Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 12: TEIL II - KAPITEL II: Kai ------------------------------------- Auf einmal waren Irenéo und seine Männer überall. Kai beobachtete den Vorgang mit Skepsis. Er wusste nicht, was ihn so sehr daran störte, denn eigentlich war alles ganz normal. Es war normal, dass der Bruder des Kaisers angemessenes Quartier erhielt. Es war normal, dass seine Männer angemessen versorgt wurden. Es war normal, dass er angemessen gekleidet durch die Residenz im Blachernen-Viertel stolzierte und an Sitzungen im Großen Palast teilnahm, dass er das Hippodrom besuchte und sich vom Volk ehrfürchtig betrachten ließ, das außer sich war und sich tagelang nicht beruhigen ließ. Nur dass er überhaupt zurückgekommen war, war so überhaupt nicht normal. Es war nicht normal, dass ein verschwundener Prinz nach Jahren, ja, eigentlich sogar Jahrzehnten einfach so wieder auftauchte, noch dazu mit einer kleinen, aber gut trainierten Einheit an Soldaten im Schlepptau. Kai hatte nie behauptet, dass er sich sonderlich gut mit Politik auskannte und anfangs gedacht, dass es einfach daran lag, dass er sich nicht gerne an Veränderung gewöhnte. Aber zwei Wochen vergingen, dann drei, Irenéo und seine Männer waren überall, Irenéo und seine Schritte durchmaßen jeden Gang, Irenéo und seine Stimme waren in jedem Zimmer zu hören. Noch schlimmer war nur sein Blick, der sofort auf Kai zu fallen schien, wann immer er den Raum betrat. Takaos hatte begonnen, Kai immer wieder darum zu bitten, zurückzubleiben, besonders wenn er sich mit Irenéo allein traf, und diese Bitte kam eindeutig auf dessen Wunsch hin. Es war ebenso deutlich, dass Irenéo ihn nicht hier haben wollte. Und Kai war daran gewöhnt, in Byzanz an den wenigsten Orten gerne gesehen zu werden und stets als der Makel im Ansehen des Basileus zu gelten. Aber Irenéo hatte neben Hyromia die Macht, ihn vielleicht auch tatsächlich von Takaos’ Seite zu entfernen - und im Gegensatz zur Basilissa schien er es absolut darauf anzulegen. Es hinterließ einen schalen Geschmack in Kais Mund, denn Takaos schien durchaus geneigt, dem Wispern seines Bruders Glauben zu schenken. Kai und Hyromia waren sich absolut einig in ihrer wachsenden Besorgnis, mit der sie verfolgten, wie Takaos Irenéo geradezu anbetete und dabei gar nicht zu merken schien, wie gönnerhaft er gelegentlich von diesem behandelt wurde. Kai glaubte keine Sekunde lang, dass Irenéo sich einfach so mit dem zweiten Platz zufrieden geben würde. Er kannte Männer wie ihn. Er hatte Männer wie ihn getötet, als er noch dafür bezahlt worden war. Aber Takaos liebte seinen Bruder, vertraute ihm blind, und so war die Lösung zu diesem Problem leider nicht so einfach, dass es mit einem wohlgesetzten Shuriken gelöst worden wäre. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als stattdessen zu versuchen, permanent an Takaos’ Seite zu bleiben und ihn nicht aus den Augen zu lassen. Auch wenn es bedeutete, Yuriy nicht mehr zu treffen. Der Gedanke an den Maler sandte ein heißes Kribbeln durch seine Lendengegend, das er sich gar nicht wirklich eingestehen mochte. Die Spannung zwischen ihnen war unverändert und wurde nicht besser dadurch, dass sie begonnen hatten, sich an so einigen Abenden verborgen vor den Blicken der Welt an einem abgelegenen Strandabschnitt miteinander im Kampf zu üben. Ihre Kampfstile waren sehr unterschiedlich - Kai war auch noch immer nicht sicher, ob Yuriy ihm wirklich alles zeigte -, sodass sie beide gut voneinander lernen konnten. Yuriys Beweggründe blieben ihm ein Rätsel, denn er fragte nicht und war sich recht sicher, dass er ohnehin keine richtige Antwort bekommen hätte. Sie übten mit Stöcken und flachen Rindenstücken, und wann immer sich auch nur ihre Finger streiften, rann es durch Kai wie ein sanfter Blitzeinschlag. Manchmal war er sich sicher, das gleiche Gefühl in Yuriys Augen zu erkennen. Manchmal wusste er nicht, ob er irgendetwas an ihm erkannte. All das war angesichts der Anwesenheit von Irenéo nicht mehr wichtig - durfte nicht mehr wichtig sein, denn das Leben des Kaisers stand über seinem eigenen. Er hörte auf, zu ihren Verabredungen zu kommen, verließ die Seite des Basileus nicht mehr, versuchte nicht daran zu denken, ob Yuriy abends am Strand auf ihn wartete, um irgendwann einfach aufzugeben. Kai würde ihm eine Nachricht schicken müssen, es war nur angemessen. Die Frage war nur, wem er dafür genug vertrauen konnte, denn es gab nur eine kleine Anzahl an Leuten, bei denen er darüber überhaupt nachdenken konnte, und unter diesen befand sich unter anderem Hyromia, die den Palast abseits von offiziellen Anlässen niemals verließ und zu jeder Zeit unter Beobachtung stand. Er grübelte über diese Frage auch nach, als er an seinem Posten vor dem Besprechungszimmer lehnte, in das Irenéo und Takaos vor einer Weile verschwunden waren. Durch das plötzliche Auftauchen des Prinzen war die Strategie gegenüber den Bulgaren noch immer nicht eindeutig festgelegt worden; stattdessen waren mehr Gespräche gefolgt und Takaos hatte Irenéo aktiv in diese eingebunden - oder vielmehr, hatte es klaglos zugelassen, als dieser begann, sich selbst darin einzubinden. Allein dafür hatte Kai gute Lust, ihm irgendwann in der Stille der Nacht einen Dolch durch den Fuß zu treiben - nicht genug, dass er starb, aber genug, dass er es für den Rest seines Lebens spüren würde. Manchmal war so etwas sogar schlimmer. „Du gehörst nicht hierher.“ Er blickte auf. Einer von Irenéos Generälen stand vor ihm - Zenon, der ihn mit seinen türkisfarbenen Augen lächelnd betrachtete. Er lächelte immer, egal was geschah, aber Kai hatte schon bei seinem ersten Blick auf den General die Leere hinter diesem Lächeln gespürt. Ein Mann wie Zenon ließ sich auf einem Schlachtfeld sicherlich nicht aus der Ruhe bringen - nicht, weil er nie verlor, sondern weil er seinen Gewinn auf der Opferung anderer ausführte, ohne sich darum zu kümmern. Auch Kai war einmal so gewesen. Aber das war lange her, war Teil eines anderen Lebens. Er hatte gelernt, was es hieß zu verlieren und zu leiden. Er hatte gelernt, dass er nicht unfehlbar war und dass Gnade manchmal die größte Stärke eines Menschen sein konnte - die härteste Lektion in seinem ganzen Leben, aber eine, die er niemals wieder vergessen würde. Zenons Blick brannte, als er auf Kai ruhte, aber anders als Yuriys war er unangenehm und stellte Kai die Haare im Nacken auf. Dennoch verzog er nicht einmal die Miene. „Ich denke nicht, dass es Euch zusteht, mir zu sagen, wo ich hingehöre und wo nicht.“ Zenons Lächeln verrutschte keinen Zentimeter. Stattdessen kam er näher, eine Gestalt vollkommen in Weiß gewandet von der Tunika zu der golddurchwirkten Dalmatika und Chlamys darüber und der Hose darunter. Er kam so nahe, dass Kai deutlich die feinen Fäden seiner zart gewebten Kleidung und die Details an dem Goldring in seinem Ohr erkennen konnte, aber auch die allumfassende Leere in seinen Augen. Es war eine Leere, von der man verschluckt werden konnte, wenn man nicht aufpasste, eine Leere, die verschlang und verschlang, weil sie nie gelernt hatte zu geben. „Eines Tages“, sagte er leise, geradezu sanft, „werde ich Euch sagen, wo Ihr hingehört. Und Ihr werdet dankbar sein, genau wie jeder andere. Menschen lassen sich gerne sagen, wo ihr Platz ist, sie warten nur auf Führung.“ Kai verzog die Lippen zu einem trockenen, amüsierten Grinsen. „So? Nun, Ihr wisst wohl, wovon Ihr sprecht, immerhin hängt Ihr ja auch an den Lippen des Prinzen.“ Eine Sekunde lang entgleiste das Lächeln auf Zenons Gesicht, nur eine Sekunde lang. Aber es war genug, um die Maske so weit verrutschen zu lassen, dass sie einen Herzschlag lang den Blick auf etwas Hässliches, etwas für immer Unfertiges freigab. „Ihr haltet Euch für klug“, sagte Zenon weiterhin leise, aber eine Spur der Hässlichkeit war in seine sanfte Stimme gekrochen, „aber kluge Männer sterben genauso schnell wie dumme. Ich werde es kurz und schmerzlos machen, wenn es so weit ist … oder vielleicht auch nicht.“ „Oder vielleicht“, erwiderte Kai, der keine Lust mehr hatte, sich bedrohen zu lassen, „werdet Ihr die Gelegenheit nie bekommen. Vielleicht wacht Ihr eines Tages auf und müsst feststellen, dass Euch nur noch ein Atemzug bleibt, nur einer, ehe Ihr an dem Messer in Eurer Brust verblutet.“ Zenon öffnete den Mund zu einer Antwort, doch bevor er nur einen Ton herausbringen konnte, wurden sie von sich rasch nähernden Schritt unterbrochen. Maxim tauchte vor ihnen auf, die goldenen Augenbrauen forschend zusammengezogen und der Blick, mit denen er sie musterte, uncharakteristisch streng. „Ehrenwerter Vater“, begrüßte Kai ihn, während Zenon sich langsam aufrichtete und einen Schritt zurückmachte. Er neigte ein wenig den Kopf in Maxims Richtung, doch kein Wort des Grußes kam über seine Lippen - ein unglaublicher Affront dem Patriarchen gegenüber, der nicht unbemerkt blieb. „Gibt es hier ein Problem?“, fragte Maxim ruhig und mit einem Lächeln, das eine gewisse Härte beinhaltete. Manche dachten, dass Maxim schwach war, weil er von ausgesuchter Freundlichkeit war und Dinge diplomatisch zu lösen versuchte, wenn er konnte. Kai wusste es besser. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ehrwürdiger Vater. Aber darf ich Euch einen Moment sprechen?“ „Natürlich.“ Maxim hob eine Augenbraue und taxierte Zenon mit einem intensiven Blick. „Nehmt Ihr nicht an der heutigen Sitzung teil, General?“ „Ich war gerade auf dem Weg hinein, ehrwürdiger Vater“, erwiderte Zenon lächelnd und erneut lammfromm. Maxim nickte, aber Kai wusste an seinem Gesichtsausdruck, dass er gesehen hatte, was Kai gesehen hatte. „Würdet Ihr mich entschuldigen und erklären, dass ich gleich bei dem hochverehrten Basileus sein werde?“ Zenon deutete eine leichte, wirklich nur sehr leichte Verbeugung an. „Mit Vergnügen.“ Er warf Kai noch einen letzten Blick zu, dann nickte er den Wachen vor den Toren des Besprechungssaals zu und rauschte hinein. Maxim nahm Kai an der Schulter und führte ihn ein paar Schritte fort, damit sie ungehört miteinander sprechen können. „Mir gefällt nicht, was hier passiert“, eröffnete Kai wenig zeremoniell das Gespräch. Maxim ließ die Augen wachsam durch den Flur wandern, dann nickte er leicht. „Ich bin bei dir, Kai. Aber momentan bleibt uns nichts anderes übrig, als wachsam zu sein und die Augen offen zu halten. Wir können nicht klagen, wo noch nichts geschehen ist.“ Er senkte die Stimme noch ein wenig mehr. „Es gibt viele Stimmen im Volk, die Irenéo auf dem Thron fordern. Und leider nicht nur im Volk.“ Kai runzelte die Stirn. „Was meint Ihr? Wo noch?“ Erneut glitt Maxims Blick durch den Flur. Dann wisperte er: „Es gibt mächtige Kräfte im Klerus. Noch bin ich an der Macht und ich plane, dass es auch so bleibt. Aber man muss nicht immer an der obersten Stelle stehen, um Dinge steuern zu können.“ Er drückte Kais Schulter, ehe dieser etwas sagen konnte. „Du musst auf ihn aufpassen. Er braucht nicht nur einen Beschützer, er braucht auch einen Freund. Wir müssen jetzt zusammenhalten - ich bin die Außenwand, aber ein Haus hat auch Innenwände. Du und die ehrwürdige Basilissa müsst diese Wände sein, sonst weht es uns das Dach schneller um die Ohren, als wir schauen können.“ Trotz der ernsten Lage konnte Kai nicht anders, als sachte zu schmunzeln, dann nickte er. „Ihr habt mein Wort. Maxim-“ „Was gibt es?“ Kai atmete tief ein. „Es ist gut, dass ich Euch erwische“, sagte er, „ich muss Euch um einen Gefallen bitten.“ Maxim lächelte warm, sodass sich kleine Fältchen um seine Augen bildete. „Immer, mein Freund.“ „Könnt Ihr eine Nachricht für mich überbringen? An den Maler.“ „Meister Iwanov?“, fragte Maxim und wirkte dabei wenig überrascht, was wiederum Kai nicht wunderte - Maxim hatte seine Augen und Ohren überall, und aus dem Kloster war vielleicht das eine oder andere Gerücht zu ihm gedrungen, mit wem der Maler seine Zeit verbrachte, wenn er nicht in seinen Mauern oder in der Hagia Sophia weilte. „Das sollte kein Problem sein. Was soll ich ihm sagen?“ Kai zögerte einen Moment. Es war schwieriger als gedacht, trotz der Entschlossenheit, die er gehabt zu haben glaubte. Aber Yuriy war ein Stück, das nur ihm gehört hatte - und jemand, der ihm auf eine Art vertraut war, wie es die Hitze einer Flamme war. Es war schwer, loszulassen, ganz egal, was Kai sich einzureden versuchte. Aber es musste sein. Es musste sein. Und er würde darüber hinwegkommen, genau wie Yuriy. Und wirklich, was war denn schon geschehen? Nichts, nichts außer ein paar Nächten am Strand, mit nichts als dem Mondlicht und ein paar flüchtigen Blitzschlagberührungen zwischen ihnen. Er gab sich einen Ruck. „Sagt ihm, dass er nicht mehr auf mich warten soll.“ Maxim musterte ihn einen langen Moment still. Vielleicht wusste er mehr, als er sich anmerken ließ, aber schließlich nickte er sachte. „Ich werde es ihm ausrichten, sei unbesorgt. Gibt es noch etwas, das ich für dich tun kann?“ „Nein“, sagte Kai mit trockener Kehle, „das ist alles.“ Maxim nickte und drückte sanft seine Schulter, ehe er sich von ihm löste und mit raschen Schritten in den Besprechungssaal verschwand. Kai sah ihm hinterher, dann stützte er sich an der Wand ab und schloss die Augen, um tief durchzuatmen. Ja, er hatte Takaos und Hyromia. Aber er war sich auch bewusst, was es hieß, der Dritte im Bunde mit dem kaiserlichen Paar zu sein. Es würde immer etwas geben, was sie voneinander trennte, egal, was sie alle sich erhofften oder lieber gehabt hätten. Er nahm sich einen Moment Zeit, um mit all dem Schmerz, den es ihm bereitete, die Wünsche tief in seinem Herzen zu versiegeln, die er gehabt hatte: der Wunsch nach einem Blitz statt nur einem Blitzkräuseln, nach einem Kuss, nach einer Hand, die seine fand und einfach festhielt. Dann löste er sich von der Wand, aus den Schatten, und ging zurück an seinen Platz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)