Omniscient von lady_j (YuKa) ================================================================================ Kapitel 8: Bakuten II - Finale I -------------------------------- F Sangre vs. BBA Revolution Battle Royal BBA Revolution vs. Neo Borg Das letzte Training vor dem Finale. Das BBA-Zentrum war für die Öffentlichkeit geschlossen worden, damit die Teams unbehelligt blieben. Doch natürlich hatte sich die Presse vor allen Eingängen positioniert. Selbst durch die Hintertür kam man nicht mehr ungesehen hinein. Kai wollte ursprünglich mit der U-Bahn fahren, doch Daitenji persönlich hatte im Vorhinein angerufen und ihm davon abgeraten. In der Stadt wimmelte es von Fans. Und so ließ er sich doch mit dem Wagen bringen und bekam einen unfreiwillig großen Auftritt, denn sobald er aus dem Auto stieg brandete ein Meer aus Blitzlicht und schreienden Reportern um ihn. Ein paar Schritte weiter standen Fans. Eine derart große Menge war neu für ihn. Zwar gehörte er zu den bekanntesten Beybladern der Welt, doch der Sport war nie wirklich populär gewesen – bis jetzt. Dank der Weltmeisterschaft und der riesigen PR-Maschine der BBA boomte das Bladen und plötzlich waren sie alle kleine Stars. Kai musste sich wohl oder übel an die gestiegene Aufmerksamkeit gewöhnen. In den vergangenen Jahren schien es einen Konsens unter Fans gegeben zu haben, der besagte, dass niemand ihm zu nahe kommen sollte, da alle von seiner Abneigung gegen laute Menschenmassen wussten. Die neuen Fans hatten davon natürlich keine Ahnung. Er holte tief Luft und drängte sich durch die Leute. Zuerst murmelten, dann schrieen sie seinen Namen, als sie ihn erkannten. Hände streckten sich nach ihm aus und manche bekamen seinen Schal zu fassen, ließen jedoch immer los, bevor sich der Stoff allzu sehr spannte. Als er den Blick hob, erstaunte es ihn ein wenig, so viel Begeisterung in ihren Gesichtern zu sehen. Ein paar kleine Jungs starrten ihn mit offenen Mündern an, einer von ihnen trug ein Basecap, auf der schon Autogramme anderer Blader prangten; Kai konnte Max’ krakeligen Schriftzug erkennen. „Kai!”, rief ein Mädchen, das gleich daneben stand, „Kai, bitte!” Etwas in ihrer Stimme ließ ihn innehalten. Sie hatte so eindringlich geklungen. Aus den Augenwinkeln sah er einige Mitarbeiter der BBA, die zu ihm spähten und wohl sehen wollten, ob er Hilfe brauchte. Er konnte sich einfach zu ihnen durchschlagen. Oder sollte er zu seinen Fans gehen? Die Frage war lächerlich; Kinomiya und die anderen gönnten sich gern ein Bad in der Menge, er hatte sich bisher aber immer zurückgehalten. Viele Menschen trauten sich auch schlichtweg nicht, ihn anzusprechen. Und doch standen sie jetzt hier. Was sollte er zu ihnen sagen? Worüber zur Hölle sprach man mit Fans? Nun war es jedoch zu spät, darüber nachzudenken, denn beinahe unbewusst war er auf das Mädchen und die Kleinen zugegangen. Ihre Augen weiteten sich, doch zum Glück verkniff sie sich ein Kreischen. Stattdessen wurde sie plötzlich ziemlich fahrig. „Oh shit”, nuschelte sie langgezogen, wahrscheinlich war sie genauso wenig vorbereitet auf diese Begegnung wie er. Sie rührte sich nicht, ebenso wie die Jungs um sie herum, und so entstand ein sehr seltsamer Moment, in dem Kai und seine Fans sich einfach nur musterten, unschlüssig, was zu tun war. „Hm, ich glaube, in solchen Situationen lässt man sich Autogramme geben”, schlug er schließlich vor und augenblicklich kam Bewegung in das Mädchen. Sie griff nach dem Jungen mit dem Basecap und schob ihn nach vorn. „Das ist mein Bruder Ginka! Bitte unterschreib auf seiner Mütze, das wäre das Größte für ihn!” Der Rotzlöffel nickte heftig und riss sich das Cap vom Kopf, um es ihm hinzuhalten, zusammen mit einem Stift. „Danke, danke, danke!”, murmelte seine Schwester, während Kai seine Unterschrift zwischen die von Max und Julia setzte, „Und - das war ein großartiges Match in Sydney! Wir haben die Hitze deiner Attacke gespürt, das war so cool!” „Ihr wart dort?”, fragte Kai und gab dem Kleinen die Mütze zurück. „Ja, wir wollten unbedingt alle Teams sehen, nicht nur das Finale!”, sagte das Mädchen. „Aber so eine weite Reise…”, murmelte er und dachte zurück an den anstrengenden Flug von Sydney hierher. Doch sie hob nur die Schultern. „Es war toll. Danke! - Ähm… darf ich ein Foto machen?” Kai wurde unbehaglich bei dem Gedanken, nun auch noch neben seinen Fans posen zu müssen. „Nein!”, sagte er, vielleicht ein bisschen zu schnell, und schob noch ein „Sorry” hinterher. Doch das Mädchen blieb davon unbeeindruckt. „Okay, schade. Aber danke nochmal!” Und ihr Bruder nickte wieder sehr heftig. Dann ließen sie ihn gehen. Kurz darauf kamen ihm einige Mitarbeiter der BBA zur Hilfe, die die anderen davon abhielten, ihm hinein zu folgen. Der Lärmpegel fiel auf ein erträgliches Maß zurück, sobald sich die Türen hinter ihm schlossen. Die ganze Eingangshalle war voller Blader. Weiter hinten unterhielten Max und Rei sich mit Kinomiya. Als Max ihn erkannte winkte er ihm überschwänglich zu, aber noch bevor Kai die Hand heben konnte drehten sich auch die anderen beiden zu ihm um. Es war eine Szene wie aus einer Erinnerung an die Bladebreakers. Rei lächelte ihn an. Kinomiyas Gesichtsausdruck blieb seltsam undeutbar - dabei hatte Kai geglaubt, bereits jede seiner Gefühlsregung zu kennen: Es hatte Augenblicke gegeben, in denen bei Kinomiya buchstäblich die Sonne aufging, wenn er Kai sah, und wieder andere, in denen das genaue Gegenteil passierte. Manchmal fluchte er unterdrückt (oder auch ganz offen), manchmal wirkte er ertappt oder nervös, manchmal ballte er die Hände zu Fäusten, als wolle er sich auf Kai stürzen. Und heute - war das ein nachdenkliches Gesicht? Vielleicht erwarteten sie, dass er zu ihnen hinüber ging und das alte Bild von den Bladebreakers vervollständigte. Doch diese Entscheidung blieb ihm erspart, denn in diesem Moment trat jemand dicht neben ihn und er atmete den Geruch von Haarspray und Zigaretten ein. „Na was ist hier los, Klassentreffen?”, fragte Yuriy. Als Kai sich umdrehte waren dort auch Boris und Sergeij. Boris wirkte übernächtigt, doch Yuriy war so voller Elan wie schon lange nicht mehr. „Wir haben Halle fünf. Rebyata, poydem!” Ihr Leader scheuchte sie vor sich her und Kai blieb keine Zeit, sich noch einmal nach seinem ehemaligen Team umzusehen. Während sie sich einen Weg durch die Eingangshalle bahnten, tauschte Kai einen Blick mit Boris und hob fragend die Augenbrauen. „Ich hab das Teil fertig, das du wolltest”, sagte der Grauhaarige knapp, „Deinen neuen Spin Gear.” „Du hast es also geschafft, Kuznetsov”, entgegnete Kai ehrlich anerkennend. Boris war wirklich ein Genie. Er hatte schon nicht mehr damit gerechnet, den Spin Gear zu bekommen. In seiner Tasche befanden sich, neben allen anderen Teilen seines neuen Dranzers, alternative Turbos, die jedoch bei weitem nicht das konnten, was er sich gewünscht hatte. Nun war Kai froh, dass er nicht auf sie angewiesen war. Sie betraten ihre Trainingshalle und Boris reichte ihm eine kleine Pappschachtel. „Wundere dich nicht über das weiße Zahnrad, es ist ein altes von Wolborg”, sagte er, „Und ich will dabei sein, wenn du ihn ausprobierst, klar?!” Eine Stunde später hatte Kai seinen Blade vollständig zusammengebaut und die Feinjustierung abgeschlossen. Währenddessen gewann Yuriy drüben in der Bowl ein Trainingsmatch nach dem anderen. Er war wirklich gut in Form und Kai ertappte sich dabei, wie er regelmäßig von seiner Arbeit abschweifte, um ihm einfach nur zuzusehen. Irgendwann machten sie eine kurze Pause und Sergeij und Boris verließen die Halle, um mehr Wasser zu besorgen. Kai stand auf und ging zu Yuriy, der sich auf das Podest gesetzt hatte. Der Rothaarige war verschwitzt, schien ansonsten aber bei Kräften zu sein. Er hatte seine Jacke ausgezogen, über dem Ausschnitt seines schwarzen Shirts glänzte seine Haut. Feine Haarsträhnen klebten an seinen Schläfen. Sein Atem ging noch immer schwer, als er nun zu Kai aufsah, der sich eingestehen musste, dass ihm dieser Anblick durchaus gefiel. „Ein neuer Dranzer, hm?”, fragte Yuriy und nickte mit dem Kopf in Richtung des Tisches, an dem Kai gearbeitet hatte, „Willst du eine Proberunde?” „Die habe ich Boris versprochen.” Außerdem würde Wolborg Gefahr laufen, ernsthaft Schaden zu nehmen, und das konnten sie sich nicht leisten. Das letzte Training vor einem wichtigen Kampf wurde nie mit voller Intensität durchgeführt - das Risiko, einen Blade zu beschädigen oder sich zu verletzen war viel zu hoch. Kai setzte sich neben Yuriy. „Du solltest für heute aufhören”, sagte er. Yuriy nickte und blickte versonnen ins Leere. „Wirst du es tun?”, fragte er dann und Kai wusste sofort, was er meinte. „Den roten Kometen? Ja, wenn es sein muss. Und ich schätze, es muss.” „Vermutlich”, bestätigte Yuriy. „Aber ich denke, du bist soweit. Ich habe dir alles gezeigt, was ich weiß. Versprich mir nur eins” Und damit drehte er sich zu Kai. „Tu es nur, wenn du dir absolut sicher bist. Du darfst keine Sekunde lang zweifeln, ansonsten richtest du Suzakus Energie gegen dich.” „Ich weiß…”, murmelte Kai, obwohl er sich noch immer nicht vorstellen konnte, dass seine Suzaku ihm ernsthaft Schaden zufügen würde. Aber das war nicht die Antwort, die Yuriy hören wollte. Also setzte er noch einmal an: „Ich werde vorsichtig sein.” Der andere glaubte ihm nicht, das war klar. Aber nun war es zu spät für Versprechen dieser Art. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, fragte Yuriy nach einer kurzen Pause. Kai schmunzelte und brummte, doch die nächsten Worte des anderen waren ernster als er erwartete: „Kurz nach dem Finale in Moskau habe ich etwas gelesen, über Robert Oppenheimer.“ Neugierig geworden wandte Kai sich ihm wieder zu. „Als damals in den USA seine erste Atombombe getestet wurde, hat er sich angeblich an eine Stelle aus einer hinduistischen Schrift erinnert. Darin streiten ein Gott und ein Prinz darüber, ob der Prinz in einen Krieg ziehen soll oder nicht. Der Prinz will es nicht, aber der Gott behauptet, nicht der Prinz entscheide über Leben und Tod, sondern er selbst. Er verwandelt sich in ein Monster und sagt –“ „Now I am become Death, the destroyer of worlds“, beendete Kai den Satz. In der Schule hatten sie über die Bhagavad Gita gesprochen, in einem ansonsten ziemlich unsinnigen Religionskurs. So wie Oppenheimer es zitiert hatte, war die Übersetzung falsch, aber das war wohl nicht Yuriys Punkt. „Was ist damit?“ „Es haben mich ziemlich viele Leute gefragt, wie es war, die Holy Beast Weapon einzusetzen“, sagte Yuriy, „Die BBA. Die PPB. Volkov. Aber es ist schwer zu beschreiben. Ein Gefühl, für das es keine Worte gibt. Du wirst verstehen, was ich meine. Rückblickend erschien mir das Zitat aber eine gute Metapher zu sein.“ Kais Hals war trocken geworden, er presste die Zunge gegen den Gaumen. „Aber letztendlich habe ich nie jemandem davon erzählt – es sollte niemand außer mir wissen, wie die Holy Beast Weapon sich anfühlt. Jedenfalls bis jetzt.“ Kai sagte nichts. Er dachte an die Worte. Now I am become Death, the destroyer of worlds. Sie schwiegen eine ganze Weile, bevor Yuriy schließlich wie aus dem Nichts das Thema wechselte: „Nur noch ein Match, dann ist es vorbei.” Es hörte sich nicht traurig an, im Gegenteil. „Hm”, machte Kai, weil er nicht ganz schlau aus seinem Tonfall wurde. Er legte seine Hand auf Yuriys, einfach weil er ihn berühren wollte. Er war schon den ganzen Tag unruhig. Es gefiel ihm nicht, dass morgen zwei Matches ausgetragen werden würden. Selbst wenn Kinomiya F Sangre schlug, wäre er danach geschwächt. Kai wollte einen fairen Kampf zwischen ihnen, denn falls er nur gewann, weil Kinomiya nicht auf der Höhe war, war sein Sieg bedeutungslos. Yuriy musste gesehen haben, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. „Ich bin sicher, Sumeragi und Kinomiya gewinnen ihr Match morgen”, sagte er, „Und dann bekommen wir beide unsere Revanche.” „Aber findest du nicht, dass es ein ungleicher Kampf sein wird?” Yuriys Blick wurde eisig. „Ich weiß, du bist da anderer Meinung”, antwortete er, „Aber für mich zählt nur eins: Diesen Titel zu gewinnen! Ganz gleich, ob meine Gegner einen Nachteil haben oder nicht.” Kai runzelte die Stirn, wieder einmal fiel ihm auf, mit welcher Vehemenz Yuriy davon sprach, Weltmeister werden zu wollen. Irgendetwas, sei es sein Tonfall oder der fest entschlossene Ausdruck in seinen Augen, gab ihm das Gefühl, dass mehr dahinter steckte als sein Leader zugab. „Was ist los, Yuriy?”, versuchte er es also ein letztes Mal, und als der andere Verwunderung vorgab, verschränkte er die Arme. „Tu nicht schon wieder so, als wüsstest du nicht, wovon ich spreche. Du willst nicht bloß Daichi besiegen. Oder Ruhm und Ehre. Verdammt, ich glaube, du willst nicht einmal wirklich Weltmeister sein! Also warum ist dieser Sieg so wichtig für dich?” Sein Gegenüber seufzte. Er hob die Hand und strich Kai über die Wange. „Ich kann es dir nicht sagen”, antwortete er schließlich. „Noch nicht. Aber ich muss dieses Turnier gewinnen, und dafür brauche ich dich. Also mach bitte keine Dummheiten.” „Wieso sollte ich?” „Ich kenne dich gut genug um zu wissen, dass dein verdammter Stolz zu Dummheiten führt, Kai.” Darauf erwiderte Kai nichts, denn dieses Versprechen konnte er ihm nicht geben. Der Gedanke, Kinomiya allein wegen eines unfairen Vorteils zu besiegen war ihm unerträglich. Er neigte den Kopf Yuriys Hand entgegen und schloss die Augen. „Wirst du es mir nach dem Finale sagen?”, fragte er. Yuriys Daumen fuhr leicht über seinen Mund und er beugte sich ein Stück vor. „Okay”, flüsterte er, bevor er ihn küsste. Wer verführte wen? Tat Kai es, um Yuriy denken zu lassen, er würde seinen Vorteil gegenüber Kinomiya ausnutzen? Oder Yuriy, um Kai davon abzuhalten, weitere Fragen zu stellen? Wie auch immer es war, es gelang keinem von ihnen, sich darüber zu ärgern, dass das auch noch funktionierte. „Das gefällt mir nicht.” Er spürte, wie Yuriys Blick sich in ihn bohrte, doch er ignorierte es. Boris und Sergeij drehten sich zu ihm um, sie konnten ihr Erstaunen nicht verbergen. Die BBA Revolution hatte soeben das Match gegen F Sangre gewonnen. Ihnen blieb eine Stunde bis zum finalen Battle. „Was ist los mit euch beiden?”, fragte Boris, „Es läuft doch alles wie ihr es euch gewünscht habt.” „Noch dazu sind sie geschwächt”, fügte Sergeij hinzu. Yuriy verschränkte die Arme. „Ihr kennt die BBA Revolution. Wenn sie angeschlagen sind, kämpfen sie umso härter.” Dann sah er Kai erneut an, dieses Mal mit einer stummen Warnung, und Kai schloss kurz die Augen. Er musste das ignorieren. „Boris, Sergeij”, sagte er, „Ich muss euch um einen Gefallen bitten.” Er wechselte einen langen Blick mit Boris. Sein Gegenüber hob die Augenbrauen, er verstand, was Kai von ihm wollte, doch vielleicht konnte er es nicht glauben. Kai hoffte, an seinen Ehrgeiz und seinen Stolz zu appellieren, von dem Boris weitaus mehr besaß als Sergeij. Mit den richtigen Worten konnte man ihn recht schnell dazu bekommen, zu tun was man wollte. Tatsächlich reckte er kurz darauf ein wenig das Kinn und sagte: „Okay.” In diesem Moment knallte Yuriys Hand auf den Tisch, sodass sie alle zusammenzuckten. „Nein!”, sagte er laut zu Kai, „Du wirst nicht vor dem Finale gegen sie antreten!” Kais Brust wurde eng, weil Suzaku auf einmal von unten gegen sein Zwerchfell presste. Hitze stieg ihm in den Kopf. „Yuriy, es ist mein Match und meine Entscheidung!”, rief er. „Und ich bin dein Teamchef und ich erlaube es nicht!” Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie beide aufgesprungen waren. Plötzlich standen sie sich gegenüber, den Tisch zwischen sich. Kai wusste, Yuriy konnte es ebenso wenig fassen wie er selbst, dass sie nach so langer Zeit wieder an diesem Punkt angelangt waren. Bei diesem sinnlosen Kräftemessen. Doch er war sich sicher, er würde sich mit seinem Leader schlagen, wenn es sein musste, denn sein Stolz ließ nicht zu, dass er so gegen Kinomiya antrat. Erstaunlicherweise war es Boris, der ihm beisprang. „Hör mal, Yura, lass ihn doch”, sagte er, wobei seine Augen in Kais Richtung zuckten, „Wir müssen sowieso noch den neuen Spin Gear testen.” „Das hättet ihr euch vorher überlegen sollen”, knurrte Yuriy. „Ich weiß, das Timing ist echt mies. Aber ganz ehrlich - ich warte seit Wochen darauf, Hiwataris dämliches Fressbrett einzudellen. Und jetzt bittet er sogar freiwillig darum. Sorry, aber spätestens wenn du zu deinem Match gehst, knöpfe ich ihn mir vor.” Sergeij, dessen Aufmerksamkeit auf Kai gelegen hatte, drehte sich jetzt doch zu seinem Teamkollegen. Auch Yuriy starrte Boris aus weit aufgerissenen Augen an, es schien unmöglich, dass seine Empörung sich noch steigern konnte. Dann wandte er sich abrupt ab. „Boris”, sagte er über die Schulter hinweg, „Komm mit.” Der Angesprochene seufzte und erhob sich schwerfällig. Er klopfte Sergeij kurz auf die Schulter, wie um zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen sollte, dann verschwand er mit Yuriy vor der Tür. Kai stieß die Luft aus und merkte, wie sich seine Hände entkrampften. Auch Suzaku sank wieder zurück, sein Gesicht fühlte sich kühler an. Doch in seinem Magen blieb ein unterschwelliges Lodern. „Keine Sorge”, sagte Sergeij hinter ihm, „Die sind gleich wieder da, und dann kriegst du dein Battle.” „Wieso bist du dir da so sicher?” Woher sollten sie wissen, was die beiden dort draußen besprachen? Vielleicht würde Yuriy endlich sein Schweigen brechen und seinem besten Freund erklären, warum er so besessen von ihrem Sieg war. Dann würde wenigstens einer wissen, was ihn so umtrieb. „Ich kenne sie schon fast mein ganzes Leben. Es ist immer so.” Also war am Ende Boris der einzige, der Yuriy ins Gewissen reden konnte. Beinahe war Kai erleichtert – schließlich bedeutete das, dass es überhaupt jemanden gab, dem Yuriy sich komplett öffnen konnte. Und mit ein bisschen Glück würde das heute zu seinem Vorteil enden. Zum ersten Mal hoffte er, Boris möge die richtigen Worte finden. Sergeij behielt Recht. Nach ein paar Minuten kamen die beiden wieder zurück und Yuriy ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen, während Boris zu seinem Platz schlenderte. Doch anstatt triumphal wirkte er eher nachdenklich, etwas angespannt. „Also schön”, sagte Yuriy schließlich und verschränkte die Arme, „Du kriegst dein Battle, Kai.“ Weiter nichts, nicht einmal eine Erklärung zu seinem Sinneswandel. Er wirkte alles andere als zufrieden mit seiner Entscheidung. „Wir machen dich fit für Kinomiya”, fügte Boris hinzu, „Und dann lässt du deinen Krasnaja Kometa fliegen.” „Seinen was?” Sergeij fiel anscheinend aus allen Wolken. Kai erkannte an Yuriys Gesichtsausdruck, dass er Boris erzählt haben musste, für was sie in den letzten Tagen heimlich trainiert hatten. Bisher hatten sie diese Information unter Verschluss gehalten, je weniger Leute davon wusste desto besser. Er hätte nicht erwartet, dass sein Leader nun das Schweigen brach. Was sollte das überhaupt? Er hatte nicht vor, den Krasnaja Kometa gegen Boris und Sergeij einzusetzen – es würde schlichtweg nicht gehen, ohne dabei mindestens den Raum, in dem sie sich befanden, in Schutt und Asche zu legen. Seine Teamkollegen maßen ihn jetzt stumm, als wollten sie abschätzen, ob er der Attacke gewachsen war. Doch er lehnte sich nur zurück und schloss die Augen. Sollten sie doch denken was sie wollten. Suzaku hüllte ihn in eine angenehme Wärme, als wollte sie ihm sagen, er solle sich nicht von den anderen aus der Ruhe bringen lassen. Sie lenkte seine Gedanken auf das Match und er versank beinahe automatisch in ihnen, redete sich ein, den Fokus zu brauchen. „Na gut”, sagte Yuriy einige Zeit später, „Ich muss los.” Sie verließen mit ihm den Raum und liefen ein Stück den nur halb ausgeleuchteten Gang entlang. Das Gemurmel der Menge im Stadion war hier überall zu hören wie ein gleichmäßiges Brodeln. Kai merkte, wie seine Sinne sich schärften, er wollte hinaus und endlich seinen Kampf beginnen. Wie viele Wochen hatte er nun darauf hingearbeitet? Doch nein, es waren nicht bloß Wochen gewesen, sondern Jahre. Seit dem Tag, an dem Kinomiya ihn bei den japanischen Meisterschaften, noch bevor die Bladebreakers überhaupt gegründet worden waren, geschlagen hatte, sehnte er sich diesen Moment herbei. Den perfekten Höhepunkt seiner Beyblade-Laufbahn. Oder eher einen perfekten Abschluss? „Knöpf’ ihn dir ordentlich vor, Yura”, sagte Boris und boxte dem Rothaarigen gegen die Schulter. Der erwiderte mit einem müden Lächeln: „Keine Sorge.” Dann sah er Kai an und in ihrem stummen Austausch lag mehr als sie mit Worten sagen konnten. Yuriy war ausgezehrt nach den letzten Wochen, es musste auch für ihn eine Erleichterung sein, dass das kommende Match sein letztes war. Wolborg nagte an ihm wie Suzaku an Kai. „Lass mein Team heil”, sagte er schließlich, „Wir sehen uns dann dort draußen.” Kai nickte und griff kurz nach Yuriys Hand. In diesem Moment war ihre Auseinandersetzung von vorhin vergessen und für eine Sekunde bereute er seine Entscheidung, den Kampf seines Partners nicht zu sehen. Er wollte dort sein, bei ihm. Yuriy drückte seine Hand, bevor er sich aus seinem Griff löste. Dann drehte er sich zum Eingang ins Stadion um, ein helles Viereck, das hinter ihm gähnte. Er hatte schon die ersten Schritte in diese Richtung gemacht, als Kais Ruf ihn noch einmal innehalten ließ: „Yuriy!” Der Rothaarige blickte über die Schulter zurück. „Davai!”, sagte Kai grinsend und Yuriy schnaubte, bevor er ein letztes Mal winkte. Beinahe sofort fielen seine Mundwinkel wieder hinab. Sie warteten nicht, bis ihr Teamchef im Licht verschwand. Kai winkte Boris und Sergeij mit sich und führte sie tiefer in das Innere des Gebäudes. Keiner von beiden stellte unnötige Fragen, als sie einen versteckten Raum erreichten, in dem sich eine Bowl befand. Kai hatte sich schon vor Jahren zufällig nach einem weitaus unbedeutenderen Turnier hierher verirrt und kehrte seitdem immer zurück, wenn er Ruhe brauchte und alleine trainieren wollte. Erst als die schwere Metalltür hinter ihnen zufiel, hob Boris die Stimme. „Einen Krasnaja Kometa also”, sagte er. „Seid ihr beide eigentlich total bescheuert, Hiwatari? Wie hast du Yuriy dazu bekommen, dazu ja zu sagen?” „Das braucht dich nicht zu interessieren”, entgegnete Kai kühl. „Es interessiert mich aber. Yuriy sollte sich nicht mehr als nötig an die ganze Scheiße mit Volkov erinnern müssen.” Boris verschränkte die Arme. „Hast du ihn deswegen die ganze Zeit bezirzt?” „Das hat nichts miteinander zu tun!”, sagte Kai und spürte augenblicklich, wie auch Suzaku sich in ihm aufbäumte. Wenn er nicht aufpasste, würden sie beide sich gegenseitig binnen Sekunden hochschaukeln und ihn dazu bringen, um sich zu schlagen, egal ob nun verbal oder nicht. Boris hob die Hände. „Ist ja gut, spei‘ nicht gleich Feuer.“ Seine Stimme klang jedoch bei Weitem nicht so selbstsicher wie sonst. Irgendetwas in Kais Ausbruch musste ihn verschreckt haben. Auch Sergeij wirkte zögerlich. „Seid ihr jetzt zu feige oder was?“, fuhr Kai sie an, dann ging er zur Bowl, die im Halbdunkel vor ihnen gähnte. Suzakus Ungeduld war auf ihn übergegangen. Er zog Dranzer und den Starter aus seiner Innentasche und machte sich bereit. „Kai, bist du sicher, dass…“, setzte Sergeij an, doch Boris unterbrach ihn: „Egal jetzt.“ Auch er hatte nun seinen Starter in der Hand und klickte Falborg auf, während er zur Bowl ging. „Jetzt wird abgerechnet, kleiner Zarewitsch.“ Das war eine Herausforderung nach seinem Geschmack. Sie starteten ihre Blades. Mit einem metallenen Knirschen kam Dranzer in der Bowl auf und raste funkensprühend davon. Die Augen der anderen beiden folgten seiner Spur. Sie spürten es: Das war nicht mehr der Blade, mit dem Kai in Sydney Rei besiegt hatte. Dieser hier verhielt sich anders, wie von roher Kraft beseelt. Kai sah ein Zögern in Boris‘ Gesicht, das jedoch beinahe sofort wieder verschwand. Falborg ging zum Angriff über, schoss auf Dranzer zu und drängte ihn zurück. „Ha!“, entfuhr es ihm, „Großes Maul und nichts dahinter, aber das kennen wir ja.“ „Reiz‘ mich nicht, Boris“, sagte Kai, „Reiz‘ mich nicht.“ Suzaku war wach und bereit, sie sandte tastende, brennende Finger durch seine Eingeweide und machte unmissverständlich, was sie wollte: kämpfen. Dieser Gedanke überschattete bald alle anderen. Als Falborg ihm das nächste Mal zu Leibe rückte, hielt Dranzer ihn auf. Mit einem kleinen Schlenker wehrte er ihn ab, jedoch nicht für lange. Eines musste man ihm lassen, Boris konnte blitzschnell aufeinanderfolgende Attacken fahren. Vor ein paar Wochen hätte das noch problematisch für Kai werden können, doch nun war ihm, als könne er voraussehen, was sein Gegner als nächstes tun würde. Er wehrte jeden Schlag ab. Auch Boris ging irgendwann auf, dass er ihn nicht treffen konnte, und er stieß einen frustrierten Laut aus. Sein hitziges Gemüt würde ihm noch zum Verhängnis werden. „Ist das alles was du kannst?“, fragte Kai höhnisch, „Kein Wunder, dass Yuriy deinen Platz im Tagteam an mich gegeben hat.“ „Halt dein dummes Maul!“, fuhr Boris ihn an und Falborg mimte seine Wut. „Sonst was? Rennst du zu Yuriy und weinst dich aus?“ Er hoffte darauf, dass Boris nun in die Vollen ging und seinen Stroblitz ausführte, doch seltsamerweise passierte das genaue Gegenteil. Falborg ließ von Dranzer ab und brachte etwas Abstand zwischen sie beide. Verwundert hob Kai den Blick. „Du hältst dich für so besonders, oder, Hiwatari?“, fragte Boris leise, „Immer noch derselbe kleine Prinz wie damals. Denkst du, du kannst mit uns machen, was du willst, nur weil Yuriy dir einen Moment zu lang auf den Hintern gestarrt hat?“ „Oh bitte, Boris, mach dich nicht lächerlich.“ Dranzer schoss vor und brachte Falborg aus der Bahn, doch der beschleunigte und wich den nächsten Schlägen geschickt aus, bevor er konterte. Seine Präzision war bewundernswert; es gab nicht viele, die Dranzer bei einer derartigen Geschwindigkeit noch erwischen würden. Trotzdem war seine Durchschlagkraft zu gering, er konnte ihm nicht viel anhaben. „Weißt du, was sie in der Abtei gesagt haben, als du wieder aufgetaucht bist?“, fragte Boris. „Es gab da ein ziemlich unschönes Gerücht über dich. Dass Voltaire keine Verwendung für dich hatte. Dass er dich loswerden wollte. Weil du schlichtweg zu schwach warst.“ Kai runzelte die Stirn. Was sollte das? Er hatte damals gemerkt, wie die anderen Kinder feindselig hinter seinem Rücken getuschelt hatten und hatte es schlichtweg ignoriert. Zumindest, bis er festgestellt hatte, dass sie nicht nur flüsterten, sondern auch über ihn lachten. Für einen Moment verlangsamte Dranzer sich, und sofort schlug Falborg in ihn ein. „Deine eigene Familie hat dich an die Abtei verkauft.“, fuhr Boris unbeirrt fort, „Und für Voltaire warst du nur Kanonenfutter für Black Suzaku. Alle haben das geglaubt. Als du dann gegen Sergeij verloren hast, war das nur Bestätigung.“ „Warum erzählst du mir diesen Scheiß?“, fragte Kai gereizt, er spürte einen Stich bei diesen Worten. Dranzer attackierte seinen Gegner kurz, aber heftig. Noch immer vertrug Kai es nur schwer, wenn man ihn schwach nannte, noch dazu im Zusammenhang mit der Abtei, wo Schwache gar nichts zählten. Und diese Erinnerungen waren, im Gegensatz zu allen anderen, noch frisch genug, um den Frust erneut in ihm aufkommen zu lassen. Boris‘ Grinsen verschwand nicht, es wurde sogar noch breiter. „Oh, ich dachte, du wüsstest gern, wie dieses Gerücht entstanden ist“, sagte er, „Oder besser: Wer es verbreitet hat.“ „Boris!“, erklang auf einmal Sergeijs warnender Ruf. Kai sagte nichts. Seine Zähne waren aufeinander gepresst und Suzaku brodelte wie heiße Lava in seinem Magen. Boris legte den Kopf schief. „Es war Yuriy.“ Es war, als hätte jemand einen Stein in die Lava geworfen: Sie spritzte in alle Richtungen, in jede Faser seines Körpers. „Das ist nicht wahr!“ Enttäuschung schwappte über ihn, seine Emotionen schluckten fast alle rationalen Gedanken. Irgendwo sehr weit hinten in seinem Kopf flüsterte etwas, dass er überreagierte, aber die Wut, die in ihm aufwallte, war so viel stärker. „Oh, jetzt wein‘ doch nicht“, sagte Boris, „Yuriy macht ständig so etwas. Je nachdem, ob er dich braucht oder nicht. Du weißt ja, wie… nett er sein kann, wenn er sich was davon verspricht. Aber scheinbar kennst du ihn nicht gut genug. Sonst wärst du nicht so überrascht.“ Die Art und Weise, wie er die Worte aussprach, machten diese zu kleinen, eisigen Geschossen, die sich in Kai bohrten und seinen Zorn noch weiter anfachten. Wenn Boris hoffte, ihn zu verunsichern und zu schwächen, so ging das nach hinten los: Suzakus Macht wuchs immer weiter an. Doch das schien Boris nicht zu bemerken, denn er machte immer noch weiter. „Naja, es wundert mich nicht. Immerhin wissen alle, dass man dir nicht trauen kann. Yuriy will halt nur ein bisschen Spaß, bevor du bei der nächstbesten Gelegenheit wieder zu Kinomiya zurückrennst.“ „Warum sollte ich dir glauben?“ Kais Stimme bebte. „Weil er es mir gesagt hat.“ Für einen Augenblick sah er buchstäblich rot. Als Boris diese Worte aussprach, riss Suzaku die letzten Schranken ein, die Kai ihr gegeben hatte. Später würde er sich nicht erinnern können, was in diesen Sekunden geschah. Seine Wahrnehmung setzte erst wieder ein, als Falborg sich mit einem lauten Krachen in die Wand hinter Boris bohrte, während der ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Die ganze Szene wurde von einer Flammensäule beleuchtet, die kurz darauf in sich zusammenfiel. Alles war still. Dann bemerkte Kai, wie schwer er atmete. Er musste sich zwingen, seine Hände zu entkrampfen. „Verdammt, Kai“, keuchte Boris, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte, „Du weißt, dass ich nur Müll geredet habe, oder?“ „Was?!“ Plötzlich stand Dranzer erneut in Flammen und Boris wich zurück, als der brennende Blade nur sehr knapp an ihm vorbeizischte. Selbst Kai war überrascht davon, welches Eigenleben Dranzer entwickelt hatte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung. Sergeij ging auf sie zu und stellte sich neben Boris, Seaborg bereit zum Kampf. „Was machst du?“, fragte Boris. „Es ist besser so“, entgegnete Sergeij, „Er kann so nicht auf Kinomiya losgehen.“ Boris‘ Blick wanderte von seinem Teamkollegen zu Kai, wo er lange verweilte. Dann nickte er langsam. „Okay. Ich hole Falborg.“ Kai rührte sich nicht. Während Dranzer leuchtende Kreise zog, wartete er einfach ab, versuchte, zu verstehen, was gerade passiert war. Dieses Mal war Boris wirklich zu weit gegangen, seine Beleidigung hatte ihn an einer sehr empfindlichen Stelle getroffen und saß noch immer tief. Kai, vielleicht aber auch Suzaku, sann auf Rache. Schließlich kam Boris zurück, Falborg steckte schon wieder auf seinem Shooter. Sergeij und er gaben sich ein kaum merkliches Zeichen, dann starteten sie gleichzeitig ihre Blades, die mit Wucht in der Bowl einschlugen. Kurz kam Kai in den Sinn, dass Dranzers Ausdauer beachtlich gestiegen war, immerhin hatte er einige Schläge eingesteckt und sich die ganze Zeit über gedreht – von seiner Angriffsstärke hatte er trotzdem nichts eingebüßt. Die ersten Attacken prallten einfach an ihm ab. „Lass sie frei, Kai“, sagte Sergeij, „Lass Suzaku fliegen!“ Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen kam Seaborg ihm wieder näher, dabei leuchtete sein Bit Chip auf. Als der große Wal sich über der Bowl zu erheben begann, fühlte Kai Suzaku tief in seinem Inneren. Sie reagierte auf Seaborg, aber anders als sie auf Seiryu und die anderen reagieren würde oder auf völlig fremde Bit Beasts. Er spürte es nicht zum ersten Mal, es musste ein irgendwie geartetes Band zwischen Suzaku und den Borg Bit Beasts geben, das er sich allerdings nicht erklären konnte. Und er erinnerte sich an den Moment, in dem er Seaborg ebenfalls so über sich hatte aufragen sehen. An das Gefühlt einer ohnmächtigen Wut, nicht nur auf Sergeij, sondern vor allem auf seinen Großvater und die ganze Borg. Und trotzdem verloren zu haben - Für ihren Kampf war das egal. Alles war egal geworden. Endlich erlaubte er Suzaku, ihre Hülle zu verlassen. Sie umschloss ihn mit ihren flammenden Schwingen, die den ganzen hohen Raum in rotes Licht tauchten. Dann ging sie auf Seaborg los, während die Blades in der Bowl erbittert miteinander rangen. Auch Boris mischte sich jetzt wieder ein und rief Falborg. Dranzer und Suzaku wurden eingekeilt. Kai spürte ihren Druck körperlich, zwischen seinen Ohren bereitete sich ein nervtötendes Ringen aus, das alle Geräusche schluckte. Er sah, wie sich die Münder seiner Teamkollegen bewegten. Aus Seaborg brach ein Geysir hervor und Falborg produzierte messerscharfe Windböen, die über die Bowl auf ihn zu fegten. Eine kombinierte Attacke? Beinahe hätte er gelacht, doch es war nicht sein, sondern Suzakus Hohn, der in ihm wiederhallte. Er konnte nicht sagen, wo sein Geist aufhörte und ihrer begann, und erst recht nicht, wer von ihnen die Oberhand hatte. Aber das machte nichts, sie wollten beide nur eins: dieses Battle gewinnen. Suzaku stieg in die Luft und alle Blicke folgten ihr. Ihr Licht blendete, doch Kai hatte sie schon immer ohne schmerzende Augen anblicken können. Er sah, was anderen verwehrt blieb, die feinen, goldenen Federn, die bei jeder Bewegung kleine Funken sprühten, die glänzenden Klauen, die brennenden Augen. Sie war so schön. Dann wurde sie Feuer. Suzaku stieß hinab auf die Blades und alles versank in ihrer Zerstörungswut. Das hohe Ringen wurde endlich leiser, wollte aber einfach nicht verschwinden. Das Gebrüll der Fans bekam er nur am Rande mit, genauso wie Yuriys Gesichtsausdruck, der eine seltsame Mischung aus Überraschung, Sorge und Wut war. Sein Leader war ziemlich mitgenommen. Kai sah, wie sein Mund sich bewegte, doch die Frage kam nicht bei ihm an. Er wandte den Blick von ihm ab und fokussierte das Podest mit der Bowl, das vor ihm aufragte. Dort war Kinomiya. Auch in dessen Gesicht stand leichter Schock und Kai ging auf, dass er vielleicht schlimmer aussah als er selbst annahm. Nun, Boris und Sergeij hatten schließlich ganze Arbeit geleistet, das musste man ihnen lassen. Er schleppte sich die Stufen zur Bowl hoch und machte sich bereit, doch DJ schien noch immer ganz verdattert von seinem Auftritt zu sein. Beinahe hätte Kai ihn angefahren, damit er sich endlich bewegte. Er hatte schon viel zu lange auf diesen Moment gewartet und seine Geduld war am Ende. Außerdem befürchtete er, dass seine Hände anfangen könnten zu zittern, sobald auch sein Körper begriff, was in diesem Augenblick auf dem Spiel stand. Ein mechanisches Knacken erklang und mit einem Mal hörte auch das Ringen in Kais Kopf auf. Plötzlich prasselten alle Geräusche in der gewohnten Lautstärke auf ihn ein, die Fans und Daitenjis Stimme, die durch die Arena hallte. Es dauerte allerdings ein paar Sekunden, bis der Inhalt seiner Worte für Kai Sinn ergab, und gerade als er verstanden hatte, dass sie ein neues Stadium bekommen würden, löste sich auch schon der Boden um ihn herum auf. Kurz wurde ihm schwindlig. In seinen Gliedern pulsierte der Schmerz und Suzaku, das fühlte er nun erst bewusst, lag wie eine große, glühende Kohle in ihm. Das Brennen war in letzter Zeit nie abgeklungen, er hatte sein Bit Beast Tag und Nacht spüren können wie einen Parasiten, und mittlerweile hatte er sich sogar schon daran gewöhnt. Doch das Battle vorhin hatte sie erstarken lassen. Sie brannte, und er mit ihr. Manchmal, für Momente, die höchstens so lang waren wie ein Blinzeln, rückte er selbst in den Hintergrund, betrachtete die Funktionen seines Körpers, als hätte er nichts damit zu tun, und Suzaku übernahm die Führung. Sie lenkte ihn, ihre Gedanken waren auf Seiryu gerichtet und es gab nichts, womit er sie hätte aufhalten können, wenn sie aus ihm herausbrechen würde. Doch dann fasste er sich wieder und machte sich bemerkbar, sodass sie ihn nicht ignorieren konnte. Sie brauchte ihn, und auch deswegen durfte sie seinen Körper nicht beschädigen. Das Stadium tat sich unter ihm auf, eine kleine Einöde, Staub, Sand und Fels. Genug Freiraum, um große Attacken fahren zu können. Genug Hindernisse, um es spannend zu machen. Die BBA hatte sich wirklich übertroffen. Kinomiya war nun weiter von ihm entfernt, doch selbst jetzt konnte er sehen, wie seine Mundwinkel sich hoben. Vermutlich dachten sie beide dasselbe - dieses Stadium war perfekt. Kai besah sich seinen Gegner. Er war unschlüssig, was er fühlte, und sein Hirn war zu beschäftigt mit anderen Eindrücken: die Schmerzen, das Brennen, die Geräusche. Vielleicht war es gut, dass ihm die Fatalität dieses Moments nicht gänzlich bewusst war. Nur am Rande, und viel zu spät, hatte er wahrgenommen, dass Yuriys und Sumeragis Match im Unentschieden geendet hatte. Als wäre der Druck nicht so schon groß genug. Energisch schob er diese Gedanken nach hinten, es war nicht wichtig. Was zählte, war das Hier und Jetzt und dieser Kampf. Es war ihnen nie schwer gefallen, einen Grund zum Streiten zu finden. Wenn Kai ehrlich zu sich war, dann hatte er sogar einen ziemlichen Spaß daran, Kinomiya mit scharfen Kommentaren aus der Fassung zu bringen. Und es funktionierte ja so leicht. Dafür rächte sich der andere, indem er sein Wissen über Kais Empfindsamkeiten gnadenlos ausnutzte, wenn es sein musste. Doch in einer Sache waren sie sich absolut einig: Wenn sie sich bei einem Beyblade-Match gegenüberstanden, ging es nur darum. Keine Sprüche, keine Tricks. Nur reines, brutales Kräftemessen. Und so begann ihr Kampf. Ohne zu zögern schickten sie Dranzer und Dragoon in einen ersten, direkten Angriff. Als die Blades sich in der Mitte des Stadiums trafen, entstand ein Rückstoß, der Kai beinahe von den Füßen riss. In letzter Sekunde warf er sich dagegen, doch es blieb keine Zeit, einen festen Tritt zu fassen, denn schon folgte die nächste Welle. Auf den Rängen keuchten und schrien die Zuschauer. Kais Gedanken rasten, mit so einer Energie hatte er nicht gerechnet. Kinomiya wirkte ebenfalls verblüfft, als ihre Blicke sich trafen. Waren sie so stark geworden, dass ihre Blades sich nicht mehr berühren konnten, ohne eine Explosion auszulösen? Kai sah Verwirrung, aber kein Zögern in Kinomiyas Augen, während um ihn herum schon das Gestein zu bröckeln begann. Sein Gegner war nicht bereit, den Kampf wegen ein paar Schallwellen abzubrechen. Auf sein stummes Kommando hin drängte Dranzer Dragoon ab und machte sich die losen Felssplitter, die sich überall verteilten, zunutze. Dragoon blieb zwischen ihnen stecken und das verschaffte Kai eine kurze Atempause - zumindest, bis der gegnerische Blade durch das Gestein brach. Eine Schrecksekunde lang dachte Kai, er könnte die Attacke nicht abwehren, dann zuckte Suzakus Hitze durch ihn und irgendwie gelang es ihm, blitzschnell zu reagieren. Dranzer traf Dragoon im richtigen Winkel und der weiße Blade schoss davon, direkt auf Kinomiya zu. Einen Augenblick später war die Luft voller Steinsplitter und Staub. Kai war noch mit sich beschäftigt. Wie war das eben passiert? Für einen Moment hatte er das Battle aus Suzakus Augen gesehen, viel detaillierter und auch viel langsamer. Etwas Ähnliches war beim Kampf gegen Boris geschehen. War das das Ergebnis ihrer neuen, engen Bindung? Es schien, als hätte er alle Zeit der Welt, sich einen Schlag zu überlegen und ihn auszuführen. Und eigentlich hatte er Dragoon nicht so heftig zurückschlagen wollen… Als der Staub sich legte, lag Kinomiya unter ihm in der Arena. Vom BBA Team kamen erschrockene Ausrufe und kurz dachte Kai daran, wie Hiromi ihm nach dem Kampf die Leviten lesen würde. Dann rappelte Kinomiya sich wieder auf. Er war unversehrt, natürlich. Es würde ihn nicht wundern, wenn Seiryu die Luft so manipulierte, dass er nie hart fallen musste. Kai ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen. Kaum hatte er den Gedanken geformt, stand Dranzer in Flammen. Es war unheimlich, wie mühelos sein Blade reagierte, eine Zeitverzögerung zwischen Befehl und Ausführung war quasi nicht mehr vorhanden. Dranzer schoss vor, doch um Dragoon begann die Luft zu wirbeln. Der Sturm war bei weitem nicht der stärkste, den Kinomiya beschwören konnte, doch die sandige Arena tat ihr Übriges. Kai musste sich mit den Armen abschirmen als der Staub ihn einhüllte. Und dann spürte er, wie der Boden unter ihm wegbröckelte. Es blieb keine Zeit, sich darauf vorzubereiten, dass er fiel. Er kam seitlich auf den Felsen und Überbleibseln einer Empore auf, ein schmerzvolles Zischen entwich ihm, dann riss der Schwung seinen Körper mit sich. Er rollte den Rest des kleinen Abhangs hinunter und blieb benommen auf dem Rücken liegen. Jetzt bloß schnell wieder auf die Beine kommen. Es war eine uralte Predigt, die er noch aus Abteizeiten kannte, und sie galt für Battles und Prügeleien gleichermaßen: Wenn du einen Schlag einsteckst, steh schnell wieder auf, sonst bleibst du unten. Und so zwang Kai seine Beine und Arme, ihn wieder hochzustemmen und zu tragen. Und es ging weiter. Angriff, Abwehr, Angriff, Abwehr. Auf seltsame Art war dieser Kampf wie alle anderen, folgte dem immer gleichen Schema aus Aktion und Reaktion und Prävention. Es gab immer noch zwei Seiten und immer noch eine Arena und immer noch rangen sie darum, wer der Stärkere, Schnellere, Bessere von ihnen war. Würde sich das jemals ändern? Auch wenn jede Faser seines Körpers auf ihr Battle ausgerichtet war, übermannten Kai Erinnerungen. Es war nur etwas mehr als drei Jahre her, dass er Kinomiya zum ersten Mal in dieser Arena gegenüber gestanden hatte. Etwas war passiert bei diesem Match, das der andere gewonnen hatte. Lange hatte Kai geglaubt, nur sein Ego wäre angekratzt, denn er war es nicht gewöhnt, zu verlieren. Noch dazu gegen ein Kind wie Kinomiya es damals war. Doch es steckte mehr dahinter. Kinomiya war wie der Wind, wankelmütig und schwer zu greifen, und wann immer Kai dachte, endlich wieder die Oberhand zu gewinnen, schlug er mit der Stärke eines Orkans zurück. Es war ihm nie gelungen, ihn wirklich zu besiegen, trotz der vielen Schwächen. Und auch wenn er oft nicht verstand, warum Kinomiya die Dinge tat, wie er sie tat, auch wenn er sich über ihn ärgerte oder seine bloße Nähe manchmal einfach nicht aushielt, waren sie Freunde. Und der Grund, warum er vor Kinomiya floh, war, dass der ihn besser kannte als alle anderen. Takao Kinomiya hatte die Fähigkeit, ihn komplett zu durchschauen. Das Unheimliche war: Für Kai war Kinomiya oft ein komplettes Rätsel. Seine Sorglosigkeit, sein Vertrauen zu anderen faszinierten ihn, und er ertappte sich bei dem Gedanken, genauso sein zu wollen, vielleicht nur für einen Tag. Ob das Leben so besser war? Kinomiya jedenfalls schaffte es nicht zuletzt durch diese positive Grundeinstellung, ihn immer und immer wieder zu besiegen. Es war das einzige, das Kai beim Beybladen antrieb: Noch stärker zu werden, um Kinomiya endlich beweisen zu können, dass er gut genug war. Bei ihm hatte er immer das Gefühl, nicht nur ein besserer Blader, sondern auch ein besserer Mensch sein zu müssen. Auch sein Rivale schwächelte manchmal, das war ganz natürlich bei seiner Flatterhaftigkeit, doch Kai würde nicht zulassen, dass er von jemand anderem besiegt wurde als ihm. Wenn er nur eines für ihn tun konnte, nämlich dafür zu sorgen, dass auch er irgendwie besser wurde, dann war es alle Anstrengungen wert. Suzaku presse von innen gegen seine Organe und löschte alle Erinnerungen aus. Er war wieder im Hier und Jetzt, denn sie wollte frei sein und kämpfen. Er konnte sie nicht länger zurückhalten. Sobald sie über Dranzer aufstieg, spürte Kai Seiryus Energie. Normalerweise bemerkte er die Bit Beasts seiner Gegner nicht in dieser Intensität. Bei Genbu, Byakko und Seiryu war es seit jeher anders. Und so fuhr auch die Kraft des Drachen durch ihn, verwirbelte Suzakus Flammen. Sie setzten zur finalen Attacke an, Dragoon entfachte einen Sturm, doch Kai war darauf vorbereitet. Nun endlich würden sein Training und Boris’ präzise Arbeit Früchte tragen. Dranzers feine Rädchen begannen zu arbeiten, flüchtig dachte Kai an das weiße Zahnrad, das eigentlich zu Wolborg gehörte, dann wurde der Spin Gear aktiviert und ein Flammenwirbel brach aus seinem Blade. Kinomiyas Galaxy Storm hielt ihn auf, natürlich tat er das. Der Turbo war bald aufgebraucht, doch anstatt sich danach zurückzuziehen setzte Kai zu einer weiteren Attacke an. Er hatte bei Weitem noch nicht alles gezeigt. Ein kurzes Rucken ging durch seinen Blade und er hörte das zweite Klicken des Spin Gears, dann ging Dranzer in den Reverse Turbo. Von Kinomiya, und vermutlich nicht nur von ihm, kam ein überraschter Aufschrei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)