[Operation Nautilus] Andara-House von MarySueLosthername (Mein letztes Jahr) ================================================================================ Kapitel 7: "Der Mann im Pullover" --------------------------------- Die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens; genau das fühlte ich, als ich wieder zu mir kam. Verwundert sah ich mich um und erkannte, dass ich in meinem Bett lag. Vollkommen verwirrt versuchte ich, zu rekonstruieren, was passiert war. Ich erinnerte mich, dass ich mit Paul am See spazieren war und Jeffrey war auch dort gewesen. Er war auf dem Eis und dann... Keuchend fuhr ich hoch und wäre fast mit Paul zusammengestoßen, der halb über mir gebeugt an meinem Bett saß. „Miss McCrooder, Mike ist wach!“, rief er überflüssigerweise in den Raum hinein. Wimmernd sank ich zurück, denn zu den Kopfschmerzen gesellte sich, durch meine schnelle Bewegung, nun auch eine schreckliche Übelkeit. Im nächsten Moment tauchte das Gesicht der Sekretärin des Rektors über mir auf. Sie war blasser als sonst und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Auch Paul sah aus, als hätte er tagelang nicht mehr geschlafen. „Ein Glück!“, murmelte sie und legte mir die Hand auf die Stirn. „Das Fieber ist weg.“ Sie lächelte, doch recht schnell legte sich wieder ein besorgter Blick auf ihr Gesicht. „Wenigstens bei einem.“ „Was ist passiert?“, murmelte ich schlapp, während ich mich nun vorsichtiger aufsetzte. Trotzdem musste Paul mir helfen und erst, als er das Kissen fest in meinen Rücken stopfte, hatte ich sicheren Halt. „Ihr Jungs wart sehr leichtsinnig; das ist passiert!“, antwortete Miss McCrooder schnippisch, biss sich jedoch sofort auf die Unterlippe und schien ihren Ausbruch zu bereuen. „Wie seid ihr nur auf die Idee gekommen, auf den See zu gehen? Ihr seid doch alt genug, um zu wissen, wie gefährlich das ist.“ Schuldbewusst sah ich sie an. Zwar war Jeffrey zuerst auf den See gegangen, aber ich gab mir die Schuld daran, denn immerhin hatte er es wegen mir getan. Hätte ich gewartet, dann hätte Jeffrey sich nicht gezwungen gefühlt, so ein Risiko einzugehen. „Hier, trink das“, sagte Paul, der kurz aufgestanden war, um eine Tasse mit heißem, dampfenden Tee zu füllen. Ich nahm sie entgegen, brachte es aber nicht über mich, davon zu trinken. Zwar war mir eiskalt, aber das interessierte mich gerade nicht. „Was ist ... mit Jeffrey?“, fragte ich stockend und hatte Angst vor der Antwort. Dunkel erinnerte ich mich, dass man uns aus dem See gezogen hatte und an einen Mann ohne Jacke, aber danach war alles dunkel. Ohne meine Frage zu beantworten stand Miss McCrooder auf und lief zur anderen Seite des Raumes. Ich folgte ihr stumm mit meinen Blicken und erkannte, dass sie zu Jeffreys Bett lief, neben dem sie sich seufzend auf einen Stuhl sinken ließ. Beim Wachwerden hatte ich bereits in die Richtung gesehen, aber nur ein wirres Sammelsurium von Decken erkannt. Jetzt aber sah ich, dass Jeffrey sich darunter befand. Er sah blass aus, war bewusstlos und zitterte immer wieder unkontrolliert. „Jeffrey hat es schlimmer erwischt, als dich“, erklärte Paul. „Er hat seit zwei Tagen hohes Fieber, bei dir ist es immerhin zwischendurch mal runtergegangen.“ Vorsichtig nippte ich an dem Tee und hätte mich fast daran verschluckt. „Soll das heißen, ich war zwei Tage lang bewusstlos?“ Bevor Paul mir antworten konnte, musste er herzhaft gähnen und rieb sich dann die tränenden Augen. Er sah aus, als würde er jeden Moment auf mein Bett fallen und tief und fest schlafen. „Mhm“, machte er und gähnte noch einmal. „Miss McCrooder und ich waren fast die ganze Zeit auf, um uns um euch zu kümmern. Mr. McIntire hat mir sogar frei gegeben dafür, aber glaub mir, der kocht innerlich. Sobald es dir und Jeffrey bessergeht, bekommt ihr so richtig Stress.“ Ich nickte einfach nur und sah ihn dankbar an. Zwar war mir vor McIntires Strafe recht mulmig, aber ich war froh, dass ich sie erleben konnte. Es hätte nicht viel gefehlt und Jeffrey und ich wären im See ertrunken, beziehungsweise vorher erfroren. Mir fröstelte es und das nicht nur, weil ich schrecklich fror, sondern weil mir klar wurde, dass ich nun genauso gut tot sein könnte. Vorsichtig nippte ich an meinem Tee, genoss, wie die heiße Flüssigkeit mich von innen wärmte und umklammerte meine Tasse. „Danke“, sprach ich jetzt aus, was ich dachte. Denn was Paul geleistet hatte, war nicht unbedingt selbstverständlich und da es in letzter Zeit nicht so gut mit uns lief, wollte ich, dass er es wusste. „Wie hast du das eigentlich geschafft?“, fragte ich ihn schließlich. Ich konnte mich gar nicht erinnern, wie Jeffrey und ich zurück zum Internat kamen und selbst die Minuten, nachdem wir eingebrochen waren, ließen sich kaum noch fassen. Verschlafen blinzelte Paul mich an. „Was meinst du?“ „Na, wie hast du mich und Jeffrey aus dem See gezogen und zurückgebracht?“ „Erinnerst du dich gar nicht?“ Paul sah mich fassungslos an und als ich langsam den Kopf schüttelte, begann er zu erzählen. „Als Jeffrey im See eingebrochen war und du ihm hinterher bist, da war ich absolut verzweifelt und wusste nicht was ich tun sollte. Ich dachte, ich sehe euch beide da sterben und dann war da plötzlich dieser Mann. Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen und hatte keinen Schimmer, wo der plötzlich herkam, aber ohne ihn wäre es das für euch gewesen. Alles was ich getan hatte, war, dich an den Beinen festzuhalten, bevor du noch weiter einbrichst und er hat euch dann herausgezogen. Glaub mir, ich habe noch nie jemanden gesehen, der so stark war.“ Natürlich, der Mann ohne Jacke. „Ist er noch hier?“, fragte ich Paul. Ich hoffte, ihm persönlich dafür danken zu können und ich erinnerte mich bruchstückhaft an ein dunkles Gesicht und war interessiert, wer er war. Mein Blick glitt durch den Raum, aber außer Miss McCrooder und dem bewusstlosen Jeffrey erkannte ich keine weitere Person. Dennoch sah ich etwas anderes, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Über meinem Schreibtischstuhl hing eine Jacke, die mir gänzlich unbekannt und außerdem ein paar Nummern zu groß war. Der Mann ohne Jacke, schoss es mir wieder durch den Kopf. Natürlich war er nicht nur im Pullover durch den Wald gelaufen; er hatte mir seine Jacke um die Schultern gelegt, nachdem er mich gerettet hatte. „Nein“, erklärte Paul und ich seufzte innerlich. „Er hatte McIntire und die anderen Lehrer informiert, die dann sofort gekommen sind und uns geholt haben, aber der Mann war nicht mehr dabei.“ „Hmm“, machte ich und in meinem Kopf ratterte es. „Hat er gesagt, wer er ist? Hat er dir einen Namen gesagt?“ Wieder verneinte Paul. Kurz schwieg ich, dann schlug ich mit einer plötzlichen Bewegung die Decke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Vor Überraschung war Paul aufgesprungen und auch Miss McCrooder sah alarmiert zu mir herüber. Als meine Füße den Boden berührten und ich Anstalten machte aufzustehen, lief sie zu uns herüber. „Was soll das?“, rief sie erschrocken und beförderte meine Beine wieder in das Bett. „Du solltest noch nicht aufstehen, Mike. Du bist noch viel zu schwach und solltest dich lieber ausruhen. Wenn du morgen noch fieberfrei bist, dann können wir da gerne noch einmal drüber sprechen. Nun bleibst du aber im Bett, junger Mann!“ Ich fand, dass sie absolut übertrieb, aber ihr Tonfall war so ungewohnt scharf, dass ich lieber nicht widersprach. Sie nahm mir die leere Tasse ab, füllte sie erneut und forderte mich auf, zu trinken. Tatsächlich hatte ich auch einen heftigen Durst und nippte davon, aber wichtiger, als zu trinken, war mir in diesem Moment immer noch die Jacke. „Könntest du mir die Jacke bringen, Paul?“ Eifrig nickte dieser und lief zum Schreibtisch, während Miss McCrooder ihm stirnrunzelnd nachsah. „Was willst du denn jetzt mit deiner Winterjacke?“, fragte sie verwirrt und auch eine Spur lauernd. „Es ist nicht meine Jacke“, erklärte ich, nachdem ich sie Paul dankend abgenommen hatte. Dann kam mir jedoch noch eine andere Idee: Wenn Paul nicht wusste, wer der Mann war, vielleicht wussten es die Lehrer; möglicherweise hatte er ihnen seinen Namen genannt. Ich stellte eine entsprechende Frage an Miss McCrooder, doch diese war genauso ratlos wie Paul. Wieder eine Sackgasse, dachte ich enttäuscht und nun war die Jacke meine letzte Hoffnung, etwas über meinen Retter zu erfahren. Während ich von den beiden mit tausend Fragezeichen in den Augen beobachtet wurde, starrte ich die Jacke auf meinem Schoß an, als würde sie dadurch anfangen, mit mir zu reden. Sie bestand aus dunkelbraunem Wildleder und war wundervoll weich unter meinen Fingern; sicher war sie nicht billig gewesen, so viel stand fest. Vorsichtig strich ich mit den Fingerspitzen darüber, atmete tief ein und blinzelte verwundert über die Dinge, die mir daran auffielen. Ich schnüffelte noch einmal unauffällig daran, aber der Gedanke blieb; sie roch unglaublich gut. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, drehte sie nach allen Seiten und suchte nach Taschen. Es gab zwei an der Vorderseite, die sogar recht groß waren, eine kleine Tasche auf der linken Seite in Höhe der Brust und eine kleine, sehr unscheinbare innen. Da musste doch irgendetwas zu finden sein, das mir helfen konnte, die Identität unseres Retters in Erfahrung zu bringen, dachte ich. Wie ein Irrer durchwühlte ich die Taschen, dass Miss McCrooder und Paul sich mit hochgezogenen Augenbrauen ansahen. „Bist du sicher, dass er sich nicht auch den Kopf angestoßen hat?“, hörte ich die junge Sekretärin fragen, ignorierte ihre wenig schmeichelhafte Bemerkung jedoch. Zuerst nahm ich mir die Innentasche vor. Vermutlich würde man persönliche Papiere eher da verstauen und ich war ziemlich enttäuscht, als ich das Futter komplett leer herauszog. Dann vielleicht die Brusttasche? Auch hier: Fehlanzeige! Aber ich hatte ja noch zwei vor mir, alles gut. Ich würde schon noch herausfinden, wer der geheimnisvolle Mann war. Motiviert stopfte ich meine Hand in die Rechte der beiden großen Taschen und meine Fingerspitzen stießen tatsächlich auf etwas. Triumphierend holte ich das kleine zerknüllte Etwas hervor und musste innerlich lächeln, mein Retter bekam wohl auch ungeliebte Zettelchen. Jedenfalls sah der Zettel ziemlich malträtiert aus und ich konnte erkennen, das etwas darauf geschrieben stand und so wie das Stück Papier aussah, konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein Retter der Autor des Geschriebenen war. Vorsichtig faltete ich es auseinander und erkannte, das auch die Rückseite bedruckt war – nein, die Rückseite war eigentlich die Vorderseite und es war kein simpler Schmierzettel, sondern eine Eintrittskarte eines Lichtspieltheaters. „Die Reise zum Mond“, las ich still und etwas belustigt. Mein Retter schien eine interessante Person zu sein und nur zu gerne hätte ich ihn gefragt, ob sich die fünfzehn Minuten lohnten. Dann erinnerte ich mich, dass die Rückseite ja beschrieben war und drehte den Zettel um. Nur mit sehr viel Mühe gelang es mir, dass mir nicht die Gesichtszüge entgleisten und vermutlich war die Nachricht der Grund, warum mein Retter diesen Zettel wohl so verunstaltet hatte. Mit krakeliger Handschrift stand darauf: „Warum fickst du dann nicht ihn?!“ Schnell und bevor Miss McCrooder den Inhalt lesen sowie mir den Zettel wegnehmen würde, zerknüllte ich ihn wieder und stopfte ihn in die Tasche zurück. Das war nun höchst seltsam, aber noch immer wusste ich absolut nichts über meinen Retter. Jedoch, gab es ja noch eine letzte Tasche, auf die ich meine Hoffnung setzte. Ich schob also meine Hand in diese und holte sie absolut leer wieder hervor. Am liebsten hätte ich enttäuscht aufgestöhnt, es musste doch irgendeinen Hinweis in dieser Jacke geben. Irgendetwas! Vielleicht war ja irgendwo ein Name eingestickt? „Was genau suchst du denn?“, fragte Miss McCrooder kopfschüttelnd, als ich die Jacke mit fliegenden Fingern auf links drehte und sie schließlich enttäuscht vor meinem Bett ausschüttelte. „Ich will wissen, wer der Mann war!“, stellte ich etwas genervt fest. Das musste ihr doch klar sein! „Aber ist das denn so wichtig? Hauptsache, dir ist nichts passiert. Komm, gib mir das Ding. Ich räume sie für dich weg und vielleicht will dein Retter sie ja wiederhaben.“ Miss McCrooder griff nach der Jacke, aber ich zog sie ihr panisch weg und schüttelte den Kopf, dass mir wieder schwindelig wurde. „Nein! Ich behalte sie und wenn er kommt, dann soll er sie bei mir abholen!“ „Also gut“, sagte Miss McCrooder seufzend. „Dir scheint es ja wieder recht gut zu gehen und Jeffreys Temperatur ist stabil. Ich werde mich jetzt für ein paar Stunden hinlegen gehen.“ Besorgt sah sie Paul an. „Ich schlage vor, dass du auch etwas schläfst.“ Damit verließ sie das Zimmer, aber Paul sah nicht so aus, als würde er ihren Rat befolgen, sondern setzte sich wieder neben mich auf den Stuhl. Ich hoffte inständig, dass er mir nicht noch einen dritten Tee aufdrängen würde, denn so langsam aber sicher würde ich dann bald auf die Toilette müssen. Und so wie er und Miss McCrooder drauf waren, wusste ich nicht, ob er mich gehen lassen würde. „Warum willst du unbedingt wissen, wem die gehört?“, fragte Paul, nachdem wir ein paar Minuten schweigend nebeneinandergesessen hatten. Ich konnte nicht glauben, dass auch Paul mir diese Frage stellte, schaffte es aber diesmal, ruhig zu antworten. „Ich würde ihm gerne danken“, erklärte ich, was eigentlich selbstverständlich war und als Erklärung reichte. Ein anderer Grund, den ich jedoch nicht nannte, war, dass der Geruch der Jacke mir seltsam bekannt vorkam und ich mich ganz schwach an ein dunkles Gesicht erinnerte. Möglicherweise war der Mann Inder, wie ich auch, und mir gefiel der Gedanke, hier nicht allein zu sein. Aber etwas in mir sagte mir, dass da noch mehr war und ich hätte nur zu gerne dieses Puzzle zusammengesetzt. So wie es aussah, war das jedoch aussichtslos und alles, was ich nun tun konnte, war, mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. „Leg dich ruhig hin“, ermutigte ich Paul. „Du hast das bitter nötig, außerdem kann ich auch ein paar Stunden auf Jeffrey aufpassen. Immerhin hab ich jetzt genug geschlafen.“ Zweifelnd, aber todmüde sah er mich an und versuchte, zu protestieren, aber ich würgte ihn mit einer entschiedenen Handbewegung ab. Paul hatte genug auf mich aufgepasst, nun wollte ich ihn entlasten. Dankbar nahm er schließlich an, bestand aber darauf, mich zu dem Stuhl, der neben Jeffreys Bett stand, zu begleiten und dass ich ihn sofort wecken sollte, wenn ich auch nur ein seltsames Kribbeln im Zeh spürte. Ich musste über seine Fürsorge lächeln, aber ich freute mich sehr darüber und es zeigte mir, dass wir nach all den schwierigen Monaten immer noch füreinander da waren. Schon nach kurzer Zeit hörte ich Paul ruhig und gleichmäßig atmen und richtete meine Aufmerksamkeit voll auf Jeffrey. Sein Gesicht war blass, aber seine Wangen hatten eine rötliche Färbung angenommen und als ich die Hand auf seine Stirn legte, erkannte ich, dass er wieder fieberte. Da das Tuch auf seiner Stirn vollkommen trocken war, legte ich es in die Schale mit kühlem Wasser auf Jeffreys Nachttisch, wrang es aus und betupfte sein Gesicht damit, bevor ich es erneut auf seine Stirn legte. Dabei zuckte immer wieder ein Muskel in seinem Gesicht, wenn ich über seine Haut fuhr und ich war mir nicht sicher, ob er vielleicht Schmerzen hatte. Aufmerksam betrachtete ich ihn und eigentlich dachte ich, dass ich sauer auf ihn sein musste. Immerhin war ich nach all dem Schlamassel mit ihm nun auch noch in einen zugefrorenen See eingebrochen und um ein Haar gestorben. Aber ich fühlte nichts in der Richtung. Stattdessen zog sich mein Herz vor Sorge zusammen und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er die Augen aufmachen und mit mir reden würde. Ich war furchtbar egoistisch gewesen, wurde mir klar und womöglich hätten wir alle in den letzten Monaten weniger Stress gehabt, wenn ich ihm schon beim ersten Mal zugehört hätte. Ganz sicher wären wir dann auch nicht im Eis eingebrochen – auch das konnte ich nicht Jeffrey in die Schuhe schieben. „Es tut mir leid“, murmelte ich mit erstickter Stimme, obwohl ich nicht wusste, ob er mich hören konnte. Oder vielleicht gerade deswegen? „Es ist alles meine Schuld! Wäre ich nicht so ein Idiot gewesen, dann wärst du jetzt nicht...“ Schulterzuckend brach ich ab; ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte und stützte seufzend das Gesicht in meine Hände. Ich fühlte mich nun furchtbar müde und erschöpft. Kurz überlegte ich, Paul zu wecken, so wie wir es abgemacht hatten, aber ich wollte ihn schlafen lassen. Immerhin hatte er in den letzten Tagen auch viel durchgemacht. Da wollte ich ihn nun nicht aus seinem wohlverdienten Schlaf reißen. „Ich war der Idiot“, hörte ich eine dünne Stimme und fühlte eine Hand auf meinem Kopf, die mir durch die Haare wuschelte. Erstaunt sah ich auf und direkt in Jeffreys Gesicht, der mich – immer wieder bebend vom Schüttelfrost – matt anlächelte. „Ich hätte nicht einfach abhauen sollen und wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, dann hätte ich mir auch nicht mehr zugehört.“ „Das sagst du nur, damit ich mich besser fühle“, stellte ich trocken fest. Aber Jeffrey schüttelte heftig den Kopf, nur, um kurz darauf aufzustöhnen und sich schmerzverzerrt den Kopf zu halten. „Aua, verdammt!“, fluchte er und ich wusste genau, wie er sich fühlte, denn der Zwerg in meinem Kopf hatte ebenfalls seine Arbeit wiederaufgenommen. Seufzend rieb ich mir die Schläfen und spürte Jeffreys durchdringenden Blick auf mir liegen. „Ich glaube, du solltest auch eher im Bett liegen“, flüsterte er zitternd. Ja, das sollte ich wohl, ging es mir durch den Kopf. Aber ich hatte das Gefühl, wenn ich die Sache mit Jeffrey klären wollte, dann jetzt. Außerdem wollte ich Paul nicht wecken und wenn ich ehrlich war, dann traute ich mich nicht den kurzen Weg zu meinem Bett alleine zu schaffen. Ich hatte ihm nichts gesagt, aber als Paul mich hierher begleitet hatte, war mir ziemlich schwindelig geworden. Kurz überlegte ich, was ich tun sollte, als ein erneutes kräftiges Frösteln von Jeffrey mir die Entscheidung abnahm. Ohne weiter darüber nachzudenken, hob ich seine Decken an, kroch darunter und presste Jeffrey an mich. Erstaunt sah er zu mir hoch, aber ich hatte durchaus das Lächeln in seinen Augen gesehen und zuckte nur mit den Schultern. „Du hast doch gesagt, ich soll im Bett liegen.“ Ein helles Lachen, in welches ich schnell mit einstimmte, verließ seine Brust und schon nach kurzer Zeit krümmten wir beide uns vor Husten. Als wir endlich wieder in der Lage waren, normal zu atmen, sahen wir uns fest in die Augen und brachen erneut in einen Lach-/Hustenanfall aus. Gerade so, als würde sich dadurch die Anspannung der letzten Monate entladen und wirklich, ich fühlte mich besser – auch wenn mir die Lunge brannte und der Kopf schmerzhaft hämmerte. Jeffrey presste seinen Kopf gegen meine Brust und strich immer wieder gedankenverloren über meinen Bauch, dass ich mir wünschte, ich hätte vorher das Hemd ausgezogen. „Bist du mir noch böse?“, fragte er dann beinahe schüchtern. Kurz musste ich über seine Frage nachdenken, aber dann wurde mir klar, dass ich es nicht war. Ich war froh, dass er noch lebte und hoffte, er würde sich schnell wieder erholen. „Nein. Bin ich nicht.“ Bevor ich Jeffreys Blick richtig deuten konnte, robbte er zu mir hoch und küsste mich. „Ich werde dich anstecken“, sagte er dann schuldbewusst und zog den Kopf wieder weg. Aber die Ausrede ließ ich ihm nicht durchgehen und küsste ihn erneut. „Ich bin doch schon krank, also ist das doch egal“, meinte ich, während wir beiden nach Luft schnappten. „Ich mag dich sehr, Mike“, sagte Jeffrey plötzlich nachdem wir minutenlang aneinander gekuschelt dagelegen hatte. „Deswegen bin ich weggelaufen.“ „Ich habe da nicht viel Erfahrung drin, aber bleibt man dann nicht eigentlich bei der Person?“ Ich konnte mir den Spott in meiner Stimme nicht verkneifen. Auch wenn ich Jeffrey verziehen hatte, etwas aufziehen wollte ich ihn dann doch. Wie es aussah, hatten mir die Ereignisse der letzten Zeit einiges an Selbstvertrauen gegeben. „Vermutlich schon“, meinte Jeffrey. „Aber es hatte mich erschreckt, weil ich doch eigentlich nicht hierbleiben wollte.“ Mit ernstem Gesichtsausdruck sah er zu mir hoch. „Du hattest Recht, Mike. Ich wollte von der Schule fliegen und dann fing das mit dir an. Als ich dich geküsst hatte, wurde mir klar, dass ich bleiben muss und das hat mir in dem Moment eine heftige Angst gemacht.“ Sein Geständnis rührte mich und ich überspielte den Anfall von Gefühlsduselei – nämlich die Tränen, die mir in die Augen stiegen – indem ich mein Gesicht in seinen Haaren vergrub. „Soll das heißen, du willst bleiben und strengst dich nun mehr an?“, fragte ich vorsichtig. Mit einem verschmitzten Grinsen sah Jeffrey mir in die Augen. „Wie wäre es, wenn wir zusammen durchbrennen?“ Ich wusste nicht ganz, ob die Frage ernst gemeint war oder nicht und entschied mich, eher mit Belustigung darauf zu reagieren. „Hmmm“, machte ich. „Das ist genauso eine gute Idee wie die mit dem See.“ „Hmmm“, brummte Jeffrey beleidigt. „Dann bleib ich eben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)