Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 5: TEIL I - KAPITEL V: Iulia ------------------------------------ „Der Mann ist ein Wahnsinniger“, beschwerte Iulia sich vier Nächte später und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Das Bett, auf dem sie lag, war im Gegensatz zu den daunengefüllten Kissen und Matratzen, die sie gewohnt war, simpel an der Grenze zur Unbequemlichkeit. Aber ihre Gesellschaft hatte sie bisher genügend von diesem Umstand abgehalten und man gewöhnte sich daran. „Er schlägt mir jedes Mal auf die Finger, wenn ich den Stift falsch setze und gestern hat er mich eine Zeichnung vierzehn Mal machen lassen, weil ihm der Armwinkel nicht gepasst hat. Vierzehn Mal! Die komplette Zeichnung!“ „Ich habe keine Ahnung, ob das exzessiv ist oder nicht“, erwiderte Emilia geistesabwesend. Das flackernde Kerzenlicht des Leuchters, der neben ihr am Schreibtisch stand, ließ ihr offenes, unbedecktes Haar fast kupfern wirken und zeichnete Schatten über ihre milchige Haut. Der Schleier lag am Boden neben dem Bett ihres Kellions im letzten Winkel des Klosters der heiligen Theodora. Er war das erste gewesen, was Iulia ihr abgenommen hatte, nachdem die Geheimgänge des Klosters, die nur noch einige wenige kannten, sie vor einigen Stunden sicher hierher gebracht hatten. Iulia stützte sich auf und betrachtete Emilias über den Schreibtisch gebeugte Gestalt. Es war ein Bild, das es wert gewesen wäre, festgehalten zu werden, und gleichzeitig war es eines, das den Raum ihrer Erinnerung niemals verlassen und Form annehmen durfte. „Es ist reine Schikane“, erklärte sie, „es hätte gereicht, mich den Arm neu zeichnen zu lassen, aber er meinte, dass der Lerneffekt so nicht groß genug wäre und ich mich nicht so anstellen solle.“ Sie bildete sich ein, ein Schmunzeln über das Gesicht ihrer Geliebten huschen zu sehen, aber es war von ihrer Position aus schwer zu bestätigen. Dennoch zog sie empört die Augenbrauen zusammen. „Machst du dich lustig über mich? Du sollst mich bemitleiden!“ „Du wolltest malen und lernen“, merkte Emilia an, ließ den Federkiel sinken, den sie gerade in die Tinte hatte tauchen wollen, und drehte sich etwas mehr zu ihr, um sie anzusehen. „Nun tust du beides. Es gibt für alles einen Preis zu bezahlen.“ Wie unnachgiebig sie war, stellte Iulia fest. Aber sie wusste ja, dass Emilia Recht hatte - Frauen wie sie wussten immer, dass alles im Leben seinen Preis hatte, am meisten von allen die Freiheit. Was sie miteinander hatten, konnte sie den Kopf kosten, wenn man sie entdeckte. Und was Iulia tat, wenn sie in Raulus‘ Haut schlüpfte und durch die Stadt streifte, ebenfalls. Aber alles davon war die Gefahr und den Preis so, so wert. Sie konnte sich kein anderes Leben vorstellen und sie wollte es auskosten, solange sie konnte. „Wenn du mich schon nicht bemitleidest“, sagte sie, „komm zurück ins Bett zu mir.“ „Ich muss diesen Brief noch fertig schreiben“, erwiderte Emilia kurz. Iulia blickte himmelwärts und fragte sich einen Moment lang, warum sie sich nicht eine sanftere Frau ins Bett hatte holen können. Aber Emilia hatte etwas an sich, das instinktiv zu ihr gesprochen hatte und es immer noch tat. Sie verstanden sich, erkannten einander auf einer instinktiven Ebene, die man nicht oft mit Menschen erreichte. Letzten Endes kümmerte Venus sich nicht darum, welche Personen Liebe und Leidenschaft in einem auslösten. Und Venus war in Iulias Augen greifbarer, vorstellbarer als ein Gott, der Menschen nicht gleich zu behandeln schien und verlangte, dass man ihn liebte, nur ihn, und dass die Menschen Leidenschaft wenn überhaupt, dann nur in der Ehe finden sollten. Ja, die Welt war vielleicht besser daran gewesen, als Rom noch mächtig gewesen war und die alten Gottheiten verehrt worden waren. Das einzige, was das Christentum ermöglicht hatte, war die Möglichkeit zu Macht für Frauen in seinem Dienst, und auch das war nichts anderes als die Priesterinnen der alten Zeit. Deswegen gab Iulia sich nach außen hin als gute Christin und war auch getauft, wie es sich gehörte, aber insgeheim hing sie den alten Gottheiten an. Iulia schüttelte die Gedanken ab und erhob sich, um auf nackten Füßen über den kalten Boden zu gehen und sich von hinten an Emilia zu schmiegen. Ihr Blick fiel auf die Zeilen des Briefes, den Emilia gerade schrieb, und sie hob erstaunt die Augenbrauen. „Was hast du mit General Michalis zu tun?“ General Michalis leitete eines der größten Bataillone des byzantinischen Heers. Er hatte eine vorlaute Persönlichkeit und viel Einfluss innerhalb des Militärs, womit er auch einigen Einfluss bei Hof hatte. Von Romulus wusste Iulia, dass er damals Takaos bei der Übernahme der Stadt maßgeblich assistiert hatte und dementsprechend immer noch oft und gerne vom Kaiser zu Beratungen herangezogen wurde. Emilia runzelte unmutig die Stirn und schob ein leeres Blatt Papier über den Brief, um sie am Weiterlesen zu hindern. „Nichts Besonderes.“ Iulia starrte sie an und fragte sich, ob Emilia sie wirklich für so dämlich hielt. Doch nein: Emilia war immer eine der wenigen gewesen, die sie nie unterschätzt hatten. Das hier war einfach nur eine klassische Situation, in der sie keine Antwort geben wollte. Iulia atmete tief durch, dann legte sie die Hände auf Emilias Schultern und drückte einen Kuss auf ihren Scheitel. „Gibst du mir Bescheid, wenn du die Weltherrschaft planst?“ „Natürlich“, sagte Emilia mit samtiger Stimme. Eine ihrer Hände legte sich auf Iulias, dann erhob sie sich von ihrem Stuhl und strich über ihre Wange. Iulia atmete aus, grub die Hände in kupfernes Haar und küsste das Kerzenflackern auf Emilias sommersprossigen Schultern, küsste ihren Hals, die weiche Stelle unter ihrem Ohr, das Ohrläppchen, Schläfe und kupferne Braue, bis Emilia erschauerte und die Finger in Iulias Hüften grub. „Du musst gehen“, murmelte sie gegen Iulias Lippen und konnte dann doch nicht widerstehen, sachte in ihre Unterlippe zu beißen, dann eine Hand in ihren Nacken zu legen und sie in einen tiefen Kuss zu sehen. Iulias Herz schlug schmerzhaft fest gegen ihre Rippen, während ihre Hände über Emilias Schultern und Arme wanderten, über die Schwellung ihrer Brüste und hinab zu ihren Hüften, zwischen ihre Beine. Kein Mann war jemals dort gewesen, wo Iulias Finger nun hinglitten und Emilia ein Keuchen entlockten. Der Gedanke war verlockender als vieles andere. „Bald“, wisperte Iulia und zog sie mit sich zum Bett zurück. „Irgendwann“, murmelte Emilia gegen ihre Lippen, grub die Fingernägel in ihre Schultern, bis es fast wehtat und drückte sie gegen die dünne Matratze, „irgendwann werde ich dich bei mir behalten können, bis der Morgen graut. Irgendwann werden wir nebeneinander aufwachen können, und ich werde dich neben mir im Sonnenlicht sehen.“ „Wann?“, fragte Iulia und wölbte ihr die Hüften entgegen, keuchte auf und hielt sich an Emilias kupfernen Locken fest, als diese ihre Lippen einen Moment lang um Iulias Brustwarze schloss und mit sanftem Saugen die Zunge darum spielen ließ. Da war ein heftiges Sehnen in Iulia, das an ihr zog vom Bauch bis zum Herz, ein Sehnen nach Leben und Atem und Freiheit, ein Sehnen nach den Dingen, die Emilia beschrieb und mehr. „Bald“, wisperte Emilia und ließ ihren Mund zwischen Iulias Beine sinken. Es war noch dunkel, als Iulia durch die gleichen geheimen Korridore, die sie zu Emilia gebracht hatten, wieder aus dem Kloster entkam. Sie hatte die Kapuze ihres Mantels tief über das Gesicht gezogen und versuchte, sich in den Schatten zu halten. Bis die Sonne aufging dauerte es noch ein paar Stunden und Konstantinopel war wie ausgestorben, was ihr nur recht war. Mit schnellen Schritten ließ sie die Straßen der Stadt zurück. Das Kloster der heiligen Theodora lag auf halber Höhe am fünften Hügel, womit der Weg heim zumindest nicht so weit war. Zu ihrer Linken ragte die Theodosianische Mauer auf, die das westliche Ende von Konstantinopel markierte und die Stadt durch ein doppeltes Mauersystem von einem Einfall auf der Landseite sicherte. Man glaubte, dass sie unter dem direkten Schutz der heiligen Jungfrau Maria standen, die die byzantinische Bevölkerung vor Überfällen sicherte. Und tatsächlich war die Stadt bisher noch nie eingenommen worden, wenn es nicht durch Verrat geschehen war. Ein paar Spätzügler und Betrunkene kamen Iulia entgegen, als sie den Fuß des Berges erreichte und in die Wohngebiete eintauchte. Sie ging sicher, den Kopf gesenkt zu halten und die Kapuze tief in die Stirn zu ziehen, als sie an den Tavernen, die gerade die letzten Gäste zur Tür hinauswarfen, und den Prostituierten, die noch ein Geschäft bei nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Trinkern zu machen versuchten, vorbei eilte. Eine davon sprach auch Iulia an, ihr rot geschminkter Mund grell in dem flackernden Licht der Fackeln, die die großen Straßen erhellte. Sie machte eine abwehrende Geste und ging weiter, die rüden Worte der Prostituierten ignorierend, die ihr hinterher gerufen wurden. Hier, in den Vierteln unmittelbar um das Blachernen-Viertel, in dem sie lebte, war alles ein bisschen blank geputzter als in den meisten anderen Vierteln außer dem Palastviertel. Das schloss auch die Prostituierten und Tavernen ein. Der Tag war lang gewesen und die Nacht nicht sehr viel kürzer. Nun, als ihr Haus in Sichtweite kam, spürte sie die Müdigkeit, die sich wie eine unsichtbare Decke auf ihre Schultern gelegt hatte. Sie blickte sich prüfend um, dann, als keine Beobachter sichtbar waren, glitt sie zur Rückseite ihres Hauses. Die Tür zu den Dienstbotenquartieren war offen; sie schlüpfte durch und huschte auf leisen Sohlen durch die Culina. Sie hielt den Atem an und lauschte, ob aus den angrenzenden Cubicula, wo die Dienstboten schliefen, irgendwelche Geräusche drangen. Aber es dauerte noch eine Weile, bis der Hausalltag aufgenommen wurde und so war es noch still. Erleichtert huschte sie weiter den Gang entlang bis zum Peristylium. Fahles Mondlicht filterte durch die offene Säulenhalle, die den wohlgepflegten Innengarten umgab. Iulia durchquerte sie rasch, um zu den Cubicula zu gelangen, die dem Hausherren und seiner Familie vorbehalten war. Das Haus war während der Herrschaft der Lateiner nach römischem Vorbild erbaut worden und das war Iulia nur recht, denn es hatte die Eingewöhnung in der Stadt zumindest einfacher gemacht. Sie hielt inne, als sie das leichte Gequängel eines Kleinkinds aus dem kleineren der beiden herrschaftlichen Cubicula hörte. Ein Stich des schlechten Gewissens durchdrang sie; das war jene ihrer Pflichten, die sie am meisten vernachlässigte. Sie biss sich auf die Lippen, debattierte einen Moment lang schweigend mit sich selbst und schlug dann die Kapuze zurück, um in das Cubiculum zu treten. Salima, die Amme von Iulias Sohn Bellerophon, blickte mit müdem Blick auf. Sie hatte den kräftigen Knaben, der vor drei Monaten seinen ersten Geburtstag gefeiert hatte, in den Armen und schaffte es dennoch, eine Verneigung vor der Hausherrin anzudeuten. Iulia wusste wirklich nicht, wo sie ohne die Dienstbotin wäre; die Frau war gutherzig und verschwiegen, und dankbar darum, dass sie in einem Haushalt arbeitete, wo sie stillschweigend ihre Religion ausüben konnte. Sowohl Romulus als auch Iulia blickten demonstrativ in die andere Richtung, solange ihre Dienstboten sich den byzantinischen Regeln anpassten, wann immer es die Öffentlichkeit betraf. Persönlich sah Iulia kaum einen Unterschied darin, ob man einen Schleier für Allah oder für den christlichen Gott trug. Und im Gegenzug zu ihrem Toleranz schwieg Salima über das Kommen und Gehen ihrer Hausherrin und kümmerte sich fast rund um die Uhr um den Erben des Hausherren. Ohne Salima hätte Iulia keine Chance gehabt, ihr Leben so zu führen, wie sie es führte. „Er bekommt Zähne“, erklärte sie nun und wirkte ein wenig erleichtert, als Iulia die Arme nach ihrem Sohn ausstreckte. „Daher sind die Nächte momentan unruhig.“ Iulia summte und glitt mit den Fingern durch Bellerophons wilde dunkle Locken, die sie immer an Raulus in seinen Kindheitstagen erinnerten. Bellerophon hatte Romulus‘ dunkle Augen und ihre Haare; wem er später ähnlicher sehen würde konnte sie nicht sagen. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen waren kleine Kinder für sie immer mindestens bis zum vierten oder fünften Jahr undefinierbar in ihren Gesichtszügen. In ihren Augen war es ungerechtfertigt, solche Beobachtungen an einem Kleinkind anzustellen, das gerade einmal erste Spuren einer Persönlichkeit zeigte. Aber er war grundsätzlich ein gesundes, fröhliches Kind, das wenig Schwierigkeiten machte, obwohl er sie bei seiner Geburt beinahe umgebracht hatte. Die Monate nach der Geburt waren schwer gewesen. Sie hatte keinen Bezug zu diesem Kind gefunden, das ihres war, und fürchtete insgeheim, dass es immer noch so war, auch wenn sie sich immer wieder darum bemühte. Sie hatte keine Ahnung, ob ihr Sohn überhaupt erkannte, dass sie seine Mutter war, oder ob er sie auch nur entfernt mochte. Im Grunde ihres Herzens dachte Iulia, dass sie niemals hätte Mutter werden sollen. Aber das war, was man von einer Ehefrau erwartete, und die von ihr geführte Ehe war ein gegenseitiges Geben und Nehmen. In dieser Hinsicht hatte sie es noch sehr gut getroffen. Und immerhin war gleich das erste Kind ein gesunder Sohn gewesen. „Dein Mann arbeitet mit Holz, nicht wahr?“, fragte sie schließlich. Als Salima mit einem Nicken bejahte, bat sie: „Lass ihn ein paar Beißringe anfertigen. Ich zähle dir das Geld dafür aus.“ „Natürlich, domina“, erwiderte Salima erfreut lächelnd. Sie blickte auf, als eine Gestalt im Türrahmen erschien, die sie eine rasche Verneigung machen ließ. Die Bewegung veranlasste Iulia, sich umzudrehen. Romulus stand dort mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck, der sich deutlich erweichte, als er Bellerophon in Iulias Armen sah. Er war immer noch ein gutaussehender Mann, auch wenn er fast fünfzehn Jahre älter als Iulia war und erst unlängst seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Da war schon leichtes Grau in seinen Haaren, aber man sah es in den blonden Wellen kaum und seine Schultern waren immer noch breit und kräftig. Es war kein Wunder, dass die meisten Dienstmägde und auch einige der höherstehenden Frauen von Konstantinopel regelmäßig seinem Charme verfielen. „Lass uns allein“, wies er Salima an, woraufhin diese sich mit einem Blick zu Iulia erneut verneigte und lautlos aus dem Raum glitt. Zweifellos würde sie irgendwo in der Nähe warten, bis Iulia sie erneut rief. Iulia blickte ihren Mann unverwandt an, während sie hören konnte, dass der Haushalt langsam erwachte und an die Arbeit ging. Nicht mehr lange und die Sonne würde Konstantinopel in Gold tauchen. Schließlich stieß Romulus einen tiefen Seufzer aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wo warst du?“ Iulia zog ihre Augenbraue in die Höhe und festigte ihren Griff um Bellerophon, der drohte, sich aus ihren Armen zu winden. „Du fragst mich doch sonst nie. Ich dachte, wir hatten eine Vereinbarung.“ Romulus nickte langsam. „Ja. Aber du bist heute viel zu spät dran. Wir haben darüber gesprochen, Iulia, du musst vorsichtig sein. Ich lasse mir vieles gefallen, aber ich kann dich nur bitten, um Himmels Willen diskret zu sein - in meinem und in deinem Sinn.“ Iulia zog die Augenbrauen zusammen und atmete tief durch, während sie Bellerophon ein wenig mehr an sich drückte. Der Knabe war in diesem Moment gleichermaßen Belastung wie Anker. „Ich bin vorsichtig und es ist alles gut gegangen.“ „Heute ja. Aber du kannst dir keine Fehler erlauben.“ Romulus sah sie eindringlich an. „Nicht einen einzigen, Iulia. Du balancierst auf einem dünnen Hochseil und ein falscher Tritt kann dir das Genick brechen. Und mich Ehefrau und Ruf kosten. Wenn die Öffentlichkeit herausfindet, was du treibst, dann werde ich gezwungen sein, zu handeln und das will ich vermeiden.“ Er atmete tief durch. Iulia atmete ebenfalls tief durch. Bellerophon wurde langsam ruhiger und legte den Kopf an ihre Schulter. „Ich weiß“, sagte sie schließlich angespannt, weil sie wusste, dass Romulus einen Punkt hatte - und weil sie wusste, dass sie dankbar dafür sein musste, dass er mit ihr kooperierte, ihr dieses Leben überhaupt erst möglich machte. Er war ein guter Mann und manchmal erinnerte sie sich noch deutlich daran, warum sie einmal geglaubt hatte, wirklich verliebt in ihn zu sein. Auch wenn sie eigentlich nur jung und verliebt in das, was er ihr bieten konnte, gewesen war. Das hieß nicht, dass zwischen ihnen keine freundschaftlichen Gefühle bestanden. Sie waren immer schonungslos ehrlich miteinander gewesen, was ihre Bedürfnisse und Wünsche betraf, und das hatte ihnen immer gut getan - vermutlich besser als so mancher Ehe in dieser und anderen Städten. Besonders, weil Romulus sie immer als Person gesehen hatte, vielleicht ein wenig als Trophäe, aber nie als reines Besitzobjekt, das keine Wünsche zu haben hatte, als ihm zu Willen zu sein. Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Bereust du es, mich geheiratet zu haben?“ Er blickte geradezu überrascht drein. Dann schüttelte er den Kopf und trat weiter in das Cubiculum, bis er vor ihr stand und eine Hand an ihre Wange legen konnte. „Nie. Ohne dir wäre mir bestimmt langweiliger - und ich schätze es genauso sehr, dass ich meine Freiheiten habe, ohne eine Furie in meinen eigenen Wänden fürchten zu müssen.“ Er grinste flüchtig, sodass Iulia nicht anders konnte, als das Grinsen zu erwidern. Sie sahen sich einen langen Moment an, dann atmete Iulia langsam aus, als er mit der Unterseite seines Daumens ihren Mundwinkel streichelte. Sie musste an Emilias Lippen denken, die sie noch vor wenigen Stunden gekostet hatte und immer nur in der Dunkelheit haben konnte. Aber Iulias Gottheit war immer schon der zweigesichtige Janus gewesen, Herr über die Schwellen, Herr über Anfang und Ende, Gott der ewigen Dualitäten. Sie war es gewohnt, ihren Platz zwischen Tag und Nacht, männlich und weiblich zu schaffen. Es war das Leben, das sie sich ausgesucht hatte - und es war nicht das einfachste oder ungefährlichste, aber Iulia wollte weder einfach noch ungefährlich leben. Sie wollte brennen, wieder und wieder, bis sie sich mit jeder Faser spürte. Sie wollte am Ende ihres Lebens sagen können, dass sie da gewesen war und einen Namen gehabt hatte. Und wenn das bedeutete, dass sie auf einem Hochseil balancieren musste, dann würde sie lernen, verdammt noch einmal darauf zu tanzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)