In Pissgelb und Rosé von _Delacroix_ ================================================================================ Tomatenrotes Haar floss über ihre Schultern, wie ein merkwürdig gefärbter Wasserfall. Doch Ginny Weasley schien das nicht zu stören, sie lächelte einfach immer weiter. Einen Moment lang bewunderte Draco den Saum ihres Kleides, von dem ihm ein Meer aus Perlen entgegenfunkelte, dann klappte er das Foto auf das graue Holz des Schreibtischs hinab. «Sag mir noch mal, warum wir das hier machen», verlangte er. Auf der anderen Seite des Tisches hob Percy Weasley langsam seinen Kopf. «Das habe ich doch schon dreimal getan», erwiderte er, «Ich werde die Schublade nie aufbekommen, wenn ich ständig aufhören muss, um dir noch mal zu erklären, was du eigentlich längst weißt.» Draco stieß ein ungnädiges Seufzen aus. «Lass mich mal.» Mit der Eleganz, die nur ein Malfoy aufzubringen wusste, der im Begriff war, etwas äußerst Unmoralisches zu tun, stieß er sich vom Schreibtisch ab, umrundete diesen und blieb schließlich neben Percy stehen. Einen Moment lang musterte er die unscheinbare Schublade vor sich, dann streckte er die Hand aus, um mit den Fingern über das angelaufene Schlüsselloch zu fahren. «Ich habe bereits alle gängigen Öffnungszauber versucht», informierte ihn Percy, während seine Finger über das graue Holz wanderten. «Langsam glaube ich, dass wir es ohne Schlüssel nicht aufbekommen werden. Ich sage es ungern, aber diese Schublade ist wirklich —» Es knallte dumpf, als Dracos flache Hand auf dem Holz landete. Ein Kaffeebecher machte einen Satz nach links, ein paar Büroklammern hüpften, dann klickte es, und Draco lehnte sich zufrieden zurück. «Was wolltest du sagen?», fragte er zuckersüß. Percy rollte mit den Augen. «Sag nicht, du wusstest, dass sie klemmt.» «Natürlich wusste ich, dass sie klemmt», entgegnete Draco mit einem Lächeln, «Es ist schwer, sich mit jemandem die Kaffeeküche zu teilen und dabei nicht zu hören, wenn er wüst auf seinen kaputten Schreibtisch schimpft.» «Und das sagst du mir erst jetzt, weil?» «Ich sehen wollte, ob du vielleicht von selbst drauf kommst.» Percy presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, bevor er nach dem Griff der Schublade langte, um sie aufzuziehen. «Hoffen wir, dass er auch wirklich hier drinnen ist», murrte er ärgerlich.   Draco lehnte sich gegen den Schreibtisch und ließ den Blick über die grauen, gleichförmigen Trennwände der Aurorenzentrale gleiten. Percy hatte recht. Sollte der Bericht nicht in dieser Schublade zu finden sein, hatten sie ein Problem. Oder zumindest Percy hatte eines. «Ich kann immer noch nicht glauben, dass die beiden vergessen haben, einen derart wichtigen Bericht abzugeben», warf er schließlich einen versöhnlich klingenden Köder für ihn aus. Percy gab ein leises «Tzz» von sich, während er sich durch die Papiere in der Schublade wühlte. «Gut, sie haben es gemerkt», versuchte Draco es noch einmal, «aber wie lange sind sie jetzt schon auf Bora Bora?» «Eine Woche», murmelte Percy, die Nase nach wie vor tief in den Dokumenten vergraben. «Da sollte man doch annehmen, dass Granger das Versäumnis inzwischen aufgefallen ist.» «Selbst wenn dem so wäre. Was sollte sie tun? Sie ist im Süd-Pazifik und der nächste Portschlüssel wird erst in einer Woche erscheinen. Sie könnte uns nicht suchen helfen, selbst wenn sie — Ha!» Percy reckte triumphierend die Hand in die Luft. «Ich hab ihn.»   «Du hast was?»   Draco zuckte zusammen, während Percys Wangen sich spontan kirschrot färbten. «N-nichts», stotterte er. Es war ein schwacher Versuch, sich herauszureden, und Draco ahnte bereits, dass sie damit keinen Erfolg haben würden. Zwei Männer, die halb vier in der Nacht vor einem fremden Schreibtisch standen und Papiere aus Schubladen fischten, wirkten aus gutem Grund verdächtig. Die junge Frau, die im Eingang zu Potters Bürozelle stand, schien ähnlicher Meinung zu sein. Ihre roséfarbene Robe glänzte im schwachen Licht der Kerzen, die das Büro erhellten, während ihre glatten, schwarzen Haare jeden Lichtstrahl zu verschlucken schienen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, doch Draco war sich sicher, ihr Zauberstab konnte nicht weit sein. «Wo ist Harry?», fragte sie mit strenger Stimme. «Ähm ... Also der ist —» «Auf Bora Bora», warf Draco ein. Normalerweise mochte er es, wenn Percy sich wand, um eine Erklärung zu finden, doch in diesem Fall sah das Ganze ein bisschen anders aus. Immerhin war es nicht er, der seinen Begleiter in Verlegenheit brachte. «Bora Bora?», wiederholte die Hexe ungläubig. «Und Ron und Hermione?» «Ebenfalls.» Sie knirschte mit den Zähnen. «Wann geht der nächste Portschlüssel?», fragte sie weiter. Draco war versucht, ihr zu sagen, dass er kein Angestellter der Portschlüsselstelle war, und sie dort nachfragen sollte, wie jeder andere auch, doch Percy räusperte sich, und zog so ihre Aufmerksamkeit auf sich. «Der nächste Portschlüssel nach Bora Bora geht in einer Woche vom Ministère des Affaires Magiques de la France aus. Und nein, es gibt auch keine frühere Rückreisemöglichkeit.» Die Augen der jungen Frau weiteten sich. «Na fein ... », verkündete sie, mit deutlich weniger Selbstbewusstsein in der Stimme als zuvor, «Dann will ich jetzt einen der Auroren sprechen.» «Wegen einer Schublade?» Draco schnaubte ungläubig, doch das schien sie nicht zu beeindrucken. «Nein, Malfoy», stellte sie klar, «Nicht wegen eurer Schublade. Auch wenn ich glaube, ich sollte Harry davon erzählen. Also, wo sind die Auroren?» Percy seufzte. «Ich fürchte, die Nachtschicht ist vor einer Stunde ausgerückt, um einen Brand in York zu prüfen. Man vermutet eine illegale Zucht von Aschwinderinnen.» «Aschwinderinnen?» Inzwischen klang die Hexe fast schon panisch. «Dann holt sie zurück! Das hier ist wichtiger als eine magische Schlange.» Draco hob die Augenbrauen. «Was kann bitte wichtiger sein, als eine pyromanisch veranlagte Schlange?»   «Meine Schwester.» Draco starrte in ihre dunklen Augen und die Hexe starrte wortlos zurück. Eine endlose Sekunde lang musterten sie einander, dann ging ihm endlich ein Licht auf. «Patil», nannte er sie probeweise beim Namen und konnte nun beobachten, wie sich die Erkenntnis auch auf Percys Gesicht ausbreitete. «Was ist mit deiner Schwester?» Die junge Frau wrang ihre Hände. «Das ist es ja gerade, Malfoy. Ich weiß es nicht. Sie ist einfach weg.» «Weg?», echote Percy skeptisch, «Bist du sicher? Vielleicht ist sie ja nur mit einem Kollegen ausgegangen?» «Padma?», entgegnete Parvati, dann schüttelte sie sanft den Kopf. «Nein, als sie das letzte Mal ausgehen wollte, hat sie mir das schon zwei Wochen vorher schriftlich mitgeteilt. Irgendetwas stimmt da nicht.» «Vielleicht wollte sie ein bisschen Abstand zu dir?», schlug Draco vor, doch ein wütender Blick ließ ihn vermuten, dass Patil dieser Theorie auch nicht zugetan war. «Wo sollte sie denn hin?», ereiferte sie sich, «Im Büro ist sie nicht. Ihre Freunde haben sie nicht gesehen ... Ich glaube wirklich, dass sie einfach so verschwunden ist.» «Gibt es denn einen Grund, warum sie verschwinden sollte? Habt ihr euch gestritten?» «Nein. Ich weiß nur, dass sie heute Mittag eine Lieferung kontrollieren wollte. Deshalb musste ich alleine essen und danach war sie einfach nicht mehr aufzufinden.» Percy runzelte die Stirn. «Was für eine Lieferung?», fragte er. Parvati überlegte einen Augenblick: «Ich denke, es ging um Tee», erklärte sie dann. «Irgendwer hatte sich bei den Mengenangaben verschrieben. Padma hat den Fehler sehr persönlich genommen und wollte ihn ausbessern, bevor die Papiere ans russische Zaubereiministerium gehen.» «Deine Schwester wollte eine Teelieferung überprüfen und jetzt ist sie weg?», fasste Draco fachmännisch zusammen, «Nun, damit ist wohl klar, was passiert ist.» Zwei ehemalige Gryffindors guckten ihn skeptisch an. «Sie hat den Tee gefunden und versucht nun, ihn akkurat abzuwiegen. Was mit Blick auf die vielen Kleinteile und die unglaublich schlechten Waagen, die wir vom Ministerium gestellt bekommen, ein Jahrhundertprojekt darstellen dürfte. Mach dir keine Sorgen, Patil, spätestens zum Frühstück ist sie wieder da. Ich würde dir aber empfehlen, ihr in jedem Fall Kaffee zu servieren.» Draco erlaubte sich ein arrogantes Grinsen, was Parvati mit einem wütenden Schnauben quittierte. «Mach dich nicht lächerlich», fauchte sie, «Padma weiß sehr genau, was sie tut. Und egal wo sie ist, ich bin mir sicher, wenn sie etwas gerade nicht tut, dann ist es Tee abwiegen.» «Ach, du meinst, sie ist inzwischen an Langeweile gestorben?» «Draco», fuhr Percy dazwischen und funkelte ihn verärgert an. Er seufzte. «Na schön», lenkte er ein, «Ich habe es nicht so gemeint. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie vielleicht wirklich immer noch an der Sache dran ist. Und wenn dem so ist, findest du sie vermutlich in dem Lagerhaus.» «Dann werde ich jetzt dahin apparieren und wenn die Auroren zurückkommen, richtet ihnen bitte aus, dass —» «Warte», fiel Percy ihr ins Wort. «Wir können dich unmöglich mitten in der Nacht alleine in ein Lagerhaus apparieren lassen, in dem vielleicht schon deine Schwester verschwunden ist.» Draco lächelte dünn. «Also ehrlich gesagt», begann er, doch ein weiterer bitterböser Blick von Percy brachte ihn dazu, den gemeinen Kommentar zu schlucken. Natürlich konnte er ihr sagen, dass er das sehr wohl konnte, aber wenn er es tat, wäre der Preis dafür höher als eine verärgerte Gryffindor. «Er hat recht», erklärte er stattdessen, «Es wäre nicht ratsam, allein zu gehen. Schon weil diese Lagerhäuser meist nicht gerade in den besten Gegenden stehen. Ich will nicht bestreiten, dass du auf dich aufpassen kannst, aber vielleicht wäre es klüger, wenn wir kurz gemeinsam vorbeischauen. Ich meine, es liegt fast auf dem Heimweg, nicht wahr?» Percy legte den Kopf schief, aber er widersprach nicht. Vermutlich versuchte er gerade zu erörtern, ob seine allabendliche Apparationsroute wirklich über Lagerhäuser hinweg führte, oder ob Dracos Erwähnung einfach nur ein billiger Vorwand war, um es der Hexe leichter zu machen, das Angebot anzunehmen. Wenn er ganz ehrlich war, wusste er es selber nicht genau. London war eine große Stadt und es gab viele Häuser, über die man auf dem Heimweg apparierte, ohne wirklich zu wissen, was sich in ihnen befand. Ein Dach war ein Dach und eine Straße eine Straße. Theoretisch konnte er Patils Weg heute schon gekreuzt haben, ohne auch nur zu wissen, dass sie in der Nähe war. Und Percy sicher ebenso. Ihm gegenüber stieß die Hexe einen leisen Seufzer aus. «Na gut», stimmte sie dem Vorschlag zu, «Aber wenn wir dort nichts finden, helft ihr mir, einen Auroren aus dem Bett zu kriegen und erklärt ihm, warum wir in einem Teelager wertvolle Zeit vertrödelt haben.» Das Lagerhaus lag in einem trostlosen, dreckigen Teil von London und ließ Draco ernsthaft darüber nachdenken, warum eine intelligente, junge Frau sich dort aufhalten sollte. Die nahe gelegene Themse brachte einen unangenehmen Geruch nach Fisch mit sich und die einzigen Straßenlampen, die es gab, sonderten ein seltsam trübes Licht ab, das hinten und vorne nicht reichte, um die ganze Straße zu erhellen. Neben ihm schüttelte Parvati ungläubig den Kopf. Es fiel ihr sichtbar schwer, zu glauben, dass ihre Schwester sich freiwillig an solch einen Ort begeben haben sollte. «Hier ist es», erklang Percys Stimme ein paar Meter entfernt. «Wenn die Nummern stimmen, ist das hier das Lagerhaus, das sie besuchen wollte.» Draco nickte. Er hatte keine Ahnung, wie Percy das herausgefunden hatte, doch der Gedanke, eine Tür zwischen sich und den Fischgestank zu bringen, war verlockend genug um blind auf die Urteilskraft seines Begleiters zu vertrauen. Parvati schien ähnlich zu denken, denn auch sie eilte, ohne zu zögern, auf die Tür der Lagerhalle zu. «Alohomora», flüsterte sie, öffnete die Tür und gab den Blick frei auf ein Labyrinth aus Kisten, Kartons und dunklen Ecken, die kein bisschen vertrauenerweckender aussahen, als die Straße hinter ihnen. «Ich schlage vor, wir fangen rechts an und arbeiten uns dann systematisch nach links durch den Raum. Dann können wir nichts übersehen», murmelte Percy. Doch obwohl sein Vorschlag sicher nicht schlecht war, fühlte Draco sich nicht gerade überzeugt. Zwischen all den Kisten und Kartons hätte man einen Elefanten verstecken können und sie hätten es erst gemerkt, wenn sie bereits den Rüssel auf der Schulter gehabt hätten. «Padma!», rief die Hexe neben ihnen und marschierte schnurstracks in die Dunkelheit hinein. Draco wagte einen Blick zu Percy: «Und darum hasse ich euch Gryffindors», kommentierte er ihr Tun. «Padma! Wo bist du?!» Er rollte mit den Augen, dann stapfte er Parvati hinterher. Hinein in eine Welt aus Kisten, uneinsehbaren Winkeln und einer alles umhüllenden Dunkelheit.   Draco wusste nicht, wie lange sie nun schon durch das Lagerhaus irrten. Er wusste nicht einmal, ob er die merkwürdige, fünfeckige Kiste nicht schon einmal gesehen hatte, an der Parvati gerade mit einer Selbstverständlichkeit vorbeiglitt, als wüsste sie ganz genau, was sie da tat. Hinter ihm stieß Percy ein leises Seufzen aus. «Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob dieses Vorgehen Effektivität verspricht», murmelte er und Draco hätte Allerliebsten laut «Nein» geantwortet. Was sie hier machten, war wirklich Meilen davon entfernt, die Bezeichnung «Effektiv» zu verdienen. «Wir haben uns verlaufen», entgegnete er stattdessen. Percy schnalzte mit der Zunge. «Haben wir nicht», widersprach er ihm, «Die Tür liegt in dieser Richtung. Solange wir das noch wissen und von vier Wänden umgeben sind, kann man nicht wirklich von Verlaufen sprechen, weil wir ja durchaus wissen, wo wir uns befinden.» Draco seufzte. «Du bist der Typ Mensch, der auch in einem Maislabyrinth noch glaubt, den Weg nach draußen ohne Probleme finden zu können, oder?», stichelte er. «Das kommt auf das Maislabyrinth an. Normalerweise lässt sich das Verlaufen aber vermeiden, wenn man sich von Anfang an stets an die rechte Abzweigung des Labyrinths hält. Durch die Gleichförmigkeit der Entscheidung ist man in der Lage, seinen Weg auch nach hundert Kreuzungen noch akkurat zurückzuverfolgen und auf diese Weise —» «Erspar mir das», entgegnete Draco. «Wenn sich dein Vorgehen nicht auf ranzige Lagerhäuser ausweiten lässt, will ich es gar nicht genauer wissen.» Vor ihm blieb Parvati ruckartig stehen. «Jungs, hört auf. Ihr wisst, dass ihr mich nicht weiter begleiten müsst», erklärte sie in einem überraschend ruhigen Ton. «Das hier ist ein ziemlich ekliges Lagerhaus. Es ist groß, es ist dunkel und ja, ich glaube auch, ich habe vor drei Kisten eine Ratte gesehen. Aber ich glaube, wir können uns langsam eingestehen, dass Padma nicht hier ist. Wäre sie es, sie hätte doch auf meine Rufe geantwortet.» Draco nickte. «Das ist ein Ansatz, den ich so unterschreiben kann.» «Außerdem haben wir große Teile des Lagers abgesucht.» Draco nickte noch einmal. «Also eigentlich», begann Percy, verstummte aber ob ihrer Blicke. Vielleicht hatte er Sorge, noch einmal eine «logische» Erklärung an sie zu verschwenden, vielleicht war ihm aber auch aufgegangen, dass er die Möglichkeit, sich mit Würde aus der Sache zurückzuziehen, mit jedem Einwand bombardierte, oder aber — «Diese Kiste hier sieht komisch aus», bemerkte er und am Allerliebsten hätte Draco ihn dafür erwürgt. «Es ist eine Kiste», entgegnete er, «Und sie ist fünfeckig. Alleine deshalb muss sie schon merkwürdig aussehen. Ich meine, wer packt seine Waren in eine fünfeckige Kiste?» «Jemand, der fünfeckige Waren hat?» Parvati stemmte einen Arm in die Hüfte, während sie mit dem anderen in Richtung der besagten Kiste leuchtete. Zugegebenermaßen sah sie wirklich seltsam aus. Im dumpfen Schein von Parvatis Zauberstab konnte Draco das helle Holz erkennen, die feine Maserung, die fünf markanten Ecken und ...   «Ist das Blut?» «Ja, das ist Blut», beantwortete Draco seine eigene Frage und widerstand der Versuchung, einen Finger zur Untermalung seiner Ansichten auf das Holz zu setzen. Er wusste, die Kollegen der Spurensicherung würden ihn umbringen, wenn er ihre Beweise kontaminierte. Also hielt er tapfer einige Millimeter über dem Holz inne und malte einen kleinen Kringel in die Luft. «Das ist ein Schmiermuster», erklärte er dann. «Wer auch immer hier geblutet hat, muss mit der Wunde gegen die Kante dieser Kiste gekommen sein. Seht ihr den Abrieb hier? Wäre das Blut beim Vorbeilaufen auf die Kiste getropft, die Spur sähe anders aus. Runder und weniger schmierig. Die gute Nachricht ist, es scheint nur diese eine Stelle zu sein. Das heißt, wer auch immer hier geblutet hat, hat nicht viel von seinem Blut verloren. Außer natürlich ...» Percy öffnete den Mund, um ihn zu unterbrechen, doch Draco hielt von selber inne. Er wusste, was er gerade dachte, war nicht unbedingt für ihre Begleiterin geeignet. Denn wenn wirklich jemand versucht hatte, hier Spuren zu verwischen, dann war das kein kleiner Unfall mehr. Neben ihm atmete Parvati ganz tief durch. «Wenn dieses Blut von Padma ist», begann sie, doch ihr nüchterner Tonfall schwankte, als würde er gleich in sich zusammenbrechen, «Wo ist sie dann?»   «Vielleicht ist sie weitergegangen», schlug Draco vor. «Wie gesagt, der Abrieb sieht nicht nach einer großen Wunde aus. Vielleicht hat sie sich bei der Untersuchung der Kisten verletzt und ist ins St. Mungos appariert, um das heilen zu lassen. Es wäre möglich. Wir müssen hier nicht mit dem Schlimmsten rechnen.» «Aber wissen tun wir es auch nicht genau», entgegnete die Gryffindor. «Vielleicht ist sie doch hier irgendwo. Vielleicht braucht sie unsere Hilfe! Vielleicht — PADMA!» «Tscht.» Parvati verstummte und auch Draco blickte neugierig zur anderen Seite, um zu sehen, warum Percy sie so plötzlich unterbrach. «Ich glaube», begann der, „Also vielleicht. Ich habe es noch nie ausprobiert. Aber möglicherweise ...“ Draco hob skeptisch die Augenbrauen, «Komm auf den Punkt, Weasley», knurrte er. Er konnte es nicht brauchen, dass Percy sich jetzt von der Patils Panik anstecken ließ. Panik, das wusste er, war kein guter Ratgeber für schwierige Situationen. Panische Menschen machten Fehler. Und Fehler verursachten Kosten. Kosten, die zumindest die verschwundene Ravenclaw nicht tragen wollen würde.   «Ihr wisst doch», versuchte Percy es noch einmal, «Ich habe eine Zeit lang unter Rufus Scrimgeour gearbeitet. Und Scrimgeour war Auror. Er hat immer gerne von seinen alten Fällen erzählt und manchmal auch ein oder zwei Taktiken verraten. Möglicherweise ... Also ich weiß nicht, ob es klappt, aber ich könnte versuchen, einen oder zwei seiner Zauber anzuwenden. Vielleicht finden wir dann weitere Spuren.» «Oder du verfälschst sie und die Spurensicherung bittet mich morgen früh, deinen Kopf in Formaldehyd zu tränken.» Percy schüttelte den Kopf. «Ich bezweifle, dass die Spurensicherung solche Bitten an dich richtet. Außerdem, wenn wir etwas finden, haben wir es schneller, als wenn wir jetzt nach York apparieren und einen der Auroren von den Aschwinderinnen weglocken. Falls sie sich überhaupt locken lassen.» Draco seufzte. Wie immer hatte Percy recht. Es war ein Risiko, ihn mit Zaubern experimentieren zu lassen, die er noch nie verwendet hatte, aber wenn Potter sie anwenden konnte, dann konnte Percy das erst recht. Und eine gute Beweislage würde den Auroren die Arbeit erleichtern. Besonders, da Fälle wie dieser ein gewisses Zeitlimit hatten. Er hatte es Patil noch nicht gesagt, doch in jedem Handbuch stand, dass die Chance, die verschwundene Person lebend zu finden, von Stunde zu Stunde schlechter wurde. Ein Ausflug nach York würde ein oder zwei Stunden kosten und selbst wenn sie ins Ministerium zurückkehrten und einen Auror aus der Tagschicht weckten; bis dieser auf dem Laufenden war und den Tatort untersucht hatte ... «In Ordnung», lenkte er schließlich ein, «Dann versuch es eben. Aber versuch, dabei möglichst wenig eigene Spuren zu hinterlassen, nur für den Fall, dass du doch nichts findest.»   Percy nickte stumm, dann zückte er den Zauberstab. Draco blickte zu Parvati und legte sich einen Finger auf die Lippen. Er wusste, dass es der Gryffindor schwerfiel, nicht weiter nach ihrer Schwester zu suchen, doch er wollte nicht, dass Percys Konzentration durch ein lautes «Padma» gestört oder der Zauber irgendwie abgelenkt wurde. Das hier war schließlich keine Unterrichtsstunde bei Professor Flitwick, das war ganz eindeutig höhere Magie. Als sie die Augen aufschlug, empfingen sie rostrote Ziegelsteine, die im Halbdunkel fast schwarz zu sein schienen. Padma stöhnte, während sie sich aufsetzte. Ihr Kopf tat weh, die Welt schwankte und sie fühlte sich, als hätte sie sich vor Kurzem erbrochen. Hatte sie sich erbrochen? Padma versuchte, sich zu erinnern, doch da war nichts. Sie wusste noch, wie sie das Lagerhaus betreten hatte, entschlossen, einen Blick in die Kisten zu werfen, in deren Frachtpapieren das Wort «Tee» verzeichnet gewesen war. Sie erinnerte sich, wie sie die Nägel aus einer hellen, weißen Kiste gehext hatte, wusste, wie sich der Deckel unter ihren Fingern angefühlt hatte, als sie ihn angehoben hatte. Und dann — nichts. Ratlos begann sie sich umzusehen. Rostrote Ziegelsteine hatte sie im Lagerhaus nicht bemerkt. War sie überhaupt noch dort? Sie lauschte, konnte jedoch das gleichmäßige Rauschen der Themse nicht mehr hören, das sie auf ihre Erkundungstour begleitet hatte. Vielleicht hatte jemand die Tür geschlossen? Unwillkürlich schob sie Hand in den Ärmel ihrer senfgelben Robe und suchte nach ihrem Zauberstab, doch nichts. Sie schluckte. Etwas, das sie ob des widerlichen Geschmackes in ihrem Mund so gleich bereute. Vielleicht hatte sie den Stab fallen lassen, als sie gefallen war. Vorsichtig tastete sie umher. Der Boden war glatt und kalt, doch sie konnte kein Stück Holz erspüren. Umständlich rappelte sie sich auf. Noch immer tanzten die Kisten vor ihren Augen, aber wenn sie ganz langsam und ruhig atmete, wurde es ein bisschen besser.   Vorsichtig machte sie einen Schritt, dann noch einen und so langsam begann sie ihrem Gleichgewichtssinn wieder zu vertrauen. Die Welt um sie herum wurde ruhiger. Ihr Magen hörte auf zu rebellieren. Leise schlich Padma um eine Kiste herum und erstarrte.   Da vor ihr, im Halbdunkel. Das war — Padma presste sich die Hand vor den Mund, um ihr entsetztes Keuchen zu unterdrücken — ein Phönix. Dicke, dunkle Ketten drückten das Tier auf den Boden. Sein leuchtend orangerotes Federkleid wirkte stumpf und fahl. Glanzlose Augen richteten sich auf sie. Ein Schnabel bewegte sich, doch es erklang kein Krächzen. Padma schluckte. Wer hatte das dem armen Tier nur angetan? Zögerlich machte sie einen Schritt auf den Phönix zu, dann noch einen und schließlich konnte sie vorsichtig die Fingerspitzen durch die farblosen Federn gleiten lassen. «Keine Angst», flüsterte sie, obwohl ihr ihr eigenes Herz bis zum Halse schlug, «Ich hole uns hier irgendwie raus.» Vorsichtig glitten ihre Finger zu den Ketten und zogen daran, doch sie waren stabil. Hätte sie ihren Zauberstab gehabt, sie hätte sie einfach sprengen können, doch so bildeten sie ein unüberwindliches Hindernis. Hart und kalt umschlossen sie die Flügel des armen Tieres, seinen Hals, seine Füße ... Nein, ohne Magie war es unmöglich, ihn da herauszubekommen. Sie musste ihren Zauberstab in die Finger bekommen.   Vorsichtig löste sich Padma von dem Vogel. «Ich hole Hilfe», flüsterte sie ihm zu, dann schlich sie weiter in die Dunkelheit hinein.   Ein wenig hilflos lief sie zwischen den Kisten und Kartons herum, doch mit jedem Schritt, den sie machte, wurde ihr bewusster, dass sie nicht auf ihren Zauberstab hoffen konnte. Wenn sie ihn wirklich hier irgendwo verloren hatte, dann konnte er überall sein. Vielleicht war er hinter eine Kiste gerollt, vielleicht lag er irgendwo in einem schmalen Durchgang zwischen den Gütern, aber ganz egal, wie es wirklich war: Sie hatte ein Problem. Irgendjemand hatte den Phönix hier angekettet. Und möglicherweise hatte dieser Jemand sie auch an den Kisten erwischt. Und wenn dem so war, dann würde er sicher wiederkommen. Sie musste einen Ausgang finden.   Unwillkürlich glitt ihr Blick zur Decke hinauf. Die schmalen Fenster dort verrieten ihr, dass es mitten in der Nacht war. Vielleicht war deshalb niemand hier. Vielleicht würde sich mit dem ersten Sonnenstrahl die Tür der Halle öffnen und dann — Merlin wusste, was dann geschehen würde. Oder vielleicht — Padma japste tonlos — vielleicht war sie hier auch gar nicht so allein, wie sie zunächst gedacht hatte. Vielleicht bewachten die Verantwortlichen ja den Ausgang. Sie würde den Ausgang bewachen, hätte sie hier illegalerweise einen Phönix versteckt. Aber wenn das stimmte, dann hieß das, dass sie unmöglich durch die Tür verschwinden konnte. Sie würde ihren Gegenspielern höchstens in die Arme laufen. Stumm ließ sie sich hinter eine Kiste sinken. «Denk Padma, denk. Es muss einen Weg hier raus geben», flüsterte sie sich selber zu. Die Fenster schloss sie schon einmal aus. Die lagen viel zu hoch für sie. Die Tür selbst stellte auch keine Möglichkeit mehr da. Vielleicht sollte sie doch zu dem Phönix zurückkehren und versuchen, irgendwie seine Ketten aufzubekommen. Oder aber ... Ein hauchdünnes Lächeln glitt über ihre Lippen. Vielleicht hatte sie gerade die rettende Idee. Die Zauber glühten in einem dumpfen karminrot auf dem Boden des Lagerhauses und hüllten die Kartons und Kisten in ein seltsam anmutendes Lichtermeer. Percy war voll und ganz in der Anwendung seiner Zauber versunken und Draco und Parvati starrten den Boden an, stets in der Hoffnung, einen kleinen Unterschied und damit vielleicht eine Spur zu finden. Die karminroten Lichter schoben sich langsam immer weiter, legten sich wie eine Decke auf Holz und Metall, nur einen sichtbaren Unterschied, den konnte Draco bislang noch nicht erkennen. «Muss das alles so aussehen?», flüsterte Parvati ihm ins Ohr, doch er vermochte es nicht zu sagen. Der Einzige, der hoffentlich wusste, was er tat, war Percy selbst. Wie ein seltsamer Dirigent stand er mitten in der karminrot leuchtenden Halle, sein Schatten hinter ihm zu einer pechschwarzen Wand aufgetürmt. Seine Arme fuhren durch die Luft. Was auch immer er da tat, er tat es mit einer Leichtigkeit, die ihm im Alltag sonst oft fehlte. Hätte Draco es nicht besser gewusst, er hätte ihn kaum mit dem jungen Mann assoziiert, der sich die meiste Zeit des Tages hinter irgendeinem dicken Buch zu verstecken pflegte. Er hatte ein gewisses Je ne sais quoi. Eine Leichtigkeit, mit der er die schweren Formeln und Bewegungen anging und die nur vermuten ließ, was hinter ihr noch alles verborgen lag. Für einen Augenblick verlor er sich in dem gleichmäßigen Takt des Zaubers, beobachtete fasziniert, wie sich Percys Brustkorb hob und senkte. Dann plötzlich erlosch das dunkelrote Licht und Draco starrte in die Dunkelheit hinein. Ein Wimpernschlag, nein zwei, dann erfüllte ein gleißendes Licht die Halle. Percy ließ die Arme sinken. «Jemand hat hier einen Portschlüssel eingesetzt», hauchte er, «Ich habe seine Koordinaten freigelegt, wir sollten ihn kopieren können.» Dracos Hand wanderte in seine Tasche und zog einen Sickel hervor. Unter anderen Umständen hätte er es abgelehnt, auch noch Geld in diese Aktion zu investieren, doch Percys Vorführung hatte ihn auf eine seltsame Art fasziniert. Einen Augenblick lang musterte er die kleine Silbermünze, dann schnipste er sie vor sich in die Luft, wo sie, von seiner Magie gehalten, hängen blieb. «Kopier ihn», flüsterte er, die eigene Stimme rauer in seinen Ohren, als er es gewohnt war. Percys Zauberstab schnellte durch die Luft, ließ die Münze glänzen, als wäre sie ein Regenbogen. «Ich gebe zu, ich hatte mir die Aufspürzauber immer weniger farbenfroh vorgestellt», gestand er, während er langsam auf Draco zutrat. «Wichtig ist nur, dass es funktioniert», entgegnete Parvati von der anderen Seite aus. Einen Moment lang starrten sie alle drei die Münze an, dann griff Draco nach ihr. Eine Hand legte sich auf seine, dann noch eine. «Gut festhalten», befahl jemand und schon begann das Lagerhaus sich zu drehen. Die Umrisse verschwanden, neue Umrisse taten sich auf und als Dracos Füße wieder Boden berührten, da stand er ...   Mitten in einem Lagerhaus.   Misstrauisch blickte Draco nach rechts und links und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er sogar, der Zauber habe nicht funktioniert. Doch dann sah er die rostroten Ziegelsteine, roch die muffige Luft, aus der jede Nuance von Fluss verschwunden war, und er wusste, sie waren nicht mehr da, wo sie aufgebrochen waren. Neben ihm zog Parvati ihren Zauberstab aus dem Ärmel ihrer Robe. Ein kleiner Schlenker in der Luft, dann erhellte ein schwacher Lumos ihre Umgebung. «Sieht immer noch nach einem Berg an Kisten aus», flüsterte sie. Draco stimmte ihr wortlos zu. Er hatte keine Vorstellung gehabt, wo sie landen würden, aber ein weiteres Lagerhaus war ihm nicht in den Sinn gekommen. Dabei machte das Ganze sogar Sinn. «Kann es sein, dass du eine offizielle Warenlieferung verfolgt hast?», fragte er Percy leise. Der zuckte mit den Schultern. «Es war der letzte Zauber, der in diesem Lagerhaus gesprochen wurde», flüsterte er zurück.   Parvati leuchtete in einem schwachen Bogen über die Kisten und Kartons hinweg. «Gut möglich, dass wir hier am völlig falschen Ort gelandet sind.» Draco öffnete den Mund, gewillt ihr noch einmal zuzustimmen, doch er kam nicht mehr dazu. Ein grellroter Lichtblitz schoss auf sie zu, Parvati riss den Zauberstab nach oben. Etwas knallte gegen ihren Schild. «Чёрт!», fluchte es in der Ferne. Ein weiterer Fluch schoss über die Kisten hinweg. Parvati ließ sich nach links fallen und rollte sich in den Schatten. Draco sprang ihr ohne viel zu denken nach. Es knallte zu seiner Rechten und da, wo eben noch eine große Kiste gestanden hatte, prangte jetzt ein großes Loch. «Stupefy!», befahl Percy neben ihm und sein Fluch zischte durch das neu entstandene Loch von dannen. Draco zückte seinen Zauberstab «Confringo», flüsterte er und tauchte ihre Ecke für einen Augenblick in grelles Orange. Es knallte ohrenbetäubend, als sein Fluch durch einen hellen, grünen Zauber schnitt und schließlich eine der Kisten zum Explodieren brachte. Ein heiserer Schrei ertönte, dann zischte ein weiterer Zauber auf sie zu. Parvatis Zauberstab peitschte durch die Luft, der Fluch änderte die Richtung und raste zu ihrem Gegner zurück. «Drei Jahre DA», murmelte sie, als sie Dracos skeptischen Blick bemerkte, «Ich weiß, wie man den Reducto blockt.» «Achtung!», beendete Percys Stimme ihren Austausch und Draco machte eilig einen Satz nach hinten. Die Kiste vor ihm zersprang in tausend Teile, von denen nicht wenige an Percys Schildzauber abprallten. Draco duckte sich unter einem Brett hinweg. Das war definitiv nicht gut. Sein Blick glitt über den Boden und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er, etwas zwischen den Kisten zu erkennen. «Accio», flüsterte er in die Richtung und ein einsamer Zauberstab schoss in seine freie Hand. Konnte es sein, dass der vielleicht zu der fehlenden Patil — Es knallte noch einmal und Draco stopfte den Stab erst einmal in die Tasche seiner Robe. Erst mal mussten sie dieses Duell überleben, dann konnte er Parvati danach fragen.   In einer geschmeidigen Bewegung riss er den Zauberstab nach oben, gerade rechtzeitig, um einen knallroten Stupor zu blocken, dessen Verursacher ihm aus der Ferne ein schmieriges Grinsen zu warf. Dracos Mundwinkel zuckte gefährlich, dann riss er seinen Zauberstab herum. «Calvorio!», befahl er und dem Magier fielen augenblicklich büschelweise Haare aus. Padma hasste ihre Idee, seit sie angefangen hatte, sie umzusetzen. Sie hatte eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, bis sie hinter den ganzen Kisten endlich gefunden hatte, was sie suchte und bestimmt noch einmal so lange, bis das alte Schutzgitter endlich unter ihren Fingern nachgegeben hatte.   Nun lag sie auf dem Bauch in einem engen Schacht, der eigentlich der Belüftung diente und der sie hoffentlich irgendwann nach draußen führen würde. Sie konnte nur hoffen, dass sich das Gitter auf der anderen Seite auch ablösen ließ und das nicht gerade jemand darunter stand, wenn sie es versuchte. Staub stieg ihr in die Nase und ließ sie unkontrolliert laufen. Ihre Robe konnte sie mittlerweile auch vergessen. Das Senfgelb, das ihr ursprünglich so gut gefallen hatte, war inzwischen zu einem ekligen pissgelb geworden. Sie war voller Staub, Spinnweben und dann war da etwas, das gut und gerne Rattenkötel sein mochten. Padma drückte sich, so gut es ging, an einer solchen Ansammlung vorbei und kroch weiter. Sie wusste weder, wie weit es noch war, noch was sie erwarten würde. Ihre einzige Hoffnung war ein leichter Luftzug, der ihr wieder und wieder verheißungsvoll um die juckende Nase wehte.   Padma verlagerte ihr Gewicht und der Schacht quittierte es mit einem unheilvollen Ächzen. Ein klares Zeichen dafür, dass er nicht dafür gebaut worden war, dass Menschen durch ihn hindurchkrochen. Sie schob sich trotzdem weiter. Es knarrte unter ihr, als sie sich um eine enge Kurve schob und noch einmal, als sie plötzlich auf einen Widerstand stieß. Das musste es sein. Das zweite Schutzgitter.   Vorsichtig streckte Padma die Hand nach ihm aus und drückte. Das Metall ächzte, doch es rührte sich nicht. Beim ersten Gitter hatte sie sich mit ganzer Kraft daran gehangen, um es irgendwie abzukriegen, doch hier, in dem beengenden Tunnel, hatte sie nicht wirklich eine Wahl. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie es vielleicht schaffen würde, sich umzudrehen, denn wenn sie mit den Füßen dagegentrat, konnte sie sicher mehr Kraft aufbringen. Doch keine Chance. In dem engen Tunnel würde sie es nie schaffen, sich erfolgreich zu drehen. Verzweifelt presste sie sich gegen das kalte Gitter. Sie konnte einen dünnen Luftzug von der anderen Seite spüren, doch das Metall gab einfach nicht nach. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie blinzelte sie entschlossen weg. Sie durfte jetzt auf keinen Fall aufgeben. Noch einmal presste sie sich gegen das unnachgiebige Metall, versuchte irgendwie es mit der Schulter wegzudrücken, schob mit ihren Füßen, so gut es eben ging. Dann gab es einen Ruck, ihr Körper machte einen Satz nach vorne, es knallte und Padma fiel.   Der Aufprall riss ihr die Luft aus den Lungen und ließ sie wimmernd auf dem harten Betonboden zurück. Ihre Knie schmerzten, ihre Ellenbogen ebenso und vor ihren Augen tanzten bunte Flecken. Sie blinzelte mehrfach, um sie wegzubekommen. Doch als sie endlich aufsah, blickte sie direkt in die Spitze eines Zauberstabes. «Стоять на месте!», knurrte eine männliche Stimme. Padma erstarrte. Jetzt war es also passiert, man hatte sie erwischt. Ein unkontrolliertes Zittern lief durch ihren Körper. Ihre Augen begannen zu brennen, doch Padma kämpfte gegen das Bedürfnis zu weinen an. Sie würde sich jetzt keine Blöße geben. Langsam hob sie ihren Blick, ließ ihn über den schlichten, braunen Stab gleiten und blieb schließlich am Gesicht ihres Gegenübers hängen. Markante Nase, schwarzes Haar, ein dünner Bart und — «Parvati?» Padma blinzelte verstört. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Der Zauberstab vor ihrer Nase senkte sich. «Bist du das wirklich?» Sie brauchte einen Augenblick um das dicke, schwere Englisch zu verstehen. Dann schüttelte sie erschöpft den Kopf. «Padma», verbesserte sie ihr Gegenüber, während sie versuchte, dem Gesicht einen Namen zuzuordnen. Vielleicht war er einer von Parvatis Kollegen, oder vielleicht ein alter Freund, oder ... «Daniil?» Ein dünnes Lächeln erschien auf seinen Lippen, bevor er ihr die Hand hinhielt, um sie auf die Füße zu ziehen. «Das ist wirklich ewig her», stellte er fest. «Wie geht es dir? Was macht deine Schwester und was machst du hier? Es hat ausgesehen, als wärst du aus diesem Schacht gefallen.» «Ich bin aus diesem Schacht gefallen», entgegnete Padma, mehr als bemüht, irgendwie auf den Beinen zu bleiben. «Daniil, da drinnen ist ein Phönix und kein Tee und dann — Ich habe meinen Zauberstab verloren. Und die Themse. Wo ist die Themse? Ich muss ins Ministerium. Ich muss das melden.» Eine Hand legte sich auf ihren Arm. «Padma, nicht so schnell, ich verstehe nur die Hälfte. Die Themse? Ist das nicht ein Fluss in England? Du bist hier nicht in England. Der nächste Fluss hier ist die Newa.» Padma erstarrte. «Newa», plapperte sie tonlos nach. Hieß das etwa ... «Die Kisten, die sollten heute noch nach Russland gehen», murmelte sie. «Aber die Zollpapiere, die waren nicht korrekt. Das war viel zu viel Tee und viel zu wenig Kiste. Ich dachte, es sei ein Tippfehler. Ich wollte das kontrollieren.» «Willst du mir erzählen, du bist alleine losgezogen, um irgendwelche Teelieferungen zu überprüfen?», fragte Daniil nach. Padma nickte matt. «Es war doch nur Tee», murmelte sie, «Ich dachte, ich werfe einen kurzen Blick auf die Kiste, verschiebe ein Komma und damit hat es sich erledigt.» «Aber du hast kein Komma verschoben, oder?» Padma schüttelte den Kopf. «Ich bin in das Lagerhaus und hab die eine Kiste aufgemacht und dann ...» Padma fuhr sich durch die Haare und Staub rieselte zwischen ihnen auf den Boden. «Als ich aufgewacht bin, war ich hier. Daniil, da ist ein Phönix drin. Sie haben ihn festgekettet. Das widerspricht diversen internationalen Statuten.» Er schnaubte. «Das mit den Statuten wundert mich nicht. Padma, ich sag’s dir nicht gerne, aber das da drinnen, das ist ein Schmugglernest. Draco musterte die graue Wand des Aurorenbüros. Scheinbar galt auch dafür: Kannte man eine, kannte man sie alle. Mit einem Seufzer lehnte er sich auf dem Bürostuhl zurück und nippte an seinem Tee. «Also ... Calvorio», murmelte Percy neben ihm. Er zuckte mit den Schultern. «Ist mir halt gerade so eingefallen», erklärte er. «Dieser Einfall sichert Ihnen eine Erwähnung in unserem Einsatzbericht», versicherte der Russe, dem der Schreibtisch gehörte, während er eine weitere Tasse mit dampfendem Tee füllte. «Meine Kollegen haben nicht schlecht geguckt, als sie festgestellt haben, dass der Chef des Schmugglerrings, den sie schon seit drei Monaten observiert haben, plötzlich keine Haare mehr hat.» Parvati gluckste. «Wir haben auch nicht schlecht geguckt, als plötzlich ein Haufen Russen in unser Duell geplatzt ist», versicherte sie. «Aber du musst mir unbedingt noch mal erklären, wie du Padma gefunden hast.» Daniil Nowikow schob die Tasse über den Tisch und wechselte dabei einen Blick mit der ehemaligen Ravenclaw. «Gefunden kann man es nicht wirklich nennen», murmelte er dann. «Ich bin ihm fast auf den Kopf gefallen», ergänzte Padma mit einem dünnen Lächeln, «Zu meiner Verteidigung sei aber zu sagen, dass ich wirklich nicht sehen konnte, dass jemand unter dem Lüftungsschacht stand.» «Seien wir vielleicht einfach froh, dass ich nicht wirklich direkt darunter stand», entgegnete der Russe. Draco senkte seine Teetasse. «Das hätte eine ganz schöne Beule geben können», stimmte er zu. «Von Padma oder von dem Gitter?», fragte Parvati spitz und erntete dafür einen bösen Blick ihrer Zwillingsschwester. «So schwer bin ich nun auch wieder nicht», versicherte sie. «Und bevor du etwas anderes behauptest, solltest du dich daran erinnern, dass wir beide gleich viel wiegen.» Parvati rümpfte ihre Nase. «Das kannst du gar nicht genau wissen», entgegnete sie. «Stimmt», entgegnete Padma, «Im Gegensatz zu mir hattest du gestern Mittagbrot.» Die Schwestern lachten, während Dracos Hand in der Tasche seiner Robe verschwand. Einen Moment lang strichen seine Finger über das dunkle Holz eines Zauberstabes, dann legte er ihn auf den Schreibtisch. «Ich denke, das ist deiner, Patil», erklärte er und beobachtete, wie sich die Augen der Ravenclaw vor Freude weiteten. «Oh Danke, danke», entfuhr es ihr, «Ich hatte schon befürchtet, er wäre für immer weg.» «Nicht für immer», widersprach der Russe, «Nur bis die Spurensicherung mit dem Warenhaus fertig gewesen wäre.» «Also so für vier bis sechs Wochen.» Draco blickte zu Percy und der blickte unschuldig zurück. «Was denn?», fragte er schließlich, «Das ist die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei so einem großen Tatort.» Draco schüttelte den Kopf. «Weißt du, wenn ich ehrlich bin, wundert es mich nicht einmal mehr, dass du das weißt», stellte er fest. Percy zuckte mit den Schultern. «Irgendjemand muss sich solche Sachen merken», entgegnete er. «Außerdem steht es in Rons Handbuch zur Aurorenausbildung. Auf Seite 12.» «Glaubst du, er hat das Buch so weit gelesen?», fragte Draco zurück. Percy zuckte noch einmal mit den Schultern. «Keine Ahnung», entgegnete er dann, «Ist aber auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass wir seinen Bericht noch in der Frist abgegeben haben.» Draco hob die Augenbrauen. «Hast du ihn denn abgegeben?», fragte er skeptisch nach. Percy wurde blass. «Ähm ... Also ... », stotterte er. «Sag nicht, der liegt immer noch auf Potters Schreibtisch rum.» Jetzt schluckte Dracos Gegenüber. «Weißt du, ich glaube, du hast recht. Ich sag es wirklich besser nicht.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)