The Monster inside my Veins von ginakai ================================================================================ Kapitel 34: Angst ----------------- Wie gebannt ließ Rye den Blick auf seinem Geliebten ruhen, welcher schon seit Stunden im Bett schlief und sich kaum regte. Zwar schienen ihn keine Alpträume zu quälen, jedoch war das Fieber bisher noch nicht gesunken. Hin und wieder bildeten sich ein paar Schweißtropfen auf seiner Stirn, welche Rye mit einem nass-kalten Tuch wegwischte. Er fühlte sich ein wenig unbeholfen, da er nicht wusste, wie genau man sich richtig um kranke Menschen kümmerte. „Hätte ich ihn lieber ins Krankenhaus bringen sollen?“ Dieser Gedanke schwirrte ihm schon die ganze Zeit im Kopf herum und bis jetzt hatte er noch keine Antwort darauf gefunden. Er konnte unmöglich ein Krankenhaus betreten, geschweige denn Gin dort besuchen. Und er wollte nicht von ihm getrennt sein, wenn es ihm so schlecht ging. „Bestimmt will er das gerade genauso wenig…“ Rye glaubte, dass er Gin mit seinem Verschwinden einen tiefen Schock eingejagt haben musste, so fest, wie dieser ihn zuvor in die Arme genommen hatte. Als hätte er ihn nie wieder loslassen wollen. Rye dachte an die Worte, die Gin zuletzt zu ihm gesagt hatte. Dass er es ihm nicht verzeihen würde, wenn er nochmal verschwand. Der Schwarzhaarige vermutete, dass dies Gins Art war ihm zu sagen, dass er ihn niemals wieder allein lassen sollte. „Keine Angst… ich bleibe bei dir… versprochen…“, flüsterte Rye ihm leise zu, während er sanft über Gins Stirn strich, welche immer noch glühte. Voller Sorge überlegte er noch einmal gründlich, ob es noch irgendwas gab, was er für den Silberhaarigen tun könnte. „Die Klamotten habe ich ihm sofort gewechselt, seine Haare sind inzwischen trocken, das Bett sollte angenehm warm sein und was zum Kühlen habe ich ihm auch gegeben…“ Eigentlich konnte er nur abwarten, bis Gin aufwachen und ihm mitteilen würde, ob er noch etwas benötigte. Das Dringendste war womöglich viel Schlaf und Ruhe, weshalb Rye auch davon absah, ihn aufzuwecken. Doch wenn Gin von allein erwachte, würde er da sein. Er würde keine Sekunde von seiner Seite weichen und noch immer auf der Bettkante sitzen. „Aber was ist, wenn er vielleicht einen heißen Tee trinken will oder Tabletten braucht? So etwas habe ich nicht… ich hab ja nicht mal was Vernünftiges zu essen da!“ Gedanklich schlug er sich die Hand vor die Stirn. Er hatte sich so sehr um Gins Zustand gesorgt, dass er solche einfachen Dinge mal wieder völlig vergessen hatte. Und mittlerweile war es mitten in der Nacht, sodass zumindest die Apotheken nicht mehr geöffnet hatten. „Ganz ruhig… Ich sollte warten, bis er aufwacht. Am Ende kaufe ich noch irgendwas Falsches ein.“, überlegte Rye. Zwanghaft versuchte er seine Unruhe zu unterdrücken, als sich sein Geliebter anfing hin und her zu wälzen. „Rye…“, murmelte Gin verzweifelt. Obwohl das Wort nur undeutlich und im Halbschlaf ausgesprochen wurde, konnte der Schwarzhaarige seinen Namen dennoch klar verstehen. Es jagte ihm einen unwohlen Schauer über den Rücken, da er sofort befürchtete, dass Gin vielleicht schlecht von ihm träumte. Dieser drehte sich nun zur anderen Seite und vergrub seinen Kopf im Kissen, während er eine Hand in das Bettlaken krallte. „Ich bin hier.“, antwortete Rye leise, in der Hoffnung, Gin beruhigen zu können. Es schien tatsächlich zu helfen. Ein Lächeln erschien auf Ryes Lippen und er beugte sich vorsichtig über seinen Geliebten. Er schob ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, erstarrte jedoch vor Schock, als er Gins knallrote Wange erblickte. Die Rötung war ihm schon vorher aufgefallen, zu dem Zeitpunkt war sie aber noch nicht ganz so intensiv gewesen. Er hatte gehofft keinen größeren Schaden angerichtet zu haben. Doch da war er offensichtlich im Irrtum gewesen. Durch den Schlag waren mehrere Blutgefäße geplatzt und das Blut hatte sich unter der Haut im Gewebe verteilt. Schon bald würde ein riesiger, blauer Fleck zu sehen sein. Und diesen Anblick musste Rye nun unweigerlich ertragen, wobei ihm dann jedes Mal erneut gewaltige Schuldgefühle übermannen würden. Doch das war womöglich das geringste Problem. „Er muss furchtbare Schmerzen haben…“, vermutete Rye. Der unermessliche Hass auf sich selbst, welchen er versucht hatte wenigstens ein bisschen auszublenden, kehrte unmittelbar zurück. Seine Hand, mit welcher er Gin geschlagen hatte, begann zu zittern und ballte sich zur Faust. Am liebsten würde er sich selbst in Stücke reißen. Seine Existenz restlos auslöschen. Wenn er das könnte. „Nein, das würde er nicht wollen… er liebt mich… und verzeiht mir…“, redete sich Rye ein, um seine grausamen Gedanken zu vertreiben. Doch es war nicht überzeugend genug und ihn plagte zunehmend das Gefühl, als würde er in seinem eigenen Selbsthass ertrinken. Wie ferngesteuert wanderte seine Hand zu seinem Hals und drückte diesen so fest zusammen, dass ein normaler Mensch womöglich in wenigen Sekunden erstickt wäre. „Nicht…“ Rye erstarrte, als er plötzlich Gins schwache Stimme hörte. Er wollte etwas erwidern, doch stellte fest, dass dies so nicht ging. Erst nachdem er seine Hand gesenkt hatte, bemerkte er, dass sein Geliebter immer noch schlief. „Er scheint sogar im Schlaf auf mich aufzupassen…“ Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. Gerade wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass Gin endlich aufwachen würde. Er wollte mit ihm reden. Ihn in die Arme nehmen. Ihm einen Kuss geben. Und dafür sorgen, dass er so schnell wie möglich wieder gesund werden würde. Theoretisch könnte sich Rye seinen Wunsch jetzt schon erfüllen, doch er beschloss, noch ein paar Stunden zu warten. Für gewöhnlich wachten Menschen ganz von selbst wieder auf, sobald die ersten Sonnenstrahlen in das Zimmer schienen. Solange musste er sich zumindest noch gedulden.   Am frühen Morgen wurde sein langes Warten dann von einem glücklichen Lächeln auf Gins Lippen belohnt. „Du bist hier…“, sagte er zufrieden mit sanfter Stimme, die Ryes erkaltetes Herz sofort erwärmte. Die unendlich langen Stunden der Einsamkeit, in denen Gin geschlafen hatte, waren umgehend in Vergessenheit geraten. „Natürlich. Das war ich die ganze Zeit.“, erwiderte Rye, während er Gins Hand in seine eigenen nahm und sie fest umschloss. „Du kannst mir doch nicht solche Sorgen bereiten und einfach ohnmächtig werden…“ „Du hast mir weitaus schlimmere Sorgen bereitet.“, schoss Gin kalt zurück. Seine Stimme klang immer noch schwach und trotz der vielen Stunden Schlaf machte er generell einen sehr erschöpften Eindruck, als würde er bereits wieder müde sein. „Entschuldige bitte…“ Damit bezog sich Rye nicht nur auf Gins vorherige Aussage, sondern auf alles, was dieser gestern seinetwegen durchmachen musste. Er konnte sich nicht oft genug für sein Verhalten entschuldigen. Und egal, wie oft Gin ihm verzieh, er würde sich dadurch nie besser fühlen. „Das will ich nicht mehr hören, verstanden?“ Obwohl der Silberhaarige sehr leise sprach, erkannte Rye, wie ernst er das meinte. Gins Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, doch durch die Blässe in seinem Gesicht und den erschöpften Ausdruck darin, wirkte es eher bekümmert als verbittert. „Aber ich-“ „Nein.“ Gin musterte Rye weiterhin mit Verbitterung in den Augen, welcher ihn für eine Weile schweigend anstarrte, bis er sich schließlich geschlagen gab und ein Seufzen ausstieß. „Ich werde es dich nicht mehr hören lassen.“ Gins Miene wurde daraufhin wieder weicher, wovon sich Rye sofort verzaubert fühlte. Er fuhr seinem Geliebten sanft über die Stirn und fragte: „Wie geht es dir?“ Ein schwaches Schmunzeln stahl sich auf Gins Lippen. „Beschissen.“, entgegnete er dann, was Rye ebenso ein kleines Lachen entlockte. „Brauchst du etwas? Tee? Tabletten?“, hakte er nach. „Klingt beides gut. Glaube in der Küche sollte noch Tee sein… und im Bad, über dem Waschbecken im Spiegelschrank müssten Tabletten sein.“ Nach dieser Antwort schaute Rye den Silberhaarigen verwirrt an. „Ähm… wir sind nicht bei dir Zuhause.“, merkte er vorsichtig an, bevor sich Gins Augen weiteten und er den Kopf langsam drehte, um sich im Zimmer umzusehen. „Oh… Ach so.“ Jetzt schien er es zu bemerken. Rye warf ihm einen kurzen, entschuldigenden Blick zu und erklärte dann: „Meine Wohnung war näher. Ich hätte dich nicht so weit durch den Regen tragen können, sonst hätte sich dein Zustand vielleicht noch mehr verschlechtert.“ Für einen Moment kam wieder etwas Farbe in Gins Gesicht, die seinen Wangen ein wenig Röte verlieh. Doch er antwortete nichts und nickte nur schwach. „Am besten ich gehe kurz zu dir und hole Tee und Tabletten für dich. Das Buch kann ich bei der Gelegenheit auch schnell zurück zur Bibliothek bringen. In Ordnung?“, schlug Rye vor, woraufhin er von Gin jedoch entgeistert angesehen wurde, als hätte er etwas dagegen. „Ich brauch nicht lange. Versprochen.“, fügte Rye deshalb hinzu. Selbstverständlich würde er versuchen, so schnell wie möglich wieder zurück zu sein. Ihm selbst gefiel es auch nicht, Gin kurz alleine zu lassen, doch es ging nun mal nicht anders. „Na gut…“, erwiderte dieser schließlich, noch immer nicht wirklich begeistert. Rye beugte sich über seinen Geliebten, strich ihm liebevoll über den Haaransatz und fragte mit weicher Stimme: „Brauchst du sonst noch irgendwas?“ Gin nickte langsam. Als Rye weiter nachhaken wollte, hob der Silberhaarige jedoch zitternd die Hände, legte sie um Ryes Kopf und zog ihn zu sich herunter, sodass ihre Lippen aufeinander trafen. Der Schwarzhaarige spürte sofort, wie sehr er das in Wirklichkeit ebenso gebraucht hatte. Er war unendlich froh, dass Gin ihn trotz allem, was er getan hatte, noch immer bedingungslos zu lieben schien und offensichtlich nicht wollte, dass er ihn allein ließ. Gins Kraft war schon nach kurzer Zeit fast vollständig aufgebraucht und so war es Rye, welcher den Kuss zum Schluss dominierte und seine Lippen stärker gegen Gins presste, während dessen heißer Atem in seine Mundhöhle drang. Als sich Rye von ihm löste und sich zurückziehen wollte, verharrte er jedoch, da Gins verklärter Blick ihn gefangen hielt und lähmte. Nur am Rande nahm er wahr, wie die Hände des Silberhaarigen langsam von seinem Hinterkopf rutschten und seine Wangen entlang glitten. Völlig sprachlos beobachtete Rye, wie Gin ihn anlächelte und verträumt mit den Fingern über seine glatte, kalte Haut fuhr und dort brennende Spuren zurückließ. „Du bist so schön…“, begann Gin plötzlich. „…wie ein Engel…“ Seine Stimme klang ganz heiser. Ryes Augen weiteten sich. Beinahe wäre ihm „Was ist los mit dir?“ über die Lippen gerutscht, doch da ihn die Worte schockierten, konnte er nur schweigen. Er fühlte sich zwar durch sie geschmeichelt, allerdings hätte er das niemals von Gin erwartet. In letzter Zeit überraschte ihn sein Geliebter immer wieder aufs Neue. „Ich bin höchstens ein Dämon, aber gewiss kein Engel, Liebster.“, korrigierte Rye ihn neckend, weil er der Meinung war, dass die Bezeichnung Engel keinesfalls zu ihm passte. Auch wenn es für ihn schon interessant zu wissen war, dass er für Gin offenbar einer zu sein schien. Rye versiegelte ihre Lippen ein zweites Mal miteinander. Er versank unmittelbar in seiner Liebe zu Gin und seinem Verlangen, welches allmählich in ihm erwachte, sodass der Kuss diesmal viel länger andauerte. Mittlerweile wollte er gar nicht mehr weg und vergaß fast, dass er das bis eben überhaupt noch vorgehabt hatte. Nur Gins auf den Kuss folgende Worte erinnerten ihn wieder daran: „Bitte beeil dich…“ Rye sah ihm fest in die Augen. „Werde ich.“, versprach er und stand anschließend vom Bett auf, um die Wohnung zu verlassen und seine Wege zu erledigen.   In Gins Wohnung schnappte er sich schnell die nötigen Dinge, wobei er vermutlich mehr Tablettenschachteln mitnahm als notwendig, da er sich nicht sicher war, welche genau sein Geliebter brauchen würde. Im Wohnzimmer warf er dem Buch, das eigentlich schon längst wieder in der Bibliothek sein sollte, einen vorwurfsvollen Blick zu. Es war der Ursprung des ganzen Übels. Das gestrige Gespräch und somit der Streit am Ende hätten nie stattgefunden, wenn das Buch bereits nicht mehr da gewesen wäre. Rye würde es am liebsten in seinen Händen zerreißen und die Fetzen verbrennen, doch er dachte daran, dass Gin dann wahrscheinlich die Kosten dafür tragen müsste. „Aber irgendwie… hat er sich vorhin wirklich seltsam verhalten. Ob das an dem Fieber liegt? Eigentlich bin ich doch eher derjenige, der nie von seiner Seite weichen will. Er würde das nie so einfach zugeben… und mir nie so ein Kompliment machen, geschweige denn mich darum bitten, so schnell wie möglich wiederzukommen…“, überlegte Rye zwischenzeitlich. Zugegebenermaßen mochte er diese Seite an Gin schon ein wenig und er könnte sich durchaus daran gewöhnen, wenn da nicht die vielen Sorgen wären, die ihn stattdessen plagten. In der Bibliothek entschuldigte sich Rye aufrichtig in Gins Namen für die verspätete Abgabe und schilderte kurz die Lage, wofür das Personal glücklicherweise Verständnis hatte und ein Auge zudrückte. Er gab das Buch dementsprechend zurück und verließ die Bibliothek wieder. Anschließend kaufte er noch ein paar Lebensmittel ein, was so ziemlich die meiste Zeit beanspruchte, da er sich im Laden dem menschlichen Tempo anpassen musste und die Kasse recht voll war. Insgesamt benötigte er ungefähr eine halbe Stunde, bevor er zurück in seine Wohnung kehren konnte.   Dort ging er zuerst in die Küche und bereitete einen Tee und eine Kleinigkeit zu essen zu. Er vermied es jedoch, den Herd dabei zu verwenden, da er sich sicher war, dass dies in einem Desaster enden würde, da er nach wie vor nicht kochen konnte. Zumindest schien der Tee ihm einigermaßen gelungen zu sein. Rye platzierte Beides anschließend auf einem Servierbrett und legte die Schachteln mit den Tabletten dazu, sodass sich Gin selbst aussuchen konnte, welche er davon nehmen würde. Er balancierte das Brett langsam bis zum Schlafzimmer und achtete besonders darauf, nichts von dem Tee zu verschütten, bevor er vorsichtig mit dem Ellbogen die Tür öffnete und in den Raum trat. Zuerst ging Rye davon aus, dass Gin wieder eingeschlafen war, doch dessen Blick schoss unmittelbar zu ihm und er versuchte sich mit Mühe im Bett aufzusetzen. „Wow, das ist ja Service wie im Krankenhaus.“, meinte der Silberhaarige scherzhaft und setzte ein amüsiertes Lächeln auf. Rye war froh, dass sich sein Zustand offensichtlich in der letzten halben Stunde nicht verschlechtert hatte. Aber das Sprechen schien ihn dennoch weiterhin anzustrengen. „Ich will ja schließlich auch, dass du schnell wieder gesund wirst.“, antwortete Rye, während er zum Bett ging. „Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Morgen bin ich wieder fit.“ „Das wäre zwar schön, aber ich bezweifle es.“ Da wäre viel Glück vonnöten, welches sich in letzter Zeit ohnehin nicht oft zeigte, und eine außerordentlich gute Krankenpflege, worin Rye nicht sonderlich geübt war. Er gab Gin vorsichtig das Tablett und ließ dieses erst dann los, als er sich sicher war, dass der Silberhaarige es nicht fallen lassen würde. Dessen Hände zitterten ein wenig, sodass ein kleiner Schluck des Tees über den Tassenrand schwappte. Doch er beachtete es nicht weiter und trank stattdessen einen Schluck. „Du vergisst, dass morgen diese Veranstaltung ist.“, erinnerte er Rye danach, welcher skeptisch die Stirn runzelte. Er hatte eher gehofft, dass Gin es vergessen würde. „Dort wirst du ganz bestimmt nicht hingehen, wenn es dir nicht besser geht. Du musst dich ein paar Tage ausruhen, sonst wird es nur schlimmer.“, ermahnte er ihn, wofür er jedoch aus dem Augenwinkel heraus böse angefunkelt wurde. Rye senkte peinlich berührt den Blick. „Ich klinge langsam echt wie ein überfürsorglicher, strenger Vater.“, stellte er fest und vermutete, dass Gin gerade fast das Gleiche dachte. „Mir wird es besser gehen.“ Dieser nahm beleidigt noch einen Schluck von seinem Tee, bevor er nach einer Schachtel Tabletten griff und sie öffnete. „Das werden wir dann sehen.“, antwortete Rye und wartete einen Moment, bis Gin das Medikament eingenommen hatte und die Tasse wieder abstellte. Dann legte er eine Hand über Gins schweißnasse Stirn, um die Körpertemperatur zu fühlen. „Noch immer viel zu heiß…“, dachte er, während der müde Blick seines Geliebten auf ihm ruhte. Er fuhr ihm langsam durch die Haare, wobei ihm plötzlich etwas einfiel, was er sich bisher nicht hatte erklären können und unbedingt noch von Gin erfahren wollte. „Kann ich dich mal was fragen?“ Nachdem seine Frage mit einem Nicken erwidert wurde, fuhr er fort: „Wie hast du mich eigentlich gefunden?“ Gins Augen wurden ein wenig größer, bevor ein vielsagendes Lächeln seine Lippen umspielte. Die Lösung war womöglich ganz einfach, und dennoch hatte Rye keinerlei Vorstellungen. Was auch immer Gin geholfen hatte: der Schwarzhaarige war froh, dass er dadurch nicht noch länger im Regen durch die Stadt hatte irren müssen. „Mithilfe des GPS-Signals von deinem Handy… aber du hast es mir trotzdem nicht wirklich leichter gemacht.“, verriet Gin mit leiser Stimme. „Das ist echt ein mieser Trick.“ Ryes Blick verfinsterte sich und er musste sich daran erinnern, dass er dieses eine Mal lieber dankbar sein sollte, obwohl ihm ein solcher Eingriff in seine Privatsphäre schon etwas entsetzte. Ab heute würde er das GPS immer ausgeschaltet lassen. Er versuchte seinen Ärger mit einem Seufzen wieder herauszulassen und entgegnete anschließend: „Nagut, einmal lasse ich dir das durchgehen. Aber ich möchte, dass du das in Zukunft nicht nochmal tust, okay?“ Gin zog leicht eine Augenbraue nach oben. „Wieso nicht?“ „Wenn ich… nicht in deiner Nähe sein kann, hat das einen guten Grund. Dann solltest du auf keinen Fall nach mir suchen. Du siehst ja, was bei rauskommt…“, erklärte Rye in der Hoffnung, dass Gin es verstehen und sich dran halten würde. Das wäre das Beste für ihn. Aber natürlich wollte er nicht das Beste für sich, sondern stürzte sich lieber weiterhin in irgendwelche Gefahren. „Das war kein guter Grund. Und was hätte ich anderes tun sollen?“, wollte er wissen, was Rye nicht nachvollziehen konnte und daher erwiderte: „Warten, bis ich zurückkomme?“ Gin schnaubte spöttisch. Doch dann trat ein melancholischer Schatten in seine Miene. „Das konnte ich nicht.“, meinte er, während er das Tablett auf dem Nachtschrank abstellte und sich wieder hinlegte. Rye beobachtete dies mit stillen Sorgen, da er eigentlich gewollt hatte, dass Gin etwas aß. Dessen letzte Mahlzeit musste schon sehr lange her sein und gerade wenn man krank war, sollte man vernünftig essen. „Warum?“, hakte Rye nach und setzte sich auf die Bettkante. Der Grund interessierte ihn brennend, doch es schien nicht so, als würde sein Geliebter ihm eine Antwort geben wollen. Er drehte den Kopf weg und schwieg. Trotzdem starrte Rye ihn eine Weile erwartungsvoll an, was Gin nach kurzer Zeit bemerkte. Dennoch schüttelte er nur mit dem Kopf. „Bitte sag es mir.“, drängte Rye ihn im sanften Tonfall. Aber er erhielt noch immer keine Antwort. Erst nach weiteren von Schweigen erfüllten Sekunden, schien sich der Silberhaarige endlich zu überwinden. „Ich hatte Angst…“, gestand er leise, „dass du nicht mehr zurückkommst.“ Rye schluckte. Er merkte Gin an seiner Tonlage an, dass diese Angst immer noch nicht verschwunden war. Eine Angst, die er ihm endgültig austreiben wollte. „Ich könnte dich niemals verlassen.“, versicherte er Gin. Doch dieser schien der Aussage keinen Glauben zu schenken. „Doch. Du denkst, du bist nicht gut für mich, weil du dich selbst so sehr hasst. In manchen Momenten bekomme ich das Gefühl, du wärst lieber tot als bei mir.“ Nach diesen erschütternden Worten durchfuhr Rye ein Stich. „Nein! Das stimmt nicht!“, schrie er. „Dein Verhalten sagt was anderes.“ Mittlerweile klang Gins Stimme emotionslos. Sein Blick war vollkommen leer. Ein wenig musste sich Rye eingestehen, dass sein Geliebter recht hatte. Ohne ihn an seiner Seite würde er seiner Existenz am liebsten ein Ende bereiten. Ein richtiges Leben besaß er sowieso nicht mehr. Nichts wies darauf hin, dass er überhaupt am Leben war. Kein Fleisch. Kein Blut. Kein schlagendes Herz. Gar nichts. Da waren nur seine Gefühle für Gin, durch die er sich lebendig fühlte. Rye beugte sich über den Silberhaarigen und legte seine Hand auf dessen gesunde Wange, dann sprach er: „Ich gebe zu, dass ich früher so gedacht habe. Doch jetzt nicht mehr. Ich liebe dich. Ich will bei dir sein… aber ich will dich auch nicht verletzen…“ Sein Blick wanderte zu Gins geschwollener Wange. Er empfand es als eine Art traurige Ironie, da er sich letztens noch darüber gesorgt hatte, dass Gin ihn eines Tages verlassen könnte. Dabei schien diese Sorge bei ihm noch viel größer zu sein. „Das hast du aber, indem du abgehauen bist.“, flüsterte er. Beinahe wäre Rye eine weitere Entschuldigung über die Lippen gekommen, wenn er sich nicht noch rechtzeitig daran erinnert hätte, dass Gin es ihm verboten hatte. Wenigstens das wollte er einhalten, obwohl die Reue in seinem Inneren so schmerzhaft war, dass er es kaum ertragen konnte. Um sich schnell davon abzulenken, streichelte er Gins Wange und beugte sich tiefer zu ihm herunter. „Ich verspreche, dass ich das nie wieder tun werde. Ich bleibe bei dir. Du musst keine Angst mehr haben.“, beruhigte er seinen Geliebten und hauchte ihm anschließend einen Kuss auf die Lippen. „Bitte glaub mir.“ Rye würde alles dafür tun. Auch wenn er längst kein Bisschen mehr von Gins Vertrauen verdient hatte. Er wollte seinen Fehler wieder gut machen, und das konnte er nur, wenn er nie wieder ein Versprechen brechen und für immer bei Gin bleiben würde. Solange dieser es ihm gestattete. Der Silberhaarige überlegte einen Moment. Zweifel sowie Wehmut zeichneten sich in seinem Gesicht ab, als würde er den Worten gern glauben wollen, weil ihm die Wahrheit dahinter viel bedeutete. Aber er war sich scheinbar unsicher, ob er ihnen überhaupt trauen konnte. Rye fuhr währenddessen immerzu mit den Fingern über Gins Wange und warf ihm einen flehenden Blick zu, von welchem sich sein Geliebter irgendwann glücklicherweise erweichen ließ. „In Ordnung…“, entgegnete er schließlich leise. Rye lächelte ihn erleichtert an, bevor er sich wieder normal hinsetzte. Eine Weile kehrte Stille ein. Gin schloss die Augen und schon nach wenigen Sekunden wusste Rye nicht mehr, ob er ihn nochmal ansprechen oder lieber schlafen lassen sollte. Da er jedoch nicht einschätzen konnte, wann Gin wieder aufwachen würde, wollte er sichergehen, dass dieser vorher noch etwas aß. „Willst du nicht noch etwas essen?“, fragte er vorsichtig. Gin antwortete nur mit einem müden „Später“, woraufhin sich erneut Stille ausbreitete. Allmählich begann sich Rye unbehaglich zu fühlen. Er beobachtete Gin gern beim Schlafen, aber eigentlich durfte er das nicht. Deshalb überlegte er, ob er besser das Zimmer verlassen und nur ab und zu nach dem Silberhaarigen sehen sollte. Doch kurz bevor er eine Entscheidung treffen konnte, fragte dieser plötzlich mit geschlossenen Augen: „Hast du jetzt vor die ganze Zeit da sitzen zu bleiben und mich zu beobachten?“ Rye schaute beschämt zur Seite. Langsam glaubte er, dass Gin wirklich seine Gedanken lesen konnte. „Ich kann auch ins Wohnzimmer gehen…“, bot er an. Da riss Gin die Augen auf, drehte sich zu Rye und umfasste dessen Handgelenk. „So meinte ich das nicht.“ Der Schwarzhaarige merkte sofort, worauf Gin stattdessen hinauswollte. Er versuchte seine Hand wieder wegzuziehen und entgegnete: „Das ist keine gute Idee.“ Als er daraufhin nur fragend angesehen wurde, fügte er hinzu: „Du wirst nur frieren. Ich kann dich nicht wärmen.“ Nicht einmal Wärme konnte er Gin geben. Dieser unerfüllbare Wunsch löste eine neue Menge an Trauer in ihm aus. Warum konnte er nicht einfach ein Mensch sein? „Das ist mir egal.“ Gin schien nicht nachgeben zu wollen. Sein Griff wurde fester. „Mir aber nicht.“ Rye wusste bereits, dass er diese kleine Diskussion verlieren würde. Wenn er es wirklich nicht wollen würde, könnte er jederzeit das Zimmer verlassen, ohne dass Gin in der Lage wäre ihn daran zu hindern. Aber er tat es nicht, weil sein innerstes Bedürfnis, bei seinem Geliebten zu bleiben, viel zu groß war. „Bitte.“, sprach dieser nun mit fester Stimme. Rye sah ihn überrascht an. „Er bittet mich schon wieder…“ Obwohl er dies einerseits immer noch als seltsam empfand und es auf das Fieber schob, konnte er andererseits kaum widerstehen, die Bitte nicht zu erfüllen. Zumal Gins sehnsüchtiger Blick ihn von Sekunde zu Sekunde schwächer werden ließ. Ohne weiter darüber nachzudenken, streifte er sich die Schuhe von den Füßen und stieg letztlich zu Gin ins Bett, welcher ihn umgehend fest an sich zog. Sobald die Hitze von Gins Körper Rye überwältigte, erstarrte er vor Schreck und hielt den Atem an. Der Silberhaarige schien sich dessen nicht bewusst zu sein, da er sich noch stärker an ihn schmiegte und den Kopf in seiner Brust vergrub. Rye benötigte einen Moment, um zu realisieren, wie ihm gerade geschah und was für eine Art Liebe Gin ihm gerade zu schenken schien. Es war fast wie ein unbeschreiblich schöner Traum, in welchem sich der Vampir viel zu schnell verlor. Aber er zwang sich einen klaren Kopf zu bewahren. Gins Gesundheit hatte schließlich Vorrang. „Sobald ich merke, dass du frierst, gehe ich wieder auf Abstand.“, merkte er an, bevor er die Arme um Gin legte und sich von der Hitze vollständig einhüllen ließ, auch wenn diese in Kombination mit Gins süßem Duft ein Brennen in seiner Kehle entflammte. Er versuchte es bestmöglich zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf Gins ruhige, gleichmäßige Atemzüge. Anscheinend war er längst eingeschlafen, weshalb auch keine Antwort mehr von ihm kam. Nach kurzer Zeit beschloss Rye ebenso die Augen zu schließen. Er genoss die dichte Nähe zu seinem Geliebten und erlaubte es sich in einen tiefen Schlaf zu versinken, der diesmal zum Glück keine Alpträume mit sich brachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)