How Gabriel got (p)laid! von Platypusaurus ================================================================================ Kapitel 2: Tag 4-6: Oh, Baby! Oh, Sam …? ---------------------------------------- Cassies Kühlschrank ist kaputt. An sich nicht weiter tragisch; soweit Gabe weiß, hat der Mann keine finanziellen Schwierigkeiten und könnte sich problemlos einen neuen leisten. Nicht, dass Gabe ihm im Notfall nicht auch unter die Arme greifen würde! Dafür sind gute Nachbarn – Freunde – schließlich da. Leider sieht Castiel aber überhaupt nicht ein, sich einen neuen Kühlschrank zuzulegen.   „Es ist Herbst, Gabriel, und ich habe einen Balkon! Die Kühlflüssigkeit ist so eine Belastung für die Umwelt. Bis zum Sommer komme ich mindestens ohne einen Kühlschrank aus. Vielleicht sogar länger!“   Das schlimmste daran: Cassie meint damit tatsächlich, dass er seine Lebensmittel für mindestens ein Dreivierteljahr auf dem Balkon deponieren will, bis es im Sommer zu heiß draußen wird. Und leider ist Gabriel (im Gegensatz zu einigen Neuzugängen) ein guter Nachbar und überlässt Cas ein Fach in seinem Gefrierschrank für sein Tiefkühlgut. Es scheint Cassie auch nicht im Geringsten zu stören, wenn die Büchsen, in denen er seine Lebensmittel nun im Freien aufbewahrt, nass geregnet oder, schlimmstenfalls, von Vögeln voll gekackt werden. Gabe sagt nichts dazu; er kennt Castiel inzwischen lange genug, um zu wissen, dass Reden in solchen Fällen aussichtslos ist. Cas mag in den meisten Dingen zwar ein wahrer Engel sein, aber er ist auch ein unglaublicher Sturkopf und was er sich einmal in seinen Dickschädel gesetzt hat, zieht er, der Erfahrung nach, so lange durch, bis etwas dabei gehörig in die Hose geht.   Dieser Fall tritt an einem ziemlich windigen Samstagmorgen ein. Es ist der sechste Tag, den die Winchesters nun schon im Haus wohnen und seit etwa Donnerstag scheinen sie endlich, endlich all ihre Möbel fertig aufgestellt zu haben. Was zwar nicht bedeutet, dass es in der Wohnung der Brüder deutlich leiser geworden wäre, aber wenigstens ist der typisch penetrante Baulärm nun verstummt. Es ist später Vormittag, als Gabriel am Esstisch sein Frühstück genießt und träge durch die geschlossene Balkontür nach draußen blinzelt. Vor der Scheibe dringen Sonnenstrahlen durch das wolkige Grau eines sturmgepeitschten Oktoberhimmels und ein kräftiger Wind lässt die Rollläden klappern. Nicht selten wehen Blätter draußen vorbei, die bis in den zweiten Stock hinauf gewirbelt werden. Schon beinahe die ganze Woche über hält sich das herbstliche Wetter schon, aber als Stubenhocker hat es Gabe bisher nicht weiter gestört. Außerdem mag er Wind.   Plötzlich ertönt draußen ein lautes, dumpfes, metallisches Geräusch, das Gabriel zusammenfahren lässt. Es hat entfernt Ähnlichkeit mit einer zuschlagenden Autotür, nur … irgendwie anders. Auf eine ungute Art. Er widersteht dem Drang, aufzustehen und hinunter in den Hof zu sehen; ein gewisser Elch, der nach der Arbeit jeden Nachmittag zur selben Zeit laufen geht, hat ihn die letzten Tage schon oft genug an der Scheibe kleben lassen. Was auch immer er oder sein Backenhörnchen von Bruder jetzt schon wieder angestellt haben – Gabe will es lieber gar nicht erst wissen.   Er hat kaum den letzten Bissen seiner Frühstückswaffel verputzt, als es kräftig an seiner Wohnungstür klopft. Und klingelt. Und klopft. Der Wechsel ist so schnell, dass er, selbst durch die verschlossene Wohnungstür, die helle Panik des unangekündigten Besuchers erahnen kann. Stirnrunzelnd erhebt sich Gabe, wischt sich die klebrigen Finger an der Pyjamahose ab, die er unter dem Morgenmantel trägt, und tapst eilig in den Flur und zur Eingangstür.   „Gabe? Gabriel! Bist du da? Gabriel?“, hört er Cassies Stimme immer und immer wieder durch das dünne Holz flüstern.   „Ja, ja, bin da, schon gut! Warte!“, ruft er zurück und öffnet einem aufgelösten Castiel, der kreidebleich und mit weit aufgerissenen Augen über die Schwelle stolpert.   „Du meine Güte, was ist denn mit dir passiert, Cassiekins?“, fragt Gabriel perplex und breitet die Arme aus, damit sich Castiel nicht in seinem Flur auf die Nase legt. Er klammert sich für einen kurzen Moment an den Säumen von Gabriels Morgenmantel fest.   „Du musst mitkommen, Gabriel! Bitte, schnell! Ich habe … Das Auto! Das Winchester-Auto! Ich … Oh Gott!“, sprudelt es aus Cas hervor, sobald er wieder sicher auf eigenen Füßen stehen kann.   „Gaaanz ruhig“, sagt Gabe langsam und lässt Cassie los. „Immer der Reihe nach! Was ist passiert?“   Castiel schließt für einen winzigen Moment die Augen und holt zitternd Luft. Seine Nasenflügel beben dabei, so aufgelöst ist er. „Ich war auf dem Balkon und wollte mir etwas zu Essen rein holen“, beginnt er und sieht Gabe dabei ängstlich an. „Okay“, sagt Gabriel langsam und nickt auffordernd. „Und was ist dann passiert?“   „Mir ist eine Dose umgefallen und“ - spätestens ab hier kann sich Gabe denken, wie die Geschichte weitergeht, aber trotzdem lässt er Castiel ausreden - „sie ist über den Balkon gerollt und unter dem Geländer durch und vom ersten Stock runter auf die Motorhaube von dem schwarzen Auto gefallen!“   Nun ist es an Gabriel, die Augen kurz zu schließen und tief durchzuatmen. Das Auto muss ein Vermögen wert sein und es steht außer Frage, dass es für die Brüder einem Heiligtum gleichkommt. Niemand legt sich ein derartiges Gefährt zu , ohne ihm einen gewissen emotionalen Wert beizumessen. Tja, vielleicht kommt es Castiel jetzt zugute, dass er noch keine fünfhundert Mäuse für eine neue Kühl-Gefrier-Kombi hingeblättert hat. Vermutlich muss er mit mindestens so viel Schadensersatz rechnen, je nachdem, wie schlimm die Beschädigung am Auto ist. Ironischerweise wäre es mit einem neuen Kühlschrank aber wohl nie so weit gekommen. Das sagt Gabe natürlich nicht laut. Stattdessen schlüpft er barfuß in seine Straßenschuhe, schnappt sich den Schlüsselbund vom Brett und schiebt Cassie mit sich in den Hausflur.   Als sie im Hof vor dem Auto stehen, das direkt unter Castiels Balkon parkt, ist er sich im ersten Moment nicht sicher, ob sich Cas das alles nicht nur eingebildet hat: Am Auto ist nicht eine Spur zu sehen! Fröstelnd schlingt Gabe den Morgenmantel enger um sich und schiebt sich die kalten Hände unter die Achseln.   „Ich seh da nichts, Cassie!“, bestätigt er, nachdem er das Auto dreimal genaustens inspiziert hat und es sogar der Länge nach abgeschritten ist.   Die Getränkedose, die Cas vom Balkon hat rollen lassen, finden sie übrigens eingedrückt neben dem linken Vorderreifen. Es ist eine Dose mit Eiskaffee und Gabe nimmt sie Cas ohne Umschweife aus der Hand und lässt sie in der Tasche seines Morgenmantels verschwinden. Seltsame Wahl! Normalerweise trinkt Castiel so etwas gar nicht ...   „Ich auch nicht“, gibt Castiel zu und wirkt aber nach wie vor zerknirscht und ängstlich. „Aber ich muss es ihnen sagen. Falls doch ein Schaden entstanden ist ...“ Er spricht den Satz nicht zu Ende und Gabriel stimmt Cas im Stillen zu: Vernünftiger wäre es auf jeden Fall, die Holzfäller über diesen Vorfall zu informieren.   „Na komm, ich gehe mit dir“, sagt Gabe bereitwillig und gemeinsam stapfen sie zurück ins Haus.   Als sie an der Wohnungstür von D. Winchester und S. Winchester klingeln (Wichtig: Nicht D. und S. Winchester!, wie Gabe hämisch denkt.), ist es der Elch, der ihnen öffnet. Einen kurzen Moment lang sieht er sie überrascht an; vielleicht wegen Gabriels ungewöhnlichen Auftretens in Schlafanzug und Morgenmantel, vielleicht, weil sich bisher noch niemand vor ihnen im Haus die Mühe gemacht hat, den beiden Neulingen einen Besuch abzustatten. Ja, auch das weiß Gabe sehr genau, und nein, er ist nicht total besessen von den Gebrüdern Holzfäller!   „Hi! Was kann ich für euch tun?“, fragt Sam, als er sich gefangen hat, und lächelt freundlich aus seinen unmenschlichen Höhen zu ihnen herunter. Gabriel muss sich zusammenreißen, um bei diesem Strahlen nicht sichtlich zu schlucken.   „Hallo, Sonnenschein!“, grüßt er, wie er hofft, nach außen hin ungerührt zurück. „Cassie – Samshine, Sam – Castiel. Wir hätten da mal eine Fragen wegen eures Autos.“   Sam runzelt die Stirn, ignoriert den Spitznamen bis auf ein irritiertes Blinzeln, und Gabriel glaubt zu erkennen, wie sich ein Anflug von Sorge in seine Züge schleicht.   „Freut mich, Castiel“, sagt er dennoch höflich und hält Cas die Hand hin. Im Gegensatz zu Gabe weiß er natürlich nicht, dass Cassiekins nicht allzu viel von direktem Körperkontakt zu Fremden hält, weshalb er die ihm dargebotene Hand eher wie hypnotisiert mustert, anstatt sie zu ergreifen. Gabriel gönnt sich knapp zwei Sekunden, um die Größe der Hand ein weiteres Mal sehnsüchtig zu bewundern. Er bemerkt, dass Sam bald verlegen auf der Stelle tritt und Castiel inzwischen peinlich berührt überall hinsieht, nur nicht mehr auf die verzweifelt ausgestreckte Hand. Es ist beinahe nicht auszuhalten. Gabe fasst sich ein Herz und schlägt bei Sam ein; ein merkwürdiger, schlecht treffender, beinahe schmerzhaft unpassender High Five. Low Five. Halb so wild. Er macht sich ja gerne zum Affen, um gleich einem Freund und einem heißen Gerät aus der Patsche zu helfen. Nun ja, so heiß ist Sam Winchester nun auch wieder nicht!   Sam lässt die Hand mit einem undefinierbaren Blick auf Gabe endlich sinken und räuspert sich unbehaglich.   „Was ist mit dem Auto?“, fragt er und fixiert Gabe, bei dem er anscheinend das Gefühl hat, weniger falsch machen zu können.   „Ach, weißt du“, sagt Gabe leichthin und spürt förmlich, wie Cassie neben ihm am liebsten im Boden versinken möchte. „Uns ist da ein kleines Malheur im ersten Stock passiert. Du weißt, vom Balkon aus -“   Er kommt nicht dazu, den Satz zu ende zu sprechen, denn schon tritt Sam zu ihnen in den Hausflur und zieht die Wohnungstür hinter sich zu.   „Was ist mit dem Auto?“, wiederholt er, diesmal jedoch in scharfem Flüsterton und mit deutlich mehr Nachdruck.   „Nichts“, beeilt sich Gabe zu sagen und hebt beruhigend die Hände. „Absolut gar nichts! Wir haben nachgesehen – nicht mal ein Kratzer ...“   Wieder kommt er nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn schon überbrückt Sam mit großen Schritten seiner übermenschlich langen Beine den Absatz bis zu den Treppenstufen, die er auf dem Weg zur Haustür beinahe hinunter zu fliegen scheint. Mit offenem Mund sieht Gabriel ihm dabei zu, wie er die Eingangstür aufreißt und nach draußen verschwindet. Cas steht immer noch wie angewurzelt neben ihm und lässt den Kopf hängen. Er hat die Ärmel seines Pullovers über die Hände gezogen und umklammert die Säume, so dass nur noch seine weiß hervortretenden Knöchel zu sehen sind, was eigentlich nie ein gutes Zeichen ist.   „Er wird nichts finden, Cassie. Wir haben doch schon nachgesehen. Na komm, wir gehen mit!“, sagt Gabe in einem Tonfall, von dem er hofft, dass er beruhigend klingt und setzt sich ebenfalls in Bewegung. Er spürt die eingedellte Dose Eiskaffee, die in der Tasche seines flauschigen Morgenmantels schwer auf seinen Oberschenkel drückt, als er die Stufen eine Spur enthusiastischer hinunter hüpft, als ihm eigentlich zumute ist. Tatsächlich folgt ihm Cas zögernd.   Als sie sich zu dritt um das Auto versammeln, fällt Gabe zum ersten Mal auf, dass Sam wirklich besorgt aussieht. Sein Gesicht ist eine Spur blasser und er muss sich wohl die Haare gerauft haben, bevor sie zu ihm gestoßen sind. Jedenfalls wirkt er ein bisschen zerzaust – aber vielleicht war das auch nur der Wind, der hier draußen, neben Sam, sofort wieder einen Schauer über Gabes Rücken jagt. Ja, genau, der Wind.   „Ich kann nichts finden“, verkündet Elch und klingt seltsam unsicher, was bei seiner Statur und Größe nicht so verdammt niedlich auf Gabe wirken sollte. Mit einem Achselzucken schiebt er die unangemessenen Gedanken über Gigantor zur Seite. Mit den dazugehörigen Gefühlen ist das leider nicht ganz so einfach.   „Sagte ich doch!“, gibt er zurück. „Eigentlich gibt es nicht mal einen Grund, dir davon zu erzählen. Wir wollten nur sicher gehen. Auf ehrliche Nachbarschaft und ein gutes Miteinander und so!“ Er zeigt sein strahlendstes Lächeln, von dem Sam alles andere als überzeugt wirkt.   „Ja, okay. Aber was ist denn eigentlich genau passiert? Dean bringt mich um, wenn irgendetwas mit Baby – ich meine, mit dem Auto …!“   „Baby?“ Gabriels Augen verengen sich gefährlich. Sam kann nicht wissen, dass man derartig pikante Informationen nicht ohne Folgen in seiner Nähe fallen lassen darf, wenn man zu ihm (und zu Cassie) nicht das allerbeste Verhältnis pflegt. Cassie weiß das übrigens sehr gut, was vermutlich der Grund dafür ist, dass er unauffällig hinter Gabe tritt und ihm einen warnenden Stoß in den Rücken verpasst.   „Mein Bruder hat zu diesem Auto ein ziemlich ungesundes Verhältnis“, brummt Sam düster und vermeidet beschämt den Blick in Gabes oder Cas‘ Richtung. „Und meistens gibt er mir die Schuld dafür, wenn er glaubt, dass irgendetwas damit nicht stimmt. Nur, weil wir einmal, im Streit ...“ Er verhaspelt sich und bricht ab.   Das diebische Grinsen auf Gabriels Gesicht erstirbt. Nicht, dass er plötzlich Mitleid mit dem Elch hätte oder aufgrund irgendwelcher komplizierten Familienumstände nachsichtiger mit ihm wäre. Doch Gabriel hat selbst Geschwister, die er zwar heiß und innig liebt, aber mit denen es auch nicht immer … ganz einfach ist. Nett gesagt. Er seufzt ergeben.   „Okay, schön. Wir konnten nichts entdecken. Du hast nichts entdeckt. Vielleicht vergessen wir die Sache dann einfach? Dein Bruder muss gar nichts hiervon erfahren“, schlägt er vor und nimmt unauffällig etwas Sicherheitsabstand zu dem pikenden, schubsenden und stupsenden Castiel ein. Castiel mag es nicht, zu lügen und was Gabe hier vorschlägt, klingt gefährlich danach.   „Was ist denn eigentlich passiert?“, fragt Sam zögerlich, der nichts von ihrem eingespielten, nonverbalen Austausch mitzubekommen scheint.   „Mir ist eine Dose -“, beginnt Cassie, doch diesmal ist Gabe derjenige, der unterbricht: „Cassies Kühlschrank ist kaputt, deshalb hat er ein paar Lebensmittel in Dosen auf seinem Balkon. Lunchboxen, du weißt schon. Er hat mich zum Frühstück eingeladen, und als ich die Sachen dafür reinholen wollte, ist mir was davon unter dem Geländer durchgerutscht.“ Sam braucht nicht zu wissen, dass es sich bei dem Beinahe-Schaden um Metall auf Metall handelt und kann ruhig von einem Stück harmloseren Plastik ausgehen, das auf der kostbaren Motorhaube des Wagens gelandet ist. Hinter sich hört er einen erstickten Laut von Castiel, der deutliches Missfallen gegenüber Gabes Erzählung ausdrückt. Tja, da muss er nun leider durch!   Den Elch, zumindest, scheint die Erzählung zu überzeugen und endlich kehrt etwas Farbe zurück in seine Wangen. Er nickt bedächtig.   „Gut. Dann danke ich euch, dass ihr so ehrlich wart, obwohl anscheinend nichts weiter passiert ist.“   Gabe lächelt. Nur ein bisschen, zur Aufmunterung – für Cassie. Vielleicht auch ein kleines bisschen für Sam.   Sie sind kaum zurück im Haus, als Sam auffällt, dass er in all der Aufregung seinen Wohnungsschlüssel vergessen hat. Dean ist ohne Baby unterwegs (Gabe kann sich gerade so ein Lachen verkneifen), also hat der Elch sich, leider Gottes, selbst ausgesperrt. Gabe hätte ihn am liebsten einfach mit einem schiefen Lächeln und einem Achselzucken stehen lassen. Klar, er kann Sam inzwischen ein bisschen besser leiden und er sieht gut genug aus, um ihm verdammt viele Unannehmlichkeiten der letzten Woche einfach so durchgehen zu lassen. Das bedeutet noch lange nicht, dass seine Dummheit mit dem Schlüssel Gabes Problem wäre – doch bedauerlicherweise wird sie es, sein Problem, als Cassie, das Trottelchen, den Riesen ohne Umschweife zu sich nach Hause einlädt, bis Dean zurück ist.   Gabe hadert mit sich, aber natürlich kann er die beiden unmöglich allein in Cassies Wohnung lassen! Zum einen, weil er genau weiß, wie schwer es seinem Freund fällt, die gerade erst aufgetischte Lüge über den kleinen Unfall aufrecht zu erhalten. Castiel braucht ihn dringend als Unterstützung, da macht er sich nichts vor. Und zum anderen, weil Gabe auf keinen Fall die Gelegenheit auslassen kann, den neuen Nachbarn unter solch einem perfekten Vorwand im Auge zu behalten.   Und das tut er; mit Argusaugen beobachtet er Sam dabei, wie dieser gemächlich durch Cassies in Naturtönen gehaltenes Wohnzimmer stapft und sich in aller Seelenruhe umsieht. Besonders lange bleibt er vor Castiels selbst getöpferten Schalen und Vasen stehen und Gabe hätte schon fast mit einem beschützerischen Knurren auf Sams Starren reagiert, wenn dieser nicht gerade noch rechtzeitig einen anerkennenden Kommentar zu Cassies Hobby vom Stapel gelassen hätte. Cas selbst scheint sich, zu Gabes großer Überraschung, nicht einmal annähernd so unwohl mit dem Eindringling in seiner Wohnung zu fühlen, wie er es von ihm erwartet hätte. Als Gabe ihm heimlich einen fragenden Blick zuwirft, zuckt Cassie tatsächlich nur mit den Schultern.   „Er ist nett“, flüstert er, und lächelt sogar dankbar über das Kompliment zu der selbstgemachten Tasse, in der er Sam Tee serviert.   Sie schlagen die Zeit bis zu Deans Rückkehr damit tot, indem sie Sam mit Fragen löchern. Nun gut, Gabriel stellt die Fragen, die Sam allesamt bereitwillig beantwortet, während Castiel interessiert lauscht. Meistens übrigens, ohne irgendjemanden anzusehen. Gabe weiß, dass er Blickkontakt nicht mag, ihn sogar nur schwer ertragen kann; insbesondere bei Menschen, die ihm nicht sonderlich nahe stehen. Gesichter machen ihm Angst, hat er einmal erklärt und außerdem hat er Schwierigkeiten damit, sie auseinanderzuhalten oder in ihnen zu lesen. Insgeheim findet Gabe, dass er selbst inzwischen ganz gut damit umgehen kann. Mit einer Mischung aus Faszination und Frustration stellt er fest, dass Sam zwar einige Male irritiert wirkt, wenn Cas eher der Wand oder dem flauschigen Teppich antwortet als ihm, sich offenbar aber schnell und problemlos an Cas‘ Strategien gewöhnt. Kann dieser Elch vielleicht auch in einem Punkt nicht anbetungswürdig sein?, denkt Gabe verstimmt und fragt ihn verbissen weiter über seine Zeit am College aus. Wie sich herausstellt, steht er derzeit kurz vor den Abschlussprüfungen und macht nebenbei ein Praktikum in einer kleinen Anwaltskanzlei in der Gegend. Offenbar einer der Gründe, warum sie hierher gezogen sind.   Sie, also er und Dean, weil Sam offensichtlich noch nicht genug Geld verdient, um das Studium und eine eigene Unterkunft finanziell zu stemmen und die Fahrtkosten bis zu seinem neuen Arbeitsplatz vom Wohnheim aus wohl astronomische Höhen angenommen hätten. Überhaupt spricht Sam von Hörnchen, als sei sein großer Bruder ein wahrer Heiliger, was Gabe irgendwie auch ziemlich gegen den Strich geht. Kein Mensch sollte so ein inniges Verhältnis zu seinen Geschwistern haben!   Während Cas immer weiter auftaut und es ihm sogar gelingt, Sams Stimmbändern das eine ums andere Mal dieses angenehm donnernde Lachen zu entlocken, dem er seinen neuen Spitznamen zu verdanken hat, wird Gabes Laune immer düsterer. Er versucht wirklich, es sich nicht anmerken zu lassen und irgendwie ist es auch schwer, schlecht gelaunt zu sein, wenn ihn einer von Sams strahlenden Blicken wieder bis ins Mark zu trifft. Leider hält der positive Stimmungswandel immer nur so lange, wie der Blickkontakt andauert und schockiert darüber, dass er sich wie eine egozentrische, liebeskranke Teenager-Göre aufführt, zieht Gabe sich immer weiter aus der Unterhaltung zurück, die inzwischen auch ganz gut ohne ihn läuft.   Erlösung bringt, wider Erwarten, ein polterndes, irritiertes Backenhörnchen, das ungefähr zwei Stunden später durch Cassies Tür stampft. Dean, wie sie gerade erst erfahren haben, arbeitet unter anderem in einer Bäckerei und liefert nachts tonnenweise Backwaren an Großkunden, während er am Wochenende manchmal auch vormittags im Verkauf aushilft. Die Verkaufsstelle, in der Gabe sich selbst mehrmals unter der Woche auf dem Weg zur Arbeit mit Frühstück versorgt, liegt nur zwei Straßen weiter, während sich die Bäckerei selbst, zu der Dean nachts mit dem Leichenwagen aufbricht, am Stadtrand befindet.   Backenhörnchen bringt einen durchdringenden Geruch von Kuchen und Gebäck mit herein, der Gabe das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt und ihm einen weiteren Grund gibt, die Gebrüder Winchester zu verfluchen. Keiner von ihnen sollte derart lecker riechen. Noch weniger sollte das Auslöser dafür sein, dass Gabe unauffällig in Sams Richtung zu schnüffeln beginnt. Wonach riecht der Elch eigentlich?   „Sam? Was ist hier los?“, brummt Dean nach einer hastigen Begrüßung und einer kleinen, aber hübsch ungemütlichen Vorstellungsrunde.   „Gabe und Castiel wollten sich den Impala ansehen“, lügt Sam, ohne mit der Wimper zu zucken. Deans Gesichtsausdruck wird augenblicklich um ein paar Grad sanfter. Komplimente für die Karre ist er anscheinend gewohnt – und er scheint sie zu schätzen.   „Verstehe“, sagt er nur und nimmt tatsächlich die Einladung auf eine Tasse Tee an, was Sam mit hochgezogenen Brauen quittiert. Nein, Dean scheint nicht der Typ für Tee zu sein, aber als er sich zwischen Gabe und Sam und gegenüber von Cassie auf einem der Sitzkissen niederlässt und anbietet, für ihre nächste gemeinsame Runde ein paar Stücke Kuchen von der Arbeit beizusteuern, kann sich niemand mehr über irgendetwas beschweren.   Höchstens die Tatsache, dass Cassie Dean über den Sofatisch hinweg mit leicht geöffnetem Mund unverhohlen ins Gesicht starrt, ist ein bisschen merkwürdig, aber Gabe gegenüber sitzt Sam, also gibt es genug andere Dinge, über die Gabriel Milton sich wundern kann.   Wieder zurück in seiner Wohnung sieht Gabe als erstes zu, dass er aus dem Schlafanzug herauskommt. Dabei fällt ihm auch die eingedellte Dose Eiskaffee wieder in die Hände, die immer noch in der Tasche seines Morgenmantels steckt. Nachdenklich betrachtet er sie, bevor er sie achselzuckend in seinen eigenen Kühlschrank stellt. Es ist nicht nur komisch, dass sie das kostbare Auto bei ihrem Sturz nicht beschädigt hat! Was hat Cassie damit überhaupt vorgehabt? Er mag eigentlich gar keinen Kaffee und noch weniger süßen …  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)