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Unheilige Nacht

SPN Adventskalender auf fanfiktion.de: Tür 6
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnungen:

Alkoholismus, Depression und Suizidalität. Komplett anzeigen

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Charles "Idjit" Dickens und ein Kaffee voll Rum

Dunkel. Schon wieder.
 

Immer noch?
 

Er hasst den Sommer, die Hitze, die Tage, die nie enden wollen, aber dass jetzt, im Winter, ab vier Uhr nachmittags die Nacht beginnt, macht das Leben für ihn nicht leichter. Schlimmer sogar noch, da es erst gar nicht mehr richtig hell zu werden scheint. Die anhaltende Dämmerung gibt nicht nur die Bühne für einen Großteil der Schauergestalten frei, auf die er nun fast schon sein halbes Leben lang Jagd macht. Sie ist auch der beste Nährboden für seine eigenen Abgründe.
 

Der 24. Dezember. Ein Tag wie jeder andere. Dunkelheit und Stille täuschen über das Ende der Nacht hinweg und noch immer schweigen die Telefone in Bobbys Haus. Niemand fragt um Rat, kein aufgebrachter Beamter verlangt, den Vorgesetzten von Agent X oder Sonderbeauftragtem Z  zu sprechen. Bobby wirft keinen Blick in den Kalender; er hat sehr wohl mitbekommen, dass sich die Vorweihnachtszeit hinterrücks angeschlichen hat – heimtückischer als ein Reaper an einen zum Tode Geweihten – aber das ist noch lange kein Grund, bedrückt nach dem Datum zu schielen oder auf einen Anruf von seinen Jungs zu hoffen.
 

Ein Anruf von den Jungs.  
 

Er schnaubt über den eigenen sehnsüchtigen Gedanken, während der erste Kaffee mit quälender Trägheit in die Glaskanne plätschert. Sie haben sich schon eine ganze Weile nicht mehr bei ihm gemeldet, Sam und Dean. Nicht, dass sie es nötig hätten.
 

Kommen allmählich immer besser alleine zurecht …
 

Er beschließt, sich anstelle eines Frühstücks ein Glas Milch einzuschenken. Feste Nahrung am Morgen (… Abend? Es ist dunkel! ) ist nichts für einen gestandenen, wenn auch funktionalen Alkoholiker.

Auf der Suche nach einem sauberen Glas oder einer frischen Tasse ignoriert er den Berg dreckigen Geschirrs im Spülbecken und nimmt schließlich das benutzte Whiskeyglas vom Vorabend ins Visier. Natürlich ist es leer bis auf den letzten Tropfen – denn wenn es eine Sache auf dieser Welt gibt, die Bobby Singer nicht verkommen lässt, dann ist es, natürlich neben einer frischen Spur auf Monsterjagd, ein guter Tropfen. Oder überhaupt irgendein Tropfen, gut muss er nicht einmal sein, vielmehr hochprozentig und herb, brennend im Abgang. Wenn der Alkohol ihn schon nicht vergessen lässt, so betäubt er doch wenigstens genug, um ihn nie die Moral verlieren zu lassen.
 

Für die Jungs.  
 

Außerdem ist es sein eigener Weg des langsamen Abtretens. Die deutlich schnellere und vielleicht weniger erbärmliche Alternative wartet in Form des mit nur einer einzigen Patrone geladenen Revolvers geduldig in der obersten Schublade seines in die Jahre gekommenen Schreibtisches und verhöhnt Bobby mit seiner bloßen Existenz aus seinem Versteck heraus.
 

Was trinkst du überhaupt noch, wenn du jetzt auch genauso gut die Radieschen von unten bewundern könntest?  
 

Aber die Jungs, seine Jungs, Sam und Dean, die beiden leben noch und obwohl sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit fallen lassen wie ein benutztes Taschentuch, ist das Grund genug, für sie ebenfalls am Leben zu bleiben. Immerhin steckt in so manch benutztem Taschentuch mehr abgewischter Gefühlsausdruck, als Bobby sich allein zu empfinden imstande fühlt. Irgendetwas müssen diese beiden Kindsköpfe doch in ihm sehen; vielleicht sogar mehr als den Mentor, der er seit Jahren für sie zu sein versucht.
 

Also nimmt er eben mit dem alten Whiskeyglas Vorlieb, das zwar leer ist, nichtsdestotrotz eine eigenwillige Note zu dem Schluck kalter Milch beisteuert. Er betrachtet den dominanten Hauch Bourbon nicht einmal unbedingt als Makel seines stillen, dunklen Morgens (?), während er auf den Kaffee und auf ein Zeichen wartet; auf einen Anruf, eine Nachricht, ein SOS – irgendetwas, das ihm verrät, dass er immer noch wichtig ist, immer noch seine Rolle zu spielen hat, in diesem verschissen einsamen, qualvollen Spiel, das sich Leben schimpft.
 

Doch die Telefone schweigen und der Marker im Kalender verweist so penetrant auf die 24, dass Bobby sich zu fragen beginnt, ob die Zeit vielleicht einfach stehen geblieben ist und er eigentlich nur auf den ersten Geist der verflixten Weihnacht wartet, bevor er endlich abtreten darf. Nein, zuerst kommt Marley, der verstorbene Geschäftspartner (Rufus?).

Und doch ist es der Geist der vergangenen Weihnacht, bei Dickens in der Gestalt eines kleinen Jungen, wie er sich sehr wohl erinnert, der ihn plötzlich unbarmherzig heimsucht. Mit einem Mal ist er sich nicht sicher, ob er ein weiteres Weihnachten ohne Karen überhaupt erträgt. Seine eigenen Predigten von Familie. Was haben die überhaupt für einen Wert, wenn diejenigen, die er dazu zählt, alle derzeit unerreichbar für ihn sind?
 

Das Wissen, dass er völlig allein und ohne jede Vorbereitung in die Festtage hineingeschlittert ist, wäre nicht halb so schlimm, wie das Bewusstsein darüber, wie leer sein Leben ohne Karen, die Liebe seines Lebens, ist. Er hat über die Jahre versucht, ihm einen Sinn zu geben, seinem so nutzlosen Dasein, hat Jägern immer und immer wieder ihre verdammten Ärsche gerettet, zugelassen, dass sich die Winchesters viel zu tief in seinem verbitterten, kaum mehr lebendigen Herzen einnisten. Und das hat er jetzt davon, die Quittung: Als Dank für all seine Mühen, für die ganze Arbeit an vorderster Jägerfront, ist er am Ende eben doch allein.
 

Vielleicht lauert um die nächste Ecke ja wirklich sein Sensenmann, vielleicht wartet er bloß noch darauf, dass Bobby endlich den Mumm in seinen alten Knochen findet, zum Schreibtisch geht, die oberste Schublade öffnet … Vielleicht drückt ihn seine Stimmung deshalb immer weiter in den Abgrund.
 

Vielleicht sind die Jungs auf dem Weg hierher.  
 

Ein Quäntchen Hoffnung kämpft sich tapfer in ihm nach oben, vielleicht dank des Kaffees, der seinen Kreislauf endlich ein wenig in Schwung bringt. Der Jüngste ist er ja auch nicht mehr. Ja, vielleicht planen Sam und Dean eine Überraschung am Weihnachtsmorgen und rufen deshalb vorher nicht an. Also macht es überhaupt keinen Sinn, sich heute über die beiden den Kopf zu zerbrechen, wenn sie morgen mit bedröppelten Gesichtern bei ihm aufschlagen. Und natürlich werden sie sich verspäten, bestimmt braucht er gar nicht erst vor dem frühen Nachmittag mit ihnen zu rechnen … Wäre es albern, zu versuchen, trotzdem bis morgen für sie ein Essen auf die Beine zu stellen? Wo zum Teufel soll er am Weihnachtsabend noch einen Braten auftreiben?
 

Du redest dir Blödsinn ein!  
 

Es ist ein Tag wie jeder andere. Ebenso wie der nächste und auch der Tag danach – zur Hölle mit den ganzen Festlichkeiten! Genau so werden es auch Sam und Dean sehen. Nicht einmal eine Hand voll Feiertage, was macht es da schon für einen Unterschied, ob er allein ist oder Gesellschaft hat? Nicht, dass er deshalb gleich sentimental werden würde. Die Waffe in seinem Schreibtisch lauert bedrohlich in ihrem dünnen Versteck aus verschrammtem Holz und Bobby streckt seinen schwarzen Kaffee mit einem guten Schuss Rum.
 

Der Morgen, oder das, was Bobby dafür hält, verstreicht und er überprüft die Nachrichten. Fröhliche Weihnachten hier, frohes Fest da – es ist ein wahrer Alptraum. Der Pharisäer ohne Milch und Sahne ist längst Geschichte und vielleicht wäre es Zeit für ein Bier (für Whiskey ist es, trotz andauernder Dunkelheit, vielleicht noch einen Hauch zu früh). Abgesehen von der unausstehlich guten Laune der Ansager im Fernsehen ist die Welt nicht weniger brutal und grausam, als an jedem anderen Datum auch. Die Telefone schweigen jedoch beharrlich und der Revolver wiegt schwer in seiner Schublade; so bleischwer, als trüge er ihn in seinen Eingeweiden mit sich herum.
 

Bobby macht einen Bogen um den Schreibtisch, geht in die Küche, holt das Bier. Direkt zwei Flaschen, denn warum nicht? Es ist Heiligabend, verflixt noch eins, und wenn das kein Grund für einen Schwips um … wie viel Uhr auch immer! ist, dann weiß er es auch nicht. Vor allem braucht es für einen spürbaren Pegel bei ihm schon lange mehr als ein bisschen Rum und zwei Flaschen Bier, also sei‘s drum.



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