The Monster inside my Veins von ginakai ================================================================================ Prolog: Nummer 12 ----------------- Unsicher schaute sie sich um. Schon den ganzen Tag wurde sie von einem unwohlen Gefühl gequält. Heute würde etwas passieren. Das tat es immer, wenn sie genau dieses Gefühl hatte. Immer verschwand jemand. Nach der Reihenfolge. Sie war die Nummer 13 und außerdem einer der Jüngsten hier von allen. An ihren echten Namen erinnerte sie sich nicht mehr. Es war zu lange her, dass sie ihn von jemandem gehört hatte. Jeder hier nannte sie einfach nur 13. Als wäre sie nichts Besonderes. Nur eine bedeutungslose Nummer. „Bedrückt dich etwas?“, wurde sie plötzlich von einer weichen Stimme gefragt. 12 setzte sich auf den freien Platz neben ihr und lächelte sie an, während seine schwarzen, langen Strähnen über seine Schulter fielen, als er den Kopf leicht vorbeugte. Wie üblich trug er seine schwarze Strickmütze und seine Augen funkelten stets in einem dunklen Grünton. Immer, wenn sie ihn ansah, fühlte sie sich auf einmal so sicher. Das lag wohl daran, dass 12 jemand war, der seine Ängste und Befürchtungen nie offen zeigte. Meist wirkte er, als würde er sich um nichts sorgen. Sogar als 11 eines Tages verschwand, war er ruhig geblieben. War es ihm gleichgültig, dass nach der 11 die Nummer 12 folgte? Wie konnte er da so ruhig bleiben und immer noch lächeln? Dabei waren sie doch selbst Freunde gewesen… „Nein, ich habe nur an jemanden gedacht.“, beantwortete sie die Frage von 12, ohne ihn direkt anzusehen. „An 11?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige. Sie erwiderte nur mit einem stillen Nicken. Auch wenn die 11 eine Nummer wie jede andere war, so war der Mensch hinter dieser Nummer doch etwas ganz Besonderes gewesen. Für jeden hier. Jeder hatte seine warmherzige Art zu schätzen gewusst. Sie erinnerte sich daran, wie er immer für sie da gewesen war. Ihr zugehört hat. Sie immer verteidigt und ihr Schutz und Wärme gegeben hat. Mit ihr geredet hat, wenn es ihr nicht gut ging. Er war immer ein treuer Freund gewesen. Nein, fast wie der Bruder, den sie nie hatte. Doch eines Tages verschwand er plötzlich. Es passierte in der Nacht, als er ihr zuvor versprochen hatte, gemeinsam von hier wegzugehen. Doch er war nie gekommen. Am nächsten Tag hatte es keine Spur mehr von ihm gegeben. Wie bei all den anderen auch. „Tut mir wirklich leid, ich weiß, dass er dir wichtig war.“, entschuldigte sich 12. Aber er konnte doch gar nichts dafür. Niemand wäre in der Lage gewesen das zu verhindern. Aber genau das schien wohl der entscheidende Punkt zu sein. 12 machte sich Vorwürfe, weil er glaubte, dass er es hätte verhindern können. „Wenn ich wenigstens Gewissheit hätte, ob er noch lebt oder...“ Sie beendete ihren Satz nicht. Allein der Gedanke daran brachte ihr Herz zum rasen, begleitet von einem Schauer über den Rücken. „Ich denke schon, dass-“ 12 wurde von dem unsanften Öffnen der Tür unterbrochen. Beide richteten ihren Blick angespannt auf den blondhaarigen Mann im Anzug, welcher die Cafeteria betrat. Hin und wieder begegnete man ihm im Gebäudekomplex auf einem der Flure, doch wer er genau war, wussten sie nicht. Womöglich ein direkter Angestellter des Bosses. „Du sollst mich begleiten, 12. Sofort.“, sprach der Mann in monotoner Tonlage. Dieser Satz genügte, dass dem Schwarzhaarigen für einen Moment der Atem stockte. Jedoch ließ er sich das nicht anmerken, denn er erkannte die offensichtliche Nervosität des Mädchens und die Angst, welche sich jetzt in ihren Augen widerspiegelte. „Sicher, was gibt es denn?“, fragte er und überspielte seine Unsicherheit mit einer unbekümmerten Stimme. Als er einen Schritt nach vorn setzte, spürte er einen festen Griff an seiner Jacke. Er warf seinen Blick über die Schulter und sah 13, wie sie energisch den Kopf schüttelte. „Der Boss will dich sehen.“, lautete die kühle Antwort des Mannes. Ob das wirklich stimmte, war fraglich. Doch er hatte keine andere Wahl, als die Aussage so hinzunehmen. Dinge zu hinterfragen, war in dieser Organisation, welche den Namen Eclipse trug, noch nie erwünscht gewesen. Über die Taten und Machenschaften von Eclipse suchte man schon lange nach Antworten und obwohl sie in der Untergrundwelt weitgehend bekannt war, so wusste niemand Genaueres, weshalb viele Gerüchte entstanden. Der Schwarzhaarige hatte schon früh das Ein oder Andere aufgeschnappt und wurde neugierig. Doch nicht nur er allein war interessiert gewesen, auch das Federal Bureau of Investigation, für welches er seit Jahren tätig war, hatte ein Auge auf Eclipse geworfen. Und wie es das Schicksal wollte, so hatte man ihn hier als Undercover-Agent eingesetzt, um die Wahrheit dieser rätselhaften Organisation ans Licht zu bringen. Dabei handelte es sich um seinen allerersten Undercover-Einsatz. Zugegeben, er hatte sich hier bis heute nie richtig eingelebt und fühlte sich aus etlichen Gründen entrechtet und ausgebrannt, doch er war zum Glück gut darin, den Unbekümmerten zu spielen. „Bitte bleib hier.“, flüsterte 13 flehend und zog den Stoff seiner Jacke fester an sich, während sie den Kopf senkte. Er strich ihr mit einer Hand über den Haaransatz, setzte ein gequältes Lächeln auf und meinte: „Ich komme doch zurück.“ „Wirst du nicht...“, murmelte das Mädchen daraufhin und schniefte. Dass sie vielleicht recht hatte, wusste er. Aber weil er keine andere Wahl hatte und nicht wollte, dass sie traurig war, versuchte er sie weiter vom Gegenteil zu überzeugen. In seinen Augen war 13 wirklich ein süßes Mädchen. Sie war noch sehr jung und es fiel ihr oftmals noch schwer Verantwortung zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen, aber innerlich versuchte sie stark zu bleiben. Sie erinnerte ihn an seine kleine Schwester, die er in seiner Heimat zurückgelassen hatte. Wie den Rest seiner Familie. Ob es ihnen gerade gut ging? Würden sie im Herzen bei ihm sein, wenn das heute sein letzter Tag war? Oder hatten sie ihn bereits vergessen? „Ich würde immer für dich zurückkommen, das weißt du doch, Prinzessin.“, beruhigte er das Mädchen weiter. Aber von dem gewöhnlich auf diesen Spitznamen folgenden Lächeln war heute nichts zu sehen. Er hörte, wie sich der Mann hinter ihm räusperte und ihn mit einem strengen Blick ansah. Die Ungeduld stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war besser, ihn nicht länger warten zu lassen. Also entriss sich 12 dem Griff des Mädchens und entfernte sich mit langsamen Schritten von ihr. „12!!“, hörte der Schwarzhaarige ihre helle Stimme hinter sich schreien. Sie klang voller Sorge und erschütterte ihn bis ins Mark. Doch das ließ er sich nicht anmerken. Die Tür schloss sich und währenddessen ging der Mann im Anzug unbeirrt weiter. „Bis später.“, verabschiedete 12 sich in einem ruhigen Ton, wohlwissend, dass 13 es nicht mehr hörte. Als würde er bald wieder bei ihr sein. Aber das konnte er nur hoffen. Denn 13 hatte ein gutes Gespür was Gefahr betraf. Wenn etwas sie plagte, dann bedeutete das definitiv nichts Gutes. „Es tut mir leid. Wenigstens dich wollte ich beschützen…“, sagte er gedanklich zu ihr. Eine Weile folgte 12 dem Mann im Anzug durch den Gang. Dabei wechselten die Beiden kein Wort miteinander. Alles, was man hören konnte, waren ihre gleichmäßigen Schritte, die ein leises Echo erzeugten. Und mit jedem Schritt wurde 12 nervöser. Zwar wurde er schon öfters zum Boss gerufen, doch dieses Mal stimmte etwas nicht. Auch wenn er nicht sagen konnte, was genau es war. Er versuchte seinen Atem wieder auf ein normales Tempo zu bringen. Sich zu beruhigen. Jedoch kreisten seine Gedanken wirr umher: „Ich kann jederzeit einfach umdrehen... und gehen... weglaufen... fliehen...“ Nein, das war nicht mehr möglich. Hinter ihm befanden sich bereits zwei weitere Männer. Dann drei. Vier. Als er den Kopf wieder geradeaus richtete, waren vor ihm ebenso zwei Männer. „Was zum Teufel soll das werden?“ Der Schwarzhaarige fühlte sich umzingelt. Neben ihm befanden sich dicke Wände aus Stahl. Es gab keinen Ausweg. Und immer noch ging er weiter. Er wagte es nicht, stehenzubleiben. Gleich würde er herausfinden, was sie mit ihm vorhatten. Wohin sie ihn brachten und aus welchem Grund. Aber das wollte er gar nicht erfahren. Schon seit er ein Kind gewesen war, hatte er es sich angewöhnt, allem Unerklärlichen auf den Grund zu gehen. Er liebte es, Rätsel zu lösen und Wahrheiten aufzudecken. Meistens war seine Neugier unersättlich. Das hatte er von seinem Vater geerbt. Jedoch war die jetzige Situation eine Ausnahme. Jetzt wollte er nicht wissen, was sich hinter der Stahltür befand, vor welcher die Gruppe nun stehenblieb. Er biss die Zähne zusammen. „Nein, ich kann nicht...ich muss...“ Als er endlich den Mut fasste, sich umzudrehen, wurde er plötzlich von zwei starken Händen gewaltsam festgehalten. Die anderen Männer versperrten ihm den Weg. Er konnte seinen Fluchtweg nicht mehr sehen. „Nein!!!“, schrie er und versuchte sich mit seiner gesamten Kraft loszureißen. Vergeblich. Ehe er es überhaupt schaffen konnte, sich von den unerbittlichen Griffen zu lösen, rammte ihm einer der vorderen Männer eine Faust in den Bauch. Ein Keuchen entwich ihm. Eine weitere Faust folgte, diesmal ins Gesicht. Eine dritte traf unmittelbar danach die andere Gesichtshälfte. Ihm wurde schwindelig. Für einen Moment färbte sich seine Sicht schwarz. Und dieser kurze Moment genügte, um ihn durch die Tür in den dahinterliegenden Raum zu zerren. Jemand schubste ihn in die Arme von zwei anderen, kräftigeren Männern, die ihn zu einer Art OP-Tisch drängten. Erst jetzt begann er zu realisieren, dass all die Leute in diesem Raum Laborkittel trugen. Da fiel ihm sofort eine bestimmte Person ein. Hastig drehte er seinen Kopf in alle Richtungen und suchte nach ihm. Schließlich entdeckte er ihn, hinter den anderen Wissenschaftlern am Ende des Raumes, neben einer aufgestellten Kamera. Der Schwarzhaarige schrie nach der Person. Rief seinen Namen. Mehrmals. Lauter. Doch der Mann, von dem er geglaubt hatte, er könnte ihm vertrauen, reagierte nicht, sondern starrte ihn mit leeren Augen an. Als würden sie sich nicht mehr kennen. Kurz darauf presste man ihn mit dem Rücken auf den Tisch und befestigte seine Gliedmaßen an dort angebrachte, feste Schnallen. Unmöglich, sich davon wieder zu befreien. Und trotzdem versuchte er es. Solange, bis seine Kräfte ihn verließen. Plötzlich legten sich zwei Hände um seine Wangen und hielten seinen Kopf fest. „Ich hoffe, du überlebst. Wäre wirklich schade, denn du hast hervorragende Fähigkeiten, die Eclipse sehr von Nutzen wären...“, sprach jemand in einer bedauerlichen Tonlage. Da übermannte 12 die Erkenntnis. Ihm wurde endlich klar, warum die anderen vor ihm nicht mehr zurückgekommen waren. 11 hatte sich damals für immer von ihm verabschiedet. Seine Flucht war noch in derselben Nacht gescheitert. So hatte 12 einen wichtigen Freund verloren, und 13 hoffte noch immer auf die Rückkehr von 11. Doch sie würde ihn nie wieder sehen. „Und mich wirst du auch nicht wiedersehen...“ 12 erkannte, dass er hier, auf diesem Tisch, in diesem Raum, umringt von kranken Wissenschaftlern, sterben würde. Wenn elf Menschen vor ihm nicht überlebt hatten, dann würde er das mit Sicherheit auch nicht. Eigentlich hatte er nie Angst vor dem Tod gehabt, denn die Angst vor dem Tod war meistens schlimmer als der Tod selbst. Doch er wollte nicht auf diese Art aus dem Leben treten. Er wollte nicht als Versuchsobjekt, wie es den Anschein hatte, hier sterben. Da würde er sich lieber eine Kugel durch den Kopf jagen. Und deshalb schrie er unentwegt weiter. Er schrie nach Hilfe. Doch es kam niemand. Der Dok beobachtete schweigend das Geschehen. Als er seinen Namen mehrmals hörte, verkrampfte sich sein Herz. Am liebsten hätte er sich einfach weggedreht und sich die Ohren zu gehalten. Stattdessen entwich ihm ein Seufzen, welches aber in dem Gejammer von 12 mit unterging. Er fasste sich mit der Hand an die Stirn und ließ sie dann durch seine silbernen Haare gleiten. Wegen dieses Giftes hatte er bereits elf Menschen auf dem Gewissen. Aber das Einzige, was ihn jedes Mal aufs Neue frustrierte war sein Versagen, nicht dazu in der Lage zu sein, das sogenannte Wundermittel so fertigzustellen, dass auch die gewünschte Wirkung einsetzte. Die Leben der Menschen waren ihm egal. Außer heute. Denn 12 bedeutete ihm sehr wohl etwas. Sein richtiger Name lautete Shuichi. Das hatte er ihm mal verraten. Der Silberhaarige bereute es, sich auf diesen Mann eingelassen zu haben. Schon seit dem Anfang dieses Projekts hatte er gewusst, dass man die Mitglieder mit Nummern nicht als vollwertige Mitglieder betrachten sollte und ihr Todesurteil schon so gut wie gefällt war. Aber er konnte nicht anders und wurde schwach, immer, wenn er Shuichi in die Augen gesehen hatte. Nun nahm einer seiner Laborkollegen die Spritze gefüllt mit dem Serum und stach die dünne Nadel vorsichtig in den Hals von Shuichi ein. Eigentlich war das sonst seine Aufgabe, doch heute lehnte der Dok es bewusst ab und nahm nur die Rolle des Beobachters ein. Die Wirkung des Giftes würde in wenigen Minuten einsetzen. Dann hieß es Erfolg oder Tod. Der Silberhaarige schaltete die Kamera ein, welche sich neben ihm befand und startete eine Videoaufnahme. „02. Februar 2020. Versuch Nummer 12. Objekt ist männlich, 29 Jahre alt, bei vollständiger Gesundheit. Das Serum wurde nun in den Körper eingeführt.“, begann er dann trocken. Wie immer. Es war immer dieselbe Routine. Doch heute befand sich ein fast unüberwindbarer Kloß in seinem Hals und jedes Wort fiel ihm schwer. Inzwischen wandelte sich das verzweifelte Gejammer zu Schmerzensschreien um. Er atmete tief durch und versuchte sie auszublenden. „Objekt scheint starke Schmerzen zu haben. Bis jetzt keine Wirkung erkennbar.“, berichtete er weiter. Seine Stimme klang leise. Womöglich würde man sie auf dem Tonband nicht hören. Obwohl die Chancen gering waren, betete er gedanklich weiter für das Leben von Shuichi. Bis jetzt sah es schlecht aus. Inzwischen schrie der Schwarzhaarige nicht mehr, sondern hustete und keuchte pausenlos. Da weiteten sich die Augen des Doks. „Blut...“, schoss es ihm durch den Kopf, als er sah, dass Shuichi große Mengen an Blut spuckte. Der gefesselte Körper zitterte stark. Jetzt war es zu spät. Er würde sterben. Der Dok schloss die Augen. Er hörte, wie ein paar gedämpfte Stimmen auf ihn einredeten. Er ignorierte sie und senkte den Kopf. Da war es wieder. Das Gefühl, versagt zu haben. Hinzu kamen diesmal noch die Schuld und der Herzschmerz. Erst nach ein paar Minuten wagte er es, die Augen wieder zu öffnen. Wie erwartet regte sich Shuichis Körper nicht mehr. Doch gerade, als er die Aufnahme beenden wollte, traf ihn der Schock wie ein Blitzschlag. Shuichis Handgelenke zuckten. Dann hob er langsam seinen Kopf. „Hat es...funktioniert?“, fragte sich der Silberhaarige im Stillen. Er bemerkte, dass Shuichis Augen plötzlich blutrot gefärbt waren. Dessen Gesichtsausdruck konnte er nicht ganz deuten. Er wirkte zwar emotionslos, doch trotzdem glaubte der Dok, auch Hass darin erkennen zu können. Er beobachtete, wie seine Kollegen anfingen zu tuscheln und die Meisten schauten völlig begeistert. Doch die Freude sollte ihnen im nächsten Augenblick vergehen. Er spürte seinen Herzschlag nicht mehr. Seine Atmung schien wie aufgelöst. Fühlte sich so der Tod an? Doch wenn er nicht mehr am Leben war, wieso umringten ihn dann weiterhin Menschen in Laborkitteln? Diese Menschen. Je länger er sie betrachtete, desto mehr verschwamm seine Sicht und veränderte sich zu einem farblichen Durcheinander. Es war, als würde er durch einen Wärmebildfilter hindurchsehen. Dann kam ihm die Erkenntnis. Das Gift. Was hatten sie ihm angetan? Er fühlte sich, als hätte man ihm seine Menschlichkeit geraubt. Schwerelos. Und doch gefangen. Er richtete seinen Blick auf die Schnallen um seine Handgelenke. Mit ungewohnter Leichtigkeit befreite er sich von den lästigen Fesseln, woraufhin die Laborkittelträger erstaunt zurückwichen. Allmählich nahm der tiefe Hass in ihm Gestalt an. Dafür sollten sie bezahlen. Sie sollten dafür büßen, was sie mit ihm gemacht hatten. Er wollte sie sterben sehen. Jeden einzelnen. Er wollte sehen, wie sie jämmerlich am Boden verbluten würden. Woher kam nur dieser Hass? Wie ferngesteuert stand er auf. Jetzt konnte er doch Herzschläge hören. Doch es war nicht sein eigenes Herz, was da so schnell schlug. Er nahm eine junge Frau mit Brille ins Visier. Ging auf sie zu und krallte seine Hand in ihren zärtlichen Hals, um ihn kurz darauf zu zerquetschen. Als er sie achtlos fallen ließ, gingen ein paar Wissenschaftler auf ihn los. Wollten ihn ergreifen. Er stieß sie mit Leichtigkeit von sich weg, so dass sie allesamt zu Boden fielen. Ein paar andere wollten aus dem Raum fliehen. Mit ungewohnter Schnelligkeit hielt er sie auf und zerrte sie in die Mitte des Raumes. Niemand würde hier lebend rauskommen. Er wollte keine Menschenseele entkommen lassen. Er griff sie an. Versuchte, sie in Stücke zu reißen. Rammte seine spitzen Zähne in ihre dünne Haut. Woher kam nur diese Gier nach Blut? Der Geruch davon biss sich in seine Nase und fühlte sich zugleich seltsam befriedigend an. Als die warme Flüssigkeit seine Zunge berührte, schien es, als würden seine Geschmacksknospen nahezu aufblühen. So schmeckte also menschliches Blut. Und er wusste: er wollte mehr davon. Viel mehr. In nur wenigen Minuten war von dem Labor nur noch ein großer Trümmerhaufen übrig geblieben, worunter ein Haufen lebloser, blutleerer Körper begraben waren. Inzwischen hörte er den Notfallalarm in seinen Ohren dröhnen. Es war unerträglich und trieb seinen Hass nur noch mehr an. Als würde er sich im Rausch befinden. Er wollte hier raus. Weg von hier. Weit weg. Und er würde sich nicht aufhalten lassen. Von niemandem. Dann rannte er los. Wurde schneller. Vernichtete alles, was seinen Weg kreuzte. Ließ Leichen wie Trümmerteile hinter sich zurück. Blendete Todesschreie aus. Durchbrach Türen als wären sie aus Papier. Nicht einmal die dicken Stahltüren, welche sich nur wegen des Notfallalarms schlossen, konnten ihn zum stehen bringen. Zwar kannte er nicht den direkten Weg zum Ausgang, aber er hatte das Gefühl, dass er von ihm angezogen wurde. Er musste auf dem richtigen Weg dorthin sein. Im nächsten Gang stoppten eine Reihe aus Männern in Militäranzügen sein Vorankommen. Alle waren bewaffnet. Jetzt entschied er sich doch dazu, stehenzubleiben. Doch sie zögerten keine Sekunde, nicht auf ihn zu schießen. Ein Kugelhagel kam ihm entgegen. Wegen des starken Drucks wich er ein paar Schritte zurück. Schloss kurz die Augen. Sah dann auf sich herab. Es waren keine Wunden auf seiner Haut entstanden. Scheinbar konnten diese Kugeln ihn nicht durchdringen. Warum das so war, begriff er nicht. Und es interessierte ihn auch nicht. Von seinem Verstand hatte er sich ohnehin längst verabschiedet. Empfindungen wurden von seinem Adrenalinrausch unterdrückt. Er ließ Taten sprechen und ging auch auf diese Kerle los. Zerfetzte sie ohne Bemühungen. Blutwellen spritzen ihm entgegen und hinterließen breite Lachen auf dem kalten Boden. Er ließ den metallischen Geruch in seine Nase steigen. Fühlte sich dabei so mächtig wie nie zuvor. Jedoch waren die Feinde anscheinend noch nicht bereit dazu, aufzugeben. Er sah, wie sich von hinten weitere Truppen näherten. Doch an denen wollte er nicht noch mehr Zeit verschwenden. Sie würden es sowieso nicht schaffen, ihn rechtzeitig einzuholen. Also lief er erneut los und suchte weiter nach dem Ausgang. Bis er ihn schließlich fand. Er leuchtete am Ende des Gangs wie ein großes Himmeltor. Wie lange hatte er sich danach gesehnt? Als er den Ausgang durchquerte, spürte er frischen Wind an seiner Haut. Endlich war er draußen. Doch alles, was seine Augen erblickten, waren eine steil abfallende Klippe und der weitreichende, blau glänzende Ozean dahinter. Kein Festland. Was nun? Einfach anhalten? Nein. Unmöglich. Jetzt war er schon so weit gekommen. Letztlich würde er sich ohnehin dazu entscheiden müssen, einfach zu springen oder sich wieder gefangennehmen zu lassen. Er entschied sich für den Freitod mit geringer Überlebenschance. Der Fall fühlte sich an, als könnte er fliegen. Er drehte sich nicht um, sondern blickte geradeaus zur Sonne. Bis er von den Wellen verschluckt wurde. Unwissend, wohin das Meer ihn treiben würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)