Kontrolle von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ Kapitel 6: Vorbereitung ----------------------- Pakhet atmete auf, als sie aus dem Keller hervorkam. Es war ein „normaler“ Laden gewesAbspracheen, soweit Magierläden normal sein konnten. Es hatte ein paar Artefakte und Tränke gegeben. Und eine alte Magierin, die Bestellungen angenommen hatte. Auch wenn die Preise – wie für Magie üblich – hoch waren, so hatte Pakhet in Auftrag gegeben, was sie brauchte. Sie würde es vor dem nächsten Tag nicht haben. Es war mittlerweile kurz vor acht. „Jetzt mussten Sie zu diesem Starbucks, richtig?“, fragte Weiwen mit einer professionell distanzierten Freundlichkeit. Pakhet nickte. Sie hatte das Armband mit dem Schutzzauber, das sie gekauft hatte, auf ihrem rechten Arm hängen. An ihrem linken Armstumpf hing nur ihre Notfallprothese, die nicht besonders überzeugend aussah und lose im Ärmel der Jacke schlackerte. Sie wünschte sich, dass es besser würde mit der Technologie. Und von allem was sie gehört hatte, gab es Fortschritte. Doch gerade der Kampf gegen Li … vielleicht wäre es besser gewesen, hätte sie beide Arme gehabt. Allerdings würde sie sich nicht der Arbeit für einen Gott oder Geist verpflichten, wie der Drache es ihr angeboten hatte. Unwillkürlich rieb sie sich ihre Schulter. Sie hatte sich daran gewöhnt. Sie war auch so gut. Sie war eine gute Kämpferin. Gut genug, um zu kompensieren. Und sie durfte sich durch diese Gedanken nicht ablenken lassen. Es war gruselig. Im Moment schwirrten ihre Gedanken so sehr. Es war echt eine beschissene Idee, sich so noch einmal mit Li anzulegen. Wenn sie im falschen Moment ein Flashback oder einen Panikanfall bekam, würde sie nur wieder in dieser Situation enden. Sie saß auf dem Beifahrersitz neben Weiwen, während diese vorsichtig wieder aus der Gasse, Seitenstraße oder wie auch immer man es hier nannte herausfuhr. Dann gliederte sie sich in den normalen Verkehr auf einer weiteren Straße ein. „Sind Sie sicher, dass es eine gute Idee ist, sich noch einmal mit Mr Li anzulegen?“, fragte die junge Frau, als würde sie Pakhets Gedanken erahnen. Pakhet atmete tief durch. Sie war ihr eigentlich keine Antwort schuldig. Immerhin arbeitete Weiwen nur für sie. Wahrscheinlich war auch das der Grund, warum sie überhaupt fragte. Dennoch … vielleicht weil Weiwen zu sehr, wie die kleine Stimme in ihrem eigenen Kopf klang, antwortete sie: „Es war mein Auftrag. Und jetzt ist es persönlich.“ „Persönlich?“, fragte Weiwen, als würde sie das Wort nicht verstehen. Pakhet hielt inne. „Er hat mich verletzt. Ich werde ihn verletzen. Das …“ Sie runzelte die Stirn. „Ich könnte es mir sonst nicht verzeihen.“ Weiwen hielt inne, nickte dann aber. Sie sah in ihrer weiten, häuslich wirkenden Kleidung nicht wie jemand aus, der mit Magie und der Unterwelt zu tun hatte. Während sie weiterfuhren, starrte Pakhet aus dem Fenster. Neonleuchtende Schilder rauschten oder schlichen draußen entlang, bis Weiwen erneut abbog. Dieses Mal zu einer Tiefgarage. Ein weiterer Ort für Panikattacken. Großartig. Natürlich sagte Pakhet nichts. Sie presste ihre Lippen aufeinander, verfluchte sich und die Situation, verfluchte Li und stieg aus, als sie auf der fünften Ebene einen Parkplatz fanden. Die Luft hier unten war schlecht, selbst wenn alle Lampen leuchteten. „Sie sind angespannt“, stellte Weiwen fest, als sie Pakhet zum Aufzug führte. „Ja.“ Mehr fiel Pakhet zur Antwort nicht ein. „Soll ich einen Beruhigungszauber sprechen, wenn wir zurück sind? Sie werden so nicht schlafen können.“ Darüber hatte Pakhet auch schon nachgedacht. Sie mochte Schlafzauber und dergleichen nicht, waren sie doch auch eine Form von Geistesmagie. Lieber hätte sie klassische chemische Schlafmittel bevorzugt, doch war sie nicht sicher, ob sie hier eine Wahl hatte. „Später“, erwiderte sie nur. Sie stiegen auf ebener Straße aus dem Aufzug aus und standen tatsächlich bei einer Straßenbahnstation. „Sie werden allein reingehen?“, fragte Weiwen. Pakhet nickte. Sie konnte die Identität ihres Auftragsgebers nicht gefährden. Zumindest soviel Professionalität sollte sie behalten. „Ist es in Ordnung für Sie zu warten?“, fragte sie. „Ja. Sie haben ein Telefon, ja?“ Erneut nickte Pakhet und holte ihr Handy hervor. Wahrscheinlich war es ohnehin nicht dumm Weiwens Nummer zu speichern, selbst wenn sie damit wohl dieses Handy am Ende des Auftrags verbraucht hätte. Nun. Das war es wohl wert. So ging sie keine Minute später zur Treppe, die in die eigentliche Station und zum Starbucks führte. Sie konnte die Blicke der Vorbeigehenden praktisch spüren. Viele von ihnen – es war gedrängt hier – versuchten ihre Blicke zu verbergen, und dennoch waren sie da. Pakhet war selbst für eine Amerikanerin relativ groß, war größer als viele der Menschen hier. Und ihre rot gefärbten Haare stachen heraus. Vielleicht hätte sie eine neue Perücke kaufen sollen. Und dann war da natürlich die Prothese, die dem ein oder anderen auffiel. Wie sie diese Blicke hasste. Die eigene Aufmerksamkeit direkt nach vorne gerichtet, ging sie zum Starbucks. Sie hielt von der Kette nicht viel, doch wenigstens wusste man praktisch, egal wo auf der Welt man war, was man bekam. Nun, nicht ganz egal. In Südafrika gab es die Coffeeshops noch immer nicht. Wahrscheinlich hatte irgendjemand in irgendeinem Hauptquartier beschlossen, dass es das Risiko nicht wert war, mit den vielen etablierten, lokalen Ketten zu konkurrieren – und von denen gab es einige. Trotz ihrer Abneigung bestellte sie einen Kaffee. Den konnte sie ohnehin gebrauchen. Mit diesem in einen Pappbecher ging sie in den Sitzbereich des Ladens, sah sich um. Michael hatte ihr eine Beschreibung geschickt, ein Erkennungszeichen. Ein Buch. Doch drängten sich hier so viele Leute, diverse von ihnen Studierende mit Büchern, bis sie den älteren Mann sah, der mit einem Paperback in einer Ecke, weit weg vom Fenster saß. Er war sicher um die fünfzig, wenn nicht älter. Pakhet fiel es schwer, ihn einzuschätzen. Doch sein gebräuntes Gesicht war von Furchen durchzogen, die für einige Sorgen sprachen. Graue Strähnen zogen sich durch das schwarze Haar. Ansonsten aber sah er unauffällig aus. Er trug einen normalen Anzug, wie viele andere auch, hatte die Krawatte etwas gelockert und schien gänzlich in das Buch – eine annotierte Shakespeare Sammlung – vertieft. Es konnte noch immer eine Falle sagen, warnte die kleine, panische Stimme sie. Pakhet aber schluckte, schloss die Augen und trat zu ihm hinüber. „Ist dieser Platz besetzt?“, fragte sie und nickte zu dem Stuhl ihm gegenüber. „Nicht, dass ich es bemerkt hätte“, erwiderte er – wie abgesprochen. „Darf ich mich setzen?“ „Mich wird es nicht stören.“ Sein Englisch hatte keinen so starken Akzent, wie Weiwens oder Lis. Ja, er klang beinahe, wie ein Brite, nur mit einer anderen Spur. Kam er von Hongkong? Ganz sicher war sie sich nicht. „Mir wurde gesagt, Sie hätten ein Geschenk für mich“, meinte sie mit gesenkter Stimme und nippte an ihrem Kaffee, auch wenn es hielt, dass ihre Hand nicht bereit war, jederzeit nach ihrer Waffe zu greifen. Auch hier drin warfen ihr einige Leute Blicke zu. „Ja“, erwiderte er und seufzte. Er musterte sie. „Es tut mir leid, dass Sie wegen mir in Probleme geraten sind.“ Überrascht sah Pakhet ihn an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie runzelte die Stirn. Was sollte das heißen? Auftraggebern war es üblicherweise egal, was mit einem etwaigen Söldner oder in ihrem Fall einer Söldnerin geschah. Am Ende war nur die Erfüllung des Auftrags wichtig, das Erreichen eines Endziels. Unsicher, was sie erwidern sollte, nippte sie am Pappbecher. Stille herrschte, während auch der Mann unsicher schien, was er sagen sollte. Schließlich atmete Pakhet durch. „Sie sind Bei Zhao?“ Der Mann nickte. Er räusperte sich. „Sie wollen wirklich noch einmal …“ Er hielt inne. Dieses Mal hatte er – wenngleich mit deutlich dickerem Dialekt, als sein Englisch – auf Niederländisch gesprochen. Pakhet runzelte die Stirn. „Sie sprechen Niederländisch?“ „Ich habe eine Weile in Europa gearbeitet“, sagte Zhao unsicher. Jetzt legte er sein Buch ganz zur Seite. Seine Finger waren zittrig. Nun, da sie darauf achtete, trug er keine Tattoos. Jedenfalls nicht sichtbar. Vielleicht waren sie versteckt. Tatsächlich aber erweckte er nicht den Eindruck eines Kriminellen. Was umso mehr eine Frage aufbrachte. Doch Pakhet fragte nicht, denn sie war professionell. „Hören Sie, wenn es nicht möglich ist, dann …“, begann er und unterbrach sich wieder selbst. „Es wäre traurig, würde eine junge Frau wie Sie sterben, für die Rache eines alten Mannes.“ Wieder wusste Pakhet nicht, was sie erwidern sollte. Sie musterte ihn genauer. Er sah müde aus. Wie jemand, der zu viel arbeitete und zu wenig schlief. „Ich habe einen Job. Ich werde ihn ausführen“, erwiderte sie. Ihr fiel es leichter ins Niederländische zu verfallen, auch wenn sie sich dessen bewusst war, dass ihr eigener Südafrikanischer Akzent dick war. „Haben Sie, weswegen ich Sie treffen wollte?“ Zhao atmete leise aus. Er schien sich ein Seufzen zu verkneifen. „Ja.“ Er nahm seine Aktentasche, stellte sie auf den Tisch und zog einen Block daraus hervor. Da war etwas unter dem Block. Wohl, weswegen sie hier war. Er war offenbar bemüht, subtil zu sein. Das konnte sie respektieren. Doch die Art, wie er handelte, sprach deutlich dafür, dass er keine Erfahrung hatte. Aber warum … Hier war eine private Geschichte dahinter. Es ging nicht um Karriere. Er hatte von Rache gesprochen. Er hatte darauf bestanden, dass Li mit der Droge umgebracht würde. Was war die Geschichte dahinter? Langsam fügten sich Puzzelstücke zusammen. Jemand war an einer Überdosis gestorben. Zhao gab Li die Schuld. Deswegen die Rache. Gleiches für Gleiches. Nun, nicht ganz. Wer war es gewesen? Zhaos Frau? Sohn oder Tochter? Vielleicht ein Bruder? Sie musterte ihn. „Warum die genaue Anweisung?“, fragte sie, nun doch unfähig sich zu beherrschen. Er war nicht professionell. Er hatte hiermit keine Erfahrung. Er würde es kaum gegen sie halten. Michael musste davon nichts erfahren. Ach, Michael sah sie ohnehin schon als unprofessionell, allein, weil sie aus persönlichen Gründen blieb. Und weil sie versagt hatte … Zhao schürzte die Lippen. Seine Hände waren deutlich angespannter und sein Blick verharrte auf dem Block. Ein einfacherer karierter Notizblock. „Sagen wir es so … Ich war ein schlechter Vater. Ich war nicht genug zuhause. Und für junge Männer …“ „Ihr Sohn ist drogenabhängig geworden?“, schloss Pakhet, als Zhao mitten im Satz verstummte. „Mein Sohn hatte Probleme in der Uni. Ist mit Leuten aneinander geraten. Er muss irgendwann mit den Drogen angefangen haben. Wahrscheinlich hatte er Schulden.“ Zhao schüttelte den Kopf. „Wie gesagt: Ich war ein schlechter Vater. Ich weiß nicht einmal genaues. Alles was ich weiß, war, dass Jie drei Tage tot war, als ihn jemand fand.“ Nun war es Pakhet, die ihren Kaffeebecher fixierte. Warum hatte sie auch gefragt? Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Das tut mir leid.“ Sie fragte sich, woher Zhao überhaupt wusste, dass es Li war. Immerhin schien Li weiter oben angesiedelt zu sein, um mit einem einzelnen Drogenabhängigen zu tun zu haben. Jetzt aber beherrschte sie sich. Sie griff nach dem Kaffee, trank wieder einen Schluck. „Ich hätte nicht so spezifisch sein sollen“, meinte Zhao nun. „Letzten Endes …“ Er schüttelte müde den Kopf. „Ich will, dass dieser Mann stirbt.“ Pakhet schloss die Augen, sah wieder Lis Gesicht vor sich. „Da sind wir zwei“, erwiderte sie und griff nach dem Etwas unter dem Block. Es war ein kleines, weißes Papiertütchen, dass sie in der Innentasche ihrer Jacke verschwinden ließ, ohne diese ganz zu öffnen. „Es tut mir wirklich leid, dass Sie …“ Er musterte sie. „Auch wenn Sie Glück gehabt zu haben scheinen.“ Ganz konnte sie sich einen verächtlichen Laut nicht verkneifen. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass sie glimpflich davon gekommen war, da man ihr keine Verwundungen ansah. „Ja“, murmelte sie. „Gerade so …„ Es war kurz vor elf, als sie zurück zu Weiwens Wohnung kamen und langsam drohte die Müdigkeit Pakhet endgültig zu übermannen. Gleichzeitig war da die Angst. Die Angst davor zu schlafen. Denn sie wusste, dass die Albträume kommen würden. Darauf war Verlass. Sie wollte diese Albträume nicht. „Wollen Sie noch etwas essen?“, fragte Weiwen, als sie die Wohnungstür hinter ihnen schloss. Sie lebte in einem Apartmentgebäude direkt neben der Parkanlage eines Tempels. Auch wenn Pakhet nicht genug verstand, ging sie jede Wette ein, dass der Tempel etwas mit dem Drachen zu tun hatte. „Ja, vielleicht“, murmelte sie und rieb sich die Augen. „Es ist vielleicht besser.“ „Gut. Ich mache Ihnen noch was. Ich habe noch Suppe. Ist das okay?“ Pakhet nickte nur. Ihr war schwindelig. Sie wollte sich hinsetzen, wusste aber nicht wo. Wo würde sie überhaupt schlafen? Zugegebenermaßen erschien ihr die Wohnung überraschend groß für eine alleinstehende Frau in einer chinesischen Großstadt. Waren hier die Wohnungen nicht notorisch klein und notorisch teuer? Sie fragte sich, womit Weiwen üblicherweise ihr Geld verdiente. Machte sie so etwas vielleicht doch öfter? Oder hatte vielleicht der komische Drache Kontakte, war vielleicht selbst Besitzer des Wohnblocks? Es wäre eine Erklärung. Aber sie fragte nicht. Stattdessen: „Kann ich mich irgendwo hinsetzen?“ „Sicher“, erwiderte Weiwen. „Gehen Sie in mein Büro. Da können Sie heute Nacht auch schlafen.“ Mit dem Büro meinte sie wahrscheinlich das Zimmer, in dem der Spiegel stand oder gestanden war. Weiwen hatte ihn in einem Schrank verschwinden lassen. Letzten Endes waren Spiegel gefährlich. Pakhet nickte und schwankte zu der Tür. Es war alles ein wenig fiel. Im Zimmer ließ sie sich auf den einfachen Stuhl fallen und wagte es für einen Moment die Augen zu schließen. Ja, sie war deutlich, sehr deutlich übermüdet. Ihr Körper hatte einiges aufzuholen. Aber zumindest Essen klang nach einer guten Idee. Müde griff sie in die Innentasche ihrer Jacke und holte die Papiertüte heraus. Darin war eine einfache Ampulle, die offenbar geöffnet und wieder verschlossen war. Das Label war abgekratzt worden. Darin musste die Droge sein. Das Gift. Warum wollte sie es überhaupt so machen? Wahrscheinlich war es ihr eigener Perfektionismus. Und der Wunsch nicht zu versagen. Sie wollte nicht versagen. Sie wollte Li nicht die Genugtuung geben. Selbst wenn er es wohl kaum als Genugtuung empfinden würde, erschossen zu werden. Nein. Sie würde es dieses Mal richtig machen. Schließlich kam Weiwen in das Zimmer, brachte eine Schüssel und einen Teller mit sich. In der Schüssel Suppe. Auf dem Teller welche von diesen chinesischen gefüllten Teigtaschen. Pakhets müdes Gehirn weigerte sich ihren richtigen Namen aufzurufen. Sie sah Weiwen an. „Danke“, flüsterte sie. „Gerne“, erwiderte Weiwen mit einem professionellen Lächeln. „Sie sehen müde aus. Ich habe nur eine Luftmatraze zum Schlafen. Ist das in Ordnung?“ Irgendwie hatte Pakhet nicht das Gefühl, dass „Nein“ eine mögliche Antwort war. Sie nickte nur. Schlafen konnte sie überall. Sie war Soldatin gewesen. Beim Militär schlief man entweder gar nicht oder lernte überall und unter beinahe jeder Bedingung ein wenig Schlaf zu bekommen. „Gut.“ Weiwen wollte sich abwenden, hielt dann aber inne. „Also … das Angebot mit dem Schlafzauber …“ Pakhet zögerte. Sie mochte den Gedanken noch immer nicht. „Können Sie einen Trank herstellen?“, fragte sie daher. Wahrscheinlich verstand Weiwen. Sie nickte. „Natürlich.“ „Dann klingt es nach einer ausgezeichneten Idee.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)