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[Operation Nautilus] Andara-House

Mein letztes Jahr
von

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"Phönix aus der Asche"

Mit weichen Knien ließ ich mich am Küchentisch nieder, der frisch geputzt erstrahlte, und umklammerte die warme Teetasse. Es fühlte sich an, als hätte ein Teil von mir die ganze Zeit über geschlafen und war nun dabei, wieder aufzuwachen. Siedend heiß wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Obwohl es sich so gut und richtig angefühlt hatte, machten sich nun doch Zweifel in mir breit. Auch wenn diese Feier dafür gedacht war, den starren Zwängen der Gesellschaft zu entfliehen, blieb es doch, was es war. Ich hatte Jeffrey betrogen!
 

Dass Jeffrey es vielleicht auch getan hatte, ließ mich in keinem besseren Licht dastehen. Außerdem hatte ich keinerlei Beweise dafür. Nur weil er mit diesen zwei Männern eine anregende Unterhaltung geführt hatte und dann verschwunden war, hieß das nicht, dass es tatsächlich zu so etwas gekommen war. Aber ich hatte es getan!
 

Seufzend vergrub ich das Gesicht in meinen Händen und wünschte mir das sichere Gefühl, das ich in der Gegenwart des Fremden hatte, zurück. Im Nachhinein konnte ich nicht verstehen, was in mich gefahren war. Warum hatte ich mich bei ihm so wohlgefühlt, dass es mir vollkommen richtig erschien, mit ihm zu schlafen?
 

Mir wurde heiß und kalt, als mir plötzlich ein anderer Aspekt in den Sinn kam. Mein Traum fiel mir wieder ein und damit taten es auch die Schlüsse, die ich daraus gezogen hatte. Als wäre dies der Startschuss gewesen, begann mein Kopf, automatisch Wahrscheinlichkeiten zu überschlagen.
 

Die Schrift auf dem Zettel des Fremden war Stans gewesen – da war ich mir jetzt sicher – und das hieß, mein dunkelhäutiger Retter stand in einer Beziehung zu Stan. Damit drängte sich mir die Frage auf, wie viele dunkelhäutige Menschen auf dieser Feier wohl so herumliefen?
 

Ich hatte, außer ihm, keinen gesehen. Mein Mund wurde ganz trocken, während mein Herz noch einige Takte schneller schlug. Mit einem Stöhnen vergrub ich die Hände in den Federschmuck und meine Haare.
 

„Scheiße!“, murmelte ich immer wieder und hätte am liebsten geheult. Die Vermutung, dass ich gerade mit Stans Exfreund geschlafen hatte, wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, wahrscheinlicher. Ich hatte also nicht nur Jeffrey betrogen, sondern auch den Mann angefasst, den Stan über alles liebte. Aber ich auch, dachte ich. Ich liebte ihn auch.
 

Jedoch waren Stan und Jeffrey mittlerweile zu so etwas wie eine Familie geworden und ich wollte sie nicht verlieren. Es lag mir auch fern, sie zu verletzen, aber das hatte ich. Auf keinen Fall durften sie erfahren, was hier passiert war!
 

Ich würde den Verstand verlieren, wenn sie sich von mir abwenden würden. Aber was hatte Jeffrey gesagt? Was auf der Feier geschah, blieb auch da? Entschlossen nickte ich und schluckte den festen Kloß in meinem Hals herunter. Das war die einzige Lösung, bei der keiner von uns verletzt werden würde.
 

Dennoch wollte ich diese Nacht nicht als Fehler ansehen, denn ich hatte es wirklich genossen und wenn ich ehrlich war, sehnte ich mich zurück in die Arme des Fremden. Ich wollte es nicht nur negativ sehen und beschloss, es als eine schöne Erinnerung zu vermerken, die ich mit niemandem teilen konnte. Langsam ließ ich die verkrampften Hände wieder sinken, straffte die Schultern und stand auf.
 

Sorgfältig wusch ich das Geschirr aus und stellte es an seinen angestammten Platz zurück. Dann drehte ich mich seufzend um meine eigene Achse und betrachtete den Raum eingehend. Nichts gab mehr einen Hinweis darauf, was hier geschehen war. Nur die Erinnerungen in meinem Kopf verrieten es mir.
 

Ob ich wollte oder nicht.
 

Es war besser, sie dort zu lassen. Tief in meinem Gedächtnis, wo niemand sie finden würde. Vielleicht würde mein Gewissen sich daran gewöhnen und aufhören, in meinem Kopf umherzuschreien.
 

Wie in Trance lief ich zur Tür und wiederholte immer wieder, dass es in Ordnung war. Ich hatte nur das gemacht, was mein Herz mir gesagt hatte. Wer sollte mich dafür verurteilen?
 

Mit raumgreifenden Schritten durchquerte ich die Gänge und kam schon bald in dem Teil des Gebäudes an, wo sich der große Festsaal befand. Es war schon sehr spät – oder eher früh am Morgen – und die Masse der Menschen war überschaubar geworden. Schon von Weitem erkannte ich Jeffrey und Stan, die beieinanderstanden und sich unterhielten. Beide wirkten vollkommen gelöst und entspannt. Automatisch stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht, doch dann zog sich etwas in mir zusammen, als hätte mir jemand eine Faust in den Bauch gerammt. Mit einem schnellen Schritt zog ich mich hinter einer großen Topfpflanze zurück.
 

Mit Ironie stellte ich fest, dass es die gleiche war, mit der das Ganze irgendwie angefangen hatte. Geflissentlich überprüfte ich den Sitz meiner Kleidung und war dankbar für den Spiegel an der Wand, in dem ich nach weiteren verräterischen Spuren suchte.
 

Da war absolut nichts – außer meinem nagenden Gewissen.
 

Tief einatmend befahl ich der Stimme, zu schweigen und lächelte. So lange, bis es für mich natürlich und überzeugend aussah. Na also, es ging doch!
 

Ohne weiteres Zögern und Zaudern trat ich aus meinem Versteck und lief den beiden entgegen. Stan erblickte mich zuerst und die Freude auf seinem Gesicht war absolut echt.
 

„Da bist du ja“, rief er aus, als ich noch wenige Meter entfernt war. „Wir haben uns schon gefragt, wo du bleibst.“
 

Während mein Kopf seine Stimme und Worte nach einem stummen Vorwurf absuchte, legte sich ein verlegenes Lächeln auf meine Lippen. Ohne dass ich viel dazutun musste, schnellte eine Hand nach oben und ich kratzte mich peinlich berührt am Kopf.
 

„Hast du die Party irgendwo anders hinverlegt?“, fragte Jeffrey grinsend. Ein Scherz, eindeutig. Aber er konnte ja auch nicht ahnen, wie richtig er damit lag.
 

„Als ob!“, stieß ich aus und hoffte, dass das Timing stimmte. Zu schnell oder zu langsam könnte vielleicht verdächtig wirken. „Nein, ich hatte mir das Haus etwas angesehen und mich dabei wohl etwas verirrt.“ Mit gequältem Gesichtsausdruck zuckte ich mit den Achseln und war froh, als Stan verkündete, dass wir nun aufbrechen würden.
 

Wir verließen die Feier auf die gleiche Art, wie wir sie betreten hatten. Der einzige Unterschied war, dass mir nun die Fahrt mit der Kutsche länger vorkam als am Abend zuvor. Der enge Raum und das Fehlen von Ablenkungen ließen mir kaum Möglichkeiten, die Stimme meines schlechten Gewissens zu überhören.
 

Mehr als einmal überlegte ich, den beiden alles zu beichten, nur damit ein Teil des Drucks von meinen Schultern genommen würde. Aber ich mochte mir nicht ausmalen, was dann geschehen könnte. Also biss ich mir auf die Zunge und schwieg. Irgendwann lehnte ich den Kopf gegen die Seitenwand der Kabine und döste vor mich hin. Ich hatte den Vorteil, dass Jeffrey und Stan, die sich leise unterhielten, schlicht dachten, ich sei müde. Und das war ja gar nicht so falsch.
 

Ich war absolut erschöpft und schon bald waren meine Augenlider so schwer, dass ich darauf verzichtete, sie offenhalten zu wollen.
 

„Mike, wir sind da“, hörte ich eine entfernte Stimme und jemand begann sanft, aber nachdrücklich, an mir zu rütteln. Murrend rückte ich weiter von Stan weg und drückte mich mehr gegen die Wand. Ich wollte noch schlafen und sah es gar nicht ein, jetzt wieder in die Realität zurückzukehren. „Mike“, vernahm ich wieder Stans Stimme. „Wir müssen aussteigen. Jeffrey wartet schon und der Kutscher hat auch nicht mehr viel Geduld. Wach auf! Ich würde dich ja tragen, aber das ist mir auf Dauer zu schwer und sieht auch komisch aus.“
 

Mit einem Schlag wurde mir erst so richtig bewusst, wer mir so nahe war und die Vorstellung, Stan würde mich auf den Arm nehmen, ließ mich entsetzt aufspringen. „Argh!“, entfuhr es mir, als ich mir mit voller Wucht den Kopf am Kabinendach anschlug, sodass ich Sternchen sah. Jammernd umklammerte ich meinen Hinterkopf mit den Händen und brauchte einige Sekunden, bis ich es schaffte, die Tränen wegzublinzeln.
 

„Verdammt Mike. Ist alles in Ordnung?“, hörte ich Stan erschrocken fragen und fühlte seine Hände an meinen Schultern. Es brannte sich wie Feuer in mein Gewissen. Schnell drehte ich mich so, dass seine Hände von mir glitten und hastete aus dem Wagen.
 

„Schon gut. Ist nichts passiert“, beschwichtigte ich ihn dabei. Dass der Kutscher deutlich entnervt an seiner Zigarette zog und die Zügel knallen ließ, sobald Stan hinter mir ausgestiegen war, kaschierte, dass mein Verhalten etwas übersteigert war. „Voll blöd von mir!“, lachte ich und sah die 1000 Fragezeichen in Stans Augen weichen. „Ich hatte vergessen, wo ich war und hab nicht damit gerechnet, dass die Decke so tief hängt.“
 

„Na, solange du dich nicht ernsthaft verletzt hast. Lasst uns gehen. Ich bin auch ziemlich müde und freue mich auf mein Bett.“
 

Der Gedanke an eine ausgedehnte Mütze Schlaf beflügelte auch mich und ich schaffte es, die letzten Kraftreserven aus meinen müden Knochen zu holen. Der einzige, der noch voller Energie zu sein schien, war Jeffrey und ich fragte mich ernsthaft, wo er die hernahm.
 

Nach allem was passiert war, hatte ich nicht damit gerechnet, aber als mein Kopf das Kissen berührte, fiel ich sofort in einen traumlosen, tiefen Schlaf. Ich erwachte erst spät am Nachmittag, eingekuschelt in Jeffreys Armen. Die wohlige Wärme nahm mich im ersten Moment so gefangen, dass ich die Augen wieder schloss und weiterschlafen wollte. Doch dann fiel mir ein, was ich in der vergangenen Nacht getan hatte und ich versteifte mich innerlich. Nur mit Mühe widerstand ich dem Drang, von ihm wegzurücken und eigentlich wollte ich es auch gar nicht.
 

Ich konnte absolut deutlich fühlen, dass mein Herz nicht nur vor Scham so heftig schlug. Trotz allem was passiert war, liebte ich Jeffrey wie am ersten Tag. Auch wenn mir nicht klar war, wie meine Taten dazu passen sollten.
 

Während ich ihn so musterte, kam wieder Leben in Jeffreys schlafende Gestalt und er öffnete die Augen. Was ich in seinem Blick erkannte, ließ mich erschrecken. Es war nur für einen klitzekleinen Moment, aber ich kannte diesen Blick von ihm. Schuld. Und nicht etwa die, die er anderen gab und welche eher in Zorn gipfelte. Nein, es war der Blick, den er bekam, wenn er etwas ausgefressen hatte.
 

Jedoch verschwand der Ausdruck schnell und es machte für mich eher Sinn, dass ich mich in seinen Augen gespiegelt hatte.
 

„Guten Morgen“, sagte er. Hatte seine Stimme gezittert? Oder übertrug ich meine Empfindungen sogar bis in seine Stimme, in die ich alles Mögliche hineintransportierte?
 

Eine steile Falte bildete sich zwischen meinen Augen, während er mich genauso prüfend musterte, wie ich ihn.
 

„Es müsste eher heißen: Guten Abend“, meinte ich und fühlte deutlich, wie ich meine Worte hinausschickte, damit sie von mir ablenkten. Und Jeffrey schien seine ebenso mit Bedacht zu wählen.
 

„Ist nicht immer Morgen, nachdem man aufwacht?“
 

Es waren belanglose Worte, die wir tauschten. Aber es war, als wären wir Raubkatzen, die sich lauernd umschlichen und darauf warteten, wer zuerst den Sprung wagen würde, um den anderen seine Krallen fühlen zu lassen.
 

Zwei Sekunden.
 

So lange schwiegen wir uns an, bis wir plötzlich beide nach vorne schossen und den anderen in einen Kuss verwickelten. Und es war der verrückteste und erotischste Kuss, den ich jemals erlebt hatte. Frei von Rücksicht auf den anderen und dennoch voller verquerer Liebe. Als würden wir versuchen, den anderen damit zum Schweigen zu bringen. Oder etwas in uns.
 

Meine Finger fuhren mit mehr Druck, als angenehm sein konnte, über seinen Körper und folgten dabei Jeffreys Beispiel. Und obwohl ich mich an die missglückte Nacht mit ihm erinnerte, machte mir das nichts aus. Es versetzte mich sogar in Aufregung.
 

Wie es schien, hatte ich einen Teil von mir auf der Feier zurückgelassen und Platz für etwas Neues gemacht. Ein Vertrauen in mich, das sich nicht so einfach erschüttern lassen wollte.
 

In den folgenden Minuten liebten wir uns mit einer Intensität, die nicht nur mich überraschte, sondern auch Jeffrey. Sein überraschter Gesichtsausdruck wich jedoch schnell einem breiten Grinsen, während wir uns beide erbarmungslos zum Höhepunkt trieben.



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