Rivals' Reunion von MizunaStardust ================================================================================ Kapitel 16: Schnee ------------------ XI: Schnee You think you're better, you're better than me You blow me off as history To avoid conversation, you're ignoring me When you've had enough and you need somebody to know Well, you're looking tough but you need a way to let it go Come on now, what's a boy s'posed to do When I can't seem to leave you alone Touching me, touching you I wanna be your brother, wanna be your father too Never make you run for cover even if they want us to I wanna be your sister, wanna be your mother too I wanna be, wanna be whatever else that touches you Whatever else that touches you. (Mika) Tristan Taylor im Interview Hi Leute! Ja, wo fange ich an? Also, echt cool von euch, dass ihr mich für ein Interview angefragt habt, obwohl ich nicht an der Show teilnehme. In der letzten Zeit wurde ich ab und an mal angesprochen von den Medien, was ich mittlerweile so mache und so, weil ich ja früher oft mit Joey, Tea und Yugi, Ryou und dem Pharao abgehangen hab. Außerdem kam häufiger auch die Bitte, ich solle doch mal ein bisschen was über die fünf erzählen, aus dem Nähkästchen plaudern und so weiter. Das mache ich natürlich nicht (lacht). Alles, was sie von sich preisgeben wollen, werden sie euch schon selbst verraten. Ja, was kann ich über mich erzählen? Ich bin immer noch mit den fünfen befreundet, auch wenn ich zugeben muss, dass wir nicht mehr so viel Kontakt haben wie früher. Woran das liegt? Also … in erster Linie wohl ein bisschen an meiner eigenen Nachlässigkeit und Naivität. Also, das war so: Ich hab nach dem Abschluss ein Mädchen kennengelernt, die nicht unbedingt … einen guten Einfluss auf mich hatte. Aber das hab ich in dem Moment nicht kapiert. Ich bin dann wegen ihr weggezogen. Joey hat mich oft angerufen. Er ist so ein Typ … einfach ein richtiger Kumpel, dem Freundschaften wichtig sind und der immer dran denkt, sich zu melden. Anders als ich. Er hat mir immer gesagt „Das Mädchen is nich gut für dich. Sie nutzt dich aus. Sie kontrolliert dich“. Aber wie es halt so ist, wenn man verknallt ist: Ich wollte es nicht hören und hab ihm stattdessen gesagt, dass Mai ja auch nicht unbedingt die pflegeleichteste Partnerin und keine Miss Sunshine ist und dass er sich um seinen eigenen Kram kümmern soll. Yugi hat auch manchmal versucht, das Thema anzusprechen, aber wir kennen ja alle unseren Yugi: Er will niemandes Gefühle verletzen und war nicht so direkt wie der gute Joey. Naja, irgendwann hab ich dann auch gemerkt, dass die Frau mich ausnimmt. Danach war ich natürlich erst mal down. Aber dann ist was echt Witziges passiert. Unsere alte Schulfreundin Miho hat mit mir Kontakt aufgenommen. Sie war in der Oberschule weggezogen. Tja, was soll ich sagen: Jetzt sind wir verlobt. Ich bin echt happy. Wir heiraten im Sommer! Hach, ihr wollt sicher wissen, ob ich noch weiterhin Serenity nachgestellt hab. Naja, also in Serenity war ich schon echt verschossen, aber das war in der Schule. Das ist ja schon ganz schön lange her und sie ist mittlerweile auch verheiratet und hat eine ganz süße Tochter. Wen ich tatsächlich öfter mal sehe ist Duke. Und zwar durch meine Arbeit. Ich arbeite für eine Firma, die Spielautomaten verleiht. Die müssen regelmäßig gewartet werden. Und da Duke in seinen mittlerweile insgesamt 10 Spieleläden und Spielhallen viele Automaten von uns hat, bekomme ich den alten Gauner öfter zu Gesicht … Ist nur’n Witz, wir haben uns wirklich gern. Wir gönnen uns dann gerne mal noch ein Feierabendbier zusammen. Tja, was soll ich sagen. Mir tuts auch echt leid, dass ich mit Duke mittlerweile mehr unternehme als mit meinem besten Kumpel aus der Schule. Manchmal hab ich ein bisschen Angst, dass unsere Freundschaft ein bisschen oberflächlich war und wir nur zusammen rumgehangen haben, weil wir ähnliche Interessen hatten. Ich mein, ganz ehrlich: Was Joey und Yugi verbindet, ist viel tiefer. Sie reden viel mehr miteinander, als wir es je getan haben. Das war schon immer so. Sie haben so oft ihr letztes Hemd füreinander gegeben. Trotzdem, ich fänd‘s echt schade, wenn sich der Kontakt zu Joey komplett verlieren würde. Joey, Kumpel, Yugi, Tea, Pharao, Ryou ich will euch nur sagen: Ich sitze jeden Abend vor der Glotze und zieh mir eure Show rein! Zwei Mal hat Duke sogar in seinem Laden ein Publik Viewing veranstaltet. Wir feuern euch kräftig an und finden’s total mutig, was ihr euch traut! Bleibt euch treu und weiter so! Wir lieben euch! Ihr seid der Hammer! ~*~ Die Zeit heilt alle Wunden, so sagte man. Aber sind ihre Gesetze ausgehebelt, fällt man in eine Anarchie, in der alles auf Null gedreht ist, alle Narben, die lange verblasst sind, wieder aufreißen. Umko konnte es nicht glauben, dass er mit Limono nun hier saß, dass sie beide in diesem Augenblick ihre Wurzeln geschlagen hatten. Limono hörte ihm zu und seine Gedanken schienen so biegsam, so manipulierbar, empfänglich für Umkos Worte. Etwas, das er am Ende ihrer Beziehung vergeblich gesucht hatte. ~*~ Nach dem Nachmittag im Hotelzimmer in Osaka wurden die wertvollen Augenblicke zwischen Limono und Umko von Mal zu Mal seltener. Die kräftezehrenden Auseinandersetzungen gewannen an Raum. Umko spürte, dass Limono auch mit seinen Musiker-Kollegen aneinandergeriet und dass dies ebenfalls an ihm zehrte, aber er ließ ihn immer weniger daran teilhaben, was ihn bewegte, verschloss sich mehr und mehr vor ihm. Er begann, nicht nur seine Band, sondern auch Umko wegzustoßen. Mit jedem Tag wirkte er auf Umko weiter entfernt, wie hinter einer Glaswand. Und unter seine Erschöpfung, der Wut und Enttäuschung mischte sich jetzt Angst. Ein pochendes, pulsierendes Herz aus unterschwelliger Beunruhigung. Wenn Limono spät von der Bandprobe nach Hause kam, war er meist schweigsam und sah abgekämpft aus. Aber Umkos Fragen danach, was ihn plagte, blieben stets unbeantwortet. Umko hatte den Eindruck, Limono steckte zu tief in seinem eigenen Labyrinth, um den Weg zu jemand anderem zu finden. Aber er schien es auch vollkommen aufgegeben zu haben. „Limono … du musst nicht alles mit dir selbst ausmachen. Du kannst mit mir sprechen. Dafür bin ich doch da“, versuchte Umko es erneut, er hatte aufgehört seine etlichen Versuche zu zählen. Er wollte Limono nicht auf die Nerven fallen und ihn noch weiter von sich forttreiben, aber er wollte ihm klar machen, dass er noch immer existierte. „Umko … ich bin einfach müde. Ich hab heute Abend keinen Nerv mehr, über irgendwas zu reden. Es war einfach ein Scheiß-Tag und er wird auch nicht besser, wenn ich ihn nochmal aufkoche. Können wir nicht einfach nur fernsehen?“ Limono lehnte sich an Umkos Seite und starrte auf den Bildschirm, aber Umko spürte, dass sie sich nur scheinbar nahe waren. Dann kam der Abend, als Limono nicht nach Hause kam. Umko wartete vergebens auf ein Lebenszeichen von ihm. Er wälzte sich im Bett hin und her und überlegte, ob die Situation bereits so alarmierend war, dass er jemanden verständigen konnte. Aber ein Gefühl sagte ihm, dass es Limono gutging – zumindest körperlich. Am nächsten Morgen rief Umko seine Handynummer an. „Hey, ich bin im Studio. Es ist jetzt grade echt schlecht. Wir sind mitten in einer Aufnahme. Wir reden heute Abend, ok?“, gab sein Partner nur abwesend zur Antwort. Aber am Abend war es dasselbe Spiel wie zuvor. Umko reichte es nun endgültig. Alles, was sie hatten, floss als Sand durch Umkos Finger und er konnte es nicht festhalten. „Wo warst du?!“, fuhr er Limono harsch an, der gerade seelenruhig seinen Weg in die Küche machen wollte, und versperrte ihm den Weg. „Umko, muss das echt sein? Reg dich mal wieder ab. Ich bin total k.o.“, Limono verdrehte die Augen, so als wäre Umkos Reaktion völlig unangemessen. „Ja, das muss es! Was glaubst du, wie ICH mich fühle! Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo du dich rumtreibst. Was ist nur los mit dir?!“ Limono seufzte hörbar und offensichtlich genervt. „Erst die anderen aus der Band, jetzt du auch noch. Muss ich mich immer nur rechtfertigen, selbst zu Hause? Es ist so verdammt anstrengend.“ Umko schnaubte. „Zu Hause? Ist das für dich überhaupt ein Begriff? Du kommst abends nicht heim und wenn du da bist, bist du es auch nicht wirklich – ich will jetzt endlich wissen, was hier gespielt wird. Wo bist du gestern Nacht gewesen?“ „Es wurde spät und wir haben noch was getrunken. Ich bin eingeschlafen, ok?“, giftete Limono zurück, als wäre es müßig, überhaupt darüber zu sprechen. „Und wo? Etwa bei Riku?“, hakte Umko unnachgiebig nach. Er wollte endlich, dass Limono aussprach, was ohnehin schon unausgesprochen zwischen ihnen lag. „Oh mein Gott, hörst du dich eigentlich selbst reden? Wie kann man so eifersüchtig sein. Du bist ja paranoid.“ „Und habe ich denn nicht Recht?“, fauchte Umko, der sich sonst immer bemühte, einen ruhigen Ton an den Tag zu legen. Limono sah ihn an. „Ja, ok? Ja, du hast Recht. Bist du zufrieden? Ist es das, was du hören wolltest?“, sagte er dann ganz ruhig. Umko sah ihn an, ungläubig. „Nein, das wollte ich ganz und gar nicht hören“, sagte er tonlos. „Oh doch, das wolltest du. Du wolltest das hören und sehen, was du ohnehin schon geglaubt hast.“ „Was soll ich denn sehen, wenn nicht das Offensichtliche?“, fragte Umko, resigniert. Wie schaffte es Limono, aus seinem eigenen Fehltritt plötzlich einen Vorwurf an IHN zu machen? Limono stand direkt vor ihm. Er hörte seinen Atem, er sah seine flatternden Augenlider, roch seinen vertrauten Duft. Sie waren noch nie so weit voneinander entfernt gewesen. Sein Ehemann kam ihm vor wie ein Abziehbild von der Person, mit der er hatte sein Leben verbringen wollen. „Ist nicht wichtig. Schon gut“, sagte Limono nun sehr leise. Langsam setzte er sich in Bewegung und drückte sich an Umko vorbei. So oft hatte Umko sich hinterher gefragt, ob er etwas übersehen hatte. Ob es einen einfachen, einen direkten Weg in Limonos Gedanken hinein gegeben hätte. Hin zu der Crux, zu dem, was ihm von innen zu zerfressen schien. Vielleicht hätte er gerade jetzt kämpfen müssen. Vielleicht hätte Limono in diesem Moment seinen Beistand mehr gebraucht als je zuvor. Aber er konnte einfach nicht mehr weiter. Seine müden Beine schmerzten, seine Stimme versagte, seine Lungen brannten. Er hatte alles von sich gegeben, jeden Funken seiner Energie. Er hatte den Eindruck, es war nichts mehr von ihm in ihm drin übriggeblieben. Kein Stückchen Umko. Kein Wort, kein Gefühl und kein Traum. Da war nur Limono in seinem Kopf. Er konnte nicht noch mehr davon ertragen. Als sein Partner ihm drei Tage später sagte, dass er fortgehen würde, saß Umko allein auf einem riesigen Scherbenhaufen. Zuerst war er wie benommen. Er konnte nicht glauben, dass er Limono nicht mehr um sich haben konnte, dass es nie wieder einen dieser Höhenflüge geben würde, die ihn alles vergessen ließen. Dann irgendwann kam die Wut. Eine unbändige Wut darauf, dass Limono ihn aufgegabelt und in dieser wilden Fahrt mitgeschleift hatte, nur um ihn dann irgendwo auf dem Asphalt liegenzulassen und am Horizont zu verschwinden. Wozu all dieser sinnlose Schmerz? Was hatten sie beide nun davon? Für Limono ging vielleicht alles so weiter wie vor ihrer ersten Begegnung. Aber Umkos Leben war aus den Fugen geraten. * So hatte Umko den Überblick über sein Leben und über die Tage, die vergingen, verloren. Nachdem sein Inneres wundgescheuert und langsam wieder mit Schorf bedeckt worden war, hatte er begonnen, über Limonos Worte nachzudenken, und war zu dem Schluss gekommen, dass er nach ihnen handeln würde, egal, wie sehr ihn der Mensch, der sie ausgesprochen hatte, auch verletzt hatte. Er wollte keine Achterbahnfahrten mehr. Er wollte endlich in ruhigere Gewässer finden. Und vielleicht hatte Limono ihn aus diesem Grund so gnadenlos diesen steilen Wasserfall hinabgestoßen. Dann hatte sich Umko eines Tages vor etwa zweieinhalb Jahren an Ren erinnert. Als er einige Tage lang darüber gebrütet hatte, ob es zu vermessen sei, ihn jetzt plötzlich anzurufen, hatte er es schließlich doch gewagt. „Weißt du, ich habe von deiner Trennung im Internet gelesen. Eigentlich finde ich es ziemlich schäbig von dir, dass du mich jetzt erst anrufst, nachdem es mit deinem Typen nicht mehr läuft. Ich bin nur gekommen, weil ich einfach zu neugierig war, was du zu sagen hast.“ Umko sah auf seine Füße. Er fühlte sich mies. Aber als sie sich nach einem intensiven Gespräch verabschiedet hatten, brach Ren den Kontakt nicht ab. Sie trafen sich wieder. Ren schien keinen wirklichen Groll gegen ihn zu hegen. Alles kam wie von selbst ins Rollen. Mit Ren unternahm Umko völlig andere Dinge als mit Limono. Sie waren so gut wie nie in Clubs, aber fast immer unterwegs. Sie verbrachten viel Zeit draußen in der Natur, gingen spazieren, machten Picknicks oder fuhren mit dem Bus in nahegelegene Städte. Umko saß in der ersten Reihe und sah sich Rens Hockeyspiele an – und entdeckte ein echtes Interesse dafür. Sie schlenderten über Stadtfeste, Vergnügungsparks und Weihnachtsmärkte und kochten mindestens zwei Mal die Woche gemeinsam. Den Jahreswechsel verbrachten sie zusammen auf einer Berghütte, abgeschieden und ruhig. Ganz nach Umkos Geschmack. Nach einem ausgedehnten, selbst zubereiteten Abendessen machten sie draußen einen Spaziergang im Schnee. Alles war ganz still. Umko fühlte sich innerlich ebenmäßig. Zum ersten Mal seit Monaten versperrten ihm keine wirren Gefühle die Sicht auf das Wesentliche. Alles in ihm hatte sich gesetzt und seine Wunden schienen verheilt. Von ihnen war nicht mehr zu spüren als ein leises Pochen. Keiner der beiden sprach viel. Sie öffneten sich innerlich ganz für den fantastischen Anblick, der sich ihnen bot. Unter ihnen sahen sie die vereinzelten Lichter des Dorfes. Über ihnen der Himmel war weit und keine Wolke war zu sehen. Der Schnee glitzerte wie in einer Märchenlandschaft. „Ich bin froh, dass wir hergekommen sind“, sagte Umko und meinte es so. „Ja, es ist wirklich schön“, stimmte ihm Ren eingenommen von alldem zu. Umko sah ihn an, wie er all das so bewusst wahrzunehmen schien. Wie er so in sich ruhte. Umko hatte endlich das Gefühl, stehenbleiben und zufrieden sein zu können mit dem, was er hatte, nicht Tag um Tag irgendwelchen Hirngespinsten zu nachzujagen und nach dem flüchtigen Moment zu greifen, den er befürchtete zu verlieren. Und plötzlich kamen die Worte von ganz allein: „Ren … ich liebe dich.“ Ren wandte sich überrascht zu ihm um. Dann lächelte er und es sah sehr niedlich aus. „Umko, du bist so ein hoffnungsloser Romantiker, dass du mir das hier sagst. Aber … ich denke, ich liebe dich auch.“ Als sie am nächsten Tag abreisten, nahm Umko zum ersten Mal bewusst wahr, dass ein neues Jahr begonnen hatte. Er schwor sich, dass es eines sein würde, in dem er nicht zurückblicken würde. Indem er das halten und schätzen würde, was er hatte. Jetzt erst wurde ihm klar, dass er während der letzten beiden Tage nicht auch nur ein einziges Mal an Limono gedacht hatte. Er war nicht, wie sonst an jedem einzelnen Tag in seinem Leben, das ungewollte Gespenst in seinem Kopf, der ungeladene Gast in seinen Gedanken. Er war fort. * Viele Monate folgten, in denen Umko tatsächlich all seine Grübeleien vergessen hatte. Er hatte das Versprechen an sich selbst in diesem Jahr gehalten. Eine gewisse Sorglosigkeit hatte sich eingestellt. Mit Ren lief alles wie automatisiert. Er musste sich nicht den Kopf zerbrechen oder Angst haben und wurde auch nicht in ein Wechselbad der Gefühle geworfen. Alles war gleichmäßig und routiniert, so, wie er es gerne mochte. Im Nachhinein fragte sich Umko, ob es ihm einfach nur gefallen hatte, an ein Ufer ohne böse Überraschungen gezogen zu werden, auf eine Insel, von der er jeden Quadratmeter kannte wie seine Westentasche und die wie ein monotones Wiegenlied war, das ihn all seine Probleme hatte vergessen lassen. Hatte er, indem er die Beziehung zu Ren beendet hatte, dieses in Watte gepackte Dasein wieder gegen das echte, ungeschönte Leben eingetauscht? Oder war er einfach nur auf einer Selbstmordmission und wusste nicht, was gut für ihn war? Hatte er einen Hang dazu, es sich selbst schwerzumachen? Liebte er den Kick, den ihm die Beziehung mit Limono gegeben hatte? Eines Abends lief Umko von der Arbeit nach Hause. Er durchquerte gerade den Park, als ihn eine seltsame Resignation überkam. Ihm graute vor der Rückkehr in seine Wohnung, in den altbekannten Trott plötzlich so sehr, dass er stehenblieb. An diesem Abend ging er nicht geradewegs nach Hause. Er streifte durch die Stadt, um Zeit zu schinden. Wie ferngesteuert trugen ihn seine Füße zu dem Gebäude, vor dem er schließlich Halt gemacht hatte: Vor den Eingangstoren des Black Rainbow. Umko bezahlte und ging hinein, setzte sich an die Bar und bestellte ein Bier. Sein Blick streife die Anwesenden, inspizierte die Tanzfläche. Gegen 10 Uhr, als er dachte, länger könne er sein Zuspätkommen nicht vor Ren rechtfertigen, ging er nach Hause. Er wusste nicht, was oder wen er zu finden gehofft hatte. Oder vielleicht wusste er es auch nur zu genau. Nach diesem Tag war er sich sicher gewesen, dass er sein Leben nicht mit Ren verbringen wollte. Und die Erkenntnis hatte ihm Dinge über ihn selbst gelehrt, die er lieber nicht erfahren hätte. Ren brach nicht in Tränen aus, als Umko ihm verkündete, dass es zwischen ihnen vorbei war. Er schrie ihn nicht an und wurde nicht ausfallend. Umko hätte sich all diese Dinge gewünscht. Hätte sich gewünscht, dass er ihm an den Kopf warf, was er verdiente. Aber alles, was Ren sich wünschte, war, den Grund zu erfahren. Einen triftigen Grund für all das. Und es war das einzige, das Umko ihm nicht gewähren konnte. „Ich verstehe es nicht, bitte erklär es mir, ja?“ Ren stand vor ihm und sah ihn an mit einer Mischung aus Enttäuschung, Fassungslosigkeit und dem Bedürfnis nach Rechenschaft für sein Handeln und Denken. Umko stand an das Fenstersims gelehnt und sein Mund war trocken. Er wusste, er beging den größten Fehler in seinem bisherigen, wenig zielgerichteten Leben. Aber es gab kein Zurück mehr. Die Worte waren ausgesprochen. „Hast du jemanden kennengelernt? Hab ich irgendwas falsch gemacht?“ Jedes Mal verneinte Umko. „Du hast gesagt, du liebst mich. War das alles nur gespielt? Oder hat sich daran irgendwas geändert?“ Wieder konnte Umko nur verneinen. Ren senkte den Kopf und schüttelte ihn langsam, als versuche er dadurch, die Gedanken in eine Anordnung zu bringen, die Sinn ergab. Dann entrannen abgehackte Laute seiner Kehle. Für einen kurzen Augenblick dachte Umko, dass seine Fassade nun doch bröckelte und die ersehnten Tränen nun doch flossen, aber schließlich hob Ren den Kopf und Umko begriff, dass er lachte. „Ich hätte es wissen müssen“, sagte Ren, der in der Absurdität der Situation nichts anderes zu tun wusste, als ihre Ironie auf sich wirken zu lassen und ihr Ausdruck zu verleihen, „jemand wie du, der auf miese Typen wie Limono abfährt, konnte sich ja nicht auf eine normale, gesunde Beziehung einlassen. Dass ich so DÄMLICH war, das nicht vorherzusehen. Tja, daran bin ich wohl selbst schuld. Oder vielleicht wollte ich es auch nicht sehen.“ Umko konnte ihm nicht widersprechen, ihm nicht sagen, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Er wusste nicht mehr, was wahr war, wer er war und was er wollte. Er wusste nur, dass er sich in der Beziehung mit Ren mittlerweile fühlte wie ein Gefangener. Das alles war nun ein Jahr her. Umko wusste, Ren war aus seinem Leben verschwunden. Ein für alle Mal. Limono hingegen … Limono würde er niemals hinter sich lassen. Ganz egal, wie sehr er es auch versuchte, wie viel Kraft er aufwendete, um aus seiner Reichweite zu gelangen. Er würde stets im Kreis laufen und am selben Punkt angelangen: direkt vor seinen Füßen. So wie heute. So wie in dem alten Arbeitszimmer unter dem erloschenen Kronleuchter. So wie hier in diesem Wald, der nur Platz für sie beide zu lassen schien. Was er Limono gesagt hatte, war gelogen gewesen. Was er sich selbst gesagt hatte war gelogen gewesen, dort oben auf dem Berg umringt von glitzerndem Schnee. Er war nicht aus seinen Gedanken verschwunden. War es nie gewesen. Würde es nie sein. Das war sein Los. Seine Folter. Seine Droge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)