Wenn die Chemie stimmt von Atina ================================================================================ Kapitel 1: -----------   „Liebe ist im Grunde eine chemische Reaktion. Aber es macht Spaß, nach der Formel zu suchen.“ - Hildegard Knef -     „Oh wow, das geht hier ja schon richtig ab, obwohl es erst neun Uhr ist!“ „Scheinbar ticken die Uhren bei Fachschaftspartys etwas anders“, erwiderte Irina auf die Aussage ihrer Freundin Leonora. Die beiden Frauen waren zuvor noch nie bei einer Feier der Chemie-Fachschaft, jedoch vom ersten Augenblick an begeistert. Das Motto lautete „schwarz-weiß“ und einige Studenten waren stilecht in ihren Laborkitteln erschienen. Die Tanzfläche war voll, der DJ leistete entsprechend gute Arbeit, und auch alle Tische waren bereits besetzt. „Lass uns etwas zu trinken holen.“ Sie drängelten sich zwischen den Umstehenden und Tanzenden zur Bar durch, die mit vier Ausschenkenden versehen war. „Zwei Hugo, bitte!“, brüllte Leonora fast über die Theke, um sich verständlich zu machen. „Fünf Euro!“ Während sie das Geld zusammensuchte, goss der Barkeeper den Holundersirup mit Sekt auf, gab zwei Eiswürfel in die Gläser, gefolgt von kleinen Minzblättchen. Er schob die Gläser über den Tresen in Leonoras Richtung, derweil sie ihm den Geldschein übergab. „Danke.“ Mit etwas Glück fanden die beiden Frauen einen Stehplatz am Rand des Saals, an dem die Lautstärke der Musik erträglich war. „Hast du dir schon den neuen Praktikumsversuch für AC angesehen?“ „Wir haben doch heute erst den aktuellen abgearbeitet“, antwortete Irina, aus ihrer Stimme hörte man die Erschöpfung nach dem langen Tag im Labor heraus. „Ich weiß. Trotzdem ist das schon wieder in meinem Kopf.“ „Ich wollte mir den für den nächsten Labortag jetzt am Wochenende ansehen.“ „Okay. Das hatte ich auch vor. Wollen wir uns vielleicht am Dienstag im ersten Block in der Cafeteria treffen und das gemeinsam durchsprechen?“, fragte Leonora und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. „Gerne. Die Versuche haben es inzwischen echt in sich.“ „Oh ja. Manchmal frage ich mich, ob Chemie wirklich das richtige Fach für mich ist.“ „Ach Quatsch, wir kämpfen uns da gemeinsam durch!“, erwiderte Irina energisch. „Hey Mädels!“, unterbrach sie eine männliche Stimme. „Hallo Jörg!“ „Schön, dass du es auch geschafft hast.“ „Ja, bin nach dem Sport fix nach Hause zum Duschen und dann gleich her“, berichtete der Kommilitone. „Max wollte auch noch herkommen.“ „Da ist er auch schon. … Max!“, rief Irina und begann zu winken, um den Bekannten auf sich aufmerksam zu machen. „Hallo Leute.“ Der junge Mann umarmte seine Kommilitonen kurz zur Begrüßung. „Jörg, holen wir uns etwas zu trinken?“ „Auf jeden Fall. … Wir sind gleich wieder da.“ Zehn Minuten später waren auch die beiden mit Getränken versorgt. „Gehen wir eigentlich zum Poetry Slam in der Scheune?“, fragte Jörg, der Deutsch als zweites Fach im Lehramtsstudium gewählt hatte. „Wann war das nochmal?“, wollte Irina wissen, die ebenfalls Deutsch studierte. „Nächstes Wochenende.“ „Dann müsste das klar gehen.“ Auch Max und Leonora nickten. Sie waren mit Geographie und Englisch zwar nicht unbedingt die Lyriker, der Kunstform aber nicht abgeneigt. „Gehen wir auch vorab im Scheunencafé essen?“ „Oh ja, bitte. Die Thai-Gemüsenudeln sind so super lecker“, freute sich Leonora bereits. „Dann müssen wir aber bestimmt reservieren, sonst bekommen wir keinen Platz mehr“, meinte Max. „Ich übernehme das. 18 Uhr passt für alle?“, Irina sah in nickende Gesichter. „Gut.“ Sie lächelte und wippte im Takt der Musik mit.   Später am Abend war die Gruppe näher an die Bar gerutscht. Jörg hatte einen Stehtisch ergattern können. Eine neue Runde Getränke stand darauf, als die ersten Töne von Irinas Lieblingssong erklangen. „Oh, das muss getanzt werden!“, sie schnappte sich Max und Jörg und zog die beiden auf die Tanzfläche. Leonora weigerte sich bei diesem Lied und blieb lachend zurück. Sie lehnte sich mit dem Rücken an den Tisch und beobachtete ihre Kommilitonen beim Tanzen. Warum auch immer Irina gerade dieses Lied so feiert. Es ist einfach nur schräg. Nach einer Weile drehte sie sich herum und nahm einen großen Schluck von ihrem Cocktail. Die nächsten Lieder, die der DJ spielte, animierten etwas mehr zum Tanzen und Leonora bewegte sich im Rhythmus der Musik mit. Ihre Freunde waren nicht mehr von der Tanzfläche wegzudenken.   Als ihr Cocktailglas leer war, wollte sie sich ein neues Getränk an der Bar holen, doch die wenigen Schritte waren fast zu viel. Sie schwankte und musste sich am Tresen festhalten. „Hey Süße, ist alles in Ordnung?“ „Ich... ich weiß auch nicht.“ „Willst du dich vielleicht kurz hinlegen?“ „Nein, ich...“ „Meine Wohnung ist hier gleich um die Ecke. Du ruhst dich kurz aus und gehst dann nach Hause.“ „Ich...“ „Na komm, ich helfe dir.“ Der junge Mann griff nach ihrem Arm und zog sie von der Bar zum Ausgang. Mit einem Kopfnicken gab er seinen Freunden zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten. „Schatz, ist alles in Ordnung?“ Ein weiterer, junger Mann war auf die beiden zugekommen und legte seinen Arm um Leonora. Sie reagierte nicht, weshalb er sich an sein Gegenüber wandte. „Vielen Dank, dass du dich um sie gekümmert hast. Vermutlich hat sie zu viel getrunken, sie ist das Unileben noch nicht gewohnt. Also danke nochmal! ... Na komm, Schatz. Wir gehen nach Hause.“ Damit waren die beiden auf dem Weg zum Ausgang der Lokalität. Völlig perplex sah der Mann ihnen hinterher, seine Freunde waren zu ihm getreten und machten sich über ihn lustig.   „So, Kleine, bringen wir dich mal nach Hause“, sagte der junge Mann zu Leonora, als sie an der frischen Luft standen. „Wo wohnst du denn?“ „Ich… mir ist so… so schwindlig.“ „Komm, setz dich hin.“ Er begleitete sie zu einer Bank, die in der Nähe stand, und setzte sich neben sie. Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, während er in ihrer Handtasche nach einem Personalausweis suchte. „Ah, da haben wir ihn ja. Reichenbachstraße also. Gut, das ist ja nicht weit weg.“ Er legte den Ausweis wieder zurück an seine Stelle und half Leonora vorsichtig auf. Langsam, Schritt für Schritt begaben sie sich in Richtung Reichenbachstraße. Für den Weg, der sonst fünf Minuten in Anspruch genommen hätte, brauchten sie fast zwanzig Minuten. Immer wieder mussten sie Pausen einlegen, weil erneut Schwindel auftrat und Leonora nicht weiter gehen konnte. „Wir haben es gleich geschafft, nur noch ein paar Meter, dann kannst du in dein Bett.“ Er probierte mehrere Schlüssel aus, bevor er den richtigen fand und die Tür öffnen konnte. Mit seinem Arm stützend half er Leonora in den kleinen Flur, knipste das Licht an und verschaffte sich einen groben Überblick. Die Küche war gleich im Nebenraum, die Tür, die hinführte, stand offen. Es gingen noch drei weitere Türen vom Flur aus ab. „Welches Zimmer ist deins?“, fragte er, doch Leonora antwortete nicht. Die erste Tür, die er öffnete, führte ins Badezimmer. Die zweite war abgeschlossen, es war vermutlich ein weiteres WG-Zimmer, das momentan nicht besetzt war. Die dritte Tür war endlich Leonoras Zimmer. Der junge Mann drückte die Klinke herunter und zog sie in den Raum, sachte setzte er sie auf dem Bett ab. Sie sackte sofort zusammen. Er zog ihr die Schuhe aus und hob die Beine auf das Bett. Als die Decke über ihr ausgebreitet wurde, schlief sie bereits. Leise schloss er die Tür hinter sich. In der Küche suchte er sich Zettel und Stift und schrieb ihr eine Nachricht auf, dann verließ er die Wohnung und machte sich selbst auf den Weg nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)