Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Prolog: -------- Man sagte, dass Konstantinopel in der Nacht, in der der Maler erschien, von dichtem Nebel bedeckt war. Er reiste simpel, weil er ein simples Leben gewohnt war, und so brachte er in die Goldene Stadt nur das, was er am Leib trug oder in seinen Rucksack passte. Und den großen Wolfshund, der vollkommen lautlos in seinem Schatten ging und nicht von seiner Seite wich. Der Maler ging aufrecht, mit gelassener Ruhe durch die gepflasterten Straßen der Stadt. Lange war er nur durch die Wildnis gereist, entlang steiniger und weniger steiniger Landstraßen und durch kleine Dörfer. Man hatte ihm ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt, um die Reise einigermaßen komfortabel bewältigen zu können, aber der Maler war immer schon ein pragmatischer Mann gewesen, dem es lieber war, die Welt gehend und nicht fahrend zu bereisen, nur sich selbst und dem Wolfshund verpflichtet und nur von sich selbst abhängig. Er hatte das Land seiner Vorfahren hinter sich gelassen und war über das Schwarze Meer gesegelt, bis seine Augen Konstantinopel hinter seinen mächtigen Mauern geschaut hatten. Man hatte den Maler hereingelassen, weil seine Kleidung ihn als Mann des Glaubens auszeichnete, und weil man jemandem wie dem Maler nicht seinen Willen verweigerte. Es reichten der Wolfshund zusammen mit Gesten und einem Blick aus den gletscherblauen Augen in seinem bleichen Gesicht, um die Menschen dazu zu bewegen, ihn passieren zu lassen. Wie ein Geist, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, wanderte er durch die stille Stadt, die um ihn herum den Atem anzuhalten schien. Der Große Palast lag auf dem Hügel hinter der Hagia Sophia. Er blieb vor dem Gebäude stehen, wegen dem er hier war, und legte den Kopf in den Nacken, wobei die Kapuze ein wenig verrutschte und blutrotes Haar im Licht der flackernden, windgebeutelten Fackeln zum Vorschein kam. Die Geste war nicht genug; die Dimensionen der Kirche waren zu gewaltig, um sie ganz von seiner Position aus wahrnehmen zu können. Der Maler schaute und schaute, ruhig, ohne eine Regung seines Gesichts, mit dem vollkommen still sitzenden Wolfshund in seinem Schatten. Obwohl eine leichte Brise, die vom Meer hereingetrieben worden war, an seiner Kutte zerrte, sah er aus wie eine Statue. Dann, endlich, schien wieder Leben in ihn zu kommen. Der Wolfshund erhob sich und schüttelte sein Fell aus, als der Maler sich abwandte, die Kapuze erneut tief ins Gesicht zog und weiter dem Palast zustrebte. Hier waren noch Menschen trotz der späten Stunde unterwegs, die ihn verblüfft ansahen, gelegentlich auch stehenblieben und einander etwas zuwisperten. Der Maler ignorierte sie alle, wanderte stumm weiter, bis er den Eingang des Großen Palastes erreicht hatte, wo zwei Soldaten ihn davon abhielten, weiterzugehen. Er wurde mit sichtlicher Verblüffung gemustert und erwiderte die Blicke ruhig, ohne ein Anzeichen von Nervosität oder ein Blinzeln. Im Gegenteil waren es die Soldaten, die ein wenig nervös zu werden schienen und einen Blick miteinander wechselten, ehe der Rechte von ihnen Haltung annahm. „Kein Eintritt ohne Befugnis“, sagte er in einem Tonfall, der wohl gebieterisch sein wollte. „Besonders nicht um diese Uhrzeit“, fügte der zweite Soldat hinzu. Der Maler hob eine Augenbraue. Aber er sagte nichts, sondern griff lediglich stillschweigend in seinen weiten Ärmel, löste ein Band, das ein zusammengerolltes Pergament enthielt, und reichte es den Soldaten. Sie konnten es nicht lesen, aber das war auch nicht nötig: sie erkannten das Siegel des Metropoliten Maxim, seines Zeichens Führer der Kirche im Patriarchat von Konstantinopel. Sie erbleichten und wechselten erneut einen Blick, dann löste einer von ihnen sich und verschwand im Innern des Palastes. Der andere beäugte besorgt den Wolfshund, der sich nicht von der Seite seines Herren rührte und ihn mit goldenen Augen beobachtete. Der Maler steckte die Pergamentrolle wieder ein, band sie erneut fest und wartete. Es dauerte eine Weile, bis der Soldat zurückkam. Er war nicht allein, doch anstatt des blonden, blauäugigen Metropoliten Maxim mit seinem sonnigen Gemüt folgte ihm jemand, den der Maler nicht kannte. Er richtete sich ein wenig mehr auf und musterte die Gestalt, die sich aus den Schatten des Palastes schälte und ins Licht der Fackeln vor den Palastmauern trat. Es war eine Frau in dem Gewand einer Äbtissin, die ihn mit scharfen, blaugrauen Augen hinter einer Brille betrachtete. Ein Schleier bedeckte ihre Haare und doch meinte der Maler ein orangerotes Blitzen wie von Morgensonne darunter wahrzunehmen. Ihre Hautfarbe deutete darauf hin, dass sie nordische Vorfahren haben mochte. Zumindest nordischer, als es Byzanz war. Er verneigte sich stumm. Die Äbtissin tat nichts dergleichen. Stattdessen musterte sie ihn von oben bis unten, ehe der Blick lange auf dem Wolfshund verweilte. „Meister Iwanov“, sagte sie schließlich mit dunkler Stimme. Ihre Zunge stolperte ein wenig über die sichtlich ungewohnten Silben, die so anders als Griechisch waren. Sie nahm keine Rücksicht darauf, dass er eventuell kein Griechisch verstehen mochte, sondern machte forsch von ihrer Muttersprache Gebrauch. „Wenn ich mich recht entsinne, hat Seine Exzellenz Euch bereits letztes Monat erwartet.“ Der Maler erwiderte nichts, sondern nickte nur. Die Äbtissin betrachtete ihn erneut, als ob sie versuchte, aus ihm schlau zu werden. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich bin Äbtissin Emilia. Ihr seid zwar mitten in der Nacht hier erschienen, aber wir können Euch wohl kaum hier draußen stehen lassen.“ Ihre Augen wanderten erneut über seine staubbedeckten Kleider, den zerschlissenen Rucksack und den Wolfshund, dann schnaubte sie. „Auch wenn ich nicht übel Lust dazu hätte.“ Der Maler erwiderte nichts, sondern wartete. „Habt Ihr ein Schweigegelübde abgelegt, von dem ich wissen wollte“, erkundigte Äbtissin Emilia sich irritiert, „oder seid Ihr einfach nur vor Ehrfurcht verstummt?“ Da schnaubte der Maler und sagte, sein Griechisch harsch und kantig durch die Sprachmelodie, die er von seiner Erstsprache übernahm: „Ihr habt bisher nichts gesagt, das einer Antwort bedurft hätte. Habt Ihr weitere Fragen oder gibt man mir nun endlich ein Bett?“ Einen Moment lang schien es, als ob ihr eine bissige Bemerkung auf der Zunge lag, dann schien sie sie mühsam hinunter zu schlucken. „Folgt mir“, sagte sie kühl, „ich weiß einen Platz, wo Ihr für heute unterkommen und Euch waschen könnt. Morgen könnt Ihr den Dienst antreten, zu dem man Euch gerufen hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)