Parasite Peasant von Suma (Of birds and worms.) ================================================================================ Prolog: Woche 1: Wer hat hier den Vogel? ---------------------------------------- Nicht lange nach den Knallern, die das neue Jahr unter Jubelrufen einläuteten, ertönten lautere, bedrohlichere Explosionen. Das neue Jahr war nicht einmal eine Woche alt, doch es sollte das bedeutendste in der Geschichte werden. Das Jahr, in dem die Menschheit es endlich schaffte, sich selbst und den Großteil allen anderen Lebens dieses Planeten auszulöschen. Als sei die Erde nicht bereits zur Genüge verseucht gewesen, so gelang es in kürzester Zeit, sie noch weiter in den Ruin zu treiben. Menschenleben waren kurz, meist unbedeutend, so war dies zumindest nicht die traurigste Variabel in all dieser Misere. Doch mit ihnen verschwand auch die größte und wichtigste Nahrungsquelle meiner Art. Selten trifft man nun auf Menschen, und noch seltener auf jene, welche nicht von Nachwirkungen des Krieges dahingerafft werden. So selten diese Menschen jedoch geworden waren, so selten waren auch alle anderen Lebewesen geworden. Schon seit langer Zeit hatte kein Vogel mehr den Morgen und die aufgehende Sonne begrüßt; schon lange keine Ratte mehr die Wände und Böden dieses Gebäudes zerfressen. Und – so kam es mir zumindest vor – noch länger hatte ich keinen meiner Art mehr gesehen. Keinen meiner Untergebenen. Und auch keinen meiner Brüder. Ich gab auf, die Tage zu zählen, die Jahre, die Jahrzehnte, die ins Land gingen. Ich gab auf, meine Fassade aufrecht zu erhalten, die ich als König gebraucht hatte. Die im gleichen Zuge meine Macht aufrecht erhalten hatte. Schon damals hielt man mich dafür für verrückt, für meine Art und mein Auftreten, doch würde mich heute jemand erleben, den ich vor dieser langen Zeit gekannt hatte, würde diese Person sicherlich feststellen, dass ich nun den Höhepunkt der Verrücktheit erreicht habe. Sicherlich hatte der Krieg auch etwas Gutes. Zwar erweist es sich immer wieder als äußerst schwierige Aufgabe, Nahrung zu finden, doch die Strahlenverseuchung zeigte zumindest bei unserer Art eine kleine positive Auswirkung. Zumindest empfand ich es als eine, denn im Schlaf, in den Tiefen der Traumwelt, konnte ich noch immer meine Brüder treffen. Schlaf war für uns damals eine Sache der Unmöglichkeit gewesen. Noch nie hatte ich von einem Vampir gehört, der vermochte, wahrhaftig zu schlafen, wie die Menschen es taten. Noch unvorstellbarer, dass ein solcher Vampir dadurch etwas seiner Energie wieder erhielt. Ich gebe zu, zu Anfang war es eine wahre Herausforderung. Besonders, wenn unklar war, wie sicher die Umgebung war, in der man sich aufhielt. Ob des Nachts nicht doch ein Fremder kam und dir den Kopf abriss. Doch ich habe ein gutes Gespür dafür. Ob ich es nun entwickelt hatte, oder es schon immer besaß, frage ich mich nicht. Die Vergangenheit spielt keine große Rolle mehr. Es gibt niemanden, vor dem ich mich nun rechtfertigen müsste, und es gibt auch keine Welt voller Vampire mehr, über die ich herrsche. Manchmal frage ich mich, ob ich verdammt bin, auf ewig über diese verkommene Erde zu wandeln, oder ob eines Tages ein Wesen kommen und mein Dasein beenden würde. Doch bis dahin würde ich es hinnehmen und das Beste aus dieser meiner Situation machen. Der Durst plagt mich oft. Zwar kann der Schlaf ihn etwas besänftigen, doch ganz verschwinden möchte er nie. Wie bereits erwähnt sind Menschen – besonders die schmackhaften – eine ungeheure Seltenheit. Auch größere Tiere, die meinen Durst ansatzweise stillen könnten, finde ich nur äußerst selten. Darum bleibe ich auch nie lange am selben Ort. Erst letzte Nacht fand ich die verlassenen Ruinen eines kleinen Hauses. In dieser Gegend mussten vor langer Zeit, vor dem Krieg, viele Bäume gestanden haben. An manchen Stellen sieht man noch immer die verdorrten Überreste der Wurzeln, die einst jene Bäume im Boden verankert hatten. Ich hatte lange auf der Türschwelle gesessen und sie betrachtet, ehe ich zu Bett gegangen war. Oder.. ehe ich mir einen Platz auf den Holzdielen gesucht hatte, der gemütlicher war als der Rest. Und nun sitze ich erneut auf der Schwelle. Mustere die Wurzeln bei Tageslicht, auch wenn es keinen großen Unterschied macht, wenn man bedachte, dass ich noch immer die Augen eines Vampirs trage. Wenn auch schwächere, bedingt durch den Mangel an.. ausreichenden Nahrungsquellen. Seufzend stehe ich schließlich auf und gehe zwischen den Wurzeln entlang. In die Richtung, in die ich mich schon seit einigen Tagen bewege. Heute ist wieder so ein Tag, bemerke ich, an dem ich über meine Brüder nachdachte. Was sie wohl dazu sagen würden, wären sie ebenfalls hier, würden sie diese Wurzeln sehen. Würden sie mich sehen. Zu was ich verkommen war in all den Jahren. Manchmal sehe ich noch immer ihre Gesichter vor mir, höre ihre Stimmen. Doch mit einem Mal höre ich etwas ganz anderes. Einen schrillen Ton, welchen meine Ohren bereits seit viel zu langer Zeit nicht mehr vernommen haben. Verträumt verfolge ich das Geräusch, steige über Wurzeln und Böschungen, bis.. ich ihn sehe. Ein Vogel. Eine Elster. Sie sitzt auf den Überresten einer Tanne. Ihr wunderschönes schwarz-weißes Federkleid glänzt in der hochstehenden Sonne und reflektiert das Licht in den verschiedensten Farben. In diesem einen Moment rückt die ganze Welt in den Hintergrund, und allein dieses Wesen und ich baden im Licht der Existenz. Bis meine Faszination und Träume von meinem ungeheuren Durst abgelöst wird. Im nächsten Moment halte ich den toten Vogel in meinen Händen. All sein Glanz ist verschwunden, all sein Leben. Es fließt nun in mir. Doch lange wird es nicht anhalten, dieses Sättigungsgefühl. Nein, ich spüre schon, wie es Platz macht für einen noch größeren Durst als zuvor. Ein Durst, der niemals gestillt werden kann. Kapitel 1: Woche 2: Wie ein einzelnes Blatt ------------------------------------------- Tage vergehen, Leben vergeht. Doch mein Leben wird nicht so schnell vergehen. Manchmal sehen ich mich danach, doch dann entdecke ich doch wieder Dinge, für die es sich lohnt, weiterzumachen. Um eventuell eines Tages aufzuwachen und.. vielleicht wird alles wieder besser sein. Doch auch das ist sicherlich einfach nur eine Lüge, um mich vor mir selbst und alldem hier zu beschützen. Um nicht noch tiefer im Wahnsinn dieser Welt zu versinken. Doch so sehr ich einst der Meister der Lügen und Intrigen gewesen sein mochte – zumindest bezeichneten mich sicherlich so einige mit solchen Worten hinter meinem Rücken – so sehr wünsche ich mir, einfach nur wieder der Bruder meiner Brüder zu sein. Ihre Liebe zu genießen und.. Nun, da dies unmöglich ist, muss ich alleine durch diese Welt wandern, bis die Möchtegern-höhere-Macht mich endlich von diesem Dasein erlöst. Manchmal frage ich mich allerdings, ob ich wirklich noch lebe, oder ob dies alles nur der Traum eines Toten ist. Hm, manche würden mich sicher als einen Toten bezeichnen, oder hätten dies einst getan. Innerlich tot. Aber auch untot. Ich bevorzugte ja schon früher eher die Bezeichnung der Unsterblichkeit und nicht des… Untotseins. Mal wieder muss ich über mich selbst schmunzeln. Es ist wirklich immer wieder faszinierend, wie ich mich Stunden und Tage lang über solche Dinge gedanklich festfahren kann. Wie ich versuche, dieser tristen Welt zu entkommen, ohne mich ihr gänzlich zu entsagen. Und nicht einmal im Schlaf kann ich diesen Gedankenkarussells entkommen. Der Vorfall mit der Elster liegt nun schon lange zurück. Zumindest fühlt es sich wie eine Ewigkeit an, doch genau kann ich es nicht sagen. Was lohnt es sich schon, die Tage und Nächte zu zählen, wenn Zeit ohnehin keine Rolle mehr spielt? Doch genauso gut könnte ich mir die Frage stellen, was es sich lohnte, noch weiter durch diese Welt zu wandeln, wo es nicht mehr die geringste Rolle spielt, ob ich lebe oder nicht. Ob ich weitermache oder nicht. Wenn ich doch ohnehin irgendwann abtrat. Hoffentlich. Erneut in Gedanken versunken überquere ich die Felder. Es mussten einst Felder gewesen sein, denke ich. Hier und da meine ich sogar, noch den Duft von Getreide zu vernehmen. Doch auch dies ist eine Einbildung. Denn hier wird nie wieder etwas wachsen, und es muss unzählige Jahre her sein, seit die letzte Ernte auf diesen Feldern einholt wurde. Jedoch.. inmitten all der Dürre steht ein Baum. Er ist klein und.. erst wenige Jahre alt. Ein einzelnes, welkes Blatt hängt an daran. Das Grün schon gar nicht mehr sichtbar, und doch ein kleiner Funken von Leben auf diesem Friedhof, den man Welt nennt. Ich setze mich. Und ich sitze lange. Bei dem einzigen Lebenszeichen seit der Krähe. Nun, wenn man von mir selbst absah. Ich schmunzle über diesen Gedanken und scharre ein wenig in der Erde. Wie gerne würde ich mich eingraben lassen. Köpfen, verbrennen und eingraben lassen. Obwohl.. dann sicherlich nichts mehr von mir übrig wäre, um es einzugraben. Ich halte inne, als ich ein leises Geräusch höre. Es wird lauter, und schließlich bricht etwas aus der trockenen Erde hervor. Ein Wurm. Ein kleiner, glänzender Regenwurm. Er sieht etwas verloren aus. Sicherlich gebe ich auch keinen besseren Anblick ab, und möglicherweise liegt es genau daran, dass ich mich ihm ein wenig verbunden fühle. Er sieht durstig und etwas vertrocknet aus. Wie ich mich fühlte. Er sieht hungrig aus und so, als würde er Berge erklimmen und durch die Hölle gehen, um sich sein wohlverdientes Essen zu erkämpfen. Doch so weit muss es nicht kommen. Ich pflücke das Blatt von dem kleinen Ästchen und lege es dem Wurm vor, der auch sogleich beginnt, es anzunagen. Noch nie habe ich mir die Zeit genommen, dabei zuzusehen, wie sich diese kleinen Wesen verhielten. Es war immer eine.. sinnlose Beschäftigung, mich mit niederen Wesen aufzuhalten. Doch nun, in dieser verkommenen Welt, bin ich nicht weniger niedrig als ein Wurm. Kurz scheint der Kleine zu mir aufzusehen. „Iss nur. Bedien dich, ich kann ohnehin nichts damit anfangen“, spreche ich zu ihm, und mir ist, als sähe ich zum ersten Mal seit damals wieder das Lächeln eines Freundes. Möglicherweise ließ auch nur die Leistung meines Gehirns nach. Und so legte ich mich schlafen, unter dem jungen, blattlosen Baum. Bei meinem Freund, dem Wurm. Und unter den dunklen Wolken, die sich zugezogen haben und die die vertrocknete Erde nun mit ihrem göttlichen Wasser benetzen. Kapitel 2: Woche 3: Schneesturm ------------------------------- Ich weiß nicht, wie lange ich schon neben dem jungen, nun blattlosen Baum liege. Ich sah die Sonne einige Male auf und untergehen, und nun sehe ich sie erneut am Horizont verschwinden. Langsam hatte sich in dieser Zeit der Hunger angeschlichen, doch irgendwie hatte ich bisher keine Motivation aufbringen können, aufzustehen und nach etwas zu suchen, an dem ich mich laben konnte. Natürlich kommt nicht einfach ein Reh an mir vorbei gelaufen, erst recht kein Mensch, und auch kleineres Getier lässt sich hier nicht blicken. Einzig und allein der kleine Wurm leistet mir ab und an etwas Gesellschaft. Ich spreche mit ihm. Über die Welt, über das Vergangene, über meine Brüder. Darüber, wie mächtig ich einst war, doch dass auch dies mir in dieser verlassenen Welt nichts mehr nütze. Doch auch an so vieles erinnere ich mich nicht mehr. Vieles ging verloren über die Zeit, und auch mein derzeitiger Zustand trägt seinen Teil dazu bei. Nicht nur mein Körper streikt aufgrund des großen Hungers, auch mein Geist ist träge. Ich weiß nicht, wie viele Tage noch vergingen. Ich gab es rasch auf, die Sonnenzyklen zu zählen, doch in dieser Nacht nimmt der Mond wieder zu, wo er doch noch nicht weit abgenommen hatte, als ich mich hier niedergelegt hatte. Doch irgendwann müsste ich aufstehen. Als ich eines Morgens aufwache, liegt eine dünne, kühle Schneeschicht auf meinem Körper. Verwundert streife ich ihn mit der Hand von meinem Gesicht, richte den Blick gen Himmel. Dass erneut eine neue Jahreszeit anbricht.. Das löste etwas in mir aus, und ich beschloss, dass es nun an der Zeit war, weiterzuziehen. Ich hatte auch meinen Freund, den Wurm, seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Ob er noch lebt? Oder ob er wohl schläft? Vielleicht würden sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen, doch fürs Erste heißt es, Abschied nehmen. Ich wandere. Stapfe durch den Schnee, der sich immer weiter aufgebaut hatte. Er geht mir bereits zu den Knöcheln, und allmählich kriecht mir die Kälte in alle Glieder. Etwas, das ich in meinem Vampirdasein nicht vermisst hatte. Das Frieren. Doch mit den wenigen positiven Aspekten, die die Zeit, der Krieg, die.. Verstrahlung meinem Körper geschenkt hatten, kamen auch andere, nicht so angenehme… Bekanntlich besitzt jetzt Münze zwei Seiten. Und diese spüre ich nun am ganzen Leibe. Doch was soll ich tun? Weit und breit gibt es nichts, mit dem ich ein Feuer machen könnte. Noch weiter gab es keine warme Unterkunft – oder überhaupt vier Wände und ein Dach über dem Kopf. Aber irgendwo muss ich unterkommen. Die Frage ist nur, in welcher Richtung liegt der nächste Ort, an dem ich eventuell ein einigermaßen erhaltenes Haus vorfinden könnte? Ich muss mich rasch entscheiden, denn der Schneefall nimmt weiter zu, und wenn es so weiter geht, würde ich bald ganz vereist sein. Doch… ob das so schlimm wäre? Vielleicht würde ich einfach den Winter über schlafen. Im Frühling, wenn es taut, wieder aufwachen, und könnte meinen Weg fortsetzen. Doch der Hunger… Vielleicht würde ich aber auch einfach.. nie wieder aufwachen. Ein Traum, wenn man es so nennen kann. Aber will ich wirklich aufgeben? Will ich mich einer simplen Naturgewalt geschlagen geben, der ich eigentlich entkommen könnte? Schließlich entscheide ich mich, dass ich mich keineswegs von einem missratenen Schneesturm beseitigen lassen würde. Ich hatte zu viel überlebt, als dass dies nun mein Ende sollen sein würde. Ich werfe eine mentale Münze. Mit drei Seiten. Irgendwann werde ich mir sicherlich den Kopf darüber zerbrechen, wie so etwas möglich sein soll, doch für heute ist es mir egal. Hauptsache ich komme endlich voran. Nachdem meine Entscheidung gefallen ist, schüttele ich den Schnee ab, welcher sich auf mir abgelegt hatte, während ich überlegte. Dann mache ich mich auf in Richtung Westen. Doch weit komme ich nicht, denn lange, bevor ich irgendwo hätte ankommen können, gibt mein Körper der Kälte nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)