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Ich, er und die Liebe

von

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Von verdrängten Problemen und technischen Schwierigkeiten

Erinnert ihr euch noch an die Geschichte mit dem Schmetterlingskostüm und daran, dass ich sagte, dass das nicht gerade eine sozialentwicklungstechnische Meisterleistung von mir war? Oder daran, dass ich mich immer an die Freunde meiner Schwester rangemacht habe? Das sind so zwei Sachen, die mir im Nachhinein ziemlich peinlich sind. Aber hey, das eine wird bestimmt irgendwann mal zu so einer witzigen Kindheitserinnerung, die man in Zeitungen zum 30. Geburtstag mit verwackeltem Foto abdruckt, damit auch ja jeder sieht, wie Panne das war, und das andere fällt wohl in die Kategorie „denn sie wissen nicht, was sie tun“. Aber das, was ich nach der Eröffnung meiner Mutter mit Manuel abgezogen habe, das ist nochmal ein ganz anderes Kaliber, wenngleich auch genauso peinlich. Ich hab mich nämlich … versteckt.

 

Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt. Das ist ja mal so was von überhaupt nicht erwachsen und über Probleme soll man doch reden und all der Käse. Aber die Wahrheit ist, ich hab mich nicht getraut. Weder konnte ich meiner Mutter sagen, dass ich bereits einen dieser Typen aus der Chaoten-WG kennengelernt und sogar Dinge mit ihm gemacht hatte, noch konnte ich Manuel damit konfrontieren, dass ich wusste, was bei ihm im Busch war, da er mir das ja ziemlich offensichtlich nicht hatte sagen wollen. Das konnte nur zu Problemen führen. Das Beste wäre also gewesen, ihm beim nächsten Zusammentreffen einfach zu sagen, dass ich nicht interessiert war und gut wär’s gewesen.

Das Blöde war nur, dass das nicht stimmte. Ich war interessiert, Scheiße nochmal. Sobald mein Gehirn ein bisschen Leerlauf hatte, musste ich wieder an das Gefühl seiner Lippen an meinem Schwanz denken, was natürlich zu nicht unbedingt unpeinlichen Situationen führte. In einer davon musste ich mir beim Abendessen dreimal nachnehmen, bis meine Latte endlich weg war und ich aufstehen konnte, ohne dass meine Mutter was merkt. Oder Mathestunden. Der Horror. Vor allem, wenn ich auch noch T auf der anderen Seite der Klasse vor mir hatte und mir unwillkürlich vorstellte, wie es wohl wäre, wenn er … Na prima! Jetzt hab ich das Scheißproblem schon wieder. Wenn ihr also bitte so freundlich wärt? Ich erzähl das jetzt mal der Reihe nach und ihr guckt einfach woanders hin, ja? Prima.

 
 

 

Am Freitag fuhr ich kurzerhand wieder mit dem Fahrrad zur Schule aber dieses Mal nicht, um T im Fahrradkeller abzupassen, sondern um nicht nach der sechsten Stunde mit dem Bus nach Hause fahren zu müssen. Danach hielt ich mich fast das gesamte Wochenende nur im Haus auf und mähte den Rasen am Samstag bereits in aller Herrgottsfrühe, was sich natürlich als eine totale Scheißidee entpuppte, weil das Gras da noch nass war und ständig die Rotorblätter verklebte. Ich hatte aber insofern Erfolg damit, als dass Manuel nicht aus dem Morgennebel auftauchte, um mich ins nächste Gebüsch zu zerren oder gar mit mir zu reden. Von daher war die elende Plackerei nur ein kleiner Preis für die Wahrung meines mehr als fragilen Seelenfriedens. Vor lauter Verzweiflung – und um nicht dauernd mit einem Ständer rumzurennen – machte ich sämtliche Hausaufgaben, räumte auf, wusch Wäsche, saugte im ganzen Haus Staub, nahm meiner Mutter das lästige Badputzen ab und lernte am Sonntagnachmittag, als mir so gar nichts mehr einfiel, sogar für Geschichte. Ich hätte natürlich auch nur vor dem PC hängen und zocken können, aber … So eine Maschine mit Internetanschluss war, wie ich bereits früher schon hatte feststellen müssen, nicht eben förderlich, um seine Gedanken von Sex wegzubekommen. Die Versuchung, nach dem einen oder anderen zu googlen oder schlichtweg Pornos zu gucken, war einfach zu groß, also ließ ich das Ding aus und ignorierte die höhnischen Blicke, die es mir zuwarf, während ich einen auf fleißiger Hausmann machte.

 

Die Probleme fingen eigentlich erst an, als meine Mutter mich fragte, ob ich sie zu Diana und ihrem Freund begleiten wollte, um das Gespräch zu führen. Im Grunde genommen wäre es wohl fair gewesen, Dianas Freund ein bisschen männliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Aber falls der Typ sich entschloss, sich wie ein Arsch zu benehmen, dann verdiente er es eigentlich auch, die geballte Ladung weiblichen Zorns ganz allein abzukriegen. Außerdem wollte ich dann nicht im gleichen Zimmer wie Diana und unsere Mutter sein. Ich lehnte daher dankend ab und war somit eine Viertelstunde später allein zu Haus. Zusammen mit meiner überschäumenden Libido und einem Computer, der mir verschwörerisch zuzwinkerte. Ich zeigte ihm den Mittelfinger und versuchte, mich mit meinem Deutschbuch abzulenken, aber nachdem ich dieselbe Seite nun schon zum dritten Mal gelesen hatte, gab ich auf. Ich schmiss mich auf meinen Schreibtischtstuhl und fuhr den Rechner hoch.
 

Das Erste, was ich tat, war, mir einen runterzuholen. Alles andere wäre eh vergebene Liebesmüh gewesen, denn solange der Gedanke daran durch mein Hinterstübchen tobte – ich meine meinen Kopf, ihr Ferkel! – konnte ich eh an nichts anderes mehr denken. Danach begann ich, mich über Techniken fürs Blasen schlau zu machen. Die meisten Seiten, die ich fand, waren zwar an Frauen gerichtet, aber so weit ich das beurteilen konnte, gab es zwischen männlichen und weiblichen Mündern nicht unbedingt einen Unterschied. Was für die einen recht war, sollte also für die anderen nur billig sein.

Vor der Sache mit Manuel hatte ich mich eigentlich noch nie so wirklich dafür interessiert. Ich fand es zum Zuschauen nicht unbedingt spannend und die Vorstellung war mir auch ein bisschen komisch vorgekommen. Aber seit ich wusste, wie sich das anfühlte, wollte ich das unbedingt auch mal an jemandem ausprobieren. Total schwul, schon klar, aber wir wissen ja, von wem wir hier reden.

 

Natürlich hatte ich vorher auch schon Sachen nachgeschaut. Vom obligatorischen „Kann es sein, dass ich schwul bin“ bis hin zu „Wie funktioniert das mit zwei Männern im Bett“. Und ja, ich hatte mich auch zu Risiken belesen, die es dabei gab. Angefangen von Verletzungen durch den unsachgemäßen Gebrauch von Gegenständen, über Geschlechtskrankheiten bis hin zu Aids.

Das war noch so ein Punkt, weswegen ich Manuel auswich. Er machte auf mich einen ziemlich erfahrenen Eindruck und wenn ich bedachte, wie es sozial um ihn bestellt war, machte ich mir Gedanken darüber, ob er mich wohl eventuell mit irgendwas anstecken könnte. Und obwohl ich wusste, dass diese Bedenken vermutlich vernünftig waren, fühlte es sich gleichzeitig ziemlich mies und von oben herab an.

Klar wäre es sinnvoll gewesen, ihn einfach danach zu fragen, aber … äh … ich traute mich nicht. Wie sollte ich das denn bitte anstellen? Einfach hingehen und sagen: „Hey, bevor wir weiter miteinander rummachen, hätte ich gerne ein Gesundheitszeugnis von dir?“ Wie scheiße war das denn? Die Reaktion darauf konnte ich mir bildlich vorstellen. Und einfach die Klappe halten und auf Kondomen bestehen? Auch beim Blasen? Gummi im Mund war bestimmt total widerlich. Allein wie die Dinger rochen! Natürlich war das Risiko für eine HIV-Infektion dabei ohnehin ziemlich gering, aber da gab es ja auch noch andere Sachen, die man sich dabei einfangen konnte. Kurz, mein Kopf und mein Schwanz waren sich nicht einig und ich saß mittendrin und wusste nicht, was ich tun sollte. Also ging ich dem Problem, so gut ich konnte, aus dem Weg.

 

Das klappte auch am Montag noch ganz gut. Ich fuhr mit dem Rad zur Schule, blieb ansonsten zu Hause und lauschte meiner Mutter, die mir lang und breit davon erzählte, dass Dianas Freund ja so ein Süßer wäre und sich nach dem ersten Schreck total über das Baby gefreut hätte. Wir hätten bestimmt noch weiter geplaudert, doch dann rief Diana an, um meiner Mutter zu erzählen, dass Björn – so hieß ihr Macker übrigens, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte – ihr doch tatsächlich ein kleines Paar Babyschuhe gekauft und darin einen Ring versteckt hatte, sodass jetzt neben einem neuen Erdenbürger auch noch eine Hochzeit ins Haus stand. Herzlich willkommen in Kitsch Haven.

Da ich wusste, dass das mit dem Telefongespräch dauern konnte, verzog ich mich in mein Zimmer um zu lernen. Es endete damit, dass ich schon wieder vor dem PC hockte, mir irgendwelche Let’s Plays reinzog und mich nicht dazu aufraffen konnte, etwas Sinnvolles zu tun. Bis zu dem Zeitpunkt, als meine Mutter reinkam und ich schnell den Browser schloss, damit sie nicht mitbekam, dass ich lediglich rumgammelte.

Sie packte Wäsche in den Schrank, die sie als Ausgleich für meinen Fleiß am Wochenende für mich zusammengelegt hatte. Während sie mir noch den Rücken zudrehte, ging mir plötzlich auf, dass vor dem leeren Bildschirm sitzen höchstverdächtig wirken würde. Also rief ich schnell die Suchmaschine auf und gab das erste Thema ein, das mir in den Sinn kam.

„Die weiße Rose“ spuckte mir jede Menge Suchergebnisse aus, von denen ich einfach das erste anklickte, das nicht Wikipedia war, und zu lesen begann. Ich merkte, wie meine Mutter hinter mich trat.

 

„Na, Schatz, machst du Hausaufgaben?“

„Ja, Geschichte. Das Referat, das wir halten sollen. Ich recherchiere ein bisschen.“

'Die weiße Rose'? Das ist ja ein tolles Thema und heute noch so aktuell wie damals. Grad letztens hab ich irgendwo ein Interview mit einem Autor gesehen, der ein neues Buch über Hans Scholl geschrieben, in dem er dessen Lebensgeschichte ganz neu beleuchtet. Ich glaube, es hatte irgendwas damit zu tun, dass der schwul war.“

 

Ich blinzelte den Monitor an und konnte es nicht glauben, was meine Mutter da gerade gesagt hatte. Hans Scholl war schwul gewesen?
 

„Aber sitz nicht wieder den ganzen Tag drinnen rum, ja? Ab morgen soll das Wetter schlechter werden, da kannst du noch genug vor der Mattscheibe hocken.“

„Ja, Mama, ist gut“, gab ich ganz automatisch zur Antwort, während ich nur darauf wartete, dass sie verschwand und ich mich näher mit dem Thema befassen konnte. Vielleicht würde das Referat ja doch nicht ganz so langweilig werden, wie ich gedacht hatte.

 

 

Am nächsten Tag regnete es tatsächlich wie aus Eimern, sodass ich mich notgedrungen wieder mit dem Bus zur Schule wagen musste. Allerdings war Manuel in dem vollgestopften Teil nicht auszumachen und ich schaffte es, mich unbemerkt in die Schule zu mogeln. Vollkommen fertig von dem ganzen Stess ließ ich mich neben Anton fallen, während Herr Vogel noch irgendwas mit Sandra besprach, was mir ganz recht war, denn von der Doppelstunde Deutsch würde noch genug Zeit übrigbleiben, um mich zu Tode zu langweilen. „Unterm Rad“ war jetzt nämlich nicht unbedingt die spannendste Lektüre aller Zeiten. Ich fand es umständlich geschrieben und die Tatsache, als Schüler von einem Kerl zu lesen, der den ganzen Tag quasi nix tat außer zu lernen, war eine reichlich deprimierende Sache. Und als er endlich mit der Paukerei fertig war, ging er doch tatsächlich zum Angeln. Spannend! Nicht.

 

„Hast du das nächste Kapitel gelesen?“

 

Das Grinsen, das Oliver bei der Frage auf dem Gesicht hatte, ließ mich nichts Gutes ahnen. Zumal mir in dem Moment auch noch einfiel, dass ich über die ganze Sache mit Manuel und dem schwulen Scholl – der übrigens bisexuell war, das nur mal am Rande – tatsächlich vergessen hatte, es zu lesen. Scheiße! Bei meinem Glück würde Herr Vogel garantiert mich dran nehmen und mich dann wieder mit diesem Blick ansehen. Aber Oliver würde ich das bestimmt nicht auf die Nase binden.
 

„Klar“, gab ich deswegen zurück und versuchte, Oliver danach zu ignorieren. Das war allerdings ungefähr so einfach, wie eine Mücke in einer heißen Sommernacht nicht zu beachten. Du versuchst dir einzureden, dass da nix ist, aber insgeheim horchst du trotzdem hin, ob da nicht was summt. Und wie Oliver summte.

 

„Uuuunnnd?“, fragte er gedehnt. „Wie hat dir der Kuss gefallen. Da ist dir doch bestimmt einer abgegangen, wenn die da so rumschwulen?“

„Hä?“, machte ich und klatschte mir innerlich mit der Hand gegen die Stirn. Hatte ich nicht geheimhalten wollen, dass ich das Kapitel nicht gelesen hatte?

„Na Hans und Hermann. Die haben sich geküsst und wer weiß was noch.“

 

Oliver sah mich mit einem derart triumphierenden Gesichtsausdruck an, dass ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte. Was wollte der denn jetzt von mir? Hatte er etwa … Verdacht geschöpft? Oder nervte er mich einfach nur damit, weil er sich schon so dran gewöhnt hatte?
 

Ich wollte gerade den Mund öffnen, um wenigstens irgendwas, wenn schon nichts Geistreiches, dazu zu sagen, als Anton mich rettete. Lieber, guter, schlauer Anton.

 

„Oliver, du bist so ein Honk“, erklärte er und schob seine Brille zurecht. „Der Kuss besiegelt lediglich den Beginn ihrer Freundschaft. Hans verliebt sich später noch in Emma, die Nichte des Schuhmachers. Das hat sexuell gesehen eine viel größere Bedeutung für ihn.“

„War ja klar, dass du Streber schon wieder das ganze Buch gelesen hast“, unkte Oliver und machte Anstalten, sich Anton zu nähern. Ohne zu überlegen, erhob ich mich von meinem Stuhl und stellte ich mich dazwischen.

„Lass deine Finger von ihm“, grollte ich.

„Warum? Hast du Angst, dass ich deinem Liebchen was tue? Knutscht ihr etwa auch heimlich rum?“

 

Wieder war es Anton, der mich davor bewahrte, etwas Dummes zu tu , wie zum Beispiel Oliver eins auf die Nase zu geben.

 

„Selbst wenn wir das getan hätten, wäre das nichts Ungewöhnliches. Jungen machen oft zunächst homoerotische Erfahrungen, bevor sie sich an Mädchen heranwagen.“ Anton schob erneut seine Brille nach oben. „Hattest du eigentlich schon mal eine Freundin oder befindest du dich auch noch in der Experimentierphase? Oder gar noch in der Vorpubertät? Wenn man dein Verhalten so betrachtet, könnte dieser Eindruck auf jeden Fall entstehen. Also geh und spiel mit was Giftigem und lass Benedikt endlich in Ruhe.“

 

Oliver klappten den Mund auf und wieder zu, ohne einen Ton von sich zu geben. Dass Anton ihm derart Paroli bot, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Ich hingegen hätte meinen persönlichen Chicken Little am liebsten an meine Brust gedrückt, doch Herr Vogel war der Meinung, dass wir uns jetzt dann doch lieber seinem Unterricht zuwenden sollten. Also setzte ich mich neben Anton und wartete ab, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab, um ihm ein „Danke“ rüberzuflüstern. Er sah nicht von seiner Textaufgabe auf, sondern nickte nur und das war das.

 

 

Ich langweilte mich durch Mathe und Bio, während ich versuchte, sämtliche schwulen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Das funktionierte relativ gut, bis wir in Erdkunde in einen anderen Raum beordert wurden. Die Tische dort standen ganz anders als unsere, weil die Klasse vorher wohl einen Test geschrieben hatte. Lauter einzelne Zweiertische, von denen ich mir zusammen mit Anton einen im mittleren Randfeld schnappte. Dummerweise setzten sich T und Jo genau vor uns.

 

„Man, die ist auf jeden Fall scharf auf mich“, schwadronierte Jo gerade. „In der Mittagspause frag ich sie, ob sie mal mit mir ins Kino geht. Irgendwas Gruseliges, dann kann sie sich im Dunkeln schön an mir festhalten.“

Er lachte blöd und T nickte nur.

„Gute Idee.“

„Ja, oder? Also, kommst du mit, wenn ich sie frage?“

„Kannst du das nicht alleine?“

„Doch schon, aber du musst mir Anne vom Leib halten. Die klebt ständig an Mia dran und ich krieg nie ne vernünftige Antwort von ihr.“

 

Vielleicht, weil sie einfach nicht auf dich steht, dachte ich und feixte mir eins. Inzwischen hatte ich mir zusammengereimt, dass es wieder oder immer noch um „nur Mia“ aus der a ging. Jo hatte anscheinend keinen Stich bei ihr, war aber zu dumm, um das einzusehen, und missbrauchte deswegen den armen T dazu, ihm die Lampe zu halten.

 

„Und, machst du’s?“, flüsterte Jo, während unsere Erdkundelehrerin schon Stellung bezog.

„Ja, klar“, antwortete T. „Ich lass dich doch nicht hängen.“

 

Ich seufzte innerlich. Also nicht wegen Jo. Es war mehr so ein Aufseufzen, weil ich das absolut sü… äh, anständig von T fand, dass er seinem Freund beistand, obwohl der sich in einer so hoffnungslosen Lage befand. Ich schielte zu Anton rüber, der bereits sein Buch auf der richtigen Seite aufgeschlagen hatte und aufmerksam nach vorne sah. Seine Brille war mal wieder runtergerutscht und ich wartete nur darauf, dass er sie wieder nach oben schob. Da, noch ein Stückchen. Gleich musste es kommen. Dieser typische Griff mit dem rechten Mittelfinger, der mich immer an japanische Animefiguren erinnerte. Ob er das extra machte, so wie ich mal eine Weile lang geübt hatte, nur eine Augenbraue nach oben zu schieben?

 

Plötzlich drehte er sich zu mir rum und ich sah zu, dass ich meinen Blick wieder nach vorne richtete. Dummerweise führte das dazu, dass ich genau in Ts Augen schaute, der mich erwartungsvoll ansah.

„Ist was?“, blaffte ich ihn an. Oh man, das war jetzt irgendwie ganz schön unfreundlich gewesen.

„Gib her“, antwortete an seiner Stelle Anton und nahm T die Arbeitsblätter aus der Hand, die der mir hatte geben wollen. Ähm … Mist. Absoluter Mist.

 

T schüttelte den Kopf und drehte sich wieder nach vorn und ich knirschte mit den Zähnen, weil ich mich mal wieder voll lächerlich gemacht hatte. Um mich abzulenken, wandte ich mich dem Arbeitsblatt zu, aber mein Blick wurde immer wieder wie magisch von Ts Nacken angezogen, der sich über seinen Tisch beugte und eifrig schrieb. Ich hatte das Bedürfnis, mich bei ihm zu entschuldigen, aber dafür war es wohl inzwischen zu spät. Wahrscheinlich hatte er das Ganze eh schon wieder vergessen, denn in seiner Welt existierte ich ja quasi nicht.

 

„So, meine Lieben, nachdem wir das Thema China nun erfolgreich abgeschlossen haben, werden wir nächste Stunde mit Japan beginnen. Um euch an das eigenständige Arbeiten zu gewöhnen, werden wir dafür Referats-Themen verteilen und jeder von euch wird dann einen kleinen Vortrag halten.“

 

Och nee, schon wieder ein Refarat? Hoffentlich wieder eine Gruppenarbeit, die würde ich dieses Mal ganz bestimmt mit Anton zusammen machen. So wie ich unsere Lehrerin einschätzte, mochte die es nämlich lieber unkompliziert. Frau Kuntze war eine ganz Liebe, auch wenn sie eher aussah wie ein Seebär auf Landgang. Ich schwöre, mit einem Rollkragenpullover und einer Schiffermütze wäre die glatt als Hein oder Piet durchgegangen. Naja. Konnte halt nicht jeder so schön sein wie T, der sich gerade ausgiebig streckte, sodass unten an seinem Shirt ein Streifen nackter Haut zu sehen war. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Ich musste hier weg. Sofort. Sonst würde was ganz Schlimmes passieren.

 

Also meldete ich mich.
 

„Ach Benedikt, sehr schön. Dann übernimmst du also gleich den ersten Vortrag nächste Stunde über die Klimazonen.“

„Äh, was?“ Eigentlich hatte ich nur fragen wollen, ob ich mal aufs Klo konnte. Beim Begaffen meines Klassenkameraden hatte ich offenbar verpasst, dass gerade die Referats-Themen verteilt wurden und jetzt hatte ich die Arschkarte gezogen und durfte als Erster anfangen. Och nö.

 

„Geht klar, Frau Kuntze“, sagte ich stattdessen und schrieb mir brav auf, dass ich bis Freitag irgendwie rauskriegen musste, was für Wetter die da in Japan hatten. Konnte ja nicht so schwer sein. Wetter gab es schließlich auch hierzulande und Regen war Regen oder nicht?

„Du musst nur einen Überblick liefern, wir gehen dass dann noch im Detail durch. Zehn bis 15 Minuten sollten reichen.“

„Okidoki“, meinte ich noch und hörte, wie Jo mich nachäffte. Spinner. Kein Wunder, dass Mia den nicht leiden konnte.

 

Den Rest der Stunde verbrachte ich damit, mir einen Zeitplan zu entwerfen. Heute würde ich nicht dazu kommen, noch was für das Referat zu tun. Am Nachmittag hatten wir noch Unterricht und dann stand Training an, von dem mich meine Mutter immer mit dem Auto abholte. Danach Abendessen, Hausaufgaben und ab ins Bett. Das Gute daran war, dass ich so garantiert Manuel nicht begegnen würde. Das Blöde war, das Morgen bereits Mittwoch war und ich somit nur noch zwei Tage Zeit hatte, mich auf mein Referat vorzubereiten. Aber das würde schon werden.
 

Auf jeden Fall dachte ich das, bis ich abends nochmal meinen PC anwerfen wollte um nachzusehen, ob ich irgendwelche Emails hatte, und sich genau nichts tat, als ich auf den großen Knopf drückte. Ich checkte die Stromversorgung, aber da war alles in Ordnung. Der Rechner ging nur einfach nicht an.

„Ach scheiße, was denn jetzt schon wieder?“ Ich schloss genervt die Augen. „MAMA!“

„Ja“, rief sie von irgendwo zurück.

„Warst du an meinem Computer?“

„Ja Schatz. Ich hab da nach ein paar Ideen für Dianas und Björns Hochzeit gesucht. Wieso?“

„Weil er nicht angeht.“

 

Ich hörte Schritte und gleich darauf stand meine Mutter in der Tür. Sie hatte die Stirn gerunzelt. „Das ist eigenartig. Heute Mittag ging er noch.“

„Du hast ihn aber runtergefahren, bevor du die Steckdose ausgestellt hast, oder?“

 

Meine Mutter war großer Verfechter des Sparens von Geld, Strom, Wasser und Nutella. Deswegen kaufte sie nie welches.

 

„Ja natürlich“, entgegnete sie entrüstet, aber ich sah ihr an der Nasenspitze an, das sie log.

„Mamaaaa?“

Sie nestelte nervös an ihrem Pullover herum. „Da lief irgendsoein Updatedingens und meine Mittagspause war doch schon rum. Da hab ich ihn einfach ausgemacht.“

 

Ich stöhnte und ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen.

 

„Ist er jetzt kaputt?“

„Vielleicht“, knurrte ich. „Warum hast du ihn nicht einfach laufen lassen?“

„Aber dann hätte er ja ganz umsonst Strom verbraucht.“

Ich gab es auf. „Ja, Mama, schon gut. Ich frag Anton, ob er mir hilft, das wieder hinzukriegen.“

„Ach, das ist toll Schatz. Es tut mir echt leid.“

 

Ich stöhnte noch einmal gegen die Tischplatte und entschloss mich, ins Bett zu gehen. Heute würde ich hier eh nichts mehr reißen und es war schon spät genug, um nicht mehr als früh durchzugehen. Außerdem hatte ich nach den letzten, etwas unruhigen Nächten Schlaf bitter nötig.

 

Während ich im Bett lag, machte ich mir Gedanken über meine Probleme. Ich versuchte immer noch, Manuel aus dem Weg zu gehen, der vermutlich Morgen wieder mit dem Bus nach der sechsten Stunde fahren würde, und ich hatte bis Freitag ein Referat vorzubereiten aber keinen PC, um dafür zu recherchieren. Für beides gab es eine wunderbare Lösung, die mir förmlich mit dem Arsch ins Gesicht sprang. Ich würde den morgigen Nachmittag in der Bücherei verbringen und entweder dort die Computer nutzen oder es auf die altmodische Art machen und mein Referat aus einem Buch rausschreiben. Alles ganz easy, hatte ich gedacht, doch es sollte ganz anders kommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2020-09-07T10:26:21+00:00 07.09.2020 12:26
Ich muss jetzt auch mal kommentieren, lese schon eine Weile mit (bin eigentlich auch schon weiter), und habe erst heute bemerkt, dass der Fav-Eintrag auf dem Handy nicht funktioniert hat. Meine Güte...

Ich mag Benedikt irgendwie. Mir gefällt der Name und sein Umgang damit. :D Hat einen schönen Klang, mag zwar für einen 16-jährigen nicht so nett sein, aber... Warum haben sie ihn nicht einfach Benny genannt in der Schule? Wenn Ben schon vergeben war? Ach die Jugend von heute, so unkreativ (und ich höre mich an wie ein alter Sack).

Ich mag deinen Schreibstil sehr, erfrischend, jugendlich und angenehm zu lesen. Vor allem machst du bei Einschüben und Nebensätzen Kommas, das ist ein Genuss.

Ich fand die bisher gelesenen Kapitel echt gut, weil sie sich mit trivialen Alltagsproblemen beschäftigen und dabei die Charaktere einflechten. Ich vermute ja, dass mit T später was läuft und Manuel verschwindet, aber mal sehen. :D

Die Adult-Kapitel waren auch überraschend gut; ich reiße mich eigentlich nicht so wirklich um das Zeug, dementsprechend ungerne lese ich sowas eigentlich. Deine haben aber ihren ganz eigenen Charme, weil sie sich ein wenig nüchterner lesen und dabei den Fokus auf das Geschehen auch nicht zu sehr verrücken.

Du hast auch die nötige Prise Humor drinnen, die es braucht, finde ich. Der Gedanke nicht an den PC zu gehen, oder die Nummer, dass Benedikt eigentlich nur mal auf die Toilette wollte, nicht fürs Referat melden - hat mich zum Schmunzeln gebracht.

Sorry, dass ich jetzt mal hier erst kommentiere. Ist mir eh zuwider, aber bin gerade ein bisschen ausgelastet privat, musste aber mal einen Kommentar dalassen, weil die Geschichte echt schön ist und man durchaus die Welt herum für die Zeit des Lesens vergessen kann.

LG
SuperCraig

PS: Oberlippenbärtchen sind echt was Scheußliches, vor allem so ein bescheuerter Flaum. :D
Antwort von:  Maginisha
07.09.2020 13:48
Hey SuperCraig!

Ich sehe, das mit dem Favo-Eintrag hat nun geklappt, aber du hast ja erst mal noch ein bisschen Lesestoff. ^_~

Aber alter Sack ist ja nun wirklich übertrieben. Was soll ich denn da sagen? :D Aber schön, dass der Stil trotzdem noch zum Prota passt und dir so zusagt. Benny wäre tatsächlich möglich gewesen. Einige Leser nennen ihn "Bene". Aber nun ja, er muss sich halt mit dem Namen abfinden.

Das Drumherum und grad der schulische Alltag war mir unter anderem wichtig, weil ich nicht wollte, dass das Leben quasi nur aus Pausen und Freizeit besteht. Es ist halt als Schüler einfach nicht so.

Was die Adult-Kapitel angeht, habe ich hier mal was Neues ausprobiert. Ich lese und schreibe sowas recht gern (und ich behaupte mal auch relativ gut) aber hier ging es mehr um das Erleben an sich und eben weniger darum, einen für den Leser erotische Szene darzustellen. Das erschien mir auch einfach für das Alter nicht passend.

Humor sollte dringend mit rein, weswegen zum Beispiel ein später auftauchendes, ernsteres Thema nicht so tiefschürfend behandelt wird, wie es das eigentlich verdient. Das hätte zu viel der Leichtigkeit genommen. Benedikt ist und sollte ein positiver Charakter bleiben, auch wenn es schon noch ein wenig Drama geben wird.

Ich danke dir an dieser Stelle dann mal, dass du dich zu einem Kommentar durchgerungen hast und verbeuge mich für das Lob und hoffe, dass du mit dem Rest der Geschichte auch noch Spaß hast. ^__^

Zauberhafte Grüße
Mag


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