Wenn die Chemie stimmt von Atina ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Montag, 03. Juni An meinen Helfer – du weißt schon, dass das ganz schön nach Stalker klingt? Warum schreibst du hier in Rätseln statt mich anzusprechen und zu sagen „Hey, ich bin’s!“? Leo     „Hast du Lust am Freitag etwas mit mir zu unternehmen?“ Felix brachte gemeinsam mit Leonora die Tabletts aller zur Geschirrrückgabe und während sie die gestapelten Tabletts nun einzeln auf das Laufband legten, nutzte er die Gelegenheit, sie nach einer Verabredung zu fragen. „Was schwebt dir denn vor?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage. „Wie wäre es mit einem Besuch der Legende aus Elbflorenz?“ „Wie meinst du das?“ Leonora sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Das wirst du wohl nur herausfinden, wenn du mich am Freitag begleitest“, erwiderte Felix grinsend. „Das ist gemein.“ „Man muss eben schauen, wie man seine Ziele erreicht.“ „Na gut, dann werde ich mit dir zur Legende gehen, was auch immer es bedeutet.“ „Sehr schön. Und vergiss deine Kamera nicht.“ Er hielt ihr lächelnd die große, braune Tür auf, die zur Zebradiele führte. Vielleicht wird es einen passenden Moment geben, in dem ich ihr sagen kann, dass ich ihr Helfer bin. Dann hat dieser ganze Quatsch in der caz ein Ende.   ***   Man nehme ein Becherglas, in welchem einige 10-cent-Münzen am Rand aufgestellt sind. Die Münzen werden mit einer schwach essigsauren Lösung von Kupfer(II)-sulfat (Massenanteil 1-2 %) und Natriumchlorid (Massenanteil 10%) in Wasser bedeckt.   Leonora saß am Abend am Schreibtisch und bereitete das Protokoll für den nächsten Labortag vor, doch sie war nicht richtig bei der Sache. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Ich freue mich auf den Abend mit Felix. Wirklich, ich freue mich darauf. Er schafft es, dass ich mich gut fühle.   Dabei soll die Flüssigkeit mindestens einen Zentimeter über die Oberkante der Münzen reichen. Nach kurzer Zeit überzieht sich das Messing vom Rand her mit einem Kupferspiegel.   Aber ist es fair ihm gegenüber, wenn ich gleichzeitig ständig an meinen Helfer denke? Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber was ist, wenn ich auf ihn treffe und er der Richtige für mich ist? Ich weiß nicht, was ich machen… was ich fühlen soll. Sie seufzte und tippte weiter an der Durchführung.     Freitag, 07. Juni   „Wo geht es denn nun hin? Und warum musste ich etwas Schwarzes anziehen?“ Leonora sah Felix erwartungsvoll an. „So einfach mache ich es dir nicht. Lass dich überraschen“, erwiderte Felix und sah sie lächelnd an. Es war kein schadenfrohes Lachen, weil er sie ärgern konnte, sondern ein freundliches, zur Überraschung einladendes. „Na gut.“ Sie liefen zunächst Richtung Hauptbahnhof, der am Freitagnachmittag besonders gut frequentiert war, und schlenderten dann über die Prager Straße. Am Ende der Straße angelangt, fiel Felix‘ Blick auf den großen Buchladen. „Liest du lieber oder schaust du lieber fern?“ „Das kommt darauf an. Ich lese wahnsinnig gern, momentan sind es leider eher Fachbücher, aber in der Grundschule mussten meine Eltern mich jede Woche zur Bibliothek bringen, damit mir der Lesestoff nicht ausgeht“, antwortete Leonora. „Ich liebe Bücher. Aber die ein oder andere Serie oder mancher Film lässt sich ganz gut sehen. Zum Beispiel stehe ich auf die Marvel-Filme.“ „Wenn du Superkräfte haben könntest, welche wären das?“ „Oh, jetzt kommst du aber mit den philosophischen Kennlern-Fragen“, meinte Leonora. „Aber du hast Glück. Eben weil ich Superheldenfilme mag, habe ich da schon ein paar Mal drüber nachgedacht.“ „Und?“ „Es ist jetzt keine Superkraft im Superheldensinne, aber ich habe das Gefühl, in unserer Gesellschaft ist sie eine – Selbstbewusstsein. Davon bräuchte ich ein bisschen mehr.“ „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen“, erwiderte Felix und als er bemerkte, dass Leonora ihn entgeistert ansah, setzte er fort: „Aber ich finde, dass du in letzter Zeit an Selbstbewusstsein gewonnen hast. Am Anfang unserer Mittagessen hast du dich kaum an unseren freundschaftlichen Neckereien beteiligt und wenn es um dich ging, bist du gleich rot angelaufen. Doch inzwischen ist es oft nur noch ein rosa Schimmer und du bringst Sprüche, die uns alle umhauen.“ „Okay“, meinte Leonora, immer noch etwas skeptisch. „Verstehe mich bitte nicht falsch, das soll keine Beleidigung sein, eigentlich eher ein Kompliment.“ „Dann nehme ich das auch als solches auf“, ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Welche Superkraft hättest du denn?“ „Ich hätte gern die Selbstheilungskräfte von Wolverine, aber so ausgeprägt, dass ich auch andere heilen kann“, antwortete Felix sofort. Leonora schluckte. „Wegen Fiona, oder?“, fragte sie leise nach. „Woher…?“ Felix sah sie erstaunt an und meinte nach einem Blick in ihr Gesicht: „Sie hat es dir erzählt.“ „Ja. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie es für euch beide war. Deine Superkraft kann ich vollkommen nachvollziehen. Und komme mir mit meiner total lächerlich vor.“ „Ach Quatsch. Jeder hat seinen eigenen Rucksack zu tragen, der eine leichter, der andere schwerer. Und ich weiß, dass ich es manchmal bei Fiona übertreibe. Ihr geht es gut, sie ist vollkommen gesund, aber diese Angst in mir, dass sie wieder zusammenbrechen könnte, lässt sich nicht abschalten.“ „Ängste sind gemein. Du kennst meine ja inzwischen auch schon“, erwiderte Leonora und blickte zu Felix auf. Er sah sie aufmunternd an und brachte sie damit zum Lächeln. „Wie sieht es aus? Lust auf einen Kaffee?“, fragte er, um die etwas gedrückte Stimmung zu durchbrechen. „Gern.“ Inzwischen waren sie am Café Schinkelwache am Theaterplatz angekommen und fanden noch einen Tisch im Außenbereich. Ein Kellner nahm ihre Bestellung auf und sie lehnten sich zurück, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. „Darf ich jetzt erfahren, warum ich schwarze Kleidung tragen sollte. Es wird in der Sonne ganz schön warm darin“, fragte Leonora. „Etwas gedulden musst du dich noch. Nach dem Kaffee machen wir uns auf den Weg und dann wirst du es erfahren.“ „Na gut.“ Am Tisch hinter ihnen saßen zwei junge Frauen, die sich ebenfalls unterhielten. Leonora hörte nicht zu, schnappte jedoch den Satz „Ich bin heute ganz schön k.o.“, auf und wurde durch das k.o. direkt wieder an die FSR-Party erinnert. Ich könnte hier nicht so unbeschwert mit Felix sitzen, wenn mir der Unbekannte damals nicht geholfen hätte. Sie schüttelte unbewusst den Kopf, um den Gedanken loszuwerden – sie wollte das Treffen mit Felix genießen – doch er nahm es wahr. „Ist alles in Ordnung?“ „Ähm, ja. Ich musste nur an etwas denken“, meinte Leonora sofort. „Nicht weiter wichtig.“ Sie tranken den Kaffee, Felix bezahlte für sie beide und dann setzten sie ihren Spaziergang fort. Über den Pirnaischen Platz ging es weiter Richtung Gläserne Manufaktur. „Warst du schon mal in der Gläsernen Manufaktur?“ „Ja, schon vor ein paar Jahren mit meiner Familie. Da haben sie noch den Phaeton gebaut“, antwortete Felix. „Inzwischen sind sie ja dabei, den E-Golf zu produzieren. Das würde mich schon interessieren. Es soll auch ein großes Programm drumherum geben, also in Form einer Ausstellung. Vielleicht hast du ja Lust, mit mir gemeinsam die Zukunft der Straße zu entdecken?“ „Sehr gern. Da haben wir auch gleich das Ziel für unsere nächste Unternehmung.“ Felix vermied das Wort Date lieber, er hatte das Gefühl, dass Leonora etwas beschäftigte, das ihre Verabredung betraf, weshalb er sie nicht weiter darauf stoßen wollte.   „Ist ganz schön was los hier“, bemerkte Leonora nach einer Weile. Karawanen von schwarz-gelb-gekleideten Menschen zogen sich durch die Straßen und entlang des Großen Gartens. „So sieht das immer aus, wenn Dynamo spielt. Da kann es regnen oder schneien – die Fans sind immer da“, erwiderte Felix. „Sie stehen halt zu ihrer Legende aus Elbflorenz.“ Leonora nahm den Satz zunächst so hin, doch dann blieb sie stehen und hielt Felix am Handgelenk fest. „Warte, warte, warte! Soll das heißen, man nennt Dynamo Dresden auch Legende aus Elbflorenz?“ Felix nickte nur und musste schmunzeln. Er konnte richtig sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. „Und Elbflorenz ist einfach nur ein anderer Name für Dresden?“ Felix nickte erneut. „Soll das heißen, dass wir zu dem Spiel von Dynamo gehen?“ Felix nickte abermals. „Wirklich?“ Das Schmunzeln in Felix‘ Gesicht verwandelte sich in ein breites Grinsen, als er die Eintrittskarten aus dem Rucksack zog. „Und damit du auch richtig ausgestattet bist, leihe ich dir einen Fan-Schal.“ Er holte einen gelb-schwarzen Schal aus dem Rucksack und legte ihn Leonora um die Schultern. „Jetzt verstehe ich auch, warum ich etwas Schwarzes anziehen sollte. … Danke!“ „Noch haben wir das Spiel nicht gesehen und das Stadion unsicher gemacht – vielleicht gefällt es dir gar nicht“, meinte Felix und zwinkerte ihr zu. Sie schlossen sich den Fanströmen Richtung Stadion an, passierten die Kontrollen am Eingang und machten sich auf den Weg zu ihren Sitzplätzen. Die Spieler machten sich auf dem Platz warm und wurden von ihren Fans angefeuert. Kurz vor dem Einlaufen der Spieler begann der Stadionsprecher mit dem sogenannten Einpeitschen. Er gab die Buchstaben des Wortes Dynamo einzeln vor und die Fans grölten jeden aus vollem Hals. „Oh wow, die Atmosphäre ist echt der Wahnsinn. Egal, ob man jetzt Fan ist oder nicht, es erzeugt eine Gänsehaut.“ Leonora berührte Felix‘ Ohr fast, als sie mit ihm sprach, sonst hätte er sie nicht verstanden. „Du hast den K-Block noch nicht erlebt!“, erwiderte er nur. Und er sollte recht behalten. Die Choreografien des Fanblocks waren beeindruckend und die Fangesänge sorgten für eine Gänsehaut. Leonora zückte immer wieder ihre Kamera und nahm die für sie als Neuling beeindruckenden Bilder auf. „Das ist schon eindrucksvoll“, meinte sie mit strahlenden Augen. „Aber mit den ganzen Fahnen vor dem Gesicht und der Teilnahme an der Choreo haben sie doch gar nichts vom Spiel.“ „Darum geht es auch nicht. Man unterstützt seine Mannschaft, feuert sie an und schaut sich dann am Abend die Zusammenfassung in der Sportschau an.“ Während es am Ende der ersten Halbzeit recht ruhig auf dem Spielfeld ablief, machte sich Felix auf den Weg zu einer der Imbiss-Stationen. Er kaufte je eine Bockwurst im Brötchen für Leonora und sich. Als er damit zurück war und ihr das Essen entgegenhielt, kommentierte er es mit: „Ein Stadionbesuch ist nichts ohne die Stadion-Bocki.“ „Danke schön.“ Leonora biss herzhaft hinein und beobachtete das Spiel weiterhin interessiert. „Du hast fast ein Tor verpasst, der Ball war wirklich nur ein paar Zentimeter an der Latte vorbei.“ Die erste Halbzeit verlief torlos und während sich die Mannschaften in die Umkleiden begaben, begann auf den Rängen das Pilgern zu Waschräumen und Imbissen. „Weißt du, was das Gute am Fußballstadion ist?“, fragte Leonora, als sie von der Toilette zurückkam. „Ich kenne schon einige Gründe, aber welchen findest du gut?“, erwiderte Felix mit einer Gegenfrage. „Dass hier die Schlange vor der Männertoilette ist.“ Leonora grinste. Und Felix grinste kopfschüttelnd mit.   Sie liefen mit den Fans gemeinsam die Straße entlang Richtung Hauptbahnhof. Die euphorische Stimmung nach dem Sieg der Mannschaft trug die Menschen förmlich voran. Immer wieder wurden Gesänge angestimmt, die sich durch die Menge weitertrugen. Auch Leonora verfiel in einen beschwingten Schritt und pfiff die Melodie mit, da sie den Text nicht kannte. „Danke, dass du mich mit ins Stadion genommen hast. Das war ein tolles Erlebnis.“ „Gern geschehen“, Felix sah sie lächelnd an und wie ganz zufällig schlossen sich seine Finger um ihre Finger. Leonora ließ sich nichts anmerken, erwiderte den Griff jedoch mit sanftem Druck. Ohne es richtig zu merken, waren sie mit dem Fanstrom am Hauptbahnhof angekommen und bogen nun ab zu Leonoras Wohnheim. „Ich wünschte, der Abend wäre noch nicht zu Ende.“ Sie standen sich gegenüber, ihre Finger waren immer noch ineinander verschränkt. „Er muss es ja noch nicht sein“, meinte Felix, kam noch einen Schritt näher auf sie zu. Ihre Blicke trafen aufeinander, sie verloren sich in den Augen des anderen. Felix trat noch dichter, beugte sich etwas zu ihr hinunter und seine Lippen berührten die ihren. Zunächst ganz sanft und behutsam. Als seine Finger sich aus Leonoras lösten, um sie in den Arm nehmen zu können, spürte er ihre Hände an seinem Brustkorb und wie sie ihn sachte von sich wegschob. Verwirrtheit stahl sich in seinen Blick. „Felix, ich glaube, ich kann das nicht.“ Entschuldigend sah sie ihn an. „Warum?“ „Ich…“, Leonora stockte. „Ich kann einfach nicht mit dir zusammen sein.“ „Warum willst du mir keine Chance geben? Gibt es noch einen anderen? Oder magst du mich einfach nicht?“, Wut schwang nun in seiner Stimme mit. „Ich mag dich sogar sehr!“ Felix sah sie kurz mit einem überraschten Blick an. „Was ist es dann?“, fragte er daraufhin, schon wieder etwas ruhiger. „Ich… ich kann es nicht richtig erklären. In meinem Kopf ist so ein was wäre, wenn.“ „Was meinst du damit?“ Leonora schwieg einen Moment, suchte nach Worten. „Bei der FSR-Party vor zwei Monaten muss mir jemand Rohypnol oder so etwas gegeben haben, doch bevor mir etwas passiert ist, hat mir ein Fremder geholfen.“ Sie seufzte und sah auf den Boden, wodurch ihr entging, dass Felix erstarrte. „Ich habe eine Anfrage in der caz gestartet und derjenige antwortete mir darauf. Nun schreiben wir uns seit zwei Monaten Nachrichten über die Kleinanzeigen. Ich frage mich einfach, was wäre, wenn mein Helfer vor mir stehen würde. Ob ihm eigentlich mein Herz gehören sollte.“ „Okay“, sagte Felix nur. Warum sieht sie nicht, dass ich es bin? Leonora sah wieder zu ihm auf, sah seinen versteinerten Gesichtsausdruck und ihr steckte plötzlich ein Kloß im Hals. Sie wollte etwas sagen, konnte es aber nicht. „Das musst du wohl mit dir selbst ausmachen. Melde dich, wenn du eine Entscheidung getroffen hast.“ Sie würde mir jetzt nicht glauben, dass ich es war. Sie würde nur denken, ich will sie für mich gewinnen. Er wollte zum Abschied ihre Hand nehmen, sie umarmen, doch er ließ den ausgestreckten Arm wieder sinken, seufzte und ging dann ohne ein weiteres Wort. „Felix…“, Leonoras Stimme war ganz leise und brachte ihn nicht zum Stehenbleiben. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Ich habe es voll versaut.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)