Eine Geschichte mit, aber nicht über Pferde von aceri ((weil die Autorin keine Ahnung von diesen Tieren hat)) ================================================================================ Kapitel 8: #08 -------------- Caleb ließ meinen Kragen los und trat erschrocken einen Schritt zurück, er starrte ungläubig auf seine Faust, dann auf mein Gesicht. Sie wie es aussah hatte er noch nie jemanden geschlagen. Ich leckte mir über die blutende Lippe, dann hob ich die Hand zu meiner Wange und bedeckte das pulsierende, glühend heiße Fleisch. „Na, fühlst du dich jetzt besser oder willst du nochmal zuschlagen? Eine Wange hätte ich noch.“ spottete ich verächtlich, dann hob ich die Tüte mit dem Shirt für Danny auf und warf sie Caleb zu. Er fing sie sicher mit beiden Händen auf, immer noch diesen verwirrt entsetzten Ausdruck im Gesicht. „Gib es Danny oder verbrenn es, ist mir egal. Und bei der Gelegenheit kannst du ihm gleich noch erzählen dass du seinen besten Freund verprügelst hast weil du ein verkappter schwulenhassender Schwuler bist. Du Wichser!“ Ohne mich noch einmal nach Caleb umzusehen stürmte ich davon, über den Hof und ins Haus direkt hinauf bis in mein Zimmer. Ich schloss die schweren Fensterläden gegen die schon wieder drückende Schwüle und hockte mich im so entstandenen Halbdunkel auf mein zerwühltes Bett. Meine Lippe und die linke Seite meines Gesichtes schmerzten fürchterlich, aber immerhin schien nichts mehr zu bluten. Eigentlich hätte ich mir die Misere gerne einmal im Spiegel angesehen, aber ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen rüber ins Badezimmer zu gehen. Was sollte ich jetzt nur tun? Hatte Caleb mit seinem Schlag indirekt zugegeben schwul zu sein? Oder war er einfach nur ausgerastet weil ich ihn dieser Möglichkeit bezichtigt hatte? Die meisten sahen Schwulsein als Beleidigung, und nachher war es Caleb nicht anders gegangen. Immerhin fand er die Vorstellung das Danny schwul werden könnte so schlimm dass er mich körperlich angegriffen hatte. Das war bis jetzt noch nie passiert. Ein paar Mal war er kurz davor gewesen, aber zu Ende gebracht hatte er es erst heute. Ich berührte vorsichtig meinen Wangenknochen; er war immer noch heiß und pochte unangenehm. Danny würde durchdrehen wenn er mich so sah. Und wenn er dann auch noch erfuhr dass es sein Bruder gewesen war der mich so geschlagen hatte...ob Caleb es ihm schon gesagt hatte? Und was war mit dem T-Shirt? Jetzt bereute ich es es aus der Hand gegeben zu haben. Nachher stellte der schwulenhassende Idiot wirklich irgendetwas damit an, und dann war ich der angeschmierte. Das würde ich Marielle petzen, dass hatte er verdient. Ich blieb bis zum Mittagessen in meinem Zimmer, dann konnte ich mich nicht länger verstecken. Lilly rief zum Essen, sie hatte draußen vor dem Haus den Campingtisch gedeckt, und ich versuchte ihr und meinem Vater möglichst unbeteiligt und erhobenen Hauptes entgegen zu treten. Vorher hatte ich allerdings doch noch einen Kontrollblick in meinen Badezimmerspiegel geworfen; es war nicht ganz so schlimm wie es sich anfühlte. Mein Piercing hatte aufgehört zu bluten und war auch nicht wieder angeschwollen, und Calebs Schlag hatte mir „nur“ einen länglichen, bläulich-roten Bluterguss auf Höhe meines Wangenknochens beschert. Es tat noch weh, aber ich würde es überleben. Als Lilly mich entdeckte sog sie scharf die Luft ein, mein Vater runzelte fragend die Stirn. „Wer war das?“ Ich senkte den Blick und setzte mich stumm an den Tisch; Lilly hatte Wort gehalten und mir eine sehr gesund aussehende Gemüsesuppe gekocht. Ich aß vorsichtig einen Löffel, dann murmelte ich leise: „Caleb.“ Ich schwieg verbissen zu diesem Thema, und schließlich sah mein Vater ein dass es keinen Sinn hatte mich weiter mit Fragen zu bombardieren. Das Essen endete in einer gedrückten Stimmung, selbst Lilly wusste nichts Aufmunternders zu sagen. Ich beschloss, nachdem ich beim Abräumen geholfen hatte, ein ausgedehntes Mittagsschläfchen zu machen; in meinem Zimmer herrschte immer noch erfrischende Dunkelheit, und sogar die Temperatur war erträglich. Trotzdem schlüpfte ich aus Shorts und T-Shirt und legte mich nur mit Boxershorts bekleidet mitten aufs Bett, die Decke hatte ich mit einem Schubs auf den Boden befördert. Die war momentan eh nur störende Deko. Ich schlief bis kurz nach drei Uhr, und als ich aufwachte klopften schwere Regentropfen gegen die geschlossenen Fensterläden. Die Luft war jetzt drückend und schwül. Nachdem ich die Läden geöffnet hatte und die frische regengeschwängerte Luft hineingelassen hatte schaltete ich das Deckenlicht ein und trat wieder an eines der offenen Fenster. Der Schauer war nicht so schlimm wie der letzte, der der den Hof unter Wasser und damit Calebs Auto lahmgelegt hatte, aber er war immer noch beeindruckend. Die dicken eher spärlichen Tropfen wurden jetzt von feineren abgelöst die sich wie ein dichter Nebel um alles legten. Vielleicht würde es heute noch gewittern. Ich wollte die Fenster gerade wieder schließen, da entdeckte ich eine Gestalt in der Nähe des Pferdestalles. Caleb oder Danny? Oder keiner von beiden? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte genaueres zu erkennen, aber durch den dichten Regenvorhang war nur ein undeutlicher Schemen zu erkennen. Jetzt löste sich die Person aus dem Schatten des Pferdestalles und ging hinüber zu Calebs Wagen, kniete neben einem der Vorderreifen nieder und verharrte dort für einen kurzen Moment. Was tat sie da? Ich hatte genug gesehen. Wer auch immer da draußen auf dem Hof herumschlich, er tat es im Schutze des Wolkenbruches, und er verhielt sich damit unverkennbar verdächtig. Ohne zu zögern schlüpfte ich wieder in meine Klamotten und eilte die Treppe hinunter, wenn ich mich beeilte konnte ich den Verdächtigen noch auf frischer Tat ertappen. Dass das vielleicht keine so gute Idee und unter Umständen auch gefährlich werden könnte, daran verschwendete ich keinen Gedanken. Im Flur zog ich mir noch schnell meinen bis jetzt selten genutzten Regenmantel an und setzte die Kapuze auf. Bei aller Eile, ich wurde ungern nass. Die Person schlich gerade um das Heck des Autos als ich auf den Hof trat; es war immer noch schwül und der Regen legte sich wie eine unangenehme klebrige Maske auf mein Gesicht. Aber davon durfte ich mich jetzt nicht ablenken lassen. So schnell ich es mir zu traute und möglichst ohne jeden Laut zu erzeugen huschte ich über den Hof zu Calebs Ford Escort, duckte mich hinter den Kofferraum und pirschte mich so leise wie möglich an die unbekannte Person heran. Die hockte jetzt neben dem zweiten Hinterreifen und die Bewegung die sie dabei ausführte war unmissverständlich. Da stach jemand Caleb die Reifen platt. Und ich war es erstaunlicherweise nicht. „Darf ich fragen was du da machst?“ ich richtete mich zu voller Größe auf und versuchte dabei möglichst bedrohlich zu wirken. Der Reifenstecher schrie erschrocken auf und plumpst bei dem Versuch sich schnell zu mir umzudrehen mit dem Hintern in den Matsch. „Danny? Was zur Hölle tust du da?“ ich starrte erst ihn, dann das Messer in seiner Hand, und dann den malträtierten Reifen an der langsam aber stetig Luft verlor. Der Escort stand bereits gefährlich schief. „Hast du deinem Bruder gerade die Reifen zerstochen? Sag mal hast du sie noch alle? Der wird doch denken ich bin das gewesen! Und dann kireg ich garantiert mehr ab als nur einen Schlag in die Fresse!“ Ich schob mir die Kapuze vom Kopf und raufte mir die Haare. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie kam der Idiot nur auf so eine Idee? ...oh. Siedend heiß fielen mir meine eigenen Drohungen ein, und wem gegenüber ich sie laut geäußert hatte. Ich war wirklich ein schlechter Einfluss. Ich hatte Danny zwar nicht schwul, dafür aber kriminell gemacht. „Los, hoch jetzt, du sitzt im Dreck. Wir müssen mit Caleb reden.“ ich streckte die Hand aus und half Danny auf die Füße. Der hatte bis jetzt noch gar nichts gesagt, nun wischte er sich mit einem Arm die regennassen Haare aus der Stirn, in der Hand immer noch das Messer. Ein sehr langes und sehr scharf aussehendes Messer. Wie kam er nur an solche Mordwerkzeuge? „Ich hab die Reifen zerstochen weil er dich geschlagen hat. Das hab ich für dich gemacht! Als Rache! Aber ich hab nicht dran gedacht dass er dich...“ stammelte Danny und fuhr sich wieder über das Gesicht, dann schien ihm das Messer einzufallen, und er senkte den Arm schnell wieder. Er tat mir Leid. Auch wenn er gerade ordentlich Mist gebaut hatte. „Du musst dich nicht für mich rächen! Ich hätte das schon irgendwie selbst wieder geklärt. Aber nicht so!“ „Aber du hast doch selbst gesagt...“ „Mensch Danny, ich sage viel wenn der Tag lang ist. Und das meiste davon ist dummes Geschwätz. Jetzt komm, ist Caleb zu Hause? Ich denke wir müssen ihm was beichten.“ Auch wenn es das letzte war was ich jetzt tun wollte, aber wir mussten ihm die Sache mit den Reifen sagen. Schon allein um weitere Missverständnisse vorzubeugen. Das war jetzt zwar blöd für Danny der ja immer noch die Tatwaffe in Händen hielt, aber die einzig richtige Entscheidung. Und das schien mein krimineller kleiner Freund zum Glück auch so zu sehen. Als wir in die Diele kamen schlüpften wir schnell aus Schuhen und Regenmänteln, und da sah er mich plötzlich verblüfft an. „Du hast ein Piercing!“ Und noch bevor ich diese Erkenntnis kommentieren konnte bemerkte er bereits die zweite Veränderung. „Und einen riesigen blauen Fleck im Gesicht! War das Caleb? Das sieht ja schlimm aus!“ Na immerhin war er ehrlich. Gemeinsam stiegen wir die Treppe in den ersten Stock hinauf, im Haus war es still und dunkel. Alle Türen waren geschlossen. „Er schließt sich schon den ganzen Tag ein. Er hat mir nur das Geschenk von dir gegeben und gesagt dass er dich verprügelt hat weil du mal wieder eine große Klappe gehabt hättest.“ flüsterte Danny mir zu, er klang gar nicht wütend, nur aufgeregt. Ich war beides. „Er hatte die größere Klappe, glaub mir.“ zischte ich zurück, dann hämmerte ich ohne noch einmal darüber nachzudenken an Calebs Zimmertür und riss sie ohne auf eine Antwort zu warten einfach auf. Wir hatten den Überraschungsmoment auf unserer Seite, und zumindest einer von uns war bewaffnet. Das sprach beides für uns. Caleb hockte mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett, er trug Kopfhörer und ansonsten nichts weiter als eine schwarze Boxershorts. „Was zur Hölle...?“ er riss sich die Kopfhörer vom Kopf und wollte aufspringen, aber als er Danny und das Messer in dessen Hand erblickte verharrte er mitten in der Bewegung. Was dachte der denn warum wir gekommen waren? Um ihn abzustechen? Absurder Gedanke. Andererseits... „Überraschung! Wir sind hier um dir deine Männlichkeit zu nehmen! Mach dich bereit zu bluten! Auge um Auge, Zahn um Zahn, oder wie es so schön heißt...“ ich breitete die Arme aus und schenkte Caleb ein diabolisches Grinsen, und vielleicht hätte er wirklich Angst bekommen, aber da trat Danny plötzlich an mir vorbei und sagte mit kleinlauter Stimme: „Ich habe deine Reifen zerstochen. Tut mir Leid. Aber du hast Nicky geschlagen, und da wollte ich...“ „Du hast was?!“ Nun war Caleb doch auf den Beinen. Er starrte seinen kleinen Bruder an wie eine Erscheinung, völlig fassungslos, dann wanderte sein Blick zu mir. Ich hob abwehrend die Hände vor die Brust. „Ich hab ihn nicht dazu angestiftet, du bist selber Schuld. Warum sagst du ihm auch dass du mir ein verpasst hast?“ Caleb zischte verächtlich. „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Er hätte es doch eh mitbekommen!“ Da musste ich ihm allerdings recht geben. Zu übersehen war der Bluterguss jedenfalls nicht. Danny´s Blick wanderte verwirrt zwischen uns beiden hin und her, er hatte das Messer immernoch in der Hand, und das schien nun auch Caleb wieder einzufallen. Er trat auf seinen kleinen Bruder zu und streckte fordernd die Hand aus. „Gib mir das Messer Danny, sonst verletzt sich noch einer. Wo hast du das überhaupt her? Das sieht ja furchtbar aus.“ Und wieder ein Blick zu mir. Oh man. Das Messer wechselte den Besitzer, Caleb drehte es noch einen Moment prüfend in den Händen, dann legte er es auf eine Kommode und wandte sich wieder an Danny. „Wieviele Reifen hast du zerstochen?“ er versuchte ruhig zu wirken, aber seine Stimme zitterte vor zurückgehaltener Wut. Armer Danny. Der quälte sich sichtlich, aber da musste er jetzt durch. So Leid es mir für ihn auch tat. „Drei, dann hat Nicky mich unterbrochen. Ein Vorderreifen ist noch ganz.“ Caleb stöhnte auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar; ich hielt es für einen Glücksfall dass er den größten Teil seiner Aggressionen bereits am Vormittag an mir ausgelebt hatte, sonst wäre jetzt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Danny fällig gewesen. Der wurde beim Anblick seines wütenden großen Bruders immer kleiner, ich sah nur seinen Rücken, aber ich wette er hatte bereits Tränen in den Augen. Vielleicht sollte ich doch eingreifen. Das war nicht sehr clever, aber besser noch ein Schlag für mich als wenn Danny etwas abbekam. Der war noch nicht so abgebrüht wie ich. „Sei doch froh dass er dir nicht den Lack zerkratzt oder etwas in den Tank gekippt hat. Das wäre sicher teurer geworden.“ Diplomatie war meine große Stärke. Caleb fuhr auf dem Absatz herum und funkelte mich wütend an, für einen Moment schien es ihm die Sprache verschlagen zu haben, dann fletschte er die Zähne und kam drohend auf mich zu. „Sag mal willst du dir noch eine fangen oder was? Du bist mal wieder besonders komisch, aber jetzt ist langsam genug! Geh aus dem Weg Danny!“ Danny rührte sich nicht, aber ich schob mich an ihm vorbei und starrte Caleb herausfordern an. Einen Schlag mehr würde ich schon noch verkraften. Wenn Danny dafür ungeschoren davonkam war es so gesehen sogar für einen guten Zweck. „Mach doch! Schlag mich! Diesmal hätte ich es sogar verdient!“ fauchte ich zurück, und vielleicht hätte Caleb das sogar getan, aber nun fand Danny seine Stimme wieder. Er trat neben mich und starrte Caleb mit großen, tränennassen Augen an. Seine Stimmte bebte vor Zorn. „Was soll das? ICH habe deine Reifen zerstochen! Ich! Und nicht Nicky! Warum willst du ihn dafür schlagen? Was ist denn los mit dir?!“ „Er denkt dass ich dich schwul mache.“ Ich hatte es ganz leise gesagt, aber die Wirkung war trotzdem durchschlagend. Danny drehte sich zu mir um und sah mich völlig verdutzt an, und Caleb seufzte genervt. Okay, das war nur die halbe Wahrheit, aber sie nahm uns Kampfhähnen wenigstens für den Moment den Wind aus den Segeln. Das war etwas was man ausdiskutieren konnte, und zwar ohne sich dabei die Köpfe einzuschlagen. Caleb ergriff als erster das Wort. „Das denke ich gar nicht, ich will nur nicht...“ fing er an, aber Danny unterbrach ihn sofort wieder. Ziemlich mutig. Seine Stimme war immer noch wütend, aber jetzt schlug der Ton eher in Trotz um. „Caleb, ich bin NICHT schwul! Und ich werde es auch nicht werden nur weil ich Nicky gern hab. Wie kannst du nur so einen Mist denken?“ Mir lagen tausend unpassende Kommentare auf der Zunge, aber ich verbiss mir jeden einzelnen davon. Anzusehen waren sie mir wahrscheinlich trotzdem. Zumindest wenn man Calebs Gesichtsausdruck glauben durfte. Für ihn war ich immernoch die Wurzel alle Übels, und der Schuldige im Bezug auf seine zerstochenen Reifen. Danny mochte das Messer geführt haben, aber ich war die kriminelle Energie dahinter. Wie zur Hölle konnte man nur so verbohrt sein? „Aber er beeinflusst dich! Du hast nur Ärger wegen ihm! Denk nur an Hunter und seine Leute! Das wird immer wieder passieren, egal was er dir so hoch und heilig verspricht! Warum begreifst du das denn nicht?“ Caleb kam wieder auf uns zu, und ich wich vorsichtshalber in Richtung Zimmertür zurück. Nur für den Fall. Auch wenn Caleb jetzt in erster Linie nicht mehr wütend, sondern eher verzweifelt klang. Hielt er mich wirklich für eine so große Gefahr? Das konnte ich fast nicht glauben. Ich gab mir mit Danny doch Mühe! Mehr als bei jedem anderen zuvor! Und trotzdem war es anscheinend nicht genug. „Wollt ihr vielleicht alleine weiter machen...? Dann würde ich jetzt nämlich gehen, ich will wirklich nicht stören...“ „Willst du dich gar nicht verteidigen?“ wandte Caleb sich vorwurfsvoll an mich, und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Hätte ich nur die Klappe gehalten. Ich schüttelte den Kopf. „Das hat bei dir doch gar keinen Sinn. Du hast eine Meinung und bei der bleibst du, egal was ich sage. Die Mühe spar ich mir einfach, wenn´s recht ist. Rede mit Danny, vielleicht bringt der dich noch zur Vernunft. Ich geb´s auf.“ Meine Ansprache hätte abfällig klingen können, aber sie tat es nicht. Ich wollte die Situation nicht wieder hoch puschen, das wäre dumm gewesen. Es war fieß was Caleb mir unterstellte, aber wie sollte er es auch besser wissen können? So gesehen kannte er mich nicht, zumindest nicht gut genug um mehr zu sehen als den sich Drogen einschmeißenden verdorbenen kleinen Alki der seinen gut behüteten Bruder vom Fade der Tugend direkt in die sündige Hölle führte. Wir standen jetzt wohl alle mit dem Rücken zur Wand. Drückendes Schweigen breitete sich im Raum aus, der Regen schlug jetzt wieder heftiger gegen die geschlossenen Fensterscheiben, das leise Grollen eines herannahenden Gewitters war zu hören. Am liebsten wäre ich einfach abgehauen. Aber das hätte nichts besser gemacht. Wir starrten uns abwartend an, keiner wagte es die Stille zu durchbrechen, und wahrscheinlich hätten wir noch ewig so dagestanden wenn Danny es noch länger ausgehalten hätte. Aber er war nun einmal nicht besonders gut darin über längere Zeit die Klappe zu halten, und so erlöste er uns schließlich. In dem er ganz einfach das Thema wechselte. „Ich habe mir die DVD zu dem Actionfilm gekauft den wir letztens zusammen im Kino gesehen haben. Wollen wir uns den nochmal ansehen?“ Mir fielen tausend Dinge ein die ich lieber getan hätte, aber genau wie Caleb nahm ich dieses vorläufige Friedensangebot an. Alles andere wäre mehr als dumm gewesen. Da Caleb der einzige der beiden Brüder war der einen Fernseher inklusive DVD-Player im Zimmer hatte lief Danny los um den Film zu holen, und wir waren für einen Moment allein. Die Situation war immer noch angespannt, aber nicht mehr bedrohlich. Ohne mich weiter zu beachten begann Caleb sein Bett zu machen, er sah mich nicht an als er die nächsten Worte aussprach. „Dass du für meine zerstochenen Reifen gerade stehen wirst ist klar denke ich?“ „Natürlich.“ knurrte ich widerwillig.  „Sei froh dass er nicht auch noch die anderen Sachen umgesetzt hat die ich ihm gegenüber angedroht habe.“ Bevor wir das Thema noch weiter vertiefen konnten tauchte Danny wieder auf, in einer Hand die DVD, in der anderen eine Tüte Chips. Er sah uns misstrauisch an. „Streitet ihr schon wieder?“ Wir verneinten beide synchron, und Danny grinste. Er warf Caleb die noch eingeschweißte DVD zu und krabbelte aufs Bett, dann riss er die Chipstüte auf. „Ey, krümel mir nicht ins Bett! Ich muss da heute noch schlafen!“ fuhr der seinen kleinen Bruder an, aber Danny ließ sich überhaupt nicht stören. „Komm Nicky, setz dich neben mich!“ er klopfte neben sich auf die Bettdecke, dann sah er mich fragend an. „Kannst du mit dem Piercing überhaupt Chips essen?“ Ich lehnte mich neben ihm ans Kopfende des Bett und griff in die Tüte. „Ich kann es ja mal versuchen.“   Der Film wurde auch beim zweiten Mal nicht besser, und auch Danny konnte er dieses Mal nicht besonders fesseln. Nachdem er die halbe Tüte Chips praktisch alleine geleert hatte sank sein Kopf langsam gegen meine Schulter. Bevor er ganz wegnickte stupste er mich noch einmal kurz in die Seite, und als ich  mich zu ihm umdrehte gab er mir trotz Calebs Anwesenheit einen Kuss auf den Mund. „Hau nicht einfach ab wenn ich einschlafe, okay?“ „Keine Sorge, bei dem Wetter gehe ich heute nirgendwo mehr hin.“ Danny seufzte zufrieden, dann kuschelte er sich wieder an mich und schloss die Augen. Ich warf einen vorsichtigen Blick zu Caleb, aber der starrte weiter auf den Bildschirm und tat so als hätte er nichts mitbekommen. Als der Abspann eingeblendet wurde bewegte ich mich langsam ohne Danny dabei aufzuwecken. „Ist es wirklich okay wenn ich heute hier schlafe?“ flüsterte ich leise, und Caleb nickte ohne mich dabei anzusehen. „Klar, ist ja nicht das erste Mal. Aber nur wenn ich auch einen Gute Nacht – Kuss bekomme.“ Ich sah ihn überrascht an, aber Caleb´s Aufmerksamkeit galt weiter dem Fernsehbildschirm. Hatte er das gerade ernst gemeint? Oder verarschte er mich nur wieder? Egal, ich würde es herausfinden. Vorsichtig, um Danny nicht doch noch aufzuwecken beugte ich mich über seinen Kopf hinweg zu Caleb hinüber um ihm einen schnellen Kuss auf die Wange zu geben, doch kurz bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte drehte Caleb sich plötzlich blitzschnell zu mir um, und meine Lippen trafen nicht wie geplant seine Wange, sondern seinen Mund. Ich spürte wie mein Herz vor Schreck einen Schlag aussetzte, mir wurde siedend heiß, und obwohl dieser überraschende Kuss nur wenige Sekunden dauerte kam er mir vor wie eine Ewigkeit. Und dabei  war es noch nicht einmal ein richtiger Kuss. Unsere Lippen berührten sich nur flüchtig, ganz ohne Druck, aber bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte begann Danny sich zu rühren und wurde langsam wach. „Ist der Film schon zu Ende?“ murmelte er schlaftrunken und rieb sich die Augen. Ich warf noch einen letzten verwirrten Blick in Calebs Richtung, aber der war bereits aufgestanden und schaltete den Fernseher ab. „Du hast das große Finale verschlafen, aber das kanntest du ja eh schon. Wollen wir uns zum Abendessen ein paar Pizzen in den Ofen werfen? Zum Kochen habe ich heute keine Lust mehr.“ Er steckte die DVD zurück in die Hülle und gab sie Danny, der nickte begeistert und rutschte mit DVD und Chipstüte in den Händen vom Bett. „Ich nehme Salami, alles andere ist mir egal!“ Er hüpfte vor Caleb und mir die Treppe hinunter und verschwand in der Küche. „Kannst du mit dem Ding in der Lippe überhaupt irgendetwas abbeißen oder muss man dir die Pizza pürieren?“ fragte Caleb hinter mir spöttisch, und ich bedachte ihn mit einem betont unschuldigen Blick. „Warum fragst du? Küssen ging doch auch.“ Er hob warnend den Zeigefinger. „Kein Wort mehr darüber, oder du darfst die Pizza mit den Champignons drauf essen.“ Meine Abneigung gegen Pilze aller Art war kein Geheimnis. Ich schaffte nur eine halbe Pizza und brauchte dafür fast doppelt so lange wie Caleb und Danny die jeder eine ganze und dann auch noch den Rest von meiner verspeisten. „So ein Piercing scheint gut für die Figur zu sein.“ Caleb zwinkerte mir zu als er in das letzte Stück von meiner Pizza biss. „Nennst du mich gerade fett? Sei besser vorsichtig, Hunger macht böse.“ Knurrte ich zurück, und Caleb schüttelte schnell den Kopf. „Das hab ich nicht gesagt, und verärgern will ich dich ganz sicher nicht. Nachher zerkratzt du mir wirklich noch den Lack. Und das nur weil du dich selbst so verstümmelt hast dass du nun nicht mehr gescheit essen kannst.“ Er grinste mich über die Pizza hinweg an, und ich gab einen frustrierten Laut von mir. Ich mochte mein Piercing immer noch, aber es brachte eine ganze Menge unangenehme Begleiterscheinungen mit sich. Hoffentlich würde es bald verheilen. „Also ich finde das Piercing steht Nicky richtig gut, hör auf ihn deswegen zu ärgern.“ Schaltete Danny sich jetzt ein, und ich warf Caleb einen triumphierenden Blick zu. „Siehst du? Wenigstens einer von euch beiden hat Geschmack.“ Caleb hob provokativ eine Augenbraue. „Aha?“ Es  dauerte einen Moment bevor ich begriff auf was er da anspielte, und zu  meiner eigenen Verblüffung lief ich sofort knallrot an. Ich senkte schnell den Blick, und Danny sah verwirrt zwischen uns hin und her. „Hab ich was verpasst?“ „Nee, alles gut.“ Auf Calebs Lippen lag ein ziemlich überhebliches Grinsen welches ich ihm am liebsten mit einem passenden Kommentar aus dem Gesicht gewischt hätte, aber mir fiel einfach nichts ein was ich hätte erwidern können. Also starrte ich schweigend auf meinen leeren Teller und hoffte darauf dass jemand das Thema wechseln würde. Was Caleb schließlich auch tat, nur nicht unbedingt so wie ich es gern gehabt hätte. „Während ihr hier aufräumt geh ich mir mal die Bescherung an meinem Auto ansehen. Vielleicht ist ja noch was zu retten.“ Danny und ich warfen uns einen zweifelnden Blick zu. Wir würden Caleb jedenfalls keine Hoffnungen machen. Wir räumten die schmutzigen Teller in die Spülmaschine und setzten uns wieder an den Tisch, bis gerade eben war die Stimmung noch einigermaßen gelöst gewesen, aber jetzt saßen wir wie auf Kohlen. Die Reifen des Ford Escorts waren hoffnungslos hinüber, da waren wir uns sicher. Es dauerte keine fünf Minuten bis Caleb wieder zurück war, nass vom Regen und mit verkniffenem Gesicht. Die Spannung im Raum war praktisch spürbar. „Sehr schlimm?“ fragte Danny zaghaft, und Caleb schnaubte verächtlich. „Du hast da draußen ein richtiges Massaker angerichtet du Idiot. Sei froh dass du mir nicht auch noch ausversehen die Felgen zerkratzt hast, sonst müsste ich dich jetzt höchstwahrscheinlich umbringen.“ Danny sank deprimiert in sich zusammen, er sah aus wie ein geprügelter Hund. „Wieviel kostet denn so ein Reifen?“ versuchte ich diplomatisch einzuwerfen, aber Caleb funkelte mich nur wütend an. Da hatte Danny wohl ganze Arbeit geleistet. „Das waren nagelneue Sommerreifen, die haben mich ein halbes Vermögen gekostet. So viel kannst du gar nicht anschaffen gehen um das bis Anfang Herbst wieder rauszuholen.“ „Hey!“ Caleb raufte sich seufzend die Haare und ließ sich neben mir auf den Küchenstuhl fallen. „Sorry.“ Er starrte auf die leere Tischplatte, dann seufzte er noch einmal und murmelte leise: „Ich weiß ja dass du dich nicht so billig verkaufst.“ So viel zum Thema Waffenstillstand. Ich schwieg verbissen auch wenn mich Calebs Worte mehr als nur ein bisschen getroffen hatten, ich wollte nicht dass sich die Situation schon wieder hoch schaukelte. „Tut mir Leid Caleb, ich war einfach so wütend. Ich bezahl dir deine Reifen, versprochen.“ Danny sah seinen Bruder mit großen flehenden Augen an, er war schon wieder kurz davor los zu heulen. Caleb trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, er sah immer noch wütend aus, aber zumindest Danny gegenüber wollte er sich wohl zusammen reißen. Immerhin etwas. Zumal ich in seinen Augen ja eh der Hauptschuldige war. „Lass gut sein, ich habe noch die Reifen vom Vorjahr, die tun es die letzten paar Monate auch noch. Aber sobald das Wetter sich gebessert hat ist es eure Aufgabe sie vom Dachboden runter holen und zu putzen, das ist das mindeste was ich von euch erwarte.“ Danny und ich versprachen hoch und heilig unsere Mithilfe, aber ich wusste dass das noch nicht alles war. Das sagte mir Calebs Blick. Aber Danny war erstmal raus aus der Sache. Am Abend rief ich Marielle an und fasste ihr die neusten Ereignisse zusammen. Das einzige was ich ihr verschwieg war der Kuss zwischen Caleb und mir. Ich wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen, nicht so lange ich meine eigenen noch nicht aufgegeben hatte. Es war dumm, aber diese kleine fast nicht stattgefundene Berührung hatte mich ordentlich aus der Bahn geworfen. Ich hatte schon eine ganze Menge Kerle geküsst (und mehr), aber bei keinem war es so gewesen wie bei Caleb. Fühlte sich so Verliebtheit an? Dann hätte ich wirklich ein Problem. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)