm, aber doch keine Jungs. Das war doch total schw… Ach vergesst es doch einfach.
 

Er lächelte. „Mal sehen. Vielleicht nehm ich die Gitarre mit auf die Klassenfahrt. “

„Gute Idee.“
 

Gute Idee? GUTE IDEE? Die Idee war brillant mit dem kleinen Haken, dass ich dann an seinen sprichwörtlichen Lippen hängen würde, während die ganze Klasse es sehen konnte. Oh, ich hörte förmlich schon Oliver rumblöken. „Benedikt steht auf Theodor! Benedikt steht auf Theodor!“ Ja wirklich, ganz tolle Idee, Benedikt. Einsame Spitzenklasse.

 

„Äh, sag mal, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“ T wirkte ein bisschen verlegen.
 

Einen Gefallen? Welchen? Sollte ich mir die Haare abrasieren? Mich nackt ausziehen? Von der nächsten Brücke springen?

 

„Ich muss nochmal zu Söndersen rein was abholen, aber mit der Gitarre ist das voll blöd, weil es da so eng ist. Ob du mir da wohl mal eben helfen könntest? Du musst doch in die Richtung, oder?“

Söndernsen war ein kleiner Schreibwarenladen in der Fußgängerzone und lag somit genau auf meinem Weg. Es war also nicht auffällig, wenn ich das machte und außerdem hatte er mich ja schließlich danach gefragt.
 

„Na klar.“

„Danke, das ist nett von dir.“

 

Tja, so war ich eben. Nett. Und anscheinend leicht masochistisch veranlagt. Warum zum Geier drückte ich mir die Nase am Wurstwarenladen platt, wenn ich gerade beschlossen hatte, Vegetarier zu werden? Das war doch nicht normal.

 

 

Draußen hatte es aufgehört zu nieseln. Die Luft war zwar noch kalt und feucht, aber man wurde wenigstens nicht gleich ganz nass. Ich zog meine Jacke zu und bemerkte, dass T das nicht tat. Er lief einfach weiter rum wie ein verdammtes Jeansmodenmodel mit der Gitarre auf dem Rücken und dem Fahrrad neben sich. Vermutlich fror er nicht mal. Die Welt war einfach nur ungerecht.
 

Während wir nebeneinander herliefen, bildete ich mir ein, ihn die ganze Zeit spüren zu können. Als würde er ständig so kleine Erdbebenwellen aussenden und ich wäre ein verdammter Seismograph, der jede noch so kleine Bewegung aufzeichnete. Keiner von uns sagte was. Ich, weil ich beschlossen hatte, lieber den Mund zu halten, bevor da noch mehr Gülle rauskam, und er wahrscheinlich, weil ihm nichts einfiel, das es wert war, mir von ihm mitgeteilt zu werden.

 

Vor dem Geschäft nahm er die Gitarre ab und reichte sie mir.

 

„Dauert nicht lange“, versprach er und ging in den Laden. Ich starrte von draußen durch das Fenster an Kugelschreibern und Druckerpapier vorbei und versuchte, seinen blonden Schopf nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei klammerte ich mich an seine Gitarre, als wäre sie ein Rettungsring. Dieses Teil würde er also nachher zärtlich in den Arm nehmen und ihr mit seinen geschickten Fingern sanfte Töne entlocken. Hatte die ein Glück.

 

Als mir aufging, dass ich gerade eifersüchtig auf eine Gitarre war, seufzte ich schwer. Ich war so ein Riesenrindvieh, das ging auf keine Kuhhaut. Ich musste mich wirklich ganz, ganz dringend am Riemen reißen, bevor ich doch noch etwas Dummes tat wie ihm einen Liebesbrief zu schreiben oder ein Dutzend rote Rosen zu schicken oder so. Womöglich noch mit einer Karte mit meinem Namen darauf. Das Gelächter aus unserer Klasse würde man vermutlich noch bis an das andere Ende der Ostsee hören.

 

T kam wieder aus dem Laden und lächelte mich an. „Danke, du warst wirklich mein Retter in der Not.“

„Ach, kein Ding, hab ich gern gemacht.“
 

Er nahm mir die Gitarre ab, hängte sie wieder auf seinen Rücken und holte sein Rad aus dem Ständer.
 

„Na dann“, meinte er und nickte mir noch einmal zu. „Wir sehen uns Morgen.“

 

Oh, ich würde ihn wahrscheinlich schon heute Nacht in meinen Träumen sehen, aber das sagte ich ihm natürlich nicht. Ich sagte gar nichts, außer „Ja, Tschüß dann“ und sah ihm sehnsüchtig nach, wie er auf sein Rad stieg und verbotenerweise durch die Fuzo radelte. Dabei hatte er es offenbar eilig, denn er stand in den Pedalen, weswegen sein Hintern so richtig schön auf und ab hüpfte und bei mir schon wieder zu erhöhtem Speichelfluss führte. Dieser Kerl würde mich irgendwann noch in ein frühes Grab bringen, wenn er so weitermachte.

 

Während ich T noch nachstarrte, trat jemand neben mich. Ich bemerkte das erst gar nicht so, bis der Kerl plötzlich aufseufzte und meinte:

 

„Ach ja. Die besten sind eben immer vergeben oder hetero.“

 

Ich nickte zustimmend, bevor mir aufging, was derjenige gerade gesagt hatte. Im nächsten Augenblick zuckte ich zusammen, drehte mich herum und sah mich einem Paar belustigt funkelnder, blauer Augen gegenüber.

 

„Hi“, sagte der Besitzer besagter Augen und streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin Julius.“

 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SuperCraig
2020-09-08T00:29:57+00:00 08.09.2020 02:29
Hey!

Alter, Benedikt ist... 😂 Das mit dem Bauernjunge hätte so von mir sein können. Geiler Spruch.

Wahnsinn, was man in einer Bibliothek alles erleben kann. Wer Percy Jackson mag ist schonmal mein Freund. 😄

Benedikt ist so herrlich sarkastisch dem Leser gegenüber, das ist schon nicht mehr feierlich.

Riesenriendvieh, Kuhhaut, auf eine Gitarre eifersüchtig - dazu Theo, den er anschmachtet. Testosterongesteuerter Jugendlicher auf Abwegen! Der hätte gar keinen Internetzugang gebraucht, wetten? :D

Ich glaube ja, obwohl ich es durch die Kommis leider schon weiß, dass Theo auch nicht so ganz hetero ist. Der wirkte so enttäuscht, als Benedikt ihn als Projektpartner ausgetauscht hat.

Hach, so herrlich angenehm zu lesen, nahezu keine Rechtschreibfehler, grammatikalisch gut und eine Interpunktion, bei der mir das Herz aufgeht.

So Eigene Serien haben echt was: Nummer zwei auf der Liste von Craigs Lesestoff aus dieser Sparte.

LG
SuperCraig

PS: Das mit dem Bauernjungen packe ich noch immer nicht. Werde ab heute Prince Charming auch mit ganz anderen Augen sehen. Aschenputtel... 😂 Gläserne Turnschuhe, das wäre doch was, oder?
Antwort von:  Maginisha
08.09.2020 09:09
Heho!

Es ist lustig, wie ich durch deine Kommentare nochmal an den Anfang der Geschichte erinnert werde (und daran, dass mir wohl doch ein bisschen der Witz verlorengegangen ist zum ende hin. Mal sehen, ob ich da noch ein bisschen die Kurve kriege. Ansonsten schiebe ich es einfach auf die Entwicklung des Charakters. *hust*)

Und Theo ist ganz bestimmt total hetero. *g*

Nochmal danke für das Lob, ich bemühe mich, was die Fehler angeht. Der eine oder andere rutscht bestimmt noch durch, aber für eine(n) Beta bin ich einfach zu ungeduldig.
Von:  Ana1993
2020-04-25T16:57:40+00:00 25.04.2020 18:57
Ohhh zwei Kapitel direkt hintereinander <3

Ich liebe die Art, wie du Benedikt zum Leser sprechen lässt. Der Humor und der Sarkasmus sind grandios. Locker fluffig zu lesen, genau was ich aktuell brauche :)
Antwort von:  Maginisha
25.04.2020 19:39
Hey Ana!

Ja, ich brauchte neben meinem Plotmonster auch mal was Leichtes für zwischendurch. Freut mich, dass es dir Spaß macht. :)

Zauberhafte Grüße
Mag


Zurück