Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 2: TEIL I - KAPITEL II: Emilia -------------------------------------- Emilia hatte so lange mit gesenktem Kopf betend vor der geflügelten, roten Ikone der heiligen Sophia gestanden, dass ihr Nacken krachte, als sie schließlich den Kopf wieder hob. Einen Moment stand sie da und betrachtete das starre, fromme Gesicht der Ikone, dann atmete sie tief durch und wandte sich unter dem üblichen Abschiedsgestus ab. Der Tag hatte noch nicht viele Stunden und es gab noch einiges zu tun. Eigentlich war sie wie jede Nonne dazu angehalten, ausschließlich in dem Kloster zu beten, dem sie auch vorstand, aber ihre Position hatte ihre kleinen Vorteile. So war es ihr mit ausdrücklicher Genehmigung des Patriarchen erlaubt, einmal am Tag ihren Glauben in der Hagia Sophia zu stärken, und von diesem Privileg machte sie auch regelmäßig Gebrauch. Die meisten Leute sahen die gewaltige Kuppel der Hagia Sophia, die auf der ganzen Welt ihresgleichen suchte, als ein Zeichen von Gottes Gnade, die den Menschen ein solches Geschenk gemacht hatte. Und tatsächlich sah auch Emilia die Kirche als jenes Geschenk. In ihrem Kopf jedoch hegte sie stillschweigend die Meinung, dass dieses Geschenk vor allem ein Zeichen dafür war, was die Menschen bewirken konnten, wenn Gott auf ihrer Seite war, und das war ein massiver Unterschied. Sie fühlte die majestätische Größe, die Leichtigkeit der Kuppel über ihrem Kopf wie eine Linderung. Konstantinopel war der Mittelpunkt der Welt, das Erbe Roms, der gottgewollte Weg. Sie mochte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass jemand das goldene Land Byzanz in den Abgrund steuerte, solange sie am Leben war. Und doch war Gott nicht ihre erste Liebe gewesen. Ihre erste und ehrlichste Liebe war immer das Wissen gewesen, und ihr größter Fehler hatte immer darin bestanden, nicht als Mann geboren worden zu sein. In einem anderen Leben war sie der Kaiser des göttlichsten Landes der Welt, ein belesener und von der Welt gefeierter Stratege. In diesem Leben hatte man sie ins Kloster geworfen, als sie zu eigenständig gedacht und sich in jugendlicher Naivität auch dementsprechend geäußert hatte, und dann hatte man gehofft, dass man ihr damit das Rückgrat brechen würde. Aber Emilias Rückgrat war aus Schwertstahl, und sie hatte den Gott akzeptiert, den man ihr entgegen geworfen hatte. In wochenlanger Isolation, monatelanger Einsamkeit hatte sie schließlich erkannt, dass alles im Leben seinen Platz hatte und viele nur nicht wussten, wo der ihre war. Gott, so hatte sie weiter erkannt, hatte ihr diesen Kopf gegeben, um damit zu denken, und er führte dabei ihre Hand, um sein Werk zu vollbringen. Er hatte sie in den Körper einer Frau geboren, um ihr eine Prüfung aufzuerlegen, wie sie einst Hiob auferlegt worden war, und wie Hiob würde sie stark in ihrem Glauben sein und ihre weltlichen Hindernisse überwinden, bis sie dafür belohnt wurde. Sie fand seine Zustimmung in dem goldenen Licht der schönsten aller Kirchen, unter ihrer gewaltigen Kuppel mit ihren leuchtenden Fresken und Mosaiken und zwischen ihren Säulen, die von Marmor umschlossen wurden. Solche Macht, solcher Reichtum. Ihre wichtigste Vertraute war dennoch die himmlische Sophia, unter deren Schutz der Herr sie gestellt hatte. Sie hielt inne, als ihre Schritte sie weit genug über den Marmor getragen hatten, dass der Maler in ihr Gesichtsfeld gerückt war. Er stand zwischen den Säulen der Hagia Sophia und war dabei so unbeweglich, als ob er selbst eine Statue war. Meister Iwanov hatte sich nicht die Mühe gemacht, sein leuchtend rotes Haar in irgendeine Form von Frisur zu bändigen. Stattdessen ergoss es sich über seine Schultern auf seine grob gewebte, weißgraue Tunika wie bei einem Wandermönch, den es nur durch Zufall in diese heiligen Hallen verschlagen hatte. Seine Augen waren auf eine kahle Wand vor ihm fixiert, ohne dass sich in seinem Gesicht irgendein Ausdruck zeigte, der Aufschluss über seine Gedanken gegeben hätte. Emilia blickte auf seine hagere Gestalt, dann zurück auf die Wand, die noch auf ihren Schmuck wartete. Es wirkte nicht so, als ob der Maler vorhatte, etwas anderes zu tun, als den leeren Fleck anzustarren. Und dann lag noch dazu sein scheußliches, enormes Tier eingerollt zu seinen Füßen, den mächtigen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, als ob es irgendein Recht besaß, in diesen Hallen zu sein. Der Patriarch musste verrückt geworden sein. Dann wiederum hatte Maxim zu einigen Dingen immer schon eine recht lasche Einstellung und brachte den Kaiser auch nicht von seinem Umgang mit Ungläubigen ab, wie es eigentlich seine Pflicht gewesen wäre. Und er war immer noch besser als die dämlichen, eingebildeten Mönche auf ihrem Kloster am Berg Athos, das mehr finanzielle Mittel hatte als ihres und dennoch von einer Horde unfähiger, frauenfeindlicher Gecken geführt wurde. Emilia atmete tief durch, dann redete sie sich gut zu, dass der Maler für den Moment nicht ihre Angelegenheit war. Immerhin hatte die Kaiserin nach ihr gerufen und die Kaiserin ließ man auch als Äbtissin des größten byzantinischen Frauenklosters nicht warten. Sie schüttelte noch einmal den Kopf, wandte sich ab und ging durch die schweren Doppelflügeltüren der Hagia Sophia hinaus ins Freie. Konstantinopel begrüßte sie mit strahlendem Sonnenschein. Es war warm, aber nicht so warm, wie es hätte sein können. Das Wetter war generell in den letzten Jahren kühler geworden. Sie war bereits darauf und daran gewesen, den langen Marsch zur anderen Seite der Stadt zu machen, wo der Blachernen-Palast lag, dann merkte sie auf, als sie die kaiserliche Kutsche in angemessenem Abstand zur Hagia Sophia stehen sah. Ein Dienstbote verneigte sich respektvoll, als sie nähertrat. Es war ein junger Grieche, der erst kürzlich in die Dienste des Kaisers eingetreten sein musste, denn seine Brust war stolzgeschwellt „Die Basilissa entsendet ihre Grüße“, sagte er, „und bittet Euch, die Kutsche zu nutzen, um Euren Weg angenehmer zu gestalten.“ Emilia neigte dankend ihren Kopf, nickte ihm zu und stieg ins Innere der Kutsche, das sie vor den Augen der Öffentlichkeit verbarg. Mit einem tiefen Seufzer lehnte sie den Kopf gegen die Polsterung und blickte durch die Vorhänge hinaus aus dem Fenster, als die Kutsche anrollte und sie vom ersten Hügel trug. Sie passierten das Genueser Viertel, in dem sich gar nicht mehr viele von ihnen herumtummelten. Die meisten von ihnen waren hinüber auf die andere Seite des Goldenen Horns gezogen, wo die Kolonie Galata für die Unterstützer des Kaisers eingerichtet worden war, nachdem Takaos die Stadt im Handstreich zurückgewonnen hatte. Emilia hielt nicht viel davon; der Genueser Hafen, der sich immer mehr etablierte und von den italienischen Handelsschiffen bevorzugt wurde, war ihr ein Dorn im Auge, der für den Hafen von Konstantinopel vielleicht nichts Gutes bedeuten würde. Sie war noch immer nicht sicher, ob es ihr lieber gewesen wäre, wenn sein älterer Bruder nicht im Kampf verschollen wäre, als Takao gerade einmal zehn Jahre alt gewesen war. Damals war sie selbst noch ein Kind gewesen, aber sie konnte sich noch daran erinnern. Es war ein einschneidendes Erlebnis gewesen, das die byzantinische Gesellschaft in Schock geworfen und den Weg frei für die latinische Herrschaft und die Flucht der thronberechtigten Linien gemacht hatte. Wie hätte Irenéo an Takaos‘ Stelle reagiert? Hätte er gemeinsame Sache mit den Genuesern gemacht und Byzanz damit voll in das italienische Handelsnetz geraten lassen? Es war schwer zu sagen, aber offensichtlich war es nicht Gottes Wille gewesen, Irenéo herrschen zu lassen. Sie fuhren am Rand des Genueser Viertels entlang vorbei am Hügel auf die Platea. Auf der anderen Seite des Fensters lebte die Stadt und wimmelte vor Menschen: Männer, die sich auf der Straße grüßten, Frauen aus der Unterschicht, die ihre Waren am Markt feilboten, andere Kutschen, die über die Straße ratterten, entlaufene Gänse und bellende Hunde. Konstantinopel war am Leben und solange Konstantinopel lebte, blühte Byzanz. Emilia erfreute sich daran, während sie die Aspar-Zisterne und den fünften Hügel passierten, bis sie endlich das Blachernen-Viertel erreicht hatten. Hier lebte die reiche Bevölkerung von Konstantinopel, die Botschafter und ranghohen Höflinge, die geldschweren Händler und berühmten Feldherren, was man bereits an den Häusern erkennen konnte. Sie rollte die Augen angesichts überbordender Fassaden - hielt in der Bewegung inne, als sie einen Blick auf das Haus des römischen Konsul Romulus warf, in der er mit seiner Familie lebte. Danach ließ sie den Vorhang zufallen und öffnete ihn nicht mehr, bis die Kutsche anhielt. Als sie ausstieg, ragte der Blachernen-Palast vor ihr auf. Er war durchaus beeindruckend, verblasste aber gegen die weitläufige Brillanz des Großen Palasts oder die goldene Herrlichkeit der Hagia Sophia. Sicher, er war gut befestigt und im sichersten Winkel der Stadt, aber er hatte zumindest äußerlich wenig Charme. Das änderte sich, wenn man in die Hallen trat, wie es nun Emilia tat, die sogleich von einem anderen Dienstboten - ein junges Mädchen mit dunklen Haaren - in den Empfangsraum der Kaiserin geleitet wurde. Der Empfangsraum lag in einem der neueren Gebäudeteile und Emilia kannte den Weg mittlerweile gut genug, um keine Führung zu benötigen, aber sie zügelte ihre Ungeduld und folgte dem Protokoll. Noch dazu hatte sie wohl Glück, dass besagtes Protokoll nicht ganz so rigide war, wie man es von vorherigen Kaiserpaaren gewohnt war - obwohl es wohl debattierbar war, wie glücklich es wirklich war, wenn auf die Regeln der gesitteten Gesellschaft einfach verzichtet wurde. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und verzog nur aus eiserner Selbstdisziplin nicht vor Abscheu das Gesicht, als sie sah, wie der Inselwilde mit den roten Dämonenaugen zwischen zwei Säulen hindurchglitt und lautlos durch eine Tür verschwand. Seine ganze Existenz hier in Konstantinopel war ein Affront gegen die Kirche, den der Kaiser unverfroren durchsetzte. Emilia hätte mit einem Türken noch eher Frieden schließen können als mit diesem Barbaren, der noch immer nicht den christlichen Glauben angenommen hatte und dies wohl auch nicht mehr tun würde. Eine Führung, die solch ketzerisches Gedankengut um sich herum erlaubte, würde früher oder später den Glanz des byzantinischen Golds unentschuldbar stark dimmen lassen. Sie stellte sicher, dass keiner dieser Gedanken auf ihrem Gesicht abzulesen war, als sie in den Empfangsraum trat und sich tief vor der Kaiserin verneigte. „Basilissa.“ Hyromia wandte sich um und lächelte sie freundlich an. Goldreifen wanden sich um ihre Oberarme, Gold und Edelsteine zierten auch ihren Hals und die Finger. Ihre prachtvolle Seidendalmatik, die sie über der langärmeligen, weißen tunika interior trug, strahlte in einem satten Blau, das ein Vermögen gekostet haben musste, nachdem es nicht wie das Waidblau wirkte, das bei den Germanen üblich war. Weil dieser Empfang keines der wenigen Feste war, an denen sie ihren Chlamys trug, jenen purpurfarbenen Kurzmantel, der ihren Status als Kaiserin anzeigte, trug sie stattdessen eine Palla über der Dalmatik, die an der Brust mit einer edelsteinbesetzten Fibula zusammengehalten wurde. Das glänzende, dunkelbraune Haar war mit zahlreichen Nadeln zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt worden, die den Blick auf ihre goldenen, hängenden Ohrringe freigab. Die Kaiserin hatte ein Gesicht, das sie nicht unbedingt als schönste Frau des byzantinischen Reiches in den weltlichen Liedern unsterblich machte, aber es lag eine Herzlichkeit und ein Feuer in ihrem Lächeln und ihren dunklen Augen, das sie anziehend machte. „Hochwürdige Mutter“, sagte sie warm, trat auf sie zu und nahm Emilias Hand in die eigene, dann entließ sie ihre Dienstboten mit einem Nicken, die sich daraufhin verneigten und den Raum verließen. Hyromia wandte sich erneut an Emilia und zwinkerte ihr zu. „Nun, wo wir unter uns sind, liebe Freundin, können wir die Höflichkeiten doch ein wenig reduzieren.“ „Dazu wirst du die Äbtissin niemals bekommen“, erklang es aus einer Ecke mit einem dunklen Lachen. Da saß sie, die Römerin. Emilia erinnerte sich noch an den Tag, an dem Iulia an die Türen ihres Klosters geklopft hatte, wild-verzweifelt nach einem Ausweg suchend aus einem Leben, das sie nicht haben wollte. Ja, für eine Frau aus Rom, noch dazu eine Frau wie Iulia, war das Leben in Byzanz doppelt ungerecht. Wo Iulia es gewohnt war, keinen eigenen Namen zu haben, aber dafür unabhängig von ihrem Mann am öffentlichen Leben teilzunehmen und in allerlei Kreisen mitzumischen, musste sie sich in Konstantinopel damit abfinden, dass sie weder eigenen Namen noch Ausgangsrecht hatte. Die byzantinischen Frauen verbargen sich im Inneren und rührten innerhalb ihrer abgetrennten Räumlichkeiten still und leise an den Hebeln der Welt - wenn ihnen dazu überhaupt die Mittel gegeben waren. Freilich, als Frau eines römischen Botschafters war sie nicht so sehr an das byzantinische Recht gebunden, aber andere Fesseln hielten sie mindestens genauso fest. Iulia, die ebenfalls zu viel Willen und Feuer hatte, um für das Leben als Frau geschaffen zu sein, hatte bei ihr Rat gesucht, und Emilia war nicht mehr losgekommen von diesem Wesen, das sie besser verstand als jeder andere Mensch in dieser Stadt. Es war Gottes Wille gewesen, dass sie einander begegnet waren, und mit Gottes Gnade hatte Emilia sich ihrer angenommen, um ihr zu zeigen, wie sie innerhalb der Grenzen leben konnte, die die Gesellschaft ihr aufdrückten. Wenn man sie nun sah - in eine hellrote Seidenstola gekleidet und das dunkle Haar mit den hellen, fast orangefarbenen Schimmern darin in römischer Manier mit einem losen Seidenschleier bedeckt, die gelbe Seidenpalla zusammengehalten von einer Smaragdfibula in der Schattierung ihrer kohlumrandeten Augen -, hätte man niemals vermutet, dass Iulia einmal in solch tiefer Verzweiflung gesteckt hatte. Einen Moment lang trafen sich ihre Augen. Iulia senkte die Lider, nur einen Herzschlag lang, dann erhob sie sich von ihrer Liege und verneigte sich vor Emilia. Allein Letztere bemerkte den sanften Spott, der in der Geste lag. „Ich erbitte Euren Segen, hochwürdige Mutter“, murmelte Iulia mit rot geschminkten Lippen und sah zu ihr auf. Emilia atmete aus, hob die Hand und ließ sie einen Augenblick über ihr schweben, ehe sie sie segnete. „Der Herr sieht Euch, domina“, sagte sie rau, „und er segnet Euch.“ Iulia neigte erneut das schöne Haupt; ihre Palla verrutschte, sodass Emilia einen langen Blick auf ihren weißen, goldumschlossenen Hals werfen konnte, ehe Iulia mit anmutiger Geste den Mantel zurechtrückte und sich erneut auf der Liege niederließ. Indes war die Kaiserin zum Weinkrug getreten und hatte einen dritten Becher gefüllt, den sie nun lächelnd an Emilia reichte. „Nimm Platz, liebe Freundin“, sagte sie munter, wandte sich ab und holte eine Pergamentrolle von dem Tisch, auf dem einige Notizen ausgebreitet waren. Man konnte der Kaiserin keinen mangelnden Ehrgeiz vorwerfen. Sie widmete ihn nur den falschen Dingen. Beinahe wünschte Emilia sich, dass es anders wäre - denn sie mochte Hyromia, aber sie war ein idealistisches junges Ding, das das Gesamtbild nicht erkannte und sich lieber darauf konzentrierte, Paläste aufzubauen, die niemand brauchte, anstatt ihren Mann dazu anzuhalten, die Genueser und Bulgaren auszuschalten und Byzanz zu alter Größe zu verhelfen. Äußerlich nahm Emilia nur dankend den Becher entgegen und nippte daran, dann klärte sie sich die Kehle. „Es gibt etwas, das du mit mir besprechen wolltest?“ Hyromia lächelte. „Du weißt, dass ich deine Meinung sehr schätze. Es geht um die Verschönerungen der Hagia Sophia.“ „Ah“, sagte Emilia mit einem schmalen Lächeln. „Der verehrte Patriarch hat uns einen Maler dafür gefunden“, fuhr Hyromia fort, „aber mein Mann - und auch der verehrte Patriarch - scheinen der Meinung zu sein, dass er jemanden an seiner Seite benötigen könnte. Einen Gehilfen. Der Kaiser bat mich um meine Hilfe.“ Sie lächelte. „Ich möchte ihm Iulia vorschlagen.“ „Eine große Ehre, die ich in aller Demut annehmen würde“, sagte Iulia. An ihrem Gesichtsausdruck war nichts, aber auch gar nichts demütig. Ihr Stolz war eines der Dinge gewesen, die Emilia am meisten an ihr angezogen hatte, aber nun brachte er sie dazu, tief einzuatmen. „Verehrte Freundin“, sagte Emilia, weil man es von ihr erwartete und weil sie ihre Rolle, die sie der Welt vorspielte, auch hier nicht ablegen durfte, „ich zweifle nicht an deinem Urteilsvermögen, was die Fähigkeiten der domina angeht, doch bitte ich dich, dies zu bedenken: eine Frau als Gehilfin eines Malers?“ „Ein Mönch, scheinbar sogar ein Asket“, sagte Hyromia lächelnd mit einer gewissen Schärfe in ihren Mundwinkeln, „dem sie bei einer heiligen Aufgabe zur Hand geht, als verheiratete Frau vor aller Augen und nicht verborgen in den Schatten. Kann dies verwerflich sein in Gottes Augen?“ Emilia wiegte den Kopf und war sich bewusst, dass Iulias glühender grüner Blick auf ihr ruhte. „Die Leute werden reden.“ „Die Leute reden ohnehin über die Römerin“, sagte Iulia leichthin und zupfte ihren Schleier zurecht, „mich interessiert nur die Meinung Gottes.“ Was für eine exzellente Lügnerin sie sein konnte. Das hatte Emilia natürlich schon gewusst, aber sie war dennoch beeindruckt. Es ging Iulia nicht um Gott. Es ging Iulia immer um die Kunst - und auf diesem Gebiet nahm sie, was sie kriegen konnte, ohne nach links und rechts zu sehen. „Der Mann ist kein Byzantiner“, sagte Emilia dennoch harsch, „wir wissen nichts über ihn, domina, ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Ermessen Eures Mannes ist, wenn Ihr ihm zur Hand geht.“ Iulias Augen blitzten, aber sie hielt ihr Temperament in Schach und spielte die Scharade würdig mit. In solchen Momenten erkannte man ihre schamvollen Wurzeln einer Schaustellerin - und die Brillanz, die ihren Mann dazu bewogen hatte, sie trotz ihrer niedrigen Abstammung zu heiraten und ihre Herkunft für immer zu vertuschen. „Mein Mann weiß, dass ich ihn aufrichtig liebe und verehre.“ Emilia hätte beinahe hell aufgelacht und beherrschte sich gerade noch. „Und er vertraut dem Urteil des ehrwürdigen Patriarchen, der für Meister Iwanov bürgt. Wer bin ich, dass ich mich gegen die Meinung von Männern stelle, die es besser wissen müssen als ich?“ Sie senkte die langen, kohlgefärbten Wimpern. „Lange habe ich auf eine Gelegenheit gewartet, Konstantinopel meinen Dank entgegen zu bringen und ihr etwas zurückzugeben für all die Annehmlichkeiten, die mir hier bereitet wurden. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass sich die Basilissa in ihrer Großzügigkeit auf mich besinnen würde.“ Emilia hatte ein ganzes Arsenal an Gründen, das sie nun abfeuern konnte, um Hyromia umzustimmen und Iulia nicht malen zu lassen. Sie konnte die Worte bereits auf ihrer Zunge spüren. Aber sie hatte ihre angemessene Besorgnis bereits kundgetan und eigentlich kein Interesse daran, gerade Iulia etwas zu entziehen, in dem sie aufgehen konnte. Also blickte sie möglichst nachdenklich drein, ehe sie schließlich den Kopf neigte. „Wie immer ist es letztendlich deine Entscheidung, verehrte Freundin“, sagte sie zu Hyromia, „und ich begrüße es ja doch, wenn Frauen ihrer Frömmigkeit Ausdruck verleihen, indem sie Gottes Werk tun.“ Hyromia lächelte und wandte sich Iulia zu. „Dann ist es beschlossen und ich werde es dem Basileus vorschlagen. Mit etwas Glück ist er geneigt, meinen Rat anzunehmen.“ „Verehrte Freundin“, sagte Iulia mit aufrichtiger Wärme, „ich kann gar nicht in Worten ausdrücken, wie sehr ich dir danke.“ Ihre Augen wanderten weiter zu Emilia und hielten sie fest. „Hochwürdige Mutter, erlaubt mir, mit Euch zu beten, um dem Herren zu danken.“ „Das ist nur recht“, erwiderte Emilia sanft, „wenn Ihr Euch morgen Nachmittag zum Kloster der heiligen Theodora begebt, werde ich Euch dort in Empfang nehmen.“ Hinter dem Rücken der Kaiserin, die sich bereits wieder über die Pläne auf ihrem Tisch gebeugt hatte, lächelten sie sich an wie zwei Frauen, die gelernt hatten, nur in vollkommener Dunkelheit und fernab von allen fremden Augen ihre Schichten abzulegen und zu sein, wie Gott sie gewollt hatte. „Es ist Zeit, Konstantinopel wieder prachtvoll zu machen“, murmelte Hyromia in Emilias Sinnierungen über Iulias rote, rote Lippen. Sie lächelte und hob den Weinbecher in die Richtung der jungen Kaiserin. „Du sprichst mir aus dem Herzen, verehrte Freundin. Du sprichst mir aus dem Herzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)