Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 13: TEIL II - KAPITEL III: Iulia ---------------------------------------- Der Blachernen-Palast hatte sich verändert. Es war nicht unbedingt etwas Sichtbares. Aber etwas lag in der Luft, eine gewisse Anspannung, als ob der ganze Ort auf der Lauer lag. Iulia erwischte sich dabei, wie sie sich besonders aufrecht hielt, als sie sich in einer grünen Seidenstola mit kostbarer, dunkler Palla darüber von einem Diener durch die Gänge des Palasts führen ließ. Sie war hier, um eine Freundin zu besuchen. Aber wenn diese Freundin die Kaiserin von Byzanz war, dann war selbst Atmen an gewissen Orten ein politischer Akt. Selten war ihr das bewusster gewesen als heute, wo sie spüren konnte, wie die Blicke fremder Soldaten ihren Schritten folgten und dabei teilweise unangenehm lange an ihren sandalenumschlossenen Fesseln hängen blieben. Iulia gab es nicht gerne zu, aber sie war insgeheim fast ein wenig erleichtert, als der Diener die Flügeltür zu Hyromias Empfangsraum mit einer Verbeugung für sie öffnete und hinter ihr wieder schloss, nachdem sie eingetreten war. Selten war man in den Palästen von Konstantinopel jemals wirklich vollkommen allein, aber dies hier was das nächste, das sie erreichen konnte. Hyromia lag auf einer der Liegen und blickte über die Terrasse hinweg gedankenvoll hinaus, wo man weit entfernt das Stadttor der heiligen Anastasia und das glitzernde Wasser des Goldenen Horns sehen konnte. In ihrer Hand befand sich ein silberner Trinkbecher, den sie sinken ließ, als sie ihre Freundin erblickte. Lächelnd schwang sie die Beine von der Liege und erhob sich, um auf Iulia zuzukommen und sie auf die Wange zu küssen. Auf den ersten Blick wirkte alles wie immer, aber Iulia kannte sie schon zu lange, um nicht die körperlichen Anzeichen von Stress zu erkennen: Dunkle Ringe unter den Augen, ein gewisser kummervoller Zug in ihrem Lächeln, eine untypische Blässe. Die Vorgänge in Konstantinopel machten Hyromia deutlich zu schaffen. „Ich freue mich so, dich zu sehen“, bekannte sie und umarmte Iulia noch einmal zusätzlich. „Es ist schön, ein vertrautes Gesicht von der Außenwelt um mich zu haben.“ Iulia war sich bewusst, dass sie eine Tendenz dazu besaß, in vielen Situationen ungeduldig zu reagieren. Nun aber fiel es ihr leicht, sanft über Hyromias Wange zu streichen. „Ich sehe deinen Kummer.“ „Ach!“, seufzte Hyromia, wandte sich nun doch ab und ließ sich zurück auf die Liege fallen. Iulia wanderte zu der Anrichte, auf der weitere Becher und ein gut gefüllter Weinkrug standen, um sich einzuschenken. „Kann man mir verdenken, dass ich mir Sorgen mache? Und dabei kann ich nicht einmal genau einschätzen, wie die Stimmen im Volk aussehen, weil ich nicht aus dem Palast herauskomme - jetzt weniger denn je.“ Iulia schüttelte den Kopf und setzte sich zu ihr auf die Liege, damit sie leise und vertraulich miteinander sprechen konnten. Dann berichtete sie ihr, was sie wusste. „Die Gesellschaft wirkt stark zwiegespalten. Der verehrte Basileus hat immer noch viele treue Anhänger, besonders unter den einfachen Leuten - man schätzt seine besonnene Art und eure Versuche, die Stadt wieder zu restaurieren und zu altem Glanz zurückzubringen, mit einem Wort: Die Besinnung auf Innenpolitik.“ „Das klingt nach einem Aber, und das gefällt mir nicht“, seufzte Hyromia und massierte sich die Schläfen. Iulia zuckte mit den Achseln. Sie war nicht besonders gut darin, Dinge sensibel zu verpacken, aber sie gab sich dennoch Mühe. „Besonders unter den Patriziern lechzt man nach Krieg. Und es ist ein offenes Geheimnis, wie Irenéo im Fall der Bulgaren eingestellt ist. Außerdem gibt es viele, die sagen, dass ihm als Erstgeborenen der Thron zusteht, auch wenn Takaos diesen rechtmäßig aus den Händen der Latiner zurückerobert hat.“ „Ja, diese Stimmen habe ich auch mitbekommen, und auch Takaos kennt sie wohl.“ Hyromia rieb sich erneut die Schläfen und seufzte. „Es ist alles so verworren, Iulia, das sind Probleme, die sich Byzanz eigentlich nicht leisten kann. Und ich mache mir Sorgen um Takaos.“ Iulia runzelte die Stirn. „Inwiefern? Befürchtest du einen weiteren Anschlag?“ „Das auch, das immer.“ Hyromia lächelte flüchtig. „Aber wenn die momentane Situation einen Vorteil gebracht hat, dann jenen, dass Kai nun wieder mehr bei uns ist. Und ich vertraue ihm das Leben meines Mannes ohne zu zögern an. Solange Kai uns treu ist und lebt, mache ich mir um Mordanschläge keine großen Sorgen.“ „Was quält dich dann?“ „Bitte, das muss unter uns bleiben“, beschwor Hyromia sie und Iulia versprach es augenblicklich bei allem, was ihr heilig war. Dennoch zögerte Hyromia eine Weile, ehe sie schließlich verriet: „Seine Gesundheit macht mir in letzter Zeit Sorgen. Er schläft schlecht, klagt über Übelkeit und Kopfschmerzen. Ich glaube, dass es der Stress ist. Es kommt so viel zusammen - die Bulgaren, Irenéo, die generelle finanzielle Lage des Reichs. Er muss sich über viele Dinge Gedanken machen, es ist kein Wunder, dass es ihm momentan nicht gut geht. Aber ich fürchte das, was passieren kann, wenn an die Öffentlichkeit dringt, dass die Gesundheit des Kaisers in Mitleidenschaft gezogen ist. Er kann und darf es sich nicht leisten, jetzt schwach zu wirken, das ist traurig, aber wahr.“ Iulia biss sich auf die Lippen, weil sie die Sorgen ihrer Freundin gut verstehen konnte. Es gab wenig, was sie dagegen sagen konnte, daher beschloss sie, Hyromia wenigstens für eine Weile abzulenken. Und so steuerte sie das Gespräch in andere Richtungen, weg von Politik und hin zu amüsanten Erzählungen aus ihrem Alltag als Malergehilfe bei der Verschönerung der Hagia Sophia. Als sie den Palast ein paar Stunden später schließlich wieder verließ, lachte Hyromia immerhin deutlich ehrlicher als noch zu Beginn ihres Besuchs. In Zeiten wie diesen war auch das immer etwas wert, wie Iulia befand. Sie tat ihr Bestes, die Stimmung des Blachernen-Palasts hinter sich zu lassen. Für heute Nacht war ein geheimes Treffen mit Emilia vereinbart, und sie freute sich darauf, auch wenn beileibe nicht behauptet werden konnte, dass ihre Treffen so amüsant und vollkommen reizvoll waren wie zu Beginn ihrer Beziehung. Ein gewisser angespannter Unterton hatte sich auch hier zwischen sie geschlichen und Iulia war wohl nicht ganz unschuldig daran. Sie konnte Emilia nicht verzeihen, dass diese sie manchmal behandelte wie ein Kind, das nichts von der Welt wusste, oder wie eine Geliebte, für die sie nicht alles riskierte. Die Leidenschaft zwischen ihnen war das, was Iulia an ihrer Beziehung immer so geliebt hatte. Wann immer sie und Emilia zusammengekommen waren, war es nicht immer nur schön, aber jedes Mal echt und mit vollkommener Aufmerksamkeit füreinander gewesen. Ihre Liaison mit Emilia ließ Iulia leben, atmen, ganz bewusst - nur dass es eben seit längerer Zeit nicht mehr so war. Zwischen den Leben, die sie untertags führten, und den Verpflichtungen, die damit einhergingen, aber auch durch ihre doch sehr unterschiedlichen Ansichten zu vielen Belangen hatten sie begonnen, zu zerfasern. Und Iulia wusste nicht, wie sie es aufhalten konnte. Sie war gut darin, Dinge in Brand zu setzen und das Feuer dann am Laufen zu halten. Sie war nie gut darin gewesen, fehlerhafte Dinge wieder zu reparieren. Lieber warf sie sie weg und suchte neuen Ersatz. Und doch. Und doch. Sie wollte Emilia sehen, wahrhaftig sehen. Da war immer noch etwas zwischen ihnen, etwas Wahrhaftiges, und Iulia war überzeugt, dass sie beide nur ein wenig mehr Zeit darauf verwenden mussten, um wieder zueinander zu finden. Motiviert von diesen Gedanken waren ihre Schritte leichtfüßig, als sie ihre Villa betrat und durch die Schritte ihres Alltags ging, während sie die Nacht herbeisehnte. Aber das Leben hatte oft schon wenig Verständnis für Iulias Wünsche gezeigt, und auch jetzt versuchte es, ihr Steine in den Weg zu legen. Dieser besondere Stein trug den Namen Romulus, und er kam ins Rollen, als Iulias Ehemann gegen Abend ihre Gemächer betrat. Das war an sich nichts Außergewöhnliches, weil sie oft zusammensaßen und miteinander sprachen. Aber etwas in seiner Mimik und Gestik alarmierte Iulia ein wenig. „Ich habe gehört, dass du heute die ehrwürdige Basilissa besucht hast“, sagte er und ließ sich dabei in dem zweiten Stuhl im Raum nieder. Iulia nickte und sah von den Notizen auf, die sie sich zur neuen Begrünung des heimatlichen Innenhofs überlegt hatte. „Ja, ich habe dir doch auch heute Morgen davon erzählt.“ Romulus nickte langsam. Jetzt sah sie sehr deutlich, dass ihm etwas auf der Zunge lag, denn er richtete etwas umständlich die Falten seiner Toga, ehe er schließlich zum Sprechen ansetzte. „Ich nehme an, dass du gemerkt hast, dass die Stimmung in der Umgebung der kaiserlichen Familie momentan angespannt ist.“ „Bitte rede einfach frei heraus“, sagte Iulia mit einem schweren Seufzer. „Ja, ich habe die Anspannung bemerkt und ja, ich habe die Lagerbildung bemerkt. Willst du darauf hinaus?“ „Unter anderem. Es hat zumindest damit zu tun.“ Romulus seufzte und strich sich über das glattrasierte Kinn. „Ich weiß jetzt schon, dass dir nicht gefallen wird, was ich zu sagen habe.“ „Das ist immer eine ausgezeichnete Art, ein Gespräch einzuleiten.“ Romulus lächelte flüchtig, doch sein Gesicht wurde schnell wieder ernst. „Iulia, ich möchte, dass du deine Aktivitäten in der Hagia Sophia für eine Weile einstellst. Die Lage ist ernster, als du vielleicht denkst.“ Er senkte ein wenig die Stimme. „Es ist kein Geheimnis, dass wir den Basileus unterstützen. Irenéo ist nicht besonders großzügig gegenüber den Römern und mir gefällt seine Taktik für den Umgang mit den Bulgaren nicht, ich will ihn nicht als Kaiser haben. Aber das bringt uns in Gefahr. Wir werden sehr eingehend beobachtet, und wir sind nicht die einzigen.“ „Du hattest Recht“, sagte Iulia nach einem Moment der Stille, „mir gefällt absolut nicht, was du zu sagen hast.“ „Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht nötig wäre.“ Iulia schüttelte den Kopf. „Ich bin es gewohnt, mich unter den Blicken der Leute hinwegzuschleichen. Schwierigkeiten in dieser Hinsicht sind mir nicht fremd.“ „Das hier ist ernster als sonst, Iulia“, fuhr Romulus ungewöhnlich heftig auf, „hör auf, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen - Konstantinopel ist ein brodelndes Pulverfass und wir müssen aufpassen, dass wir in der anstehenden Explosion nicht umkommen! Wenn ich dir sage, dass du daheim bleibst, dann bleibst du daheim. Wenn es nicht mit deiner Einverständnis und Mitarbeit ist, dann muss ich eben härtere Geschütze auffahren.“ „Du kannst mich nicht einsperren“, wisperte Iulia. Ihre Wut loderte so hoch, dass sie kaum ein Wort herausbrachte, weil sie an der Hitze zu ersticken glaubte. Romulus lächelte humorlos. Plötzlich fiel ihr auf, wie alt er wirkte - wie tief die Falten auf seiner Stirn und um die Augen waren. „Ich kann alles“, sagte er ruhig, „du vergisst das nur sehr gerne. Genauso, wie du gerne vergisst, dass du nicht unsterblich bist. Ich werde nicht zusehen, wie meine Frau, die Mutter meines Sohnes, von dieser Stadt zermalmt wird, weil sie es nicht schafft, ein paar Wochen zuhause zu bleiben.“ „So verlierst du mich vollkommen“, sagte Iulia kalt. „Ich weiß nicht, ob ich dich nicht schon vor langer Zeit verloren habe“, erwiderte Romulus fast sanft. Beinahe empfand sie etwas wie schlechtes Gewissen, nur einen Hauch davon, bei der traurigen Akzeptanz in seinen Augen. „Aber immerhin bleibst du so am Leben. Manchmal muss man Prioritäten setzen.“ „Du setzt die falschen. Du hast immer schon die falschen gesetzt. Was ist ein Leben hinter Gittern wert, ein Leben im goldenen Käfig?“ Romulus schüttelte erneut den Kopf. „Ich wünschte, es wäre anders. Aber in diesem Fall bleibt mir nichts anderes übrig.“ Iulia war wie erstarrt vor Wut und dem Gefühl der Betrogenheit, als Romulus sich erhob, einen kurzen Moment Anstalten machte, ihre Schulter zu berühren und dann doch davon absah. Seine Schritte, als er den Raum verließ, fühlten sich wie jene des Scharfrichters auf dem Weg zur Enthauptung durch das Schwert an. Sie rieb sich über das Gesicht, stand auf und wanderte ziellos, rastlos durch den Raum. Ihre Brust war eng, das Atmen fiel ihr schwer, sie schnappte in großen Zügen nach Luft, der Luft, die ihr so knapp zu werden schien. Nein, das war nicht, wer sie war - sie würde sich nicht dem Schicksal beugen, das die Gesellschaft für sie vorgesehen hatte, still und brav daheim versteckt, damit man möglichst wenig von ihr sah und hörte. Sie machte ihr Schicksal selbst, und sie war nur den Göttern verpflichtet, nicht den Menschen. Wenn die Götter beschlossen, dass die Freiheit sie das Leben kostete, dann war es ihr Wille und musste so sein. Und wenn sie beschlossen, dass Iulia frei leben würde, dann war es ebenfalls ihr Wille und musste so sein. Sie musste Emilia sehen, egal, was Romulus gesagt hatte. Iulia griff nach ihrer Palla und machte sich fertig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)