Freak von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Die Klinge war gut zwanzig Zentimeter lang, und bedeckt von etwas, das womöglich Rost, wahrscheinlicher jedoch Blut war. Sekundenlang starrte Victor darauf, wartete, dass Panik in ihm aufsteigen würde, doch das passierte nicht, wahrscheinlich war er schlicht zu geschockt um irgendetwas anderes als Verwirrung zu empfinden. Dann schloss er die Augen. Zwar versetzte ihn der Anblick des Messers ihn nicht in Angst, zumindest momentan nicht, aber vielleicht würde es ihm helfen, einen klaren Gedanken zu fassen, wenn er nichts weiter als Schwärze sah, nichts, was ihn ablenken könnte, denn wenn ihm nicht bald etwas anderes einfiel als reglos und stumm hier herumzuliegen, dann waren die paar Schläge wohl noch das angenehmste gewesen, was dieser Tag mit sich brachte… „Guck mich gefälligst an, Freak!“ Alvas Stimme war unfassbar laut, und erfüllt von Zorn und Hass. Erschrocken zuckte Victor zusammen – eine Reaktion, für die er sich hasste, sie wirkte so armselig – und gleich darauf spürte er kaltes Metall, das sich direkt unter seinem rechten Auge in seine Haut bohrte. „Guck mich an“, wiederholte Alva, nun murmelnd, was einen nahezu surrealen Kontrast zu seinem vorangegangenen Schrei darstellte. „Oder ich schneid dir das Auge raus. Und wenn du mich schlägst, schneid ich dir die Pulsadern auf, und wenn du schreist, schneide ich dir die Kehle durch…“ Seine Stimme hatte nun etwas Mantra-artiges an sich, als gebe er irgendein bekanntes Schema wieder, das er schon hunderte Male von sich gegeben hatte. Das Metall bohrte sich noch ein wenig tiefer in Victors Haut, und es kostete diesen Überwindung, Alvas Forderung nachzukommen; wenn man etwas scharfes an seinem Auge spürte dann war so ziemlich das letzte, was der Instinkt einem riet, dieses Auge zu öffnen. Alvas Grinsen, das vor sadistischer Freude nur so strotzte, wurde noch breiter. „Na also“, flüsterte er, und für einen Augenblick zog er das Messer wirklich zurück, und Victor hätte beinahe erleichtert aufgeatmet, wäre da nicht noch der Druck auf seiner Schulter gewesen, der Schmerzwellen durch seinen Körper jagte. Dann war das Gefühl der kalten Klinge wieder da. Dieses Mal hatte Alva sie auf Victors Wange gelegt, noch nicht fest genug, als dass sie einschneiden würde, aber das war wohl nur seiner sadistischen Natur geschuldet, dem Verlangen, den Moment möglichst lange auszukosten. Er genoss es, sein Opfer hinzuhalten. Und gleichzeitig störte es ihn wohl, dass es sich so wenig anmerken ließ. „Was ist los mit dir?“, zischte Alva, sich dabei noch ein Stück weiter vorbeugend, und unter seinem Gewicht gab Victors Schulter ein weiteres ungesundes Knacken von sich. Dieses Mal schrie Victor. Es war kein lauter Schrei, aber ausreichend, damit Alvas Blick sich verfinsterte und sein Grinsen gleichzeitig breiter wurde. In einer einzigen fließenden Bewegung, die vermuten ließ, dass er Derartiges bereits ein dutzend Male getan haben mochte, zog er die Klinge über Victors Gesicht nach unten, bis sie auf seiner Kehle verharrte. Dünne Blutstropfen quollen aus dem dünnen Schnitt, langsam und spärlich, und wurden sofort vom Regen weggewaschen. „Ich sagte doch, du sollst nicht schreien“, murmelte Alva, noch immer mit dieser seltsam entrückten Stimme. Gleichzeitig beugte er sich wieder vor, drückte erneut auf Victors Schulter, was weitere Schmerzwellen durch dessen Körper schießen ließ und ihm Tränen in die Augen trieb. Doch diesmal schrie Victor nicht. Es kostete ihn unfassbare Anstrengung, diesen Drang zu unterdrücken, aber obgleich Alva etwas anderes gesagt hatte, so schienen Schreie exakt das zu sein, was ihm besonders große Freude bereitete. Das war eine Genugtuung, die Victor ihm nicht geben wollte. Stattdessen versuchte er ein weiteres Mal, seine Gedanken zu ordnen, und in der Tat schaffte er es, klare Worte hervorzubringen, auch, wenn seine Stimme frustrierend dünn und zittrig klang: „Was hast du eigentlich vor, Alva? Was willst du von mir?“ Kurz wirkte Alva irritiert. Sah beinahe verblüfft aus, was unter anderen Umständen wohl komisch angemutet hätte, aber mit dem Gefühl einer scharfen Klinge an seiner Kehle war Victor nicht wirklich nach Lachen zumute. Sekunden verstrichen, zogen sich zäh wie Honig. Alva betrachtete ihn, runzelte dabei die Stirn, als habe ihm jemand eine besonders komplizierte Matheaufgabe gestellt, die er nicht auf Anhieb zu beantworten vermochte. Dann, endlich, schien er sich für eine Erwiderung entschieden zu haben. Und die gefiel Victor ganz und gar nicht. „Ich weiß noch nicht, was ich mit dir mache“, murmelte Alva, wobei er sich noch ein Stück weiter vorbeugte. Victor konnte seinen Atem spüren, und er konnte ihn riechen – eine unheilvolle Kombination aus Alkohol und irgendetwas, was an Hustensaft erinnerte. Bitter und süßlich zugleich. „Ich hatte echt große Probleme wegen dir“, fuhr Alva fort, und zumindest entfernte er nun das Messer von Victors Kehle, um es gedankenverloren zu betrachten, während er weitersprach. „Weißt du, diese Einrichtung war wirklich die Hölle. Kannst du dir das vorstellen? …nein. Nein, das kannst du nicht. Wie solltest du auch? Aber verstehst du – es wäre doch unfair, wenn ich dich einfach so davonkommen lassen würde. Du konntest schließlich deine Schnauze nicht halten, also ist es doch nur gerecht, wenn du etwas von dem zurückbekommst, was mir passiert ist…“ „Ich habe aber niemanden fast totgeprügelt.“ Victor war klar, dass es klüger gewesen wäre, einfach still zu sein; wenn es auch vielleicht in dieser Situation kein richtiges Verhalten gab, so war dieses hier wohl doch definitiv kontraproduktiv. Doch er konnte Alva nicht einfach dabei zuhören, wie er sich seine eigene Welt zurechtbog und schönredete. Alva glotzte ihn an. Ihm war förmlich anzusehen, wie es in seinem Hirn arbeitete, wie er zu verstehen versuchte, dass sein Gegenüber wirklich die Frechheit besaß, in solch einem Ton mit ihm zu reden, und ganz kurz hatte Victor die Hoffnung, diese Verwirrung ausnutzen zu können um seinen Angreifer von sich zu schubsen und wegzurennen. Dann jedoch war dieser Moment vorbei. „Scheiße.“ Gradezu fassungslos schüttelte Alva den Kopf, und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde beinahe ein wenig unsicher. „Sag mal, nimmst du mich nicht richtig ernst oder was? Glaubst du, ich mache hier Witze? Glaubst du, ich hätte ein Problem damit, dich totzuschlagen?“ Das glaubte Victor keinesfalls. Alva war unter normalen Umständen schon kaum zurechnungsfähig, aber was auch immer er sich heute eingeworfen hatte, machte ihn vollkommen unberechenbar. Also schüttelte er den Kopf. Er hasste sich selbst für diesen Ausdruck der Unterwürfigkeit, doch war das wohl das Sinnvollste, was er tun konnte. Alvas Lächeln wurde wieder sicherer. „Na dann ist ja gut! Wie gesagt, ich weiß noch nicht, was ich mit dir mache… hängt ganz davon ab, ob du dich benimmst.“ Es kostete Victor unheimliche Anstrengung, die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge lagen. Es wäre unklug gewesen, Alva zu beleidigen, doch dessen Tonfall, und überhaupt diese Aussage machten ihn wütend und verzweifelt sogleich. Er hätte jedoch nicht einmal Zeit gehabt, etwas zu sagen, bevor Alvas nächster Schlag ihn traf. Wieder schrie Victor auf – ein Schrei, der immerhin eher wütend als ängstlich klang, und das war okay – und dann spürte er Alvas Finger, die sich um seine Kehle legten. „Du sollst doch nicht schreien“, murmelte die heisere Stimme, doch der nahezu erfreute Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass das keinesfalls der Wahrheit entsprach. Sekundenbruchteile später spürte Victor wieder die Messerklinge an seiner Wange. Dieses Mal jedoch zog Alva den Schnitt mit weitaus mehr Kraft. Blut quoll aus der Wunde und lief über Victors Gesicht, tropfte zu Boden und wurde vom Regen verdünnt. Der Schmerz war dumpf und unbedeutend. Später würde es wohl brennen – sofern es überhaupt ein Später geben würde – doch für den Moment war er kaum mehr als ein entferntes Pochen, gemeinsam mit dem Stechen seiner Schulter weit in den Hintergrund gerückt. Alva schnitt unterdessen unbeirrt weiter. Irgendeinen Sinn schienen seine Schnitte zu haben, einem Muster zu folgen, und seine Lippen bewegten sich dabei als führe er ein stummes Selbstgespräch. Die ersten acht Schnitte gelang es Victor noch, sich zusammenzureißen. Letztendlich war es nicht der unbedeutende Schmerz, der ihn aufschreien ließ, sondern schlichtweg die Vorstellung, dass Alva auf ihm hockte und ihm das Gesicht zerschnitt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. „Hör auf!“, fauchte er, aber seine Stimme brach weg und nahm dieser Aufforderung dadurch jeglichen potenziell vorhandenen Nachdruck, und die einzige Wirkung, die er dadurch erzielte, war dass Alvas Finger sich fester um seinen Hals schlossen und seine Augen selbstgefällig funkelten. „Ich wusste doch, dass du Angst hast!“, rief er nahezu extatisch, dann setzte er den nächsten Schnitt; noch tiefer als die vorherigen. „Ja, jetzt bist du nicht mehr so cool, was? Jetzt hast du es verstanden! Hast du verstanden, dass du dich nicht mit mir anlegen solltest?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)