Noch einmal mit Gefühl von 4FIVE ([Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]) ================================================================================ Kapitel 12: Elfenbeinturm ------------------------- . . ♦   —New York City, New York; 4 Jahre zuvor   »Naja«, sagte Ino in ihrem schönsten Englisch und überschlug die Beine, damit sie bequemer auf der roten Couch sitzen konnte. Sie liebte Auftritte in Late Night Talk Shows über alles andere. Reden konnte sie, egal über welches Thema, und außer dem verständlichen Verbot von böswilligen Kommentaren über den aktuellen Film, gab es kaum Restriktionen, was sie erzählen durfte. »Sagen wir es so: Wenn wir den Regisseur dazu gezwungen hätten, während unserer Nacktszenen ebenfalls nackt auf seinem Stuhl zu sitzen, wäre das bestimmt nicht das Schrägste gewesen, das an diesem Set passiert ist.« Gelächter, Applaus, eine kurze Abmoderation durch den Gastgeber – Ino Yamanaka, meine Damen und Herren, nächste Woche auf der großen Leinwand zu sehen in Barrel for a thought. Nackt oder nicht, ein ausgezeichneter Film über die Angst vor Intimität. – dann war die Aufzeichnung zu Ende und das Publikum tröpfelte langsam unter der strengen Aufsicht der Produktionsassistenten aus dem Saal. Gemeinsam mit der Live-Band, den anderen beiden Talkgästen und dem Gastgeber posierte sie für ein paar Fotos, dann war alles vorbei und sie bekam ein Bier. »Sei ehrlich, Ino«, sagte der Gastgeber. »War der Regisseur wirklich nackt?« Anfangs hatte sie sich daran gewöhnen müssen, dass man sich in den USA grundsätzlich mit dem Vornamen ansprach. Nach mittlerweile fünf Jahren wunderte sie sich, wie sie die steife Etikette und die oberflächliche Höflichkeit in der japanischen Filmindustrie jemals ausgehalten hatte. Eine Frage wie eben wäre dort unmöglich gewesen. Eine Antwort wie die folgende noch weniger. »Er wollte diese Nacktszene unbedingt bei Minusgraden drehen. Es war nur recht und billig, dass er auch die Hüllen fallen lässt. So schnell hatten wir noch nie eine Szene im Kasten.« Sie lachte bei der Erinnerung an den Moment, an dem sie mit vor Kälte bibbernden Lippen Gerechtigkeit gefordert hatte und der Regisseur tatsächlich eingewilligt hatte, weil auch er lebte und starb für seine Kunst – und wenn es sein musste, erfror. Es war ein genialer Drehtag gewesen. Undenkbar in Japan, wo das Machtgefälle zwischen Regisseuren und Darstellern derart schief war, dass jedes Widerwort ein Kündigungsgrund war. Darum war sie weg, auf nimmer Wiedersehen, und würde niemals mehr zurückkehren. Nie mehr. ♦   —Tokio, Japan; Gegenwart   Von ihrem Logenplatz an ihrem Esstisch aus beobachtete Ino skeptisch, wie Sakura ihren Koffer packte, ihn Sasuke in die Hand drückte und anschließend einen letzten Rundgang durch die Wohnung machte, um sicherzugehen, dass sie nichts vergessen hatte. Obwohl ihre beste Freundin ihr glückliches Grinsen kaum in Zaum halten konnte, war Ino alles andere als begeistert von den jüngsten Entwicklungen. Menschen änderten sich nicht so einfach, und ein schwarzes Kaninchen war noch lange kein Beweis für … was auch immer es war, das Sakura dazu bewogen hatte, ihrem Mann jene zweite Chance zu geben, die sie ein paar Tage zuvor noch ausgeschlossen hatte. Sasuke war schon immer ihre Schwachstelle gewesen. Was vorgefallen war, blieb zwischen dem Ehepaar. Sakura hatte versucht, es ihr zu erklären, nachdem Sasuke zusammen mit dem Kaninchen gegangen war, aber die Worte waren so durcheinander gewesen, dass Ino sich mit dem Wissen zufriedengegeben hatte, dass es ihrer Freundin gutging. Sasuke war und blieb ein Rätsel. Ino sollte es recht sein. »Jetzt schau nicht so«, kommentierte Sasuke ihren funkelnden Blick aus verengten Augen und fügte hinzu, »das gibt Falten.« »Komiker bist du jetzt auch? Mann, wie viele Level bist du in den letzten Wochen aufgestiegen?« »Ino«, tadelte Sakura von der Seite. Im Vorbeigehen boxte sie Sasuke in den Oberarm. »Und du sei auch nett.« Gemeinsam sammelten sie Sarada ein, verstauten Kind und Koffer in Sasukes Auto, dann waren sie weg und Ino blieb zurück in einer Wohnung, die sich plötzlich sehr viel größer anfühlte. Und sehr viel leerer. Saradas Quengeln und Sakuras allabendlichen Diskussionen mit ihrer Webserie, waren in den letzten Wochen die Melodie ihres Lebens geworden. Sakura hatte sie abgelenkt, hatte ihr mit frisch gekochten Mahlzeiten und gemeinsamen Filmabenden das Gefühl gegeben, dass ihr Leben in Ordnung war. Aber sie hatte nach wie vor diese bescheuerte Rolle und auch die nächsten Jobangebote waren nicht vielversprechender. Dass sie mit Itachi geschlafen hatte, änderte nichts am großen Ganzen. Nicht einmal ansatzweise. Eine kurze Ablenkung, um nicht komplett den Verstand zu verlieren. Es hatte nicht lange angehalten. Wenigstens war sie Nanri bald los. Heute war ihr letzter Drehtag, nächste Woche würde das Filmmaterial in die Postproduktion gehen. Sie konnte es kaum erwarten. Am Set war nichts vom nahen Ende zu bemerken. Licht und Ton arbeiteten so akkurat und effizient wie immer, ihre Schauspielkollegen sprachen über die für heute geplanten Szenen und der Regisseur gab letzte Anweisungen über die Position der Kameras. Während Ino in der Maske müdes Make-up ins Gesicht geschmiert bekam, spielte Moegi eine trübselige Einzelszene sechs Mal, jedes Mal unter strengeren Anweisungen, harscherer Kritik, bis der Regisseur zufrieden war. Ino gesellte sich zu ihr für einen Dialog voll schwesterlichen Einfühlungsvermögens, dann wechselte sie in ein anderes Kostüm und wurde zum nächsten Set gescheucht. Ihre letzte Szene hasste sie am allermeisten, denn sie war das Symptom von allem, was falsch war an dem Drama. Der Heiratsantrag des Arztes, den sie überglücklich weinend annehmen musste. In ihrem Krankenzimmer, weil Nanri sich am Tag zuvor erneut hatte das Leben nehmen wollen. Also nahm sie mit einem freudigen Ausruf an und stellte sich wieder auf Anfang, als der Regisseur die nächste Einstellung ansagte. Bislang hatten sie auf Hiros Gesicht fokussiert – der Sänger, der den Arzt spielte – nun würde sie dran sein. Das Skript verlangte Tränen von ihr. Grandios. »Heute ist dein letzter Drehtag, oder, Yamanaka-senpai?«, fragte er, während die Kameras umgestellt wurden. Schon vor ihrer ersten gemeinsamen Szene hatte sie ihm angeboten, sie beim Vornamen zu nennen, aber sie war älter und erfahrener und darum war es unbedingt notwendig, sie mit senpai anzusprechen. »Ja, aber keine Sorge, ich bleibe euch noch eine Weile für die ganzen Vermarktungssachen erhalten. Haben wir übernächste Woche nicht einen gemeinsamen Auftritt in dieser komischen Talkshow?« In ihrem Rücken konnte Ino die Unzufriedenheit des Regisseurs mit den Kamerapositionen hören. Nochmal nachadjustieren, Kamera zwei weiter links und etwas höher. »Ich bin schon gespannt, was sie uns fragen werden.« »Ja«, log Ino unenthusiastisch. Die Interviews würden genauso gestellt und vorgeschrieben sein wie alles andere, damit man sie möglichst gut in das Bonusmaterial für spätere DVDs oder YouTube-Videos verwerten konnte. »Kann’s kaum erwarten.« Noch mehr Adjustierungen an den Kameras. »Wie hat’s dir gefallen? Die Schauspielerei meine ich. Machst du weiter?« Er lachte verlegen. Die Maskenbildnerin hatte ihn ein wenig älter geschminkt als er war, damit er die Rolle glaubhaft rüberbringen konnte. Der Arztkittel tat sein Übriges. »Es war eine wunderbare Erfahrung. Meine Agentur sagt, dass ich die Publicity der Serie lieber nutzen sollte, um mein neues Album zu promoten. Du könntest übrigens kommen. Zu einem meiner Konzerte meine ich. Wenn du Lust hast.« »Ah, danke, aber ...« »Aber du hast einen Freund?« »Nein«, korrigierte Ino. Sie hatte einfach keine Lust. Die Antwort blieb sie ihm schuldig, weil die Kameras endlich eingestellt waren und sie ihre auswendig gelernten Zeilen unter Tränen erneut herunterbeten musste. Und dann war alles geschafft. Sie gab ihr Kostüm ab, plauderte höflich mit der Maskenbildnerin und holte sich im Rausgehen das nächste Skript ab – diesmal nicht für den nächsten Drehtag, sondern für die anstehenden Interviews. Weil das ihr Leben war. Vorgefertigte Fragen und Antwortvorschläge, die nicht optional waren. Es war erbärmlich. So unglaublich erbärmlich, dass Ino sich auf die Toilette flüchtete, bevor sie noch einmal hören musste, wie man ihr falsches Schauspiel lobte. Sie hatte es nicht geschafft, ihrer Figur Tiefe zu geben. Etwas rauszuholen aus diesem Misthaufen, in den sie sich widerwillig geworfen hatte. Sie hatte versagt. Die Erkenntnis traf sie so heftig, dass sie sich am Waschbecken abstützen musste, um nicht den Halt zu verlieren. Ein dumpfes Echo hallte an den Wänden wider, als ihre Tasche zu Boden fiel und ihr Smartphone über die Fliesen schlitterte. Da war ein Sprung im Display, aber es funktionierte noch. Sie konnte jemanden anrufen, mit jemandem sprechen, um endlich zuzugeben, was sie seit ihrer Heimkehr leugnete. Aber Sakura hob nicht ab und Itachis Privathandy war ausgeschaltet. Mehr Leute kannte sie hier nicht. Weil sie es in einem dreiviertel Jahr nicht geschafft hatte, Beziehungen aufzubauen, Freundschaften zu schließen. Sie hatte jede Einladung ihrer Schauspielkollegen abgelehnt, jeden Anknüpfungspunkt im Keim erstickt, so wie eben mit dem Sänger, weil sie nicht hier sein wollte. Nicht hier an diesem Set, nicht hier in der japanischen Schauspielindustrie. Nicht am Ende ihrer verdammten Karriere. Mit der Faust schlug sie gegen das Waschbecken, schrie auf, als harter Schmerz durch ihre Knochen fuhr. Sie musste sich beruhigen. Ein Zusammenbruch half niemandem, schon gar nicht ihr, schon gar nicht hier. Hinter ihr ging die Tür zur Toilettenkabine auf und Ino zuckte zusammen. Nur Moegi, versuchte sie sich zu beruhigen, während ihre junge Schauspielkollegin an das benachbarte Waschbecken trat, offensichtliche Zweifel in ihrem matten Gesicht, ob sie Ino auf den Schrei ansprechen durfte. »Hey«, nahm Ino ihr die Entscheidung ab. »Harter Tag?« Ertappt zuckte Moegi zusammen. Ihre schmalen Lippen strengten ein schwaches Lächeln an. »Nur etwas zu wenig gegessen. Nicht der Rede wert.« Ino nickte, aber sie durchschaute die Lüge durch das dicke Make-up und das produzierte Lächeln. »Wie viele Szenen hast du heute noch?« »Ich bin fertig, aber ich muss noch das Drehbuch für morgen üben. Tabe-san hat den Dialog umgeschrieben und ich verheddere mich immer in der letzten Zeile.« »Brauchst du Hilfe?« Brauchte sie. Dringend. Moegi war gut, aber sie war blass und müde und hungrig. Ino kommentierte nichts davon. Es stand ihr nicht zu, nicht, wenn sie selbst so oft an diesem Punkt gestanden hatte; wenn Drehtage verschwammen und Uhrzeiten nichts mehr bedeuteten, weil es nur noch das Set und den Regisseur und das Drehbuch gab und wie um alles in der Welt sollte sie einen Abend unter Freunden hineinquetschen, wenn vierundzwanzig Stunden für einen Arbeitstag nicht reichten? Üben, proben, immer wieder, bis sie zufrieden war mit ihrem Ausdruck im Spiegelbild, nur um nach Action! doch alles anders zu machen. Leben und sterben für die Kunst. Sie hatte es geliebt. Gefeiert. Hatte alles dafür geopfert. Und nichts zurückbekommen. Gemeinsam probten sie bis spät in die Nacht hinein. Das Set war längt geräumt, die Crew zu Hause, nur mehr der Nachtwächter ging seine Runden und brachte ihnen Tee aus der Personalküche, als er sie im Pausenraum erwischte. Es war keine schwierige Szene, aber viel neuer Text und Moegi war nicht zufrieden mit ihrer Aussprache. Alles auf Anfang, noch einmal. Bis Ino das Drehbuch in die Luft warf. »Das reicht langsam, oder? Du brauchst Schlaf, sonst wird das sowieso nichts.« »Nein«, erwiderte Moegi entschlossen. »Ich muss das bis morgen können. Die Produktion darf sich nicht verzögern, nur weil ich meinen Text nicht einstudiert habe. Ich schaffe das.« Doch hre Schultern sackten nach unten, ihr Blick fiel. Als Hauptdarstellerin hatte sie die meisten Szenen, bekam die meisten Drehbuchänderungen, hatte die längsten Tage und den meisten Druck. Und sie begann langsam zu verstehen, worauf sie sich eingelassen hatte. Letztlich siegten Hunger und Müdigkeit. Während sie auf ein Taxi warteten, jammerte Moegi dem Nachtwächter seinen letzten Müsliriegel ab und schlang ihn herunter, weil der Taxifahrer keine Krümel in seinem Auto haben wollte. Die Fahrt war schweigsam, durchtränkt von Erschöpfung und schwerem Blues aus dem Radio. Ino hatte den Kopf ans Seitenfenster gelehnt, vor dem Straßenlaternen in verschwommenen Streifen an ihr vorbezogen. »Das alles ist es wert, oder?«, fragte Moegi plötzlich. Ihre Augen suchten nach Bestätigung, einem Hinweis, dass es besser werden würde, irgendwann, wenn sie berühmt genug war. Schon wieder diese Frage. War es das wert gewesen? Alles aufzugeben, alles zurückzulassen für diese eine große Rolle in den USA? Um danach eine weitere hübsche Chinesin in Hollywood zu sein, oder bist du Koreanerin? »Ino-senpai?« Das Taxi hielt an. »Ja«, log sie einmal mehr, weil die Wahrheit zu schmerzhaft war. Wieso bist du wieder in Japan? Die USA haben einfach nicht mehr das, was ich vom Leben erwarte. Moegi nickte, stieg aus. Ino blieb zurück, ihr Smartphone in der Hand. Wann hatte sie zuletzt ihre Wikipedia-Seite aufgerufen? Sie war so stolz gewesen, als ein Fan sie angelegt hatte. Ino Yamanaka ist ein internationales Model und Schauspielerin, stand da, doch es war eine Lüge, nicht wahr? Eine Lüge, die sie sich seit ihrer Rückkehr selbst einredete. ♠   Sasuke hatte den schönsten Ordner der Firmengeschichte hinterlassen, wie Itachi feststellte, nachdem er endlich dazu gekommen war, ihn zu öffnen. Man konnte seinem kleinen Bruder viel vorwerfen – Impulsivität in letzter Zeit mehr als alles andere – aber er hatte seine Arbeit tadellos gemacht. Der Projektordner hatte die entsprechende Klassifikation, jeder Unterordner war durchnummeriert und beschrieben, jedes Dokument trug das Erstellungsdatum und Autorenkürzel im Namen, sodass Itachi sofort wusste, wen er anrufen musste, um aktuelle Informationen zum Performanceproblem der Datenbank zu erhalten. Es war beeindruckend, wie viel Energie Sasuke investiert hatte, um jede einzelne Unternehmensrichtlinie bei der Dokumentenerstellung einzuhalten. Itachi selbst kannte bei weitem nicht alle auswendig und er wandte noch weniger an. Früher schon, aber seit Jahren konnte er es nicht mehr vor sich rechtfertigen, seine wertvolle Zeit mit der Suche nach den richtigen Dokumentenvorlagen zu verschwenden. Der Verantwortliche für das Performanceproblem hatte die gesuchte Antwort parat und klang reichlich überrascht, warum der COO der Firma ihn deswegen anrief. Itachi hatte bereits einen Termin für morgen ausgeschickt, bei dem er allen Projektmitarbeitern die Veränderungen in der Projektleitung erklären würde. Etwas gekürzt natürlich. Die wahre Geschichte über Sasukes Schreikrampf würde früh genug durch die Büros gehen. Dieses Gebäude hatte Ohren und er hatte laut genug geschrien. Es klopfte an seiner offenen Tür und Itachi sah seinen Vater im Türrahmen stehen. Normalerweise meldete Shirogane Besucher an, aber Fugaku war einer der wenigen, die in diesem Büro jeden Raum unangekündigt betreten durften. Außerdem war es spät und Shirogane war längst zu Hause. »Vater. Du bist noch hier.« »Es ist einiges liegengeblieben«, meinte er. Sein Unterton ließ keinen Zweifel zu, dass er Sasuke dafür verantwortlich machte. »Du hast die Unterlagen von synCOM angefordert.« »Das sollte ein Projektleiter auch tun. Meine Assistentin hat sie mir erst heute Nachmittag besorgt. Es wird einige Tage dauern, bis ich genügend eingearbeitet bin, um dir spezifischen Fragen beantworten zu können.« »Darum geht es nicht«, wandte Fugaku ein. Er trat in den Raum, schloss die Tür hinter sich. Niemand außer ihnen beiden war mehr hier, schon gar nicht auf Itachis Etage. Die Geste war symbolisch. Sie machte Itachi stutzig. Vorsichtshalber speicherte er alle offenen Dateien. »Sondern?« »Naka wird die Projektleitung von synCOM übernehmen. Der Aufsichtsrat hat es heute beschlossen.« »Naka-san hat keinerlei Projekterfahrung.« »Die meisten operativen Aufgaben sind erledigt, die Teams arbeiten nur noch die Listen ab.« »Du weißt, dass das nicht stimmt«, erwiderte Itachi ungerührt. Er stand auf. »Worum geht es hier wirklich, Vater?« Fugaku sagte nichts, musste er auch nicht. Itachi kannte den Grund längst. Sein Vater war ein Feigling. »Wie tief steckst du drin?«, wollte er wissen. Er hatte auf Enttäuschung gehofft, irgendein Anzeichen, dass er seinem Vater trotz all seiner Vorbehalte doch vertraut hatte. Dass Uchiha Fugaku hinter seinen vielen Marotten und Fehlern genauso großartig war, wie alle immer behaupteten. Sie kam nicht. »Es ist nicht so einfach, Itachi.« Ausreden. Wie immer. »Sie könnten uns alle rauswerfen. Ich muss unsere Familie schützen. Deine Mutter, dich und Sasuke. Und du solltest dich ebenfalls raushalten.« »Unser Aufsichtsrat pumpt über mehrere Briefkastenfirmen verschleierte Milliarden in unsere Firma und ich soll mich raushalten?«, fragte er, umrundete den Schreibtisch. »Was erwartest du von mir?« Mit großen Schritten durchquerte Fugaku den Raum, in seinen Augen Bedauern und Befürchtung gleichermaßen. Langsam legte er seine Hände auf die Schultern seines ältesten Sohnes. Sie waren Verbündete, er und Itachi, oder nicht? Itachi, das Wunderkind, der Stolz der Familie. Gemeinsam hatten sie die UCHIHA Corp. gerettet, geführt, hatten nächtelang Unternehmensstrategien diskutiert und über Führungstheorien philosophiert. Sie waren Vater und Sohn. »Du verstehst das nicht«, sagte Fugaku eindringlich. »Du kennst den Aufsichtsrat nicht so gut wie ich. Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die einem widerstreben. Ich tue das für unser aller Wohl. Vertrau mir. Itachi.« Eine unmögliche Forderung. Vertrauen lag nicht in Itachis Natur, zumindest nicht diese Art. In fünfunddreißig Jahren hatte er sich immer nur auf sein eigenes Urteil verlassen. Und dieses sagte ihm, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, von dem er immer schon gewusst hatte, dass er kommen würde. Seit Itachis Kindheit hatte seine Familie seinen Weg vorgelegt. Fortgeschrittene Fremdsprachenklassen nach der Schule, ein Wirtschaftsstudium an der Tōdai, Praktika bei Bekannten in einflussreichen Unternehmen, Auslandsaufenthalte, der Einstieg ins Familienunternehmen. Er war gefolgt, hatte das Beste aus diesen Stationen herausgeholt. Kein Widerwort, nicht eines in all den Jahren, weil sich die Erwartungen zufällig mit seinen eigenen überlappt hatten. Darum war er der brave Sohn gewesen, der gute Sohn, der auf seine Karriere fokussiert war, anstatt am Rasen Bälle zu kicken und sich in ein nicht standesgemäßes Mädchen zu verlieben. Nun überschnitten sich die Erwartungen nicht mehr. »Tut mir leid, Vater«, antwortete Itachi schließlich, ruhig, langsam, damit Fugaku jede Silbe davon verstand. »Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen. Egal, wer darin verwickelt ist.« Fugaku seufzte. »Das ist bedauerlich.« Dann klopfte er seinem Sohn auf die Schulter, fast traurig. Er schloss die Tür hinter sich, als er nach draußen in den menschenleeren Korridor verschwand. Eine erneut symbolische Geste, die Itachi nicht deuten konnte. Erschöpft lehnte er sich gegen die Fensterfront. Es war spät, kurz vor Mitternacht, und das farbenfrohe Licht der Gebäudebeleuchtungen brach sich in den Tropfen des aufkommenden Regens. Regenschirme wurden gespannt, weit unten auf den Straßen, wo Menschen mit geregelten Arbeitszeiten und weniger Verantwortung ihren freien Abend verbrachten. Es war Freitagnacht – eine Zeit, die in diesem Büro keinerlei Bedeutung hatte. Schon gar nicht jetzt. Was auch vorging, es war groß. Riesige Summen und wichtige Namen. Wie sollte er die Sache angehen? Wo anfangen, wie weitermachen? Itachi wandte den Blick von den nassen Straßen erst wieder ab, als er sein Privathandy am Schreibtisch vibrieren hörte. Kaum jemand rief ihn unter dieser Nummer an. Er war in keinen Vereinen, hatte keine Freunde; nur Ino, die bei weitem keine einfache Freundin war, aber auch nicht viel mehr. Er hob ab. »Hallo, Ino.« »Hey«, grüßte sie schwach. Ihre Stimme klang belegt, selbst durch die mäßige Tonqualität des Mobilfunknetzes. »Arbeitest du noch?« »Ja. Ist alles in Ordnung?« »Ja –« Er konnte sie tief ausatmen hören. »Ehrlich gesagt … ich weiß nicht. War ein harter Tag. Wann hörst du auf zu arbeiten?« Eine berechtigte Frage. Es war nach zehn Uhr und sie klang, als würde sie jemandem zum Reden brauchen. Trotzdem. »Heute gar nicht.« Die Antwort ließ sie zögern. »Oh. Es ist nur … ich hab grad irgendwie eine mittelschwere Sinnkrise und …« Inos Stimme zerbrach in leises Schluchzen, das sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken. Er konnte sie schniefen hören, während sie offenbar das Smartphone wegdrehte, um die Geräusche nicht allzu laut zu ihm durchdringen zu lassen. »Und ich weiß nicht, wen ich sonst anrufen soll.«. Genau das war, warum er mit sich gehadert hatte, als Ino ihn verführt hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte er nachgegeben, hatte ihr die Tür und sich selbst ein Stück weit geöffnet. Das hatte er davon. Nun waren da Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte. Wie damals mit Izumi. Und wie damals war die UCHIHA Corp. wichtiger, würde es immer sein, musste es immer sein, weil tausende Jobs und Familien darauf angewiesen waren, dass sie auch nächstes Jahr und das danach noch das volle Gehalt mit Überstunden zahlen konnten. »Tut mir leid. Ich habe zu viel zu tun«, sagte er. Legte auf. Schrieb eine Notiz an Shirogane, falls sie morgen ankam, während er bereits in einem Meeting saß. Er brauchte die Buchungsbelege und Rechnungen des letzten Jahres mit allen Details, und er durfte keine Sekunde verlieren. Er würde herausfinden, was hier geschah, denn er war Uchiha Itachi, der Stolz der Familie, das Talent hinter jeder guten Businessentscheidung der letzten sechs Jahre. Und er hatte noch keine Ahnung, wie wenig ihm das alles helfen würde.   . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)