Winterleuchten von Miyu-sama ================================================================================ Kapitel 1: Weihnachtsglanz -------------------------- Dunkelheit hatte sich über die Kolonie gelegt, doch die Lichter, die aus den Fenstern und von den Ständen strahlten, trotzten ihr mit all ihrer Kraft. Es war ein schöner Anblick. Die Straßen, die Häuser, der Weihnachtsmarkt.. alles glitzerte und funkelte. Für viele bedeutete dieses Licht Mut und Hoffnung, ein Zeichen, dass selbst in der tiefsten und kältesten Nacht ein kleines Licht die Kraft hatte, die Finsternis zu vertreiben. Sie alle hatten viel Finsternis erlebt. Sie alle brauchten dieses Licht der Hoffnung. Nach dem Krieg war dies das erste Weihnachten. Das erste Weihnachten, in dem tatsächlich Frieden herrschte. Quatre hatte versucht, dieses Weihnachten zu etwas Besonderem zu machen. Für all die Menschen hier auf dieser Kolonie. Dabei hatte er sich von der Erde inspirieren lassen, die in vielen Teilen Weihnachten ausgiebig feierte. Er selber hatte Weihnachten noch nie auf der Erde gefeiert, aber er hatte sich schon Monate davor in die weitverbreitetsten Bräuche eingelesen, denn auf seiner Kolonie war es nicht üblich, Weihnachten so groß zu feiern. Natürlich feierte man mit Familie und Freunden, aber das in den eigenen vier Wänden. Weihnachtsmärkte, geschmückte Straßen, so etwas fand man hier normalerweise nicht zur Weihnachtszeit. Die Vorbereitungen hatten ihm wirklich viel abverlangt. Unzählige Überstunden, Recherche, ziemlich hohe Kosten, doch das war es wert gewesen. Am ersten Advent waren die Straßen der Kolonie alle mit Lichterketten geschmückt. Ein Weihnachtsmarkt öffnete pünktlich seine Tore, dieser erstreckte sich um das Gebäude der Winner Corp. und auf dem kleinen Vorplatz stand ein großer Weihnachtsbaum, geschmückt in Weiß und Gold. Es gab Glühwein, Weihnachtsmusik und ein Stückchen weiter hatte er einen Parkplatz zu einer Eislaufbahn umändern lassen. Quatre hatte sich eigentlich vorgenommen, das Schlittschuhlaufen selbst mal zu probieren, doch bis heute hatte er es nicht versucht. Heute war Heiligabend. Heute wäre die letzte Chance gewesen. Er hatte sie verstreichen lassen. Das alles, der Weihnachtsmarkt, die Eislaufbahn.. die Menschen hier hatten es geliebt. Es hatte keinen Tag gegeben, an dem der Weihnachtsmarkt nicht gut besucht gewesen wäre, durch die geschmückten Straßen hatten die Leute selber Lust bekommen, zusätzlich ihre Häuser und Gärten zu schmücken. Es war, als hätte sich ein Fieber ausgebreitet, ein Weihnachtsfieber. Das jeden Bewohner dieser Kolonie angesteckt hatte. Alle waren in Weihnachtsstimmung, alle waren fröhlich, genossen die Tage bis zum Heiligen Abend, alle bis auf er selber. Er war der Einzige, den das Weihnachtsfieber nicht befallen hatte. Zwar hatte sich Quatre dazu aufraffen können, einen Weihnachtsbaum bei sich aufzustellen, doch bis jetzt hatte er ihn nicht geschmückt. Er hatte keine einzige der Lichterketten angebracht, bis jetzt keine der vier Kerzen am Adventskranz angezündet. Er war nicht einmal auf dem Weihnachtsmarkt gewesen, obwohl er an diesem jeden Tag vorbeikam. Kein Glühwein, keine Kekse. Nichts. Nichts davon hatte sein Herz erreichen können. Es war nicht so, als würde er Weihnachten nicht mögen, ganz im Gegenteil, und er war auch jedes Mal verzaubert von dem Lichtermeer, welches er aus seinem Büro am Abend bestaunen konnte. Nein, daran lag es nicht. Es lag an einem Versprechen, dass ihm jemand gegeben und bis jetzt nicht erfüllt hatte. Das Versprechen auf eine gemeinsame Weihnachtszeit. Doch bis jetzt war keine Nachricht eingetroffen, nicht ein Hinweis, wann das Versprechen eingelöst werden sollte. Langsam glaubte er nicht mehr daran. Die letzten Wochen hatte er sich unglaubliche Sorgen gemacht, selber hunderte von Nachrichten hinterlassen, seine Freunde gefragt, ob sie etwas wussten, Nachforschungen angestellt, weitere Kontakte eingeschaltet und um Hilfe gebeten. Alles erfolglos. Das Licht spendete für ihn langsam aber sicher keine Hoffnung mehr. In seinem Büro war es dunkel, es war schon spät, alle Angestellten schon lange zu Hause. Quatre hatte lange am Fenster gestanden und hinaus geschaut, auch der Weihnachtsmarkt hatte nun schon seit einer geraumen Zeit geschlossen, nur die Lichter leuchteten noch. Es machte keinen Sinn, weiter hier zu bleiben. Aber es machte auch genauso wenig Sinn, nach Hause zu gehen. Ob er hier war oder dort, es war egal. Für ihn würde es dieses Jahr kein Weihnachten geben. „Alles halb so schlimm, ist doch bloß wieder ein Versprechen, das nicht gehalten wird. Das ist doch auch nichts Neues mehr.“ murmelte Quatre und fuhr sich durch seine blonden Haare. Leider wusste er, dass er das Ganze nicht so einfach abtun konnte, wie er gerne wollte. Sein Handy vibrierte und er zuckte zusammen. War das vielleicht wirklich..? Er rannte zum Schreibtisch und griff hastig nach dem Handy. Die Realität holte ihn schlagartig wieder ein. In den wenigen Sekunden, die er vom Fenster zu seinem Handy gebraucht hatte, hatte in seinem Kopf ein Weihnachtswunder stattgefunden. Seit Wochen die erste Nachricht: Ich bin hier, es tut mir leid. Ich warte unten. Ich bin wirklich hier. Bitte komm runter, lass uns Weihnachten feiern. Doch es war nur Duo, der ihm eine Nachricht geschrieben hatte, anbei ein Foto von sich und Heero. Duo hatte den Arm um Heero gelegt und ihn an sich gezogen für das Foto, es sah ein wenig brutal aus und Heero wenig begeistert, aber da Heero keine Waffe in den Händen hatte, ging Quatre davon aus, dass er doch ganz froh war, mit Duo Weihnachten zu verbringen. Duo hatte sich eine Weihnachtsmütze aufgesetzt und grinste breit in die Kamera. Ja, die beiden sahen schon glücklich aus in diesem Moment. Unter dem Bild stand: Frohe Weihnachten Q! Und darunter noch die Nachricht: Leider noch immer nichts gehört oder herausgefunden, sorry man. Denk dran, du kannst jederzeit vorbeikommen. Du würdest nicht stören. Wenn du jetzt ein Shuttle nimmst, könntest du es vor Mitternacht noch schaffen. Quatre war dankbar für die Fürsorge seiner Freunde, vor allem Duo hatte ihm in den letzten Tagen Trost gespendet. Am zweiten Weihnachtstag würde er die anderen Piloten sehen und Quatre hatte vor, sich vor allem bei Duo für diese Unterstützung zu bedanken. Es hatte ihm wirklich viel bedeutet. Aber er hatte nicht vor, heute schon zu ihnen zu fahren. Langsam aber sicher hatte er sich damit abgefunden, dass es für ihn dieses Jahr kein Weihnachten gab und dass auch kein Wunder geschehen würde. So konnte die Realität nun mal sein. Euch auch Frohe Weihnachten. Habt eine schöne Zeit und keine Sorge, mir geht es gut. Wir sehen uns am zweiten Weihnachtstag. Ich freu mich auf euch. Ich habe sogar ein Geschenk für Wufei gefunden. Liebe Grüße, Quatre. Er verzichtete auf ein Foto, denn ihm war nicht danach, ein falsches Lächeln aufzusetzen. Das war wenigstens das Gute, wenn man alleine war. Man musste nicht Lächeln obwohl einem nicht danach war, damit sich die anderen keine Sorgen machten. Wenn man alleine war, musste man niemanden etwas vormachen. Quatre gab sich einen Ruck und beschloss, nun doch endlich nach Hause zu gehen. Die Geschenke für die Piloten musste er noch einpacken und seine Tasche musste er ebenfalls noch packen. Und danach.. vielleicht würde er dann einfach schon ins Bett gehen, die letzten Tage war er zu wenig Schlaf gekommen, er könnte die Zeit nutzen und einmal ordentlich ausschlafen. Und dann wäre auch schon der erste Weihnachtstag. Wie er diesen Überbrücken sollte, wusste er noch nicht, aber erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Zuerst musste er irgendwie diese Nacht überstehen, dann konnte er sich weitere Gedanken machen. Quatre zog sich seinen Mantel über, steckte das Handy ein und verließ sein Büro. Seine Schritte hallten auf den leeren und dunklen Fluren wider. Früher hatte er es ein wenig gruselig gefunden, alleine hier zu sein, doch mittlerweile war das so oft vorgekommen, dass es ihn nicht mehr störte. Als er unten angekommen war, zögerte er noch einen Moment, bevor er die Tür öffnete. Wieder drängte sich der Gedanke in den Vordergrund, dass vielleicht doch ein Weihnachtswunder wahr werden könnte. Ich bin wirklich hier. Bitte komm runter, lass uns Weihnachten feiern. Es war fast so, als könnte er die Stimme wirklich hören. Als wäre sie da, an seinem Ohr. Aber vielleicht war sie ja wirklich keine Einbildung. Vielleicht… Quatre stieß die Tür auf und sah.. niemanden. Er war ganz alleine hier. Obwohl er eigentlich gewusst hatte, dass es so kommen würde, traf es ihn dennoch. Er presste die Lippen zusammen und schloss die Tür hinter sich ab, während Tränen in seine Augen stiegen. Sein Herz schmerzte. Er steckte die Hände in die Manteltaschen und machte sich langsam auf den Weg nach Hause. Für einen Moment wunderte er sich über die Kälte hier, dann fiel ihm aber wieder der Grund dafür ein. Er war so mit seiner Arbeit und dem Traurig sein beschäftigt, dass er es ganz vergessen hatte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es 20 Uhr war. Quatre blieb stehen und schaute hoch. Es dauerte einen Moment, dann konnte er die ersten weißen Flocken erkennen, die vom Himmel rieselten. Es schneite. Das erste Mal in der Geschichte dieser Kolonie schneite es. Er streckte die Hand aus und sah zu, wie die weißen Flocken auf seine Hand fielen, dort kurz verweilten und dann langsam schmolzen. Sie waren so weich. Quatre kannte Schnee nur von Bildern und Erzählungen, er war nie auf der Erde gewesen und war dabei in den Genuss von Schnee gekommen. Trowa hatte das Glück gehabt und ihm davon erzählt, wie er sich anfühlte, wie er glitzerte, wenn Licht darauf fiel. Er hatte so überschwänglich davon geredet, dass Quatre für dieses Weihnachten alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um die Wetterstation davon zu überzeugen, es für Heiligabend und den ersten Weihnachtstag schneien zu lassen. Er hatte Stunden mit ihnen verhandelt, Schnee war ein Wetter, welches für die Kolonien nicht vorgesehen war und es war mit ganz schön viel Arbeit verbunden, es hier schneien zu lassen. Doch er war hartnäckig geblieben, hatte keine Mühen gescheut und so hatte es am Ende doch geklappt. Die Wetterstation würde es schneien lassen. Ein Weihnachtswunder für diese Kolonie. Das Weihnachtsgeschenk für Trowa. Quatres Knie gaben nach und er sank zu Boden. Er vermisste ihn so sehr. Er hatte es doch versprochen! Trowa hatte versprochen, Weihnachten hier zu sein, dass sie die Zeit bis zum 24. gemeinsam verbringen würden, mit allem, was dazu gehören würde. Kekse backen, Glühwein trinken, Schlittschuh fahren, den Weihnachtsbaum schmücken, einige Weihnachtslieder gemeinsam spielen. Sie hätten das alles haben sollen. Aber Trowa war nicht hier. Er war nicht von seinem Auftrag, von diesem Routine Einsatz, zurückgekommen. Zum ersten Advent hätte er wieder hier sein sollen, bei ihm. Sie sollten nur drei Wochen voneinander getrennt sein und nicht fast zwei Monate. Sie sagten ihm nicht, was mit Trowa geschehen war, wo er sich befand. Er wusste nur, dass er am Leben war. Das Einzige, was sie ihm verraten hatten. All die Zeit hatte er sich zusammengerissen, doch nun konnte er es nicht mehr, Tränen liefen über seine Wangen, während er hier auf den Boden hockte und der Schnee immer weiter fiel. Weiter und weiter. Quatre weinte hemmungslos, ließ seiner Trauer freien Lauf nach all der Zeit, in der er sie zurückgehalten hatte. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass Trowa ihn wohl einfach verlassen hatte. Wahrscheinlich hatte er jemand anderen kennengelernt und beschlossen, nicht zurückzukehren. Wahrscheinlich saß er jetzt gerade mit dieser Person im Wohnzimmer und genoss die Weihnachtszeit. Er hätte wenigstens eine Nachricht schreiben können. Eine verdammte Nachricht! Mühselig rappelte er sich auf und setzte schluchzend seinen Weg nach Hause fort. Er hätte nicht so lange auf ihn warten sollen, hätte die Hoffnung auf seine Rückkehr viel eher aufgeben müssen. Selbst schuld, dass er es nicht gekonnt hatte. Ihm wurde oft gesagt, dass er zu naiv und gutgläubig war. Als er endlich zu Hause ankam, war er verheult und durchgefroren. Er schloss die Tür auf und blieb abrupt stehen, als er durch den Türschlitz der Wohnzimmertür Licht erblickte. Hatte er heute Morgen vergessen, das Licht auszuschalten? Er war in Eile gewesen und zudem noch ziemlich neben der Spur. Quatre schüttelte den Kopf über sich selber, zog seinen Mantel und die Schuhe aus und ließ beides achtlos am Boden liegen. Er wollte jetzt nur noch ins Bett, die Tasche würde er einfach morgen packen, das mit den Geschenken eilte auch nicht. Eigentlich war es ihm auch gerade egal. Er ging ins Wohnzimmer, um wenigstens das Licht auszuschalten, kurz spielte er auch mit dem Gedanken, den Weihnachtsbaum in den Garten zu stellen und ihn anzuzünden. Er könnte dabei auch ein paar Sachen von Trowa verbrennen. „Hallo mein Herz.“ Quatres Kopf schellte bei dem Klang der Stimme nach oben. Dort stand er. Dort bei dem Weihnachtsbaum, der auf einmal geschmückt war und der hell leuchtete. Der Schein der Lichterkette tauchte Trowas Gesicht in warme Farben. An seiner linken Wange konnte er eine Schürfwunde sehen, die Unterlippe war aufgeplatzt. Seine Augen wurden groß und er war sich nicht sicher, ob er nicht träumte. Unsicher kam Trowa auf ihn zu und als er ihn an der Hand berührte, ganz vorsichtig, zuckte er dennoch zusammen. Nein, es war kein Traum. Trowa war wirklich hier! Erneut traten Tränen in seine Augen, aber dieses Mal vor Freude und vor Erleichterung, dann umarmte er ihn. Quatre drückte ihn fest an sich, spürte seine Körperwärme und nahm seinen Geruch war, der immer einen Hauch von Kaffee beinhaltete. „Trowa.. wo.. wo warst du bloß? Was ist nur passiert? Geht es dir gut?“ „Es tut mir leid, dass ich erst jetzt zurück bin. Ich.. ich habe alles versucht, bitte glaube mir. Es ist so viel schief gelaufen und ich wollte nur zurück.“ Trowa klang erschöpft und ein wenig verzweifelt. Irgendetwas Schlimmes musste passiert sein und er könnte sich ohrfeigen, dass er vor nur wenigen Minuten so an Trowa gezweifelt hatte. Wie hatte er das nur tun können? „Ich habe versucht dich zu erreichen.. die anderen haben auch nach dir gesucht.. wir haben uns solche Sorgen gemacht.“ „Ich weiß.. ich weiß. Hätte ich es gekonnt, dann hätte ich dir eine Nachricht zukommen lassen.“ „Was ist denn bloß passiert?“ Trowa löste sich aus der Umarmung und schüttelte leicht den Kopf. „Bitte Quatre.. nicht heute. Ich werde es dir erzählen, alles. Aber nicht heute. Heute möchte ich nur mein Versprechen einlösen.“ Quatre presste die Lippen kurz aufeinander. Was war Trowa bloß zugestoßen? Und wie konnte er ihm helfen? Trowa strich behutsam über seine Wange. Seine Hand war rau. „Du hast geweint..“ „Ehrlich gesagt.. kam mir vorhin der Gedanke, du hättest mich verlassen. Du hattest gesagt, es wäre ein Routine Einsatz. Dass du bald wieder zu Hause wärst. Und ich dachte nicht.. dass.. dass irgendetwas dich aufhalten könnte.. dich doch nicht.. ich habe tatsächlich an dir gezweifelt. Es tut mir leid..“ „Nein.. das muss es nicht. Auch ich habe immer wieder gezweifelt.. dass du vielleicht nicht auf mich warten würdest.. nach zwei Monaten ohne jeglichen Kontakt.. Ich.. ich kann mich glücklich schätzen, dass du noch hier bist.“ „Trowa…“ Quatre zog ihn in einen sanften Kuss. Es war ein Wunder. Trowa war hier, wirklich hier. Es gab sie also doch. „Du musst dich ausruhen.. okay? Ich mach dir was zu essen und du-“ „Nein.“ Ein kleines Lächeln hatte sich auf Trowas Lippen geschlichen. „Wir haben noch eine kleine Weihnachtsliste abzuarbeiten.“ „Das ist ja schön und gut, dass du das alles wirklich noch machen willst. Aber es wird nicht funktionieren. Alle Stände sind geschlossen. Wir sind zu spät.“ Trowas linke Augenbraue hob sich. „Du glaubst wirklich, dass ich mich davon abhalten lasse?“ Quatre musste ein wenig lächeln. Er liebte es, wenn Trowa so elegant seine Augenbraue hob. Er hatte immer das Bedürfnis sie nach zu streichen. „Ich weiß, dass du schon viele Dinge, die unmöglich schienen, möglich gemacht hast, aber hierfür fehlt mir die Fantasie.“ „Lass dich überraschen.“ „Na schön. Aber ich habe auch eine Überraschung. Du solltest dich warm anziehen. Und das meine ich auch wirklich so.“ Sie packten sich beide warm ein. Quatre konnte noch immer nicht ganz fassen, dass Trowa wirklich zurück war und seine Gefühle überschlugen sich noch immer etwas. Er war glücklich, keine Frage. Aber er war auch noch immer irgendwie traurig über die Zeit, die sie verloren hatten und da war auch noch dieses Gefühl der Schuld, dass er so an ihm gezweifelt hatte. All das hatte sich vermischt, wallte und ebbte in ihm auf und irgendwie fühlte es sich auch noch nicht real an, dass er auf einmal hier war und sie nun – wie auch immer- versuchen würden, das nachzuholen, was sie eigentlich verloren hatten. Quatre versuchte, dieses Durcheinander zu verdrängen und sich nur darauf zu konzentrieren, dass Trowa da war. Dass er ihn berühren, mit ihm reden konnte. Irgendwie würde sich das ganze schon einpendeln, das musste es einfach. Trowa schulterte sich einen Rucksack, der vollgepackt zu sein schien, und sah zu ihm rüber. „Ich wäre soweit.“ „Ich auch. Mach die Augen zu.“ Wieder hob Trowa kurz seine linke Augenbraue, doch dann schloss er seine Augen. Quatre öffnete die Tür, führte ihn hinaus und schloss hinter ihnen ab. Dann stellte er sich auf Zehenspitzen, damit er Trowa die Augen zu halten konnte. Kein gerade einfaches Unterfangen, denn Trowa war größer als er und der Rucksack störte, doch etwas ungelenk konnte er ihn in den Vorgarten führen, der mittlerweile unter einer kleinen Schneedecke lag. Und es schneite noch immer. „Es ist wirklich ganz schön kalt..“ murmelte Trowa und Quatre konnte spüren, dass es ihm ein wenig unangenehm war, dass er nicht wusste, was vor sich ging. Nun, ein bisschen musste er da noch durch. „Was ist hier passiert, Quatre? Vorhin war es noch nicht so kalt.“ „Diese Kälte ist dein Weihnachtsgeschenk Trowa. Ich wollte dir etwas schenken, was du hoffentlich nicht so schnell vergisst. Frohe Weihnachten, Trowa.“ Quatre nahm die Hände von seinen Augen und stellte sich neben ihn. Die Überraschung war Trowa deutlich ins Gesicht geschrieben, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ehe er ihn wieder öffnete. Dann streckte Trowa, wie auch er vorhin, die Hand aus, bestaunte die Schneeflocken, die darauf landeten. „Schnee..? Quatre, wie hast du das nur..? Ich..“ Es war das erste Mal, dass er Trowa so sprachlos erlebt hatte. Die Überraschung schien gelungen zu sein. Trowa begann zu lächeln, dann nahm er seine Hand und drückte sie leicht. „Es ist wundervoll.“ Quatre erwiderte das Lächeln. „Schön, dass du dich darüber freust. Bis morgen wird der Schnee bleiben. Dann wird es wieder wärmer und er wird schmelzen.“ „Das ist lang genug. Komm.“ Trowa ging vor und zog ihn mit sich. Je näher sie wieder der Stadt kamen, desto öfter hörte er vergnügtes Lachen und ab und zu konnte er Familien sehen, die begonnen hatten, einen Schneemann zu bauen. Alle, die ihnen begegneten, wünschten ihnen Frohe Weihnachten und sie sahen alle so glücklich aus, dass Quatre ganz warm ums Herz wurde. Es fühlte sich wirklich wie Frieden an. Gemeinsam erreichten sie den Weihnachtsmarkt. Quatre fragte sich erneut, was sie hier wollten, alle Buden waren geschlossen, genauso wie die Eislaufbahn. Trowa blieb bei den ersten Ständen stehen und schaute sich um, dann sah er zu ihm. „Du hast wirklich Großes auf die Beine gestellt. Ein Wüstenprinz, der etwas von Weihnachten versteht, du überraschst mich immer wieder.“ „Was soll das denn heißen?“ Trowa grinste nur kurz, dann ging er weiter und er folgte ihm. „Eigentlich ist es doch gut, oder? Dass alles geschlossen ist. Der Weihnachtsmarkt war sicher jeden Tag unglaublich voll und Menschenmengen strengen dich an. So ist es viel entspannter.“ Das stimmte schon, dank seiner starken Empathie waren große Menschenmengen mit all den Gefühlen ziemlich anstrengend für ihn und es fiel ihm immer schwer, sich nur auf sich selber zu konzentrieren und zu entspannen. Aber nichts desto trotz war ein geschlossener Weihnachtsmarkt nicht das Gleiche wie ein geöffneter, ob es so nun ruhiger war oder nicht. Sie konnten nichts trinken, nichts essen, nicht die Waren bestaunen. Noch immer konnte er nicht verstehen, wieso Trowa unbedingt hier hin wollte. Erst als sie den großen Weihnachtsbaum erreichten, blieb Trowa stehen. „Hier ist es gut. Kannst du hier auf mich warten?“ „Ich soll.. warten? Wo willst du denn hin?“ Quatre spürte, wie sich sein Magen etwas zusammenzog. Hatte er nicht lange genug gewartet? „Es wird nicht lange dauern. Ich bin gleich wieder zurück, vertrau mir, okay?“ Trowa nahm sein Gesicht in seine Hände und schaute ihm in die Augen. Wie könnte er ihm nicht vertrauen, wenn er ihn so sanft ansah? „In Ordnung. Ich werde warten.“ Trowa gab ihm einen kurzen Kuss, dann verschwand er zwischen den Buden. Quatre schaute hoch zum Weihnachtsbaum. Mit dem Schnee darauf sah er noch schöner aus. Er versuchte, dieses unbehagliche Gefühl los zu werden, welches langsam in ihm hochkroch, indem er in die Hocke ging und sich mit dem Schnee beschäftigte. Er formte eine Kugel daraus und ließ sich ein wenig von dem Schnee mitreißen. Er war so kalt und so leicht, so ganz anders als der Sand, den er aus der Wüste gewohnt war. Und doch glitzerten sie beide, wenn Licht darauf fiel. Er ließ den Schneeball in seiner Hand wieder zerfallen, dann steckte er die Hände in die Manteltaschen, da sie kalt geworden waren. Es vergingen einige Minuten, dann tauchte Trowa endlich wieder auf. Mit voll bepackten Händen. Quatre atmete erleichtert aus. „Was hast du da alles?“ „Dinge, die du hoffentlich magst.“ „Warte.. bist du etwa in einer der Buden eingebrochen?“ „Eingebrochen ist nicht das richtige Wort. Ich habe die Tür geöffnet, genommen was ich brauchte, Geld dagelassen und die Tür wieder geschlossen. Ich musste nun mal etwas improvisieren.“ Quatre musste los lachen. „Du bist doch verrückt!“ „Es ist alles bezahlt, es sollte also kein Problem sein. Außerdem haben sie ganz bestimmt nichts dagegen, wenn ich ihnen sage, dass es für dich war. Du hast ihnen das schönste Weihnachten geschenkt, sie würden dich damit freiwillig überhäufen.“ „Ach was, du übertreibst.“ Trowa lächelte kurz, dann drückte er ihm die beiden Tüten in die Hand. Er schaute zu, wie Trowa den Rucksack abnahm und tatsächlich eine Decke herausholte, sowie eine Thermoskanne und zwei Tassen. Die Decke faltete er zweimal, damit sie dicker war, dann legte er sie vor dem Weihnachtsbaum auf den Boden und bedeutete ihn, sich zu setzen. „Wann hast du das alles vorbereitet?“ „Ich war gegen Sieben zu Hause und du warst nicht da. Ich habe mir schon gedacht, dass du wahrscheinlich noch in der Firma bist und habe die Zeit genutzt.“ Trowa setzte sich neben ihn und schüttete ihnen beiden ein. „Vielleicht schmeckt er nicht so gut wie hier auf den Markt, aber es ist Glühwein.“ „Danke.“ Quatre legte die beiden Tüten vor sich und nahm die Tasse entgegen, dann musste er lachen. „Das ist wie ein Picknick im Winter. Auf so etwas kannst wirklich nur du kommen. Aber.. ich freue mich.. wirklich.“ Quatre schaute zu Trowa hoch. So langsam machte sich auch in ihm das Weihnachtsfieber breit, es war zwar so viel anders, als er sich ihr Weihnachten vorgestellt hatte, doch gerade war er glücklich. So wie es gerade war, war es perfekt. Ein Picknick im Schnee vor einem Weihnachtsbaum mit selbstgemachten Glühwein und einen Haufen Süßkram. Wer konnte behaupten, so ein Weihnachten gehabt zu haben? Sie stießen an und er nippte vorsichtig an dem heißen Getränk. Er schmeckte, wie er sich Glühwein vorgestellt hatte. Das ließ ihn lächeln. Trowa begann, die Tüten auszupacken und Quatre staunte nicht schlecht, was er alles geholt hatte. Schokofrüchte, gebrannte Mandeln, eine Tüte voller Nüsse und eine weitere mit Keksen, Stollen und Früchtebrot. Wieder musste er lachen. „Wer soll das denn alles essen?“ Trowa lächelte und hängte ihm ein Lebkuchenherz um den Hals. „Ich habe dein Lachen so sehr vermisst…“ Quatre schaute auf das Herz hinab, auf dem Prinz in Zuckerguss stand. Das war schon immer Trowas Ding gewesen, ihn Prinz zu nennen. Meistens war er der Wüstenprinz. Manchmal auch Prinz der Sonne. So ganz verstand er noch immer nicht, wie Trowa darauf kam und wieso ihm das so eine Freude bereitete, bis jetzt hatte er ihn auch nicht davon abbringen können, dass er ihn so nannte. Dafür fand Trowa es etwas seltsam, wenn er ihn seinen Helden nannte. Nun ja, er hatte ihm bis jetzt auch noch nie erzählt, dass er sein Herz gerettet hatte. Für ihn war Trowa wirklich ein Held. Ohne ihn hätte er den Glauben an die Liebe verloren. Er drückte Trowa einen sanften Kuss auf die Wange. „Ich hab dich auch vermisst. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Wer soll das alles essen? Das ist doch viel zu viel.“ „Ich wollte nicht, dass man mir vorwerfen kann, ich hätte etwas nicht geholt, was deinen Gelüsten entspricht. So bin ich definitiv auf der sicheren Seite. Und den Rest nehmen wir einfach mit. Im Notfall wird es Duo essen.“ Quatre lachte etwas. „Meine Gelüste.. wie das klingt! Du übertreibst wieder. Aber das mit Duo stimmt. Der isst ja eigentlich alles und hat ständig Hunger.“ „Das festliche Mahl ist angerichtet, mein Winterprinz.“ Er knuffte Trowa in die Seite. „Hör auf mich zu necken.“ „Tu ich nicht.“ Die nächste halbe Stunde aßen sie sich an dem Süßkram satt. Vor allem die Schokofrüchte hatten es ihm angetan, aber auch zu den anderen Leckereien und dem Glühwein sagte er nicht nein. Die Stimmung zwischen ihnen war ausgelassen. Trowa war entspannt und glücklich, das konnte er deutlich spüren. Was auch immer er erlebt hatte, es musste hart gewesen sein und er hatte auch seine Schuldgefühle gespürt, sowie die Angst, dass sich etwas zwischen ihnen verändert haben könnte. Er war froh, dass er Trowa diese Angst hatte nehmen können, denn es hatte sich nichts verändert. Er liebte ihn immer noch, vielleicht sogar mehr als je zuvor. Und um ihm das auch noch einmal deutlich zu machen, küsste er ihn nach ihrem Picknick. Er küsste ihn nicht nur einmal, auch nicht nur zweimal. Er küsste ihn sehr lange und sehr oft, irgendwann war er dabei auf Trowas Schoß gerutscht und Trowa hielt ihn seitdem ganz fest. Sein eines Knie war nass geworden, weil es nicht mehr auf der Decke war und auch seine Hände waren kalt, die sich die meiste Zeit über in Trowas Haaren befanden. Aber es störte ihn nicht, er nahm es kaum wahr. Genauso wenig, dass sie beide mittlerweile voller Schnee waren und sie hörten auch erst auf sich zu küssen, als eine Ladung Schnee vom Baum auf ihre Köpfe fiel. Im ersten Moment schauten sie beide sich nur an, dann lachten sie los. „Ist das kalt!“ Quatre stand auf und versuchte, den Schnee aus seinem Mantel und seinen Haaren zu schütteln. Auch Trowa erhob sich und begann dann, ihre Sachen wieder einzupacken. „Ich glaube, so eine Abkühlung haben wir beide gebraucht.“ Quatre sah ihn unschuldig an, musste dann aber doch etwas grinsen. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Trowa schulterte sich den Rucksack, erwiderte kurz sein Grinsen und nahm dann seine Hand. Gemeinsam verließen sie den Weihnachtsmarkt und Quatre stellte überrascht fest, dass sie sich nicht auf den Weg nach Hause machten. Er brauchte einen Moment, dann wurde ihm bewusst, wohin Trowa ihn führte. „Auch die Eisbahn ist geschlossen.. aber ich habe das Gefühl, dass du das weißt und es dir egal ist.“ „Ganz genau.“ Geschickt öffnete Trowa das Schloss des kleinen Verleihhäuschens, als sie die Eisbahn erreichten. Sie tauschten Schuhe gegen Schlittschuhe und versuchten dann ihr Glück auf dem Eis. Quatre war froh, dass auch Trowa sich am Anfang nicht ganz so geschickt anstellte, aber ganz untalentiert waren sie auch nicht und nach ein paar Minuten hatten sie weitestgehend den Dreh raus. Sie fuhren Hand in Hand und drehten so ihre Runden. Nach einer Weile blieb Trowa stehen und zog ihn behutsam an sich, wo er seine Hände nahm und beide küsste. „Du bist schon ganz kalt.“ Quatre wollte es eigentlich nicht zugeben, aber er fror schon eine ganze Weile. Vom ganzen Schnee waren seine Sachen sowie seine Haare nass und die Kälte kroch an ihm empor. Aber es war so schön, hier alleine mit Trowa die Bahnen zu ziehen, dass er noch nicht gehen wollte. „Es ist so schön hier mit dir.“ „Und es wird auch schön, wenn wir im warmen sitzen.“ „Wir haben noch keinen Schneemann gebaut.“ „Dafür haben wir morgen Zeit.“ Auf Trowas Gesicht bildete sich ein Lächeln. „Und was ist mit-“ „Genauso wie für die Schneeballschlacht und fürs Kekse backen. Und fürs Musizieren. Keine Angst, ich habe nichts vergessen, mein Herz. Ich weiß, ich bin zu spät. Und jetzt ist die Zeit knapp und du hast dir dein Weihnachten sicher ganz anders vorgestellt…“ „Nein, shh. Es ist perfekt. So wie es heute ist, ist es perfekt. Dass du zurück bist, mein Held, ist für mich das schönste Weihnachtsgeschenk und wie ein Wunder. Und du hast Recht, für den Rest haben wir morgen noch Zeit und im Notfall verlängern wir die Weihnachtszeit einfach für uns. Hauptsache du bist da. Alles andere ist unwichtig.“ Quatre schaute in Trowas Augen. Sein Blick war warm und voller Liebe. „Frohe Weihnachten, Quatre.“ „Frohe Weihnachten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)