Closer von Kathey ================================================================================ Closer ------ “I wanted it to be you. I wanted it to be you so badly.” - You’ve Got Mail, Dir. Nora Ephron.   [Gavin, 03:24: Und der Bodenstaubsauger kann ganz sicher keine Gefühle entwickeln?] [Toaster, 03:25: Gavin.] [Gavin, 03:25: Ich frage ja nur. Das Ding ist vorhin eine Stufe runter gefahren und lag dann ganz jämmerlich da, nicht, dass es jetzt traumatisiert ist.] [Toaster, 03:26: Ich führe diese Diskussion jetzt nicht schon wieder. Schon gar nicht um diese Uhrzeit.] [Gavin, 03:26: Da interessiere ich mich einmal für das Abweichlerdasein und dann das.] [Toaster, 03:26: Gute Nacht, Gavin.] [Gavin, 03:28: Spielverderber.]   Er ließ das Handy neben sich fallen und rieb sich über die Augen. Einen Moment lang überlegte er noch, Nines das Bild einer Schildkröte zu schicken, die auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte, um ihm eine Vorstellung von der Lage des Bodenstaubsaugers zu geben, aber er würde ohnehin keine Antwort bekommen. Noch dazu würde er den RK900 ohnehin in etwa… drei Stunden sehen. „Fuck.“ Nicht mal mit den zwei Wochen Krankschreibung hatte er es auch nur im Entferntesten geschafft, seinen zerschossenen Schlafhaushalt wieder zu ordnen, aber wie sollte man auch etwas fixen, das seit Jahren kaputt war?   ~*~   „Wieso hat mir keiner gesagt, dass die beschissene Kaffeemaschine kaputt ist?!“ Gavin wandte sich zu Tina um (nicht, ohne dem Schrank, auf dem die Maschine stand, noch einen kräftigen Tritt verpasst zu haben), die lächelnd an ihrem Wasser nippte. Wasser! Was sollte man mit Wasser, wenn kein Kaffee drin war? „Jetzt weiß ich wieder, was mir zwei Wochen lang gefehlt hat“, meinte Tina lächelnd. „Der angenehme Klang deiner Stimme, der am frühen Morgen durchs Revier hallt. Was für eine wunderschöne Melodie.“ Gavin schnaubte leise, ehe er sich zu Tina gesellte. Ohne Kaffee. Hatte er schon erwähnt, wie schlimm und ungerecht das Leben war? „Wie sieht’s hier aus? Ich hab‘ versucht, den Toaster auszuquetschen, aber er hielt es für ‚das Beste, mir im Zuge meiner Erholung sämtliche Details vorzuenthalten, um mich nicht unnötig aufzuregen‘.“ „Oho, ihr habt also miteinander kommuniziert? Während du krank warst? Spüre ich da so etwas wie… Zuneigung?“ „Halt die Klappe, Chen.“ Tinas zweites „Oho“ war noch lauter, noch wissender, und manchmal fragte sich Gavin wirklich, warum er mit dieser Frau befreundet war. Aber der einfachste und treffendste Grund dafür war wohl, dass er mit ihr genau dieselben Späße trieb, wenn es sich anbot. Der Detective sah auf, als jemand den Pausenraum betrat. Noch ehe er überhaupt ein Wort sagen konnte, wurde ein Kaffee neben ihm abgestellt. Das Barstucks-Logo. Ein Mocha Middle Light Frappucoffee, wie die angekreuzten Kästchen zeigten. Und auf dem Kaffee selbst stand in ziemlich schiefer Handschrift mit Edding „Det. Ried“. Sofort umklammerte er das Lebenselixier, starrte es mit großen Augen an. Ihm war gerade das Leben gerettet worden. „Morgen, Nines“, sagte Tina und betrachtete offensichtlich vergnügt das Geschehen vor sich. Gavin, wie er den Becher festhielt, bereit, jeden anzufauchen, der ihm zu nahe kam und den Androiden, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor ihnen stand. „Guten Morgen, Officer Chen. Guten Morgen, Gavin.“ Und gerade, als er sich aufraffen und sich wenigstens daran versuchen wollte, anständig Danke zu sagen, folgte ein drittes „Oho“ von Tina, und dieses Mal war es so laut, dass es quasi ein Wunder war, dass nicht das ganze Revier fragte, was sie gerade in Erfahrung gebracht hatte. „VORNAMENBASIS.“ Gavin runzelte die Stirn, als er zu Tina hinüber sah. Vornamen… Oh! Scheiße, ja! Vornamenbasis! Er hatte sich bisher noch absolut keine Gedanken darüber gemacht, wie das, was da bei ihm in der Wohnung passiert war, ihre Zusammenarbeit beeinflussen würde. Eigentlich gar nicht, weil sie beide professionell genug waren, um nichts davon mit auf das Revier zu nehmen. Dass Tina sich jetzt schon einen Reim allein auf die Tatsache mit dem Vornamen machen konnte, was wohl ihrem durch die Polizeiarbeit geschulten Instinkt zu verdanken. Oder dem Umstand, dass er irgendwann aufgehört hatte, über den RK900 zu lästern und vielleicht etwas handzahmer geworden war. Etwas. Kaum merklich. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, sah den Androiden mit einer Mischung aus Vorwurf und Dankbarkeit an, ehe er sich an Tina wandte. „Was soll ich sagen, das muss an meinem unwiderstehlichen Charme liegen.“ „Gavin, ernsthaft, du hast ungefähr so viel Charme wie eine ausgetrocknete Nacktschnecke.“ Neben sich hörte er den RK900 amüsiert schnauben, und am liebsten wäre er ihm auf den Fuß getreten, wenn das irgendeine Art von Reaktion hervorgerufen hätte. Aber da das nicht der Fall gewesen wäre, ließ er es einfach bleiben und starrte ihn stattdessen böse an. Nicht, dass das irgendwie etwas bringen würde, aber er fühlte sich danach wenigstens etwas besser.  „Du“, er deutete auf Tina. „Hast einfach keine Ahnung. Und du, Terminator, zeigst mir jetzt, was ich verpasst habe, klar? Und wenn ihr beide so weitermacht, dann rede ich nicht mehr mit euch und das hättet ihr dann davon!“   Es stellte sich heraus, dass das Leben in Detroit nicht leichter geworden war. Connor und Nines hatten wohl in Zusammenarbeit mit Hank ein kleines Grüppchen gefasst, der mit Red Ice handelte, aber noch immer verschwanden viele Androiden, die keine Arbeit oder eine Unterkunft hatten und entsprechend von niemandem vermisst werden würden. Noch immer gingen einige Leute auf die Straße, um gegen die neu gewonnenen Rechte der Androiden zu protestieren. Selbst auf dem Weg durch die Innenstadt sah man einige Schilder mit Aufschriften wie „Unser Blut ist immer noch rot“ oder anderen Anti-Androiden-Parolen. Es war seltsam und verknotete seinen Magen. Noch vor etwas mehr als einem Jahr hätte er sich wohl verdammt gerne selbst an einer solchen Bewegung beteiligt. Sollte noch mal einer sagen, dass sich Menschen nicht ändern konnten, huh? „Wann hast du das letzte Mal länger als sechs Stunden geschlafen?“ Sie standen gerade an einer Ampel, als Nines plötzlich zu reden begann. Sie hatten vorher nicht viel zu sagen gehabt - nicht, dass es Gavin wirklich gestört hätte, weil das Schweigen nicht wirklich unangenehm war. Umso überraschter war er jetzt, dass der Android plötzlich über seine Schlafgewohnheiten reden wollte. „Uh, warte, lass mich überlegen, das ist schon eine Weile her.“ Seine Finger trommelten nachdenklich auf dem Lenkrad, während er darauf wartete, dass sie Ampel auf grün umsprang. „Ich war definitiv länger als sechs Stunden weg vom Fenster, als mich Connor damals in der Asservatenkammer verprügelt hat.“ Die Reflektion von Nines‘ LED blinkte gelb und rot in der Beifahrerscheibe, und Gavin musste unfreiwillig schmunzeln, als der RK900 ihn danach geradezu beleidigt ansah. „Ich habe von Schlaf gesprochen, nicht von Ohnmacht.“ „Ist das nicht so ziemlich dasselbe?“ Gott, er liebte es, Nines zur virtuellen Weißglut zu treiben, so dass er sich so richtig menschlich die Nasenwurzel rieb oder die Schläfe massieren musste, weil er nicht wirklich wusste, wie er logisch an jemanden wie Gavin herangehen sollte. Weil er nicht wusste, dass Menschen nun mal verdammt selten logisch waren. Außerdem bedeutete es auch, dass da immer noch ein gewisser Abstand zwischen ihnen war. Egal, wie klein, er war da, und das war gut so. Eine Weile schwiegen sie sich wieder an, ehe der RK900 leise seufzte. Aus dem Augenwinkel sah Gavin, wie er leicht den Kopf schüttelte, ihn aber dennoch nicht ansah. „Manchmal frage ich mich wirklich, wie du es geschafft hast, überhaupt 37 Jahre alt zu werden.“ „Also erst mal schon aus Trotz“, erklärte Gavin und zuckte dabei mit den Schultern. „Und mit der Hilfe von Koffein. Viel Koffein. Uuund ich bin immer noch nicht Lieutenant geworden, das ist auch noch ein Punkt.“ Nines schien mit der Antwort erst einmal zufrieden zu sein, auch, wenn Gavin geradezu spüren konnte, dass das Thema noch nicht gegessen war. Toll. Großartig. Jetzt schien er schon Stimmungen von einer verdammten Blechbüchse zu empfangen! Was war nur aus seinem Leben geworden? In Ermangelung einer Idee für ein besseres Ende dieser Unterhaltung stieß Gavin den Androiden mit der Faust gegen den Oberarm.  „Kümmern wir uns erst mal um den Fall, danach kannst du immer noch besorgte Mutti spielen, ja?“ Einen Moment lang schwebte Gavins Arm in der Luft (gleich würde er sicher gesagt bekommen, dass er eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellte - mal wieder), ehe der RK900 mit sanfter Bestimmtheit nach seiner Hand griff und sie zurück ans Steuer navigierte. „Einverstanden.“ Niemand hätte ihm in diesem Moment weismachen können, dass Nines‘ Hand danach noch so lange auf seiner liegen musste, ehe er wieder losgelassen wurde.   Er wollte sich beim Anblick eines ausgebluteten Androiden nicht schlecht fühlen müssen, aber verdammt, es gab Dinge, die wollte man sich einfach nicht ansehen müssen. Wobei, im Grunde war der Android nicht mal ausgeblutet, er war wie leergesaugt. Keine Ahnung, welcher kranke Bastard so etwas machte, aber sie waren hier, um es herauszufinden, richtig? „Mindestens vier Paar Schuhe, Größen 40 bis 43“, meinte Nines, als er die Gegend rund um den Androiden gescannt hatte. „Sie wussten offensichtlich, wie sie am schnellsten an das Thirium kommen, die Leitung am Hals wurde aufgeschnitten, nachdem sie das Chassis gewaltsam geöffnet haben.“ Gavin besah sich den Hals des Androiden. Tatsächlich sah es nicht aus, als würde es neben dem großen Loch dort noch eine andere Verletzung geben. „Warte mal, die Arschlöcher haben ihn nicht vorher umgebracht. Das da ist die einzige Wunde, die er hat.“ „Ja. Er hat noch gelebt, als sie das Thirium entnommen haben.“ „Ugh. Das ist doch krank. Gibt’s Fingerabdrücke? Jeder Idiot in Detroit hat eine Schuhgröße über 40, das allein hilft uns nicht weiter.“ Während Nines die Leiche nach weiteren Hinweisen untersuchte, lief Gavin die dunkle Gasse ab. Vier Leute, die sich einen Androiden schnappten und ihn ausbluten ließen, um an das Thirium zu kommen. Früher hatten Leute so etwas schon aus Spaß gemacht, aber mittlerweile wurde es immer widerlicher. „Keine Fingerabdrücke. Ich habe noch eine Verbrennung am rechten Unterarm gefunden, aber offensichtlich waren die Täter sehr gründlich.“ Gavin blickte zu einem Mülleimer hinüber und zog eine Tüte aus der Jackentasche. „Stammt die Verbrennung von einer Zigarette?“ „Ja“, antwortete der RK900, als er näher trat und dem Detective über die Schulter sah. „Was hast du gefunden?“ Gavin hob mit einem triumphierenden Lächeln die Tüte hoch, in der ein Zigarettenstummel hin und her kullerte. Die Chance, dass das eine verwertbare Spur war, war nicht sonderlich groß, aber manchmal musste man nach jedem Strohhalm greifen. Wenn noch ein bisschen Arschlochspucke drankleben würde, würde das vielleicht schon reichen. „Etwas, das wir durch die Datenbank jagen werden, vielleicht hat die einer unserer Thirium liebenden Freunde hier gelassen. Komm, hauen wir ab. Ich hab‘ echt genug von diesem Ort.“ Fälle in Verbindung mit Red Ice und den dazugehörigen Kartellen, Drogenbossen und Unterhändlern ließen ihn meistens unruhig und paranoid werden. Aus den verschiedensten Gründen. Aber als Nines ihn fragte, ob alles okay war, winkte er nur ab. Es ging ihm gut. Alles war okay.   [Gavin, 00:41: Übrigens, danke für den Kaffee.] [Toaster, 00:42: Ein ansatzweise gesunder Schlafrhythmus wäre mir Dank genug.] [Gavin, 00:42: ╭∩╮(︶︿︶)╭∩╮] [Gavin, 00:42: Er zeigt dir den Mittelfinger, weil er findet, dass dich das nichts angeht.] [Toaster, 00:43: ...] [Toaster, 00:43: Gute Nacht, Gavin.] [Gavin, 00:43: Du bist langweilig und ich hasse dich.] [Toaster; 00:44: Aussage zur Kenntnis genommen und akzeptiert.]   Das Problem war nicht einmal, dass er nicht schlief. Das Problem war, dass er träumte. Und es waren in 90% der Fälle nicht die angenehmen Träume, die man gerne hatte. Ganz im Gegenteil.   ~*~   Die Datenbank hatte nach ein paar Tagen tatsächlich einen brauchbaren Treffer ausgespuckt. John Gabriel war die Art von Mensch, die einem sofort in den Sinn kam, wenn man das Wort „Junkie“ hörte. Gerötete Augen, schlechte Zähne, hibbelig, wahrscheinlich mindestens drei Krankheiten auf einmal. Es war nicht schwer gewesen, ihn zu finden, wenn man wusste, in welchen Ecken von Detroit man suchen musste. Und ja, vielleicht hatte Anderson ihnen dabei etwas geholfen, schließlich war er Teil der Red Ice Task Force gewesen, die damals einen großen Schmugglerring hatte hochgehen lassen. Was aber besonders wichtig war, war, dass es nicht sonderlich viel Überredungskunst brauchte, um John aus der Fassung zu bringen. Der Mann war über den Umstand, gefasst worden zu sein, so in Panik geraten, dass sich Gavin nicht mal mehr gewundert hätte, wenn er sich vor Angst in die Hose gemacht hätte. Wahrscheinlich wusste er, dass er sich nicht mehr bei seiner Bande blicken lassen musste, nachdem er von den Bullen erwischt worden war. Selbst, wenn er nicht reden würde, wäre er für sie ab jetzt ein potenzielles Risiko gewesen. „Willst du uns erzählen, was du am 25. so gegen… vier Uhr morgens gemacht hast?“, fragte Gavin, als er sich auf dem Platz dem Mann gegenüber setzte. Nines stand an der Tür, in Johns Rücken und der Detective sah, wie der sich immer wieder nervös umdrehte, als hätte er Angst, dass ihm der RK900 jeden Moment in den Nacken springen würde. Gavin schnippte mit den Fingern, um wieder die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. „Hmmm?“ „M-muss das Ding hier sein?“, fragte der Mann und schon jetzt bildeten sich sichtbare Schweißtropfen auf seiner Stirn. Gavin legte lediglich den Kopf schief und hob fragend die Schultern. „Das Ding? Welches Ding genau? Der Tisch? Die Akte? Die Tür?“ „Der Android!“ John wischte sich über das Kinn, als er das Wort quasi ausspie, und sah einen Moment lang aus, als wäre er am liebsten unter den Tisch gerutscht, hätten die Handschellen es nicht verhindert. „Oh, ja, mein Partner muss hier sein. Ist praktisch für Verhöre. Du willst wirklich nicht wissen, was der alles mit ein paar Hilfsmitteln anstellen kann. Der letzte Kerl, der hier saß, hat immer noch eine Büroklammer als Augenbrauenpiercing.“ Nines, der diese Spielchen mittlerweile einwandfrei mitspielen konnte, legte die Hände auf die Rückenlehne von Johns Stuhl, sagte keinen Ton, was ihn wahrscheinlich noch bedrohlicher wirken ließ und man, manchmal lieb- Phck, fand er dieses Plastikarschloch fast schon so etwas wie erträglich. Am Ende brauchte es nur noch weitere zehn Minuten, in denen Nines‘ Fingernägel über das Holz des Stuhls kratzten und er Gavin um einen Tacker bat, bis sie John soweit hatten, dass er ihnen vor Angst und Verzweiflung ein paar Namen ausspuckte, und verdammt, das alles hier war mittlerweile so viel leichter, wenn man böser Cop und böser Android spielen konnte. Klar, ein kleines Licht wie ihr panischer Junkie hier kannte nicht die großen Haie, die hinter dem Red Ice Geschäft steckten, aber sie würden immerhin eine weitere, kleine Gruppe zu fassen kriegen, und das war manchmal ein echt guter Anfang, wenn den Kartellen nach und nach das Geschäft wegbrechen würde. Für den Moment war das seltsame Gefühl in seinem Magen verschwunden. Für den Moment war er wirklich verdammt zufrieden.   [Nines, 23:10: Geht es dir gut?] [Gavin, 23:15: Wir haben einen kleinen Schmugglerring so gut wie dingfest gemacht, nur Katzenbabys und Kaffee würden mich glücklicher machen.] [Nines, 23:16: Das ist beruhigend, aber keine konkrete Antwort.] [Gavin, 23:16: Nines] [Gavin, 23:16: Alles i.O.] [Gavin, 23:16: Tiptop] [Gavin, 23:17: Und jetzt rutsch mir den Buckel runter!]   Nah war okay. Zu nah war ein Problem. Zu nah barg immer die Gefahr, dass er es wieder einmal versaute. Und ausnahmsweise wollte er genau das nicht.   ~*~   „Jede Zigarette verkürz-“ „Nines, Nines, shhhhh, lass mich meine Feierabendzigarette genießen, ja? Sei so gut.“ Der Android verschränkte wie üblich die Hände hinter dem Rücken und schwieg. So, dass Gavin direkt spürte, wie er immer noch verurteilt wurde. Sogar die beschissene LED blinkte gerade wieder auf. „Scannst du mich gerade? Ich schwöre bei Gott, wenn du mich scannst, tret ich dir in die nicht vorhandenen Nüsse.“ „Du würdest dir dabei nur den Fuß brechen“, merkte der RK900 leise an und man, er hasste es, wenn der Mistkerl Recht hatte. Musste er ihm das immer wieder ins Gesicht schmieren? „Und ja, ich habe dich gescannt. Dein Stresslevel ist angestiegen, seit wir den Fall aufgenommen haben, vor allem bei der Untersuchung der Leiche und jetzt, nachdem wir die Namen von ein paar Verantwortlichen kennen, ist es noch höher. Ich habe mich nur gefragt, ob es die Arbeit an sich ist, der Mangel an Schlaf oder ob das Problem in deiner Vergangenheit begraben liegt.“ Oh nein. Auf keinen Fall gingen sie jetzt diesen Weg! Den, in dem Nines Psychoanalytiker spielte und so tat, als würde er verstehen, was in einem Menschen vorging! Gavin biss die Zähne zusammen und sah zu seinem Androiden hinüber. „Das hab‘ ich jetzt davon, dass ich dir irgendwas erzählt habe.“ Einen Scheiß hätte er dem Androiden sagen sollen. Er hätte weder von Alex reden sollen, noch von dem Fall damals, der ihm die Narbe auf der Nase eingebracht hatte, noch von sonst irgendetwas! Am Ende wurde es doch sowieso wieder nur gegen ihn verwendet! Er schluckte, weil ihm das Herz schon wieder bis zum Hals schlug. Was hatte dieser verdammte Plastikarsch nur an sich, dass er seine Stimmungen sofort von einem Hoch in ein Tief und wieder zurück befördern konnte? „Du musst damit aufhören, ein paar echt persönliche Grenzen zu überschreiten, Toaster.“ „…Du hast mir keine gesetzt.“ Die Asche seiner Zigarette fiel direkt auf seinen Schuh. Gavin sah es, aber gerade fühlte sich alles einfach nur irgendwie… dumpf an. Taub. Er hatte ihm keine Grenzen gesetzt? Er hatte nicht geglaubt, dass das nötig sein würde? Dass man jemandem sagen musste, dass er seine Nase aus bestimmten Angelegenheiten herauszuhalten hatte? Nines stand vor ihm, und für seine Verhältnisse sah er sogar fast besorgt und schuldbewusst zugleich aus. Es war zum kotzen. „Ich dachte, dieser eine Abend in deiner Wohnung hätte unser Verhältnis verändert“, erklärte der RK900 dann, während seine Hände wohl etwas hilflos in der Luft hingen. Gefühle waren auch für Androiden richtige Arschgeigen, huh? „Dass es dich verändert hätte.“ Gavin ließ die ohnehin schon erloschene Zigarette fallen und trat sie mit dem Hacken in den Boden, so fest, dass ihm der Fuß danach schmerzte. „Du denkst, mir Essen zu machen und mit mir rumzuknutschen ändert plötzlich mein gesamtes Weltbild? Dass ich dann alles vergesse, was jemals war und mich heulend in deine Arme werfe? Deine Arroganz kennt echt keine Grenzen, oder? Ich bin doch nicht hier, um mich von dir ändern zu lassen?“ Noch mehr, als ohnehin schon? Wie viele Drehungen, Wendungen und Schritte nach vorne, nach hinten und zur Seite sollte er denn verdammt noch mal noch machen? Sein Leben war so viel einfacher gewesen, als man Androiden noch einfach hassen konnte, als man sich noch nicht um deren Gefühle scheren musste. Als da noch ein gewisser Abstand war. Genug, um nicht alles zu sehen. Genug, um nicht komplett gesehen zu werden. Er vermisste diese Zeit ein wenig. „Gavin…“ „Geh nach Hause, Nines.“   „Lass das. Ich will gerade schlechte Laune haben.“ Marbles stieß mit dem Kopf immer wieder unter sein Kinn, knetete seine Knie mit ihren Krallen durch und schien gerade alles dafür tun zu wollen, damit es ihm besser ging. Inklusive beruhigendem Schnurren. Ugh. Empathisches, kleines Aas. Widerwillig kraulte er durch das weiche Fell und ließ sie gewähren, während er auf den Fernseher starrte. Und sich scheiße fühlte. Gott, konnte er irgendwann einmal kein kompletter Arsch und Vollidiot sein, nur, weil es der einfachste Ausweg war? „Guck nicht so, ich werde mich sicher nicht entschuldigen. Nicht meine Schuld, dass er sich sonst was einbildet!“ „Mreow.“ „Hallo? Ich hab‘ vielleicht auch meinen Stolz?!“ Gavin sah auf, als es an der Tür klingelte. Seit Stunden hatte er nicht mehr aufs Handy geschaut, in einem Anflug von Wut und durchaus falschem Stolz. Wahrscheinlich wollte er nicht mal wissen, wer vor der Tür stand, obwohl er eine Ahnung hatte. „Was willst du?“, fragte er, noch ehe die Tür überhaupt vollständig geöffnet war. Die LED des Androiden blinkte ihn gelb an, und er rieb sich entnervt die Nase, ehe er seufzend zur Seite trat. „Du weißt einfach nicht, wann Schluss ist. Ich hätte morgen schon wieder vergessen, was heute war.“ Okay, das war gelogen, er konnte Groll lange mit sich herumtragen, aber vielleicht hätte er es zumindest auf ein Minimum reduzieren können. Zur Abwechslung mal. Vielleicht wären noch ein paar bissige Kommentare gefolgt, aber das wäre auch alles gewesen. Weil das bei ihnen beiden einfach so war. Erst, als er die Tür hinter Nines geschlossen hatte, fiel ihm der Karton auf, den der Android mit sich herum trug und die Aufschrift „Kyle’s Pizza Paradise“ trug. „Du hast Pizza mitgebracht“, stellte Gavin trocken fest, während der Android galant aus seiner Jacke schlüpfte, noch immer mit dem Karton in der Hand. Und wieder hasste er ihn ein bisschen mehr, dafür, weil er sich selbst sicher schon fünf Mal im Stoff verheddert hätte und die Pizza schon irgendwo auf dem Boden gelandet wäre. „Du isst kaum, wenn du schlechte Laune hast. Ich dachte, es wäre zumindest nicht verkehrt, sie dir mitzubringen.“ „Um elf Uhr nachts?“ „Wieso nicht? Wolltest du gerade schlafen gehen?“ Der Android hatte die Dreistigkeit, ihm dabei zuzuzwinkern und Gavin rollte nur mit den Augen, ehe er ihm den Karton abnahm. „Ehrlich. Fick dich.“ Es war verdammt schwer, lange böse auf diesen kleinen Arsch zu sein, wenn er so war. Es kümmerte ihn, was mit Gavin war, auch, wenn er ihm so oft ins Gesicht gespuckt hatte, dass es dem Androiden eigentlich langsam alles egal sein müsste. Warum war dieses Gefühl eigentlich so angenehm? „Ich gehe mir kurz die Hände säubern. Dieser Karton gehört zu den abstoßendsten Dingen, die ich jemals angefasst habe.“ „Du… hattest vor nicht allzu langer Zeit ein paar menschliche Innereien in der Hand, aber die Pizza ist abstoßend?“ Nines trat aus der Küche, rieb sich die noch feuchten Hände und hob kurz die Schultern. „Ich weiß, was ich gesagt habe.“ Gavin schnaubte leise, ehe er sich wieder auf die Couch fallen ließ und den Karton auf dem Tisch abstellte, wo er sofort neugierig von Marbles beschnuppert wurde, ehe sie auf die Lehne der Couch sprang, um den Androiden zu begrüßen, der sie sofort zu kraulen begann. „Und die Pizza ist ein Friedensangebot?“, fragte Gavin dann, als sich der Android so förmlich neben ihn setzte, dass er ihn am liebsten in die Magengrube geschlagen hätte. Es hätte wieder keine Reaktion hervorgerufen, aber der Drang war trotzdem da. „Hm, funktioniert es denn?“, fragte der RK900, während Gavin an der Verpackung nestelte. „Kommt ganz drauf an, was drauf ist.“   Wäre Gavin nicht eingefallen, dass sie letztes Jahr an Silvester Pizza aufs Revier bestellt hatten, hätte er es ziemlich unheimlich gefunden, dass Nines von seiner Vorliebe für Peperoni wusste. Und für Pulled Pork. Und dass er seine Pizza mit doppelt Käse mochte. „Wenn du mir jetzt erzählst, dass du einen Unterordner in deinem hübschen Köpfchen hast, in dem alle meine Vorlieben gespeichert sind, wird es langsam echt unheimlich.“ „Dann unterlasse ich es lieber.“ Gavin lachte leise auf. Es war seltsam. Normalerweise waren Leute sauer auf ihn, wenn er sie angekeift hatte, egal, ob es berechtigt war oder nicht. Normalerweise redete man dann tagelang nicht mit ihm, aber man brachte ihm ganz sicher keine Pizza vorbei. Und er war meistens zu stolz, um sich zu entschuldigen, also blieb es dabei, dass ihn die Leute für ein Arschloch hielten und um ehrlich zu sein, war das einfacher, als sich mit Dingen auseinandersetzen zu müssen. Als zuzugeben zu müssen, dass er Fehler gemacht und Leute verletzt hatte. „Es tut mir leid“, begann der Android dann mit im Schoß gefalteten Händen, während Gavin noch mit seiner Pizza beschäftigt war. „Wenn ich Grenzen überschritten habe. Diese ganze Sache mit den Gefühlen ist für mich immer noch neu und zugegebenermaßen auch etwas überfordernd.“ „Hast du den Kassenbon noch? Dann gib sie einfach bei CyberLife zurück.“ „Und ich bin wirklich unglaublich froh, einen so kompetenten Ansprechpartner in dieser schwierigen Lage zu haben. Das macht so vieles einfacher.“ Uff. Er hatte dem Androiden so viel gute und nützliche Dinge beigebracht, allem voran Sarksamus, gleich mitsamt dazugehörigem Tonfall und das zahlte sich endlich aus. Gavin hob den Mittelfinger in Nines‘ Richtung, hörte dem Androiden dann aber aufmerksam zu, als der weiter redete. „Bevor ich dem DPD zugewiesen wurde, wusste ich gar nichts. Hatte ich gar nichts. Ich wurde ein Abweichler, ohne all die Erfahrungen gemacht zu haben, die ein Android normalerweise macht, ehe er von seiner Programmierung abweicht. Und mittlerweile habe ich ein Zuhause, eine Aufgabe, eine Katze, einen Partner, und einen Namen.“ „Seien wir ehrlich, ‚Nines‘ ist jetzt nicht gerade eine Glanzleistung an Namensgebung.“ „Ich mag ihn. Schon allein deswegen, weil er von dir kommt.“ Nines entwaffnende Ehrlichkeit war furchtbar. Und ekelhaft. Und irritierend. Gavins natürlich verankerter Fluchtinstinkt setzte dabei fast wieder ein, weil der RK900 das unmöglich alles ernst meinen konnte. „Die anderen Namen haben dir nicht so gefallen, das ist ihnen gegenüber schon ungerecht, oder?“   „Was ich damit sagen wollte, bevor du mich - wieder einmal - rüde unterbrochen hast, ist: Ich bin beim letzten Mal vielleicht mit dem Kopf durch die Wand, ohne zu wissen, worauf wir uns einlassen. Aber ich würde mir wünschen, dass das funktioniert. Egal, wie lange es dauert. Egal, wie oft du vielleicht versuchst, mich wegzustoßen und egal, wie oft ich Grenzen überschreite. Wir sind einander wahrscheinlich die größte Herausforderung, aber ich bin mir zu 86,5% sicher, dass wir das mit ein wenig Geduld schaffen können.“ Dieser… er wollte wirklich, dass sie das hinkriegen würden, was? Egal, wie beschissen sie darin waren und egal, wie oft sie sich auf die Füße traten. Er wollte das wirklich. Er wollte sich wirklich all die Mühe machen. Die Mühe, jemanden wie Gavin Reed zu verstehen und gern zu haben. Konnte er sich nicht eine einfachere Aufgabe suchen? Nackt auf den Himalaya zu klettern zum Beispiel? „Pff. Okay? 86,5% klingen jetzt nicht nach einem beschissenen Ausgangswert, oder?“ „Ja. Aber wenn du mir jetzt sagen solltest, dass ich mir damit schon wieder etwas vorgenommen habe, überlege ich ernsthaft, dein Gesicht in die restliche Pizza zu drücken.“ Gavin warf mit offenem Mund die Hände in die Luft. Was zum Fick war denn verkehrt mit diesem miesen Stück Plastik?! „Hey, jetzt mach mal halblang! Wo kommt diese Arschloch-Attitüde so plötzlich her?“ Der Android lächelte sanft, ehe seine Hand Gavins Wange fand. „Ich lerne vom Besten.“ Gavin hätte ihm gerne gesagt, dass er als Vorbild ganz besonders beschissen geeignet war, aber der Kuss unterbrach ihn, noch ehe er überhaupt ein Wort gesagt hatte.   ~*~   In den nächsten zwei Wochen nahmen sie vier weitere Verdächtige fest. Die, von denen John erzählt hatte, und noch zwei weitere. Sie bekamen noch ein paar Namen, noch ein paar Hinweise. Das Kartell war groß, aber jeder Schritt nach vorne war ein Schritt in die richtige Richtung. Und es war einfacher, wenn Nines dabei war, manchmal auch selbst die Verhöre übernahm, wenn er mit Gavin zusammen nach Hinweisen suchte und mit ihm bis in die tiefste Nacht Akten wälzte und ihn am Kragen packte und in hohem Bogen aus dem Revier warf, wenn er es wieder einmal übertrieb. „Geh nach Hause, ehe du noch umfällst“, meinte der RK900 irgendwann, als er Gavin das Tablet aus den Händen nahm. Der Detective streckte sich müde und gähnte herzhaft, leistete noch etwas Widerstand, der nicht viel half, da seine Arme zu kurz waren, um wieder nach dem Tablet zu greifen, ehe er sich ergab und seine Jacke schnappte. Einen Moment verharrte er, ehe er auch nach der von Nines griff und sie ihm reichte. Auf die gelb leuchtende LED hin zuckte er nur die Schultern. „Was hältst du davon, wenn du mitkommst?“   „Es macht keinen Sinn, dass sie sich aufteilen. Der Mörder würde sie in der Gruppe schlechter zu fassen bekommen.“ Gavin seufzte leise und bereute den Umstand, den Androiden zu einem Filmabend eingeladen zu haben, ungefähr das dritte Mal seit der letzten Stunde. Gut, vielleicht hatte er sich auch nicht für den kulturell ansprechendsten Film entschieden, aber Nines hatte ihm nach dem anderen Vorschlag - Terminator - so vorwurfsvoll angesehen, dass er sich schnell für etwas anderes entschieden hatte. Einen Horrorfilm, den der RK900 mit jeder Minute mehr auseinander nahm. „Genieß den Film und halt die Klappe.“ „Dieses Verhalten ist derart unlogisch, niemand mit mehr als einer funktionierenden Gehirnzelle sollte diesen Film ernsthaft genießen können.“ „Hey, das ist einer meiner Lieblingsfilme, du Arsch.“ Er sah den Androiden aus dem Augenwinkel wissend lächeln und schlug ihm gegen die Schulter, mit dem Ergebnis, dass sich seine Finger danach taub anfühlten und leicht pochten. Wichser. „Würdest du bitte davon absehen, dich bei jeder möglichen Gelegenheit zu verletzen?“, fragte Nines leise, während er nach Gavins Hand griff und über die Fingerknöchel strich. Gavin äffte ihn vorwurfsvoll nach, ließ aber seine Hand, wo sie gerade war. Sollte sich der Plastikarsch um das kümmern, was er verzapft hatte.   „Was machs‘ du, zum Teufel?“ Sein Hinterkopf kollidierte mit irgendetwas Weichem, das er nach ein paar Sekunden als sein Kissen identifizierte. „Dich ins Bett bringen, nachdem zu das dritte Mal unter Schreien und Blutfontänen weggenickt bist. Ich bin mir nicht sicher, wie das möglich ist, aber ich bin auch nicht mehr wirklich überrascht.“ Gavin rieb sich über die Augen, sah Nines‘ verschwommene Umrisse, als er versuchte, die Augen zu öffnen. Er konnte sich daran erinnern, einmal gegen die steinharte Schulter des Androiden gelehnt weggepennt zu sein, aber auch ein zweites und drittes Mal? Scheiße, er musste wirklich übermüdet sein. Überraschung aber auch. „Wir sehen uns morgen“, hörte er den Androiden sagen, ehe er versuchte, nach dessen Ärmel zu fischen. Als er etwas Stoff zu fassen bekam, hielt Nines wohl erst einmal inne. Gavin setzte sich auf, rieb sich mit der freien Hand über die Augen und sah den RK900 dann an, als hätte er gerade gesagt, dass er unbewaffnet durch ein Kriegsgebiet rennen wollte. „Du willst mitten in der Nacht durch die Stadt laufen, die gerade Androiden für ein bisschen blaues Blut abmetzeln?“ Zu seiner Überraschung begann Nines nur leise zu lachen. Mistsack. Das war gerade sein verdammter Ernst, hallo? „Gavin, ich kann einen Menschen auf mindestens 80 verschiedene Arten umbringen, ohne irgendein Hilfsmittel zu haben. 240, wenn du mir eine Büroklammer mitgibst. Ich werde zurechtkommen.“ „Nun, das ist echt gruselig und echt heiß zugleich - guck nicht so, du kennst mich - aber das wäre echt dämlich und unnötig und wir haben morgen früh eh denselben Weg und…“ Ein Wort. Es war nur ein verdammtes Wort und er konnte es wieder einmal kaum über sich bringen, es auszusprechen, obwohl Nines ihn ziemlich erwartungsvoll ansah. Scheiße. Verdreckte Kackmistscheiße. „Bleib.“   Er war sich nicht ganz sicher, wie oft er in dieser Nacht wach wurde. Und er wusste nicht mit Sicherheit, ob sich Nines überhaupt selbst in den Standby versetzt hatte oder ob er einfach nur die ganze Zeit wach neben ihm lag, die Arme um Gavins Bauch geschlungen und ihn dabei beobachtete, wie er versuchte, so etwas wie Ruhe zu finden. Was er mit Sicherheit wusste, war, dass er dem RK900 irgendwann mal vor Schreck den Ellbogen ins Gesicht gerammt hatte, weil er es schlichtweg nicht mehr gewohnt war, dass jemand so dicht bei ihm schlief. Sein Musikantenknochen hatte sich mit viel Gesang dafür bedankt und Gavin hatte sich ausnahmsweise fünf Mal panisch entschuldigt (morgen würde er das auf den Schlafmangel schieben), während er Nines nur leise hatte schnauben hören. „Alles gut“, hatte ihm der Android versichert, während er die hoffentlich nicht aus dem Gesicht gefallene Nase in Gavins Haar vergraben hatte. Er schloss die Augen wieder, als er die Lippen auf der Kopfhaut spürte. „Alles ist gut.“   Es war unfassbar, wie gut es tat, das einmal von jemand anderem zu hören, und es sich nicht nur selbst einzureden.   ~*~   „Oho!“ Gavin rollte so hart mit den Augen, dass es ihn glatt wunderte, dass er nicht sehen konnte, ob Nines hinter ihm nicht dasselbe tat. Statt Tina die Aufmerksamkeit zu geben, die sie gerade offensichtlich haben wollte, nahm er einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und hob nur die Augenbrauen. „Vornamenbasis, ihr kommt zusammen zur Arbeit. Gav, ich bin deine beste - und einzige - Freundin, gibt es irgendwas, das du mir sagen willst?“ „Ich kenne Orte in Detroit, an denen niemand Officer Chen finden würde“, meinte der RK900, während er Tina mit den Augen fixierte wie der Jäger seine Beute, ehe der Detective ihn in die Seite stieß. „Hör auf“, sagte Gavin feixend, als er Tinas Gesicht einen Moment lang entgleisen sah. „Sie ist wirklich meine einzige Freundin, ich würde sie schon gerne noch eine Weile behalten. Aber wir können gerne noch mal über Connor diskutieren.“ Er sah, wie sich Tina die Schlüssel für ihren Streifenwagen schnappte und nahm den Klaps, den sie ihm im Vorbeigehen auf den Hinterkopf gab, als gegeben hin. „Ihr seid furchtbar und verdient einander.“   [Nines, 20:05: Was machst du normalerweise, wenn du nicht schlafen kannst?] [Gavin, 20:08: Reichen Stichpunkte oder willst du einen Aufsatz?] [Nines, 20:08: Stichpunkte genügen.] [Gavin, 20:11: Dumme TV-Shows schauen, ins 24/7 Fitnessstudio rennen, bis ich umfalle, einen One-Night-Stand bei Grindr suchen, also Sex ist generell okay, meinem Androiden auf den nicht vorhandenen Sack gehen, Prügeleien sind auch eine Option, Veilchen lassen sich aber bei Fowler beschissen erklären] [Nines, 20:13: Vielleicht kann ich ja einen Punkt auf der Liste bedienen.] [Gavin, 20:13: Yay!] [Gavin, 20:13: Bitte lass es die Prügeleien sein!]   Vielleicht war zu nah doch nicht immer ein Problem. Vielleicht war es okay, es zuzulassen, wenn es um Nines ging.   „Alles ist gut“, hörte er Nines gegen seine Lippen murmeln, während sie rücklings ins Bett stolperten, damit Nines den versprochenen Punkt von der Liste erfüllen konnte, der dann am Ende doch nicht die Prügelei gewesen war. Gavin war nicht wirklich betrübt darüber.   Und ausnahmsweise wollte er auch glauben, dass wirklich alles gut war - oder werden würde, mit ein wenig Hilfe. Ein wenig Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)