Music Is Life von Phoenix-of-Darkness (Musik heißt: Leben - YuKa / SeBo) ================================================================================ Kapitel 6: Ten Black Roses I ---------------------------- Rückblende: Die Stimme des Russen zitterte als er die letzten Worte sang. „Ka..zu..ki…“ Er bebte und sein Griff um den Körper des Halbrussen wurde stärker. Tränen liefen über sein Gesicht. Die medizinischen Geräte schlugen Alarm. Doch er realisierte sie gar nicht. Sie waren ihm egal, denn er hatte soeben die wichtigste Person in seinem Leben verloren. Anders als Yuriy, rissen die Alarme Kai aus seiner Starre. Er vernahm die hektischen Schritte auf dem Flur und stand auf. So schnell er konnte, verschwand er wieder hinter dem Vorhang. Der Silberhaarige presste sich an die Wand und die Türe zu dem Zimmer flog auf. Eine Scharr von Ärzten und Schwestern, stürmte in den Schockraum. Doch sie alle konnten nichts tun. Der 6jährige rutschte an der Wand herunter und zog die Beine an. Halt suchend schlang er seine Arme um seine Knie. „Zeitpunkt des Todes…“ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ „Was für Puten, ey!“ Boris schob die Hände in die Hosentaschen. „Da halten die uns ernsthaft eine Moralpredigt von wegen Aufsichtspflicht und so! Dabei ist der Kleine ja nicht mal mit uns verwandt…“ Zusammen mit Sergej kam er gerade von der Rezeption zurück und den ganzen Weg zur Notaufnahme wetterte der Jüngere über die zwei Rezeptionistinnen. Ein bisschen konnte der Ältere die Empörung seines Bandkollegen nachvollziehen, aber ihm war nicht danach sich über belanglose Dinge aufzuregen. Dafür fehlte ihm einfach die Energie. Woher der Jüngere diese nahm, war ihm schleierhaft. Sie blieben einige Meter vor dem Schockraum stehen und der Blonde rieb sich die Nasenwurzel. Die ganze Situation stresste ihn, das Neonlicht schmerzte in seinen übermüdeten Augen und das Gezeter seines Begleiters riss an seinen Nerven. „Boris, bitte… Jetzt ist auch mal gut.“ Seufzte er leicht genervt. Sie hatten Kazukis Bruder noch immer nicht gefunden und so langsam gingen ihm die Ideen aus wo sie diesen noch suchen sollten. Der Junge konnte doch nicht vom Erdboden verschwunden sein. Sergej atmete durch und wollte gerade zu einer weiteren Möglichkeit der Suche ansetzen, als sich die Schiebetüre des Schockraums öffnete. Eine Flut an weißen Kitteln verließ diesen. Hinter vorgehaltenen Dokumentenkurven flüsterten zwei Krankenschwestern sich etwas zu, während der Rest dieser Menschentraube beklommen zu Boden sah. Sie hatten in diesem Moment keinen Blick für die zwei Russen übrig und eben jenen schwante nichts Gutes, als schließlich auch der Rotschopf aus dem Raum trat und die Schiebetüre hinter sich schloss. Auch Yuriy hatte seine Bandkollegen noch nicht wahrgenommen. Er hielt noch immer den Metallgriff der Tür in seiner Hand und starrte durch das kleine Fenster zurück in den Raum. Ratlos sahen sich Boris und Sergej an, ehe sich Ersterer in Bewegung setzte und an seinen besten Freund heran trat. „Yuriy?“ besorgte legte er eine Hand auf dessen Schulter und riss diesen aus seiner Trance. Der Rothaarige hob kaum merklich den Kopf und ließ seinen Blick zu Boris gleiten. Er seufzte und löste sich von der Tür. Mechanisch wand sein Körper sich um, während sein Geist noch versuchte alles zu verarbeiten. Er sah die fragenden, unwissenden und ängstlichen Blicke seiner Kameraden. Sein Mund war staubtrocken und nur langsam und schwerfällig fanden die Worte ihren Weg über seine Lippen. „Kazuki weilt nicht mehr unter uns.“ Yuriy konnte beobachten wie die Gesichtszüge des Grünäugigen entglitten – Schock, Unglaube, Trauer. Der Blonde hingegen verzog das Gesicht. „Verdammt!“ Seine linke Faust fand ihren Weg gegen die Wand – Frust, Wut, Verzweiflung. Jeder ging mit Trauer anders um und er selbst? Wie sollte seine Trauer aussehen? Er wusste es nicht. Der Rothaarige fühlte sich seltsam leer. „Ich kann euch keine Vorschriften machen, aber ihr solltet vielleicht nicht in den Raum gehen. Am besten behaltet ihr Kazuki lebendig in Erinnerung und nicht…“ Yuriy biss sich auf die Unterlippe, seine Stimme zitterte. „Schon okay…“ wisperte Boris bedrückt und zog den Anderen in seine Arme. Er hielt seinen Leader fest und gab ihm den nötigen Halt. Eine gespenstige Ruhe herrschte in dem Schockraum. Keine hektischen Stimmen mehr, keine Geräusche der medizinischen Geräte – Stille. Sie waren alle gegangen. In dieser Totenstille spähte der Silberhaarige vorsichtig hinter dem Vorhang hervor. Niemand war mehr anwesend und so hallten seine Schritte, als er sich zu der Liege begab, auf der sein Bruder lag. Dessen Haut war gräulich und schien ins weiß überzugehen. Die einst blaugrauen Haare wirkten mehr grau als blau. Doch ansonsten – ansonsten wirkte es, als würde der Ältere schlafen. Kais Blick glitt über die sichtbaren Verletzungen Kazukis und zögerlich umschloss die kleine Hand des Silberhaarigen die seines Bruders. Sie war kalt und dennoch drückte er sie sanft. Wieso konnte er aus diesem Albtraum nicht erwachen?! Wieso konnte die Hand nicht warm sein und sich liebevoll um seine schließen?! Wieso…. Die roten Augen füllten sich mit Tränen. Wieso musste er jetzt wieder alleine da stehen, wo er doch endlich glücklich war!? Lag es an ihm? Brachte er Unglück? Kai schluchzte. Er löste sich von Kazukis Hand, stemmte sich auf die Liege, legte sich zu seinem Bruder und bettete seinen Kopf auf dessen Brust. Doch da war nicht der angenehm ruhige Herzschlag – nur Stille. Tränen quollen aus den roten Augen und Kai schloss sie, zog Kazukis Arm um sich in der Hoffnung ein Stück Geborgenheit zu finden und sich von der Außenwelt abzuschirmen. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Das Ticken der großen Wanduhr hallte durch den Raum. Sekunde um Sekunde verstrich und doch zog sich die wöchentliche Sitzung beim Psychotherapeuten wie zäher Kaugummi. Er wusste nicht, der wievielte Therapeut da vor ihm saß. Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen. Dennoch war er jedes Mal angespannt, wenn ihm eine neue Person zugeteilt wurde und so ruhten seine roten Augen wachsam auf der Frau vor sich. Sie war schlank und er schätzte sie auf Mitte 30. Ihre filigranen Finger blätterten durch seine Akte, ehe sie diese schloss und ihren Blick dem 16 jährigen zu wandte. „Nun, Kai Hiwatari…“ Die Psychotherapeutin lehnte sich nach vorn und ein paar ihrer schwarzen Haarsträhnen fielen ihr über die Schulter. Sie stützte ihre Arme auf den massiven Schreibtisch und verschränkte ihre Finger ineinander. „…wie kann es sein, dass deine Akte nach 8 Jahren Therapie noch immer nichts weiter als deine Patientendaten enthält?“ Ruhig lag ihr Blick auf dem 16 jährigen, welcher ihr jedoch eine Antwort schuldig blieb. „Laut der Verordnung des Jugendamtes ist dies heute deine vorletzte Sitzung. Danach will deine Sachbearbeiterin einen Bericht von mir auf ihren Tisch. Was meinst du soll ich berichten, wenn du nicht kooperierst!?“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und Dr. K. sank wieder zurück in ihren Ledersessel. „Ich kann dir schon mal so viel sagen, dass du so definitiv nicht weiter kommst. Das Jugendamt wird dir wieder und wieder solche Sitzungen aufhalsen. Willst du das?“ Kai atmete durch. „Natürlich nicht.“ Er hasste diese wöchentlichen Termine. „Gut.“ Sie nickte. „Also, warum erzählst du mir dann nicht etwas über dich?“ Doch der Silberhaarige sah sie nur an. Wenn es so simpel wäre ihn zum Reden zu bewegen, dann wäre er wohl schon vor Jahren mit den Sitzungen fertig gewesen. Doch so einfach war es nun mal nicht. Er wandte den Blick ab und ließ diesen in die Ferne schweifen. Etwas erzählen - über sich. Wo sollte er da anfangen? Was würde die Schrulle vom Jugendamt denn lesen wollen und wollte er, dass sie etwas über ihn erfuhr? „Kai!“ nachdrücklich ließ Dr. K. ihre Fingerkuppen auf den Schreibtisch schlagen und begann etwas mit diesen zu trommeln. „Was wollen sie denn hören? Das ich `’nen schwierigen Start ins Leben hatte? Dass ich kein Musterschüler bin?“ Wut flammte in den roten Augen auf und dies entging der Therapeutin keineswegs. „Ich möchte einfach nur die Wahrheit hören. Wie du dich fühlst. Was dich beschäftigt.“ „Hören Sie…ich bin nicht sonderlich gut darin über mich zu sprechen und-“ „Aha!!“ Enthusiastisch sprang sie auf. Dies war ein Ansatz mit dem die Schwarzhaarige umgehen konnte. Doch der 16 jährige hatte mit dieser Reaktion nun wirklich nicht gerechnet. Erschrocken zuckte er sichtbar zusammen. „Also liegt das Problem auf dieser Ebene. Es ist nicht so, dass du nicht reden willst! Du kannst es nicht, weil du schlicht und ergreifend einfach nicht weißt wie.“ Bingo! Sie hatte es erkannt und hey, damit war Dr. K. einen großen Schritt weiter als ihre stümperhaften Kollegen. Doch Kai fragte sich, was diese Erkenntnis ihr nun bringen sollte. Seine Augen verfolgten sie während die Therapeutin sich an ihren, durchaus beeindruckenden, Aktenschrank begab. Zielsicher zog sie ein Buch hervor, blätterte es kurz durch und warf es schließlich dem Silberhaarigen zu. Beinahe hätte sie ihn damit ausgeknockt. Nur dank seiner guten Reflexe schaffte er es das Buch aufzufangen. Sein Blick befasste sich aufmerksam mit dem Druckwerk. Der Einband war aus bordeauxfarbenen Leder und in goldenen Lettern war das Wort Notizen eingestanzt. Kai schlug es auf und sah irritiert zu Dr. K. „Ja es ist blanko.“ Lächelte sie und ließ sich wieder hinter ihrem Schreibtisch nieder. „In deiner Akte steht, dass du gerne schreibst und vorhin im Wartezimmer hast du auch in ein Buch gekritzelt.“ Er sah sie sprachlos an und sie war erfreut über diesen kleinen Triumph. Ihr schlanker Zeigefinger richtete sich auf ihn. „Ich möchte, dass du dieses Buch füllst.“ Durch Kais Haltung ging ein Ruck. Dr. K. analysierte automatisch seine Körpersprache und ihr war durchaus bewusst, dass der 16 jährige mit sich haderte. Ihr geschulter Blick sah, dass seine Gedanken rasten, egal wie sehr er sich bemühte es vor ihr zu verbergen. Es herrschte einen Moment Stillschweigen zwischen ihnen. Schließlich schloss der Silberhaarige das Buch und ließ es auf seinem Schoß ruhen. Seine roten Augen fixierten die Therapeutin. „Worüber soll ich schreiben?“ Sanft und ermutigend schenkte sie ihm ein Lächeln. „Was dir in den Sinn kommt. Ich möchte, dass du über die Zeit schreibst nachdem dein Bruder gestorben ist. Dabei entscheidest du selbst was du schreibst und wie detailliert. Du kannst nur Gedanken aufs Papier bringen, Gedichte oder Verse – wie du möchtest.“ Dr. K. betrachtete seinen ernsten Blick. „Nichts davon wird an das Jugendamt weiter geleitet, falls du das gerade befürchtest. Es dient lediglich dafür, dass du dir Gedanken machst und die Geschehnisse auf- und verarbeitest. Sieh es als Selbsttherapie für dich.“ Der Silberhaarige atmete durch und ließ sich durchaus Zeit mit einer Antwort. Sorgsam schätzte er Pro und Contra ab. „Na schön. Ich werde es versuchen.“ „Sehr gut.“ Die Schwarzhaarige zog ihren Planer hervor. „Nächste Woche selbe Zeit?“ Kai nickte knapp. Kurz hatte er überlegt sie zu fragen, ob er tatsächlich bis dahin über die gesamten 10 Jahre geschrieben haben musste. Doch der 16 jährige beschloss erst einmal zu schauen ob er mit der gestellten Aufgabe etwas anfangen konnte. Er verstaute das Notizbuch in seiner abgewetzten Umhängetasche. Manch einer hätte sich sicherlich schon längst eine Neue zu gelegt, doch er liebte diese Tasche und hielt den dünner werdenden Stoffmittels Patches und Buttons zusammen. Der Silberhaarige erhob sich und nickte seiner Therapeutin zu. Anschließend verließ er ihr Büro. Tropfen trommelten auf das Vordach unter dem er nun stand. Natürlich musste es regnen. Es regnete immer in solchen Momenten. //Wie klischeehaft…// Kai setzte sich seine On-Ear Kopfhörer auf und zog seine Kapuze drüber. Aus seiner Jackentasche zog er eine Packung Marlboro und klopfte sich eine Zigarette raus. Er zog sie mit den Lippen raus, wechselte die Schachtel gegen sein Feuerzeug und zündete sich die Kippe an. Der Silberhaarige zog an dieser und blies den Rauch in die Luft. Er trat in den Schauer, während er gedanklich in seine Playlist abtauchte. Life is like a boat in a bottle Try to sail you can't with no air Day by day it only gets harder Try to scream but nobody cares Sein Schlüsselbund flog in die Schale auf der Anrichte. Er schälte seine Füße aus den Chucks und seine Jacke landete auf der kleinen Sitzbank der Garderobe. Der Silberhaarige begab sich in sein Zimmer und setzte sich im Schneidersitz an den gläsernen Couchtisch. Feuerzeug, Zigaretten und das Notizbuch landeten auf diesen. „Schreiben wonach mir der Sinn steht….“ Überlegte er murmelnd und angelte einen Stift aus seiner Tasche. Kai schlug das Buch auf. When you're sad, and no one knows it I'll send you, black roses When your heart, is dark and frozen I'll send you, black roses Ten black rose //Ich soll also dieses Buch voll schreiben. Mit allem was mir einfällt bezüglich der letzten 10 Jahre… Doch wo soll ich nur anfangen? Soll ich wirklich nochmal alles vor kramen?// So wirklich gefiel Kai der Gedanke nicht. Dennoch klickte er die Mine seines Kulis raus und ließ den Stift über dem Papier schweben. Der Silberhaarige zögerte. //Zumal…alles was ich schreibe wird diese Dr. K. lesen!!!// Er verzog missmutig das Gesicht. Ihm war durchaus klar, dass seine Therapeutin der Schweigepflicht unterstand, doch über die Jahre hatte er großes Misstrauen gegenüber anderen entwickelt. Doch auf der anderen Seite stand - endlich die nervigen Therapiestunden los zu werden. //Dann eben Arschbacken zusammen kneifen und auf in den Kampf.// God Nol’ Ich weiß noch, dass ich neben dem leblosen Körper meines Bruders lag, als sich die Schiebetür öffnete und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes rein kam. Sie hatte mich angesprochen und ich hatte gesehen wie sich ihr Mund weiter bewegte, doch ihre Worte waren nie bei mir angekommen. Ich glaube, dass ich damals innerlich wusste, was da auf mich zukommen würde. Aber trotzdem war ich nicht wirklich drauf gefasst. Ich sollte sie begleiten, aber ich wollte nicht. Am Ende hat mich der Sicherheitsdienst von meinem Bruder weg gezehrt. Was mir damals dabei durch den Kopf ging? Ich glaube nicht sonderlich viel. Ich wusste nur, dass ich nicht weg wollte und dementsprechend hatte ich mich gewehrt. Die blutige Nase des menschlichen Schrankes war damals echt eine Genugtuung. Doch gebracht hatte es mir nichts, außer einen schmerzenden Ellenbogen. Die Jugendamt-Trulla und ich wurden danach definitiv keine Freunde mehr. Sie verfrachtete mich erst einmal ins Heim. Von Trauerbewältigung war da keine Spur. Mein Zimmer dort war ziemlich spartanisch. Ein Metallbett, ein alter Schrank – Schließmechanismus im Arsch und graue, kalte Wände. Ich habe geschrien und schließlich versucht zu flüchten. Rückblickend betrachtet, war das keine clevere Idee. Denn ich bekam Zimmerarrest und wurde eingeschlossen. Wie im Gefängnis bekam ich ab dem Moment meine Mahlzeiten durch eine Klappe in der Tür. Eben jene Tür war verdammt stabil. Ich weiß noch, dass ich das Essen samt Tablett und Geschirr in einem Wutanfall dagegen gepfeffert habe. Selbst mit den Scherben hab ich an dem Metall gekratzt. Gebracht hat das freilich nichts…außer blutigen Schnitten in meinen Händen. Mir ist nicht klar wie viele Tage ich in diesem Zimmer fest saß. Ich empfand es jedoch als Ewigkeit. Kai überflog nochmal seinen Text und seufzte. Die Erinnerung an das Heim war furchtbar und er rieb sich kurz die linke Schläfe. Er hoffte, dass das leichte Stechen sich nicht in Kopfschmerzen wandeln würde. Mein absoluter Tiefpunkt war, dass ich nicht zur Beerdigung durfte. Ich durfte mich nicht nochmal verabschieden. Als sie mir das offenbart hatten, brach für mich eine Welt zusammen. Erneut versuchte ich zu fliehen und schrie die Leute an. Ich hab um mich geschlagen und heute ist mir bewusst, dass die Betreuer dort völlig überfordert waren. Sogar so überfordert, dass ein Arzt anrückte und mir eine Spritze verpasste. Die schmerzte ordentlich und augenblicklich drehte sich alles. Selbst die Stimmen klangen kurz darauf hallend. Es hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und noch heute träume ich manchmal davon. Ich träume davon, wie ich mich bewegen wollte, doch mein Körper gehorchte mir damals nicht. Ich muss zugeben, dass ich richtig Panik hatte. Jedoch haben die nichts davon mitbekommen. Wie auch!? Ich war fucking abgeschossen. Ab da verschwimmen die Tage in meiner Erinnerung und ich, glaub ich zumindest, wurde 2 Monate nach dem Tod meines Bruders 7 Jahre. Es war kein schöner Geburtstag. Wie hätte er das auch sein können? Ich hatte keinen Bezug zu den Betreuern und die hassten mich, weil ich kompliziert war. Ich saß fast nur in meinem Zimmer und rührte auch so gut wie nie das Essen an. Zum Glück gab es in dem Zimmer kein Spiegel. Ich will echt nicht wissen, wie ich damals aussah. Das Nächste woran ich mich erinnere war, dass es eines Tages an meiner Zimmertür klopfte und mir schossen ungelogen 1000 Gedanken durch den Kopf, als Sergej da in der Türe stand. Ich sprang vom Bett auf, stolperte durch die plötzliche Aktivität und fiel ihm regelrecht in die Arme, da er sich vorsorglich hingehockt hatte. Meine Stimme war sicherlich kläglich und ich glaube, dass ich auch gezittert hatte. Dennoch flehte ich ihn an mir zu helfen. So gesehen war er ja auch der Einzige, den ich noch kannte…und seine Arme, die mich festhielten… Der Silberhaarige hielt inne, wendete den Blick von dem Notizbuch ab und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Er biss sich auf die Unterlippe und seine Finger verkrampften sich um den Kugelschreiber. In seinem Inneren brodelte es und er war nicht wirklich auf diese Reaktion vorbereitet gewesen. Er hätte nicht gedacht, dass ihn bereits der Anfang so aufwühlen würde. Die roten Augen schlossen sich einen Moment und er atmete ein paar Mal tief durch. Kai spürte in seinem Inneren genau dieselben Emotionen wie sein kindliches Ich damals. Doch anders als zu dieser Zeit, verbot er es sich zu weinen und als er seine Augen wieder öffnete, waren sie wieder klar und fokussiert. Wir saßen auf meinem Bett und Sergej erzählte mir von der Beerdigung. Er ging auf all meine Fragen ein. Wer anwesend war – natürlich die Band und ihr Manager. Fans hatten Kerzen aufgestellt, Blumen und Kränze niedergelegt und Yuriy musste gesungen haben. Bei dieser Aussage hatte ich sofort seine Stimme wieder im Kopf. Diese Stimme…. Ich weiß bis heute nicht warum ich ihn dann fragte, was nun mit der Band sei. Dafür weiß ich aber noch sehr genau, dass Sergej die Hände faltete und zu Boden sah. Der Rothaarige muss sich wohl immer weiter von den anderen beiden abgekapselt haben und kam nicht mehr wirklich zu Bandproben. Der Manager schien nicht gerade begeistert, hatte aber auch irgendwo Verständnis. Zumal für Boris damals wohl der Schulabschluss bevor stand und seine Mutter tunlichst darauf geachtet hatte, dass er sich hinter den Lernstoff klemmte. Wie lange ich mit Sergej sprach? Keine Ahnung. Ich war froh über seine Anwesenheit und schließlich nahm ich allen Mut zusammen. Ich bat ihn mich mitzunehmen und hoffte inständig mit ihm zusammen aus diesem Irrenhaus marschieren zu können. Leider schwieg er eine Weile und mir wurde bewusst, dass ich meine Hoffnung begraben konnte. Ich heulte wie ein jämmerlicher Schlosshund und Sergej strich mir über den Rücken. Dabei flüsterte er immer wieder, dass er für mich da sein würde. Ob ich ihm geglaubt habe? Klares nein. Ab dem Moment sah ich mich als verloren. Mir waren seine „Ausreden“ egal. Als Künstler hätte er wohl kein sicheres und strukturiertes Leben und damit war er für das Jugendamt ungeeignet. Solche Bürokratie interessiert doch aber kein Kind. God Odin Nachdem Sergej bei mir war und mir nicht helfen konnte, verstummte ich - wortwörtlich. Was brachte es denn zu reden, wenn niemand einem zu hörte oder sich für die Meinung eines Kindes interessierte? Gut, ich muss zugeben, dass es einen Moment gab. In einem einzigen Augenblick interessierten sich die Erwachsenen für meine Meinung. Als die uniformierten Beamten in meinem Zimmer auftauchten hätte icheventuell nicht den Entschluss des Schweigens durchziehen sollen. Ich hätte ihnen antworten können. Sie befragten mich zu dem Unfall und ich erfuhr, dass sie den Kerl geschnappt hatten. Der Kerl, der mir meinen Bruder genommen hat. Kai legte den Stift nieder. Seine Finger glitten über den Tisch zu der Schachtel. Er zog eine Zigarette raus, zündete sie an und blies den Rauch in die Luft, indem er den Kopf in den Nacken legte. //Ob der Mistkerl noch lebt?// Im Sommer war Sergej nochmal bei mir. Er sah damals müde aus. Laut dem was er mir erzählte, hatte er eine Ausbildung angefangen. Wozu hatte er mir aber nicht verraten oder ich habe es schlichtweg vergessen, da es mich zu dem Zeitpunkt auch nicht interessierte. Daher blieb ich meinem Muster treu und es zeigte Wirkung. Schließlich rückte er nach einigen Minuten, in denen ich ihn mit meinem Schweigen strafte, mit der Sprache raus. Der Grund für seinen Besuch war, dass er mir sagen wollte, dass der Mörder meines Bruders für lange Zeit hinter Gittern sitzen würde. Doch auch das interessierte mich nicht. Der Typ lebte und Kazuki brachte es mir nicht zurück. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte er eher bei den Geschichten, die er mir über die Band erzählte. Yuriy ließ sich weiterhin unregelmäßig bei den Proben blicken. Außerdem schien sich Sergej Sorgen um Boris zu machen. Er erzählte mir, dass er immer wieder sah, dass dieser sich Tabletten einwarf. Ich kann mich sogar nach all den Jahren noch an den Namen erinnern - Ritalin! Warum mein Kinderhirn sich das gemerkt hat? Tja keine Ahnung. Allerdings weiß ich mittlerweile wofür die wohl waren. Boris musste der Spagat zwischen Band und Schule zusetzen. Denn Ritalin war das sogenannte „Ersatz – Speed“. Ergo machte sich Sergej zurecht Gedanken. Doch das war nicht alles. Wenn sie beide zusammen musizierten, dann kam es vor, dass Boris neben dem Takt war. Immer öfters musste er sich die Schulter massieren. Ein weiterer Punkt, der damals auf Sergejs langer Sorgenliste stand, war auch, dass ihr Manager sie wohl zusammen gerufen hatte um über ihre „Zukunft“ zu reden. Ich fragte mich tatsächlich unwillkürlich, ob sie denn ohne Kazuki weiter machen würden. Er aschte in ein kleines Einwegglas, welches am Boden mit etwas Wasser gefüllt war und grübelte. Was war noch zu der Zeit passiert? Heimalltag, Schulunterricht in einen dieser Kontainergebilden. Gab es da noch etwas, worüber er schreiben könnte? Ja das gab es. Kai genehmigte sich noch einen Zug an der Kippe. Kurz darauf steckten sie mich in eine Pflegefamilie. Ob ich mich über diese Nachricht freute? Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht mehr. Was ich jedoch noch weiß ist, dass mir bis heute absolut schleierhaft ist, wo sie diese Familie ausgegraben hatten. Ihre eigenen Kinder waren deutlich älter als ich und sagen wir mal so…sie waren not amused, dass ich da war. Ein Wunder, dass ich das 3 Monate durchgehalten habe. Ich hasste Oleg und Nastja sie. Sie waren zusammen nicht intelligenter als eine 10 Watte Birne, hatten aber durchaus beträchtliches Interesse daran einen stummen Jungen zu piesacken. Sie hatten ein großartiges Talent darin mir keine Ruhe zu gönnen. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit oder Privatsphäre. Sie beobachteten mich und ich wurde fast paranoid… Schließlich wagte ich einen „Gegenangriff“. Ich möchte nicht Preis geben, WAS ich getan habe, doch ich hatte Erfolg. Zumindest war es ein kurzer Triumph und ja damals war ich stolz darauf. Aber dieser sogenannte Triumph hatte zur Folge, dass ich wieder im Heim landete. Erschöpft trat er durch die Wohnungstür. Endlich war er daheim. Jetzt nur noch raus aus den Stiefeln und dann unter die Dusche. Sein Blick fiel auf die Garderobe. Er seufzte und griff nach der Jacke, welche dort achtlos hingeworfen worden war. Wieso konnte der 16 jährige sie nicht ein einziges Mal ordentlich aufhängen!? In diesem Punkt hatte er bei der Erziehung definitiv versagt und – und war das der Geruch von Zigarettendunst!? Das konnte jawohl nicht wahr sein!!! „KAI!!!“ Angebrüllter schreckte von seiner Niederschrift auf. //Fuck!// Kurz musste er husten und wedelte mit der Hand den ausgestoßenen Rauch weg. Kai drückte die Kippe aus und schnipste sie aus dem offenen Fenster. Er schraubte das Glas mit der Asche zu und schob es unter sein Sofa. Genau in diesem Moment flog seine Zimmertüre auf. „Verdammt, Kai! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du hier nicht rauchen sollst!? Mal abgesehen von der Tatsache, dass du überhaupt nicht qualmen sollst.“ Der Silberhaarige sah den Eindringling an und seufzte. „Wie wäre es mal mit anklopfen?“ „Vorsicht, Freundchen!“ ‚Freundchen‘ rollte mit den Augen und hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut. Kommt nie wieder vor, Sergej.“ Dieser schnaubte und verschränkte die Arme. „Wenn ich jedes Mal 'nen Rubel dafür bekommen würde, wenn du das sagst, dann –“ „…dann würdest du jetzt in der Karibik in einer Hängematte liegen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)