[Operation Nautilus] Andara-House von MarySueLosthername (Mein letztes Jahr) ================================================================================ Kapitel 26: "Fünf Räder sind eins zuviel" ----------------------------------------- Die Nervosität in meinem Bauch steigerte sich unerträglich und mir wurde immer deutlicher klar, dass ich eigentlich nicht hier sein sollte. Zweifel und Schuld plagten mich. Ich hätte ehrlich sein und zugeben sollen, dass mir das unangenehm war – von Anfang an. Umkehren war jedoch keine Option. Außerdem war da noch diese leise Stimme, die mir zuflüsterte, dass ich vielleicht wirklich etwas verpassen würde. Womöglich war das heftige Klopfen meines Herzens keine Angst, sondern eine leise Vorfreude. Stan lief zielsicher zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Bevor er sie jedoch hinabdrückte und uns offenbart werden würde, was sich dahinter befand, drehte er sich noch einmal zu uns um. Selbst mit der Maske erkannte man, dass er uns einen nach dem anderen strengt musterte und sein Blick fixierte schließlich speziell Jeffrey. „Eine Sache noch“, sagte er und aus seinem Gesichtsausdruck war jedes Kameradschaftliche gewichen. Er wirkte nun beinahe strenger als Mr. McIntire. „Wenn ich einen von euch erwische, wie er Alkohol trinkt, könnt ihr was erleben!“ Ich biss mir auf die Unterlippe und nickte zustimmend. Mir wäre wohl nie im Leben eingefallen, alkoholische Getränke zu mir zu nehmen. Selbst, wenn man sie mir anbot. Aber bei Jeffrey war ich mir nicht sicher, ob er der Versuchung widerstanden hätte. Sein Onkel legte aber eine solche Autorität an den Tag, dass es selbst ihm verging, sich über dieses Verbot hinwegzusetzen. „Sehr gut“, meinte Stan, wobei er mir wissend zulächelte. „Dass ihr über das hier außerhalb unserer kleinen Runde nicht sprecht, muss ich sicher nicht erneut erwähnen. Sonst könnt ihr da drin machen was ihr wollt. Ich bin immerhin nicht eure Anstandsdame.“ Diesmal ersparte ich mir das Nicken, aber die versteckte Botschaft dahinter verstand ich allemal: Hängt mir nicht am Rockzipfel. Und ich fühlte mich davon keinesfalls vor den Kopf gestoßen. Immerhin war Stan alleinstehend und die Gefahren, von denen er mir erzählt hatte, galten natürlich auch für ihn. Wahrscheinlich war, dass es auch für ihn die einzige Gelegenheit war, vollständig er selbst zu sein und sich zu holen, was er brauchte. Dicht neben Jeffrey trat ich hinter Stan durch die Tür und traute anschließen kaum meinen Augen. Ich hatte erwartet, vielleicht in einen weiteren Flur zu gelangen oder noch eine Eingangshalle zu betreten, stand jedoch direkt in einem riesigen Ballsaal. Das Parkett unter meinen Füßen war auf Hochglanz poliert und die Wände mit Spiegeln in schnörkeligen Rahmen behangen. Darin brach sich das Licht der zwei kristallenen Kronleuchter und der Kerzen, die mit ihrem flackernden Licht für eine behagliche Stimmung sorgten. An der Stirnseite standen ein riesiger Flügel in Mahagoni, der ebenso blitze und blinkte, sowie Musiker mit Streichinstrumenten. Die musikalische Untermalung des Raumes wurde von einigen wenigen zum Tanzen genutzt, doch die meisten standen aufgrund der frühen Stunde in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Die an den Seiten aufgebauten Tische mit Leckereien und Getränken waren aber auch gut besucht. Nicht nur der Raum, von dem zwei geschwungene Treppen in ein weiteres Stockwerk führten, war beeindruckend, sondern auch das bunte Sammelsurium an Masken und Anzügen. Einige trugen Fracks in elegantem Schwarz oder sogar Weiß, andere – so wie wir – Anzüge, die ihre Träger nicht weniger geschmackvoll aussehen ließen. Wenn man von den Masken absah, hätte man dies für einen normalen Ball eines vermögenden Grafen halten können. Aber eben nur, bis mir die farbenfrohen Seidenschals oder andere Accessoires auffielen, die man eher an Frauen erwartet hätte. Einige trugen auch Kleider und es fiel teilweise nur an der Statur auf, dass man eben keine Frau vor sich hatte. Jedoch gab es hier nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die sich in den Armen lagen oder die Hosen trugen. Alle wirkten ausgelassen und gelöst – lachten, tanzten oder verschwanden tuschelnd in Seitengängen oder in Richtung des oberen Stockwerks. Stan hielt auf eine Gruppe Männer zu, die sich in diesem Moment umdrehten und ihm lachend zuwinkten. Obwohl sich hier keiner wirklich kannte, wirkten sie wie enge Freunde und vermutlich waren sie das trotz allem auch. Wie es schien, war Stan so oft hier, wie er konnte und auch, wenn man die Gesichter und Namen der anderen nicht kannte, bildeten sich Freundschaften und gar Liebschaften. Sie nahmen sich gegenseitig in die Arme und es entstand schon recht bald eine anregende Unterhaltung. Ich bewunderte das ganze Schauspiel von Weitem und war froh, dass ich Jeffrey noch neben mir hatte. Denn ich wusste absolut nicht, wie ich mich verhalten sollte. Sollte ich mich dazugesellen oder die Gruppe lieber allein lassen? Ich wollte Stan ungerne im Weg stehen oder gar störend auffallen. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen, bis Jeffrey mir einen Arm um die Schultern legte. Mein erster Impuls war, zurückzuzucken und einen anständigen Abstand zwischen uns zu bringen. Denn immerhin waren wir hier umringt von anderen Menschen, die uns so sehen würden. Dann wurde mir jedoch bewusst, wo wir waren. Zwar widerstand ich jetzt der Versuchung, direkt wegzulaufen, aber das steife Gefühl aus meinen Gliedern wich einfach nicht. „Lass uns heute einfach Spaß habe“, raunte Jeffrey nahe an meinem Ohr. Ich bemerkte, dass er irgendeine Reaktion von mir erwartete, aber ich war schlicht überfordert. „Was immer hier heute auch passiert, wir lassen es einfach hier. In Ordnung?“ Es folgte wieder eine Pause, in der ich seinen Blick brennend auf mir spürte. „Wir können also machen, was wir wollen!“ Da ich weiterhin verbissen schwieg, drehte er irgendwann meinen Kopf zu sich und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Aber für mich war es, als wären tausende Blicke auf uns gerichtet und ich brachte daher nur einen kurzen Kuss zustande, den man eher seiner kleinen Schwester zugedacht hätte. Jeffrey sagte nichts dazu, aber das brauchte er auch gar nicht. Ich sah an seiner Körperhaltung und an dem dünnen Strich, den seine Lippen bildeten, wie unzufrieden er war. Entschuldigend zuckte ich nur mit den Schultern. Möglicherweise wäre es besser gewesen, etwas zu sagen – mich zu erklären. Aber mir war einfach alles zu viel. Daher war es für mich eine willkommene Abwechslung, als zwei junge Männer lächelnd auf uns zukamen und uns in ein Gespräch verwickelten. An ihren Stimmen erkannte ich, dass sie nicht älter als achtzehn oder vielleicht zwanzig Jahre alt sein konnten. Also in unserem Alter, weshalb schnell unverfängliche Gesprächsthemen gefunden wurden. Jedoch eher spannende Themen für Jeffrey, denn ich hatte weiterhin Probleme damit, mich zu lösen und locker zu sprechen. Ich wusste nicht, was ich sagen konnte, ohne zu viel über mich zu verraten und interessierte mich außerdem nicht im Geringsten für Fußball oder Cricket. Bei Literatur hätte ich vielleicht mitreden können, aber die beiden schlugen eher in Jeffreys Richtung und waren vollkommen begeistert, als dieser von seinen Reitkünsten prahlte. Zwar konnte ich auch reiten, aber nur, wenn es darum ging, von A nach B zu kommen und war kein halber Cowboy, wie sich das bei Jeffrey anhörte. Ich bewunderte ihn übrigens: Er schaffte es, so viele spannende Geschichten zu erzählen und trotzdem gab er nichts Genaues von sich preis. Die drei lachten und scherzten schon nach kurzer Zeit, als wären sie sich bereits seit zehn Jahren bekannt. Da ich nur hin und wieder etwas zu diesem Gespräch beitragen konnte, fühlte ich mich schnell überflüssig und wahrscheinlich war ich es auch. Anfangs versuchte Jeffrey, mich noch verstärkt in das Gespräch einzubinden, aber ich nahm es ihm nicht übel, dass er dieses Vorhaben schnell aufgab. Suchend blickte ich mich in dem großen Saal um und suchte nach einer Möglichkeit, mich nach und nach abzusondern. Ich fand keinen Sinn darin, noch länger hier zu stehen und das fünfte Rad am Wagen zu sein. Aber ich wollte auch nicht einfach so fluchtartig verschwinden und ein Vorwand war mir da gerade recht. Kurz überlegte ich, mich eher an Stan zu halten, jedoch kam mir seine unausgesprochene Botschaft wieder in den Sinn und ich fand ihn recht eng mit einem anderen Mann im Gespräch. Auf keinen Fall wollte ich mich dazwischendrängen und fand schließlich doch einen geeigneten Weg für mich. „Wo finde ich hier das WC?“, fragte ich nach einem kurzen Räuspern. Einer der jungen Männer lächelte mich verschmitzt an und deutete dann in eine Richtung mitsamt einer knappen Wegbeschreibung. „Danke“, sagte ich nickend und warf einen kurzen Blick zu Jeffrey. „Bis später“, verabschiedete ich mich, wissend, dass ich mir Zeit lassen würde. Jeffrey warf mir nur einen kurzen irritierten Blick und schließlich ein Nicken zu, aber ich machte mich bereits in einen der Nebengänge auf, in welche die Beschreibung mich führte. Das Anwesen schien sehr groß zu sein und ich würde hier sicher die restliche Zeit herumbekommen. Wenn keine Türen oder Gänge abgesperrt waren, konnte ja wohl niemand etwas dagegen sagen, wenn ich mich etwas umsah. Jedoch spürte ich schon nach wenigen Metern tatsächlich einen unangenehmen Druck in der Blase und hielt mich daher exakt an die Wegbeschreibung. Außerdem war es glaubwürdiger, wenn ich tatsächlich das Badezimmer aufsuchte. Kurz musste ich über diesen Gedanken lachen, denn es war immerhin nicht so, dass ich jemandem Rechenschaft darüber ablegen musste, wo ich hinging. Seufzend setzte ich den Weg fort, bis ich einen unangenehmen Blick auf mir spürte. Suchend sah ich auf und gewahrte einen Mann, der mich interessiert musterte. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er mich an und bewegte sich genau in meine Richtung. So schnell ich konnte, wandte ich den Blick ab und blieb vor einem der Gemälde an der Wand stehen. Es zeigte eine Landschaft, die mich nicht im Geringsten interessierte, aber ich hatte mein Ziel fast erreicht und es war mir unangenehm, vor diesem Mann ins Badezimmer zu laufen. Wahrscheinlich war es paranoid, aber ich hatte Angst, dass er mir folgen würde. Daher tat ich so, als würde das Bild mich komplett fesseln und ich ihn gar nicht bemerken. Meine Hoffnung war, dass er einfach weiterlief. Wie sich aber herausstellte, war er zu unsensibel, meine Körpersprache richtig zu deuten oder es war ihm schlicht egal. Denn er sprach mich trotzdem an. „Hallo. Bist du ganz allein hier?“, fragte er mich. Ich warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu und konzentrierte mich dann weiterhin auf das Bild. Seine Stimme war zwar nicht unangenehm, dennoch störte seine Anwesenheit mich und ich fühlte mich gar bedrängt. „Möchtest du vielleicht eine Kleinigkeit mit mir trinken gehen?“ „Nein, bin ich nicht!“, stieß ich verspätet und gepresst aus. Dabei funkelte ich ihn so böse an, wie ich nur konnte. Verwirrt, aber dennoch lächelnd sah er mich an. „Wie?“ „Ich bin nicht allein hier und ich möchte nichts trinken!“ Zwar war das sicherlich etwas zu schroff und er tat mir irgendwie auch leid, aber ich fühlte mich besser, nachdem seine Schritte im Gang verhallt waren. Der Blick, den er mir zugeworfen hatte, war vielsagend gewesen. Dennoch war es mir lieber, als seltsam wahrgenommen zu werden, als meine Zeit mit einem Mann zu verbringen, der ein unangenehmes Gefühl in mir hervorrief. Nachdem ich mir sicher sein konnte, dass er weg war, machte ich mich auf in das Badezimmer und ließ mir so viel Zeit dabei, bis ich mir fast selbst albern vorkam. Seufzend verließ ich dieses schließlich wieder, blieb aber direkt unschlüssig stehen. Ich wusste nicht wirklich, wohin mit mir und entschloss kurzerhand, doch in den großen Saal zurückzugehen. Vielleicht sollte ich versuchen, bei der kleinen Gruppe um Jeffrey Anschluss zu finden und mich etwas kommunikativer zu geben. Zielstrebig lief ich den ganzen Weg wieder zurück, aber ein flaues Gefühl im Magen ließ mich innehalten, bevor ich ihn schließlich betrat. Etwas versteckt stand ich neben einer riesigen Topfpflanze und suchte den gesamten Saal ab, aber ich konnte weder Jeffrey, noch die zwei jungen Männer entdecken. Wahrscheinlich befanden sie sich irgendwo dort, aber der Saal war mittlerweile so voll, dass ich mir da absolut nicht sicher sein konnte. Vermutlich hätte ich mich ganz in den Raum wagen sollen und so eine größere Möglichkeit gehabt, ihn zu finden, aber ich traute mich absolut nicht. Wen ich entdeckte, war Stan. Aber gerade als er den Kopf drehte und in meine Richtung blickte, zog ich mich reflexartig hinter der Pflanze zurück. Ich wollte nicht, dass er mich sah und das Gefühl bekam, er müsse mich unterhalten. Denn ich hatte ihn einige Zeit beobachten können und er schien vollkommen fasziniert von seinem Gegenüber zu sein. Um nichts in der Welt wollte ich ihm das vermiesen, also versteckte ich mich lieber. Nervös lief ich ein Stück in die Richtung zurück, aus der ich gekommen war. Nur, um direkt zu erstarren, als ich einige Stimmen hörte. Hier und da ein vergnügtes Lachen und da ein wohliges Stöhnen – aber es führte alles zu einem Ergebnis: Ich fühlte mich absolut fehl am Platz. 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