Zum Inhalt der Seite

Ich, er und die Liebe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Von hysterischen Schwestern und einsamen Spielplätzen

Uff. Nun hockte ich also hier in unserem Wohnzimmer und sah meiner Schwester dabei zu, wie sie ein Taschentuch nach dem anderen vollheulte und dabei regelmäßig zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt schwankte. Zusammenfassend ließ sich ihr Problem ungefähr folgendermaßen beschreiben:

 

Sie war ungeplant schwanger und hatte Angst, dass ihr Freund sie deswegen sitzen ließ. Der wusste zudem noch nichts von seinem bevorstehenden Vaterglück und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm das verklickern sollte.

 

Unsere Mutter hingegen versuchte ihr Möglichstes, sie auf die positiven Seiten einer Schwangerschaft in ihrer jetzigen Situation aufmerksam zu machen, ihr zu versichern, dass wir sie ganz doll unterstützen würden und ohnehin alles nicht so heiß gegessen würde, wie es gekocht wurde. Außerdem fand sie den Gedanken, so jung Großmutter zu werden, total prima.

 

Ich saß während des gesamten Gesprächs irgendwie ein bisschen dumm daneben und fühlte mich unhilfreich. Was sollte ich auch groß machen? Ich hatte Diana zwar angeboten, dass ich den Kerl verprügeln würde, wenn er sich aus dem Staub machte, aber da hatte sie mich nur angefaucht, dass ich mich da gefälligst raushalten solle. Und meine Mutter hatte gemeint, dass ich das nicht verstehen würde. Stimmt, verstand ich auch nicht. Also ja, so rein theoretisch schon. Ein Kind ist ja ne Menge Verantwortung und so. Und ehrlich gesagt konnte ich mir Diana auch nicht so recht mit einem vorstellen. Aber andererseits würde sie zumindest die Familientradition fortsetzen, wenn sich ihr Kerl verpisste. Immerhin waren sie und ich auch auch ohne den jeweiligen Erzeuger aufgewachsen und aus uns war doch auch was geworden. So mehr oder weniger.

 

„Ich werde uns mal einen Tee machen“, verkündete meine Mutter und stand auf.

 

Wie? Was? Wollte die mich jetzt etwa mit dieser Hormonbombe von einer Schwester allein lassen? No way!

 

„Soll ich dir was helfen?“, bot ich an und sprang ihr hinterher. „Oder ich mach gleich den Tee, dann könnt ihr sitzen bleiben.“

„Ach, das ist lieb, Benedikt. Würdest du so freundlich sein?“

 

Klar war ich das. Hauptsache sie ließ mich nicht mit Frankensteins Tochter allein. Diana sah momentan nämlich echt zum Fürchten aus. Ihr Gesicht war total rot und verquollen und ihr blonder Bob stand an Stellen ab, an denen er es definitiv nicht sollte. Meine Mutter wirkte hingegen wie immer wie aus dem Ei gepellt aus. Sie war quasi das ältere Abbild meiner Schwester, nur weniger rot und deutlich gelassener. Der Umgang mit Menschen in verschiedenen Stufen der Vorhochzeits- oder Mein-Ausweis-ist-abgelaufen-aber-ich-fahre-doch-morgen-in-den-Urlaub-Panik zahlte sich vermutlich hier mal wieder aus.

 

„Soll ich auch Kuchen besorgen?“

 

Ja, ich gebe es zu, das war jetzt nicht so ganz uneigennützig. Aber erstens hatte ich immer noch nichts zum Mittagessen gehabt und zweitens war das hier vermutlich die Gelegenheit, meiner Mutter mal ein Stück Erdbeerkuchen aus den Rippen zu leiern, von dem sie sonst immer behauptete, er wäre zu teuer und würde um diese Jahreszeit eh noch nicht schmecken. Und dieser Tag heute schrie geradezu nach einem Stück Erdbeerkuchen. Noch besser wäre warmer Apfelstrudel mit Eis und Schlagsahne gewesen, aber man konnte eben nicht alles haben.

 

Ich kochte also Wasser, goss den Tee auf, stellte Kanne, Tassen und Zucker auf ein Tablett und brachte alles ins Wohnzimmer. Diana war gerade in einer Freu-Phase angekommen und philosophierte mit meiner Mutter darüber, ob die Drei-Zimmer-Wohnung, die sie mit ihrem Freund bewohnte, wohl ausreichen würde und wenn ja, wie lange.

 

„Hier, dein Tee,“ sagte ich und stellte ihr die Tasse mit der Ente hin, aus der sie immer getrunken hatte, als sie noch zu Hause gewohnt hatte. Als sie das Ding sah, fing sie gleich wieder an zu flennen und wollte mich zu allem Überfluss auch noch umarmen. Ich trat hektisch die Flucht nach hinten an und machte mich auf den Weg zum Bäcker.

 

Draußen erwarteten mich Vogelgesang und Sonnenschein. Meine Sweatjacke wurde mir bald zu warm, also zog sie aus und knotete sie mir um die Hüfte. Dabei fielen mir meine eigenen Probleme wieder ein. Ob ich mir mir in Zukunft wohl lieber Kaschmir-Pullover um die Schulter drapieren und darunter pastellfarbene Polohemden tragen sollte? Machten Schwule das nicht so? Oder musste ich anfangen Nagellack und Lippgloss zu tragen und affektiert mit den Händen in der Gegend herumzuwedeln? Ich hatte keine Ahnung. Blöderweise kannte ich nämlich niemanden, der schwul war. Klar, es gab das Internet, aus dem man so so ziemlich alle Informationen zu dem Thema holen konnte, die sich finden ließen. Unter anderem so tolle Kaffeesatzwahrheiten wie „Steh zu dir“ oder „Sei ganz du selbst“ und ähnlichen Quatsch. Das mochte funktionieren, wenn man in Berlin oder Hamburg plötzlich entdeckte, dass man schwul war, aber nicht in einem schleswig-holsteinischen Kuhkaff, wo jeder jeden kannte und der Höhepunkt des dörflichen Soziallebens im jährlich stattfindenden Tanz in den Mai bestand. Das kam bestimmt total prima, wenn ich da jemanden anlaberte. Nicht.

 

Nachdem ich mich einmal quer durch den Kuchenbestand unseres Dorfbäckers gekauft hatte, machte mich schwer beladen wieder auf den Rückweg, während ich mir einredete, dass der Fußmarsch und das ausgefallenen Mittagsessen bestimmt die zusätzlichen Kalorien wieder wettmachten. Es war jetzt nämlich nicht so, dass ich dick war, aber eben auch kein Strich in der Landschaft. Und wegen des Judos musste ich immer ein bisschen gucken, dass ich im Gewicht nicht zu hoch kam. Vor Wettbewerben hungern zu müssen war nämlich echt eine Tortur.

 

Ich lud meine Fracht bei Diana und meiner Mutter ab und verzog mich dann mit meinem Teil der Beute in mein Zimmer. Auf dem Weg zum Bett schob ich mit dem Fuß ein paar Klamotten der Kategorie „noch zu sauber zum Waschen“ aus dem Weg, schlängelte mich am „dringend reinigen“ Haufen vorbei und ließ mich auf die Matratze fallen. Ich warf einen halben Blick auf das Chaos. Vermutlich sollte ich mal wieder aufräumen und ne Waschmaschine anschmeißen. Das „durfte“ ich nämlich im Zuge meiner modernen Erziehung selber machen. Ich räumte auch mein Geschirr selber weg, putzte jede Woche eines der Badezimmer und konnte dank der verlängerten Arbeitszeit meiner Mutter jeden Donnerstag sogar einigermaßen anständige Mahlzeiten zusammenschustern. Wenn man auf Nudeln mit Tomatensoße und matschige Bratkartoffeln stand, versteht sich. Es war eben noch kein Meister vom Himmel gefallen.

 

Ich mümmelte also Erdbeerkuchen und starrte aus dem Fenster. Dabei kehrten meine Gedanken zu der unseligen Sache mit dem Zettel zurück. Was zum Henker hatte dieser Blick von T zu bedeuten gehabt? Hatte er sich etwa darauf gefreut, mit mir zusammenzuarbeiten? Wäre er vielleicht gerne mal hergekommen?

 

Der Kuchen schmeckte plötzlich nicht mehr, also stellte ich ihn auf den neben dem Bett stehenden Schreibtisch, drehte mich auf den Bauch und vergrub den Kopf in den Kissen. Man, das wäre was. T jetzt hier bei mir. Wuff! Allein der Gedanke bereitete mir eine Gänsehaut. Wie er hier liegen und mich ansehen würde mit seinen seeblauen Augen. Er konnte bestimmt total gut küssen. Und andere Sachen würden sich bestimmt auch gut anfühlen. Zum Beispiel seine Hand an meinem Schwanz. Ich konnte förmlich spüren, wie sich seine Finger unter meinen Hosenbund schoben und dann …

 

Scheiße. Jetzt hatte ich ne Latte. Ob ich mal … Nee! Nicht während meine Schwester da war. Ich vermied es ja sogar, selbst Hand anzulegen, wenn lediglich meine Mutter im Haus war. Notfalls wartete ich halt, bis sie schlief und entsorgte die Spuren gleich draußen in der Mülltonne. Ich hatte nämlich so gar keinen Bock auf die Wiederholung des „Dein Körper wird jetzt langsam reifer“-Gesprächs, was wir irgendwann mal geführt und beide am liebsten gleich wieder vergessen hätten. Ich konnte mit meiner Mama echt über vieles reden, aber über Sex? Das war einfach nicht drin. Wir hatten uns dann drauf geeinigt, dass ich mich meldete, wenn ich was wissen wollte. Funktionierte bis jetzt auch ganz gut. Schließlich hatte ich ja keinen Sex und somit auch keine Fragen.

 

Das Problem mit der Latte blieb jedoch und schien sich auch nicht einfach so verflüchtigen zu wollen. Ob ich im Bad? Auch ne ganz schlechte Idee. Wir hatten zwar zwei Badezimmer, aber Schwangere mussten doch angeblich alle fünf Minuten aufs Klo. Bei zwei Frauen im Haus, die gerade eine ganze Kanne Tee vernichtet hatten, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine von den beiden ausgerechnet dann reinwollte, wenn ich mir da drinnen ein bisschen Abhilfe verschaffte. Die Möglichkeit fiel also auch aus. Aber wenn ich hier im Bett liegenblieb, würde die Vorstellung von Ts Hand an meinem besten Stück wohl hartnäckig bestehen bleiben. Es blieb also nur Hausaufgaben machen und das verführerische Bett ignorieren oder rausgehen. Ich entschied mich für Letzteres.

 

„Mama, ich bin nochmal weg.“

„Okay, Schatz. Ich mach dann nachher Abendbrot, also komme nicht zu spät.“

„Geht klar.“

 

Als wenn ich hier irgendwie abhanden kommen könnte. Ich erwähnte die Sache mit dem Kuhkaff ja bereits. Wobei der Ort jetzt nicht sooo klein war. Es gab hier ein Rathaus, in dem auch meine Mutter arbeitete, einen Einkaufsladen, Grundschule, Postamt, Bank und sogar einen winzigen Schuhladen, in dem aber außer arthritischen Omas bestimmt nie einer einkaufte. Zumindest ließen die orthopädischen Schuhe im Schaufenster darauf schließen.

 

Normal würde ich mir in so einem Fall wohl mein Rad schnappen und ein bisschen zwischen den Feldern rumfahren. Dabei bekam man gut den Kopf frei. Einfach nur treten und lenken und aufpassen, dass einen kein Trecker in den Graben schubste. Aber leider stand mein Drahtesel ja sicher verwahrt im Fahrradkeller der Schule. Andernfalls hätte ich vielleicht auch mal zu diesem Feld fahren können. Da gab es mitten im Acker so einen Hügel. Wenn man auf den draufstieg und sich hinlegte, konnte man von der Straße aus nicht gesehen werden. Der perfekte Ort um ein bisschen... Ach scheiße. Da war es wieder, das Problem.

 

Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich Schritte hinter mir hörte. Oh nein, wer war das denn jetzt? Wenn das die Alte mit dem Hund von der Ecke war, konnte ich einpacken. Die war zwar bestimmt total kurzsichtig, aber trotzdem konnte ich ihr wohl kaum mit einer Beule in der Hose gegenübertreten. Zum Glück tauchte gerade vor mir der kleine Spielplatz auf, der bei uns in der Nähe lag. Der wurde, soweit ich wusste, kaum noch genutzt, seit die Gemeinde einen schöneren, modernen in der Neubausiedlung hatte errichten lassen. Ohne lange zu überlegen bog ich also ab, ignorierte gekonnt das „nur für Kinder bis 12 Jahre“-Schild und schlug mich in die Büsche.

 

Der Platz war nur ungefähr so groß wie eines der umliegenden Einfamlienhaus-Grundstücke und verfügte als einzige Attraktionen über eine Schaukel und eine Wippe. Alle beide aus so dicken Bohlen, die im Laufe der Zeit vergraut waren und kaum noch jemand hinter dem Ofen vorlockten. Im hinteren Teil gab es noch eine Liegewiese, die niemand regelmäßig mähte, und drumherum standen jede Menge Büsche und Bäume. Zwischen denen stand ich jetzt und hoffte, dass die Alte ihren Hund dabei hatte und sich im Gegensatz zu mir an das Schild hielt, das auch besagte, dass für Hunde hier Betreten verboten war.

 

Ich lehnte rückwärts an einem Baum und lauschte dem Klopfen meines Herzens, als ich plötzlich Stöcke knacken hörte. Wirklich? Omma kam mir nach, um mich auszuschimpfen? War jetzt nicht ihr Ernst. Aber wenigstens hatte sich so mein Problem erledigt. Ich holte tief Luft, kam aus meinem Versteck und erstarrte. Vor mir stand nicht die Oma, sondern mein Verfolger von heute Mittag. Er grinste.

 

„Na, Rotkäppchen, hat du dich verlaufen?“

 

Rotkäppchen? Und wer war er dann? Etwa der große, böse Wolf? Wohl kaum bei dem spärlichen Bartwuchs. Der sollte sich nur ja nichts einbilden.

 

„Nee, ich wollte nur pissen.“

„Und? Schon fertig?“

 

Ob er sich verzog, wenn ich Nein sagte?

 

„Nee, noch nicht. Du hast mich gestört.“

„Dann mal los. Lass dich nicht aufhalten.“

 

Sein Blick glitt tiefer zu meinem Schritt. Irrte ich mich oder glotzte der mir gerade auf den Schwanz?

 

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich keinen Bock habe, dass du mir zusiehst.“

„Hast du was zu verbergen?“

„Hast du noch mehr so blöde Fragen auf Lager?“

 

Er kam plötzlich auf mich zu und ehe ich wusste, was geschah, hatte er sich so nahe vor mich gestellt, dass ich nicht mehr wegkonnte. Was albern war, da ich, wie gesagt, ein bisschen größer war als er. Trotzdem hatte der Blick seiner Augen irgendwie etwas Zwingendes. Sie waren braun, wie ich jetzt erkennen konnte, mit ganz schön großen Pupillen.

 

„Eigentlich nur eine“, führte er unser Gespräch fort. „Hat dir schon mal jemand einen geblasen?“

 

Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und konnte nur mit knapper Not verhindern, in einen peinlichen Hustenanfall auszubrechen.

 

„W-was?“, brachte ich mühsam krächzend hervor.

„Ob dir schon mal jemand einen geblasen hat.“

„N-nein.“ Warum sagte ich das?

„Soll ich?“

„Wie bitte?“

 

Ich glaube, ich sah in dem Moment einem Auto ähnlicher als sonst was. Hatte der Kerl mich gerade gefragt, ob er mir einen blasen konnte? Wo waren wir denn hier? In einem Porno? Und hätte er mich dann nicht wenigstens erst mal fragen müssen, warum hier eigentlich kein Stroh lag?

 

Unfähig zu antworten, schüttelte ich nur stumm den Kopf. Leider fand ein Teil meines Körpers, dass das im Grunde genommen eine Super-Idee war. Und noch blödererweise konnte der Typ das so aus nächster Nähe natürlich nicht übersehen.

 

„Sicher?“, fragte er und ließ seinen Blick spöttisch nach unten wandern. „Dein kleiner Freund da scheint das anders zu sehen.“

 

Ja, tat er, der Verräter. Mit dem würde ich später noch ein ernstes Wort reden.

 

„Ich kenn dich ja nicht mal“, stieß ich hervor. Leider brachte mich das nicht im Geringsten aus der Schusslinie.

„Manuel“, sagte er und grinste mich rotzfrech an. „Kann's jetzt losgehen?“

„Was? Nein!“

 

Mein Gehirn – ich meine mein richtiges Gehirn – übernahm wieder die Kontrolle über meinen Körper und brachte ein ganzes Stück Abstand zwischen mich und diesen notgeilen Triebtäter. Wo kamen wir denn da hin? Ich zog doch nicht vor jedem Hans oder Franz oder Manuel die Hosen runter. Obwohl es das ja vielleicht gar nicht gebraucht hätte. Es würde doch bestimmt reichen, wenn ich ihn nur rausholte … Nein, nein, halt Stopp! Ganz verkehrte Richtung! Geh endlich weg, du Scheißständer!

 

Manuel lehnte mittlerweile gegen einen Baum und beobachtete mich sichtbar amüsiert. Er griff in die Tasche, holte ein Päckchen Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Anschließend sog er den Rauch tief ein und stieß ihn ganz langsam wieder aus.

 

„Ich hab's mir überlegt?“, verkündete er dann.

 

Was denn überlegt? Dass du mich doch lieber an einen Baum binden und mir gleich die ganze und nicht nur die orale Unschuld rauben willst?

 

„Ich nenn dich lieber Bambi.“

„Bambi?“, echote ich dümmlich.

 

Anscheinend war immer noch nicht wieder alles Blut an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt.

 

„Ja. Weil du schaust wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ist wirklich zum Schießen.“

 

Er grinste wieder und nahm noch einen Zug aus seiner Zigarette.

 

„Bambi hat aber braune Augen“, murrte ich nicht besonders schlagfertig.

„Ach, ein Klugscheißer bist du also auch noch.“ Er machte einen Rauchkringel und dann noch einen. „Und wie soll ich dich nennen?“

„Wie wäre es mit meinem Namen?“

„Und der wäre?“

 

Ach Mist, jetzt hatte er mich ausgetrickst.

 

„Benedikt?“, gab ich zögernd zu wissen.

 

Was wollte der Kerl eigentlich von mir? Er hätte mir ja wohl kaum wirklich einen geblasen, wenn ich Ja gesagt hätte. Oder? War der etwa schwul? Irgendwas in mir begann zu flattern.

 

Ich musterte ihn unauffällig, was ziemlich schwierig war, da er mich ja beobachtete. Das T-Shirt und die Jeans hatten definitiv schon bessere Tage gesehen, aber sie waren sauber und ohne Löcher. Er wirkte auch ganz gepflegt, wenn man mal von diesem Bart-Verbrechen absah. Eigentlich sah er gar nicht mal so übel aus, wenngleich er definitiv nicht mein Typ war. Mein Typ war ja immerhin groß und blond. Trotzdem übte der Gedanke, dass der Kerl da erreichbar war, irgendeine merkwürdige Anziehung auf mich aus.
 

„Noch Jungfrau, was?“, fragte er plötzlich aus dem Blauen heraus und bevor ich es verhindern konnte, war ich puterrot angelaufen. Also nicht, dass ich wirklich etwas dagegen hätte machen können, aber ich hätte es wenigstens versuchen können. Oder weglaufen.

„Das geht dich gar nichts an.“

„Also ja.“

 

Er nahm noch einen Zug aus der Zigarette und trat sie dann auf dem Boden aus. Anschließend kam schon wieder näher und leckte sich über die Lippen.
 

„Schon mal nen anderen Kerl geküsst?“

 

Nein, und mit dir fang ich auch bestimmt nicht damit an.

 

„Du hast geraucht“, sagte ich stattdessen. Als wenn ich sonst darüber nachgedacht hätte. Was tat ich denn hier?

Er grinste. „Ich hab Kaugummi.“

„Das reicht nicht.“

„Und das weißt du woher?“

 

Als er noch näher trat, konnte ich ihn riechen. Er stank tatsächlich ziemlich nach Zigaretten. Aber dazwischen konnte ich noch was anderes riechen. War das After Shave? (Von welcher Rasur?) Deo? Waschmittel?

 

Er sah mich geradeheraus an. „Also, Benedikt. Wie sieht's aus? Hast du Lust auf ne Runde körperliche Aktivität?“

„Mit dir?“, krächzte ich sinnentleert.

„Ja sicher. Oder siehst du hier sonst noch wen?“

„Aber …“

„Wenn du jetzt 'Aber du bist doch ein Junge' sagst, tret ich dir in die Eier. Ich weiß genau, dass du es auch willst.“

 

Ach ja?

 

Wollte ich sagen.

 

Konnte ich aber nicht.

 

Denn ein nicht unwesentlicher Teil von mir wollte es tatsächlich. Ich wollte tatsächlich mal einen Kerl küssen. Nicht diesen Kerl, aber spielte das grade eine Rolle? Der hier war immerhin hier und anscheinend nicht abgeneigt. Ich brauchte mich nur ein Stück vorzulehnen und meine Lippen auf seine zu pressen. Es wäre ganz leicht und …

 

„Ich kann nicht“, sagte mein Mund, ohne mich gefragt zu haben. Gleichzeitig bewegten mich meine Füße zur Seite und damit ein ganzes Stück von ihm weg. „Ich muss … nach Hause. Meine Mutter wartet.“

Er grinste. „Alles klar. Dann eben beim nächsten Mal, Bambi. Schlaf schön heute Nacht. Und angenehme Träume wünsche ich.“

 

Ich antwortete nicht mehr, sondern machte, dass ich von dem Spielplatz wegkam. Kaum, dass ich außer Sichtweite war, begann ich zu rennen. Heilige Scheiße, was war dann denn gewesen? Der hatte mich echt angegraben. Mich! Von allen ahnungslosen Schwulen dieser Welt musste Mister Oberlippenbart sich ausgerechnet mich als Opfer aussuchen. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

 

Dummerweise erwies sich seine Prophezeiung als nur zu wahr. Ich hatte in der Nach tatsächlich ziemlich angenehme Träume. So angenehm, dass ich am nächsten Morgen klammheimlich die Bettwäsche wechseln musste. Was zum Henker hatte der Kerl bloß mit mir angestellt? Und wann würde ich ihn wiedersehen?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück