Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 12: Chapter 3 - 5 ------------------------- Moms Lächeln wurde noch ein wenig breiter, zufrieden schob sie sich eine Gabel voller Reiß in den Mind, offenbar genoss sie es wirklich dass sie die Anwesenden mit ihrer Erzählung derart beeindruckt hatte. Nachdem sie noch einen weiteren Schluck Saft zu sich genommen hatte, fügte sie mit gespielt dramatischer Stimme hinzu: „Tja, diese Stadt steckt voller Geheimnisse!“ Dad hingegen, der sich mittlerweile wieder gefasst zu haben schien und nun kein bisschen beeindruckt mehr wirkte, obgleich er zuvor nicht einmal mehr in der Lage gewesen war, sein Mittagessen zu genießen, verdrehte die Augen. „Jede Stadt in den USA hat wahrscheinlich solche Legenden!“,murmelte er. „Wir hatten damals eben sonst nichts zu tun, als uns Horrorgeschichten zu erzählen! Da kam die Story einer im vorletzten Jahrhundert verstorbenen Familie natürlich sehr gelegen!“ Lilith lachte kurz auf, warf ihre Haare zurück und blickte Dad an, in ihrem Blick lag dieser Ausdruck von Trotz und Streitlust, der so typisch für sie war. „Verstorben ist gut! Ermordet, Dad! Und aufgegessen!“ „Ja, angeblich!“, stellte Dad klar, nun klang er beinahe ein wenig überheblich. Nacheinander blickte er alle anwesenden an, während nun seine Frau neben ihm die Augen verdrehte und dann eine Grimasse zog. „Für diese ganze Mordsache gab es aber nie Beweise! Viel wahrscheinlicher ist, dass die Crichtons damals alle erfroren beziehungsweise verhungert sind! Man hat ihre Leichen wohl tatsächlich in dem Haus gefunden, aber ob es da jetzt wirklich Schusswunden und dergleichen gegeben hat… und selbst wenn; die meisten Leute die sich mit dem Thema beschäftigt haben, vermuten, dass Crichton seine Kinder erschossen hat, damit sie nicht den qualvollen Kälte- und Hungertod sterben mussten! Aber ob so angeblich gottesfürchtige Menschen so eine große Sünde begangen hätten, ihre eigenen Kinder zu verspeisen…“ Er brach ab, warf einen weiteren, bedeutungsschwangeren Blick in die Runde und schüttelte dann langsam den Kopf. „Das ist wirklich schwer vorstellbar!“ „Ach, Schatz, hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du ein ziemlicher Spielverderber sein kannst?“ Vorwurfsvoll blickte Mom ihren Mann an, dann sah sie Nacheinander zu Lilith, Eddie und Victor. „Merkt euch, Kinder: heiratet nie einen Professor der Geschichtsforschung! Diese Leute wissen alles besser!“ „Man, Dad!“, murmelte Lilith. Dad grinste bloß. „Ach kommt schon, ihr könnt ja gerne an diese Horrorstory glauben! Es ist aber nunmal so, dass die Faktenlage dagegenspricht, dass es sich genau so zugetragen hat! Es gibt keine Zeitungsberichte, die von so etwas grausamen berichten, keine Zeugenaussagen, Polizeiberichte, gar nichts!“ „Schon gut, schon gut“, stoppte Mom den Redefluss ihres Mannes, bevor der noch weiter ausholen und sich in scheinbar unendlichen Ausschweifung über den wahrscheinlichen Wahrheitsgehalt eines solchen Ereignissen verlieren konnte, so wie er es oft tat wenn er die Möglichkeit sah, sich in seinem großen Interesse für Geschichte zu verlieren. „Es mag ja sein, dass das nur eine Gruselgeschichte fürs Lagerfeuer ist. Aber auch du kannst nicht leugnen, dass die meisten Leute, die danach in dieses Haus gezogen sind, ziemlich schnell wieder ausgezogen sind, weil sie behauptet haben, die Seelen der Crichtons seien noch immer in diesem Gebäude gefangen.“ Sie warf einen vielsagenden Blick in die Runde. Wieder herrschte einen Augenblick lang Stille. Nun jedoch war es Eddie, der, nach einer kurzen Pause des Überlegens skeptisch nachhakte: „Du meinst, es spukt in diesem Haus? Also das ist doch jetzt wirklich Quatsch!“ Er war vielleicht fasziniert von Horrorfilmen, Geistergeschichten und im Grunde allem, was mit gruseligen Ereignissen in Verbindung stand, von der Existenz von Geistern jedoch war er nie wirklich überzeugt gewesen. Oder zumindest redete er sich das immer wieder ein. Mom zuckte derweil mit den Schulter. „Nein, gesagt habe ich das nicht“, stellte sie klar, in ihrer Stimme lag ein beinahe beleidigter Unterton. „Aber es ist nun mal so, und das wird dir sogar dein Vater bestätigten, dass die meisten Leute, die in diesem Haus gelebt haben, nachdem die Crichtons verstorben waren, von seltsamen Geräuschen und sogar Erscheinungen berichtet haben!“ Als erwarte sie eine Bestätigung blickte sie zu Dad, und tatsächlich nickte dieser. Allerdings wollte er diese Aussage nicht einfach so im Raum stehenlassen, stellte stattdessen klar: „Soweit ich weiß hörte das aber in den siebziger Jahren auf! Ich kann mich zumindest erinnern, dass während meiner gesamten Jugend nur eine einzige Familie in diesem Haus wohnte! Mit einem der Kinder bin ich sogar zur Schule gegangen, und der Junge war immer ein bisschen genervt wenn ihn jemand auf diese Gruselgeschichten ansprach. Er meinte jedenfalls, er habe dort nie etwas gehört!“ „Vielleicht war das ja eine Familie von Geisterjägern, und die haben die Crichtons dann eingefangen und erlöst, oder weggesperrt!“, schlug Lilith schnell vor, sie klang noch immer ehrfürchtig und blickte Dad mit großen Augen erwartungsvoll an. Der lachte bloß. „Ja, vielleicht! Aber wahrscheinlicher ist, dass alle, die vorher dort gewohnt haben, einfach abergläubischer waren! Sie haben die Geschichten erkannt, und sie haben erwartet, etwas zu hören und zu sehen! Wenn du so etwas erwartest, dann kann sich auch das normale Knacken eines alten Gebäudes wie Schritte anhören, der Wind, der um die Mauern pfeift kann eine Stimme sein, und Schatten die du im Dunkeln siehst sind Gestalten, statt der Mantel den du am Abend auf den Schirmständer geworfen hast! Das Gehirn passt sich den Erwartungen an!“ Nun sah Lilith enttäuscht aus. „Blödes Gehirn!“, murmelte sie, und stieß ihre Gabel zur Untermalung ihrer Worte mit Wucht in ihren restlichen Reis. Eddie glaubte, dass sie noch etwas sagte, doch er hörte ihr nicht mehr zu, zu sehr war er in seinen eigenen Gedanken versunken die wieder einmal dabei waren, ein Eigenleben zu entwickeln und ihn mit sich in die Tiefen seiner Fantasie zu reißen. Geister und unheimliche Ereignisse. Stimmen, die… die was? Um Hilfe riefen? Darum baten, erlöst zu werden, endlich Ruhe zu finden? Oder waren sie wütend, rachsüchtig, hegten einen Groll gegen alle Bewohner des Hauses, die im Gegensatz zu ihnen lebendig waren, die noch dazu in einer Zeit lebten, in der sie nicht fürchten mussten zu verhungern oder zu erfrieren? Wollten sie die Bewohner dazu bringen, das Haus zu verlassen, indem die Seelen der Crichtons auf immer gefangen waren, unfähig, ins Jenseits überzugehen und ihre ewige Ruhe zu finden? Oder hatten sie womöglich etwas viel Schlimmeres vor? Mit Sicherheit wären seine Überlegungen noch weiter gegangen, wären düsterer geworden, detaillierter, morbider und blutiger, doch bevor es dazu kommen konnte spürte Eddie, wie ihm jemand auf die Schulter tippte. Die Berührung, obgleich schwach und kaum mehr als ein Lufthauch, brachte ihn zurück aus den unzähligen Ideen für eine neue Geschichte in die Gegenwart. Perplex blickte er zu Victor, der ihn seinerseits anblickte als erwarte er eine Antwort auf irgendetwas. Etwas verlegen lächelte Eddie. „Ähm… tschuldigung…was?“ Allerdings war es nicht Victor, der auf seine Frage antwortete, sondern Mom. „Ich habe gefragt, ob du mir noch zuhörst. Ich habe nämlich grade von der alten Mrs. Fitzgerald erzählt, die ganz alleine in dem alten Schlachthaus gewohnt hat, und die eines Tages tot in ihrem Sessel gefunden wurde, mit weit aufgerissenen Augen und einem zu einem stummen Schrei geöffneten Mund!“ Nun klang ihre Stimme wirklich so, als säße sie grade im Wald an einem Lagerfeuer und verfolge das Ziel, ihren Zuhörern eine Nacht voller Alpträume zu bereitet. Dad neben ihr verdrehte ein weiteres Mal die Augen, dabei ein betont theatralisches Seufzen ausstoßend. Ja, die alte Mrs. Fitzgerald war auch ungefähr neunzig Jahre alt, da ist es nicht ungewöhnlich dass man in seinem Sessel stirbt! Und das mit diesem geschockten Gesicht hat sich wahrscheinlich einfach jemand ausgedacht der sich dachte, das wäre doch eine gute Möglichkeit diese ganze Geisterstory zu untermalen! Wenn ihr mich fragt…“ Was auch immer er nun gesagt hätte, hätte man ihn gefragt; er sollte nicht dazu kommen es den Anwesenden mitzuteilen, denn seine Frau schnitt ihm das Wort ab und bedachte ihn dabei mit einem vorwurfsvollen Blick. „Jetzt hör doch auf, mir meine ganzen Geschichten kaputtzumachen! Die Kinder lieben Horrorgeschichten, und ich bin mir sicher dass ihnen auch alleine klar ist dass es in diesem Haus nicht spukt! Aber du machst mit deiner Rationalität meine ganzen Erzählungen kaputt, du Spielverderber!“ „Genau!“, pflichtete Lilith Mom bei und nickte heftig. „Und überhaupt! Vielleicht gibt es da ja wirklich Geister! Ich glaube wohl, dass es Geister gibt! Ihr könnt nicht das Gegenteil beweisen!“ Nun warf Dad einen vorwurfsvollen Blick in Moms Richtung, so als wolle er sagen „Da, hör dir das an, diene Tochter glaubt diesen Quatsch!“, doch er schwieg. Blickte wieder auf seinen Teller und machte sich daran, seinen restlichen Reis zu verspeisen, und nach und nach taten die anderen Anwesenden es ihm gleich. Grade war Eddie dabei, den letzten Rest Reis mit seiner Gabel zusammenzukratzen, als er Victor die Frage stellen hörte, die ihm selbst bereits die ganze Zeit über im Kopf herumgeschwirrt war, die er sich aus irgendeinem Grund jedoch nicht zu stellen gewagt hatte: „Lebt denn heute noch jemand in diesem Haus?“ Mom blickte ihn nachdenklich an. Runzelte die Stirn und schien zu überlegen, bevor sie antwortete: „Ich… weiß nicht genau. Ich glaube nicht. Ehrlich gesagt hab ich schon lange nichts mehr von diesem Haus gehört…“ Sie zuckte mit den Schultern, und Dad neben ihr fügte grinsend hinzu: „Zumindest haben die Geistersichtungen wohl aufgehört!“ „Mh…“, machte Eddie. Das war beruhigend, wenn es auch keine hundertprozentige Bestätigung seiner Vermutung war, dass es sich bei dem Haus um ein verlassenes Gebäude handelte. Lilith schien sich mit dieser etwas unsicheren Antwort jedoch nicht zufrieden zu geben, und so hakte sie nach: „Du hast doch gesagt, dass so ein Typ aus deiner Klasse da gewohnt hat! Was ist mit dem?“ Dads Antwort klang nicht unbedingt überzeugender als die vorige, nachdenklich schüttelte er den Kopf und erwiderte: „Der ist irgendwann weggezogen. Keine Ahnung, wann, ich glaube, da waren wir in der achten oder neunten Klasse. Es war jetzt aber auch nicht so, dass wir befreundet gewesen wären. Eigentlich kannte ich ihn nur, weil eben immer wieder Leute ihm gegenüber blöde Sprüche über das Haus gemacht haben und er davon genervt war.“ „Es sah auf jeden Fall ziemlich verlassen aus“, murmelte Eddie, dann fügte er, womöglich eine Spur zu hastig, hinzu: „Also… von… außen halt!“ Er sah, dass Victor ihm von der Seite einen argwöhnischen Blick zuwarf, doch den anderen Anwesenden schien an diesem Kommentar nichts seltsam vorzukommen. „Tja, es möchte wahrscheinlich einfach niemand in einem Geisterhaus wohnen!“, stellte Mom grinsend fest, dabei ihren Mann anblickend als warte sie auf eine Reaktion von ihm, doch das Einzige, was sie bekam, war ein weiteres Augenrollen. Dann ergänzte sie: „Gut, es könnte auch einfach daran liegen dass es einfach nicht das schönste Gebäude ist! Und dann mittlerweile wohl auch noch renovierungsbedürftig!“ Das war wohl eine Untertreibung, wie Eddie aus eigener Erfahrung behaupten würde. „Ja, und überhaupt“, kicherte Lilith, deren Faszination für die Geistersache offenbar schlagartig nachgelassen hatte, „wer will schon freiwillig nach Seborga ziehen!“ Damit schien das Thema abgeschlossen zu sein. Es war nicht so, dass Eddie nicht noch weitere Fragen zu diesem uralten Gebäude und den Geschichten, die offenbar darum existierten, gehabt hätte, doch erschien es ihm für den Moment nicht unbedingt klug, weiter nachzuhaken, würde das doch wahrscheinlich lediglich dazu führen, dass seine Eltern entweder doch noch misstrauisch wurden, oder aber - und das wäre aus seiner Perspektive noch schlimmer - dass sie anfangen würden ihn zu ermahnen, sich bloß nicht zu sehr in diese Sache hineinzusteigern. Sie würden vielleicht nicht wissen, dass er bereits dort gewesen war, doch sie würden ihm verbieten, sich dort herumzutreiben, weil sie genau wissen würden dass er das tun würde wenn er glaubte, etwas Spannendes dort vorzufinden… was ja auch durchaus der Wahrheit entsprach. Seinen Eltern etwas zu verheimlichen war eine Sache - sie zu belügen und sich über ihre expliziten Anweisungen hinwegzusetzen eine ganz andere. Erneut war Eddie so sehr in seinen Gedanken versunken, in seinen Vorstellungen daran, wieder zu diesem Haus zurückzukehren und sich genauer dort umzusehen ohne dass seine Eltern davon erfuhren, dass er wieder erst dann aufsah, als Victor ihm auf die Schulter tippte. „Wie?“, fragte er. Er sollte sich wirklich zusammenreißen, sein aktuelles Verhalten war nicht grade das, was man unauffällig nennen konnte… Mom, die anscheinend mit ihm gesprochen hatte während er zu sehr mit seinen eigenen Vorstellungen beschäftigt gewesen war um ihre Worte wahrzunehmen, stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Ich habe gefragt, ob alle fertig sind, damit ich den Nachtisch holen kann!“ „Oh, ja! Sicher!“ Er schob seinen Teller zu Lilith, die bereits sämtliches Geschirr vor sich aufgestapelt hatte und es unglücklich anblickte, als wisse sie bei bestem Willen nicht, wie sie die schwere Aufgabe, das ganze hinüber zur Spüle zu tragen, bewältigen sollte. „Nachtisch klingt sehr gut!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)