Noch einmal mit Gefühl von 4FIVE ([Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]) ================================================================================ Kapitel 16: Schattenspiele -------------------------- . . ♠   —Tokio, Japan; 17 Jahre zuvor   »Verdammt, Itachi, könntest du bitte nicht auf mich schießen!«, rief Sasuke aufgebracht, während er angespannt nach vorne gelehnt die Daumen rasant gegen diverse Tasten seines Playstation-Controllers hämmerte. Es war spät und sie hatten die Lautstärke des Fernsehers auf ein hörbares Minimum gestellt, um ihre Eltern nicht zu wecken. Morgen war der große Tag. Der Umzug nach Tokio. Seit einer Woche schon gingen Möbelpacker ein und aus und mit jedem Mal wurde das Anwesen leerer, rückte die Zukunft ein Stückchen näher. Aber heute waren sie noch hier, in Sasukes Zimmer, und Itachi war überfordert mit der Szene am hochauflösenden Bildschirm. Mit Müh und Not hatte er seinen Avatar hinter einen Stapel Holzkisten manövriert, um ihn vor dem Kugelhagel der Gegner zu schützen. Späne flogen in seiner Bildschirmhälfte herum, Schüsse sausten in alle Richtungen, und dann – Game over. »O Mann!« Raunend ließ Sasuke sich nach hinten fallen, jedwede vorhin noch so präsente Spannung aus seinem Körper gewichen. »Die haben uns planiert. Du bist echt der einzige, mit dem ich sogar gegen NPCs verliere.« »Ich habe dir gleich gesagt, dass ich dir keine große Hilfe sein werde«, erinnerte Itachi ihn. Seine bevorzugten Spiele waren Schach und Shogi. Er hatte nichts gegen Computerspiele per se, aber dieses stetige Herumgehüpfe bewaffneter Personen in beengten Räumen, die so unrealistisch wie sinnlos eingerichtet waren, überforderte ihn. »Warum spielst du nicht mit Naruto oder Kiba?« Sasuke zuckte die Schultern. »Hast du dich wenigstens schon verabschiedet?« Erneutes Schulterzucken. Dann, »Ich lass das Team vor der Saison hängen. Wir alle können froh sein, dass sie mich nicht gehäutet haben, als ich’s ihnen gesagt hab.« Er ließ einen langgezogenen Seufzer hören. »Fußball wird mir fehlen. Naja. Noch eine Runde? Eine schaffen wir noch vor Mitternacht.« Itachi nickte, bestätigte seinen Avatar für das neue Level, dann erschien ein Ladebildschirm. So schnell das eigentliche Spiel funktionierte, so mühsam waren die Ladesequenzen zwischen den Levels. Immerhin gaben sie ihm Zeit, zu fragen, »Wieso spielst du nicht in deiner neuen Schule? Ich bin mir sicher, dass sie eine Schulmannschaft haben.« »Haben sie.« Sein kleiner Bruder nahm erneut seine Kampfposition ein, die Schultern aufrecht, die Finger an den Tasten des Controllers. »Eine verdammt gute sogar. So gut, dass das Training den meisten Teil meiner Freizeit beanspruchen würde. Vater meint, dass ich dann nicht ausreichend zum Lernen komme. Die verlangen in so einer Privatschule wohl ziemlich viel. Ein Jammer, dass ich nicht so schlau bin wie du.« Sasukes Tonfall war so nonchalant, doch Itachi hatte das breite Grinsen bei Siegen und die bitteren Tränen bei Niederlagen erlebt. Pokale vergangener Turniere, Fußballschuhe, Bälle und Trikots alter Mannschaften machten einen substanziellen Teil von Sasukes Besitz aus. Dieses Thema war alles andere als trivial. »Ich werde mit Vater reden«, sagte Itachi schließlich. Nicht nur das, er würde dessen Meinung ändern. Opfer für die Familie und die Firma würden noch früh genug kommen. Sasuke blickte kurz vom Bildschirm zu Itachi, dann wandte er sich wieder ab. »Wenn du dir den Stress unbedingt antun willst.« »Dafür sind große Brüder da. Ich halte dir den Rücken frei, Sasuke. Immer.«   ♠   —Tokio, Japan; Gegenwart   Niemand war begeistert, und Itachi sah Ino genervt schnauben. Sie stemmte die Hände auf den Küchentisch, um den er, Sasuke und Sakura Platz genommen hatten, während sie Sasuke erklärte, warum sie den Firmenschlüssel haben wollten. »Also, gibst du ihn uns?«, fragte sie schließlich. Ihr eindringlicher Blick schweifte von einem Uchiha zum nächsten, bis sie alle drei durchhatte und sich wieder aufrichtete. Dass sie nur eine Minute gebraucht hatte, um ihren gesamten Masterplan zu erklären, weckte nicht gerade viel Vertrauen. In ihrer Welt musste das alles einfach sein. »Es ist ja nicht so, als würden wir einbrechen.« Sasuke verschränkte die Arme vor der Brust. »Doch. Unerlaubt in die Buchhaltung einzudringen und Akten zu klauen ist die exakte Definition von Einbruch. Einbruch ist eine Straftat.« »Ihr habt doch bestimmt Aktien oder sowas.« »Natürlich haben wir Anteile vom Firmenunternehmen«, entgegnete er fast schon grimmig. »Mir gehören vier Prozent. Itachi hat, wie was nochmal? Achtzehn?«  »Also gehört euch die Firma faktisch!«, rief Ino. »Ihr könnt doch wohl kaum in euer Eigentum einbrechen.« »So funktionieren Aktien nicht, Ino. Ich arbeite nicht mehr dort und Itachi offenbar auch nicht. Damit ist es Einbruch, egal wie viele Anteile wir haben. Vergiss es. Am Ende kreiden sie das nur wieder mir an.« Weiterhin entschlossen wandte Ino sich ab, um tief durchzuatmen. Sie kannten einander weniger als ein Jahr, dennoch konnte Itachi deutlich sehen, wie viel Selbstbeherrschung es ihr abverlangte, seinen kleinen Bruder nicht auf der Stelle zu erwürgen. Ihm gegenüber sah er Sakura zwischen ihm und Sasuke hin und her sehen. Kurz öffnete sie den Mund, nur um ihn tonlos zu schließen. Sasuke hingegen weigerte sich weiterhin, Itachis Anwesenheit anzuerkennen. So konnten sie nicht weiterkommen. Ino mochte eine einnehmende, manchmal auch erpresserische Persönlichkeit besitzen, aber gegen Sasuke kam sie damit nicht an. Nicht, wenn Itachi involviert war. Wieso stand sie überhaupt da vorne und machte Werbung für diesen absurden Plan? »Sasuke.« Es war das erste Wort, das Itachi seit der knappen Begrüßung gesagt hatte. Nun wartete er geduldig, bis Sasuke sich widerwillig zu ihm wandte, und neigte den Kopf, als der vorwurfsvolle Blick seines Bruders ihn traf. »Ich weiß, ich habe dir versprochen, dir immer den Rücken freizuhalten. Diesmal habe ich es vermasselt und es gibt nichts, mit dem ich es wiedergutmachen kann. Darum brauche ich deine Hilfe.« Skeptisch zog Sasuke die Augenbrauen zusammen. Sekundenlang passierte nichts. Itachi erwartete auch nichts. Jahrelang hatte er seinen kleinen Bruder auf Abstand gehalten, zu dessen eigenem Schutz und – wenn er ehrlich war – weil es bequemer gewesen war, den einsamen Wolf zu spielen. Er rechnete fest damit, dass Sasuke aufstehen und einfach gehen würde. »Was hast du vermasselt?« Der Tonfall war scharf, aber weniger feindselig als erwartet. »Ich will alles wissen. Alles, verstanden? Wenn du ein Detail auslässt, schwöre ich, spül ich den Schlüssel im Klo runter. Ist das klar?« »Ich –« Unwillkürlich fiel sein Blick auf Ino, die ihn mit weit aufgerissenen Augen und angehaltenem Atem auffordernd anstarrte. Bau jetzt bloß keinen Scheiß. Die nächsten Worte kosteten ihn all seinen Mut, viel mehr als vor zwei Stunden Ino gegenüber. Sie hatte sich genommen, was sie gewollt hatte – eine Wahrheit, die für sie weit weniger bedeutete als sie für Sasuke würde. »Das war so klar«, sagte Sasuke schließlich. »Du kannst echt nicht aus deiner Haut.« In seiner Stimme lagen weder Enttäuschung noch Ärger, nur Fassung und Ruhe, weil Sasuke nichts anderes als Schweigen erwartet hatte. Er erhob sich; ein klares Signal, dass das Thema für ihn beendet war, und Itachi hasste sich, hasste sich so sehr für seine verdammte Unfähigkeit, Schwäche einzugestehen. Er hatte es Ino gegenüber geschafft, wie schwer zum Teufel konnte es bei seinem eigenen Bruder sein? Aber nichts an seiner Beziehung zu Sasuke war so unkompliziert wie das, was er mit Ino hatte. Er war das Wunderkind, das Genie, die Hoffnung der Familie. Jeder hatte immer Perfektion von ihm erwartet, auch Sasuke – vor allem Sasuke, der ihn gemeinsam mit seiner gesamten Familie auf ein groteskes Podest gestellt hatte. Hilfesuchend sah er zu Ino, die eine nette Bekanntschaft hätte werden sollen und plötzlich seine Verbündete war. Vorhin noch war sie für ihn eingetreten, hatte ihm den Weg geebnet, den er nicht einmal gesehen hatte. Doch sie hob entsetzt die Arme, sprachlos über sein Schweigen, für das nicht einmal sie Worte fand. Es lag an ihm. Nur an ihm. »Sasuke, warte«, quälte er aus seiner Kehle. »Du hast recht. Du verdienst die Wahrheit.« Sasuke sah ihn an, ungläubig abwartend, jede Faser seines Körpers zur Flucht bereit. Doch er ging nicht, sondern setzte sich erneut hin und verschränkte die Arme. »Okay. Ich warte.« Und Itachi erzählte. Ließ er nichts aus. Je weiter er kam, desto mehr veränderte sich Sasukes Miene, bis eine Welle der Erleichterung über ihn hinwegschwappte, als Itachi bei der Räumung seines Büros angekommen war. »Das war gestern«, schloss Itachi schließlich, seine Kehle trocken vom vielen Reden und von fehlender Flüssigkeit. Normalerweise bewirtete Sakura etwaige Gäste, doch er konnte ihr nicht verdenken, zu geschockt für eine Kanne Tee zu sein. Nach einigen Sekunden des Schweigens entließ Sasuke all seine Anspannung aus den Schultern und ließ sich in seinem Sessel nach hinten fallen. »Scheiße.« »So in etwa.« »Ist ja klar, dass sie dir alles abnehmen und mich mit dem Kram rumlaufen lassen. Was kann der zweite Sohn schon ausrichten, hm?« Ino schnaubte. »Ist das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt für deine Komplexe –« »Ino«, unterbrach Itachi sie. »Also, Sasuke. Gibst du uns den Schlüssel?« Immer noch halb überfordert schüttelte Sasuke den Kopf, den Blick auf den Boden gerichtet. »Nein.« Er sah auf, entschlossen. »Ich muss das mit eigenen Augen sehen. Außerdem, wer sagt, dass du es diesmal nicht auch vermasselst? Soll vorkommen – au! Verdammt, Ino!« Sie schnitt eine finstere Grimasse. »Wenn du frech wirst, trete ich das nächste Mal härter zu. Und jetzt hol den verdammten Schlüssel, ich will das hinter mich bringen.« Sasuke lachte hohl. »Du denkst doch nicht etwa, dass du mitkommst? Ich meine, danke für deinen Einsatz bis hierhin, aber der Rest hat nichts mit dir zu tun.« »Und wer entscheidet das?«, fragte Sakura. Herausfordernd bohrte sie ihren Finger in seine Brust. »Du etwa? Seit wann bist du unser aller Anführer? Itachi-san würde wahrscheinlich schmollend in einem Aktenberg ertrinken, wenn Ino sich nicht eingemischt hätte, und du würdest immer noch in stummer Agonie für deinen Vater arbeiten, wenn ich dich nicht verlassen hätte. Keiner von euch beiden wäre heute hier und würde dieses Gespräch ohne uns führen. Wir kommen mit, darüber gibt es keine Diskussion.« »Wir wie in – wir alle?« »Ja, wir alle. Itachi-san, Ino, du und ich. Gibt es damit ein Problem?« »… Nein.« »Dachte ich mir.«   ♦   Ino war schon oft an der UCHIHA Corp. vorbeigegangen. Die Straße runter war ihre Stammschneiderei, gleich daneben war der einzige Coffee Shop in ganz Shinjuku, der passablen Kaffee verkaufte. Sie war auch schon mehrfach im Inneren des hohen Gebäudes gewesen, das inmitten seiner gläsernen Nachbarn weniger beeindruckend wirkte als es ein paar Kilometer stadtauswärts getan hätte. Es war ein Firmengebäude wie jedes andere, mit Büroauslegeware, Wasserspendern, Glastrennwänden und einem dunkelbraunen Empfangstisch, neben dem Itachi sie vor einer gefühlten Ewigkeit mit einer Empfangsdame verwechselt hatte. Nun war es totenstill, dunkel, und sie fuhr erschrocken zusammen, als ihr Smartphone ein sanftes Pling in ihrer Hosentasche vernehmen ließ. Sasuke machte eine vorwurfsvolle Geste gegen sie, sein Gesicht in düstere Schatten gehüllt vom schrägen Lichteinfall seiner Smartphone-Taschenlampe. Mach das aus, formten seine Lippen lautlos. Es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, ihren Fluch zu schlucken. Wann immer jemand fragte, wieso sie die gut bezahlte Hauptrolle in Devil‘s Gap: Rematch abgelehnt hatte, behauptete sie, dass sich ein mittelmäßiger Splatterstreifen nicht gut in ihrem filmischen Portfolio gemacht hätte. In Wahrheit war sie einfach schreckhaft. Niemand wusste das von ihr, außer Sakura, die ihr aufmunternd zunickte. Der halbe Einbruch hatte erstaunlich gut funktioniert; oder eher wenig erstaunlich, wenn man bedachte, dass an Sasukes Schlüsselbund auch der Chip zum Deaktivieren der Alarmanlage befestigt war. Sie hatten keine zwanzig Sekunden gebraucht, um über den Personaleingang in der Nebenstraße ins Foyer zu gelangen, in dem sie seit einer gefühlten Ewigkeit auf den Aufzug warteten. Vielleicht war Ino auch nur nervöser als sie zugeben wollte. Im Gegensatz dazu schienen Itachi und Sasuke in ihrer glatten Uchiha-Manier völlig unberührt. Frechheit. Der Aufzug ließ weiterhin auf sich warten. »Kommt das Ding aus der Hölle oder wieso dauert das so lange?«, fragte sie mit einem Blick über die Schulter. »Wohl eher vom obersten Stock«, korrigierte Itachi, als hätte sie keine rhetorische Frage gestellt. »Mein Vater hat die irrationale Angst, mit dem Fahrstuhl nach unten zu fahren, also fährt er jeden Abend nach seinem letzten Meeting ganz nach oben, holt seine Tasche und steigt zehn Minuten lang vom einundzwanzigsten Stockwerk in die Tiefparkgarage hinab.« »Hn«, machte Sasuke abseits. »Das erklärt den Witz über Hades’ Abstieg in die Unterwelt, den die Leute vom Empfang immer machen. Wer hätte gedacht, dass Vater Schrullen hat.« Itachi ließ ein leises Seufzen hören, das von den aufgehenden Aufzugtüren verschluckt wurde. »Jeder hat Schrullen. Vater war einfach sehr gut darin, sie zu verstecken.« »Das haben Uchihas so an sich«, murmelte Sakura, während sie zu viert in den Aufzug traten. Die Fahrt nach oben war schweigsam. Sasuke und Itachi schienen in ihre eigenen Gedanken vertieft zu sein, und Ino konnte es ihnen nicht verdenken. Sie kannte Männer wie Uchiha Fugaku – die überehrgeizige Sorte, die keine Kinder hatten, sondern Erben. Vielleicht hätte sie Sympathien für Sasuke aufgebracht, wenn der Aufzug nicht endlich im vierzehnten Stock angekommen wäre. Der graue Teppichboden dämpfte ihre Schritte, als sie den Gang entlanggingen, gefühlt zwanzig gleich aussehende Türen passierten, einmal abbogen und vor einer weiteren gleichaussehenden Tür stehenblieben. Das daneben angebrachte Schild wies den Raum dahinter als Finanzbuchhaltung aus. Ino runzelte die Stirn. »Gibt es denn noch eine andere Buchhaltung als die für Finanzen?« »Natürlich.« Itachi, erneut in vollem Ernst, deutete eine Tür weiter. »Die Debitorenbuchhaltung ist da hinten, die Anlagebuchhaltung daneben. In der Produktion gibt es auch eine Mengenbuchhaltung, aber seit Miname-san gekündigt hat, ist die Stelle nicht –« »Vergiss, dass ich gefragt hab«, unterbrach Ino ihn. »Ehrlich, wenn wir den Scheiß hier erledigt haben, gehst du in einen Sarkasmuskurs.« Er zuckte nonchalant die Schultern. »Deine Frage war durchaus legitim.« »Und in einen Witzekurs.« Ein Klicken signalisierte, dass Sasuke die Tür aufgeschlossen hatte. Mit einem missbilligenden Blick stieß er sie nach innen hin auf. »Könnt ihr bitte aufhören zu flirten. Das ist sowas von unangebracht.« »Jetzt sei nicht so prüde, Sasuke – Scheiße!« Das schrille Zetern einer Alarmanlage übertönte sie. Ino wich zurück, fast synchron mit Sakura, die beinahe den vorsorglich mitgebrachten Rucksack fallen ließ. Das war’s, schoss ihr durch den Kopf. Sie würde die restliche Nacht auf einer Polizeiwache verbringen und einem müden Streifenpolizisten unglaubwürdige Ausreden auftischen, warum vier Erwachsene um zwei Uhr nachts in einer Firma, für die keiner von ihnen mehr arbeitete, und einer Abteilung, für die keiner von ihnen jemals gearbeitet hatte, herumschlichen. Sie war gerade beim Ausdenken von unglaubwürdiger Ausrede Nummer acht angelangt, als die Alarmanlage erstarb. »Oh«, ließ Sasuke beiläufig fallen. Sein Schlüsselbund samt Alarmanlagenchip klimperte, als er ihn zurück in die Hosentasche schob. Kraftlos schlug Sakura ihm gegen den Oberarm. »War das notwendig?« »Sorry. Ganz vergessen, dass unsere Techniker die letzten Dezember endlich repariert haben.« »Ich vergess mich gleich ...«, murmelte Ino, während sie den Raum betrat und sich umsah. Es war ein Büro wie jedes andere, mit Regalen, Schreibtischen, Kästen und Topfpflanzen. Sasuke schob ihr sein Smartphone in die Hand. »Hier. Wenn du nur rumstehen kannst, sei wenigstens eine Lampe.« Sie schnitt eine Grimasse. »Ich versteh echt nicht, wie du den heiraten konntest, Sakura.« »Weniger labern, mehr leuchten«, forderte Sasuke. Augenrollend tat Ino, wie ihr geheißen, und trat hinter ihm an den Aktenschrank. Itachi hatte sich indes an einen der beiden Computer gesetzt. Der plötzlich aufflackernde LED-Monitor erhellte den Raum brutaler als jedes Flutlicht. »Wonach suchen wir genau?«, fragte Sakura in die Runde. Itachi tippte bereits auf der Tastatur herum, Sasuke hatte die Schiebetür des Aktenschranks geöffnet und einen Ordner herausgezogen. »Abrechnungen des laufenden Geschäftsjahres würde ich vermuten«, antwortete Sasuke. »Wenn der Aufsichtsrat Gelder hinterzieht, muss sich das irgendwie in falschen Abrechnungen wiederfinden.« »Genau«, stimmte Itachi hinter dem Monitor zu. Er hatte aufgehört zu tippen. »Bevor sie mich rausgeworfen haben, bin ich auf externe Zahlungen an Firmen gestoßen, die nie einen offiziellen Beauftragungsprozess durchlaufen haben.« »Einen was?« Diesmal klang Ino wenigstens nicht sarkastisch. Das Monitorlicht erstarb und er stand auf. »Firmen kaufen nicht einfach so Güter oder Dienstleistungen, schon gar keine großen. Wir haben eine eigene Beschaffungsabteilung für sowas. Wenn eine Abteilung etwas kauft, muss ein Formular mit entsprechenden Genehmigungen an den Einkauf übermittelt werden. Nur der darf Firmengelder über einer gewissen Summe an externe Firmen überweisen.« Itachi deutete gegen den Computer. »Ich komme nicht in den Account. Sasuke, wusstest du, dass die Finanzbuchhaltung andere Passwortlogik hat als der Rest der Firma?« Sasuke zuckte die Schultern. Er hatte einen weiteren Aktenschrank geöffnet und scheinbar wahllos ausgeräumt, sodass mehrere ungeöffnete Boxen um ihn herum standen. Itachi trat an das aufkommende Chaos heran und schob eine nach der anderen beiseite. Offenbar deutete die Beschriftung aus Zahlen und Buchstaben darauf hin, dass der Inhalt nicht relevant war. Ein paar Minuten zogen ins Land, gelegentlich erfüllt von Papierrascheln. Etwas abseits sah Ino zu, wie Itachi, Sasuke und Sakura gemeinsam Box um Box durchwühlten. Deckel wurden geöffnet, Akten herausgenommen und fein säuberlich wieder einsortiert, nachdenkliche Silben rollten aus dem einen oder anderen Mund, wann immer sie dachten, etwas gefunden zu haben und nach genauerem Hinsehen doch wieder enttäuscht wurden. Obwohl Sakura sich wesentlich weniger mit den Firmeninterna auskannte, schien sie zumindest eine grobe Ahnung zu haben, wonach sie suchen musste. Was das war, blieb Ino ein Rätsel – bis ihre Freundin mit einem Japsen einen Aktenordner hochhob. »Das muss es sein!«, rief sie. Leiser las sie die Aufschrift am Etikett vor, »Q14FIN-EXT. Itachi-san?« Er nahm ihr den Ordner ab und schlug ihn auf, Sasukes ungeduldiger Blick über seinen Schultern. Elendig lange Sekunden der Anspannung zogen ins Land, in denen auch Ino an ihn herantrat. Mit der einen Hand richtete sie den Lichtkegel von Sasukes Smartphone auf den Ordner, mit ihrer anderen ergriff sie Itachis Schulter. Sie war nervös. Auch wenn es sie nicht betraf, auch wenn es für sie keine Konsequenzen hatte. Die Heimlichtuerei, die Dunkelheit und die Stille ließen ihr Herz bis in den Hals klopfen. Dann, endlich, sagte Itachi, »Scheiße.« Es war der erste Fluch, den sie von ihm gehört hatte. Sie drückte seine Schultern. »Was ist?« Ehe er antworten konnte, nahm Sasuke ihm den Ordner ab. Kurzes Durchblättern ließ ihn die Augen aufreißen. »Das soll wohl ein Witz sein.« »Ich fürchte nicht.« Sakura verschränkte die Arme. »Würdet ihr uns aufklären?« Kopfschüttelnd sah Sasuke zwischen ihr und Itachi hin und her. Sein Mund klappte auf und wieder zu, ohne einen Wortlaut herausgebracht zu haben. Hilfesuchend sah er erneut in den Ordner. »Da drin«, quälte er schließlich heraus, »sind eingehende Zahlungen von über einhundert Millionen Yen verbucht. Alle davon – alle – laufen auf die Kostenstelle 367.« »Das ist jetzt was genau?«, hakte Ino nach. Langsam verlor sie die Geduld. In den Augenwinkeln dachte sie, den Einsatz der Morgendämmerung zu sehen. »Sasuke, Klartext.« »Die Kostenstelle 367 ist synCOM«, antwortete Sasuke fassungslos. Er blätterte weiter durch den Ordner. »Aber das ergibt keinen Sinn. Das Produkt hat noch nicht einmal eine Artikelnummer. Wie kann uns jemand Geld dafür zahlen? Und was sind das für Firmen? TechniConsult in Sri Lanka? Dashpart in Singapur? Das ist alles vom letzten Frühjahr, da war synCOM längst aus der Konzeptphase – du.« Fassungslos deutete er auf Itachi. »Du warst zu dem Zeitpunkt in Malaysien! Was für ein krankes Psychospiel spielst du hier bitte?« »Keines«, sagte Itachi. Geradeheraus, ehrlich. Es ließ Sasuke innehalten. »Mir sind die Ungereimtheiten schon damals aufgefallen, aber ich dachte nicht, dass es sich um diese Summen handelt. Wenigstens passt das mit den anderen Unterlagen zusammen. Jemand pumpt über synCOM Geld in die Firma. Die Frage ist, wieso. Sakura-san, Ino, macht Fotos von den Formularen und Belegen. Sasuke und ich suchen den Rest des Quartals.« Genau das taten sie. Es gab noch zwei weitere Ordner mit einer ähnlichen Fülle von Informationen. Erst kurz nach vier Uhr morgens nahmen sie die Treppen nach unten und schlichen über die Seitentür hinaus. Kollektives Seufzen erfüllte Itachis Wagen, sobald sie saßen und alle Türen geschlossen waren. »So«, stellte Ino fest. »Und was jetzt?« Niemand antwortete. Sie waren müde, schockiert, gerädert, von der Uhrzeit, der Anspannung und den Erkenntnissen gleichermaßen. Im Rückspiegel konnte sie sehen, wie Sasuke Sakuras Hand nahm und für einen Moment die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, was er entschlossen. »Jetzt finden wir raus, was zur Hölle hier los ist.« . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)