Was einen Engel ausmacht von Platypusaurus ================================================================================ Kapitel 1: Fesselnde Fragen --------------------------- „Ich hasse Hexen!“, verkündete Dean finster und gab sich Mühe, seinem leidenschaftlichen Ekel mit jeder einzelnen Silbe Ausdruck zu verleihen. Wobei es Ekel in Rowenas Fall nicht ganz traf – aber Hexe war und blieb eben Hexe. „Und Crowley“, fügte Sam grimmig von der Beifahrerseite aus hinzu, seine normalerweise so ruhige Stimme von etwas verzerrt, das tatsächlich annähernd wie Hass klang. „Und Crowley!“ Dean nickte verbissen. Er konnte schließlich schlecht zugeben, dass er auch ein bisschen beeindruckt vom König der Hölle war. Ein klitzekleines Bisschen. Fies war Crowley ja schon immer gewesen, und ein Experte in Sachen doppeltes Spiel sowieso. Dean war nur leichtsinnigerweise davon ausgegangen, dass sie es inzwischen (insbesondere nach seiner Zeit als Crowleys bester Dämonenkumpel) vielleicht eine Spur einfacher mit ihrem mal-Feind-mal-Verbündeten hatten. Tja, falsch gedacht … Wie um sich zu vergewissern, dass Cas sich nicht ohne Weiteres in Luft aufgelöst hatte, warf Dean beim Fahren einen schnellen Blick in den Rückspiegel. Nicht, dass es ihm unter gegebenen Umständen so einfach möglich gewesen wäre, mir nichts, dir nichts aus dem Impala zu verschwinden, aber die Erfahrung hatte Dean auf die harte Tour gelehrt, die Gesellschaft des Engels nicht immer als selbstverständlich hinzunehmen. Sogar dann, wenn Crowleys und Rowenas Hinterhalt aus einem Fluch in Form von magischen Fesseln bestanden hatte, die es ihm unmöglich machten, zu fliegen. Aber ja – Cas saß unbewegt auf seinem angestammten Platz, mittig der Rückbank, und er erwiderte Deans prüfenden Blick aus ernsten Augen, sein Ausdruck dabei seltsam gequält, was Dean in noch höhere Alarmbereitschaft versetzte. Selbst das schwindende Tageslicht in der bereits einsetzenden Dämmerung konnte nicht über die aschfahle Blässe in Cas‘ Gesicht hinwegtäuschen, und Dean drückte noch eine Spur härter aufs Gas. Er hätte Cas gern aufmunternd auf die Schulter geklopft, was vom Fahrersitz aus natürlich nicht ging, oder wenigstens irgendetwas gesagt, einen blöden Spruch, um seine Laune etwas zu heben, aber ihm fiel nichts ein. Was sollte man auch schon zu einem Seraph sagen, der vom König der Hölle und dessen Hexe von Mutter verflucht worden war? „Spürst du schon irgendwas, Cas?“ Die Stimme seines Bruders neben sich rüttelte Dean in diesem Moment wach, was dafür sorgte, dass er den Blick wieder fest auf die Straße richtete. Sie sicher und so schnell wie möglich zum Bunker zu fahren, war das einzige, was er im Augenblick für Cas tun konnte, und wenn er jetzt einen Unfall baute, nur weil er zu lange mitleidig in den Rückspiegel gestarrt hatte, würde er sich das unter Garantie nie verzeihen. Das Ächzen, das Cas hinter ihm auf Sams Frage hin ausstieß, gefiel ihm jedenfalls überhaupt nicht. „Ich kann nicht mehr fliegen, wie du weißt“, antworte Castiel mit unverhohlener Bitterkeit. „Und ich empfange die Stimmen der anderen Engel nicht mehr. Bis eben gerade konnte ich sie noch hören.“ Dean fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Der Fluch, der Cas getroffen hatte, wirkte seit kaum einer Stunde – und sollte schon derart gravierende Folgen haben? Na schön, die Flugunfähigkeit war, unter gegebenen Umständen, vermutlich nicht zu vermeiden, und hatte sich bereits unmittelbar nach der Freisetzung von Rowenas Magie bemerkbar gemacht. Aber das stumm geschaltete Engelsradio … „Sind das nicht sozusagen zwei deiner wichtigsten Eigenschaften, so als Engel?“, fragte er über die Schulter. „Fliegen und Engelsfunk? Abgesehen vom Mojo allgemein, dem Heilen, natürlich, und dem anderen … typischen Zeug?“ Dean musste nicht in den Rückspiegel sehen, um zu wissen, dass Cas mit den Augen rollte, und eigentlich war auch Sams Seufzen keine wirkliche Überraschung. „Ja, Dean, die Art der Fortbewegung und die Kommunikation mit Artgenossen sind zwei der elementarsten Eigenschaften für die allermeisten Spezies!“, sagte Cas, sein Tonfall für seine Verhältnisse erstaunlich säuerlich. Dean konnte sich nicht daran erinnern, wann Cas, jenseits von Apokalypse und manipulativen, übernatürlichen Einflüssen, zuletzt so die Fassung vor ihm verloren hatte, und er musste sich beinahe Mühe geben, keine schweren Konter aufzufahren. Doch wer verflucht war, galt natürlich als entschuldigt – ganz besonders Cas. „Die Art der Fortbewegung und der Kommunikation bestimmen den Lebensraum und die soziale Struktur“, murmelte Sam zustimmend, „Oder andersrum. Je nachdem, von welchem Standpunkt aus betrachtet.“ Dean hätte ihn für seine Klugscheißerei gern strafend in die Seite geknufft, wenn die Straße nicht ausgerechnet in diesem Moment einen scharfen Knick gemacht hätte, und seine rechte Hand deshalb an den Schaltknüppel zwang. Sam war nicht verflucht und verdiente keine Sonderbehandlung – aber Dean sah ein, dass es sie nicht weiterbrachte, wenn er jetzt auch noch einen Streit vom Zaun brach. „Schon gut, schon gut. Bin schon still“, blaffte er deshalb etwas ruppig über das Aufdonnern des Motors hinweg, als er Baby nach der Kurve wieder beschleunigen ließ. „Ich fahre, ihr klärt die Lage.“ „Okay.“ Sam räusperte sich, drehte sich auf seinem Platz halb herum; vermutlich, um Cas über die Rücklehne der Vorderbank hinweg ansehen zu können. „Wie geht es dir körperlich, Cas? Deiner Hülle, meine ich?“ Eigentlich zwei außerordentlich gute Fragen. Bisher hatte Dean sich ausschließlich auf sein optisches Ermessen und das eigene Bauchgefühl verlassen, da Cas nicht so wirkte, als würde er jeden Moment … nun ja, einfach tot umfallen. Bei so viel Erfahrung mit dem Übernatürlichen vergaß man bisweilen schlichtweg, ein Fluchopfer einfach nach dessen persönlicher Einschätzung zu fragen. Sogar, wenn es sich dabei um einen Seraph und den eigenen besten Freund handelte. Da Cas nicht unmittelbar auf seine Frage antwortete, setzte Sam schließlich nach: „Der Fluch betrifft doch nur deine Hülle direkt, oder? Er wirkt von der Hülle aus auf deine Fähigkeiten als Engel. Oder haben wir vorhin vielleicht was übersehen? Etwas, das wir gar nicht sehen können?“ Ein schneller Blick in den Spiegel verriet Dean, dass Cas den Kopf betreten hatte sinken lassen. „Der Fluch befällt nur meine Hülle, ja, aber er bindet mein wahres Ich auch an sie. Deshalb kann ich die Hülle nicht wechseln und … auch nicht mehr fliegen.“ Also kein plötzliches Abhauen aus fahrenden Autos. Großartig, dachte Dean bissig und realisierte einen Moment später mit einem Anflug von Scham, was er da eigentlich genau gedacht hatte. Dass Cas nicht einfach so verschwinden würde, war natürlich eine gute Sache, stand aber in keinerlei Verhältnis zu dem Preis, den er für Deans emotionale Absicherung zahlen musste. „Man sollte meinen, nach so langer Zeit hätte ich mich daran gewöhnt, meine Flügel nicht benutzen zu können … Da sollte die Bewegungseinschränkung meiner Hände-“ Cas unterbrach sich und Dean sah im Spiegel, dass er den Kopf zur Seite wandte, wohl um aus dem Fenster zu starren, anstatt Sam weiter anzusehen. Eine merkwürdig Cas-untypische, wenig subtile Geste des Ausweichens, die ihm bei dem Engel bisher nie aufgefallen war. Und die Tatsache, dass ihm der erneute Verzicht aufs Fliegen so schwer zu schaffen machte … Vielleicht irgendein besonderes Engelsding, dachte Dean und hütete sich dieses eine Mal davor, seine Vermutung laut auszusprechen. Wenn Fliegen für Engel eben wie, hm … Fahren für mich ist … Oder sogar noch wichtiger. Eigentlich logisch. Klar, dass ihn das fertig macht. Hat‘s vermutlich immer, jedes Mal, wenn wieder irgendwas mit seinen Flügeln war. Hab ihn bloß nie danach gefragt. Wie auch diesmal nicht. Aber das schien auch gar nicht nötig. „Das muss die erste Stufe des Fluchs sein, deine Kräfte magisch zu schwächen“, schlussfolgerte Sam wenig hilfreich. „Rowena hat gesagt, sie hätte sich ‚schon immer an der Macht eines Engels bedienen wollen‘ …“ Er ahmte den schottischen Akzent der Hexe erschreckend gut nach und Dean verbarg ein aufkommendes Lachen hastig hinter einem abfälligen Schnauben. „Nicht fliegen zu können und in dieser Hülle festzusitzen, bedeutet doch, dass du bereits eine Menge Kraft verloren hast, oder?“ „Einiges“, bestätigte Cas. „Ich habe natürlich immer noch meine Gnade; sogar einen recht großen Teil davon, im Anbetracht der Umstände. Meine Macht schwindet exponentiell zur Dauer des Fluchs. Ich-“ Erneut hielt er inne, räusperte sich, wobei er merkwürdig menschlich, nahezu verletzlich klang, was Dean einen kleinen Stich versetzte. Schließlich sagte Cas: „Ich kann fühlen, wie ich schwächer werde. Es fühlt sich an, als würde ich versuchen, meine Gnade mit bloßen Händen zu halten, aber sie … sie entgleitet mir.“ Darauf folgte für einen Moment betroffenes Schweigen. Die Unbeständigkeit von Cas‘ Gnade, seit der Engel sich ihrer Freundschaft zuliebe gegen den Himmel gewandt hatte, war erschreckend, obwohl Dean nach wie vor der Meinung war, dass Cas ohne den Einfluss seiner sogenannten ‚Familie‘ nur besser dran war. Und trotzdem brachte ihn seine Verbindung zu den Winchesters immer und immer wieder in derartige Schwierigkeiten … Allerdings wirkte Cas nach wie vor nicht, als schwebte er in unmittelbarer Lebensgefahr. Fairerweise sorgte das aber lediglich dafür, dass Dean nicht in den Jäger-Autopilot verfiel, der ihn sonst Himmel und Hölle in Bewegung setzen ließ, um seine eigene Familie zu retten; das Tempo verringern oder gar eine Pause nach einer anstrengend Jagd machen, ließ es ihn nicht. Momentan schien die Bedrohung jedenfalls viel zu abstrakt, nicht greifbar genug für die menschlichen Gefährten eines Seraphs, die, rein äußerlich, nicht mehr von dessen Leid erkennen konnten, als das feingliedrige magische Silberband, das Cas Handgelenke unlösbar aneinander gekettet hatte. Wahnsinn, was so ein unscheinbares kleines Ding für Auswirkungen haben kann! Dean konnte es vom Fahrersitz aus nicht sehen, nicht einmal durch den Rückspiegel (inzwischen war es ohnehin zu dunkel geworden, um viel im Innenraum des Autos zu erkennen), aber er hatte die Fessel noch deutlich vor Augen, und er musste zugeben, dass sie in ihrer filigranen, beinahe Schmuck ähnlichen Beschaffenheit eindeutig Rowenas Handschrift trug. „Du könntest sie also benutzen? Deine Gnade, trotz Fessel?“, fragte Sam schließlich behutsam und Dean konnte deutlich heraushören, dass er versuchte, dabei nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen. „Wenn du versuchst, mit deinem Mojo die Kette zu lösen …?“ Die Frage klang so einleuchtend, dass Dean sich kurz ins Gedächtnis rufen musste, warum ihnen das nicht schon viel früher eingefallen war. Sein Hirn fand die Antwort darauf jedoch umgehend, tief verankert in der Kategorie Das kleine Hexen-Einmaleins für Jäger, und erstickte von dort aus auch den eigenen Anflug von Hoffnung direkt im Keim. Weil man für einen Fluch einen Gegenfluch braucht. Die altkluge Stimme in seinem Bewusstsein klang dabei lästigerweise genau wie Sam. Und vermutlich war der auch schon von selbst auf die Idee gekommen, wie unglaublich dämlich seine letzte Frage eigentlich gewesen war. Oder man verbrennt den Hexenbeutel, falls es einen gibt. Oder die verantwortliche Hexe. Der letzte Gedanke ließ ihn unangebracht grinsen, wenn auch nur kurz. Die Vorstellung, Rowena zu überwältigen und ihr ein wenig Feuer unter dem Hintern zu machen, war … Erstaunlich einschüchternd. Ja, man wollte Rowena unschädlich wissen, ihr am liebsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Hals umdrehen ... Aber seltsamerweise schien es keine Option zu sein, ihr den Gar auf die Art auszumachen, wie sie es üblicherweise mit Hexen taten. Was einerseits natürlich an Rowenas unvorhergesehen großen Macht lag, andererseits überhaupt die Ursache für ihren derzeitigen Schlamassel war. Dean schaltete jetzt endlich, viel zu spät, Babys Fernlicht ein. Bisher war ihnen kein einziges anderes Fahrzeug auf der Landstraße begegnet. Die Landstraße, das letzte Stück Weg, das sie noch vom Bunker trennte, und ein alberner Fluch, der ihnen die Heimkehr gründlich verdarb. „Der Fluch bezieht seine gesamte Macht aus meiner Gnade, Sam. Sein einziges Ziel ist es, mich vollständig zu schwächen. Je stärker ich bin, desto stärker ist seine Wirkung. Wenn ich keine Gnade mehr habe, löst sich auch die Kette“, antwortete Cas geduldig, der Tonfall seiner Stimme diesmal absolut sachlich, wenn auch ungewöhnlich leise. Er wiederholte damit mehr oder weniger Rowenas Worte, bevor sie und Crowley sich vom Acker gemacht hatten, aber im Gegensatz zu Sam imitierte er dabei natürlich nicht ihren schweren, schottischen Zungenschlag. „Wenn ich versuche, mich mithilfe meiner Gnade zu befreien, speise ich den Fluch dadurch nur noch mehr und beschleunige damit sein Fortschreiten.“ Das Problem war natürlich auch, dass Rowena einen Weg gefunden hatte, über die Gnade, die Cas wahrscheinlich sekündlich verlor, frei zu verfügen, wie sie ihnen großzügigerweise mitgeteilt hatte. Es machte keinen Sinn, sie gezielt aufzugeben, um anschließend eine Möglichkeit zu finden, sie zu regenerieren. Und allein die Vorstellung, was Cas‘ vollständige Gnade in Rowenas Händen alles anrichten konnte – Was für'n Alptraum. Aus dem Augenwinkel konnte Dean Sam nicken sehen; bloß nicken – und erstaunlicherweise hielt er dabei den Mund. Eine passende Lösung für Cas‘ Problem wusste also anscheinend nicht einmal sein überschlauer Bruder. Eigentlich war die ganze Angelegenheit so unbeschreiblich lächerlich gewesen, dass die verheerenden Folgen, die sie nun auszubaden hatten, in keinem Verhältnis dazu standen. Sam, Castiel und Dean waren einem eher unscheinbaren schwarzmagischen Hexenzirkel auf der Spur gewesen, der in Rowenas Aufstreben eine Bedrohung gesehen hatte, die den Coven wiederum als eine Art persönliche Beleidigung empfunden zu haben schien. Wie es der Zufall wollte, hatten sich ihre und Rowenas Wege beim Stellen des Zirkels gekreuzt, und für einen winzigen Moment hatte es so ausgesehen, als sei ihr gemeinsames Ziel, das Zerschlagen des Covens, in dieser Sache ausreichend, um es vereint mit einem Gegner aufzunehmen. Als Verbündete hatten sie den Coven bis auf die letzte Hexe ausgelöscht und waren gerade dabei gewesen, sich beinahe friedlich wieder voneinander zu trennen – als plötzlich Crowley auf der Bildfläche erschienen war. Und ab da ging‘s erst so richtig den Bach runter. Weil Rowena sich urplötzlich mit Crowley verbündet und sich dann mit ihrem Sohn aus dem Staub gemacht hatte. Äußerst verdächtig, wenn man bedachte, wie sehr sich die beiden normalerweise verabscheuten, aber die Gründe dafür zu entschlüsseln, stand derzeit nicht sehr weit oben auf Deans Prioritätenliste. Natürlich hatten sie unmittelbar nach Einsetzen des Fluches alles versucht, was ihnen auf die Schnelle in den Sinn gekommen war – zumindest alles, was die Kette, die gegenständliches Symbol für den Fluch zu sein schien, auf mechanischem Wege hätte zerstören können: Das Dämonenmesser. Eine von den Hexen tötenden Kugeln, aus unmittelbarer Nähe auf die Fessel abgefeuert, genau auf das zwei Finger breit lange Kettenstück zwischen Cas‘ Handgelenken. Eine Silberklinge, ein Engelsschwert, diverse andere Klingen, Messer, Schneiden, wahlweise bestrichen mit Lammblut, Weihwasser, Graberde … Ab einem gewissen Punkt waren sie selbst für einen Bolzenschneider verzweifelt genug gewesen. Alles, was heilig und unheilig war, kombiniert mit einem Werkzeug oder einer Waffe, das oder die in der Lage schien, ein unscheinbares Schmuckkettchen zu durchtrennen, hatten sie ausprobiert – mit anderen Worten so ziemlich ihr gesamtes Arsenal, das der Kofferraum des Impalas eben hergab. Bei ihren Versuchen hatten sie tatsächlich nur Heiliges Feuer ausgelassen. Das Risiko schien zu hoch, dass Cas in Kontakt damit kam und die Folgen – sein Tod – waren bei weitem schlimmer, als sämtliche himmlische Fähigkeiten Stück für Stück zu verlieren … Oder? In den letzten Minuten wuchs in Dean der Verdacht, dass Cas seine Situation möglicherweise ein wenig anders beurteilte. Der Spruch mit den Spezies und was sie ausmacht war schon nicht ohne. Und so, wie er aus der Wäsche guckt … Scheint für ihn gerade wirklich der Weltuntergang zu sein. Mal wieder. Was vielleicht auch daran liegen mochte, dass sie bislang keine Idee hatten, wie sich der vollständige Verlust von Cas‘ Gnade infolge des Fluchs auf den Engel auswirken würde. Würde es ihm genauso ergehen, wie als Metatron ihm seine Gnade gestohlen hatte? Wäre er danach einfach bloß … menschlich? Sterblich? Oder würde das Ende seiner Gnade auch das Ende seines … seines Lebens bedeuten? „Und, denkst du, dass du am Ende so bist, wie beim letzten Mal ohne Gnade?“, fragte Sam in diesem Moment, fast so, als hätte er Deans letzten Gedanken gehört. „Denkst du, du bist dann einfach … menschlich?“ Oh, Sammy … Betretenes Schweigen war die Folge auf die Frage und diesmal war es an Dean, mit den Augen zu rollen. Er hatte seine Gründe gehabt, eben genau diese eine Frage in Cas‘ Gegenwart nicht laut zu stellen. Und zu seiner Schande mochte seine Zurückhaltung eher in Scham als in Rücksicht auf Cas‘ Gefühle begründet liegen. Nein, er verbrachte vielleicht nicht so viel Zeit damit, der wahren Natur der Engel auf den Grund gehen zu wollen, die Sam schon so sehr fasziniert hatten, noch bevor sie überhaupt gewusst hatten, dass Engel tatsächlich existierten. Und nein, Dean war mit Sicherheit nicht mit einem Übermaß an Taktgefühl gesegnet. Aber wenigstens konnte er sich noch ausmalen, dass der Akkustand von Cas‘ Mojo über die Jahre hinweg wirklich zu einem sensiblen Thema geworden war. Und vor allem, dass er das Leben als Mensch alles andere als genossen hatte. Was natürlich auch meine Schuld war. Vor allem meine Schuld. „Immer gleich mit der Tür ins Haus, Sam“, brummte Dean, entgegen seines Vorsatzes, sich in erster Linie aufs Fahren zu konzentrieren. Was nicht bedeutete, dass ihn die Antwort auf die Frage nicht brennend interessierte: War Cas so ganz ohne sein Mojo eigentlich wirklich ein … ja, ein Mensch? Der Zeitraum, innerhalb dessen Dean auf eine Antwort von Cas wartete, dehnte sich unaufhaltsam immer weiter aus, während Cas‘ Kräfte gleichzeitig immer mehr in sich zusammenfallen mussten, gleichgültig, ob sie schwiegen oder wilde Spekulationen anstellten. Vor Deans geistigem Auge erschien das vergleichsweise harmlose Bild einer ablaufenden Sanduhr, das mit jedem Körnchen ihres stetig rieselnden Stroms an Bedrohung gewann. „In zehn Minuten sind wir da“, sagte er rau in das konstante Surren von Motor, Fahrtwind und Straße hinein, als jede Chance auf eine Antwort von Cas vorüber schien. „Endlich“, sagte Sam in einem Tonfall, der, genau wie Cas' Stimmung, wieder einmal das Ende der Welt vorherzusagen schien. Zumindest fühlte es sich für Dean genau so an. Und Cas hinter ihnen schwieg, bis Dean den Impala in der Garage des Bunkers geparkt hatte. Kapitel 2: Fehlt Zeit, bleibt Rat auch aus ------------------------------------------ Sie hatten im Kampf gegen übernatürliche Gegner oder den bevorstehenden Untergang der Welt schon immensen zeitlichen Druck im Nacken verspürt. Diesmal sah der Fall jedoch ein klein wenig anders aus. Die Zeit selbst war der neue Feind und das machte sie zu einem Problem: Zeit war kein Monster. Gegen sie halfen keine Waffen, Rituale, Beschwörungen, Deals oder Magie. Ganz besonders nicht letztere, die immerhin die Ursache allen Übels war. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, klemmten sie sich direkt nach ihrer Ankunft im Bunker hinter Bücher, Telefone und Laptops, brachten weder ihre Taschen auf ihre Zimmer, noch gönnten sie sich die so bitter nötige Dusche nach (vermeintlich) erfolgreicher Jagd und langer Fahrt. Dean konnte nicht umhin, Cas am Weltkartentisch immer wieder über den Rand seines Laptops hinweg kritisch zu mustern. Junge, Junge, er sieht ganz schön Scheiße aus. Der Zustand des Engels erinnerte Dean inzwischen an eine rasend schnell fortschreitende Krankheit, denn je mehr Stunden verstrichen, desto deutlicher wurden die Auswirkungen des Fluches auf ihn; er hatte das Gefühl, dabei zusehen zu können, wie Cas immer mehr Farbe aus dem Gesicht wich und vielleicht bildete er es sich ein, aber allmählich wirkten sogar seine Lippen besorgniserregend blau. Und nicht nur das: Der Fluch nahm ebenso rapide auf Eigenschaften Einfluss, die Dean bis dato automatisch mit Cas‘ Dasein als Engel in Verbindung gebracht hatte. Wie beispielsweise die fehlende Notwendigkeit von Nahrung oder das normalerweise nicht vorhandene Bedürfnis nach Schlaf. Es war kaum Vormittag, nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft, als Cas ihnen bereits mitteilte, erste Anzeichen von Müdigkeit zu verspüren. Sie zeigten ihm daraufhin eines der unzähligen freien Zimmer der Men of Letters. Beschämenderweise war es, wie Dean feststellte, genau dasselbe, das er selbst Cas damals, während seiner ersten Zeit ohne einen Tropfen Gnade, angeboten hatte – unmittelbar bevor er den gefallenen Engel wegen Gadreel wieder vor die Tür gesetzt hatte. Sam tat natürlich nichts dergleichen, zog ihr Angebot nicht umgehend wieder zurück, bezog Cas stattdessen sogar in Windeseile das Bett neu, während Dean, geradezu verlegen, daneben stand und sich äußerst nutzlos vorkam. Aber viel Zeit, ihr Monster als vierte Dimension getarnt, blieb ihm nicht, um untätig herumzustehen, denn es gestaltete sich als erstaunlich schwer, einen gefesselten Engel ins Bett zu bringen. Die Schuhe konnte sich Cas, trotz erheblich eingeschränkter Bewegungsfreiheit beider Hände, noch allein ausziehen. Seiner Hosen hätte er sich auch noch selbst entledigen können, wenn Dean nicht vehement dagegen protestiert hätte, das ausgerechnet in seiner und Sams Gegenwart zu tun. Menschliche Hülle hin oder her – er konnte gut auf diese äußerst irdische, vor allem sehr maskuline Art einer unfreiwilligen Peepshow verzichten! Also blieben, zu Deans lächerlich großer Erleichterung, sämtliche Hosen an Ort und Stelle. Aber darüber hinaus war Schluss. Feierabend. Keine Möglichkeit, an der Garderobe des Engels vor dem Zubettgehen etwas zu ändern. Es war für Cas absolut unmöglich, sein Hemd, seine Anzugjacke oder den Trenchcoat über die magische Fessel hinweg abzustreifen – es sei denn, sie zerschnitten ihm die Ärmel der einzelnen Kleidungsstücke. Cas wehrte sich rigoros dagegen, obwohl Dean sich sicher war, dass er sich in seinem Aufzug immer unwohler zu fühlen begann, je schwächer der Engel wurde. Verständlich, denn wer würde sich schon gern in vollständiger Versicherungsvertreter-Montur schlafen legen? „Jetzt stell dich nicht so an, Cas!“, knurrte Dean und spürte, wie hinter all seiner Sorge allmählich die Ungeduld in ihm zu brodeln begann. Den eigenen Aufstand über die Hosen-Frage verdrängte er dabei so geschickt, dass er kaum etwas von dem strafenden Blick mitbekam, mit dem er von Sam bedacht wurde. Sie hatten schlicht und ergreifend keine Zeit für solche Albernheiten! „Das sind nur Klamotten, die kann man neu kaufen oder von mir aus wieder zusammennäh-“ „Nein, Dean“, unterbrach Cas ihn ruhig, jedoch mit so viel Nachdruck, dass Dean sich unweigerlich zu fragen begann, ob er nicht doch noch mehr Mojo in sich hatte, als er zugeben wollte. Die Härte in seiner Stimme trug nämlich zweifellos eine gute Portion von himmlischer Drohung mit sich, die Dean trotzig die Augen verdrehen ließ. In erster Linie, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das unerwartet autoritäre Auftreten Cas' beeindruckte. „Wie wär‘s mit etwas Rücksicht?“, zischte Sam warnend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als Cas sich von ihnen wegdrehte, um sich steif auf der Kante des frisch bezogenen Bettes niederzulassen und von dort aus seltsam grobmotorisch in die Mitte seines Betts zu krabbeln. Dean war sich nicht sicher, wie gut sein übermenschliches Gehör noch funktionierte, so dass er Sam vielleicht gehört hatte, aber die Unbeholfenheit hinter Cas‘ Bewegungen entlockte ihm ein irritiertes Auflachen, das sowohl Cas als auch Sam gar nicht überhört haben konnten. Ach, Scheiße! Diesmal traf ihn Sams strafender Blick seltsam schwer. Dabei hatte er Cas doch gar nicht auslachen wollen! Nein, es hatte nur so merkwürdig und ungewohnt ausgesehen, wie ein Engel mit gefesselten Händen (Und Stock im Arsch!) herauszufinden versuchte, wie man als Mensch zu Bett ging. Was aus unzähligen Gründen bitter war. Es bedeutete, dass er auch damals ohne Gnade nie ein Bett benutzt hatte, weil er obdachlos gewesen war – wegen Dean. Es bedeutete, dass er jetzt, unmittelbar in diesem Moment, wirklich an seine Grenzen gekommen war, so erschöpft war, dass er sich nicht anders regenerieren konnte, als durch menschlichen Schlaf. Es bedeutete, dass Cas auf einmal nicht mehr und nicht weniger als Dean selbst war: Hilflos. Und in seiner ganzen niederschmetternden Hilflosigkeit überließ Dean Cas‘ Starrsinn Sam, der ihn zu überreden versuchte, sich wenigstens aus dem Trenchcoat herausschneiden zu lassen, und kehrte ins Kriegszimmer zurück, wo sich der Weltkartentisch bereits in eine regelrechte Recherche- und äußerst fruchtlose Notfallplan-Landschaft verwandelt hatte. Dean nutzte den kurzen Moment zwischen den Bücherstapeln, in dem er für sich war, um darüber nachzudenken, wie viel Panik inzwischen realistischerweise angemessen war. Auf der Fahrt zum Bunker mochte er sich bereits Sorgen gemacht haben, klar – immerhin ging es bei der ganzen Angelegenheit um seinen besten Freund, der sichtlich litt. Aber nun vor der Entscheidung zu stehen, Castiels Trenchcoat für dessen leibliches (!) Wohlergehen willentlich zu zerstören, erschien Dean bereits wie die vollständige symbolische Auslöschung seines gesamten Engeldaseins. Hatte Cas nicht auch beim letzten Mal ohne Gnade direkt zu Beginn seinen Trenchcoat aufgeben müssen? Das ungebetene Bild des Mantels, der herrenlos an der Oberfläche eines schwarzen Sees trieb, nachdem Cas von den Leviathanen in die Fluten gezwungen worden war, tauchte in seinem Kopf auf und bestätigte Dean damit, dass es noch nie etwas Gutes bedeutet hatte, wenn Cas gezwungenermaßen eines seiner herausragendsten Markenzeichen abgelegt hatte. Und wie viele Stufen der Ent-Engel-isierung gab es eigentlich insgesamt? „Fliegen, Engelsradio, unbegrenzte körperliche Energie“, zählte er halblaut an einer Hand ab, gerade in dem Moment, als Sam mit hängenden Schultern und allein zurück ins Kriegszimmer kam. „Er hat gesagt, er hört jetzt auch keine Gebete mehr“, ergänzte Sam die Aufzählung bedrückt. „Dachte, das wär schon im Auto so gewesen“, sagte Dean und spürte mit der neuen Information ein eigenartiges Gefühl von Verlust in sich aufsteigen; noch um einiges stärker, als bei seinen wehmütigen Überlegungen zu Cas‘ Trenchcoat. „Dachte, Engelsradio wären Gebete und der direkte Funk von anderen Engeln.“ Sam zuckte ratlos die Schultern. „Anscheinend nicht. Er schläft jedenfalls jetzt. Oder er versucht es.“ „Im Trenchcoat?“ Sams müdes Lächeln auf seine Frage gefiel Dean überhaupt nicht. „Im Trenchcoat.“ Darauf fiel Dean zum ersten Mal seit sehr langer Zeit keine passende Antwort ein – nichts Aufmunterndes, kein bissiger Spruch, selbst der Spott, mit dem er normalerweise so leicht bei der Hand war, wollte nicht kommen. Er senkte den Blick wieder auf das Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag, ohne, dass er tatsächlich darin las. Die Augen taten ihm weh nach der langen Nacht ohne auch nur den Hauch von Schlaf und es wurde allmählich schwerer sich zu konzentrieren. Und da waren noch mehr Dinge, die ihn entschieden von der Arbeit abzulenken wussten. Die Aussage, dass Cas – CASTIEL – zu schlafen versuchte, war für sich allein genommen erschreckend genug. Doch es fiel Dean schwer, viel schwerer, sich gedanklich von Cas‘ unterbrochenem Gebetsempfang zu lösen. Gebete waren etwas Besonderes, etwas Privates, das Cas und ihn miteinander verband – zumindest hatte Dean es immer so empfunden. Gebetet hatte er natürlich nicht oft, aber hin und wieder war es eben doch vorgekommen; manchmal im Traum, manchmal vollkommen unbewusst, manchmal in Momenten absoluter Hoffnungslosigkeit. Und immer hatte es sich angefühlt, als sei er nur im Gebet zu seinem besten Freund dazu in der Lage, sich etwas mehr zu öffnen, etwas mehr von den Dingen auszudrücken, die er vor anderen oder in einem normalen Gespräch niemals in den Mund zu nehmen gewagt hätte. Gebete an Cas waren, im wahrsten Sinne des Wortes, heilig für Dean. Hab ihn nie gefragt, wie er darüber denkt. Ob‘s ihm überhaupt irgendwas … bedeutet. Vielleicht stört es ihn ja sogar. Der Drang, in diesem Moment probeweise ein stummes Gebet in das Schlafzimmer ein paar Türen weiter zu senden, war lächerlich groß, doch Dean gab ihm nicht nach. Was soll das auch schon bringen? Außerdem kam er sich grauenhaft egoistisch vor, dass er den Verlust seines persönlichen Kummerkastens betrauerte, anstatt sich weiter darauf zu konzentrieren, Cas zu helfen, ihm vielleicht sogar das Leben zu retten. Sie wussten ja noch nicht einmal, wie groß die Gefahr tatsächlich war, in der Cas schwebte! Seufzend schob Dean das Buch zur Seite und wandte sich wieder seinem Laptop zu, von dem er sich weder mehr Konzentrationsvermögen, noch mehr Aussicht auf Rettung versprach. „Es ist eine Schande, dass wir nicht mehr Literatur über Engel haben“, sagte Sam plötzlich, der sich inzwischen zurück auf einen der Stühle an den Weltkartentisch gesetzt hatte und gerade seinen eigenen aufgeklappten Laptop zu sich heranzog. Dean hörte von der anderen Seite des Tisches her das leise Surren, als das Gerät aus dem Stand-by-Modus heraus wieder zum Leben erwachte. „Wir wissen so gut wie nichts über Engel! Außer, wie wir sie töten, festhalten oder in die Wüste schicken!“ „Sollte doch eigentlich auch reichen, oder?“, brummte Dean hinter seinem eigenen Laptop hervor, auf dem er halbherzig Legenden von keltischer Magie überflog. Nicht, dass man Rowenas Flüche hätte googlen können. „Ich mein, wir wissen über die wenigsten unserer Gegner mehr als das. Warum dann ausgerechnet über Engel?“ „Ich weiß nicht, vielleicht, weil unser bester Freund einer ist, und weil es dabei helfen könnte, sein Leben zu retten?“, spottete Sam, konnte Dean aber nicht über die Sorge hinter seinen Worten hinwegtäuschen. Es wäre daraufhin durchaus angebracht gewesen, sich und seine Freundschaft zu Cas zu verteidigen, aber Dean stellte fest, dass ihm, seit dem Fluch auf den Engel, vielleicht wirklich seine eigene Schlagfertigkeit abhanden gekommen war. Bedrückt und ohne große Hoffnung wandten sie sich beide wieder ihren jeweiligen Recherchen zu, wechselten nur hin und wieder ein paar Worte über die wenig versprechenden Einfälle, die ihnen bei der Arbeit gekommen waren: Keiner der Überlebenden in ihrem begrenzten Bekanntenkreis hatte so viel Erfahrung mit Engeln wie sie selbst, weshalb es unsinnig erschien, jemanden von ihnen als Unterstützung einzuschalten. Lediglich Jody und Donna hatten sie direkt zu Beginn ihrer verzweifelten Suche darauf angesetzt, sie umgehend über sämtliche Vorkommnisse in den USA zu informieren, die in direkter Verbindung mit Crowley oder Rowena stehen konnten. An einer Stelle warf Sam ein, dass möglicherweise ein anderer Engel ihnen hätte helfen können. Aber alle, die je dafür in Frage gekommen wären, lebten längst nicht mehr. Ab einem gewissen Punkt fiel Dean auf, dass Sam immer unruhiger zu werden schien, auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen begann. Er räusperte sich ein paar Mal laut, in der Hoffnung, dass das ausreichte, um Sam darauf hinzuweisen, wie nervtötend sein Herumzappeln war. Leider schien die Botschaft nicht bei seinem Bruder anzukommen, der zu weit weg saß, als dass Dean ihn grob hätte anstupsen können, um ihn zum Stillsitzen zu bringen. Irgendwann konnte Dean es nicht mehr mit ansehen und fuhr ihn an: „Alter, geh endlich aufs Klo, wenn du pinkeln musst! Ja, wir haben keine Zeit, aber die Minute, bis du wieder da bist-“ „Jerk! Das ist es doch überhaupt gar nicht!“, raunzte Sam zurück, wirkte aber plötzlich verdächtig verlegen. „Was denn dann, Bitch?“ Sams Herumdrucksen und wie er nun ertappt nach seinem Smartphone tastete, gefiel Dean ganz und gar nicht. Misstrauisch starrte er seinen Bruder quer über den Weltkartentisch hinweg an. „Spuck‘s schon aus!“ „Wir könnten versuchen, Rowena zu orten...“ Dean entfuhr ein hölzernes, freudloses Lachen. „Und was dann, willst du sie kaltmachen? Sie ist vermutlich die mächtigste Hexe auf dem gesamten verdammten Planeten, da können wir‘s auch gleich mit Crowley aufnehmen!“ So ganz abhanden gekommen war ihm sein Spott dann vielleicht doch nicht, stellte Dean ohne jede Erleichterung fest, aber irgendwie provozierte Sammy ihn auch eine Spur zu sehr. Er konnte selbst spüren, wie er sich immer mehr in Rage redete; die Frustration über die eigene Hilflosigkeit brach mit einem Mal ungebremst aus ihm hervor und Sam war leider der einzige, an dem er sich Luft machen konnte. Der ließ Deans höhnische Tirade erstaunlich kommentarlos über sich ergehen, zuckte bloß an einigen Stellen die Achseln. „Oder hey, die beiden machen doch eh gemeinsame Sache, warum nicht gleich beide zusammen auf die Abschussliste setzen, das kriegen wir doch noch vor dem Essen hin! Bäm, Cas ist gerettet – und danach Bier für alle!“ Das doch eigentlich ironisch gemeinte, friedliche Bild von ihnen dreien bei einem Bier schmerzte genug, um ihn kurz Luft holen zu lassen. Schmerzte, weil es ihm plötzlich zu schwer fiel, noch daran zu glauben, dass es je Realität werden würde. „Mal ganz abgesehen davon, wie wir sie überhaupt finden sollen? Ein Lokalisierungszauber wird ja wohl kaum bei Rowena hinhauen!“ „Ich meine, wir rufen sie an!“, warf Sam, immer noch sichtlich verlegen, ein, so als hätte er nichts von all dem gehört, was Dean ihm an den Kopf geworfen hatte. Dean schnaubte. „Hast schon bessere Witze gemacht, Sam, echt.“ „Ich mache keine Witze!“, protestierte Sam und griff endlich richtig nach seinem Telefon, so als hätte er sich just in diesem Moment erst wirklich dazu überwinden können. „Wir rufen sie an und fragen sie einfach, was sie will? Dabei können wir immer noch versuchen, sie zu orten. Und selbst, wenn sie uns nicht in ihren ganzen Plan einweiht, finden wir vielleicht noch irgendetwas heraus, was uns weiterhilft! – Was Cas weiterhilft!“, setzte er noch nach, wie um Dean damit doch noch auf seine Seite zu ziehen. Dean öffnete den Mund, um zu antworten – gerade, als er Cas bemerkte, der plötzlich hinter Sam in der Schwelle stand. „Cas!“ Sein Ausruf veranlasste Sam, sich zu ihm umzudrehen und auch seinem Bruder musste auffallen, wie zerknautscht Cas aussah, obwohl er kaum mehr als eine Stunde im Bett gelegen hatte – falls es ihm überhaupt gelungen war, tatsächlich einzuschlafen. „Hallo, Dean. Sam“, sagte Cas die vertrauten Worte mit seiner gewohnt tiefen, kehligen Stimme. „Ich konnte nicht schlafen“, fügte er hinzu und zerstörte damit augenblicklich den letzten Rest der Illusion, dass vielleicht doch noch etwas – irgendetwas – beim Alten geblieben war. Kapitel 3: Von Schein und Sein ------------------------------ Der lächerliche Vorschlag, Rowena anzurufen, schien für einen Moment vergessen. Dean empfand Cas‘ Anblick als seltsam gewöhnungsbedürftig, und er konnte nur vermuten, dass es Sam ebenso erging. Castiel hatte seine drei Schichten Ärmel (vermutlich mit Sams Hilfe, der ihm vor dem Zubettgehen die Manschettenknöpfe seines Hemdes geöffnet haben musste) so gut es ging übereinander hochgerollt, was seine Unterarme unproportional bullig erscheinen ließ. Und dem ungewöhnlichen Anblick noch die Krone aufzusetzen, kam Cas, erstaunlich zögerlich, auf Socken um den Weltkartentisch herum geschlichen. Dean selbst zog es vor, mindestens in Hausschuhen im Bunker herumzulaufen, weil er genau wusste, wie kalt der Boden des unterirdischen Baus, trotz hervorragenden Heizsystems, mitunter werden konnte. Da Cas sich bisher einen feuchten Dreck um Dinge wie Temperaturen und dafür angemessene Kleidung geschert hatte, schienen Engel wohl die Fähigkeit zu besitzen, ihre fleischlichen Hüllen in dieser Hinsicht ähnlich beständig halten zu können, wie unter allen anderen irdischen Einflüssen auf ein menschliches vegetatives Nervensystem. Die nach wie vor blauen Lippen und das unruhige Treten auf der Stelle, nachdem Cas an der Kopfseite des Tisches stehen geblieben war, sprachen jedenfalls Bände, dass die Unempfindlichkeit gegenüber äußerlichen Temperaturen nun ebenfalls der Vergangenheit angehörte. Vielleicht hatte er nicht daran gedacht, seine Schuhe nach Verlassen des Bettes wieder anzuziehen, vielleicht war es ihm mit den gefesselten Händen auch schlicht und ergreifend nicht möglich gewesen. Schließlich gehörte sich die Schuhe anzuziehen nicht unbedingt zu den Dingen, die Cas bisher in seinem Dasein auf Erden regelmäßig begegnet wären. Er musste sich nicht waschen, niemals die Kleidung wechseln, schien, außerhalb von Kämpfen, nahezu immer wie frisch aus dem Ei gepellt – auf die eben so Cas-typische, etwas unordentliche und raue Art und Weise, die Dean normalerweise eher an von Flugwind zerzauste Schusseligkeit als an eine Bruchlandung beim Fall aus dem Bett erinnerte. Auch das, eben jene Schusseligkeit, hatte Cas stets von den anderen Engeln unterschieden, die Dean bisher getroffen hatte – und die mit Sicherheit nie auf die Idee gekommen wären, ihre Krawatten falsch herum gebunden zu tragen. Besagte Krawatte fehlte in dem ungewohnt zerknautschten Anblick, den Castiel jetzt bot, übrigens gänzlich, und er hatte die obersten drei Knöpfe seines Hemdes geöffnet, was Dean einen kurzen, aber schmerzhaften Moment lang daran erinnerte, dass Lucifer, mit Cas als Hülle, ähnlich leger im Bunker herumspaziert war. Dass Cas in diesem Moment aber immer noch Cas war, lag für Dean auf der Hand, obwohl sein bester Freund mit jeder verstreichendem Minute mehr von dem verlor, wovon sie alle gedacht hatten, dass es ihn, oder zumindest sein wahres Wesen, im tiefsten Kern ausmachte.   „War wohl nichts mit Schlaf“, stelle Dean betont lässig fest und zog den freien Stuhl neben sich zurück, damit Cas darauf Platz nehmen konnte.   Cas beäugte die angebotene Sitzmöglichkeit für einen Moment mit leicht geneigtem Kopf und halb zusammengekniffenen Augen, so als zöge er in Erwähnung, vielleicht doch lieber am Kopfende des Tisches stehen zu bleiben. Dean fühlte sich bei seinem Anblick unweigerlich an Popeye erinnert, wozu nicht zuletzt die merkwürdig aufgedunsenen Unterarme beitrugen. Das Übermaß an übereinander gekrempelter Kleidung ähnelte einem Paar altmodischer aufblasbarer Schwimmhilfen, die Cas knapp unterhalb des Ellbogens an beiden Armen zu tragen schien. Auf den zweiten Blick bemerkte Dean jedoch, dass diese lächerlich anmutende Illusion auch von einer beginnenden, nicht gerade gesunden Verfärbung von Cas‘ Haut und einer tatsächlichen Schwellung seiner Arme herrührte.   „Das ist viel zu eng, Alter, schnürt dir ja das ganze Blut ab“, brummte Dean und zerrte etwas ruppig an den aufgerollten Ärmeln, nachdem Cas endlich entschieden hatte, sich doch neben ihn zu setzen. Wortlos ließ er es über sich ergehen, dass Dean abwechselnd über seinen Schoß hinweg nach seinen Armen griff, die Hemdsärmel, nicht ohne etwas Kraftaufwand und Fummelei, unter den beiden anderen Kleidungsstücken hervorzog und sie herunter rollte, bevor er Jacke und Trenchcoat ebenfalls glatt ziehen konnte.   Die ganze Zeit über fühlte Dean dabei Sams kritischen Blick auf sich ruhen, was einen Hauch von Trotz in ihm aufsteigen ließ, den er sich nicht ganz zu erklären wusste. Was sollte Sam schon groß dazu sagen, dass Dean ihren Freund abhielt, dessen menschlichen Körper sofort bis auf die Knochen zu ramponieren? Er spürte, wie Cas überrascht Luft durch die Nase ausstieß, als er den linken Trenchcoat-Ärmel zum Schluss vielleicht etwas zu grob glatt strich. Dean schluckte den Impuls hinunter, Cas für diese Art von Zimperlichkeit anzufahren – zusammen mit dem Bedürfnis danach, sich bei ihm für die eigene Grobheit zu entschuldigen. Sollte Sam doch denken, was er wollte! Sollte Cas doch denken, was er-   Nein!, ermahnte er sich selbst, was ihn diesmal einiges an Überwindung kostete; deutlich mehr als auf der Fahrt zum Bunker. Vielleicht lag es daran, wie lange er inzwischen schon ohne eine anständige Mahlzeit und eine Mütze voll Schlaf auskommen musste, aber die Verflucht!-Freikarte für Cas galt schließlich noch immer.   Cas kann nichts dafür, dass du dir Sorgen machst. DU bist derjenige, der sich zusammenreißen sollte!   Als Dean der Meinung war, sich genug für Sams mögliche Kommentare gewappnet zu haben, und er den Blick wieder von Castiels muskulösen Unterarmen und den großen, schlanken Händen unterhalb der Silberfessel zu heben wagte, die der Engel zu Fäusten geballt im Schoß hielt, sagte Sam jedoch nur: „Deine Gnade konnte den Blutstau in den Armen nicht mehr ausgleichen, Cas?“   Fuck, daran hab ich gar nicht mehr gedacht … Das wäre eine Katastrophe!   Denn es würde bedeuten, dass inzwischen auch die Fähigkeit zur Selbstheilung gelitten hatte, wenn sie nicht sogar schon zur Gänze verschwunden war. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung schüttelte Cas jedoch den Kopf.   „Ich halte meine Gnade zurück, um sie nicht unnötig zu verschwenden. Das verbraucht allerdings zusätzlich Energie … mehr, als es der Fluch allein tun würde.“   Dean konnte Sam über den Tisch hinweg schlucken sehen, wusste, dass ihn die Information nicht weniger traf, als ihn selbst.   „Wahrscheinlich bist du deshalb so müde.“   „Wahrscheinlich“, sagte Cas und die bleierne Erschöpfung in seiner Stimme verlieh seiner Zustimmung auf äußerst beklemmende Art Gewicht.   „Kann ja sein, aber wieso hast du nicht gemerkt, dass du dir selber das Blut abschnürst?“, witzelte Dean in dem verzweifelten Versuch, seine eigene Müdigkeit in den Hintergrund zu drängen. Er durfte jetzt noch nicht schlapp machen! Nicht, wenn eine Lösung noch so fern schien, während sich die Probleme immer gewaltiger vor ihnen aufzutürmen begannen. „Das Gesamtpaket da, gehört ja immer noch zu dir. Egal, mit wie viel Gnade.“ Dean zeichnete mit beiden Händen ein Viereck in die Luft, das Cas‘ Körper in sich einschloss. Dessen Bewusstsein für die eigene Körperlichkeit in menschlichen Dimensionen schien an ihm jedoch ebenso abzuprallen, wie Deans lahmer Versuch von Ungezwungenheit; Cas sah mit einem Ausdruck von milder Überraschung an sich herab, als bemerkte er in eben erst diesem Augenblick, dass er überhaupt Arme besaß. Schließlich hob er sie unter dem Tisch hervor, um die gefesselten Handgelenke vor sich locker auf der Tischkante abzustützen. Die Kette klimperte dabei kaum hörbar, unschuldig und nichtssagend, und doch reizte Dean der Klang bis aufs Blut, so dass er kurz die Augen schloss, um sich zu sammeln.   „Ich habe das Gefühl von Taubheit für eine Folge des Fluches gehalten“, sagte Cas schließlich.   Dean öffnete die Augen wieder, nicht länger in der Lage, auf gute Miene zu machen.   „Du lebst seit …“, er rechnete schnell im Kopf zurück, „… seit über sieben Jahren in diesem Körper! Hat man da nicht irgendwann mal so ‘ne Art … ich weiß auch nicht. Kontrolle darüber entwickelt? Ein Bewusstsein, was alles dazu gehört und wie sich was wann anzufühlen hat?“   Nur am Rande nahm Dean wahr, dass Sam außerhalb seines Blickfeldes heftig den Kopf schüttelte. Er ignorierte die Warnung jedoch, konnte nicht anders, als sich weiter Luft zu machen. Die plötzliche Gereiztheit ließ sich einfach nicht länger zurückhalten; er war müde und erschöpft, er sehnte sich nach etwas zu Essen, einer heißen Dusche, und die Ausweglosigkeit von Cas‘ Lage brachte ihn langsam aber sicher zum Verzweifeln.   „Ich mein, wahre Form, Chrysler Building-Blabla hin oder her – du steckst Tag und Nacht da drin! Dir muss doch auffallen, wenn sich was verändert!“   Cas starrte Dean nach dieser kleinen Tirade unverwandt an, musterte ihn so scharf, als suchte er nach etwas Vertrautem in seinem Gesicht, das sich seinem Blick unerwartet entzogen hatte. Dean fühlte die Bedeutung seiner eigenen Worte und deren Wirkung unter Cas‘ forschen Augen mit plötzlicher Wucht auf sich niederprasseln. Mit der Hand fuhr er sich übers Gesicht, wie um das Gesagte fort zu wischen, vielleicht auch, um Cas‘ unnachgiebiger Musterung zu entgehen, doch weder das eine noch das andere wollte ihm gelingen.   „Ich bin kein Mensch, Dean“, sagte Cas und sprach damit genau das aus, was Dean in eben diesem Augenblick wieder einmal durch seine eigene Ungezügeltheit so schmerzlich bewusst geworden war.   „Dieser Körper gehört zu mir, aber ich trage ihn nur. Ich mag darin wohnen, aber ich bin nicht in ihm zu Hause, so wie ihr es in euren seid.“ Cas‘ Blick wanderte hinüber zu Sam, wohl, da er nun auch ihn mit ins Gespräch einbezogen hatte, und Dean bemerkte erstaunt, dass der Engel seinen Bruder mit annähernd ähnlicher Intensität musterte, wie gerade eben noch Dean.   Dabei hat Sam doch jetzt wirklich nichts verbrochen!   „Ich wurde nicht geboren und schon gar nicht in diese Form hinein. Ich bin körperlos, geschlechtslos, zwar nicht ungestaltlich, aber weder ist diese Dimension mein Zuhause, noch sind sieben Jahre Bestehen in ihr und in einer konstanten menschlichen Hülle genug, um eine Selbstwahrnehmung von Millennia einfach so zu überschreiben.“   Wie sich selbst zuvor, sah Dean nun auch Sam unter Cas‘ Blick auf seinem Stuhl in sich zusammenschrumpfen. Er konnte es ihm nicht verübeln. Cas‘ Worte hatten bei ihm eine regelrechte Gänsehaut ausgelöst, die ihm, von den Armen ausgehend, über den ganzen Körper zu kriechen begann. Ein wenig fühlte er sich an seine erste bewusste Begegnung mit Castiel erinnert – mit dem Engel, der ihn vor eben sieben Jahren aus der Hölle zurückgeholt hatte. Angst war etwas Alltägliches für Dean und in all den Jahren hatte er längst gelernt, mit ihr zu leben. Aber Angst um seiner selbst willen, eine solche Angst wie damals, in der Scheune, in diesen Ausmaßen, hatte er noch nicht oft zuvor verspürt. Es war vielleicht nicht so, dass er sich in diesem Moment wieder vor Cas zu fürchten begann. Aber ihm wurde erschreckend bewusst, dass sein bester Freund ein fremdartiges Wesen, nicht von dieser Welt war, dessen wahre Macht und Größe von Deans lächerlich menschlichen Bewusstsein nicht einmal ansatzweise erfasst werden konnte. Wie hatte er das nur je vergessen können? Er sah eine ähnliche Erkenntnis und Ehrfurcht in Sammys weit geöffneten Augen dämmern.   „Selbst in meiner wahren Form wäre es ein … ein Schock, meine Gnade schwinden zu fühlen – schon wieder, so rapide. Aber in dieser Hülle … Es hat nichts damit zu tun, Mensch zu sein oder Mensch zu werden, denn ich bin weder das eine, noch werde ich zum anderen. Ich bin ein Engel, ob mit oder ohne Gnade, egal, in welcher für euch sichtbaren, äußerlichen Form. Was sich ändert, ist der Grad meiner eigenen Verwundbarkeit oder wie nützlich ich für euch sein kann und in welchem Maße erträglich dieser Umstand für mich ist!“   Der letzte Teil kam Cas mit ebenjener untypischen Bitterkeit über die bläulich verfärbten Lippen, die Dean schon im Auto an ihm aufgefallen war. Und vielleicht war es an der Zeit, den eigenen Frust zu vergessen, sich zusammenzureißen und sich daran zu erinnern, dass er ein himmlisches Wesen von der Größe eines Wolkenkratzers regelmäßig wie Dreck behandelte. Jetzt gerade, weil er sich zu sehr um dessen Überleben sorgte. Zu seiner großen Erleichterung räusperte Sam sich in diesem Moment.   „Ist dir kalt, Mann?“, fragt er und Dean stellte anerkennend fest, dass Sam nicht anders als sonst auch klang. Er war sich nicht allzu sicher, wie viel Verlass gerade auf seine eigene Stimme war. „Deine Lippen sind ganz blau. Ich kann dir eine Decke holen, wenn du willst!“   „Es geht schon“, antwortete Cas ruhig, plötzlich einfach wieder nur ihr Freund; der merkwürdige Dritte im Bunde, bei dem Dean gar nicht anders konnte, als ihm zu vertrauen, ganz gleich, was oder vielleicht auch gerade wegen all dem, was schon zwischen ihnen vorgefallen war. „Danke, Sam.“   Und Cas machte Anstalten, sich ihrer Recherchearbeit anzuschließen, denn er zog tatsächlich eines der staubigen, in Leder gebundenen Bücher zu sich heran.   „Glaubst du … glaubst du wirklich, dass wir da drin was finden?“, fragte Dean schließlich zögernd, als er seinen Stimmbändern wieder genug Funktionalität zutraute, um ihn nicht länger im Stich zu lassen. Er klang etwas heiser für die eigenen Ohren, aber er überspielte es mit einem groben Kopfnicken in Richtung des Wälzers, den Cas soeben aufgeschlagen hatte.   Die Frage war eigentlich überflüssig, und er wünschte sich verzweifelt eine ähnliche Unbekümmertheit im Umgang mit Cas zurück, wie Sam sie an den Tag legte.   Eben noch daran erinnert werden, dass man einen urzeitlichen Himmels-Transformer als besten Freund hat, dem man regelmäßig ans Bein pinkelt, und der nur zu gutmütig ist, um einem das übel zu nehmen. Und ihm direkt danach ‘ne Schmusedecke anbieten. Sam hat echt Nerven. Aber okay, er versaut es auch deutlich seltener mit Cas.   … Eigentlich nie.   Warum fällt Sam das alles immer so leicht?   „Sam hat eben vorgeschlagen, dass wir Rowena anrufen“, sprudelte es aus Dean hervor, da Cas mit einem niedergeschlagenen Lächeln den Kopf auf seine Frage geschüttelt hatte. Die Tatsache, dass Cas ohnehin schon so gut wie niemals lächelte, hatte den Anblick nicht unbedingt leichter gemacht, und der Ausdruck in seinen Augen war schlichtweg zu viel gewesen. Dean konnte einfach nicht anders, so dämlich er selbst den Vorschlag auch ursprünglich gefunden hatte.   „Sie wird uns vielleicht nicht sagen, wie wir dir helfen und den Fluch brechen können“, meldete Sam sich zu Wort und hatte wenigstens den Anstand, auch vor Cas verlegen wegen seines Einfalls zu klingen. „Aber vielleicht bekommen wir heraus, was sie eigentlich mit deiner Gnade vor hat! Und vielleicht haben wir sogar so viel Glück, dass wir ihren Standort zurückverfolgen können.“   Okay, vielleicht war Sams Ton mit dem letzten Satz ein oder zwei Oktaven zu hoch ins Spektrum des unverhohlenen Stolzes gerutscht, aber Dean beließ es bei einem Augenrollen. Für heute hatte er sich genug die Finger verbrannt und vielleicht hielt Cas Sams Vorschlag ja für nicht ganz so bescheuert, wie Dean es tat.   „Ich glaube, dass Rowena gut und gerne die derzeit mächtigste lebende Hexe ist! Ihr einziges Problem ist, dass sie keine Verbündeten hat und hinter all ihrem Getue einfach wahnsinnig … menschlich ist“, plapperte Sam in hoffnungsvoller Begeisterung weiter drauf los. „Vielleicht kann sie nicht anders, als ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern, wenn wir die Sache richtig angehen ...“   Sam sah aus, als müsse er sich zusammennehmen, um sich nicht auch noch selbstgefällig die Hände zu reiben. „Sie hat immer noch Crowley“, unterbrach Dean seinen Bruder deshalb. Er hielt Rowena zwar durchaus für eitel und mit ihrem Hang zur Dramatik auch einer gewissen Prahlerei nicht abgeneigt, wenn sich ihr die Möglichkeit dazu bot. Aber sie war sicher nicht so dämlich und allmählich fiel ihm Sam in seinem geradezu kindlichen Eifer gehörig auf die Nerven.   „Und woher hast DU überhaupt Rowenas Handynummer, hm?“   Die Ertapptheit, mit der Sam eben noch nach seinem Smartphone gegriffen hatte, breitete sich erneut in Form eines beeindruckenden Pinktons auf seinem Gesicht aus, und wenn die Zeit nicht weniger gedrängt hätte, hätte Dean es entschieden mehr ausgekostet, Zeuge dieser gigantischen Elch-Beschämung zu sein.   „Rowena ist mit Sicherheit die mächtigste lebende Hexe“, sagte Cas mit einem Kopfnicken in Sams Richtung, offensichtlich blind für dessen Zwickmühle, in die Dean ihn manövriert hatte. „Aber Dean hat recht, Crowley macht sie, als ihr Verbündeter, zu einer noch größeren Bedrohung. Wir sollten sie beide nicht unterschätzen, weder zusammen, noch jeden für sich.“   Nach den vorausgehenden schwer verdaulichen Themen war Cas‘ einfache Zustimmung eine echte Wohltat für Deans gehörig angeknackstes Ego, so dass er sogar davon abließ, Sam weiter in Verlegenheit bringen zu wollen. Sie hatten beide schließlich auch Crowleys Handynummer und nur er allein wusste, wie es zu diesem nicht gerade freiwilligen Austausch gekommen war. Möglicherweise gab es eine simple (wenngleich auch übernatürliche) Erklärung dafür und ja, möglicherweise fand Sam Rowena auch attraktiv. Wogegen sich per se nicht einmal etwas sagen ließ. Die rothaarige Hexe war in ihrer geheimnisvollen, zeitlosen Extravaganz durchaus einen zweiten Blick wert, auch wenn Dean seltsamerweise übel wurde, wenn er sich zu viel mit ihr vorzustellen versuchte.   „Also, was hältst du von dem Vorschlag mit dem Anruf?“, fragte Dean und hielt es für eine ausgesprochen gute Idee, Cas zur Abwechslung wirklich einmal nach dessen persönlicher Meinung zu fragen, anstatt für ihn Entscheidungen zu treffen und damit regelrechte Katastrophen auszulösen. Erstaunlicherweise bestätigte Sam ihn in dieser Einschätzung, denn er wurde von seinem Bruder mit einem anerkennenden Nicken bedacht. Auch Cas schien überrascht, in die nähere Planung bei der Jagd miteinbezogen zu werden.   „Ich glaube nicht, dass sie sich auf diesem Wege finden lässt, wenn sie nicht gefunden werden will“, gestand er schließlich schlicht.   „Aber wenn alle Stricke reißen, sollten wir es versuchen?“, hakte Sam nach, offensichtlich noch nicht bereit, von seinem Einfall abzulassen.   „Wenn alle Stricke reißen“, wiederholte Cas langsam und Dean kam in den Sinn, dass er gerade vermutlich zum ersten Mal in seiner gesamten Existenz Gebrauch von dieser Formulierung gemacht hatte. „Wenn ... alle Stricke reißen“, an dieser Stelle hatte Cas die gefesselten Hände gehoben, um mit Zeige- und Mittelfinger beider Hände Anführungszeichen in der Luft anzudeuten, „ … sollten wir Crowley in euer Verlies im Bunker beschwören und versuchen, die Feder von ihm zurückzubekommen, die er mir gestohlen hat.“   Die Feder.   Die Crowley Cas gestohlen hat.   Die …   WAS?!   Dean konnte in stummer Verzweiflung nur einen Blick mit seinem Bruder wechseln, dem es ganz ähnlich die Sprache verschlagen zu haben schien. 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