Sternenmeer von vallendrael (Weihnachten woanders) ================================================================================ Kapitel 2: Einladungen sind schwer - außer man lädt sich selbst ein ------------------------------------------------------------------- Zur gleichen Zeit, im gleichen Haus, nur eine Etage weiter oben, grübelte ein Mann über einem Stück Papier. Das Zimmer hinter ihm war ebenfalls voll, allerdings weniger mit glitzernden Papiersternen und mehr mit allerlei möglichem Tand. Eine Vase aus einem fernen Land stand auf einer Truhe aus der nächst größeren Stadt, beide zusammen teilten sich den Platz an der Wand mit einem geschnitzten Regal aus Mahagoni - vollgestellt mit Büchern über die unterschiedlichsten Themen. Wo manches sicherlich einen Staubwedel das letzte Mal vor fünf Jahren gesehen hatte, erstrahlte die Oberfläche von anderem im saubersten, neu gewachsten Glanz. Der Mann hob den Stift, senkte ihn auf das Blatt und schrieb doch kein Wort. Oder wollte er zeichnen? Mit dem leeren Papier vor ihm war das schwer zu erkennen. Schließlich gab er ein Seufzen von sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, der an die Einrichtung in einem verwunschenen Schloss erinnerte. Eindringlich starrte er zur Decke, von wo aus ihm das Modell einer Eisenbahn in seinen Nylonfäden entgegen fuhr. "Nein, ich denke diesmal nicht", schüttelte er den Kopf, als hätte die Eisenbahn ihm einen Vorschlag gemacht. Er drehte den Stift in der Hand und dachte offensichtlich angestrengt über etwas nach. Plötzlich fiel ihm eine Schneeflocke auf die Nase und er schielte, um sie anzusehen. "Kennen wir uns?", fragte er, bevor er mit dem Finger der freien Hand das Schmelzwasser abnahm. Schnee - dabei war es noch gar nicht so weit, oder hatte er die Jahreszeiten mal wieder durcheinander gebracht? Er schüttelte einmal mehr den Kopf. Vielleicht auch nur der Effekt der Magie um ihn herum, wer wusste schon, was sie wieder anstellen wollte. Immerhin, eine Ablenkung, um ihn von dem Papier und dem Stift los zu eisen. Er legte das Schreibwerkzeug quer übers Blatt und schob den Stuhl so weit zurück, wie es die Replika eines Rosenstrauchs hinter ihm erlaubte. Genug Platz, um aufzustehen und sich den Weg über den Hindernisparkours zum Fenster zu bahnen. Er zog zuerst die schweren Vorhänge aus khakifarbenem Samt beiseite, dann die geklöppelte Spitze von Seidenfäden. Draußen war es grau, die Bäume hatten die Blätter verloren, aber auf dem Boden hatte sie jemand zusammen gerecht. Es zeigte sich die karge Erde, das Gras war mittlerweile eingegangen. Der Mann steckte einen Finger in den Mund, bevor er sich daran erinnerte, das Fenster auch zu öffnen. Stur weiter den Finger im Mund behaltend, versuchte er, diese Aufgabe einhändig zu bewerkstelligen. Das stellte sich als schwieriger als gedacht heraus, doch irgendwie wollte es ihm schließlich gelingen. Erst da zog er den Finger empor und hielt ihn mitsamt des gesamten Arms in die Luft außerhalb seines Domizils. Ja, doch, kalt war es wohl schon. Aber der Wind fühlte sich noch nicht nach Schnee an, hatte er es sich doch gedacht! Triumphierend drehte er sich zu dem Haufen alter Spiele um, der sich unscheinbar hinter ihm türmte. "Siehst du, hab ich dir doch gesagt", nickte er ihm zu. Da keine Antwort kam, nahm er das als seinen endgültigen Sieg hin und suchte einen Weg zur Tür des Zimmers. "Vielleicht sollte ich aufräumen", überlegte er müßig, als er über die lebensechte Nachbildung eines Raptors stieg, der allerdings eine Lesebrille und einen Gelehrtenhut aufhatte und scheinbar über seiner Steuerabrechnung brütete. "Ach, Quatsch", verwarf er den Gedanken dann gleich wieder gut gelaunt, entzog einer Harfe einen Mantel und warf ihn sich über. Die Tür hatte bisher tapfer den Viertelkreis vor sich verteidigen können, lediglich ein handgewebter Teppich streckte seine Fühler vor sie aus. "Ein herrlicher Tag zum Nichtstun!", rief der Mann den Flur vor dem Zimmer entlang. "Aber wir haben doch gesagt, heute bereiten wir Weihnachten vor!", kam unerwartet die Antwort von der Treppe hinter ihm. Der Mann drehte sich um und hob abwehrend die Hände, das Gesicht zu einem gerissenen Grinsen gestreckt. Das Mädchen hatte noch immer einen Stern im Haar, der sich sicherlich nur dorthin verirrt hatte. Sein untypisch kritischer Blick wanderte vom Grinsen über die Handhaltung hin zum Mantel. "Du mogelst wieder", warf sie ihm vor. "Man zeigt nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute", tadelte der Mann das Kind und erhob seinerseits den Finger. "Ich zeige gar nicht auf dich", warf das Mädchen ein und verließ die Treppe, um die Tür eines anderen Zimmers anzustreben. "Aber hast du denn schon Weihnachten vorbereitet?" "Sicher doch", nickte der Mann und zog unauffällig die Tür hinter sich zu - oder hoffte es zumindest. Er konnte den anklagenden Blick des Papiers und des Stifts immer noch in seinem Rücken spüren. "Weißt du, immer zu Hause Weihnachten zu feiern, ist doch langweilig. Deshalb habe ich vorbereitet, dass wir woanders feiern, genau!" Er grinste, diesen Vorschlag konnte das Kind doch sicher nicht abschlagen. Tatsächlich hielt das Mädchen nachdenklich inne. Weihnachten woanders klang wirklich mal nach Abwechslung, und sie hatten schon viele Jahre zu Hause gefeiert. Aber Skepsis mischte sich auch in ihre Augen, schließlich drückte er sich nicht das erste Mal vor Arbeit. "Und wo?", wollte es deshalb wissen. "Äh", erstarrte der Mann kurz in seiner Position. "Bei deiner Oma! Sie kocht doch so gut und du hast bestimmt Hunger, hm? Ich meine, wenn wir schon woanders hin gehen, dann soll es doch auch gutes Essen geben. Tja, und wer wäre besser geeignet als sie?" Zufrieden beobachtete er, wie die Hand des Kindes von der Türklinke glitt. Da hatte er also die richtige Idee gehabt, und die ganze Vorbereitung konnten sie auch gleich streichen. Wer brauchte das schließlich schon, wenn sie raus gingen, die Oma der Kleinen besuchten und ihr dadurch auch noch eine Freude bereiteten? "Bei Oma ist immer was Besonderes", überlegte das Kind und versuchte, sich an die Erzählungen dazu zu erinnern. "Oma hat einen riesigen Garten und ganz viele Tiere und sie hat immer tolle Lichter überall." Die Idee gefiel dem Mädchen immer mehr, sodass sich auch sein Gesichtchen aufhellte. "Ja, warum nicht? Wenn du sie schon gefragt hast und sie zugestimmt hat! Ich sags gleich Papa!" Damit war die Türklinke zu ihrem Zimmer endgültig vergessen und sie machte einmal mehr auf dem Absatz kehrt. "Äh, klar hab ich schon gefragt", nickte der Mann. Auf jeden Fall hatte er das! Gerade erst, eben. Pff, als ob er sagen würde, dass sie bei der Oma feiern würden und dann stimmte es gar nicht! Er stürmte in sein Zimmer zurück, stieß auf dem Weg zum Schreibtisch den Raptor um und nahm den Stift in die Hand. Jetzt wusste er, was und vor allem wem er schreiben musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)