Niffler and Where to Find Them von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 3: ----------- „Sir, ich hatte nicht erwartet, dass die Polizei den Tatort noch einmal in Augenschein nehmen will“, meinte der Bankangestellte verwirrt. Percival hatte in der NoMaj-Bibliothek nicht viel über die Steen National Bank erfahren. Lediglich Zeitungsberichte über die Gründung vor mehreren Jahrzehnten durch den jüdischen Einwanderer Nathan Bingley sowie Eröffnungen weiterer Filialen in Boston und Philly waren enthalten. Nichts über unvorhergesehene Ereignisse oder dergleichen. Danach hatte er sich einen kleinen Mittagssnack gegönnt und war in die Bank gefahren, wo er sich nun einem blond gelockten Sommersprossengesicht gegenübersah. Der Angestellte war einige Jahre älter als Percival und trug einen dunkelbraunen, tadellose Anzug, der aber von geringer Qualität war. Das war Percival sofort aufgefallen. Er hatte ihm lediglich seinen gefälschten Ermittlerausweis unter die Nase gehalten und gesagt, dass er wegen der Einbrüche noch einmal mit dem Bankdirektor sprechen wolle. Der Angestellte, dessen Namensschild ihn als Mister Smith auswies, hatte eine Kollegin losgeschickt und mühte sich nun ab, höflichen Smalltalk mit Percival zu führen. „Ermittlungsgeheimnis, Sie verstehen?“, wiegelte Percival ab. Der Lockenkopf schüttelte verwirrt den Kopf. „Das heißt, dass ich Ihnen nichts erzählen kann, was den aktuellen Stand der Ermittlungen betrifft.“ „Oh, ach so. Aber Sie haben den Dieb doch bald gefasst, oder?“ Percival nickte ergeben. „Der Direktor ist nämlich ziemlich außer sich, wegen der Sache.“ „Das wären Sie an seiner Stelle auch, wenn Sie Ihren Kunden versprechen, die sicherste Bank New Yorks zu sein und dann passiert ein Diebstahl.“ „Hm. Da haben Sie wohl recht. Wie ist es eigentlich, Chefermittler in einem solch wichtigen Fall zu sein? Mit Verlaub, Sir, Sie wirken noch ziemlich jung.“ Percival starrte den Bankangestellten entgeistert an. Hatte er da gerade richtig gehört? Smith bezeichnete ihn als „jung“? Der Auror spürte, wie sich seine Mimik versteinerte. „Ich habe nie behauptet, der Chefermittler in dem Fall zu sein“, erwiderte er lapidar. Was der Wahrheit entsprach. Aber da er bei der Abteilung für Magische Strafverfolgung derzeit wohl der Einzige war, der an dem Fall arbeitete, konnte man ihn vielleicht tatsächlich als den Chefermittler ansehen. Doch das konnte er diesem Smith schlecht erzählen. „Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte Sie nicht beleidigen“, stammelte Smith. „Es ist nur so, ich habe selten mit der Polizei zu tun, und ...“ „Wie sind Sie eigentlich an Ihren Job gekommen?“, fuhr ihm Percival dazwischen. „Oh. Also das war eigentlich nicht schwer ...“, fing Smith an. Der Auror schluckte. Was eigentlich als dezente Beleidigung gedacht war, ermunterte den Angestellten stattdessen, ihm seinen beruflichen Werdegang darzulegen. Percival hörte ernüchtert zu und kämpfte gegen ein Gähnen. „... Law School abgeschlossen. Aber Sie wissen ja sicher, wie das so läuft. Mein Vater hat seit jeher mein Gespür für Zahlen gelobt. Und da er den Bankdirektor persönlich kennt, kam eines zum anderen und ich habe diese Stelle angenommen.“ „Und sehen Sie es heute auch immer noch als richtige Entscheidung an? Als Bankangestellter zu arbeiten statt als Anwalt?“ Smith zögerte kurz. Percival hatte offenbar einen wunden Punkt getroffen. „Nun, ich kann ja immer noch in die Kanzlei meintes Vaters wechseln, wenn mir der Sinn danach steht“, wicht Smith aus. „Natürlich“, zwinkerte Percival. Und dachte, dass dies frühestens der Fall sein würde, wenn der Alte starb. Percival hatte erreicht, was er erreichen wollte. Der Blondschopf schwieg. Der Auror ging zur Seite, damit Smith sich um die nächsten Kunden kümmern konnte, und sah sich in der Bank um. Er war noch nie in einer NoMaj-Bank gewesen. Sie unterschied sich stark von ihrem magischen Äquivalent. Wie der Zufall es wollte, befand sich diese einige Blöcke weiter südlich. Hier in der National Steen Bank herrschte ein hektisches Treiben, wie Percival es allenfalls von NoMaj-Bahnhöfen kannte. „Verzeihung“, meinte jemand und huschte an ihm vorbei. „Verzeihung“, murmelte Percival zurück, obwohl der Mann ihn nicht einmal angerempelt hatte. Er sah ihm hinterher, wie er den Kragen hochzog und dann in Richtung Ausgang eilte. Percivals Nackenhaare zitterten etwas, aber er ignorierte es, verschränkte die Arme und lehnte sich an eine der Säulen aus rotem Marmor. Er hoffte, dass er nicht mehr all zu lange warten musste, als er wieder ein „Verzeihung“ hinter sich hörte. Percival drehte sich um und sah sich einer grauhaarigen Matrone gegenüber, die ihre besten Jahre hinter sich hatte. „Guten Tag“, grüßte er die Dame höflich. „Mr. Graves?“ „Ja.“ Zum Beweis hielt er ihr seinen Ausweis unter die Nase. „Und Sie sind?“ „Ms. Walsh. Kommen Sie mit.“ Er folgte ihr durch eine kleine Schwingtür in den hinteren Bereich der Bank, in dem sich nur Angestellte aufhielten. „Der Direktor hat mir gesagt, dass ich Sie herumführen und Ihnen alles zeigen soll, was Sie sehen wollen.“ „Er hat nicht selbst Zeit für mich?“, vergewisserte Percival sich. „Nein, er ist vielbeschäftigt. Ich im Übrigen auch, Mr. Graves. Können wir dann?“ Er nickte ergeben. „Also kommen Sie.“ Percival schlurfte ihr hinterher eine unscheinbare Treppe hinab und sah ihr dabei zu, wie sie einen schweren Schlüssel hervorzog und in das Türschloss steckte. Danach führte die Treppe weiter in die Tiefe. Sie geleitete ihn einmal um die Ecke und sie standen vor schweren Messingstäben, in die eine Tür eingelassen war. Dahinter befand sich der Safe. Zwei Wachmänner waren links und rechts der Messingtür postiert und musterten Percival aus den Augenwinkeln heraus. Der Auror seinerseits nahm zunächst die Stäbe in Augenschein. „Keinerlei Einbruchsspuren zu erkennen“, meinte er, nachdem er sie ausgiebig untersucht hatte. „Sagen Sie, sind die Stäbe zwischenzeitlich ausgebessert oder poliert worden?“ „Nein, Mr. Graves“, antwortete Walsh. Unschlüssig starrte er sie weiter an, ließ es dann aber erst einmal auf sich beruhen. „Kann ich den Safe sehen?“, fragte er, nachdem die Matrone sich nicht gerührt hatte. Sie sah ihn abschätzig an, gehorchte dann aber und schloss die Tür in den Messingstäben auf. „Wer hat alles einen Schlüssel für diese Tür?“, fragte Percival. Er trat hindurch und besah sich die Stäbe noch einmal von innerhalb des Tresorraums, doch auch hier konnte er keine Unstimmigkeiten feststellen. „Nur der Direktor, Mr. Graves.“ „Ich nehme an, er trägt ihn immer bei sich?“ Sie nickte. „Hmpf.“ Graves wandte sich dem Tresor zu. Er sah genauso aus wie auf der Fotografie, die in der polizeilichen Ermittlungsakte enthalten war. Bei näherer Betrachtung war nicht eine Schramme an der schweren, rund geformten Tür zu erkennen. „Auch hier ist nichts verändert worden.“ Percival hatte die Frage gar nicht zu stellen brauchen. Er stand etwa einen halben Meter vor dem Tresor, stemmte die Hände in die Hüften und starrte auf die Geldkammer. „Wurde das Innere des Safes auch überprüft?“ „Natürlich, Mr. Graves. Wenn etwas übersehen wurde, liegt das ausschließlich in der Verantwortung der New Yorker Polizei.“ ‚So wird das nichts‘, dachte Percival. Er drehte sich zu der Matrone um und inspizierte sie mit ausdruckslosem Gesicht. „Und in welchem Arbeitsverhältnis stehen Sie zu Mr. Bingley?“, fragte er. Die Alte verschluckte sich fast. „Wie bitte?“ „Sie verstehen mich schon richtig, Ms. Walsh. In welcher Position sind Sie hier tätig?“ „Ich bin die persönliche Sekretärin von Mr. Bingley.“ „Und er vertraut Ihnen einfach so die wichtigsten Schlüssel in dieser Bank an? Um einen einfachen Ermittler herumzuführen?“, fragte der Auror skeptisch. „Ich arbeite an diesem Vertrauen seit über 15 Jahren, Mr. Graves. Worauf wollen Sie hinaus, wenn ich fragen darf?“ Mittlerweile war sie puterrot angelaufen. Percival blieb ernst. „Es ist schon seltsam, dass die sicherste Bank dieser Stadt ausgeraubt wird und sich keine Einbruchsspuren finden lassen.“ Die Matrone sah ihn empört an. „Meine Loyalität steht außer Frage!“, erklärte sie vehement. „Mhm. Kann ich den Safe von innen sehen?“ „Nein! Ausdrückliche Anweisung von Mr. Bingley.“ Graves glaubte ihr nicht, wollte sie aber vorerst nicht weiter bedrängen. „Gut, kann ich stattdessen mit Mr. Bingley direkt sprechen?“ „Worüber wollen Sie mit ihm sprechen?“ Percivals Gesichtsmuskeln zuckten. Ihm war klar, dass sie mehr Informationen von ihm haben wollte. Informationen, die ihr nicht zustanden. Selbst ein Polizist hätte einer einfachen Sekretärin nicht einfach so Ermittlungsansätze mitgeteilt. ‚Zumindest kein Professioneller.‘ Er war sich nicht sicher, ob Ms. Walsh tatsächlich etwas zu verbergen hatte oder nur aus reiner Neugier fragte. Vorsichtshalber setzte er sie auf seine Liste der Verdächtigen. Percival seufzte leise. Zu gerne hätte er die Alte mit einem Imperio Fluch dazu gezwungen, ihn direkt zum Bankdirektor zu bringen. Doch dann hätte er die beiden Wachmänner noch oblivieren müssen, was ihm als zu riskant erschien. So blieb ihm nur, sein Charisma an der Matrone zu erproben. Er setzte das charmanteste Lächeln auf, das er unter den gegebenen Umständen zustande brachte. „Miss Walsh, Sie als Vertraute von Mr. Bingley können doch sicher nachvollziehen, in welcher prekären Lage sich Ihr Chef gerade befindet. Ich versuche hier nur, hinter des Rätsels Lösung zu kommen“, sagte er und zwinkerte ihr vertraulich zu. Sie erwiderte seinen Blick zurückhaltend und schwieg. „Sicher honoriert Mr. Bingley Ihr vorbildliches Verhalten, wenn es zur Lösung des Falls beiträgt?“ Aus den Augenwinkeln nahm Percival wahr, wie einer der Wachmänner den Kopf drehte und in ihre Richtung blickte, Unglauben und Ekel im Gesicht. Es war wahrlich ein schwieriges Unterfangen, einer über 50 Jahre alten Bankangestellten Honig um die Lippen zu schmieren. Graves glaubte, dass sie nicht einmal in ihrer Jugend eine Augenweide war. Jedenfalls nicht, wenn sie damals schon so streng geschaut hat, wie sie es bisher getan hatte. Langsam weichten ihre Gesichtszüge auf und die Matrone nickte verhalten. „Finden Sie nicht auch, dass wir daher alles dafür tun sollten, damit Mr. Bingley das Geld zurückerhält, welches der Bank gestohlen wurde?“, fragte er zuckersüß und trat einen forschen Schritt auf sie zu. Er lächelte noch einmal, etwas schelmisch wie ein Bengel, als ob sie gemeinsam etwas aushecken würden. Der Wachmann im Hintergrund verzog angewidert das Gesicht. Percival ignorierte ihn. „Also, wollen Sie mich nun bitte mit Mr. Bingley sprechen lassen?“ „Ich kann ihn ja mal fragen, ob er Zeit für Sie hat, Mr. Graves“, antwortete sie zögerlich. Sie drehte sich um und wollte auf den Gang hinaustreten. Schnell griff der Auror nach ihrem Unterarm und hielt sie sanft zurück. „Miss Walsh, vergessen Sie nicht, die Türen zuzusperren“, wies er sie höflich auf ihren Faux-Pas hin. Graves verließ den Tresorraum und wartete an der Treppe auf die Sekretärin. Auch der zweite Wachmann sah ihn ungläubig an. Beide schwiegen zum Glück. Ms. Walsh kam ihm nach und sie gingen die Treppe hinauf, die sie zuvor schon hinab gekommen waren. „Mr. Bingleys Büro liegt in der obersten Etage“, erzählte die Matrone auf dem Weg nach oben. „Wie es einem Mann seines Ranges zusteht“, schleimte Percival. „Der Aufzug ist leider kaputt.“ „Das ist ärgerlich.“ Drei Stockwerke weiter oben hatte Ms. Walsh zahlreiche Schweißperlen auf der Stirn und atmete schwer. Sie hielt inne, um Luft zu holen. Der Auror nutzte die Gelegenheit, um sich umzusehen. Sie standen in einem langgestreckten Vorraum, dessen Wände mit Nussbaumholz vertäfelt waren. Percival hätte erwartet, dass auch hier oben alles mit sündhaft teurem Marmor ausgestattet war, aber allem Anschein nach ging es der Bank finanziell doch nicht so gut. „Guten Tag“, grüßte er einen älteren Herrn, der es sich auf der Ledergarnitur an der linken Wandseite gemütlich gemacht hatte. Der Herr grüßte zurück und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Am hinteren Ende konnte Percival einen Schreibtisch und diverse Aktenschränke ausmachen, begleitet von einer überdimensionalen Zimmerpflanze. „Das muss Ihr Platz sein, nicht wahr?“ Ms. Walsh war wieder etwas zu Atem gekommen. Sie nickte. „Ich fürchte, der Termin von Mr. Bingley ist noch nicht zu Ende“, meinte Sie mit Blick auf den Fremden. „Warten Sie bitte hier.“ „Natürlich!“ Percival trat zu den Ledersesseln und nahm Platz. „Sir.“ Der andere ignorierte ihn geflissentlich. Neidisch blickte der Auror auf die leere Tasse, die auf dem Anrichtetisch stand. Zu gerne hätte er jetzt eine Tasse Tee genossen, doch darauf würde er wohl warten müssen, bis er wieder ins Büro kam. ‚Wenn es hier nicht zu lange dauert‘, dachte er. Percival fing an, die Überschriften auf der Rückseite zu lesen. Einer der Berichte handelte von einer Zuglinie, die sich gerade noch in der Fertigstellung befand und deren Eröffnung für Oktober angekündigt wurde. Gerne hätte der Auror mehr darüber gelesen, doch dann hätte er dem Fremden taktlos zu Leibe rücken müssen. Seine Augen wanderten gerade zur nächsten Schlagzeile, als die Tür zum Büro des Bankdirektors aufgerissen wurde. Graves stand auf. Der Fremde, der mit ihm in den Sesseln saß, klappte seine Zeitung zu und erhob sich ebenfalls. „... in New Yorks Banken kann nicht sein“, hörte Percival den Mann sagen, der als erstes aus dem Zimmer trat. „Selbstverständlich, Mr. McClellan, Sir. Sie können versichert sein, dass wir alle nötigen Vorkehrungen treffen werden“, sagte ein zweiter Mann, bei dem es sich zweifellos um Mr. Bingley handeln musste. McClellan sah den Bankier noch einmal an und verabschiedete sich. Der Fremde trat auf ihn zu und folgte ihm wie ein Schatten. Graves hätte nicht gedacht, hier auf New Yorks Bürgermeister zu treffen. Jetzt war ihm auch klar, warum sie ihn mit Ms. Walsh abgewimmelt hatten. „Und wer ist das?“, fragte Mr. Bingley, als er Graves entdeckt hatte. Der Auror drehte sich zu ihm um und kam ihm einige Schritte entgegen. „Der Chefermittler in dem Fall, Sir“, erklärte Ms. Walsh. „Ich dachte, nach Ihrem Termin möchten Sie vielleicht hören, welche neuen Erkenntnisse die Polizei hat?“ Bingley musterte ihn von oben nach unten und wieder nach oben. Seine Mimik änderte sich von besorgt zu verwirrt. „Sie sind der Chefermittler?“ „Ja, Sir.“ „Der Direktor musterte ihn erneut.“ „Stimmt etwas nicht?“ „Nein, es ist nur ... Kommen Sie, erzählen Sie mir, was Sie wissen.“ Bingley bedeutete ihm, ihm ins Büro zu folgen. Graves zwinkerte der Sekretärin noch einmal zu und verscheuchte sie dann aus seinen Gedanken. Die Tür schloss sich hinter den beiden Männern. „Wollen Sie einen Kaffee?“, fragte der Direktor, nachdem Graves sich gesetzt hatte. „Nein danke.“ Wer trank schon Kaffee? Sein Gegenüber nahm nun ebenfalls Platz. „Und wissen Sie schon, wer der Täter ist?“ Percival seufzte innerlich. „Sir, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie eine falsche Vorstellung von polizeilicher Ermittlungsarbeit haben. Der Einbruch wurde von Ihnen am Freitag letzte Woche bemerkt, muss also am selben Tag stattgefunden haben, wenn am Vortag noch alles normal war. Es gibt so gut wie keine Spuren, welche auf einen Verdächtigen schließen lassen. Heute ist Donnerstag, und ...“ „Soll das heißen, Sie haben keine Ahnung, wer der Täter ist?“ „Nein, bedaure, Sir“, gab Percival unumwunden zu. Ihm war es herzlich egal, wenn der Bankdirektor die New Yorker Polizei nun für unfähig hielt. Den Fall würde er trotzdem lösen. „Warum sind Sie dann überhaupt hier?“, polterte Bingley los. „Um mit Ihnen noch einmal über mögliche Verdächtige zu sprechen. In der Ermittlungsakte war angegeben, dass Sie abends den Tresor immer kontrollieren. Warum?“ „Ja warum wohl? Was für eine dämliche Frage.“ Percival blieb ruhig. „Sir, ich möchte nur nachvollziehen können, wie jemand, der täglich abends den Safe kontrolliert, gleichzeitig die Schlüssel zum Safe einer einfachen Sekretärin anvertraut. Sie verstehen sicher, dass das für einen Außenstehenden wie mich auf den ersten Blick befremdlich wirkt.“ Die Gesichtszüge des Bankdirektors glätteten sich etwas. „Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Mr. Graves. Seien Sie versichert, dass die Loyalität von Ms. Walsh außer Frage steht.“ Percival zog eine Augenbraue nach oben. Wie sich die Matrone dieses Vertrauen erarbeitet hatte, war ihm nach wie vor ein Rätsel. „Trotzdem muss es einen Grund für Ihre Vorsicht geben. Oder täusche ich mich da?“ „Nein. Ich bin nur vorsichtig. Und die Erfahrung gibt mir ja Recht, oder nicht?“, erwiderte Bingley. „Es gab also bisher nie Auffälligkeiten? Auch nicht im Hinblick auf andere Ihrer Mitarbeiter?“ „Nein, Mr. Graves. Die Steen National Bank trägt nicht umsonst das Prädikat, New Yorks sicherste Bank zu sein.“ „Ein Prädikat, das jetzt auf dem Spiel steht.“ Zu gerne hätte Percival gewusst, wie der Bürgermeister mit dem ganzen Fall in Zusammenhang stand, hütete sich aber, danach zu fragen. Sinnvoller war es wohl, wenn er zuerst mit seinem Vater darüber sprach. ‚Vorausgesetzt, ich überlebe den Einlauf heute Abend‘, dachte er verdrießlich. „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Bingley gereizt. „Gibt es möglicherweise jemanden, der Ihnen absichtlich schaden will? Oder vielmehr eher dem Ruf der Bank?“ Der Bankdirektor überlegte, schüttelte aber schließlich den Kopf. „Natürlich konkurrieren die New Yorker Banken um die Kunden.“ Percival bemerkte das Zögern seines Gegenübers. „Und weiter?“, hakte er nach. „Was ‚Und weiter‘?“ „Sir. Ihr Verhalten wirkt nur so, als ob Sie Ihre Konkurrenten eigentlich in Schutz nehmen wollen, sich aber selbst unsicher dabei fühlen.“ Bingley starrte ihn an. „Sie haben eine gute Auffassungsgabe, Mr. Graves.“ Der Auror verzog keine Miene. „Und haben Sie eine Vermutung?“ „Nein. Es würde sich um ein Novum in der Bankenwelt handeln. Außerdem kenne ich die Direktoren der anderen Banken alle persönlich vom Gentleman’s Club. Wenn einer was zu verbergen hätte, würde es mir auffallen.“ „Gentleman’s Club?“, fragte Percival neugierig. „Ja. Der müsste Ihnen doch bekannt sein oder nicht? Oder wenigstens Ihrem Vater?“ Der Auror bemerkte, wie Bingley ihn erneut begutachtete. „Sie scheinen ja auch aus gehobenem Hause zu kommen. Kenne ich Ihren Vater?“ „Ich glaube nicht.“ „Hm. Na ja, Graves ist ja auch kein allzu gängiger Name.“ „Nein, ist er nicht. Könnten wir uns wieder auf den Fall konzentrieren, Sir?“ „Natürlich.“ „Ich hätte gerne eine Liste aller Kunden, die am Tattag in Ihrem Institut waren. Und auch eine Liste aller Mitarbeiter, die an dem Tag Dienst hatten.“ „Nun, Ms. Walsh kann Ihnen Kopien anfertigen, aber das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“ „Selbstverständlich. Das wäre es dann vorerst.“ „Schon?“ Bingley wirkte überrascht. „Ja, Sir. Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht noch weiter beanspruchen“, antwortete Percival und erhob sich. Er hatte eh alles erfahren, was er wissen wollte. Nun würde er auf die Listen warten müssen, was er genauso gut bei einer Tasse Tee im Büro tun könne. Der Bankdirektor stand ebenfalls auf und begleitete ihn zur Tür. „Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. Bingley“, sagte Percival höflich. „Aber selbstverständlich. Sie sollten mal vorbeischauen, wenn Sie etwas Luft haben und geistige Zerstreuung suchen?“ Der Auror blieb überrascht an der Tür stehen. Bingley hielt ihm eine kleine Karte hin. „Was ist das?“ „Eine Einladungskarte. Ohne die erhält man keinen Zutritt zum Club. Verlieren Sie sie nicht, Graves!“ Percival blickte ungläubig auf das kleine schwarze Kärtchen, auf dem in goldenen Lettern eine Adresse stand. „Ich werde es mir überlegen“, stammelte er und steckte die Karte ein. „Ich wünsche einen guten Tag, Sir.“ „Wiedersehen. Und lösen Sie mir den Fall!“ „Ja.“ Percival trat in den Vorraum. Ms. Walsh saß immer noch an ihrem Platz und sah zu ihm hoch. Gedankenverloren schlurfte er an ihr vorbei und bekam nicht mehr mit, was Mr. Bingley seiner Sekretärin erzählte. Zu sehr verwirrte ihn die Einladung zu dem NoMaj-Club, die er eben erhalten hatte. Nicht, dass er dort hätte hingehen dürfen. Rappaports Gesetz verbot den Kontakt zwischen NoMajs und Zauberern. Im Treppenhaus angekommen vergewisserte er sich, dass kein NoMaj anwesend war und disapparierte zum Flatiron Building.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)