The Eye of Horus von BlackSpark ================================================================================ Kapitel 1: Am Anfang stand noch der übliche Wahnsinn ---------------------------------------------------- Ein schrilles Geräusch bohrte sich durch die warmen, dunklen Wolken von von Chloes Träumen und weckte sie. Das alt bekannte ‚Biepbiepbiep‘ ihres steinalten Weckers befahl ihr ohne Umschweife auf zu stehen. Es war Montagmorgen und sie musste zur Schule. Chloe. Die es abgrundtief hasste früh auf zu stehen. -Besonders wenn sie gefühlt nur 5 Minuten geschlafen hatte, weil sie bis spät in die Nacht noch für die Mathearbeit gelernt hatte, die für heute angesetzt war.- Und nun knappe 10 Minuten lang versuchte ihren Wecker tot zu starren, bevor sie sich in Zeitlupe aus ihrem kuschligen Bett erhob, ihre Klamotten für den Tag zusammen suchte und, umgeben von einer düsteren Aura des Verderbens, aus dem Zimmer schlürfte. Sie wusste jetzt schon das sie heute Morgen mehr brauchen würde als drei Kannen Kaffee. Heute musste sie die schweren Geschütze auffahren und eine eiskalte Dusche nehmen. Sonst würden ihr am Ende während der Klausur noch die Augen zu fallen! Auf dem Weg durch den langweilig sandfarben gestrichenen, undekorierten Flur ins Badezimmer stellten sich ihr nach einander jedoch erstmal zwei Hindernisse in den Weg. Erst ihr kleiner Bruder Thomas, von allen nur liebevoll Tommy genannt, der selbst in dieser Herr Gott’s Frühe unerklärlich wach war und kaum das er Chloe erblickte anfing um sie herum zu tanzen und zu rufen; „Achtung. Der Morgenmuffel ist ausgebrochen. Bringt euch in Sicherheit!“ Sie warf ihm einen eisigen Blick zu, von dem sie hoffte, das er ihm die Zunge am Gaumen festfrieren würde. Doch bevor das eintreten konnte schnitt er eine freche Grimasse und flitzte lachend die Treppe runter in die Küche. An der Tür zum Badezimmer traf sie dann auf Problem Nummer 2. Sie war fest verriegelt. Wie jeden verdammten Morgen. Wutschnaubend trommelte Chloe mit der Faust gegen die verrammelte Türe und brüllte die Quelle des Übels an, die ohne Zweifel schon seit mindestens zwei Stunden da drin war und eine Schlacht gegen ihre imaginären Pickel austrug. „Lucy! Mach die Scheiß Tür auf! Du wohnst hier nicht alleine!“ Ihre jüngere Schwester Lucy war ein absolutes Paradebeispiel für eine eitle, Smartphone-süchtige, pubertierende Teenagerin. Blutsverwandtschaft hin oder her, manchmal hätte Chloe sie gerne einfach erwürgt! Besonders wenn diese eitle kleine Pest morgens stundenlang das Bad für sich beanspruchte um ihre grauenhaft gefärbte Frisur zehn mal neu zu stylen und sich mindestens zwanzig mal neu zu schminken, weil die Farbe ihres Liedschattens nicht zu der ihrer Nägel passte oder ihre Wimpern nicht auf den Nanometer genau gleich lang getuscht waren! Und das alles üblicherweise mit Stöpseln in beiden Ohren und ihrer fürchterlichen Pop Musik auf voller Lautstärke, damit sie ja nichts von verschlafenen großen Schwestern mit bekam die heute auch noch mal duschen und sich die Haare machen mussten und es sich gerade heute nicht leisten konnten zu spät zur Schule zu kommen! Als ob die Tatsache, das Lucy es schaffte für diesen ganzen Zirkus täglich extra früh aufzustehen, nicht schon quälend genug für besagte Schwester war. Chloe wusste beim besten willen nicht, wie sie das anstellte. Trotz ununterbrochenem Klopfen, und wüsten Morddrohungen, dauerte es knappe 10 Minuten bis Lucy endlich die Badezimmertür entriegelte und ihr, mit pinken Strähnen durchzogener, schwarzer Haarschopf an Chloe vorbei rauschte, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. ,Ganz ruhig. Bring sie nicht um…‘ ermahnte sie sich und schaffte es die Tür nicht mit voller Wucht zu zuknallen, bevor sie sich energisch ihr Tanktop und die Jogginghose vom Leib zog und unter die Dusche sprang. Eisiges Wasser stürzte auf sie ein und brachte ihren Kreislauf endlich in Fahrt. Trotzdem wartete Chloe bis ihre Zehen taub waren und ihre Zähne klapperten, bis sie das Wasser auf wärmer drehte, nur um sicher zu sein das auch ihre schlechte Laune eingefroren wurde. Als sie fertig mit waschen war, machte sie erst mal ein paar Dehnübungen um den letzten Rest Kälte und Müdigkeit aus zu schütteln. Chloe war eine einigermaßen sportliche Person. Als sie noch jünger war hatte sie in der Mädchenbasketballmannschaft ihrer Schule mitgespielt und auch heute noch ging sie gerne joggen und spielte Fußball mit Tommy. Wenn sie mal Zeit hatte. Jedenfalls war die Person die sie im Spiegel anstarrte einigermaßen fit und groß gewachsen. Chloe Graham. Sechzehn Jahre alt, rund ein Meter achtundsechzig groß (ja, ohne Absätze) mit langem, lockigem, schwarzem Haar, sonnengebräunter Haut und Haselnuss braunen Augen. Sie bürstete sich mit der rechten Hand und föhnte gleichzeitig mit der linken, entschied dass sie in natura hübsch genug war und das zeitverschlingende Makeup ruhig auf dezenten Eyeliner beschränken konnte, und schlüpfte in frische Unterwäsche, Jeans und ihren liebsten roten Pullover, bevor sie das Bad wieder verließ. Als sie in die Küche runter kahm und einen Blick auf die uralte Uhr über dem rustikalen Kühlschrank warf, bestätigte sich ihr Verdacht, das sie nicht mal eine Stunde gebraucht hatte. ,Ha. So geht das Lucy!‘ dachte Chloe während sie sich, mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck an den Tisch setzte. Am Frühstückstisch herrschte das übliche Graham-Chaos. Lucy hatte wie üblich schon ihr Handy rausgeholt und textete fleißig, ohne auf Tommy zu achten, der sich sein Toast so dick mit Nussnugat-creme beschmiert hatte dass, wenn er hinein biss, die braune Masse an seinen Lippen und seinen Mundwinkeln kleben blieb und ihn wie eine kleine, brünette Schokoladenversion des Jokers aussehen lies. Er störte sich jedoch nicht groß daran und speiste munter weiter. Chloe hatte es mittlerweile aufgegeben ihm zu erklären, dass das Toast mit so viel Nussnugat nicht schmeckte. Er hörte nicht auf sie. Lucy hatte natürlich nichts auf ihrem Teller liegen. Wenn sie morgens as, könnte sie ja ein Gramm zunehmen. Manchmal fragte Chloe sich ernsthaft warum sie sich noch immer die Mühe machte abends, nach der Schule, dem Mittagessen, den Hausaufgaben, ca. einer Stunde Freizeit und dem Abendbrot überhaupt für Lucy mit zu spülen und für das Frühstück am nächsten morgen ihren Platz mit zu decken. Sie as doch eh nichts. Weder morgens noch abends. Und Mittagessen nur Vegetarisch. Chloe war es so leid immer Extrawünsche für ihre Schwester zu erfüllen. Als hätte sie nicht schon genug damit zu tun Mutter für ihre beiden Geschwister, und irgendwie auch für ihren Dad, zu spielen. Aber sie hatte nicht wirklich eine Wahl. Ihr Vater schob täglich Überstunden um die Familie zu ernähren. Er ging morgens schon zwei Stunden vor den Kindern aus dem Haus und kahm erst zurück wenn sich die beiden jüngeren bereits Bettfertig machten. Er hatte nur Sonntags die Zeit sich selbst um sie zu kümmern. Und selbst dann, war er oft so geschafft, das er den halben Tag verschlief. Also hatte Chloe im Alter von vierzehn die Rolle der Hausfrau übernommen, nachdem ihre Mutter sich eines Tages einfach bei Nacht und Nebel abgesetzt hatte. Soweit Chloe erfahren hatte, war ihr Verhalten damit begründet gewesen, dass sie das Familienleben satt gewesen war. Miranda Graham hatte als Buchhalterin bei irgendeinem Superkonzern gearbeitet, eine Affäre mit ihrem Boss angefangen und die Möglichkeit bekommen bis ganz nach oben auf zu steigen. Und das erklimmen der Karriereleiter und eine reiche, unabhängige Frau zu sein war ihr wichtiger gewesen als ihr Fabrikarbeiter von Ehemann und ihre drei Kinder. Und so war Jakob Graham nun ein überarbeiteter, alleinerziehender Vater, der mit seinen einundvierzig Jahren bereits unter chronischen Rückenproblemen litt und Chloe, als älteste, für einen hyperaktiven acht-jährigen und eine selbstgefällige vierzehn-jährige verantwortlich, die ihr beide den letzten Nerv töteten. „Tommy, putz dir den Mund ab.“ Befahl sie, während sie versuchte sich Orangenmarmelade auf ihr Toast zu schmieren und ,sehr zur Belustigung des Jungen, feststellte, dass sie sich gestern statt eines Messers einen Löffel an ihren Platz gelegt hatte. Tommy grinste sie frech an. Seine Zähne waren ebenfalls voller Nussnugatcreme. „Wie heißt das Zauberwort?“ „Bitte, putz dir den Mund ab, Tommy.“ Chloe verdrehte die Augen, musste aber auch ein wenig lächeln. Tommys Getritze war immerhin nicht böse gemeint. Der kleine hatte einfach eine unerschöpfliche Menge an Lebensfreude, von der Chloe sich gerne ein bisschen was geborgt hätte. Selbst wenn er ernsthaften Unsinn anstellte, es war so gut wie unmöglich Tommy für längere Zeit böse zu sein. „Und die Zähne auch gleich mit, wenn du schon dabei bist. Bitte.“ Ergänzte sie, vergeblich bemüht streng zu klingen. „Darf ich erst noch ein Toast essen?“ Er starrte sehnsüchtig auf die Toastscheiben im Brotkorb. Chloe wandte sich zur Uhr um. Es war schon etwas späht. Sie mussten sich ranhalten. „Na gut. Was hältst du von einem Deal? Du putzt dir jetzt die Zähne, und ich mach dir in der Zeit noch ein Toast fertig.“ Tommy strahlte. „Deal!“ und flitzte nach oben ins Bad. Chloe wedelte mit der Hand vor der Nase ihrer Schwester herum, um ihre Aufmerksamkeit von ihrem Handy auf sie zu lenken. „Lucy, könntest du Tommy noch schnell sein Toast schmieren?“ „Es ist dein Deal!“ fauchte ihre Schwester und wandte sich demonstrativ wieder ihrem WhatsApp zu. „Ich muss auch noch mal was essen!“ fauchte Chloe zurück. „Is nich mein Problem! Ich muss das hier..“ „Du kannst Mandy und Laura und den ganzen anderen Hühnern die du Freundinnen schimpfst, auch in fünf Minuten noch texten für wie beschissen du dein Leben hällst! Du tust jetzt zur Abwechslung auch mal eine Kleinigkeit! Ich decke schon jeden Abend den Tisch und lege alles zurecht, damit wir und Dad morgens sofort essen können!“ fuhr ihr Chloe dazwischen. Sie war Lucys ständige Anstelleritis endgültig leid. Lucy ignorierte sie und textete mit angesäuerter Miene weiter. Das ging zu weit. Irgendwas in Chloes Gehirn setzte aus und sie riss ihrer Schwester das Handy aus der Hand. „Hey! Gib das her du blöde Kuh!“ kreischte Lucy und versuchte Chloe das Handy wieder zu entreißen, doch die ältere war aufgestanden und hielt das Gerät hoch über ihren Kopf, so dass das rund fünf Zentimeter kleinere Mädchen es nicht erreichen konnte. Mit der anderen Hand hielt Chloe ihre kleine Schwester mühelos zurück, während diese fluchend versuchte ihr die Augen aus zu kratzen. „Mach was ich dir gesagt habe, oder ich schwöre dir; ich schmeiß das verdammte Ding ins Klo!“ Lucy lies von ihr ab und starrte sie mit zusammen gekniffenen Augen an. „Wenn du das machst, sag ichs Dad!“ Chloe verzog keine Miene. „Glaub mir; wenn er sich zwischen meinen Erziehungsmethoden und deinen Wutausbrüchen entscheiden muss, dann fällt die Wahl auf mich.“ Sie war sich dessen zwar nicht zu einhundert Prozent sicher, Handys waren immer noch teuer und sie hatten nicht so viel Geld. Trotzdem würde ihr Vater ihr vermutlich beipflichten, wenn sie die Meinung äußerte, das ein zwei Wochen ohne Handy Lucy ganz gut tun könnten. Die jüngere lies von ihr ab und starrte sie einen Moment mörderisch an. Dann packte sie mit einem Wutschrei eine der abgekühlten Toastscheiben, klatschte energisch einen großen Klecks Nussnugatcreme darauf, den sie sich nicht mal die Mühe machte zu verstreichen, pfefferte das ganze auf Tommys Platz und pflügte aus der Küche. Chloe konnte hören wie sie, laut schimpfend, ihre Schuhe anzog und die Türe hinter sich zu knallte als sie das Haus verließ. Sie hoffte nur das Lucy auch zur Schule ging und nicht weist der Geier wohin. Ansonsten war Chloe hart gesagt zu entnervt um einen Furz darauf zu geben was die Göre jetzt anstellte. Sie hob das Toast vom Teller, schmierte es vernünftig, as ihr eigenes Toast auf und ging in ihr Zimmer zurück um Lucys Handy in ihrem Nachttisch einzuschließen. Das Teil würde fürs erste eingezogen bleiben! Als sie wieder in die Küche kahm, kaute Tommy schon schweigend sein Toast. Chloe’s Mordstimmung sackte in den Keller als sie ihn anschaute. Er sah aus als ob er heulen könnte. „Was ist?“ fragte sie. Er lies langsam sein Toast sinken und mied ihren Blick. „Ihr habt euch schon wieder gestritten…“ flüsterte er. Sie seufzte. „Lucy stellt sich mal wieder an. Ich will nur das sie sich mal um etwas anderes kümmert als sich selbst.“ Tommy nickte. „Warum ist sie so doof?“ fragte er, immer noch offensichtlich bedrückt. Er mochte Streit nicht und es tat Chloe in der Seele weh, das er wegen ihr und Lucy fast täglich welchen erleben musste. „Kein Plan. Liegt am Alter schätze ich.. Und an ihren dummen Freundinnen.“ Er nickte wieder. Chloe biss sich auf die Lippe. Sie war in einigem ganz gut, aber jemanden aufzuheitern zählte nicht gerade dazu. Nach einer Minute des Stillschweigens stand sie schließlich vom Tisch auf und drängte Tommy auf zu essen. „Komm, wir müssen los.“ Sie sammelte die Teller und Tassen zusammen und stellte sie in die Spüle. Zum Abwaschen blieb keine Zeit mehr. Gut das sie, in weiser Voraussicht, die Pausenbrote schon am Vorabend schmierte und jetzt nur noch aus dem Kühlschrank nehmen musste. Sie fragte sich kurz ob sie Lucys Pausenbrot mitnehmen sollte. Selbst wenn sie es ihr in der Pause vorbei brachte, würde sie es wahrscheinlich schon aus reiner Beleidigung nicht anrühren. Aber so wütend sie auch auf sie war, sie wollte Lucy nicht hungern lassen. Also nahm sie alle drei Brotdosen, tauschte sie gegen den Brotkorb und die beiden über gebliebenen Toastscheiben darin und verlies die Küche. Sie stieß zu Tommy in den Flur und reichte ihm seine Brotdose zum einpacken, während sie ihre und Lucys in ihre eigene Tasche quetschte. Ein Blick in die Ecke sagte ihr dass das jüngere Mädchen ihre Tasche mitgenommen hatte. Was immerhin bedeutete, das sie vorhatte irgendwann heute in der Schule auf zu kreuzen. Auf den Ärger den es mit der Rektorin geben würde, wenn Lucy schwänzte, hatte Chloe absolut keinen Nerv. Das letzte Mal war ihr nur all zu gut im Gedächtnis verblieben. Es war letztes Jahr gewesen. Chloe und Lucy hatten sich, ähnlich wie heute, gestritten. Lucy war rausgerannt und hatte die Schule geschwänzt. Und weil sich auch zuhause niemand gemeldet hatte, hatte die Rektorin Chloe zu sich bestellt. Ms. Gardener war eine sehr strenge Frau und die damals fünfzehn-jährige hatte Blut und Wasser geschwitzt, als sie ihr den Bären aufgebunden hatte das Lucy krank währe und ihre Mum bestimmt gerade beim Arzt mit ihr. Die Sache war nämlich; Ms. Gardener gehörte zu der Sorte Frau die Männer für unfähig hielt Kinder alleine groß zu ziehen. Und irgendetwas sagte Chloe das sie, wenn sie von den Lebensumständen der drei Grahamkinder erfahren würde, ohne zu zögern das Jugendamt einschalten würde. Das konnte Chloe ihrem Dad einfach nicht antun. Also hatte sie eine dicke, fette Lüge erzählt und war mit einer schriftlichen Verwarnung für ihre ‚Eltern‘ davon gekommen, die sie anhielt das Fernbleiben ihrer Kinder von der Schule in Zukunft gleich morgens zu melden. Dad war ganz schön an die Decke gegangen, als Chloe ihn abends noch damit hatte belästigen müssen und hatte Lucy eine ordentliche Standpauke gehalten. Gut das es diesmal scheinbar nicht dazu kommen würde. Chloe schnappte sich ihre Jacke und ihren Hausschlüssel vom Haken und verlies mit Tommy im Schlepptau das Haus. Tommy besuchte natürlich noch die Grundschule, aber diese lag im selben Viertel wie die Highschool auf die Chloe und Lucy gingen und wenn sie schon fast den selben Weg hatten, konnte Chloe ihren kleinen Bruder auch gleich sicher dort abliefern. Auch wenn sie ihm durchaus zu traute seinen Weg alleine zu finden, konnte man heutzutage nie ganz sicher sein. Nicht mal in einer Kleinstadt wie ‚Little Wellshare‘. Ein Nest mit zirka 30.000 Einwohnern, 36 Kilometer Nördlich von London. Die beiden gingen ihren üblichen Schulweg, an der Kirche vorbei durch mehrere Wohnblocks. Die meisten der typisch englischen Vorgärten waren schon für Ostern dekoriert. Die Gartenzwerge waren Osterhasen gewichen und an einigen Hecken und niedrigen Bäumen waren bunte Ostereier aufgehängt worden. Und es erinnerte Chloe daran das bald für zwei Wochen etwas mehr Ruhe in ihrem Leben herrschen würde. Die Osterferien begannen nächste Woche. Sie würde ausschlafen und ihren Ferienjob im Tierheim wieder aufnehmen können. Und danach ging es auf den Endspurt zu. Zum Anfang der Sommerferien würde sie ihr Abschlusszeugnis in der Hand halten. Ursprünglich hatte Chloe vorgehabt nach der Schule Tiermedizin zu studieren, und vielleicht irgendwann als Gaststudentin nach Amerika zu reisen. Aber inzwischen fand sie es besser wenn sie sich gleich eine Ausbildung oder einen Teilzeitjob suchte um die Familie finanziell unterstützen zu können. Außerdem grauste ihr bei dem Gedanken fürs Studium nach Oxford um zu ziehen und Lucy die Verantwortung für Tommy zu überlassen. Nein. Besser zu hause bleiben und die Dinge am laufen halten. Noch etwas was sie für ihre Geschwister opfern musste. Und alles nur wegen der Selbstsucht ihrer Mutter. Chloe wusste das es gelogen währe zu behaupten, das sie die Frau die sie zur Welt gebracht und dreizehn Jahre lang liebevoll umsorgt hatte nicht hassen würde. Denn sie hasste sie abgrundtief. Die Art wie distanziert sie in ihrem letzten Jahr zu ihnen gewesen war, wie gehässig sie über Dad hergezogen war und kein Geheimnis daraus machte, das sie ihn für einen Nichtsnutz hielt. Und wie sie dann eines Morgens einfach fort gewesen war und nur einen sehr förmlichen Brief hinterlassen hatte in dem sie knapp erklärte das sie zu ihrem Liebhaber gezogen war und die Scheidung einreichen wollte. Chloe hasste ihre Mutter dafür dass sie Tommy hatte erklären müssen, das seine Mama ihn und seine Schwestern nicht mehr lieb hatte und deshalb weg gegangen war. Sie hasste sie dafür ihr diese ganze Verantwortung aufgehalst zu haben. Chloe war sechzehn. Sie sollte sorglos mit ihren Freundinnen im Park oder in Nachtklubs abhängen und nach dem Abschluss mit ihnen in eine Studentengemeinschaft ziehen und einfach nur normale Mädchensachen machen. Stattdessen war sie Teilzeit Hausfrau, Teilzeit Erzieherin, konnte sich ihre Lebensträume nicht erfüllen und hatte schon lange keine richtigen Freundinnen mehr. Wie auch, wenn sie keine Zeit hatte, sich ein mal um sich selbst kümmern zu können? Chloes düstere Gedankengänge wurden unterbrochen als an einem Zaun ein Hund anfing zu kläffen und sie zu Tode erschreckte. „Du hast es gut.“ Murmelte sie dem knurrenden weißen Fellball zu, der sie entlang seines Zaunes weiter verfolgte und auf und ab hüpfte, wie ein Flummi. Manchmal währe Chloe wirklich lieber ein Hund. Sich um nichts Sorgen machen zu müssen, außer das sie pünktlich ihr Fresschen bekam und Eindringlinge anbellen musste. Sie kamen an der Grundschule an und Tommy verabschiedete sich mit einer hüfthohen Umarmung von ihr, bevor er durch die Glastür zu einer Gruppe Jungen flitzte, die alle in seiner Fußballmannschaft spielten. Einen Block weiter ragte dann Chloes eigenes Schulgebäude Unheil verkündend vor ihr auf. Seufzend drückte sie die Türe auf und kämpfte sich durch die Massen von Jugendlichen in den zweiten Stock zur Matheklasse von Mr. Smith. Weil sie fast als erste dort war, konnte sie sich einen Platz ganz hinten suchen und hatte Gelegenheit noch einmal gründlich ihre Spickzettel zu studieren bevor die lauten Rufe und das Gelächter ihrer eintrudelnden Klassenkameraden jede Konzentration unmöglich machten. Die einzigen anderen die schon dort waren, waren Mina Brown; ein sehr verschwiegenes Mäuschen das total in den neunundzwanzig jährigen Mathelehrer verknallt war und Sarah James. Eine frühere Freundin von Chloe. Die Betonung lieg auf früher. Sarah und Chloe waren seit der Grundschule beste Freundinnen gewesen. Aber als sich vor zwei Jahren Chloes Familiendrama ereignet hatte, fingen sie an sich auseinander zu leben. Sarah fand neue Freundinnen. Und dummerweise hatten die alle kollektiv etwas gegen Chloe. Deshalb war ihr Verhältnis mehr als angespannt. Was Chloe immer wieder tiefe Stiche versetzte. Sie hatte in ihrer Wut damals ein oder zwei Dinge gesagt, die sie gerne zurück genommen hätte. Gerade heute, nach dem desaströsen Krach mit ihrer Schwester sehnte sie sich nach jemandem zum Reden. Sie suchte Sarahs Blick und dachte für einen Moment wirklich sie könnte ihre Aufmerksamkeit erregen. Doch dann stürmte eine von Sarahs neuen Freundinnen, Cindy Wallborne ins Klassenzimmer und machte wie üblich jeden Versuch von Chloe mit ihrer früheren BFF eine Konversation anzufangen zunichte. Resigniert vertiefte sich Chloe wieder in ihre Notizen und versuchte die quälenden Stiche in ihrer Brust zu verdrängen die sie ständig daran erinnerten, wie einsam sie tatsächlich war. Stiche die sie trotzdem den Rest des Tages nicht mehr loslassen würden, wie sie tief im Inneren schon wusste. Denn sie gingen ja nie wirklich weg. Chloe hatte nur mit ihnen zu leben gelernt. Irgendwie schaffte sie es, die Mathearbeit erfolgreich hinter sich zu bringen und den Klassenraum nach dem Schellen mit genug Courage zu verlassen um auf dem Pausenhof nach ihrer Schwester zu suchen und ihr ihr Pausenbrot zu bringen. Im Nachhinein wusste sie wirklich nicht, warum sie geglaubt hatte, dass sie das Ganze ohne eine Szene hinter sich bringen könnte. Chloe entdeckte Lucy und ihre Clique in der Raucherecke. Was schon alleine ausreichte um ihre Laune wieder runter zu ziehen. Sie hatte zwar Lucy selbst noch nicht beim Rauchen erwischt, aber alle ihre Freundinnen rauchten und Lucy machte üblicherweise alles nach, was die anderen auch taten. Kaum das Lucy sie erblickte, sprang sie mit vor Wut gerötetem Gesicht von ihrem Sitzplatz auf der kniehohen Mauer auf und pflügte, begleitet von dem Gekicher der vier anderen Mädchen auf ihre Schwester zu und fing an ein riesen Drama zu machen. „Wo ist mein Handy?“ „Zuhause weggeschlossen. Und da bleibt es vorerst auch!“ Chloe musste sich ganz schon beherrschen um nicht zurück zu brüllen. Was mit jeder Sekunde anstrengender wurde, weil Lucy immer lauter kreischte und anfing ausfällig zu werden. „Du blöde Tussi! Weist du eigentlich was das für mich bedeutet? Du machst mich vor allen in meiner Klasse zur Lachnummer!“ „Das schaffst du auch ganz gut ohne mich.“ „Ich häng jetzt schon total mit allen Infos hinterher. Wie soll ich irgendwas gepeilt kriegen, wenn mir keiner sagen kann was abgeht?“ „Du hast doch einen Mund, oder nicht? Frag einfach, wie ein normaler Mensch!“ „Wo lebst du? Im Mittelalter?“ „Nein. Ich bin mir ziemlich sicher es ist immer noch 2017.“ „Eben, dumme Kuh! Heutzutage kann man nicht rumlaufen und rum fragen was los ist! Da merkt doch jeder das ich von nichts Ahnung habe!“ „Wovon zum Kuckuck redest du eigentlich? Wovon kriegst du ohne Handy nichts mit?“ „Oh mann, du bist ja echt völlig verpeilt! Ich meine alles! Verstehst du? Al-les!“ „Und was ist Al-les?“ Darauf bekam sie nur einen wütenden Aufschrei von ihrer Schwester und lautes Gegacker von ihren Freundinnen zurück. Zwischen dem sie ziemlich deutlich „hat echt kein Plan, Lu’s Alte.“ Und „fehlt nur noch die Omafrisur.“ Heraushören konnte. Lucys Gesicht glich inzwischen einer überreifen Tomate. „Siehst du? Du machst mich lächerlich!“ ,Ich mache sie lächerlich?‘ dachte Chloe, die langsam selbst vor Wut kochte. Mit zusammengepressten Zähnen brachte sie noch; „Dein Essen!“ hervor, bevor sie Lucy grob ihre Brotdose in die Hand drückte und, verfolgt von Hohngelächter, wütendem Gefluche und einem Klappern das ihr mitteilte das Lucy die Dose wohl nach ihr geworfen hatte, die Szene verlies. „Dafür bist du dran.“ Knurrte Chloe laut während sie zurück ins Schulgebäude pflügte und nam sich fest vor von heute an gar nichts mehr für Lucy zu tun. Kein Essen mehr, kein Wäsche waschen mehr, kein Taschengeld mehr. Soll sie doch gucken wo sie bleibt! Die Glocke schellte zur nächsten Stunde und Chloe machte sich, mit Gewitterwolken über dem Kopf, auf zu ihrem Schließfach um ihre Bücher zu holen. Als nächstes hatte sie Geschichte. Nicht gerade ihr Lieblingsfach, aber auch nicht das schlimmste was ihr je wiederfahren war. Ihre Geschichtslehrerin, Ms. Winter, war eine ziemliche Antiken-enthusiastin. Sie konnte einigermaßen spannende Vorträge halten und war allgemein eine ziemlich lockere Person. Auch wenn die ‚angesagten‘ Kids in der Klasse, alle der Meinung waren das sie mit ihren dreiundvierzig blos vergeblich versuchte cool zu wirken. Aber Chloe fand Ms. Winter tatsächlich ganz cool. Auch wenn sie ihnen über die Ferien gerne Projekte aufgab. Irgendwie war Chloe schon aufrichtig gespannt, was sie wohl diesmal ausgeheckt hatte. Als sie in der Klasse ankam waren die meisten schon dort und unterhielten sich gelöst. Wie schon zuvor suchte sie wie automatisch Sarah’s Blick, aber sie war mit Cindy und einem anderen Mädchen namens Rachel Riverdale zusammen und beachtete Chloe garnicht. Bedrückt lies sie sich in der ersten freien Bank nieder die sie fand und betete zu einem Gott an dessen Existenz sie stark zweifelte, das der Unterricht etwas ergab, dass sie wenigstens etwas von ihrem beschissenen Leben ablenkte. Und es hatte sie wohl wirklich jemand erhört. Denn wie bestellt, kahm Ms. Winter in den Raum gerauscht, ihr lockiger roter Haarschopf ragte gerade noch hinter einem Stapel Zettel und den verschiedensten Arbeitsmaterialien hervor. „Guten Morgen meine Lieben.“ Grüßte sie die Schüler und lud den Stapel auf ihrem Pult ab. Langsam trat höfliches Schweigen ein, während Ms. Winter begann die ominösen Zettel zu verteilen, die sich als Einverständniserklärungen für eine Klassenfahrt nach London, um genau zu sein; ins Britische Museum, entpuppten. Am Freitag, dem letzten Tag vor den Ferien. Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Klasse. Das war definitiv mal eine Art, in die Ferien zu starten. „Nun da ihr Kids kurz vor dem Finale steht, dachte ich mir, unser finales Projekt sollte etwas besonderes sein.“ Flötete Ms. Winter munter. „Damit das klar ist, das wird keine Vergnügungstour. Ich erwarte das ihr den Tag im Museum für Recherchen nutzt. Wofür werdet ihr jetzt sehen.“ Sie ging zurück zu ihrem Pult und hängte sieben verschiedene Plakate an die Tafel. Jedes zu einem anderen Thema das sie in den letzten Jahren behandelt hatten. Das mittelalterliche England, Die Kelten, Das römische Imperium, Das antike Griechenland, Die Wikinger, Die Besiedelung Amerikas und das alte Ägypten. Zuletzt nahm sie einen Korb voller zusammengerollter Zettelchen und stellte ihn auf einen leeren Tisch vor die Tafel. „Ihr werdet Zweierteams bilden. Und damit es keinen Streit gibt, lassen wir das Los entscheiden wer mit wem und an was arbeitet.“ Erklärte sie, spitzbübisch grinsend. Wofür sie ein kollektives Stöhnen kassierte. Das war nicht das erste Mal, das Ms. Winter sich etwas ausdachte um die etablierten Freundeskreise auf zu brechen. Sie ließ sich jedoch nicht beirren und klatschte in die Hände um sich Ruhe zu verschaffen. „Keine Müdigkeit vorschützen, an die Lotterie. Und schreibt eure Namen unter das Plakat das ihr gezogen habt.“ Chloe schluckte, als ihre Lehrerin zuerst auf sie blickte. Warum hatte sie sich nochmal auf den ersten freien Platz, ganz vorne, gesetzt? Seufzend stand sie auf und fischte den ersten Zettel aus dem Korb den sie zu fassen bekam. Sie entrollte ihn und las dort, in der schnörkeligen Handschrift von Ms. Winter; Ägypten. Natürlich, wieder ihr Glück. Als sie das Thema vor drei Jahren behandelt hatten, hatte Chloe den Fehler gemacht zu erwähnen, das ihre Großmutter gebürtige Ägypterin gewesen und in den 50ger Jahren nach England ausgewandert war. Dafür hatte sie sich von Ms. Winter den Spitznamen ‚Kleopatra‘ eingehandelt und ihre Klassenkameraden hatten sie ständig erwartungsvoll ausgefragt als würde sie, nur wegen der Herkunft eines Elternteils ihrer Mutter, das schon als Chloe erst sieben war starb, alles über Ägypten, die Pyramiden und die Pharaonen wissen. Resigniert schrieb sie ihren Namen unter das Poster und hörte sofort leises Gekicher im Hintergrund. Fehlt nur noch das Cindy oder Rachel die gleiche Karte ziehen, dann währen die Ferien für sie gelaufen. Gruppenarbeit bedeutete schließlich, das sie ihre Gruppenmitglieder in den Ferien häufiger zum arbeiten treffen musste. Chloe setzte sich zurück an ihren Platz und beobachtete, auf ihrer Unterlippe kauend, wer welche Zettel zog. Rachel erwischte Griechenland, Cindy und Sarah hatten beide das Mittelalter, wofür sie einander sofort grinsend High Five gaben. Chloe blickte stur auf ihre Finger herunter und wollte sich nicht eingestehen, dass ein kleiner, naiver Teil von ihr gehofft hatte, Sarah würde auch Ägypten ziehen. Sie waren eine kleine Klasse, insgesamt nur vierzehn Schüler. Die Aufgaben verteilten sich daher recht schnell. Und mit jedem der eine andere Karte zog, wurde Chloe unbehaglicher zumute. Sie stand zwar mit niemandem in der Klasse wirklich auf Kriegsfuß, von den zwei vorab erwähnten Sticheltanten mal abgesehen, aber je mehr sich das Feld lichtete, desto höher wurde die Wahrscheinlichkeit, das sie mit jemandem arbeiten musste, der ihr unangenehm war. Jetzt waren nurnoch drei Schüler nicht vergeben. Die erste von ihnen war Lindsey Strode, eine ziemliche Besserwisserin, die so ziemlich jedes Vorurteil über Streberinnen erfüllte, das es gab. Dicke Hornbrille, Zahnspange und, außer in Sport, ausnahmslos Einser auf dem Zeugnis. Zwar fand Chloe nichts verkehrt an Fleiß und guten Noten, trotzdem war ihr Lindsey unangenehm. Sie ließ keine anderen Meinungen gelten und würde einfach alles kritisierten und verwerfen, was ihr Partner beizusteuern versuchte. Am Ende währe es ihr Projekt und keine Teamarbeit. Die Eins + währe zwar da, aber trotzdem würde Chloe das miese Gefühl sich die Note nicht verdient zu haben, im Hinterkopf bleiben. Sie schloss stumm betend die Augen, während Lindsey ihr Thema zog und öffnete sie erst wieder, als das kratzende Geräusch der Kreide auf der Tafel verstummte und ihr sagte, das Lindsey ihren Namen angeschrieben hatte. Amerika. Gott sei Dank. Während Chloe noch ein stummes Dankesgebet sprach, schlenderte die vorletzte Person an ihr vorbei zur Tafel. Hymera Uzul, ein Mädchen das vor drei Jahren aus der Türkei nach England gezogen, und, ähnlich wie Lindsey, eine wandelnde Stereotype war. Jetzt nicht von wegen Kopftuch und Islam. Nein, Hymera kleidete sich modern und schminkte sich genauso wie alle anderen Mädchen in der Klasse. Trotzdem hatte sie eine sehr merkwürdige Art, mit Lehrern, und allgemein mit Leuten die sie nicht mochte, um zu gehen. Sie gab einfach vor, kein Englisch zu können. Bis vor ein paar Monaten hatte Chloe ihr das, genau wie fast jeder andere in der Klasse auch, abgekauft und sogar Mitleid mit ihr gehabt. Bis sie ihr zufällig, an einem Wochenende, in einem Cafee begegnet war und mitgehört hatte, wie sie einem Jungen, ebenfalls mit ausländischer Herkunft, in perfektem Englisch verkündet hatte; das einzige was sie an England störe, seien die Engländer. So viel zum Thema Integration und Toleranz. Auch wenn Chloe selber, über ihre Großmutter, ausländische Wurzeln hatte, betrachtete sie sich als Engländerin. Dennoch fand sie es abstoßend, dass Leute wie Hymera tatsächlich existierten und ein schlechtes Licht auf Ausländer warfen. Es machte Chloe auf persönlicher Ebene wütend und sie hatte hart gesagt kein Interesse daran, sich noch in irgendeiner Form mit diesem Mädchen abzugeben. Das Glück war ihr scheinbar erneut hold, den Hymera zog Griechenland. Blieb nur noch…. Chloe drehte sich nach der entsprechenden Person um, und währe am liebsten im Boden versunken. Ein großgewachsener, blonder Junge, gekleidet in ein blütenweißes Hemd und teure Markenjeans schlenderte zur Tafel und schrieb, ohne den letzten verbliebenen Zettel zu entrollen, seinen Namen auf den einzig verbleibenden Platz unter dem Ägyptenposter. Jack Ryder. „Ausgerechnet Jack?“ dachte Chloe, während sie wie versteinert das saß und auf den Namen starrte. Anders als mit den anderen Kandidaten, konnte sie zu Jack nicht viel sagen. Und das, obwohl sie seit der Grundschule in der selben Klasse waren. Sie hatte bisher nur einmal wirklich mit ihm gesprochen. Und auch wenn diese Auseinandersetzung Jahre her war, und sie sich bis jetzt garnicht wirklich daran erinnert hatte, sah sie sie nun wieder glassklar vor sich. Als währe es gestern gewesen. ~Die achtjährige Chloe saß unter einem Kirchbaum, der das Grundstück des Pausenhofes schmückte, als plötzlich vom Fußballplatz her ein Ball herüber gerollt kam. Chloe hob ihn auf. Es war ein guter Ball, sehr robust. Aus Kunstleder statt dem billigen Plastik, aus dem die Schulbälle gemacht waren. Bevor sie sich jedoch weitere Gedanken machen konnte, kahm einer von den Jungen herüber zu ihr und streckte fordernd die Hand aus. Er ging in ihre Klasse und hieß, wenn sie sich recht erinnerte, Jack. „Das ist mein Ball.“ Sagte er. Chloe zögerte. Ihre beste Freundin Sarah war seit gestern krank und sie langweilte sich zu Tode. „Darf ich mitspielen?“ fragte sie daher den Jungen und hielt den Ball so, das er ihm entgegengestreckt aber außer Reichweite war. Er zog eine Schnute. „Mit Mädchen kann man nicht Ballspielen.“ „Wieso?“ entgegnete sie ihm entrüstet. Sie mochte Ballspielen und war richtig gut in Sport. „Sie fangen sofort an zu heulen, wenn sie stolpern oder den Ball an den Kopf kriegen.“ Chloe schnaubte. Jack grinste dreist und es fing an sie zu nerven. „Ich nicht!“ „Klar doch. Alle Mädchen tun das.“ „Ich kanns beweisen! Lass mich mitspielen!“ „Nö.“ „Bitte?“ Sie versuchte den Hundeblick. Der Junge grinste nur noch gemeiner. „Nö. Und jetzt gib mir meinen Ball wieder.“ Das war Chloe zu viel. Sie ließ den Ball fallen und kickte ihn, an dem Jungen vorbei, über das Feld, in eine Brombeerhecke. Dann drehte sie sich um und stapfte wütend davon, bevor er irgendwas sagen konnte.~ Dieses Ereignis war Jahre her und keiner von beiden hatte seit dem groß ein Wort mit dem anderen gewechselt. Sie hatten einander möglichst ignoriert. Alles was sie über Jack wusste war, das er auch sechzehn Jahre alt, sein Vater ein bekannter Architekt und seine Mutter eine Anwältin und das Jack, in zwei Jahren, mit vier verschiedenen Mädchen zusammen gewesen war. Nicht gerade ein Charakter mit dem sie sympathisierte. „Schön. Nun da ihr alle eure Partner habt, setzt euch zusammen und überlegt euch ein konkretes Thema zu eurem Bereich. Bis zum Ende der Stunde will ich von jedem Paar eine genaue Planung darüber sehen, was ihr nach den Ferien präsentieren wollt.“ Sagte Ms. Winter und klatschte wieder in die Hände. „Mit Ruhe bitte.“ Stühle und Tische wurden verschoben und es formten sich Partnertische. Chloe und Jack starrten einander nur eine Weile an und versuchten sich möglichst wortlos zu einigen, wer den Platz wechseln sollte. Schließlich gab Jack als erster nach, verfrachtete seinen Rucksack zu ihr nach vorne und schob den benachbarten, freien Tisch zu ihrem heran. „Hi.“ Grüßte er knapp. Chloe wusste nicht wieso, aber sie war sich ziemlich sicher, das sie leicht rot anlief. „Äh,…Hi.“ Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, in dem beide unsicher auf ihre Finger starrten. „Irgend eine Idee worüber wir schreiben können?“ fragte er schließlich. „Ehrlich? Nein. Die Auswahl ist so groß.“ Antwortete sie nur und holte ihr Fachbuch hervor. „Hier steht vielleicht was interessantes…“ Chloe war sich dessen zwar nicht sicher, das Fachbuch war sehr förmlich und wenig interessant. Aber Jack schien auch keine bessere Idee zu haben und so arbeiteten sie sich langsam durch alle Oberpunkte im Ägyptologie Kapitel. Am Ende blieben sie bei „ Die Entzifferung alt-ägyptischer Hieroglyphen und Symbolik“ stehen. Es war der letzte Punkt im Inhaltsverzeichnis. „Klingt ganz interessant, oder?“ fragte Jack, der inzwischen ebenfalls sein Buch aufgeschlagen hatte. Chloe schlug die erste Seite des Kapitels auf. „Definitiv interessanter als , Theorien über den Pyramidenbau‘.“ Sagte sie. Er nickte und schrieb das Thema als Titel auf seinen Block. Auch auf dem Kopf stehend konnte Chloe erkennen, das er eine sehr schön leserliche, saubere Handschrift hatte. Anders als das Gekrakel der meisten Jungs. Langsam arbeiteten die beiden einen Schlachtplan aus. „Ein Poster ist ein bisschen herkömmlich, oder?“ warf Chloe ein. „Wie wäre es mit einem Video, oder einem PowerPoint? Wenn wir am Freitag ein paar Bilder schießen können, kann ich bei mir am PC sowas machen.“ Jack überlegte kurz. Dann grinste er. „Am besten noch mit etwas orientalischer Musik im Hintergrund.“ Chloe wurde wieder rot und schnaubte. „Dann lass dir doch was besseres einfallen.“ Er schaute überrascht auf. „Hey, das war ernst gemeint. Eine Slideshow mit dem Overheadprojektor, etwas passende Musik im Hintergrund und wir beide halten dazu dann den Vortrag. Du kennst doch Ms. Winter. Wenn wir schon so viel Arbeit in das Arbeitsmaterial stecken, haben wir schon die Halbe Miete, selbst wenn der Vortrag selber nicht so gut läuft.“ Chloe erkannte, das sie fälschlicherweise angenommen hatte, er wolle sich über sie lustig machen und wurde noch roter. „Äh, ja. Guter Plan.“ Er lächelte und sie mache sich ernsthaft Sorgen um sich selbst, weil sie einfach nicht akzeptieren wollte, das es wohl ernsthaft freundlich war. „Dann machen wir es so. Fehlt nur noch der Vortrag.“ Irgendwie schaffte Chloe es den Mund auf zu machen und etwas sinnvolleres hervor zu kriegen als „Mblwmbl“. „Ich,..geh gleich mal in die Schulbibliothek und guck ob was da ist.“ Irgendwie wurde ihr die ganze Konversation von Sekunde zu Sekunde peinlicher. Und sie begriff nicht warum. Jack schien dieses Problem jedenfalls nicht zu haben. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Cool. Und ich guck nach der Schule mal bei mir Zuhause nach. Wir haben mehr von solchen Wälzern da, als nötig währe.“ „G..Gut.“ drückte sie hervor. In ihrem Hals bildete sich gerade ein riesen Klos. Er nickte und begann Stichpunkte auf zu schreiben, was ihr Zeit gab auf die Uhr zu schauen. Noch drei Minuten bis zum Schellen. ‚Bitte, lass die Zeit schneller vergehen.‘ „Krieg ich deine Nummer?“ fragte Jack plötzlich und Chloe hatte den Eindruck vom Blitz getroffen zu sein. „WAAAA….“ „Damit wir in den Ferien abklären können was wir machen. Hiermit.“ Er deutete gelassen auf seine Notizen und bei Chloes Nerven setzte die Kernschmelze ein. Irgendwie hatte sie plötzlich das dringende Bedürfnis aus dem Fenster zu springen. „Klar….“ Quiekte sie und kritzelte schnell die Zahlen ihrer Handynummer auf ein Stück Papier. Jack nam die Nummer entgegen. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber da klingelte die Schulglocke und Ms. Winter rettete Chloes Kopf davor zu explodieren. „Ok. Legt mir euren Plan aufs Pult und ab in die Pause.“ Chloe überließ es Jack ihre Planung abzugeben und verdrückte sich in die Schulbibliothek, wo sie sich diese und die ganze Nachmittagspause über verkroch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)