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[Operation Nautilus] Andara-House

Mein letztes Jahr
von

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"Als der Pfau den Löwen traf - Teil 1"

Ich langweilte mich sehr. Bereits vor einer Weile hatte ich Jeffrey in der Masse der feiernden Leute, in der ich mich mehr als unwohl fühlte, verloren. Auch, wenn man durch die Masken nicht wusste, wer der jeweils andere war, hatten Stan und Jeffrey den Vorteil, dass sie viele hier kannten oder einfach schneller Vertrauen fassten. Schon bald waren sie in unzählige Gespräche vertieft, die mir zu persönlich waren, als dass ich ihnen hätte folgen können und zog mich daher zurück. Jeffrey schien es gar nicht zu bemerken und ich hatte nicht vor, ihm am Rockzipfel zu hängen. Auch an Stan wollte ich mich nicht heranwerfen. Ihn hatte ich erst kürzlich recht innig mit einem anderen Mann sprechen sehen und die beiden sahen aus, als benötigten sie Zeit nur zu zweit.
 

Auf keinem Fall wollte ich ihm da im Weg stehen und schon gar nicht etwas davon mitbekommen. Er konnte sich hier vergnügen wie er wollte, sehen wollte ich es auf keinen Fall. Dass hier durchaus mehr passieren konnte, war mir schnell bewusstgeworden und zum ersten Mal war ich froh, diese Maske zu tragen. Denn sie versteckte mein rot glühendes Gesicht, als ich die ersten Männer eng umschlungen und küssend vorfand oder gedämpftes Stöhnen aus einem der Zimmer wahrnahm. Oder kam es nur aus einer dunklen Nische?
 

Mir war das nicht ganz klar, aber niemand hier war gewillt, seine Zuneigung vor den anderen zu verbergen.
 

Ich jedoch hatte bisher niemanden gefunden, mit dem ich eine anregende Unterhaltung führen oder dem ich mich gar an den Hals werfen würde.
 

Außerdem war ich ja mit Jeffrey zusammen. Jeffrey. Innerlich krampfte sich in mir etwas zusammen. Sicher, ich hatte es selbst gedacht: Ich wollte ihn mit meiner verklemmten, unsicheren Art nicht stören. Aber je mehr ich ineinander verschlungene Leiber sah, umso mehr sorgte ich mich, dass er etwas Interessanteres als mich fand und musste an die beiden Männer denken. Ich war eifersüchtig, stellte ich mit einem schweren Seufzen fest.
 

„Ich bin also nicht der Einzige, der sich nicht amüsiert“, hörte ich eine ruhige und angenehme Stimme neben mir. Erstaunt drehte ich mich zu dem Mann um und musterte ihn neugierig. Er trug ein knielanges, indisches Gewand, dessen Farbe – weiß, mit den eingearbeiteten Verzierungen aus silbernen Fäden – in krassem Gegensatz zu seiner dunklen Haut stand. Unter seinem Turban ging ein rabenschwarzer Pferdeschwanz bis zur Mitte seines Rückens hervor. Sein sanftes Lächeln war alles, dass ich von seinem Gesicht erkannte, denn der Rest war von einer kunstvollen Löwenmaske verdeckt.
 

Der Mann war eine Erscheinung, wie ich sie noch nie gesehen hatte und mein Kopf begann bereits, wilde Vermutungen anzustellen, wer er sein könnte. Er musste ein machtvoller Mensch sein, womöglich reich. Vielleicht war er gar ein Maharadscha. Warum sollte sich so jemand mit mir abgeben? Warum verschwendete er ein einziges Wort an mich?
 

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und zu spät bemerkte ich, dass ich ihn die ganze Zeit anstarrte. Peinlich berührt drehte ich den Kopf weg und starrte auf meine Fußspitzen.
 

„Verzeiht“, murmelte ich und war froh, dass die furchtbare Pfauenmaske mein Gesicht verbarg. Das einzige, was er von mir sehen konnte, waren meine Lippen. Und nur sie verrieten, dass ich mich mehr als unwohl fühlte, aber ich konnte das ständige Knabbern darauf nicht unterdrücken.
 

„Deine Maske ist das Schönste, das ich hier bisher gesehen habe“, begann er wieder das Gespräch mit mir. Kurz schielte ich wieder zu ihm herüber, vernahm jedoch weder in seiner Stimme, noch auf seinen Lippen Spott. Er musste das tatsächlich ernst meinen.
 

„Ich ...“ Meine Stimme war kratzig und ich musste mich räuspern, um sie klar zu bekommen. Dennoch fand ich einfach meine Sicherheit nicht und konnte absolut nicht verstehen, was mit mir los war. „Ich finde sie ehrlich gesagt schrecklich. Ich trage sie so freiwillig, wie ich hier bin.“
 

„Hm“, machte er nachdenklich und der Laut jagte mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper. Seine Stimme war dabei so tief. Ein Brummen tief aus seiner Brust, dass ich mir das Vibrieren, welches durch seinen Körper gehen musste, nur zu gut vorstellen konnte. „Und dennoch bist du hier“, stellte er lächelnd fest. „Vielleicht ist das Vorsehung? Immerhin würde ich mich allein langweilen, wenn du nicht hier wärst.“
 

Ich lachte. Es kam so spontan aus mir heraus, dass ich mich selbst verwundert angeblickt hätte.
 

„Ich glaube nicht, dass ich so eine gute Gesellschaft bin“, versuchte ich zu erklären. Wie sollte ich mir mit diesem Mann die Zeit vertreiben, wenn ich nicht einmal sprechen konnte, ohne dass mir die Stimme versagte?
 

„Bisher empfinde ich es als recht angenehm“, gab er zu und ich horchte verwundert der leisen Freude in mir nach.
 

Schüchtern musterte ich wieder den teuren Marmorboden unter meinen Füßen und zuckte zusammen, als ich ein langgezogenes Stöhnen hörte. Stan hatte es mir erklärt. Aber ich konnte dennoch nicht damit umgehen, dass alle hier so offen mit ihrer Sexualität umgingen und sich hemmungslos liebten. Ihnen musste klar sein, dass jeder sie hören und sich vorstellen konnte, was sie taten. Jedoch war dies hier für die meisten, die dieses Fest besuchten, die einzige Möglichkeit, sie selbst zu sein. Viele hatten sogar Ehefrauen und Familien, aber hier konnten sie sich einem anderen hingeben, ohne Angst vor Verurteilung zu haben. Es war weitestgehend sicher, da niemand wusste, wer der andere war. Bis auf wenige Ausnahmen, wenn ich an Stan, Jeffrey und mich dachte. Aber keiner von uns würde die Identität des anderen verraten.
 

War das meine Zukunft? Würde sich Jeffrey und ich Ehefrauen nehmen und uns immer nur hier treffen können? In der Hoffnung, dass keiner dieses Fest verriet und damit alle in Gefahr brachte. Oder gab es eine Möglichkeit, dass wir zusammen sein konnten. Dann jedoch wären wir dem permanenten, gesellschaftlichen Starren ausgesetzt. Eine Abscheulichkeit, der man aus dem Weg ging oder besser noch, versuchte, sie zu tilgen. Wieder entfuhr mir ein schwerer, trauernder Laut. Ich wollte kein Doppelleben, keine ständige Gefahr um mich herum, aber ich wollte ich selbst sein.
 

„Wollen wir vielleicht irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist?“, fragte mich der Mann mit der Löwenmaske und ich blickte ihm geschockt entgegen. Wieder hörte ich eine Stimme lustvolle Geräusche ausstoßen und kurz darauf eine zweite. Meine Gedanken gingen unwillkürlich in die Nacht zurück, in der Jeffrey und ich uns geliebt hatten. Zum ersten Mal auf diese Art, die mich noch immer ziemlich verwirrte. Es war mir zuerst unvorstellbar erschienen, die Männlichkeit eines anderen in sich aufzunehmen und ich erinnerte mich auch an den Schmerz, der damit verbunden war. Doch dass dieses Gefühl ebenso in Lust umschlagen konnte, war eine verwirrende Erfahrung gewesen, die ich noch nicht ganz verarbeitet hatte. Auch wenn ich diese Lust eben nur kurz gefühlt hatte.
 

„Ich … ich weiß nicht … ob ich das kann“, murmelte ich und damit wurde mir eine ganz andere Sache bewusst. Ein gewisser Teil in mir, war durchaus bereit, mit diesem vollkommen fremden Mann mitzugehen. Aber war er wirklich ein Fremder?
 

Verstohlen musterte ich ihn und fragte mich, woher das vertraute Gefühl kam. Ich fühlte mich in keinster Weise unwohl in seiner Nähe. Es war eher so, dass meine Empfindungen mich verunsicherten.
 

„Ich denke, dass du es schaffen kannst, eine Tasse Tee mit mir zu trinken.“ Er zwinkerte – ich erahnte es mehr, als dass ich es sah – aber die Geste zauberte mir ein verhaltenes Lächeln auf die Lippen und ich konnte es nicht über mich bringen, abzulehnen. Und wenn ich es nüchtern betrachtete: Ich hatte die Wahl zwischen hier weiter nutzlos herumstehen oder einen Tee mit einem äußerst sympathischen Mann zu trinken. Ich wusste nicht, woher die Sicherheit kam, aber ich war fest davon überzeugt, dass er nichts gegen meinen Willen tun würde.
 

„Also gut.“
 

„Schön!“ Sein strahlendes Lächeln offenbarte weiße, makellose Zähne und ich konnte mir vorstellen, dass dieser Mann wunderschön aussehen musste. Die geschwungenen Lippen, sein dunkelbrauner Hautton und die Form seines Gesichtes – auch wenn ich nur die Kinnpartie sah – erfüllten mich mit tiefer Zuneigung. „Ich glaube, die Küche war in dieser Richtung.“
 

Mit einer geschmeidigen Bewegung, die mich an eine Katze erinnerte, drehte er sich um und deutete den Gang hinab. Ich nickte und folgte ihm dann. Während wir eher still nebeneinander hergingen, stellte ich fest, dass die Küche tatsächlich recht abseits von allem lag. So wären wir auf jeden Fall sicher vor den anderen Partygästen und ihren Ausschweifungen. Der Gedanke erfüllte mich mit einer angenehmen Ruhe, bis mir bewusstwurde, dass ich weit ab von allem und in der Gesellschaft eines fremden Mannes war. Dazu kam, dass weder Jeffrey, noch Stan wussten, wo ich hingegangen war.
 

Ich konnte nicht genau ausmachen, wie alt er wohl war – wobei er mir noch recht jung erschien – aber er überragte mich um gut einen Kopf und auch wenn sein Körper schlank war, erahnte ich seine Muskeln an seiner breiten Schulterpartie. Wenn er vorhatte, mich zu überwältigen, würde ich nichts dagegen tun können.
 

Eigentlich hätte ich von Angst erfüllt sein müssen, aber ich spürte nur eine leichte Nervosität. Mehr nicht. Etwas tief in mir war fest überzeugt, dass mir keine Gefahr drohte. Sonst hätte ich nicht eingewilligt, mit ihm zu gehen.
 

Ich war so in meinen Gedanken vertieft, dass ich in ihn hineinlief, als er vor einer der Türen stoppte. Erschrocken taumelte ich zur Seite weg und wäre sicherlich gestürzt, wenn er nicht beherzt zugegriffen hätte. Sicher landete ich in seinen Armen und wunderte mich erneut, wie schnell und grazil er sich bewegen konnte. Ich hatte auf dem ganzen Weg hierher seine Schritte kaum vernommen und daher auch nicht bemerkt, dass er schon längst angehalten hatte. Dieser Mann war nicht nur durch seine Maske ein Rätsel, das mich beschäftigte. Alles an ihm machte mich neugierig.
 

„Bist du in Ordnung?“, fragte er in einem leicht erschrockenen Tonfall. Ich holte tief Luft und nickte, bevor ich mich langsam aus seinem Griff befreite. Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, hatte ich angefangen, leicht zu zittern. Ich biss die Zähne fest aufeinander und schlang die Arme um mich, aber es hörte einfach nicht auf. Immer wieder hörte ich das Knacken von brechendem Eis und fühlte das eisige Wasser, das mich umspülte. Warum kamen diese Erinnerungen gerade jetzt wieder in mir hoch? Seit Tagen hatte ich nicht mehr daran gedacht und nun, mitten aus dem Nichts, kam alles wieder hoch.
 

„Komm.“ Ich fühlte seine Hand in meinem Rücken, die mich sanft in den Raum hineinschob und wie er mich schließlich auf eine Bank, nahe neben dem Ofen, hinabdrückte. „Ich mache schnell Feuer, dann wird es gleich wärmer.“
 

Mit keiner Silbe hatte ich erwähnt, dass ich fror, doch er hatte die Situation sofort richtig eingeschätzt.
 

Mit fliegenden Fingern legte er kleine Holzscheite und einiges an Altpapier, das neben dem Ofen stand, in das Innere und entzündete ein weiteres zusammengeknülltes Papier. Einige Sekunden hielt er es in der Hand, ging sicher, dass es richtig Feuer gefangen hatte und legte es dann schon fast bedächtig in die Öffnung. Nachdem er den Ofen sorgfältig verschlossen hatte, sprang er auf die Füße und durchsuchte die Schränke. Während er dies tat, beobachtete ich ihn unauffällig und wunderte mich, wie gut er sich damit auskannte. Er bereitete Teetassen und die Kanne auf einem Tablett vor, während er Holz in den Ofen zugab und sich immer wieder erkundigte, ob ich mich besser fühlen würde.
 

Vor wenigen Minuten hatte ich noch gedacht, es mit einem König zu tun zu haben, nun erschien er mir, als hätte er seinen Lebtag nichts Anderes gemacht, als zu dienen. Aber er strahlte dabei eine Würde aus, die der eines Maharadschas ebenbürtig war und ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas Geringes in ihm zu sehen.
 

Ich rieb mir die kühlen Hände und jetzt, wo das Feuer behaglich im Ofen knackte, merkte ich erst, dass die Kälte nicht nur von meinen Emotionen kam. Es war hier tatsächlich sehr kalt gewesen und ein Blick durch den kargen Raum sagte mir auch, warum. Anders als der Rest des Anwesens bestand dieser Raum nur aus puren Backsteinwänden, die auch fast alle Außenwände sein mussten. Daher musste der Raum im Winter einem Eisschrank ähneln und auch jetzt, im Frühling, war es hier sehr kalt. Das Gute daran war, dass Vorräte nicht so schnell verderben konnten, aber bis der Ofen den Raum aufgeheizt hatte, zitterte ich wie Espenlaub.
 

Der Mann füllte Wasser in einen Kessel und stellte ihn dann auf die nun glühende Kochstelle, während er den Rest des Service auf dem Küchentisch anrichtete. Mit einer knappen Handbewegung deutete er mir an, dass ich zu ihm herüberkommen sollte. Etwas wehmütig ging mir dabei durch den Kopf, dass ich dann weiter weg von dem warmen Feuer sein würde.
 

Aber wieder überraschte der Fremde mich. Kaum war ich aufgestanden, sah ich, dass er eine säuberlich zusammengefaltete Decke in den Händen hielt. Diese legte er mir um die Schultern, als ich mich auf dem Stuhl, auf den er deutete, niedergelassen hatte.
 

Mir wurde angenehm warm. Es war wie vorhin mit der Kälte. Das Gefühl wurde nicht nur durch die äußeren Gegebenheiten hervorgerufen, sondern kam tief aus mir. Nur dass es diesmal nicht unangenehm war.
 

Obwohl ich ihm vollkommen egal sein konnte, kümmerte er sich um mich, als hinge sein Leben davon ab. Außerdem hatte er mich auf den Stuhl dirigiert, der am nächsten am Ofen war.
 

Sozusagen der beste Platz hier in der Küche, den er durchaus auch für sich hätte beanspruchen können.
 

„Es tut mir leid“, murmelte er, während er sich neben mich an die Stirnseite des Tisches setzte. „Der Raum ist wahrscheinlich der ruhigste von allen. Leider ist er wohl auch der kälteste.“
 

Ich konnte nicht anders, als nur zu nicken, während ich mich von seinem Blick sanft gemustert fühlte. Leider konnte ich nicht viel von seinen Augen erkennen. Sie schienen recht dunkel zu sein, fast schon schwarz. Aber das konnte auch an den Schatten liegen, die seine Maske warf. Möglicherweise hatte er eine ganz andere Augenfarbe, als ich dachte. Jedoch bezauberte mich dieses tiefe Schwarz, das so unergründlich war, wie er selbst.
 

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus und ich suchte fieberhaft nach einer Antwort, die ich ihm geben sollte. Aber alles, was mir einfiel, war zu belanglos, um ihn damit zu langweilen. In mir wuchs die unangenehme Angst, dass er das Interesse an mir verlieren könnte und einfach gehen würde. Das wollte ich nicht.
 

Mir war bewusst, wie unwirklich diese Situation war. Wir waren beide hier auf dieser Feier, auf der niemand vom anderen erkannt werden wollte. Es gab keine Verpflichtungen an die andere Person und wenn der Abend endete, würde ich ihn nie wiedersehen. Daher wäre es klug gewesen, ihn gehen zu lassen. Mich gar nicht erst mit ihm in Verbindung zu bringen. Aber ich konnte nicht. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, die Ewigkeit mit ihm in dieser Küche zu verbringen, hätte ich sie genutzt.
 

Der Wasserkessel pfiff.
 

Also wollte das Pfeifen mich ermahnen, wer ich war und wo ich mich befand. Ich war im Vergleich mit ihm ein törichter Junge. Unselbstständig, unerfahren und dumm. Außerdem hatte ich mein Herz einem anderen geschenkt.
 

Auch der Fremde sah aus, als würde er für einige Sekunden nicht begreifen, was das für ein Geräusch war, bis er schließlich aufsprang und, mit Hilfe eines Tuches, den heißen Kessel von der Feuerstelle nahm.
 

„Vorsichtig“, warnte er mich und schob sich neben mich, um die Teekanne aufzufüllen. Wieder einmal hatte ich seine Bewegungen kaum wahrgenommen und ohne seinen Hinweis hätte ich ihm vermutlich wirklich vor Schreck den Kessel aus der Hand geschlagen.
 

„Danke“, sagte ich und ließ mit Absicht aus, was ich damit genau meinte. Danke, dafür dass er mich vor der beängstigenden Feier gerettet hatte? Dafür, dass er für Wärme sorgte oder dass er stets so vorausschauend war?
 

Ich wusste es selbst nicht genau, aber ich fühlte Dankbarkeit und wollte ihn daran teilhaben lassen.
 

„Wie kommt es, dass du hier bist, wenn das alles dir so unangenehm ist?“, fragte er mich jetzt sehr offen, jedoch nicht lauernd. Aus seiner Stimme sprach reines Interesse.
 

Gerade, als ich antworten wollte, unterbrach er mich noch einmal; selbst dabei war er nicht forsch, sondern einfühlsam. „Vergiss nicht: Sage nichts, was mir einen Hinweis darauf geben könnte, wer du bist.“
 

Ich nickte. Tatsächlich hätte es mir passieren können, dass mir ohne, dass ich es wollte, ein Name oder ein Ort herausgerutscht wäre, der mich verraten hätte.
 

„Ich bin hier mit … zwei Freunden“, sagte ich stockend und überlegte mir, was ich sagen konnte und was nicht. „Sie … sind mit dem allen sicherer als ich und es bedeutet ihnen viel, daher wollte ich sie nicht davon abhalten.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn ich mich dagegen ausgesprochen hätte, wären wir wohl alle nicht hier und ich wollte ihnen das nicht nehmen.“
 

„Also hast du dich selbst zurückgestellt, um es anderen recht zu machen“, stellte er treffend fest, während er uns beiden Tee eingoss. Ich verzog die Lippen, denn seine Aussage stellte Jeffrey und Stan in einem schlechteren Licht dar, als sie es verdient hatten. Sie zwangen mich zu nichts und wollten nur, dass ich das alles einmal kennengelernt hatte. Um zu sehen, dass ich nicht allein war. Dass es noch so viele gab, wie ich war, auch wenn sie sich hinter unzähligen falschen Leben versteckten.
 

„Nein, ich wollte nur nicht ...“
 

Ich brach ab. Ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte und wenn ich es genau betrachtete, hatte ich es den beiden rechtmachen wollen. Oder vielmehr Jeffrey. Die Angst, er könnte mich als verklemmten Langweiler sehen, war zu groß gewesen, als dass ich klar sagen konnte, mir würde eine Feier, in der alle sich offen lieben konnten, Angst machen.
 

Nun saß ich hier und wusste nicht, wohin mit mir. Erschrocken sah ich auf, als ich seine Hand auf meiner fühlte.
 

„Diese Eigenschaft ehrt dich. Sie zeigt, dass du ein gutes Herz hast. Aber pass auf, dass niemand das ausnutzt. Nicht jeder ist so rein wie du. Selbst ich nicht.“
 

Erstaunt sah ich ihn an und konnte nicht recht glauben, was er mir damit zu verstehen geben wollte. Nach wie vor war er mir fremd, aber ich konnte nicht glauben, dass er mir etwas antun könnte. Wollte er mir gerade sagen, dass er trotz allem dazu in der Lage wäre? Dass die Sicherheit, die ich fühlte, trügerisch war?
 

Er nahm die Hand nicht etwa von meiner, sondern umschloss sie fester. Jedoch so, dass ich jederzeit in der Lage war, Abstand zwischen uns zu bringen. Dennoch tat ich es nicht. Die Berührung war unerwartet, aber nicht etwa unangenehm.
 

„Ich habe dich nicht nur angesprochen, weil wir beide uns vollkommen fehl am Platz gefühlt haben“, offenbarte er mir jetzt und ich hing gebannt an seinen Lippen. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier bin und normalerweise halte ich mich dennoch von allem fern. Nur einmal habe ich es nicht getan und mich auf etwas eingelassen.“ Nun war er es, der kurz schwieg und zu überlegen schien, was er mir sagen konnte, bevor er mit Bedacht die nächsten Worte wählte. „Nur so viel: Es ging nicht gut aus und das ist eigentlich noch untertrieben. Dennoch komme ich her, auch wenn ich nichts suche.“
 

Er nippte an seinem Tee und ich fragte mich, was das mit mir zu tun hatte, wagte es jedoch nicht, ein Wort zu sagen.
 

„Ich habe eine Aufgabe, von der ich mich nie abwenden werde, weil die Person mir mehr bedeutet als alles auf der Welt. Aber gleichzeitig könnte er nicht weiter von mir entfernt sein. Er ist unerreichbar, weißt du? Nie würde ich es wagen, meine Hand an ihn zu legen und ihn mit dem zu besudeln, was ich bin.“
 

Seine Beichte jagte mir einen Schauer über den gesamten Körper und ich fragte mich unwillkürlich, wer diese Person war, der er solch eine Liebe entgegenbrachte. Mein Herz schlug schneller.
 

„Als ich dich da so einsam hab stehen sehen, musste ich an ihn denken. Natürlich ist es ausgeschlossen, dass er hier sein könnte. Wenn dem so wäre, hätte ich wohl versagt, denn er sollte jetzt ...“ Er brach mit einem Mal ab und mir wurde bewusst, dass er mir fast verraten hätte, wo die Person, die er liebte, sich befand. Ich errötete, während er sich neu sortierte. „Mir ist gerade bewusstgeworden, dass ich dabei bin, dich auszunutzen. Du bist nicht er und dennoch ist die Vorstellung gerade zu verlockend, aber ich bin nicht wie viele andere hier. Also verzeih mir, was ich gesagt habe. Ich werde es nicht ...“
 

Als würde mein Körper sich von selbst bewegen, sprang ich auf und erstickte seine Worte mit meinen Lippen.



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