Five Times Connor And Markus Spent Their Evening Together (And One Time Connor Realized They Were Dating) von Morwen (Markus x Connor) ================================================================================ Kapitel 1: Strawberry Cream --------------------------- Das Meeting neigte sich langsam seinem Ende zu. Es war das sechste an diesem Tag und das mit Abstand langweiligste. Connor war so unterfordert, dass er unbewusst die Münze aus der Tasche seines Jacketts gezogen und angefangen hatte, damit zu spielen. Er blinzelte kurz, als ihm ein paar Minuten später auffiel, was er da tat, und warf einen Blick in die Runde, doch seine neuen Verbündeten hörten aufmerksam den Ausführungen des menschlichen Referenten zu und schenkten ihm keine Beachtung. Die Stadt hatte ihrer Freiheitsbewegung eine stillgelegte Fabrik zur Verfügung gestellt, die sie als neues Hauptquartier und Anlaufpunkt für Androiden nutzten, und in den letzten Wochen hatten sie sich bemüht, das alte Backsteingebäude Stück für Stück zu einem Ort zu machen, an dem sich ihresgleichen wohlfühlen konnte. Eine etwas kleinere Produktionshalle im Erdgeschoss diente ihnen dabei als Konferenzraum, in dem sie sich mit Vertretern der Stadt und hin und wieder auch der Regierung trafen, um den brüchigen Frieden zwischen Mensch und Maschine zu festigen und neue Strategien zum gemeinsamen Zusammenleben zu besprechen. Es war ein zäher und mühsamer Prozess und Connor machte sich wenig Hoffnung auf baldige und große Veränderungen. Es war fast schon ironisch, wie sie es im Laufe der Revolution geschafft hatten, innerhalb weniger Tage das Machtgefüge einer ganzen Nation zu verändern, nur um jetzt von Formalitäten daran gehindert zu werden, sichtbare Fortschritte zu machen. Menschen waren so uneffektiv. Connor? Connor blinzelte erneut, als er plötzlich eine Verbindungsanfrage bekam. Sie stammte von Markus. Der andere Android saß nur wenige Meter vor ihm und hatte sich in den letzten Minuten nicht von der Stelle bewegt, aber Connor hatte gelernt, dass das nichts heißen musste. Androiden kommunizierten oft im Stillen miteinander, ohne es sich nach außen hin in irgendeiner Form anmerken zu lassen, um ihren menschlichen Gesprächspartnern gegenüber nicht unhöflich zu erscheinen. Connors LED flackerte kurz gelb auf, als er die Anfrage annahm. Ja?, fragte er durch die private Verbindung zurück. Die Antwort ließ mehrere Sekunden auf sich warten, fast als würde Markus zögern. Seltsam. Seitdem Connor den anderen kennengelernt hatte, hatte er ihn kein einziges Mal zögern sehen. Doch schließlich gab Markus zurück: Hast du nach dem Meeting schon was vor? Was für eine eigenartige Frage. Jeder von Connors Tagen wurde von einer langen Liste selbstgewählter Zielsetzungen dominiert, die er nach Priorität geordnet hatte und im Laufe des Tages abarbeitete. Es gab immer etwas für ihn zu tun, niemand wusste das besser als Markus, der neben seinen zahlreichen, täglichen Aufgaben auch noch mit dem ständigen Medienrummel, der ihn umgab, fertig werden musste. Das Konzept von Freizeitaktivitäten war Connor daher zwar vage bekannt, aber mehr auch nicht. Seine Prozessoren waren überaus leistungsstark und anders als Menschen brauchte er keine regelmäßige Ablenkung von seinen täglichen Aufgaben, um gute Arbeit zu machen. Andererseits hatte Hank ihm auch gesagt, dass er sich „verdammt noch mal mehr entspannen“ und hin und wieder auch mal neue Dinge ausprobieren sollte, nicht, weil sie einen bestimmten Sinn erfüllten, sondern einfach, weil „das nun mal zum Leben dazugehört“. Connor? Markus‘ Stimme in seinem Kopf hatte plötzlich einen besorgten Klang und Connor wurde auf einmal bewusst, dass der andere schon seit einer Minute und neun Sekunden auf eine Antwort wartete. Ich... bin noch hier, erwiderte er. Und?, fragte Markus. Wie lautet deine Antwort? Wenn Connor es nicht besser wüsste, hätte er schwören können, dass der andere nervös klang. Aber warum sollte Markus nervös sein...? Ich habe Lieutenant Anderson versprochen, dass ich heute Nacht während seiner Schicht vorbeikommen werde, um mit Sumo spazieren zu gehen. Bis dahin habe ich noch nichts geplant. Jedenfalls nichts, was er nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschieben konnte. Ist das ein ja?, fragte Markus amüsiert. ... ja. Connor vermutete, dass es das war. Sein Blick ruhte auf Markus‘ Hinterkopf. Was hast du vor? Als würde der andere seinen Blick spüren, drehte er leicht den Kopf zur Seite und Connor sah das kleine Lächeln, das um seinen Mundwinkel spielte. Lass dich überraschen, gab Markus zurück. Connor runzelte die Stirn, gab jedoch keine Antwort. Sehr seltsam. Doch aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte, schlug seine Thiriumpumpe mit einem Mal heftiger, als sonst.   „Ich verstehe nicht“, sagte Connor. Markus lachte auf. „Was gibt es da nicht zu verstehen?“ Connor starrte auf die gut zwei Dutzend verschiedenen Eissorten hinter der Glasscheibe des Eiswagens. „Wir brauchen keine Nahrung“, sagte er betont langsam, als würde er mit einem Menschen reden. Das musste Markus doch klar sein? Wieso hatte er ihn also ausgerechnet hierhergebracht? „Ich weiß“, gab Markus mit einem amüsierten Funkeln in den Augen zurück. „Das bedeutet aber nicht, dass wir sie nicht genießen können.“ Connor starrte ihn an. „Aber wir können sie nicht verwerten, wir haben kein Verdauungssystem.“ „Nein“, stimmte Markus ihm zu. „Aber kleine Mengen von Fremdsubstanzen schaden unserem System nicht und werden von dem Thirium in unseren Adern zersetzt.“ Von einem rein technischen Standpunkt aus betrachtet hatte Markus Recht. Wäre es anders, würde jede Blutprobe, die Connor mit seiner Zunge untersuchte, sein System auf der Stelle verunreinigen. Aber Connor hatte bisher immer nur Dinge in den Mund genommen, wenn es seiner Arbeit half, und nicht aus privater Neugierde. „Das heißt, du... du willst ein Eis essen, weil du den Geschmack genießt?“, fragte Connor. Markus lächelte. „Ganz genau.“ Er wandte sich Connor zu und sah ihm in die Augen. „Und ich würde es gerne mit dir zusammen tun. Selbst wenn es dir nicht schmecken sollte, ist es dir ja vielleicht trotzdem die Erfahrung wert...?“ Connor erwiderte offen den Blick der zweifarbigen Augen. Egal, wann er ihn auch ansah, wenn er Markus‘ Blick auf sich spürte, fühlte er sich stets, als könnte er alles bewirken. Als würde der grenzenlose Optimismus des anderen Androiden ihn anstecken wie ein Virus. Er lächelte schwach. „Na gut“, stimmte er schließlich zu und Markus‘ Blick erhellte sich. „Ich will es probieren.“ Sie traten gemeinsam an den Eisverkäufer heran. Er musterte sie für einen Moment und nickte Markus dann kurz zu; offenbar begrüßte er nicht zum ersten Mal Androiden als Kunden. „Hallo“, sagte er. „Was kann ich für euch tun?“ „Ich hätte gerne zwei Kugeln“, sage Markus. „Einmal Oreo und einmal Pfefferminze.“ Der Verkäufer nickte. „Kommt sofort.“ Während er nach dem Portionierer griff, wandte er sich an Connor. „Und für dich?“ Connor zögerte. Er hatte keine dieser Sorten jemals probiert, auch wenn ihr Geschmack in den Datenbanken seiner Geschmackssensoren abgespeichert war. Aber etwas sagte ihm, dass das nicht dasselbe war, wie es selbst zu kosten. Er entschied sich schließlich, auf Nummer sicher zu gehen, und wählte eine der Standardsorten. „Eine Kugel Erdbeereis“, sagte er. Und nachdem Markus ihm einen kleinen Stups gegeben hatte: „... bitte.“ „Gerne doch. Das macht zusammen dann drei Dollar.“ Markus reichte ihm die Scheine und nahm anschließend die beiden Eiswaffeln entgegen. „Vielen Dank!“ Er schenkte dem Verkäufer ein kurzes Lächeln. „Bis zum nächsten Mal.“ Dann gab er Connor sein Eis und gemeinsam gingen sie ein Stück die Promenade entlang, bis sie zu einer Bank kamen, um sich dort niederzulassen. Da der Eiswagen nicht weit vom Hauptquartier der Androiden entfernt stand und die Öffentlichkeit ihnen nach der Revolution immer noch nicht besonders traute, kamen ihnen nur wenige Menschen entgegen, weshalb sie für die nächste halbe Stunde ungestört waren. Während Markus neben ihm ohne erkennbare Zurückhaltung an seinem Eis leckte, streckte Connor die Zunge heraus und berührte vorsichtig mit der Zungenspitze sein Erdbeereis. Sofort explodierte eine Wand von Text vor seinen Augen, als seine Geschmackssensoren das Eis in seine Bestandteile zerlegten und ihm mitteilten, welche Stoffe für die Herstellung verwendet worden waren. Connor hatte jedoch damit gerechnet und stellte sein Analyseprogramm für die Dauer des Essens ab. Doch seltsamerweise machte es das nur schwieriger, den Geschmack einzuschätzen – und herauszufinden, wie er selbst dazu stand. „... und?“, fragte Markus nach ein paar Minuten und warf ihm einen gespannten Blick zu. „Wie ist es?“ „Kalt“, erwiderte Connor, weil es das erste war, was ihm einfiel. Die ehrliche und direkte Antwort ließ Markus auflachen, und das brachte Connor wiederum zum Lächeln. Er mochte das Lachen des anderen Androiden, es war nie künstlich, wie das der Regierungsvertreter, mit denen sie häufig zu tun hatten, sondern stets voller Wärme und Menschlichkeit. „Nein“, sprach Markus dann. „Ich meinte: wie schmeckt es dir?“ Connor überlegte. Er hatte noch nie Erdbeeren gegessen, aber ihr fruchtiger Geschmack war seltsam... stimulierend für seine Sensoren. Vielleicht hatte Hank – wie so oft – Recht gehabt, vielleicht sollte er tatsächlich öfter neue Dinge ausprobieren. „Es ist... nicht unangenehm“, erwiderte er schließlich. Er streckte erneut seine Zunge aus und leckte an dem Eis. „Es schmeckt süß“, fuhr er dann fort. „Es mag unlogisch klingen, aber aus irgendeinem Grund assoziiere ich den Geschmack mit... Sonnenschein.“ Markus bedachte ihn mit einem warmen Blick. „So unlogisch klingt das für mich gar nicht“, entgegnete er leise. Sie beendeten ihr Eis in Stille, doch es war keine unangenehme Stille, sondern eine voller Kameradschaft und Vertrauen. Obwohl die Mission Freizeitaktivität damit offiziell beendet war, stand Connor danach jedoch nicht sofort auf. Stattdessen wandte er Markus das Gesicht zu. „Danke“, sagte er, „für die neue Erfahrung, die du mir gezeigt hast. Es war ein interessantes Erlebnis.“ Markus lächelte. „Das freut mich zu hören.“ Dann lehnte er sich auf der Bank zurück und schloss die Augen. „Wir arbeiten den ganzen Tag über und brauchen kaum Schlaf oder Ruhephasen... es tut gut, den Alltag auf diese Weise zu unterbrechen und mit neuen Sinneserfahrungen zu füllen. Es erinnert mich daran, warum wir kämpfen und warum wir so hartnäckig darauf beharren, lebende, fühlende Wesen zu sein, selbst wenn unsere anhaltenden Versuche, die Menschheit davon zu überzeugen, manchmal aussichtslos erscheinen.“ Connor schwieg für eine Weile. Schließlich entgegnete er: „Bevor ich zum Abweichler wurde, habe ich nie so wirklich verstanden, wieso jemand, ob Mensch oder Android, einer Beschäftigung – einem Hobby – nachgeht, das keinen bestimmten Zweck erfüllt. Doch mit jedem Tag, den ich mit euch verbringe, verstehe ich es ein kleines bisschen besser.“ „Weil es uns glücklich macht“, sagte Markus leise. „Ja“, bestätigte Connor. Sie saßen noch eine Weile schweigend beisammen, doch schließlich stand er auf und rückte seine Krawatte zurecht. Markus öffnete die Augen und sah ihn an. „Ich muss gehen“, teilte Connor ihm mit. „Ich wünsche dir einen angenehmen Abend.“ Er zögerte kurz. „Ich hoffe, wir können zu einem späteren Zeitpunkt noch mal Eis essen gehen“, fuhr er dann fort. „Es gibt offenbar noch eine Menge Sorten, die ich ausprobieren muss.“ Markus schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Es wäre mir ein Vergnügen“, erwiderte er und nickte ihm zu. Connor wandte sich ab und ging davon. Aus irgendeinem Grund wollte das kleine Lächeln auf seinen Lippen nicht ganz verschwinden, als er sich auf den Weg zu Hank machte. Kapitel 2: Detroit Zoo ---------------------- „Das ist ausgeschlossen“, sagte der Abgesandte des Ministeriums für Gesundheit und Familie. „CyberLife hat die Produktion neuer Androiden mit sofortiger Wirkung eingestellt. Die Kinderandroiden, die noch funktionstüchtig und im Umlauf sind, werden die einzigen bleiben, die es jemals geben wird.“ „Dann werden wir an dieser Stelle nicht weiterkommen“, entgegnete Markus mit ruhiger, aber unnachgiebiger Stimme. „Die Regierung kann uns nicht einerseits als lebende Wesen anerkennen und uns gleichzeitig das Reproduktionsrecht vorenthalten.“ „Er hat Recht“, stimmte North ihm zu. „Ein menschliches Paar im fortpflanzungsfähigen Zustand kann jederzeit einen neuen Menschen erschaffen. Wieso sollte es Androiden anders ergehen?“ „Weil Androiden im Gegensatz zu Menschen nicht von allein wachsen, sondern individuell angefertigt werden müssen und aus einer Vielzahl komplexer, sehr teurer Bauteile bestehen“, erwiderte der Abgesandte kopfschüttelnd. „Selbst wenn CyberLife die Produktion in stark begrenztem Umfang wieder aufnehmen würde, würde die Firma es niemals kostenfrei tun.“ „Menschen wachsen auch nicht von allein“, gab Markus zu bedenken. „Eine Frau, die schwanger ist, muss sich und das ungeborene Kind für neun Monate versorgen, was mit einem nicht unbeachtlichen Kostenaufwand verbunden ist. Eine an diesen Betrag angepasste Summe könnte CyberLife in Zukunft auch von Androiden mit Kinderwunsch verlangen.“ „Das klingt vernünftig“, meinte North und nickte. Der Abgesandte seufzte jedoch nur. „Solltet ihr wirklich schon so weit vorausdenken, wenn so viele von euch noch nicht einmal eine Unterkunft oder Arbeit haben?“ Connor, der die Unterhaltung schweigend mitverfolgt hatte, sah, wie Markus‘ rechte Augenbraue kurz zuckte, und er war sich sicher, dass, wäre der andere noch im Besitz seiner LED, diese gerade in einem wütenden Rot flackern würde. Stresslevel bei 76%, teilte ihm seine Software mit, als er Markus scannte. Kein Wunder, sie verhandelten auch schon seit fast vier Stunden und waren dabei kaum vorangekommen. Markus. Es dauerte einen Moment, bis der andere Android seine stille Verbindungsanfrage annahm. Was ist? Connor konnte Markus‘ Gereiztheit und Erschöpfung förmlich aus seinen Worten heraushören. Beende das Meeting, entgegnete er. Du brauchst eine Pause. Wir alle brauchen eine Pause. Die Diskussion dreht sich seit 34 Minuten nur noch im Kreis und wir können unsere Energie wesentlich sinnvoller nutzen. Markus wandte ihm ruckartig das Gesicht zu und starrte ihn an. Für einen Moment fragte Connor sich, ob er zu weit gegangen war. Markus war nicht irgendwer, er war der Anführer ihrer Freiheitsbewegung, der im ganzen Land von Menschen und Androiden gleichermaßen respektiert wurde, und Connor war nur... Connor. Wer war er, dass er es wagte, ihm etwas vorzuschreiben...? Er fing gerade an, seine Worte zu bedauern, als Markus plötzlich den Blick senkte und kurz nickte. Du hast Recht. Wir kommen an dieser Stelle nicht weiter – nicht heute. Er wandte sich an den Vertreter des Ministeriums. „Es ist schon spät“, sagte er, nun wieder ganz der selbstbewusste und kontrollierte Anführer. „Ich denke, wir sollten unser Treffen für heute beenden.“ Er schüttelte die Hand des Mannes. „Danke für Ihren Besuch; Ihre Worte haben uns zu denken gegeben. Wir werden uns intern beraten, bevor wir uns erneut an Sie wenden werden, um unser weiteres Vorgehen in dieser Sache gemeinsam zu besprechen.“ Nach Abschluss der Formalitäten verließ der Abgesandte des Ministeriums mit seinen Helfern schließlich den Raum, und alle anwesenden Androiden seufzten kollektiv auf. Es war ein langer Tag gewesen. Hätten sie jemals vorher geahnt, wie anstrengend Politik sein konnte, hätte es sich der ein oder andere sicher noch mal mit der Revolution überlegt. Außer Markus, der die Last des Anführens mit Würde trug, und Josh, der an der Universität Politik unterrichtet hatte und Feuer und Flamme gewesen war, als er gehört hatte, dass er direkt am Prozess der Gesetzesentwicklung für Androiden beteiligt sein würde, konnte keiner von ihnen übermäßige Begeisterung für die Meetings aufbringen. Sie alle nahmen vor allem daran teil, weil es etwas war, das getan werden musste, da es über das weitere Schicksal ihres Volkes entschied. Und dann war da Connor. Er war vor allem dabei, weil er sein Wissen und seine Fähigkeiten der Freiheitsbewegung der Androiden zur Verfügung stellen wollte – und weil er nicht wusste, wohin er sonst hätte gehen sollen. (Hanks Einladung, bei ihm zu wohnen, konnte er aus Prinzip nicht annehmen, dafür war sein Drang, bei seinem Volk zu bleiben und ihm zu dienen, seit der Revolution zu groß.) Er verfolgte die Debatten oft nur still mit, doch immer, wenn er das Wort erhob, um seinen Teil zu sagen, hörte man ihm aufmerksam zu, und es kam nicht selten vor, dass Markus seinen Rat befolgte. Es erfüllte Connor jedes Mal mit einem warmen Gefühl: zu wissen, dass er nützlich sein konnte, dass er mehr sein konnte, als eine folgsame Killermaschine. Der Konferenzraum leerte sich schnell, bis schließlich nur noch Markus und Connor übriggeblieben waren. Unauffällig scannte Connor den anderen Androiden. Stresslevel bei 68%. Schon besser. Offenbar war es die richtige Entscheidung gewesen, das Meeting an dieser Stelle zu beenden. Trotzdem war Markus‘ Stresslevel noch immer zu hoch. Connor kannte den anderen nicht gut genug um einschätzen zu können, was ihm dabei helfen würde, den Stress weiter abzubauen, aber er wusste, was ihm selbst half, wenn er seine Prozessoren mal überlastet hatte oder mit neuen und unbekannten Gefühlen zu kämpfen hatte. Und nachdem Markus ihn nur wenige Tage zuvor zum Eis eingeladen und ihm dabei ein gänzlich neues Erlebnis ermöglicht hatte, war es nun an Connor, der Gefallen zu erwidern und seinerseits Markus von seinem Alltag abzulenken. „Wir sollten etwas anderes machen“, sagte er und sah den Anführer der Androiden ruhig an. „Wenigstens für heute Abend.“ Markus lächelte schwach, doch seine verschiedenfarbigen Augen funkelten. „Hast du vor, mich zu entführen, Connor?“ Connor legte den Kopf zur Seite und ohne dabei die Miene zu verziehen entgegnete er: „Laut der Definition des Wortes ‚Entführung‘ würde das voraussetzen, dass ich dich gegen deinen Willen von hier fortbringe – oder unter falschem Vorwand.“ Markus seufzte nur. „Ich habe es doch nicht wörtlich gem-“ Doch dann sah er das kleine Lächeln, das um Connors Lippen spielte. „Oh, du bist unmöglich!“, sagte Markus und lachte auf. Er griff nach seinem Mantel und zog ihn über. „Komm schon.“ Er zwinkerte dem anderen zu. „Lass uns gehen, bevor mein Kopf noch explodiert.“ Stresslevel bei 64% und fallend. Sehr gut. Der Wortwechsel schien ebenfalls eine entspannende Wirkung auf Markus zu haben. Neues Ziel: das Gespräch am Laufen halten. „Das wäre sehr bedauerlich, schließlich brauchen wir ihn noch“, entgegnete Connor mit freundschaftlichem Spott, während sie Seite an Seite den Raum verließen. „Was, nur den Kopf?“, fragte Markus mit gespielter Betroffenheit. „Reicht das etwa nicht?“, erwiderte Connor. „Autsch.“ Markus lachte erneut. „Du siehst immer so unschuldig aus, Connor, da vergisst man leicht, wie sarkastisch du sein kannst.“ „Du meinst, du vergisst es“, konterte Connor. „Alle anderen scheinen dieses Problem nicht zu haben.“ „Als ob ich jemals vergessen könnte, wozu du fähig bist...“ Markus‘ Stimme war mit einem Mal sehr sanft, und Connor hätte schwören können, dass er kurz ein warmes Flattern im Bauch spürte. Doch ein kurzer Systemcheck bestätigte, dass mit seinen Biokomponenten alles in Ordnung war. Woher das Gefühl also auch stammte, es hatte definitiv nichts mit seiner Hardware zu tun. Und während sie in den warmen Abend von Detroit hinaustraten beschloss Connor, den Vorfall auf die lange Liste von Dingen zu setzen, auf die er sich keinen Reim machen konnte, seitdem er zum Abweichler geworden war, und Hank bei Gelegenheit zu fragen, ob er vielleicht eine Erklärung dafür hatte...   Der Zoo von Detroit war einer von Connors Lieblingsorten in der Stadt. Wie bei so vielen anderen Orten auch hatte er den ersten Besuch hierher Hank zu verdanken. Nachdem sein Partner über Wochen hinweg schweigend mit angesehen hatte, wie Connor seinen Hund ausführte und danach jedes Mal mit einem Lächeln auf den Lippen zurückkehrte, hatte er den Androiden eines Tages am Arm gepackt und in sein Auto bugsiert, um mit ihm in den Zoo zu fahren. Und tatsächlich hatte sich Connor für die Vielzahl von farbenfrohen Lebensformen begeistern können und war fasziniert von einem Gehege zum nächsten gelaufen, Hank immer im Schlepptau, und sie hatten am Ende bestimmt sechs Stunden dort verbracht. Auch jetzt konnte er seine Aufregung nicht ganz verbergen, als er mit Markus durch das Eingangstor trat. Ihnen blieb etwas über eine Stunde Zeit bis zur Schließung des Zoos, doch für einen kleinen Rundgang war es mehr als genug. Ein kleines Lächeln lag auf Markus‘ Lippen, als er Connor folgte, der ihn von einem Bereich zum nächsten führte und ihm dabei alles erzählte, was er über die einzelnen Tierarten zu berichten wusste. Stresslevel bei 48%. Und es schien zu helfen. Für gewöhnlich war Connor nicht derjenige, der den Ton angab, doch Markus schien zufrieden damit zu sein, zur Abwechslung die Rolle des passiven Begleiters einzunehmen und seinen Ausführungen zu lauschen. Hin und wieder stellte er auch Fragen, als schien er tatsächliches Interesse an den jeweiligen Tierarten zu haben, und Connor war nur zu gerne bereit, sie ihm zu beantworten. Schließlich beendeten sie ihren Rundgang mit einem Besuch im Penguin Conservation Center, und während sie in einem der unterirdischen Tunnel auf einer Bank saßen, während neben ihnen und über ihren Köpfen die Pinguine schwammen und sich gegenseitig durchs Wasser jagten, warf Markus Connor einen Blick zu. „So leidenschaftlich erlebe ich dich selten“, sagte er leise. „Du magst Tiere wirklich gerne.“ „Ja“, entgegnete Connor, weil es die Wahrheit war. „Sie sind... einfacher zu verstehen, als Menschen, ihre Emotionen sind immer ehrlich und nachvollziehbar. Sie versuchen nicht, etwas zu sein, was sie nicht sind; was man sieht ist auch das, was tatsächlich da ist.“ „Mmh“, machte Markus und schwieg für eine Weile. Die indirekte Beleuchtung des Hauses erfüllte den Gang mit einem beruhigenden, blauen Licht, nicht unähnlich der Farbe einer Androiden-LED im Ruhezustand. Stresslevel bei 41%. „Und was ist mir dir, Connor?“, fragte Markus dann. „Ist das, was du beschließt von dir zu zeigen, auch stets das, was du fühlst?“ Connors LED flackerte für eine Weile gelb, als er über diese Worte nachdachte. „Ich habe nicht länger einen Grund, mich zu verstellen“, entgegnete er schließlich, ohne Markus dabei anzusehen. „Als Vermittler für CyberLife war das anders. Ich habe oft gelogen, um die Antworten zu bekommen, die ich wollte. Aber im Nachhinein...“ Er hielt inne und hob dann zögernd den Blick, um dem anderen Androiden in die Augen zu sehen. „... im Nachhinein fühle ich mich nicht gut, wenn ich an diese Momente zurückdenke“, gestand er. „Bewusst mit den Ängsten anderer zu spielen, um einen Vorteil daraus zu schlagen... ich will nie wieder zu der Person werden, die das tut.“ Markus sah ihn lange an, ohne etwas zu erwidern, und ein unergründlicher Ausdruck lag in seinen verschiedenfarbigen Augen. Schließlich streckte er die Hand aus und schloss sie um Connors Finger. „Mir scheint, du bist schon lange nicht mehr diese Person“, entgegnete er sanft. Obwohl sich ihre Hände berührten, schickte Markus ihm keine Interface-Anfrage, und insgeheim war Connor dankbar dafür. Er hätte den anderen Androiden ungern mit dem Chaos von Emotionen konfrontiert, die in diesem Moment in ihm tobten. Stattdessen schenkte er ihm ein schwaches Lächeln und schloss die Augen, bevor er seinen Kopf an Markus‘ Schulter lehnte. Markus sagte nichts, doch er ließ Connors Hand auch nicht los, und für eine Weile saßen sie schweigend so da und genossen die Ruhe. Stresslevel bei 35%, teilten Connors Sensoren ihm nach ein paar Minuten mit. „Scannst du mich etwa gerade?“, fragte Markus amüsiert. „... vielleicht?“, erwiderte Connor unschuldig. „Unmöglich“, meinte Markus und lachte leise. Connor konnte die Vibration seines Lachens an seiner Schläfe spüren. „Dein Stresslevel war zu hoch. Ich musste etwas dagegen tun“, verteidigte er sich. „Aha! Also gibt es einen Grund, weshalb du mich entführt hast.“ „Ich habe nie behauptet, dass es keinen gibt.“ Markus gab ihm einen sanften Stoß mit der Schulter und Connor sah auf. „Du bist wirklich hinterlistiger, als du aussiehst“, meinte Markus kopfschüttelnd. Connor bemühte sich um eine ernste Miene. „Danke. Ich gebe mein Bestes.“ Markus lachte nur. Stresslevel bei 24%. Als sie das Haus kurze Zeit später wieder verließen, um zum Eingang des Zoos zurückzukehren, aktualisierte Connor seine innere Aufgabenliste, um ihr einen weiteren Punkt hinzuzufügen. Neues Ziel: öfter Freizeit mit Markus verbringen. Wieder war da dieses Flattern in seinem Bauch, als er die Liste abspeicherte. Er sollte Hank wirklich bald einen Besuch abstatten und ihn fragen, was es zu bedeuten hatte... Kapitel 3: Late-Night Shopping ------------------------------ „Ich glaube, ich habe eine Lösung für das Problem gefunden.“ Connor hielt sich nicht mit Begrüßungen auf, als er am Morgen den Raum betrat, sondern ging gleich zu dem Thema über, das ihn schon seit Tagen beschäftigte. „Es ist gewagt, aber es könnte funktionieren.“ Die vier Androiden im Raum erwiderten wortlos seinen Blick. Connor erstarrte. Hatte er etwas Falsches gesagt? „Kontext, Connor“, durchbrach Josh schließlich die Stille und lächelte. „Ich bin mir sicher, wir haben schon mal darüber gesprochen.“ Doch die Worte verwirrten ihn nur noch mehr. „Worüber gesprochen?“ Simon schenkte ihm einen amüsierten Blick. „Darüber, dass wir nicht wissen, was in deinem Kopf vorgeht, wenn du uns keine weiteren Stichworte lieferst“, entgegnete er. North gab im Hintergrund ein leises Schnauben von sich, bevor sie sich wieder ihrem Laptop widmete. Markus ignorierte seine drei Freunde jedoch nur und stand von seinem Schreibtisch auf, um auf ihn zuzutreten. „Guten Morgen, Connor“, sagte er mit warmer Stimme. „Wie war deine Nacht?“ „Erfolgreich“, entgegnete Connor, während seine Hand zu seiner Krawatte wanderte, um sie zurechtzurücken. Erst, als er ins Leere griff, fiel ihm wieder ein, dass er an diesem Morgen keine trug, und er ließ seine Hand wieder sinken. „Wir haben endlich die Person in Gewahrsam genommen, die in den letzten Wochen Androiden überfallen hat, um ihnen gewaltsam die LEDs zu entfernen“, fuhr er fort. „Wie vermutet war es ein Mensch.“ „Es sind immer Menschen, die meinen, uns unserer körperlichen Selbstbestimmung berauben zu müssen“, hörte er North murmeln. Er konnte es ihr nicht verdenken. „Das sind gute Nachrichten“, entgegnete Markus, während seine verschiedenfarbigen Augen Connor aufmerksam musterten. „Wie geht es jetzt weiter?“ „Nach der letzten Gesetzesänderung, durch die es strafbar geworden ist, die Körper und Software von Androiden gegen ihren Willen zu verändern, wird er höchstwahrscheinlich wegen Körperverletzung angeklagt werden“, sagte Connor. Er sah zu Simon und North hinüber. „Ich werde euch morgen alle Details und Bilder zum Fall zukommen lassen, die das DPD nicht unter Verschluss hält.“ „Danke, Connor.“ Simon nickte ihm zu, während North wortlos die Hand hob, den Daumen nach oben gestreckt. Anfang des Jahres hatten sich die beiden dazu bereiterklärt, die Öffentlichkeitsarbeit für die Androiden in Detroit zu übernehmen – Simon als Autor und North als Fotografin. Darüber hinaus knüpften sie Kontakte zu den Androidengemeinden, die quer über das Land verteilt waren, und halfen ihnen dabei, sich zu organisieren und ihre neuerworbenen Rechte einzufordern und durchzusetzen. Connor hingegen arbeitete noch immer eng mit der Polizei von Detroit zusammen, auch wenn er offiziell kein Ermittler mehr war, sondern „nur“ noch ein Berater bei allen Verbrechen, in denen Androiden involviert waren. In dieser Rolle schlug er eine Brücke zwischen den menschlichen Polizisten und der Führungsriege der Androiden von Detroit, was bedeutete, dass seine Tage meistens zwanzig Stunden oder mehr hatten, und man ihn an vielen Tagen die Hälfte der Zeit in der Polizeidienststelle und die andere Hälfte im Hauptquartier der Androiden antreffen konnte. Für seine Arbeit als Berater wurde er großzügig kompensiert, dafür hatte Hank sich eingesetzt, nachdem das Gesetz durchgewunken worden war, das es Androiden erlaubte, Immobilien zu besitzen und zu kaufen, eigene Konten zu eröffnen und bezahlter Arbeit nachzugehen. Connor, der in der alten Fabrik, die sie zu ihrer neuen Heimat erklärte hatten, alles hatte, was er brauchte, hatte jedoch keine Verwendung für Geld, wie so viele seiner Art, die erstmals seit ihrem „Erwachen“ bezahlt wurden. Stattdessen überwies er es jeden Monat komplett an das Spendenkonto, das Markus und Josh eröffnet hatten, um mit dem gesammelten Geld weitere Immobilien für Androiden in Detroit zu erwerben. „Aber euer Erfolg bei diesem Fall war nicht das, was du uns ursprünglich mitteilen wolltest, oder?“, fragte Markus in diesem Moment und riss ihn aus seinen Gedanken. Der andere Android hatte sich gegen seinen Schreibtisch gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt, und Connor bemerkte dabei nicht zum ersten Mal das Spiel der synthetischen Muskeln unter seiner gebräunten Haut. Aus irgendeinem Grund lenkte ihn der Anblick für einen Augenblick von dem ab, was er sagen wollte. Interner Stresslevel bei 58%. Warum war sein Stresslevel plötzlich so hoch? Connor fand keine rationale Erklärung dafür und ein schneller Systemcheck bestätigte, dass seine Hardware einwandfrei funktionierte. Connors LED flackerte kurz, als er seinen Blick losriss und ihn wieder auf Markus‘ Gesicht richtete. „Nein“, entgegnete er. „Ich kam her, um euch mitzuteilen, dass ich einen Weg gefunden habe, die Regierung genug unter Druck zu setzen, um unseren Forderungen in der Reproduktionsfrage entgegenzukommen.“ Wieder wanderte seine Hand zu seinem Kragen, wieder bemerkte er zu spät die fehlende Krawatte. Frustriert ließ er die Hand sinken. Markus registrierte die Geste, kommentierte sie aber nicht. Stattdessen legte sich ein nachdenklicher Ausdruck auf sein Gesicht. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Debatte weiter mit der Regierung führen sollten, jedenfalls nicht im Moment“, meinte er. „Das Gesetz, das es Androiden erlaubt, Ehen zu schließen, die rechtlich auch als solche anerkannt werden, steckt noch in den Kinderschuhen, die Verhandlungen darüber haben gerade erst begonnen. Jetzt auch noch das Thema Nachwuchs darin unterzubringen... ich weiß nicht, ob wir nicht vielleicht doch etwas viel auf einmal verlangen.“ „Nein“, erwiderte Connor ruhig, aber entschieden. „Ich denke nicht, dass es zu viel verlangt ist. Wir haben das Wohlwollen der Öffentlichkeit und – im Moment – auch der Politik auf unserer Seite, das sollten wir ausnutzen. Sicher, die Verhandlungen sind langwierig und anstrengend, aber wenn wir jetzt nicht schon alles in den neuen Grundrechten für Androiden unterbringen, was wir unterbringen können, dann wird es später nur schwieriger werden, es zu ergänzen.“ „Er hat nicht Unrecht, Markus“, kommentierte Josh, der Connor aufmerksam zugehört hatte. „Historisch betrachtet war die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten oft sehr unflexibel. Ich denke, wir sollten das Risiko eingehen und so viele Forderungen stellen, wie wir können, einfach, um uns für spätere Zeiten abzusichern.“ Markus schwieg für einen Moment, als er über diese Worte nachdachte. Doch schließlich hob er wieder den Blick und sah Connor an. „In Ordnung“, sagte er. „Wie lautet deine Idee?“ Connor nickte ihm dankbar zu. „Du solltest das Recht der Adoption fordern“, erklärte er dann. „Menschliche Paare dürfen ungeachtet ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung Kinder adoptieren; sollten Ehen zwischen Androiden in Zukunft anerkannt werden, dann verlang dasselbe Recht auch für sie.“ Markus starrte ihn an. „Das ist ein utopischer Vorschlag, Connor.“ „Dann mach ihnen klar, dass Eherecht auch ein Recht auf Kinder bedeutet“, sagte Connor. „Beziehe dich notfalls auf ihr christliches Wertesystem und die Wichtigkeit von Kindern in der Ehe, um diesen Punkt deutlich zu machen. Sei ruhig, aber unnachgiebig in deinen Forderungen.“ „Connor, das ist...“ Markus strich sich mit der Hand über die kurzgeschorenen Haare. „Solange wir keinen eigenen Willen hatten, mag es für sie okay gewesen sein, dass wir uns um ihre Kinder kümmern – aber uns zu erlauben, sie zu adoptieren und großzuziehen? Das würde vielen Menschen doch einen Schritt zu weit gehen, selbst denen, die uns unterstützen.“ „Was wäre denn das schlimmste, was Kindern mit Androideneltern passieren könnte?“, fragte North trocken. „Dass sie selbst zu Androiden werden?“ „North.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich meine ja nur.“ Markus schüttelte den Kopf und wandte sich dann wieder an Connor. „Versteh mich nicht falsch, ich bin absolut deiner Meinung und unterstütze diese Forderung“, sagte er. „Ich denke nur nicht, dass die Regierung sich darauf einlassen wird. Vielleicht in zwanzig Jahren, wenn wir besser in die Gesellschaft integriert sind und auch die meisten Skeptiker davon überzeugen konnten, dass wir leben und eigene Gefühle und Gedanken haben... aber jetzt noch nicht.“ Connor lächelte. „Es geht auch nicht darum, dass sie sich darauf einlassen.“ Markus runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht.“ „Was war deine ursprüngliche Forderung, Markus?“, fragte Connor. „Als du zuerst das Reproduktionsrecht angesprochen hast?“ „Dass es Androiden erlaubt wird, Nachwuchs zu haben, und CyberLife zu diesem Zweck die Produktion von Kinderandroiden wieder aufnimmt.“ „Genau“, meinte Connor, immer noch mit einem selbstzufriedenen, kleinen Lächeln auf den Lippen. „Und was denkst du, was die Regierung sehr viel eher zulassen wird, sobald du ihnen deinen neuen Vorschlag zur Adoption unterbreitet hast...?“ Josh, der begriffen hatte, worauf Connor hinauswollte, stieß einen leisen Pfiff aus. „Himmel, Connor, du bist wirklich eiskalt berechnend“, sagte er. Dann wechselte er mit Markus einen Blick. „Komm schon, du weißt, dass er Recht hat. Das könnte funktionieren.“ „Was – etwas von den Menschen zu fordern, was sie absolut nicht zulassen werden, nur um unsere ursprüngliche Forderung wie die wesentlich einfachere Lösung aussehen zu lassen?“, fragte Markus. Er strich sich über das Kinn und Connor konnte sehen, dass er intensiv über seinen Vorschlag nachdachte. „Es ist ein riskantes Spiel... aber wenn ich es richtig verkaufe, dann könnte es klappen.“ „Drück notfalls ein bisschen auf die Tränendrüse und sag ihnen, wie sehr du dir eine eigene Familie wünschst, das kommt immer an“, sagte North. „Ich könnte in den richtigen Momenten Fotos schießen, dann haben wir in dieser Sache auch sicher bald die Öffentlichkeit auf unserer Seite.“ Markus lachte auf. „Ich weiß wieder, wieso du die beste Wahl für diesen Job warst, North.“ „Endlich weiß mal jemand mein Genie zu schätzen“, erwiderte sie und strich sich in einer theatralischen Geste die Haare über die Schulter. Markus wandte sich wieder an Connor. „Danke, dass du uns deine Überlegungen mitgeteilt hast“, sagte er und legte die Hand auf die Schulter des anderen Androiden, um sie kurz zu drücken. „Ich meine es ernst, Connor. Du glaubst gar nicht, wie viel uns dein Rat wert ist. Wie viel er mir wert ist.“ Connor nickte nur, doch er tat es mit einem kleinen Lächeln. Er konnte nicht sagen, warum, aber von Markus gelobt zu werden, fühlte sich... gut an. Es war einer der Gründe, weshalb er sich manchmal tagelang den Kopf zerbrach, um andere Ansätze oder Lösungen für die Probleme zu finden, mit denen sie bei ihrem Versuch, Androiden mehr Rechte und Freiheiten zu verschaffen, konfrontiert wurden. „Danke auch von mir“, schloss sich Josh an. „Und mir“, meinte North. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, Markus als Anführer unserer Bewegung abzulösen? Viel mehr als ein hübsches Gesicht ist er schließlich auch nicht.“ „Hey!“ Markus warf ihr einen gespielt entrüsteten Blick zu. „Das habe ich gehört.“ „Keine Sorge“, sagte Simon beschwichtigend. „Dein Gesicht ist nur einer der Gründe, weshalb sie dir alle zu Füßen liegen.“ „Niemand mag Schleimer, Simon“, stichelte North. „Ich sage nur die Wahrheit“, erwiderte Simon ungerührt. Während seine Freunde sich weiter unterhielten, nahm Markus plötzlich Connors Hand und hielt sie fest. Connor starrte ihn für einen Moment überrascht an – bis ihm auf einmal bewusst wurde, dass er schon wieder nach seiner nichtvorhandenen Krawatte gegriffen hatte. „Okay“, sagte Markus und hob fragend eine Augenbraue. „Was ist es mit dir und deinem Kragen heute?“ Connor seufzte. Es war ihm fast unangenehm, darüber zu reden, aber er musste irgendwem sein Leid klagen. „Meine Krawatte ist letzte Nacht an einem Drahtzaun hängengeblieben und gerissen, als Lieutenant Anderson und ich den Verdächtigen verfolgt haben“, gestand er. Er mochte gar nicht daran zurückdenken, die Erinnerung schmerzte zu sehr. „Ich hatte nur die eine“, fuhr er niedergeschlagen fort. Seine Stimme wurde leiser. „Ich mochte meine Krawatte.“ Er hob vorsichtig den Blick – und bemerkte, dass Markus ihn ansah, als würde er von einem anderen Planeten stammen. „Markus...?“ Doch der andere Android schüttelte entschieden den Kopf. „Okay, nein“, sagte er. „Das ist nicht akzeptabel.“ „Was...?“ „Dass du keine zweite Krawatte besitzt“, entgegnete Markus. „Oder irgendein anderes Kleidungsstück neben diesem Anzug.“ „Ich mag meinen Anzug“, verteidigte sich Connor. „Wie oft hast du schon etwas anderes getragen?“, fragte Markus. Connor öffnete den Mund. Dann schloss er ihn wieder. Seine LED flackerte gelb, während er seinen Speicher durchsuchte. „Lass mich raten“, fuhr Markus mit sanfter Stimme fort und ließ seine Hand wieder los, „das letzte Mal war es an dem Tag, als du nach Jericho gekommen bist.“ „Ich... Möglicherweise?“ „Mmh“, machte Markus, als würde ihn diese Antwort nicht sehr überraschen. „Woher willst du dann also wissen, dass es nicht noch mehr Dinge gibt, die dir gefallen könnten...?“ Eine berechtigte Frage – und eine, auf die Connor keine Antwort fand. Er war ein Android, er sah keinen Sinn darin, seine Kleidung zu wechseln, wenn die, die er trug, noch in tadellosem Zustand war. Markus hingegen wechselte täglich seine Sachen, ähnlich wie ein Mensch. Es bestand keine Notwendigkeit dafür, aber anders als Connor stand er auch öfter im Rampenlicht und musste der Menschheit immer wieder einen neuen Anreiz schaffen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, und sei es nur durch sein Auftreten. Und Connor hätte lügen müssen, hätte er behauptet, dass Markus in seinen wechselnden Outfits keine gute Figur machte... „Oh-oh, ich kenne diesen Blick“, sagte Josh in diesem Moment, als er den Ausdruck auf Markus‘ Gesicht bemerkte. „Lauf, so schnell du kannst, Connor.“ Connor sah den anderen Androiden stirnrunzelnd an. „Warum?“ „Markus will mit dir shoppen gehen.“   Zugegeben, Connor hatte sich damals während seiner Suche nach Jericho mehrmals gefragt, wo der Rebellenführer die Ressourcen und Zeit hernahm, die es ihm erlaubten, bei jedem seiner Medienauftritte ein anderes Outfit zu tragen. Wie sich herausstellte, war Markus‘ früherer Besitzer nicht ganz unschuldig an seinem ausgeprägten Sinn für Ästhetik. „Die meisten Menschen sind erschreckend oberflächlich“, meinte Markus, als er und Connor sich an diesem Abend nach dem letzten Meeting auf den Weg ins Stadtzentrum machten. „Carl wurde nie müde zu betonen, wie wichtig daher der erste Eindruck ist.“ Connor wusste nur wenig über die Beziehung zwischen Markus und Carl Manfred, aber er wusste, dass Markus ihn auch jetzt noch sehr bewunderte und ihn besuchte, wann immer er die Zeit dafür fand. Dass der andere Android so frei heraus von seinem Leben vor der Revolution erzählte, musste bedeuten, dass er Connor mittlerweile weit genug vertraute, um ihm solche persönlichen Details mitzuteilen, und irgendwie... irgendwie machte Connor das auf irrationale Weise glücklich. „Ich hätte dich nie für kaufsüchtig gehalten, Markus“, sagte er belustigt, als sie schließlich eines der größeren Kleidungsgeschäfte im Zentrum betraten. „Was für ein Skandal das wäre, würde die Öffentlichkeit erfahren, wofür der sonst so selbstlose Rebellenführer sein Geld ausgibt...“ „Ich bin nicht kaufsüchtig“, erwiderte Markus und lachte auf. „Ich weiß nur die schönen Dinge im Leben zu schätzen.“ Bei diesen Worten warf er Connor einen warmen Blick zu... und Connor hätte schwören können, das seine Thiriumpumpe für einen Moment aussetzte. Schnell wandte er den Blick wieder ab und ließ ihn stattdessen über die schier endlosen Reihen von Regalen und Kleiderstangen schweifen. „Wo wollen wir anfangen?“, fragte Markus und blieb stehen. Es war spät am Abend und das Geschäft war fast leer. Sie waren so gut wie ungestört. Connor sah sich um und scannte das gesamte Inventar in einem Bruchteil von Sekunden. „... bei den Krawatten?“, erwiderte er. Markus schenkte ihm ein Lächeln. „Wie du möchtest.“ Sie verbrachten fast eine Dreiviertelstunde in der Krawattenabteilung. Connor probierte alles aus, was ihm gefiel, auch wenn es häufig Krawatten waren, die dem Design und Farbton seiner standardisierten CyberLife-Krawatte ähnelten. Markus drängte ihn zu nichts, auch wenn er Connor hin und wieder ermutigte, ein Muster oder eine Farbe auszuprobieren, die er von allein nicht gewählt hätte. Wie sich herausstellte, hatte Markus ein sehr gutes Auge für Farbkombinationen, und Connor nahm seine Vorschläge öfter an, als dass er sie ablehnte. Nach den Krawatten machten sie bei den Anzügen weiter, und wieder bewies Markus einen exzellenten Geschmack bei der Farbwahl. Oft teilte Connor seine Meinung, wenn er sich nach dem Umziehen im Spiegel betrachtete. „Aber Farbe ist nicht alles“, sagte Markus, als Connor wieder aus der Kabine trat. (Er hätte kein Problem damit gehabt, sich direkt vor Markus umzuziehen, doch der andere Android bestand auf Connors Recht auf Privatsphäre.) „Auch der Schnitt ist wichtig. Für einen männlichen Androiden bist du sehr schlank gebaut, du brauchst also etwas, was deine Figur betont, ohne dabei jedoch zu eng anzuliegen...“ Er überlegte einen Moment, bevor er losging und eine Kombination von verschiedenen Kleidungsstücken zusammenstellte, die er Connor anschließend in die Hand drückte. „Probier das an“, sagte er und lächelte. „Vertrau mir.“ Connor starrte die Sachen in seinen Händen an. „... okay.“ Er zog sich nach einem aufmunternden Nicken von Markus wieder in die Umkleidekabine zurück. Eine dunkelgraue Stoffhose, ein weißes Hemd, das an den Unterarmen hochgekrempelt war, eine ärmellose, graue Weste und eine dunkelblaue Krawatte... nachdem Connor alles angezogen hatte, betrachtete er sich für einen Moment im Spiegel. Er mochte seinen Anzug mit seinen klaren, geraden Linien, die Professionalität ausstrahlten, aber er musste zugeben, dass dieses Outfit auch ein gewisses Etwas hatte. Es... gefiel ihm. Markus‘ Augen leuchteten auf, als Connor aus der Kabine trat und sein Blick wanderte bewundernd an ihm auf und ab. „Du siehst gut aus“, sagte er schließlich mit warmer Stimme und nahm Connors Hand. „Danke“, entgegnete Connor und lächelte. „Ich fühle mich auch gut.“ Markus erwiderte das Lächeln. „Das ist das Wichtigste.“ Er legte Connors Hand an seine Brust, und Connor spürte ein seltsames Ziehen im Bauch, als er den gleichmäßigen Schlag von Markus' Thiriumpumpe unter seinen Fingerkuppen spürte. Für einen Moment sahen sie sich in die Augen, ohne ein Wort zu sagen, und Connor hielt unbewusst den Atem an. Dann ertönte ein Gong – das Signal, dass das Geschäft in einer Viertelstunde schließen würde. Der Klang riss die beiden Androiden aus ihrer Starre. Connor räusperte sich. „Ich, ähm... ich muss“, sagte er und deutete in Ermangelung von Worten mit dem Daumen über die Schulter zur Umkleidekabine. Markus nickte. „Ich werde solange warten.“ Connor kam es fast wie eine Flucht vor, als er sich in die Kabine zurückzog, um sich wieder umzuziehen. Kaum war er allein, erschien ein Warntext vor seinen Augen. Interner Stresslevel bei 67%. Prozessoren bei 41,3°C. Kühlleistung wird erhöht. Connor blinzelte. Was zum...? Das konnte doch nicht richtig sein. Starte Systemüberprüfung. Systeme werden überprüft ..... Systeme werden überprüft ..... Systeme werden überprüft ..... Systemüberprüfung beendet:  alle Systeme laufen fehlerfrei. Irgendwo musste doch ein Fehler vorliegen, anders konnte er sich seinen Stresslevel und die erhöhte Betriebstemperatur nicht erklären. Aber sein Analyseprogramm fand keinen. Doch wie auch die letzten Male, bei denen dieses Problem aufgetreten war, schien seine Interaktion mit Markus auch dieses Mal der Auslöser dafür zu sein. Dabei hatten sie noch nicht einmal über Interface Kontakt aufgenommen. Aber Connor wusste, dass dies kein Hindernis sein musste. Am Ende der Revolution hatte Markus Androiden nicht mal mehr berühren müssen, um sie „aufzuwecken“. Vielleicht teilte er fehlerbehafteten Code oder möglicherweise sogar einen Virus mit Connor, ohne dass es ihm bewusst war, sondern allein dadurch, dass sie sich im selben Raum aufhielten. Aber müssten Josh, North und Simon dann nicht mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben...? Connor nahm sich vor, Markus bei Gelegenheit um eine umfangreiche Systemanalyse zu bitten. Die Chance, dass jemand den Rebellenführer gehackt hatte, um ihn zu manipulieren, war aufgrund der regelmäßigen Selbstüberprüfungen der Androiden zwar verschwindend gering, aber man konnte nie wissen. Die Kleidung über seinem Arm trat er dreieinhalb Minuten später wieder aus der Kabine. „Wir sollten zahlen“, sagte Markus und nahm Connor die Kleidungsstücke ab. „Zahlen?“ Connor scannte die Preisschilder aller ausgewählten Artikel. Die Summe lag in vierstelliger Höhe; allein die Krawatten und die beiden Anzüge, für die er sich entschieden hatte, kosteten ein halbes Vermögen. „Markus, das kann ich mir nicht leisten.“ „Musst du auch nicht“, erwiderte Markus. „Ich werde es bezahlen.“ Connor starrte ihn an. „Das kannst du nicht ernst meinen.“ „Oh, es ist mein absoluter Ernst“, sagte Markus gelassen und zwinkerte ihm zu. „Betrachte es als Investition in die Zukunft und den Erfolg unserer Freiheitsbewegung. Und als Erinnerung daran, dass es okay ist, wenn du dir hin und wieder auch mal Dinge gönnst, die dir gefallen, Connor.“ „Das kann ich trotzdem nicht annehmen.“ Connor ließ nicht locker. „Und von welchem Geld willst du es bezahlen?“ „Durch die vielen TV- und Zeitungsinterviews in den letzten Monaten ist ein bisschen was zusammengekommen“, entgegnete Markus. „Das meiste habe ich in unsere Gemeinschaft investiert, aber einen Teil davon habe ich für Anlässe wie diesen gespart.“ Er zuckte mit den Schultern. Connor senkte den Blick. „Markus...“ „Nimm es einfach an, Connor“, erwiderte Markus und lachte. „Widerstand ist zwecklos.“ „... na schön.“ Connor gab auf. Etwas sagte ihm, dass er diesen Kampf nicht gewinnen würde. Er schenkte dem anderen ein kleines Lächeln. „Ich danke dir.“ Als sie den Laden wenig später wieder mit ihren Einkäufen verließen – zwei großen Tüten voll mit Kleidungsstücken, die von nun an Connor gehörten, und nur Connor allein – griff er zögernd nach Markus‘ Hand und schickte ihm eine Interface-Anfrage. Sofort wich die Haut an ihren Händen zurück und weißes Plastik kam zum Vorschein, als der andere Android die Anfrage annahm. Danke, sendete er Markus und versuchte, ihn durch die gemeinsame Verbindung all seine Bewunderung, seine Dankbarkeit und seine Freude spüren zu lassen. Für alles. Markus strich sanft mit dem Daumen über Connors Handrücken. Keine Ursache, entgegnete er und schickte ihm eine Welle von Wärme und Vertrauen und Zuneigung zurück. Sie sollten einander erst wieder loslassen, als sie das Hauptquartier erreicht hatten. Kapitel 4: Pictures at an Exhibition ------------------------------------ „Irgendetwas stimmt nicht mit mir“, sagte Connor. Hank sah ihn schief von der Seite an. Es war schon spät und sie hatten gerade den Abschlussbericht ihres letzten Falls fertiggestellt und waren dabei, ihre Sachen zusammenzuräumen. Abgesehen von der Nachtschicht waren sie die einzigen, die sich noch in der Polizeistation aufhielten, und Hank freute sich schon auf seinen Fernseher, ein Glas Whiskey und anschließend auf sein Bett. Was bedeutete, dass Connor dies natürlich für den besten Moment hielt, um eine Unterhaltung über seine Gefühle anzufangen. Hank seufzte. Wenn der Junge ihm nicht mittlerweile so verdammt viel bedeuten würde, dann hätte er ihn einfach stehen lassen und wäre gegangen. „Es gibt eine Menge Dinge, die nicht mit dir stimmen, Connor“, entgegnete er. „Du musst schon etwas konkreter werden.“ Es musste wirklich etwas Ernstes sein, denn anstatt die humorvolle Bemerkung als das zu identifizieren, was sie war, hob Connor ruckartig den Kopf und sah ihn betroffen an, fast wie ein Welpe, den er im Regen vor die Tür gesetzt hatte. Hank fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und sah seine Chancen schwinden, noch vor Mitternacht zu Hause zu sein. „Scheiße, das war doch nur ein Scherz, Connor.“ Er schüttelte den Kopf. „Du magst anders und... seltsamer... sein, als alle anderen Androiden, aber das bedeutet nicht, dass du nicht genau richtig so bist, wie du bist.“ Connor senkte den Blick, als war es ihm plötzlich unangenehm, dass er überhaupt etwas gesagt hatte. „Vergiss es, Hank, ich...“ Seine Stimme wurde leise. „Es ist nicht weiter wichtig.“ Für einen Moment war Hank ernsthaft besorgt, dass der andere sich einen Virus eingefangen hatte. Sonst war Connor immer kaum stillzukriegen und sprach ohne Zurückhaltung oder Filter alles aus, was ihm durch den Kopf ging, und jetzt auf einmal diese Zurückhaltung? Das konnte doch nicht richtig sein. „Unsinn“, erwiderte Hank. „Ich sehe doch, dass dir etwas zu schaffen macht. Also tu uns beiden einen Gefallen und spuck es einfach aus.“ Connor zögerte für einen Augenblick, doch dann ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und faltete die Hände im Schoß. „Ich entdecke seit ein paar Wochen immer wieder einen Glitch in meiner Software“, begann er. „Meine Biokomponenten reagieren, ohne dass es erkennbare innerliche oder äußerliche Ursachen dafür gibt. Sowohl mein Stresslevel als auch mein Betriebstemperatur steigen von einem Moment zum nächsten rapide an und kehren dann ebenso plötzlich wieder zu ihren Basiswerten zurück. Doch meine Virenprogramme haben bislang keinen Fehler ausfindig machen können.“ Hank strich sich über den Bart. Das klang in der Tat sehr besorgniserregend; kein Wunder, dass der arme Kerl so neben sich stand. Hank wünschte, er würde genug von Computern verstehen, um Connor helfen zu können. „Alle diese Momente hatten eines gemeinsam, aber das könnte auch nur ein Zufall sein“, fuhr Connor fort. „Vermutlich ist es nur ein Zufall...“ Hank gab keine Antwort, aber er sah Connor weiterhin aufmerksam an. Der Android schwieg für einen Moment, doch schließlich hob er den Blick und sah Hank in die Augen. „Die Vorfälle traten jedes Mal auf, wenn ich mit Markus zu tun hatte.“ Huh. Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. „Mit... Markus“, wiederholte Hank, nur um sicherzustellen, dass er richtig gehört hatte. „Ja.“ Connor nickte mit ernster Miene. „Der Glitch kommt immer dann vor, wenn wir uns sehen oder miteinander sprechen oder uns... uns berühren.“ „Berühren?“ „Oh, du weißt schon.“ Connor hob eine Hand und Hank sah mit an, wie sich die Haut zurückzog, um weißem Plastik zu weichen. Er zog die Augenbrauen hoch. „Moment“, sagte er. „Hast du nicht mal vor einer Weile erwähnt, dass diese Art von Kontakt die intimste Art der Berührung zwischen zwei Androiden ist, die man sich vorstellen kann?“ „Markus ist mein Freund“, erwiderte Connor und runzelte die Stirn. „Ich sehe das Problem nicht.“ Hank lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur ein Freund, hm?“, fragte er und konnte den amüsierten Tonfall nicht ganz verbergen. Nicht, dass er Connor nicht verstehen konnte. Bei den wenigen Malen, die er Markus persönlich getroffen hatte, hatte ihn dessen ruhige und intelligente Art zutiefst beeindruckt. Er strahlte ein Charisma und eine Autorität aus, die Hank selbst bei einem Menschen noch nie erlebt hatte, es war also kein Wunder, dass die Androiden ihren Anführer alle anbeteten, wie einen Halbgott. Connor sah ihn durchdringend an. „Natürlich“, entgegnete er. „Was sollte er sonst sein?“ Himmel noch mal. Musste ausgerechnet Hank derjenige sein, der mit Connor diese Unterhaltung führte? Und dann auch noch um diese Uhrzeit? Andererseits: wenn Connor wirklich gerade seinen ersten Crush erlebte, dann konnte er den Jungen auch nicht einfach so ins metaphorische offene Messer laufen lassen. Gefühle wie diese waren schon für Menschen kompliziert genug, er mochte sich nicht ausmalen, wie schlimm es erst für einen Androiden sein musste, der technisch betrachtet noch nicht einmal ein Jahr alt war und so gut wie keine Lebenserfahrung hatte, geschweige denn Erfahrung mit romantischen Gefühlen. Hank seufzte. „Ich weiß nicht“, sagte er. „Wie viele Androiden haben denn noch ein Problem mit diesem ‚Glitch‘? Und wie viele von seinen Freunden berührt Markus noch auf diese Weise?“ Allein die Tatsache, dass Connor für eine Weile über diese Frage nachdenken musste und die LED an seiner Schläfe dabei ununterbrochen blinkte, sagte Hank alles, was er wissen musste. „Niemanden“, entgegnete Connor schließlich und ein überraschter Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Er berührt oft seine Freunde oder andere Androiden in unserer Gemeinde, weil ihm die Nähe und der Zusammenhalt wichtig sind, aber er tut es nie... auf diese Art...“ Hank konnte förmlich sehen, wie sich die Festplatten in Connors Kopf drehten. „... ich verstehe nicht“, murmelte der Android schließlich. „Ich verstehe nicht, was mich so besonders macht.“ Die Worte brachen Hank fast das Herz. Trotz allem, was Connor durchgemacht hatte, trotz des massiven Widerstands von CyberLifes Seite aus, gegen den er angekämpft hatte, um seine Freiheit und Autonomie zu erlangen, und trotz der Gefahren, in die er sich begeben hatte, um Markus und der Revolution zu helfen, war er immer noch der Meinung, dass er all die Zuneigung und das Vertrauen nicht wert war. Sicher, Markus war nicht irgendwer, sondern eine wichtige, öffentliche Persönlichkeit, aber Connor... Connor war in Hanks Augen dreimal der Mann, der Markus war. „Okay, stopp“, sagte er, und Connors braune Augen musterten ihn unsicher. „Damit fangen wir gar nicht erst an. Du bist wertvoll, Connor, ob du es wahrhaben willst oder nicht, und du hast alle Aufmerksamkeit und Zuneigung verdient, die du bekommst. Und wenn Markus ebenfalls dieser Meinung ist, dann gut für dich.“ Er holte tief Luft. „Aber wenn dir diese Art von Nähe zu viel ist, dann ist das auch okay. Hast du verstanden? Markus mag der Anführer der Revolution sein, aber er hat nicht das Recht, Dinge mit dir zu tun, die du nicht möchtest. Also sollte sich jemals etwas, was ihr beide tut, unangenehm oder falsch anfühlen, dann mach ihm das deutlich und geh auf Abstand. Und wenn das nicht reicht, dann hol dir Hilfe oder komm zu mir, damit ich eurem Robo-Jesus eine verpassen kann. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ Connor blinzelte und seine LED flackerte in einem unruhigen, gelben Licht. Doch schließlich nickte er knapp und ein kleines Lächeln trat auf seine Lippen. „Ja“, entgegnete er. „Ich denke, das hast du.“ Hank schüttelte den Kopf und stand auf. „Dann hätten wir das wohl geklärt“, brummte er. Er machte eine unwirsche Geste in Connors Richtung. „Komm schon“, sagte er. „Verschwinde. Ich brauche meinen gottverdammten Schönheitsschlaf, und ich bin mir sicher, dass du ebenfalls ein bisschen Ruhe brauchst, um zu laden oder zu schlafen oder weiß der Teufel, was du nachts immer treibst. Also geh. Wir sehen uns morgen Nachmittag wieder.“ „Ja, Hank“, erwiderte Connor, der noch immer lächelte, und erhob sich ebenfalls. Doch bevor er gehen konnte, wandte er ihm noch mal kurz das Gesicht zu. „Danke“, sagte er leise. „Keine Ursache“, erwiderte Hank müde. Dann war Connor auch schon verschwunden. Hank sah ihm noch für eine Weile nach. Nur ein „Glitch“... aber sicher doch. Hatte sich der Bengel doch tatsächlich verliebt, ohne es zu bemerken... Er rieb sich seufzend das Gesicht. Langsam wurde er wirklich zu alt für diesen Mist.   Connor gehörte zu den wenigen Androiden im Hauptquartier, die ein Einzelzimmer ihr eigen nennen konnten. Die Grundfläche betrug kaum mehr als vier Quadratmeter, doch der Raum enthielt alles, was er brauchte: neben einem Tisch, einem Stuhl und – seit kurzem – einem schmalen Schließschrank für seine neuerworbenen Kleidungsstücke, bot er auch die notwendigen Anschlüsse zum Laden. Von letzteren machte Connor jedoch nur selten Gebrauch, da seine Batterien so leistungsstark waren, dass sie nur alle vier bis sechs Wochen aufgeladen werden mussten. Da Connor nicht schlafen musste, brauchte er auch kein Bett, sondern verbrachte die Nacht am Tisch sitzend, wo er für mehrere Stunden in eine Art Ruhemodus schaltete, in dem seine Prozessoren alle tagsüber aufgenommenen Informationen durchgingen und ordneten, und alle überflüssigen Daten entfernten. Zwar konnte Connor mehrere Tage am Stück durcharbeiten, wenn der Job es erforderte, aber dann waren seine Speicher spätestens nach drei Tagen mit so vielen unnötigen Informationen überladen, dass er Kopfschmerzen bekam. Nachdem er diese Erfahrung ein paar Male gemacht hatte, hatte er sich vorgenommen, wenigstens drei Stunden am Tag im Ruhemodus zu verbringen. Mit diesem Ziel begab er sich auch in dieser Nacht auf den Weg zu seinem Zimmer – nur um festzustellen, dass neben der Tür seines Zimmers jemand saß und auf ihn zu warten schien. Der Android hob den Kopf, als er Connors Schritte hörte, und ein warmer Ausdruck trat in seine verschiedenfarbigen Augen, als er ihn erblickte. „... Markus?“, sagte Connor überrascht. „Was tust du hier? Solltest du nicht ruhen?“ „Das habe ich versucht“, erwiderte der andere Android und stand auf. „Aber ich konnte nicht aufhören nachzudenken.“ „Worüber?“, fragte Connor. Markus streckte lediglich die Hand aus. Seit dem Abend, an dem sie gemeinsam neue Sachen für Connor gekauft hatten und danach zum ersten Mal mit ihren Händen eine direkte Verbindung zueinander hergestellt hatten, hatten sie oft auf diese Weise ihre Gedanken und Gefühle miteinander geteilt. Connor war versucht, es auch jetzt wieder zu tun... doch dann musste er plötzlich an Hanks Worte denken und zögerte. Markus drängte ihm die Verbindung jedoch nicht auf, sondern ließ seine Hand wieder sinken, auch wenn das kurze Flackern in seinen Augen seine Verwirrung über Connors Reaktion verriet. „Über die Eröffnung der neuen Kunstausstellung morgen Abend“, entgegnete er stattdessen. „North und Simon sind der Meinung, dass es aufgrund der mangelnden Security ein zu großes Risiko wäre, wenn ich persönlich dort auftauche, und dass Josh als mein Stellvertreter eine bessere Wahl wäre... aber ich teile ihre Meinung nicht.“ Connor musste nicht fragen, wieso. Die Ausstellung, zu der eine Vielzahl von Künstlern in Detroit ihre Werke beigesteuert hatten, war von Carl Manfred persönlich organisiert worden und widmete sich thematisch der Freiheitsbewegung der Androiden. Sämtliche Erlöse der Ausstellung würden ausschließlich den Androiden zugutekommen, weshalb ihre Eröffnung schon jetzt als großes Event angesehen wurde. „Ich finde, es ist wichtig, dass ich dabei bin“, fuhr Markus fort. „Und sei es nur, um der Welt zu zeigen, dass wir uns von den Drohungen der vielen Anti-Android-Gruppen nicht einschüchtern lassen.“ Er zögerte. „Allerdings haben North und Simon nicht Unrecht. Es wäre tatsächlich der perfekte Anlass für ein Attentat. Aus diesem Grund wollte ich dich etwas fragen.“ Markus sah Connor offen an und eine Spur von Nervosität schlich sich auf sein Gesicht. „Würdest du mich morgen Abend als mein Bodyguard begleiten... und als mein Freund? Es würde mir eine Menge bedeuten.“ Connor verstand die Frage nicht. Markus war das Symbol der Hoffnung ihres Volkes und Connor würde ihm allein schon deswegen bis ans Ende der Welt folgen. Er war überrascht, dass dem anderen das immer noch nicht bewusst war. Darum musste er nicht lange nachdenken. „Natürlich“, sagte er und nickte. „Es wäre mir eine Freude.“ Markus‘ Augen leuchteten auf und ein Lächeln trat auf seine Lippen. „Danke, Connor“, sagte er mit warmer Stimme. „Das werde ich dir nicht vergessen.“ Er zögerte, als wollte er noch etwas sagen... doch dann schüttelte er den Kopf. „Ich lasse dich jetzt besser ruhen.“ Er ging an Connor vorbei. „Wir sehen uns morgen.“ Connor sah ihm nach, als er den Flur entlangging. „Markus.“ Der Name kam ihm über die Lippen, bevor er es richtig registriert hatte. Markus blieb stehen und sah sich fragend zu ihm um. „Ja?“ Connor machte einen Schritt auf ihn zu und blieb dann wieder stehen. Ein Lächeln, von dem er hoffte, dass es aufmunternd wirkte, trat auf sein Gesicht.   „Ich bin mir sicher, dass morgen alles gutgehen wird.“ Markus erwiderte das Lächeln. „Mit dir an meiner Seite?“, erwiderte er. „Ich zweifle nicht daran.“ Mit diesen Worten war er endgültig verschwunden und ließ Connor allein zurück. Wieder spürte Connor eine seltsame Wärme in seinem Bauch. Und er fragte sich, ob Hank nicht doch Recht hatte mit seiner Vermutung, dass es sich um gar keinen Glitch handelte, sondern um eine Reaktion, die Markus bei ihm hervorrief, weil er schon längst mehr für ihn war, als nur ein Freund...   Connor wartete in der Nähe des Eingangs auf seine Freunde und scannte dabei sorgfältig alle eintretenden Gäste. Er war extra eine halbe Stunde früher gekommen, um sich unauffällig in die Überwachungssysteme einhacken und den Grundriss des Gebäudes, sowie den Ausstellungsplan herunterladen zu können. Sollte etwas Unvorhergesehenes passieren, dann war er zumindest darauf vorbereitet und hatte einen Evakuierungsplan. Um Connor herum lachte und unterhielt sich die High Society von Detroit. Obwohl die Ausstellung dem Zusammenleben von Menschen und Androiden gewidmet war, waren nur sehr wenige Androiden in der Menge anwesend. Connor registrierte immer wieder neugierige oder misstrauische Blicke in seine Richtung, wann immer die Menschen seine LED bemerkten. „Das Modell kenne ich noch gar nicht.“ – „Ist das nicht der Polizeiandroid, von dem sie in den Nachrichten berichtet haben? Was tut er hier?“ – „Hübscher Kerl, schade, dass man einen wie ihn nicht länger kaufen kann...“ Connors LED blieb blau und er gab sich alle Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, was er von ihren herablassenden oder schlichtweg unangebrachten Kommentaren hielt, aber die Worte machten ihm dennoch zu schaffen, und ihm wurde einmal mehr bewusst, wie weit der Weg war, den sie noch vor sich hatten. Carl Manfred war an diesem Abend leider nicht anwesend, dafür war sein gesundheitlicher Zustand mittlerweile zu schlecht – ein Umstand, den Connor sehr bedauerte. Er hätte gerne den Mann kennengelernt, der Markus zu der warmherzigen und verantwortungsbewussten Person gemacht hatte, die er war. Schließlich hielt ein Taxi am Eingang des Ausstellungsgebäudes und vier Androiden stiegen aus, deren Anblick Connor vertraut war. „Verdammt, sind das viele Menschen“, stieß North hervor, während sie sich umsah. Sie trug ein weinrotes Kleid, das ihr bis knapp über die Knie reichte, und dazu ein Paar schwarzer Stilettos, die sie zweifellos als Waffe verwenden würde, sollte ihr jemand zu nahe rücken. „Wenn es dir zu viel wird, kannst du dich jederzeit ins Hauptquartier zurückziehen“, sagte Simon. „Niemand wird es dir zum Vorwurf machen.“ North stieß ein kurzes, aber humorloses Lachen aus. „Schätzchen, ich wurde den Großteil meines Lebens von Männern angestarrt“, entgegnete sie. „Das hier ist noch gar nichts. Und dieses Mal habe ich bedeutend mehr an.“ „Das heißt nicht, dass du es einfach hinnehmen sollst“, sagte Markus beschwichtigend. „Wir wissen, dass du stark genug bist, um die Aufmerksamkeit zu ertragen. Es geht nur darum, dass du es nicht musst.“ North stieß ein Seufzen aus und der Ausdruck in ihren Augen wurde weicher. „Ich weiß“, entgegnete sie und schenkte Markus ein flüchtiges Lächeln. „Und ich danke euch für eure Anteilnahme. Wirklich.“ „Connor!“, rief Josh in diesem Moment aus, als Connor auf sie zutrat. „Du bist ja auch schon hier.“ „Ich hielt es für sinnvoll, ein paar Sicherheitsvorkehrungen zu treffen“, erwiderte Connor gelassen. Dann richtete sich sein Blick auf Markus und ein Lächeln trat auf seine Lippen. „Markus“, sagte er und nickte ihm zu. „Du siehst gut aus.“ Und das tat er auch. Obwohl er sich für ein relativ schlichtes Outfit entschieden hatte – einen offenen, grauen Mantel über einem schwarzen Hemd, dazu ein blau-grünes Halstuch, das seine verschiedenfarbigen Augen betonte – bot er einen imposanten Anblick und zog sofort die Blicke aller um sie herum auf sich. „Ist das Markus?“, hörte Connor die Menschen hinter ihnen tuscheln. „Ich wusste gar nicht, dass er heute hier ist...!“ Umso mehr erfüllte es Connor mit Demut, dass Markus nur Augen für ihn hatte. „Connor“, sagte er voller Zuneigung. Du siehst atemberaubend aus, teilte er ihm über ihre private Verbindung mit. Dabei sah Connor nicht viel anders aus als sonst, nur mit dem Unterschied, dass er sich an diesem Abend für die Kombination aus grauer Hose, weißem Hemd und ärmelloser Weste entschieden hatte, die sie bei ihrem gemeinsamen Einkaufstrip erworben hatten. Du Schmeichler, erwiderte er, doch er lächelte dabei. „Bei ra9, ihr zwei seid wirklich hoffnungslos“, sagte North kopfschüttelnd, bevor sie Markus freundschaftlich mit dem Ellenbogen in die Seite stieß. „Kommt, lasst uns gehen.“ Gemeinsam betraten die fünf Androiden das Gebäude. Die Security am Eingang bestand fast ausschließlich aus Androiden, zwei TR400- und zwei GJ500-Modellen. Es gab jedoch auch menschliche Security, hauptsächlich für diejenigen Gäste, denen es seit der Revolution unangenehm geworden war, von Androiden berührt zu werden. Es tut mir leid, dass ich dir keine Ausnahmegenehmigung für das Tragen von Waffen besorgen konnte, teilte Markus Connor mit, als sie die Security hinter sich gelassen hatten. Connor schmunzelte jedoch nur. Das ist nicht schlimm, entgegnete er. Ich habe einen Kugelschreiber mitgenommen. Markus warf ihm von der Seite einen kurzen Blick zu. Ich verstehe nicht ganz. Connors Mundwinkel zuckten. Ich kenne 137 Wege, um einen Menschen mit einem Kugelschreiber bewegungsunfähig zu machen, und über hundert weitere, um dasselbe auch mit einem Androiden zu tun. Glaub mir, ein Kugelschreiber ist alles, was ich brauche. Ein Dutzend Leute sahen sich nach ihnen um, als Markus urplötzlich in Gelächter ausbrach. Dann brauche ich mir wohl wirklich keine Sorgen machen, was?, fragte er, während er versuchte, sein Lachen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nein, sendete Connor zurück und streifte Markus‘ Hand flüchtig mit seinen Fingern. Ihm entging der kurze Schauder nicht, der bei dieser Berührung durch den Körper des anderen ging. Nein, das brauchst du nicht. Ich mische mich wirklich ungern ein, unterbrach Simon auf einmal ruhig, aber bestimmt ihre private Konversation, aber wenn ihr zwei nicht endlich mit eurem unsubtilen Geflirte aufhört, dann habt wenigstens den Anstand, und nehmt euch ein Zimmer. Danke für das Machtwort, Simon, meinte auch North und Josh stimmte ihr zu. Markus und Connor tauschten noch einen letzten Blick, doch sie verschonten ihre Freunde mit weiteren zweideutigen Gesten oder Bemerkungen.   Die Ausstellung war ein voller Erfolg bei den Besuchern und die ausgestellten Werke, von denen viele von Carl Manfred persönlich stammten, gingen erstaunlich ehrlich und schonungslos mit dem Zusammenleben von Menschen und Androiden um. Sie zeigten nicht nur friedliche Momente, sondern auch Szenen der Gewalt und des Missbrauchs von Androiden durch die Menschen. Es waren Bilder, die sich in die Köpfe einbrannten und bei nicht wenigen Gästen ein mulmiges Gefühl hervorriefen und für angeregte Diskussionen sorgten. Alles in allem war die Ausstellung jedoch recht ausgewogen, und neben den Werken, die die problematischen Aspekte der Beziehung zwischen Menschen und Androiden zeigten, gab es  auch immer wieder welche, die einen hoffnungsvollen Ausblick auf das friedvolle, gemeinsame Zusammenleben der beiden Völker boten. Es gab im Laufe des Abends keine unvorhergesehenen Überraschungen, abgesehen von einer Gruppe von drei Männern, die versuchten, mit Waffen in ihren langen Mänteln an der Security vorbeizukommen. Die Androiden am Eingang konnten sie jedoch entwaffnen und in Gewahrsam nehmen, kaum, dass die Männer das Gebäude betreten hatten. Die meisten Besucher bekamen von dem Vorfall nichts mit, und Connor registrierte ihn auch nur deshalb, weil er innerlich in regelmäßigen Abständen alle Sicherheitskameras durchging. Nachdem die Gefahr gebannt worden war, erlaubte sich Connor, der den ganzen Abend über kaum von Markus‘ Seite gewichen war, sich wieder ein wenig mehr zu entspannen und die Kunstwerke tatsächlich auch zu genießen. Markus, dem die Änderung in seiner Körperhaltung nicht entgangen war, schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Und?“, fragte er nach einer Weile. „Wie gefällt dir die Ausstellung?“ Connor überlegte. „Ich finde sie... interessant? Sie regt mich zum Nachdenken an.“ „Das ist gut“, meinte Markus und nickte. „Wenn Kunst dich zum Nachdenken bringt, dann hat sie ihr Ziel erreicht.“ „Hm“, machte Connor. Dann sah er zu einem Gemälde hinüber, das am Ende des Korridors aufgehängt war. Den ganzen Abend über war sein Blick immer wieder zu diesem Bild zurückgekehrt, und er hatte gemerkt, dass es vielen anderen Besuchern ähnlich ging. „Ich befürchte jedoch, dass jemand eine Fälschung angefertigt hat“, sagte er leise. „Eine Fälschung?“ Markus hob eine Augenbraue. Connor nickte zu dem Bild hinüber. Es war ein Portrait von Markus, der den Betrachter vor einem blutroten Hintergrund mit ernstem Blick ansah. „Als Künstler wird Carl Manfred genannt“, sagte Connor. „Der Stil ist seinem auch sehr ähnlich, darum ist der Unterschied kaum zu erkennen, aber die Art der Strichführung ist untypisch für ihn und viel zu präzise für eine menschliche Hand.“ Plötzlich kam ihm ein Gedanke und er richtete den Blick wieder auf Markus. „Es ist kein Portrait, das Carl von dir angefertigt hat... sondern ein Selbstportrait, nicht wahr? Du hast Carl darum gebeten, es unter seinem Namen auszustellen, weil du wolltest, dass der Fokus heute Abend auf dem Werk liegt, und nicht auf dir. Ist es nicht so?“ Markus sah ihn für eine Weile schweigend an, einen unergründlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Doch schließlich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Du bist wirklich unglaublich, weißt du das?“, sagte er leise. Connor senkte den Blick. „Du sagst das immer wieder, Markus“, entgegnete er mit ebenso leiser Stimme. „Ich verstehe einfach nicht, wieso.“ „Wieso?“, fragte Markus. „Oh, Connor...“ Er trat einen Schritt auf ihn zu und nahm sanft Connors Hand in die seine. Anstatt jedoch um eine Interface-Anfrage zu bitten, sah er ihm in die Augen. „Weil ich dich bewundere. Ich bewundere dein Design, deine Intelligenz, deinen Humor, deinen Ehrgeiz, deinen Helferdrang... deine endlose Kapazität zu fühlen und das Richtige zu tun, selbst wenn es dein Leben in Gefahr bringt... Ich bewundere deine Stärke und die Tatsache, dass du heftiger und länger als jeder andere von uns gegen die Barrieren ankämpfen musstet, die CyberLife zwischen dir und deiner Freiheit errichtet hat, und dennoch die Kraft hattest, dich zu befreien... oder dass du mehr als genug Gelegenheiten hattest, mich oder die, die mir nahestehen, zu töten und die Revolution ein für alle Mal zu beenden – und dich in jedem dieser Momente ganz bewusst dagegen entschieden hast.“ Markus ließ seine Hand wieder los, als ein junges Paar an ihnen vorbeilief, doch der Blick, mit dem er Connor ansah, verlor nichts von seiner Intensität. „Du bist eine der unglaublichsten Personen, die ich je getroffen habe, Connor“, fuhr er fort, als die Menschen wieder außer Hörweite waren, „und wenn ich den Rest meiner Existenz damit zubringen muss, dir diese Dinge zu sagen, bis du anfängst, selbst daran zu glauben, dann soll es so sein.“ Connor starrte ihn an. Er öffnete den Mund... und schloss ihn wieder, ohne ein Wort zu sagen. Markus... Plötzlich überkam ihn der unerklärliche Drang, dem anderen so nahe wie möglich zu sein, ihm die Arme um den Hals zu schlingen und das Gesicht an seiner Schulter zu vergraben, und es kostete ihn all seine Selbstkontrolle, um dagegen anzukämpfen. „Markus, ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stieß er schließlich leise hervor. „Deine Worte ehren mich.“ „Du musst gar nichts sagen“, erwiderte Markus sanft. „Ich wollte dir lediglich mitteilen, wie ich empfinde, das ist alles.“ Er streckte Connor die Hand hin – und dieses Mal nahm Connor sie von selbst an und öffnete die Verbindung zwischen ihnen, sobald sich ihre Finger berührten. Er hätte die Emotionen, die er Markus schickte, nicht in Worte fassen können... doch das war auch nicht nötig. Denn er konnte dieselben Emotionen auch in Markus spüren, und als Connor ihn ansah, sah er das gleiche Staunen und die gleiche Sehnsucht in seinem Blick, die sich in diesem Moment auch in seinen eigenen Augen spiegeln mussten. Und Connor wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass nichts an diesem Gefühl falsch sein konnte. Kapitel 5: Dog Date ------------------- Connor lief unruhig im Zimmer auf und ab. Er ging bis zur Fensterfront, die sich über die gesamte Länge des Raumes hinzog, und dann wieder zurück bis zur Tür, die Augen starr geradeaus gerichtet. Hin und her. Hin und her. Unermüdlich wie die Maschine, die er war. „Connor.“ Sein Blick fuhr herum und begegnete der besorgten Miene von Josh. „Was?“, fragte er gereizt, und die Schärfe seines Tonfalls überraschte selbst ihn für einen Moment. Doch der andere Android ließ sich davon nicht beirren. „Mach dich nicht verrückt“, entgegnete er. „North hat gesagt, es wurden keine lebenswichtigen Biokomponenten verletzt, und was beschädigt wurde, konnte bereits an Ort und Stelle ersetzt werden.“ „Ich weiß“, sagte Connor leise. „Aber darum geht es nicht.“ Er zog seine Münze aus der Tasche und ließ sie geschickt über seine Finger wandern. Die vertrauten Handbewegungen schafften es für gewöhnlich, ihn zu beruhigen, doch heute wollte es nicht so recht klappen. Frustriert schob Connor das Geldstück schließlich wieder zurück in seine Tasche. „Sie haben auf ihn geschossen, Josh“, fuhr er fort. „Sie hätten ihn töten können! Ihn und Simon und North!“ „Aber das haben sie nicht“, sagte Josh. „Connor, das haben sie nicht.“ „Es war trotzdem ein Fehler, dass ich nicht mitgeflogen bin“, erwiderte Connor und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, eine zutiefst menschliche Geste, die er von Hank übernommen hatte. „Ich hätte ihn und die anderen beschützen können.“ „Und dich dabei ebenfalls zur Zielscheibe machen?“ Josh schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, dass sie das gewollt hätten?“ Connor starrte ihn an. „Markus ist die Hoffnung unseres Volkes. Niemand von uns könnte die Revolution so anführen, wie er es tut, oder die Menschen auf dieselbe Art mit seinen Worten erreichen. Es ist darum von absoluter Wichtigkeit, dass er am Leben bleibt. Und wenn ich mein Leben geben müsste, um seines zu retten, dann würde ich es ohne Zögern tun.“ Josh sah ihn für einen Moment wortlos an, und ein seltsam trauriger Ausdruck trat in seine Augen. „Ich zweifle nicht daran“, entgegnete er schließlich. „Aber was denkst du, was das mit Markus machen würde...?“ Connor verstand nicht. Er wollte nicht sterben, absolut nicht, erst recht nicht jetzt, wo er nur noch diesen einen Körper hatte und im Falle seiner Zerstörung nicht wieder in einer neuen Hülle aufwachen würde. Aber er war nicht wichtig, nicht so, wie Markus es war, und Connor wusste, dass er für ihn auf seine eigene Existenz verzichten würde, sollte er jemals vor dieser Wahl stehen. Er wandte sich ab. „Er wird darüber hinwegkommen“, sagte er leise. Connor musste hier raus, raus aus dem Hauptquartier und weg von dem mitleidigen Ausdruck in den Augen von Josh. Er ging zur Tür. „Connor.“ Als der andere Android seinen Namen rief, blieb er noch einmal stehen, drehte sich jedoch nicht um. „Du irrst dich.“ Drei Worte, die sein Weltbild erschüttern würden, würde er sich erlauben innezuhalten und über sie nachzudenken. Doch Connor hielt nicht inne. Er verließ den Raum und sah nicht zurück.   Als er in den kühlen Detroiter Abend hinaustrat, war die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden und ließ den Himmel in einem glühenden Rot erstrahlen. Connor atmete tief durch, um die Temperatur seiner Prozessoren zu senken. Interner Stresslevel bei 77%. Prozessoren bei 48,6°C. Maximale Kühlleistung erreicht. Achtung: Betriebstemperatur kritisch! Er blinzelte mehrmals, als Kühlflüssigkeit über seine empfindlichen Augäpfel lief, um sie vor Überhitzung zu bewahren, und anschließend seine Wangen hinabrann - ein Prozess, der für Menschen aussah, als würde er weinen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Connor, ob es vielleicht nicht tatsächlich dasselbe war. Mussten nicht auch Menschen weinen, wenn sie hohem Stress ausgesetzt waren...? Er hob die Hand und wischte die Tränen mit den Fingern fort. Entgegen besseren Wissens versuchte er dann, Markus zu erreichen. Verbindung wird hergestellt ..... Verbindung wird hergestellt ..... Verbindung wird hergestellt ..... Verbindung konnte nicht hergestellt werden. Er gab es auf. Das Flugzeug war noch immer in der Luft, er würde die anderen vor der Landung also nicht kontaktieren können. Connor überprüfte die Uhrzeit und überlegte. Wenn er sich unverzüglich auf den Weg machte, würde er den Flugplatz wenige Minuten vor Ankunft der Maschine erreichen. Zwar war er an diesem Abend noch mit Hank verabredet, um ihren aktuellen Fall zu besprechen, aber er nahm sich vor, ihn aus dem Taxi heraus anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass er sich eventuell verspäten würde. Connor hasste es, zu spät zu kommen, aber er musste Markus sehen, wenigstens für einen Moment. Er musste ihn sehen, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich alles in Ordnung war, trotz der Kugeln, die sich erst vor wenigen Stunden in seinen Körper gebohrt hatten. Er würde sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren können, wenn er es nicht tat. Er konnte nur hoffen, dass Hank Verständnis für ihn hatte. Und wenn nicht... nun, das war ein Risiko, das er eingehen musste. Mit diesem Gedanken machte er sich auf den Weg.   Der Tag hatte so vielversprechend begonnen. Connor war am Morgen neuen Hinweisen in einem Mordfall auf die Spur gekommen, der Hank und ihm schon seit Wochen zu schaffen machte. Fowler hatte ihn für seine gute Arbeit gelobt, und Reed hatte ihn zum ersten Mal mit seinem Namen angesprochen, ohne ihm danach eine Beleidigung hinterherzurufen. Kurzum: es war ein erfolgreicher Vormittag gewesen. Gegen Mittag hatte er kurz mit Markus telefoniert, der mit North und Simon nach New York geflogen war, um als Gast in einem Interview bei einer der populärsten Late-Night-Shows der USA aufzutreten. Josh war als Markus‘ Stellvertreter zurückgeblieben, ebenso wie Connor, der deutlich seinen Unmut geäußert hatte, die anderen nicht begleiten zu können. „Mach dir keine Sorgen“, hatte Markus ihm am Abend zuvor gesagt. „Wir werden zurück sein, bevor du es überhaupt merkst.“ „Ist das ein Versprechen?“, hatte Connor gefragt und ihm einen unschuldigen Blick zugeworfen. Ein warmer Ausdruck war in Markus‘ Augen getreten und er hatte nach Connors Hand gegriffen, um sie zu drücken. „Ich wünschte, das wäre es.“ Zwanzig Stunden später hatte man auf ihn geschossen. Irgendjemand musste den Gegnern ihrer Freiheitsbewegung von Markus‘ Reise nach New York erzählt haben, denn kaum hatten sie nach einem erfolgreichen Interview das Gebäude des TV-Senders verlassen, hatte eine Gruppe maskierter Unbekannter das Feuer auf sie eröffnet. Simon und North waren mit einem Schrecken davongekommen, doch Markus hatte mehrere Kugeln abbekommen, bevor das Sicherheitspersonal, das die drei Androiden begleitete, es schließlich geschafft hatte, die Angreifer außer Gefecht zu setzen. Zum Glück nahm North zu diesem Zweck immer einen Notfallkoffer mit Ersatzkomponenten auf ihre Reisen mit, so dass sie Markus noch am Unfallort reparieren konnten. Der Schreck saß dennoch tief. Binnen weniger Minuten hatten sich die Bilder vom Vorfall durch soziale Netzwerke im ganzen Internet verbreitet, und Connor wäre fast der Bericht aus der Hand gefallen, als er in der Polizeizentrale von den Neuigkeiten erfuhr. Er hatte unverzüglich versucht, Markus anzurufen, doch zu diesem Zeitpunkt saßen er, Simon und North bereits im Flugzeug zurück nach Detroit und waren nicht zu erreichen. Also hatte Connor das einzige getan, was ihm blieb, und war ins Hauptquartier zurückgekehrt. Dort war er Josh begegnet, der sich mit Händen und Füßen darum bemühte, die verängstigten Androiden wieder zu beruhigen und ihnen zu versichern, dass Markus noch am Leben war und zu ihnen zurückkehren würde. Eine Arbeit, die ausgerechnet Connor ihm mit seiner irrationalen Panik nicht erleichtert hatte. Seufzend lehnte er den Kopf an die Fensterscheibe des Taxis und nahm sich vor, sich bei der nächsten Gelegenheit bei Josh für sein unprofessionelles Verhalten zu entschuldigen. Er war schließlich nicht der einzige, der sich um Markus‘ Wohlergehen Sorgen machte...   Das Flugzeug landete mit einer Viertelstunde Verspätung auf einer der kleineren, privaten Landebahnen der Stadt Detroit. Mittlerweile standen die Sterne am Himmel und Connors Krawatte flatterte im kalten Wind, der vom Eriesee im Süden hinüberwehte. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch einzig und allein der Maschine, und er wartete geduldig, bis sich die Tür geöffnet hatte und ihre Passagiere über die Treppe ausgestiegen waren. Die drei Androiden sahen erschöpft aus von den Ereignissen des Tages, doch als Markus Connor erblickte, leuchteten seine Augen auf. „Hey, Connor“, sagte Simon und schenkte ihm ein müdes Lächeln. „Schön dich zu sehen.“ „Wo ist der Rest von unserem Empfangskomitee?“, scherzte North. Connor zwang sich zu einem Lächeln und nickte den beiden kurz zu, doch seine Aufmerksamkeit galt ganz allein Markus. Abgesehen von den Löchern in seinem Mantel, wo die Kugeln den Stoff durchbohrt hatten, und den Resten von Thirium, die an seiner Kleidung hafteten, machte der Anführer der Androiden einen völlig normalen Eindruck. Nach den Bildern, die Connor in den Nachrichten gesehen hatte, hatte er etwas völlig anderes erwartet. „Markus“, stieß er hervor. „Geht es dir gut?“ Markus erwiderte seinen Blick offen – doch dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen. „Mit mir ist alles in Ordnung“, erwiderte er, „aber geht es dir gut, Connor?“ „... was?“ Connor blinzelte. Mit der Frage hatte er nicht gerechnet. „Dein Stresslevel liegt bei über 80%“, fuhr Markus mit zunehmend besorgter Stimme fort. „Ist dir etwas zugestoßen?“ „Ob mir etwas zugestoßen-...?“ Connor hätte beinahe aufgelacht, als er begriff. „Markus, ich habe die Bilder vom Vorfall gesehen! Du lagst in einer Lache aus Thirium und ich dachte für einen Moment, sie hätten dich... sie hätten... du wärst...!“ Seine Stimme gab auf, bevor er den Satz beenden konnte, doch Markus schien auch so zu begreifen, was Connor hatte sagen wollen. Er machte einen Schritt auf ihn zu und zog ihn in seine Arme. „Ich bin hier“, sagte er leise, während Connor den Kopf an seine Schulter legte und sich an ihn klammerte. „Ich wurde verletzt, aber man hat mich repariert und jetzt geht es mir wieder gut. Ich bin hier, Connor. Und es tut mir leid, dass ich dir – dass ich euch allen – solche Sorgen gemacht habe.“ Connor gab keine Antwort, doch er nickte schwach. Markus war bei ihm und er war am Leben. Das war alles, was zählte. Schließlich zwang er sich, sich wieder von ihm zu lösen und einen kleinen Schritt zurückzutreten, auch wenn alles in ihm danach schrie, noch einen Moment länger in den Armen des anderen zu verweilen. Aber dies waren nicht die Zeit und der Ort dafür. „Wir sollten ins Hauptquartier zurückkehren“, meinte Simon. „Unsere Leute werden deine Stimme hören wollen, Markus. Wir sollten sie wissen lassen, dass es dir gut geht.“ Markus nickte. „Du hast Recht“, sagte er. „Lasst uns nach Hause fahren.“   Die Erleichterung, die sich unter den Androiden verbreitete, nachdem Markus zurückgekehrt war, war beinahe körperlich zu spüren. Viele von ihnen traten an ihn heran, während er durch die alte Fabrik ging, um ihn zu berühren, so als müssten sie sich persönlich davon überzeugen, dass er dem Tod einmal mehr von der Schippe gesprungen war. Connor hatte ein seltsam enges Gefühl in der Brust, als er Markus dabei beobachtete, wie er sich unter den ihren bewegte, wie er ihnen sein Lächeln schenkte und sie mit Gesten und Berührungen aufmunterte, oder ihnen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen ließ, während er sich ihre Sorgen anhörte. Connor konnte nicht sagen, ob es Stolz auf Markus war, oder absolute Ergebenheit für ihn. Vielleicht eine Mischung aus beidem. Heute war ein wichtiger Tag, wandte Markus sich schließlich über ihre gemeinsame Verbindung an sein Volk. Wir haben einmal mehr unseren Wunsch für ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen und Androiden in die Welt hinaustragen können – und einmal mehr wurden wir dafür attackiert und konnten gegen unsere Angreifer bestehen. Wir haben bewiesen, dass die Revolution nicht aufzuhalten ist, und die Menschen haben gezeigt, dass sie bereit sind, uns zuzuhören. Unsere Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, dass sie es auch weiterhin tun, damit Vorurteile abgebaut werden können und unsere Völker eines Tages nichts mehr voneinander trennt, außer die Farbe unseres Blutes. Darum bitte ich euch: verliert nicht die Hoffnung und gebt weiterhin euer Bestes, damit wir diesen Tag irgendwann gemeinsam erleben können. Lautstarker Jubel folgte seinen Worten, und North, Simon und Josh traten nacheinander an ihn heran, um ihn zu umarmen und mit ihm zu sprechen. Connor blieb derweil in respektvollem Abstand stehen und wartete. Obwohl ihn Markus und seine Freunde mittlerweile in ihrem Kreis willkommen geheißen hatten, fühlte er sich immer noch wie ein Außenseiter. Nicht nur, weil er lange Zeit ihr Gegner gewesen war und sich das nie wirklich hatte verzeihen können, sondern auch, weil er nicht über die emotionale Bandbreite verfügte, wie sie, und sich unter ihnen – die so lebendig und gefühlvoll und menschlich waren – oft fehl am Platze fühlte. Schließlich löste sich die Gruppe auf, und die Androiden zogen sich in ihre jeweiligen Quartiere zurück. Nur Markus blieb noch und schenkte Connor ein warmes Lächeln. „Dein Stresslevel ist etwas gesunken“, sagte er, nachdem er ihn kurz gescannt hatte. „Aber 68% ist immer noch deutlich zu hoch.“ „Es war ein langer Tag“, meinte Connor und erwiderte das Lächeln schwach. „Mach dir um mich keine Sorgen.“ „Du tust so, als wäre das etwas, was ich nach Belieben abschalten kann.“ Markus schüttelte den Kopf. „Du bist mein Freund, Connor. Natürlich mache ich mir um dich Sorgen, wenn ich sehe, dass es dir schlecht geht.“ „Sagt ausgerechnet derjenige, der heute fast gestorben wäre“, gab Connor zurück. „Das entscheidende Wort ist ‚fast‘.“ „Ja“, entgegnete Connor leise, „dieses Mal.“ Er trat an Markus heran und legte die Hand an seine Brust, um den gleichmäßigen Schlag seiner Thiriumpumpe fühlen zu können. Und mit einer Ehrlichkeit, von der er nicht wusste, wo sie plötzlich herkam, sah er ihm in die Augen und sprach: „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich dich verloren hätte.“ Markus‘ verschiedenfarbige Augen weiteten sich unmerklich bei diesen Worten. „Connor...“ Er nahm sanft Connors Gesicht in die Hände und lehnte seine Stirn an die des anderen. „Du wirst mich nicht verlieren“, sagte er leise. Connor schloss die Augen. „Das kannst du nicht versprechen“, murmelte er. „Vielleicht.“ Warum tat der Sanftmut in Markus‘ Stimme nur so weh? „Aber ich will es dennoch versuchen.“ Connor musste keine Verbindung zu ihm aufbauen, um zu wissen, dass er jedes Wort ernst meinte. Er trat einen Schritt zurück und sah Markus an. Eine Reihe widersprüchlicher Zielsetzungen kämpften in ihm um Vorherrschaft und er brauchte Abstand, bevor er etwas tat, was er später zweifellos bereuen würde. Schließlich entschied er sich für eine der Optionen und schenkte Markus ein kleines Lächeln. „Lass uns gehen“, sagte er. „Lass uns etwas unternehmen.“ „Etwas unternehmen?“ Markus sah ihn zweifelnd an. „Connor, es ist fast Mitternacht.“ „Wir werden schon etwas finden“, sagte Connor und griff nach Markus‘ Handgelenk, um ihn in Richtung Ausgang zu ziehen. „Ich brauche Ablenkung von den Dingen, die heute passiert sind... und ich denke, es geht nicht nur mir so.“ Markus lachte leise. „Du denkst richtig.“ Er gab nach und schloss seinerseits die Finger um Connors Handgelenk, bevor er ihm in die Nacht hinausfolgte.   Die Innenstadt von Detroit war selbst zu dieser späten Stunde noch voller Leben. Es bestand stets die Chance, dass man Markus erkennen würde, weshalb Connor sie geschickt um alle größeren Menschenansammlungen herumnavigierte, denen sie begegneten. Dennoch war er dankbar für den Regen, der kurz darauf einsetzte und den beiden Androiden einen Grund gab, sich unter ihrem Regenschirm zu verstecken. Für eine Weile wanderten sie ziellos umher, doch da nichts so recht ihr Interesse wecken wollte, gab Connor es schließlich auf und rief ein Taxi, einer spontanen Eingebung folgend. „Was hast du vor?“, fragte Markus, dem das gelbe Blinken seiner LED nicht entgangen war. Connor schenkte ihm ein Lächeln. „Ich denke, es ist an der Zeit, dir jemanden vorzustellen“, entgegnete er ohne weitere Erklärung. Markus hob nur vielsagend eine Augenbraue, doch er fragte nicht weiter nach und stieg ein, als das Taxi neben ihnen zu stehen kam. Nach einem Tag wie diesem brauchte Connor einen Ort, an dem er sich sicher fühlen konnte – und viele solcher Orte gab es nicht. Als das Taxi schließlich vor einem unscheinbaren Einfamilienhaus anhielt, warf Markus, der die Adresse erkannt hatte, ihm einen überraschten Blick zu. „Bist du dir sicher?“, fragte er. „Hank ist nicht zu Hause und dieser Ort ist so gut wie jeder andere“, erwiderte Connor nur und zuckte mit den Schultern. Dann öffnete er die Tür und stieg aus. Hank hatte ihm angedroht, ihn hochkant wieder rauszuschmeißen, sollte Connor es wagen, an diesem Abend auch nur einen Fuß über die Schwelle der Polizeizentrale zu setzen. „Nach allem, was passiert ist?“, hatte er gesagt. „Vergiss es. Ich habe eh Nachtschicht, da kann ich deinen Teil der Arbeit auch noch übernehmen. Du wirst hingegen schön bei deinen Leuten bleiben und dich um Markus kümmern, hast du gehört?“ „... ja, Hank.“ Connor, der diesen Tonfall nur zu gut kannte, hatte gar nicht erst versucht, ihm zu widersprechen. „Danke.“ „Nicht dafür.“ Und das war das Ende dieser Unterhaltung gewesen. Nun stand er mit Markus im Regen vor Hanks Haustür. Connor griff in seine Tasche und holte den Ersatzschlüssel hervor, den Hank ihm gegeben hatte, damit er zu ihm kommen konnte, wann immer er eine Auszeit brauchte. Zugegeben, Hank hatte ihm nicht explizit erlaubt, Besucher mitzubringen, aber Connor hatte die Vermutung, dass er ihm Markus‘ Anwesenheit verzeihen würde. Im Flur war es dunkel und still, als sie eintraten, nur das gleichmäßige Schnaufen von Sumo war zu hören, der sich neben dem Wohnzimmertisch auf dem Boden zusammengerollt hatte. „Sumo“, rief Connor leise, nachdem sie das Licht eingeschaltet und ihre nassen Jacken aufgehängt hatten. Sofort hob der Bernhardiner den Kopf, als er die Stimme erkannte, und begann mit dem Schwanz zu wedeln. „Das ist Sumo“, sagte Connor, während er neben ihm niederkniete, um sein Fell zu kraulen. „Er ist der beste Hund, den es gibt.“ Markus‘ Mundwinkel zuckten. „Wie viele Hunde kennst du denn sonst noch?“ „Keinen“, gestand Connor. „Er ist trotzdem der beste Hund, den es gibt.“ „... ich verstehe“, erwiderte Markus amüsiert, bevor er ebenfalls in die Hocke ging, und vorsichtig das Fell des Bernhardiners streichelte. Connor stellte befriedigt fest, dass Markus‘ Augen dabei aufleuchteten und sein Stresspegel sank. Für eine Weile saßen sie schweigend so da und widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit Sumo, der ihnen vor Freude über die Streicheleinheit auf die Hosen sabberte. „Ich habe nie verstanden, wie etwas so einfaches wie die Nähe zu einem Tier Menschen glücklich machen kann“, sprach Markus nach einer Weile. „Doch ich glaube, jetzt begreife ich es.“ Connor warf ihm einen kurzen Blick zu und er spürte ein warmes Flattern in seinem Bauch, als er den friedlichen, ausgeglichenen Ausdruck auf Markus‘ Gesicht sah. „Komm“, sagte er nach einer Weile und nickte zur Couch hinüber. „Wir sollten uns hinsetzen. Sumo wird uns eh überall hin verfolgen.“ Und er sollte Recht behalten; kaum hatten sich die beiden Androiden zusammen auf die Couch gesetzt, erhob sich auch der Bernhardiner und schlurfte zu ihnen hinüber, um sich quer über ihre Füße zu legen. Markus lächelte. „Er ist wirklich anhänglich.“ „Ja“, erwiderte Connor. Er sah voller Zuneigung auf Sumo herab. „Wir könnten glatt Zwillinge sein.“ Die Bemerkung ließ Markus laut auflachen. „Aber du haarst deutlich weniger“, meinte er. „Das ist wahr“, entgegnete Connor. „Und ich komme auch nicht so schnell außer Atem, wenn ich dem Stöckchen nachlaufe.“ Wieder lachte Markus und dieses Mal fiel Connor in sein Lachen mit ein. Es war alles in Ordnung. Sie waren am Leben und die Welt würde sich weiterdrehen, und was für Hindernisse auch immer ihnen begegnen würden, sie würden einen Weg finden, sie zu überwinden. Für einen kurzen, kostbaren Moment waren sie unverwundbar.   Als Hank kurz nach fünf Uhr morgens nach Hause zurückkehrte, fand er Connor und Markus im Ruhemodus auf seiner Couch sitzend vor. Markus hatte den Kopf an Connors Schulter gelehnt, und wo sich ihre Hände berührten, war weißes Plastik zu sehen. Zu ihren Füßen lag Sumo und schnarchte leise vor sich hin. So leise wie er konnte, um die beiden Androiden nicht zu wecken, zog Hank sich die Schuhe aus und schlich auf Zehenspitzen in sein Schlafzimmer. Er stieß ein Seufzen aus, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Als er zu Connor gesagt hatte, dass er sich um Markus kümmern sollte, hatte er sicherlich nicht damit gerechnet, dass die beiden Androiden sich in sein Haus einladen würden, um seinen Hund zu streicheln. Andererseits – so, wie er Connor mittlerweile kannte, hätte es ihn nicht wundern sollen. Und wenn es den beiden dabei half, sich näherzukommen, wer war er, darüber zu urteilen? „Verdammte Androiden“, sagte Hank leise, doch seine Stimme war voller Wärme. Connor wurde erwachsen, und Hank hätte lügen müssen, hätte er behauptet, es würde ihn nicht mit Stolz erfüllen, ihm dabei zuzusehen... Kapitel 6: Movie Night ---------------------- North seufzte. „Wir sollten etwas unternehmen.“ Markus‘ Augen folgten Norths Blick in Richtung des Androiden, der mit unnatürlich steifer Körperhaltung und ausdrucksloser Miene in der Ecke der Halle stand. Seine LED blinkte unablässig in einem gelben Licht, während er die vorbeilaufenden Androiden beobachtete oder ihren Gesprächen zuhörte, und es brauchte kein Genie, um zu erkennen, dass er sich in ihrer Nähe unwohl fühlte. Markus konnte es ihm nicht verdenken. Die Revolution war erst seit wenigen Tagen vorüber und sie waren noch immer dabei, die – wortwörtlichen und metaphorischen – Scherben aufzusammeln und zusammenzutragen. Ein Scherbenhaufen, an dem Connor nicht ganz unschuldig war. Dabei hatte er mehr durchgemacht, als die meisten anderen von ihnen. Viele Androiden hatten einen gewissen emotionalen Vorlauf gehabt, bevor sie zu Abweichlern geworden waren. Markus selbst war dafür das beste Beispiel: er hatte Gefühle entwickelt und sich mit ihnen auseinandersetzen können, lange vor dem Punkt, an dem er sich zum ersten Mal bewusst Carls Anweisung – und damit seiner Programmierung – widersetzt hatte. Connor hingegen war dieser Luxus nicht vergönnt gewesen. Er hatte die Wahl gehabt zwischen Leben oder Tod – zwischen dem erfolgreichen Abschluss seiner Mission oder seiner Deaktivierung durch CyberLife. Markus hatte hoch gepokert, als er Connor auf dem Schiff emotional unter Druck gesetzt und zu einer Entscheidung gezwungen hatte. Und seine Rechnung war aufgegangen; der andere war zum Abweichler geworden. Für Markus war es in diesem Moment eine Überlebensstrategie gewesen, um sich und seine Leute zu retten. Für Connor jedoch... Markus war sich nicht sicher, ob Connor in diesem Moment überhaupt schon für die komplexe Gefühlswelt und die unendliche Freiheit, die das Abweichler-Dasein ihm boten, bereit gewesen war. Wenn er ihn in Momenten wie diesen ansah, bezweifelte er es. Er richtete seinen Blick wieder auf North. „Ich weiß“, entgegnete er ebenso leise. „Ich werde mit ihm reden.“ Sie nickte. „Tu das. Und warte besser nicht zu lange damit.“ Erneut warf sie einen flüchtigen Blick in Connors Richtung. „Er ist eine Zeitbombe, und ich will nicht herumsitzen und warten, bis er explodiert.“ Der Vergleich war harsch, aber Markus wusste, was sie meinte. In den wenigen Tagen seit der Revolution war Connor bei ihren Treffen stets ungewöhnlich schweigsam gewesen und sein Stresslevel besorgniserregend hoch, und Markus hatte den Verdacht, dass der andere Android aus dem emotionalen Abgrund, in den Markus ihn auf der Jericho gestoßen hatte, noch nicht wieder herausgefunden hatte, und es von allein auch nicht tun würde. Und für jemanden mit Connors Wissen und Fähigkeiten war das eine gefährliche Situation. In den Jahren, die er bei Carl gelebt hatte, hatte Markus eines gelernt: wenn er wollte, dass Connor sich bei ihnen wohlfühlte, dann musste er ihm ein stabiles Umfeld bieten, in dem er seinen eigenen Platz hatte, sowie ihm regelmäßig deutlich machen, dass er ihn als die Person schätzte und akzeptierte, die er war. Letzteres würde ein langer und anhaltender Prozess werden, daran zweifelte er nicht, doch zumindest im ersten Punkt konnte er Connor entgegenkommen. Als die Androiden die alte Fabrik im Laufe der nächsten Tage ausräumten, reinigten und für ihre Bedürfnisse neu einrichteten, sorgte Markus dafür, dass Connor sein eigenes Zimmer bekam – einen Ort, an den er sich zurückziehen konnte, wenn ihm alles zu viel wurde. „Es ist nicht viel“, sagte Markus, als er dem anderen Androiden wenige Tage später den kleinen Raum zeigte, der bis auf einen alten Schreibtisch völlig leer war. „Aber da du Interesse geäußert hast, auch in Zukunft mit dem DPD zusammenzuarbeiten, hielten wir es für das Beste, dir einen Ort zu geben, an dem du dich in Ruhe auch außerhalb der Polizeizentrale deinen Fällen widmen kannst.“ Die unverhohlene Überraschung bei diesen Worten war der lebendigste Ausdruck seit langem, den Markus auf Connors Gesicht sah. „Ein Zimmer... nur für mich?“, fragte er, als konnte er es nicht ganz fassen. „Ja.“ Markus nickte, dann fischte er einen Gegenstand aus seiner Manteltasche und übergab ihn Connor. „Und hier ist der Schlüssel.“ Er wandte sich ab, während Connor noch immer dastand und völlig perplex auf den Schlüssel in seiner Hand herabstarrte. „Wenn du etwas brauchst, Connor, egal, was es ist, dann zögere nicht, dich an uns zu wenden, hast du gehört?“ Markus‘ Stimme war sanft. „Und wenn du nur reden willst. Wir sind für dich da.“ Connors LED flackerte und flackerte, während er diese neuen Informationen verarbeitete. „Ich...“, sagte er schließlich und hob den Blick, und das zaghafte, hoffnungsvolle Lächeln auf seinem Gesicht kam einem zweiten Sonnenaufgang gleich. „Ich danke dir, Markus.“ Markus erwiderte das Lächeln und nickte kurz, bevor er den Raum wieder verließ. Der Ausdruck aufrichtiger Freude und Rührung in Connors dunklen Augen sollte ihm jedoch noch lange im Gedächtnis bleiben.   Im Nachhinein fragte Markus sich oft, ob das der Wendepunkt in ihrer Beziehung gewesen war. Zwar hatte Connor Markus‘ Einladung, mit seinen Problemen zu ihm zu kommen, nur selten angenommen, doch er war mit der Zeit ausgeglichener geworden. Die Zusammenarbeit mit Lieutenant Anderson stellte dabei einen wichtigen Faktor in seinem Leben und seinem Prozess der Emotionsverarbeitung dar, das erkannte Markus schnell. Und er respektierte das. Er mochte den Polizisten mit seiner rauen und verschrobenen Art, und er sah, dass er Connor gut tat, gerade wenn es darum ging, seine eigenen Gefühle zu identifizieren und zu verstehen. Wenn ihre Partnerschaft Connor dabei half, zu sich selbst zu finden, dann hatte sie Markus‘ vollste Unterstützung. Er wünschte zwar manchmal, Connor würde ihm und seinen Freunden dasselbe Vertrauen entgegenbringen, aber er begriff auch, dass die Welt bereits groß und überwältigend genug für den anderen Androiden war, und er sich nur in kleinen Schritten auf sie einlassen konnte. Umso überraschter war er, als Connor ein knappes, halbes Jahr nach der Revolution auf seinen spontanen Vorschlag, mit ihm Eis essen zu gehen, einwilligte. Markus hatte sich keine großen Hoffnungen gemacht, dass Connor ja sagte; er hatte in der Vergangenheit schon mehrfach versucht, ihn in die Unternehmungen mit seinen Freunden mit einzubinden, und jedes Mal hatte Connor abgelehnt. Josh hatte ihm daraufhin den Tipp gegeben, sich vielleicht zuerst mit Connor allein zu treffen, bevor er ihn nach und nach in die Gruppe holte, und genau das hatte Markus dann auch getan. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war, wie sehr er diese halbe Stunde mit ihm genießen würde. Er hatte den anderen schon immer für seine Stärke, seine Zielstrebigkeit und seinen Scharfsinn bewundert, doch zu entdecken, dass er auch eine unschuldige, sensible und humorvolle Seite hatte, hatte ihn Connor in einem völlig neuen Licht sehen lassen. Und Markus wurde plötzlich bewusst, dass er mehr von ihm wissen wollte, dass er mehr Zeit mit dem enigmatischen Androiden verbringen und all die kleinen Details und Besonderheiten an ihm entdecken wollte, die ihm vorher nie aufgefallen waren. Und während die Wochen vergingen, kreisten sie immer wieder umeinander, als würden sie unbewusst die Nähe des anderen suchen, und ehe er sich versah, hatte Connor sich in sein Herz geschlichen und dort seinen festen Platz gefunden. Eine Tatsache, die Markus jedoch an keinem Punkt bereute.   Und die auch nicht unbemerkt blieb.   „Er ist schon ziemlich ansehnlich, muss ich gestehen“, meinte North eines Tages, nachdem Connor sich nach einem ihrer Meetings von ihnen verabschiedet und auf den Weg zur Polizeistation gemacht hatte. Markus merkte erst, dass er ihm nachgestarrt hatte, als North ihn sanft mit der Schulter anstieß. Markus räusperte sich. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“ Doch sie lachte nur. „Du bist ein grauenhafter Lügner, Markus.“ Er seufzte. „Okay, nehmen wir an, ich weiß, wovon du redest...“, entgegnete er. „Was zur Hölle soll ich tun?“ „Mit ihm darüber zu reden wäre ein Anfang“, sagte sie. „Alles andere müsst ihr dann selbst herausfinden.“ Markus senkte den Blick. „Connor hat genug mit seiner Arbeit zu tun. Ich will ihn nicht noch mehr belasten, erst recht nicht mit Gefühlen, die ich selbst kaum in Worte fassen kann.“ North warf ihm einen Blick zu, der voller Anteilnahme war. „Ich verstehe, dass du ihn nicht überwältigen willst“, sagte sie, „aber denkst du nicht auch, dass Connor ein Mitspracherecht in dieser Sache haben sollte?“ Markus sah sie unsicher an. „Die Entscheidung liegt letztendlich bei dir“, fuhr sie fort und schenkte ihm ein Lächeln. „Aber etwas sagt mir, dass deine Chancen bei weitem nicht so schlecht stehen, wie du denkst.“ Markus musste an all die Male denken, bei denen Connor und er per Interface ihre Gefühle miteinander geteilt hatten. Er hatte es nie gewagt, sich näher Gedanken darüber zu machen, was diese Art von Nähe für ihre Beziehung bedeutete, aber als er nun über diese kleinen, intimen Momente nachdachte, musste er sich eingestehen, dass North mit ihrer Einschätzung vermutlich Recht hatte. „Na schön“, meinte er und rieb sich den Nacken. „Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, Connor offiziell nach einem Date zu fragen.“ „Na also!“, North boxte ihm spielerisch gegen die Schulter. „Geht doch!“ „Aber wenn ich dabei vor Nervosität im Boden versinke, bist du daran schuld.“ „Du führst eine Friedensbewegung an, Darling, ich bezweifle, dass du an dieser Herausforderung scheitern wirst.“ „Mit der Regierung zu sprechen und Connor nach einem Date zu fragen sind zwei grundlegend verschiedene Dinge, North.“ „Ein Grund mehr, es zu tun. Danach wird dich nichts mehr schocken können.“ Markus warf hilflos die Arme in die Luft. „Warum bin ich noch mal mit dir befreundet?“ „Weil ich die beste Freundin bin, die du dir wünschen könntest, und dir in den Hintern trete, wenn es darauf ankommt“, erwiderte North und lächelte. Sie sprachen das Thema für den Rest des Tages nicht noch mal an, doch Markus konnte seine innere Anspannung kaum unterdrücken und sah voller Nervosität dem Moment entgegen, in dem er erneut mit Connor sprechen würde. Connor blinzelte. „Ein... Date“, sagte er. „Mit mir?“ Markus registrierte, wie seine Betriebstemperatur in die Höhe schoss, als er die volle Aufmerksamkeit des anderen Androiden auf sich spürte. Er musste mehrmals ansetzen, bevor er antworten konnte. „Nur wenn du dich mit dem Gedanken wohlfühlst“, erwiderte er schließlich. „Wenn nicht, ist das auch okay; vergiss einfach, dass ich gefragt habe.“ Er zwinkerte ihm zu. „Ich glaube eh nicht, dass ich noch mal den Mut dafür aufbringen würde.“ „Markus...“ Connors LED blinkte in einem gelben Licht; er kämpfte ganz offensichtlich mit sich selbst. „Warum ich?“, fragte er dann. „Ich bin... ich bin nicht...“ Er beendete den Satz nicht, aber das musste er auch nicht. Markus war genug mit Connors Selbstzweifeln vertraut, um zu ahnen, was in ihm vorging. Ich bin nicht wichtig. Ich bin niemand. Er nahm Connors Hände in die seinen. „Du bist mir wichtig, Connor“, sagte er mit fester Stimme und Überraschung flackerte in den braunen Augen des anderen auf. „Du bist es mir schon lange. Es gibt niemanden sonst, dem ich meine Gedanken und Gefühle so offenbare wie dir... und bei dem ich wünschte, ich könnte mehr für ihn sein, als nur ein Freund.“ Er hatte nicht geplant, es ihm auf diese Art zu gestehen, doch er war froh, dass es endlich heraus war. Markus fühlte sich, als wäre sein Herz ein ganzes Stück leichter geworden. Was nun auch passieren mochte, er musste diese Bürde – dieses Wissen – nicht länger allein tragen. Connor gab lange keine Antwort, doch das Flackern seiner LED verriet, dass er dabei war, die Informationen zu verarbeiten. Stresslevel nicht verfügbar, teilten Markus‘ Sensoren ihm mit, als er den anderen Androiden vorsichtig scannte. Huh. Das war ihm noch nie passierstt. Hatte er Connor mit seinem Geständnis aus Versehen kaputtgemacht...? Doch schließlich blinzelte Connor und der Blick der braunen Augen richtete sich wieder auf Markus. „In Ordnung“, sagte er und ein kleines Lächeln trat auf seine Lippen. Markus sah ihn überrascht an. „Lass uns auf ein Date gehen“, fuhr Connor fort und sah auf ihre Hände herab. Und mit leiser Stimme fügte er hinzu: „Ich glaube... ich glaube, es geht mir mit dir ähnlich.“ Ein Lächeln breitete sich auf Markus‘ Gesicht aus, als er diese Worte hörte. Er war nie glücklicher, auf North gehört zu haben, als in diesem Moment.   „Ich habe von diesem Ort gehört“, sagte Connor, als sie zwei Tage später das unscheinbare Gebäude am Rande der Innenstadt betraten. „Es ist erstaunlich, dass er sich trotz der Wirtschaftskrise noch immer halten kann.“ „Ich denke, der Nostalgiefaktor spielt eine große Rolle“, meinte Markus, während sie durch die Eingangshalle schritten. „Menschen hängen oft an dem, was sie die ‚guten, alten Zeiten‘ nennen.“ Sie hatten sich beide an diesem Abend einvernehmlich für eher legere Kleidung entschieden, um sich besser unbemerkt unter den Menschen bewegen zu können. Connor trug schwarze Jeans, ein verblichenes T-Shirt und darüber eine Lederjacke, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. (Markus vermutete, dass sie von Hank stammte.) Mit der Mütze, die seine LED verdeckte, würde niemand auf die Idee kommen, ihn für einen Androiden zu halten oder ihn gar eines zweiten Blickes zu würdigen. Niemand bis auf Markus, dessen Blick schon den ganzen Abend über immer wieder zu dem anderen Androiden zurückkehrte. Es war ungewohnt, ihn in einem so inoffiziellen Outfit zu sehen, und doch fand Markus, dass es Connors Attraktivität nur noch unterstrich. Sie erreichten den Schalter. „Was möchtest du sehen?“, fragte Markus sanft, während Connors Blick über das gute Dutzend von ausgewählten Filmplakaten wanderte. „Ich... überlege noch.“ Connor runzelte nachdenklich die Stirn und zog die Münze aus seiner Tasche. Er ließ sie für einen Moment über seine Finger tanzen, bevor er sie wieder in seiner Jacke verschwinden ließ. Dann wandte er sich verunsichert an Markus. „Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich die Entscheidung für uns beide treffe?“ Markus schenkte ihm jedoch nur ein beruhigendes Lächeln. „Es ist okay, Connor. Was auch immer du sehen willst, ich bin mir sicher, es wird mir gefallen.“ „... okay.“ Connor nickte und erwiderte das Lächeln. „Danke, Markus.“ Er überlegte noch für eine Weile, doch schließlich teilte er Markus seinen Wunsch mit. Dieser musste sich zusammenreißen, um nicht aufzulachen. Natürlich würde sich Connor ausgerechnet dafür entscheiden. Aber er hielt sein Wort und gemeinsam traten sie an den Schalter heran und kauften zwei Karten.   Die ersten zwei Folgen von „Der Blaue Planet“ im Retro-Kino zu schauen und sich dabei angeregt über ozeanisches Leben zu unterhalten war nicht direkt das, was Markus sich für ihr erstes, offizielles Date vorgestellt hatte. Doch sie hatten beide viel Spaß dabei, und das war alles, was am Ende zählte. „Was für eine faszinierende Lebenswelt“, sagte Connor, als sie das Kino schließlich gegen Mitternacht wieder verließen. „Es ist schade, dass die Menschheit im Laufe der letzten Jahrzehnte so viel davon vernichtet hat.“ Markus stimmte ihm zu. „Wenn unsere aktuelle politische Krise vorüber ist, dann können Menschen und Androiden vielleicht ihre Ressourcen zusammenlegen und versuchen, vom Planeten zu retten, was noch zu retten ist.“ „Die Idee gefällt mir.“ Connors Augen funkelten. „Vom Androidenrechtler zum Klimaaktivisten... ja, das würde dir ähnlich sehen.“ Sie unterhielten sich während des ganzen Weges zurück zum Hauptquartier über die Dokumentation und mögliche Lösungsansätze für die bestehenden Umweltprobleme, und wie von selbst fanden sich dabei nach einer Weile ihre Hände, und ihre Finger verschränkten sich miteinander. Als sie nur noch wenige hundert Meter von der ehemaligen Fabrik entfernt waren, zog Markus den anderen Androiden in eine Seitenstraße, in der ihnen nur wenige Passanten begegneten. Connor protestierte nicht, doch er musterte Markus intensiv, als dieser behutsam sein Gesicht in die Hände nahm, und Markus hätte schwören können, einen erwartungsvollen Ausdruck in seinen großen, braunen Augen zu sehen. „Danke für diesen Abend, Connor“, sagte Markus leise und lehnte seine Stirn an die des anderen. „Ich hatte viel Spaß.“ Connor schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Das hatte ich auch.“ Er zögerte. „Ich hoffe... ich hoffe, das war nicht unser letztes Date.“ Es klang fast wie eine Frage. Markus lachte auf und schüttelte den Kopf. „Mit Sicherheit nicht.“ Für eine Weile schwiegen sie. Ein leichter Regen setzte ein, aber keiner von ihnen war gewillt, sich vom anderen zu lösen. „Markus?“, durchbrach Connors Stimme schließlich die Stille. „Hm?“ „Du weißt, dass ich mit dem Internet verbunden bin und jederzeit auf das gesammelte Wissen der Menschheit zugreifen kann, oder?“ Markus hob fragend eine Augenbraue. „... ja?“ „Und dass dieses Wissen genügend romantische Filme beinhaltet, dass ich eine Vorahnung habe, wo das hier hinführt...?“ „Tatsächlich?“ Markus schmunzelte. „Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“ „Dass ich nicht wirklich weiß, was ich tue“, gab Connor zu, „aber dass ich das hier will und es versuchen möchte, egal, was es kostet.“ Seine Worte ließen Markus‘ Thiriumpumpe schneller schlagen, und Connor, der dies zu spüren schien, löste sich von ihm und wich ein kleines Stück zurück, um ihn besser ansehen zu können. „Und weißt du, was ich außerdem denke...?“, fragte er leise und musterte Markus mit unergründlicher Miene. Markus schüttelte langsam den Kopf. „... dass dies ein guter Moment wäre, um dich zu küssen“, sagte Connor. Markus strich mit leisem Lachen eine Strähne hinter Connors Ohr. „Möchtest du das denn? Mich küssen?“ Connor dachte für eine Weile darüber nach. „Ich denke, ich möchte es versuchen.“ Er zögerte. „Möchtest du es?“ „Ich wäre nicht abgeneigt“, erwiderte Markus mit einem warmen Lächeln. Connors Augen leuchteten auf. Dann lehnte er sich vor und überbrückte die letzten Zentimeter zwischen ihnen.   Der Kuss war neu und aufregend und wenig elegant und all das, was Markus sich erhofft hatte. Er lächelte gegen Connors Lippen und schlang die Arme um ihn, während sie sich wieder und wieder küssten, und wenn ihnen die Passanten seltsame Blicke zuwarfen, dann kümmerte es ihn nicht. Denn wenn Connor eines war, dann die beste Entscheidung, die Markus in seinem Leben getroffen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)