Something Strange von ReptarCrane (Vanished) ================================================================================ Kapitel 9: Chapter 9 -------------------- "Meine Fresse, du kannst einem ja echt leid tun!" Roger hatte nicht die geringste Ahnung, wer das Mädchen war, das keine drei Sekunden, nachdem der Lehrer den Klassenraum verlassen und die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zugeworfen hatte, zu seinem Pult gesputet war und ihm ohne irgendeine Einleitung oder Vorstellung seiner Person diese reichlich nichtssagenden Worte entgegengebrüllt hatte, und das in einer Lautstärke, als würde sie mit einem Schwerhörigen sprechen. Er war gerade im Begriff gewesen, Bleistifte und Kugelschreiber, die er im Verlauf der vergangenen Stunde auf seiner Tischplatte verteilt hatte, ohne es wirklich zu merken, zurück in sein Etui zu räumen, hielt nun jedoch inne und hob seinen Blick, unsicher, was er erwidern sollte. Ihm war nicht wirklich klar, was diese Aussage zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich spielte das Mädchen auf die Art an, wie dieser Lehrer mit ihm gesprochen hatte. Sicher, das war alles andere als angenehm gewesen, doch Mitleid musste man ihm deshalb noch lange nicht entgegenbringen...Es war schließlich nicht so, als sei er solch einen Umgangston nicht gewohnt. "Na ja...", begann er, um wenigstens irgendetwas zu sagen und nicht bloß schweigend dazustehen und dämlich zu gucken, "Ich glaube, der Lehrer mag mich nicht besonders..." Seine Stimme klang nicht ganz so gleichgültig, wie er es beabsichtigt hatte, das stellte er selbst verärgert fest, darin schwang ein eindeutiger Unterton mit, aber vielleicht kam ihm das auch bloß selbst so vor. Was auch immer. "Er mag dich nicht besonders?" Mit einem schrillen Auflachen schlug das Mädchen mit den Händen auf die Tischplatte, und einige der sich noch im Raum aufhaltenden Schüler drehten sich zu ihr um, um zu sehen, was denn so unfassbar amüsierend war. "Ganz ruhig, Janet.", rief irgendjemand, und auch, wenn Roger das natürlich noch nicht wissen konnte, war diese scheinbar belanglose Randbemerkung in Wahrheit als eine ernstgemeinte Aufforderung gemeint. Janet neigte zur Hysterie. Und das schon bei den kleinsten Anlässen. Ein wenig verärgert warf die Angesprochene einen Blick in die Richtung, aus der die Bemerkung gekommen war, ließ sich dann jedoch nicht weiter beirren, und wiederholte noch ein mal, diesmal in gemäßigterer Lautstärke: "Er mag dich nicht besonders?" Ein weiteres Kopfschütteln, dann ein belustigtes Schnaufen. "Junge, das ist echt untertrieben! Lamb hasst dich! Aber richtig!" "Aber ich hab ihm doch gar nichts getan!", entgegnete Roger. Dass Mr. Lamb - was für ein unpassender Name - ihn nicht besonders gut leiden konnte, das war ihm durchaus bewusst, und das, obwohl er jemand war, der dazu neigte, sich immer alles schön zu reden. Aber Hass? Wie konnte man jemanden, den man seit gerade einmal neunzig Minuten kannte, bereits hassen? Und das ohne einen triftigen Grund? "Das hat doch damit nichts zu tun!" Janet sah Roger an, als hätte er ihr gerade erzählt, dass die Erde eine Scheibe sei, sie wirkte wie eine Lehrerin, der ein Schüler eine besonders dämliche Frage gestellt hatte. "Aber hey, der hasst jeden! Manche mehr, manche weniger! Das ist nicht dein größtes Problem!" Dann wandte sie den Kopf nach rechts, wobei sie ihre langen, blondierten Haare dramatisch über die Schulter warf, um der Relevanz der Situation Ausdruck zu verleihen, und Roger folgte ihrem Blick, eher aus Reflex als aus einer durchdachten Handlung heraus, und so betrachteten sie nun beide den Nachbartisch, wo der dort sitzende Schüler gerade mit hektischen Bewegungen seine Sachen vollkommen ungeordnet in seine Tasche fallen ließ, es offenbar unfassbar eilig habend, aus dem Klassenraum heraus zu kommen. Janet lächelte vielsagend. "Du solltest dir eher Gedanken wegen deinem Sitzplatz machen!" Ihre Mimik hatte sich verändert, zuvor hatte sie überheblich, geradezu arrogant gewirkt, und dieser Ausdruck war durchaus noch immer vorhanden, nun jedoch überschattet von etwas Stärkerem, etwas, das Roger sich in diesem Zusammenhang nicht wirklich erklären konnte, jedoch nicht im Geringsten daran zweifelte, dass es das war: Ekel. Ganz ähnlich hatte seine große Schwester ausgesehen, als sie vor Jahren einmal in einem Tierpark gewesen waren - einer der wenigen Familienausflüge, an die er sich überhaupt erinnern konnte, was auch daran lag, dass es nicht sonderlich viele gegeben hatte - und vor einem Terrarium gestanden hatten, in dem, vollkommen unbeweglich, mehrere handtellergroße Vogelspinnen gehockt hatten. Irgendwo hatte Roger diese Tiere ausgesprochen faszinierend gefunden. Tonia einfach nur widerlich. Ja, Janet sah aus, als sei gerade irgendeine ekelhafte Kreatur vor ihr über die Wand des Klassenzimmers gekrabbelt. Nur war es noch verständlich, wenn jemand eine Spinne mit solchen Blicken bedachte, schließlich sind Spinnen nicht dafür bekannt, sonderlich beliebte Tiere zu sein... Aber einen Menschen? Roger hatte nicht die geringste Ahnung, was dieser Ausdruck zu bedeuten sollte. Oder auch ihre zuvor getätigte Aussage. "Wie meinst du das?" Verwirrt sah er Janet an, und noch während er diese Worte aussprach, fragte er sich, ob er denn wirklich eine Antwort bekommen wollte. Natürlich, einerseits war er neugierig, wollte wissen, was dieses kryptische Verhalten dieses Mädchens zu bedeuten hatte, doch andererseits legte er aus irgend einem Grund, der ihm selbst nicht wirklich bekannt war, keinen allzu großen Wert darauf, dieses Gespräch unnötig lange weiterzuführen. Er wusste nicht, warum, doch irgendwie war Janet ihm nicht sonderlich sympathisch. Janet sah ihn nicht an, als sie antwortete. Deutete stattdessen ohne jede Diskretion auf seinen Sitznachbarn, der zweifelsohne genau wusste, dass über ihn gesprochen wurde, sich jedoch alle Mühe gab, nicht darauf einzugehen und sich wortlos seinen Mantel überzog, um dann mit gekünstelter, übertrieben dramatischer Stimme die rhetorische Frage in den Raum zu werfen: "Du hast keine Ahnung, wer das ist, oder?" "Wenn eben nicht irgendwer deinen Namen gesagt hätte, wüsste ich nicht mal, wer du bist.", gab Roger zurück, etwas besseres fiel ihm nicht ein, und das entsprach schließlich der Wahrheit. Unter normalen Umständen hätte er sich im Laufe des Unterrichts mit Sicherheit zumindest kurz mit seinem Sitznachbarn unterhalten, doch waren die Umstände wohl alles andere als normal, wenn der Lehrer einen nahezu durchgängig mit einem Blick fixierte, als habe er das dringende Bedürfnis, einen Mord zu begehen. Nun wandte Janet sich doch wieder ihrem Gesprächspartner zu. Sie wirkte irritiert, geradezu verwirrt, als habe diese Erwiderung sie ein wenig aus dem Konzept gebracht, und irgendwie schien sie nicht wirklich zu wissen, was sie darauf antworten sollte. "Äh...Ja." Wieder schüttelte sie den Kopf, als würde ihr das irgendwie dabei helfen, ihre Gedanken zu ordnen, und setzte dann zu einem weiteren Versuch an, die Informationen, die sie zu verbreiten ersuchte, doch noch loszuwerden: "Das ist aber total egal! Geht ja nicht um mich, sondern um deinen Sitznachbarn!" Ein weiterer Fingerzeig, und Roger hätte sie gerne darauf hingewiesen, wie unhöflich dieses Verhalten war, doch sie ließ ihn überhaupt nicht erst zu Wort kommen. "Über den solltest du dir Gedanken machen! Weißt du auch, warum?" "Nein, aber denke mal, du wirst es mir bestimmt gleich verraten..." Nein, Roger hatte definitiv keine Lust mehr auf diese Konversation. Sein zuvor zumindest noch mäßig vorhandenes Interesse war nun vollends verschwunden, er wollte nicht hören, was Janet ihm erzählen wollte, denn spätestens jetzt konnte er sich ungefähr denken, was es war: Irgendwelche Lästereien über eine Person, die sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht leiden konnte. Mit einer hektischen, fahrigen Bewegung griff er nach dem letzten noch auf der Tischplatte liegenden Stift, hob ihn hoch und hätte ihn um ein Haar gleich wieder fallen lassen, reflexartig umklammerte er ihn, als handle es sich dabei um irgendeinen überaus wertvollen Gegenstand. Warf ihn in das Etui, zog den Reißverschluss zu und verstaute es in seiner Tasche. Griff nach seinem Mantel. Gleichzeitig spürte er, wie sich in seinem Nacken ein unangenehmes Ziehen ausbreitete. Doch so offensichtlich es auch war, dass ihre Gegenwart Roger alles andere als angenehm war, in Janets Gehirn schien diese kleine Information nicht angekommen zu sein. Sie nickte eifrig, um die zuvor geäußerte Vermutung seines Gegenübers zu bestätigen, und fuhr dann vollkommen unbeeindruckt fort: "Der Typ ist irre! Echt! Wenn du nicht aufpasst, bringt er dich wahrscheinlich um!" Es dauerte einen Moment, bis Roger wirklich begriffen hatte, was seine Mitschülerin da gerade gesagt hatte. In der Bewegung innehaltend starrte er sie an, nicht wissend, was er sagen sollte, überlegend, ob sie irgend einen seltsam morbiden Scherz gemacht hatte, doch Janets Gesicht wirkte todernst. Anscheinend schien sie überhaupt keine Antwort seinerseits zu erwarten, beugte sie sich doch bereits ein Stück vor, und fuhr in gedämpfteren, jedoch noch bei weitem nicht leisem Tonfall unbeirrt fort: "Randall hat Anfang des Jahres seinen Cousin umgebracht! Wie genau und was er mit der Leiche gemacht hat weiß keiner...Die hat man nämlich bis heute nicht gefunden! Er ist ein Mörder! Und verrückt! Solltest also zusehen, dass du dich von ihm fern hälst..." Und hier brach sie ab. Über ihr Gesicht zog sich wieder dieses überhebliche Lächeln, das ihr den Ausdruck einer selbstgefälligen Herrscherin verlieh, die auf ihr Volk herabsah; sie warf einen letzten, angewiderten Blick in Richtung der Person, über die sie soeben gesprochen hatte - sie hatte seinen Namen erwähnt, doch irgendwie fiel er Roger nicht mehr ein, wahrscheinlich, weil er sich mehr auf die anderen Informationen konzentriert hatte - drehte sich dann um, um sich auf den Weg zurück zu ihrem Tisch zu machen. Ohne ein weiteres Wort. Roger starrte ihr nach, verwirrt und irritiert, und ohne die geringste Ahnung, was er tun, sagen, oder überhaupt von dem halten sollte, was er da gerade gehört hatte. Er wusste es wirklich nicht. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihr hinterherzulaufen und ihr die Fragen zu stellen, die ihm durch den Kopf schwirrten: Meinst du das ernst? Verarscht du mich? Findest du das witzig? Doch eigentlich dachte man sich so etwas nicht aus. Eigentlich. Das kratzende Geräusch eines über den Boden geschobenen Stuhls neben ihm durchschnitt seine Überlegungen und ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Er wandte sich um, und sah gerade noch, wie sein Sitznachbar - wieso konnte er sich bloß so schlecht Namen merken? - mit eiligen Schritten an ihr vorbei hastete, mit gesenktem Blick, den Gang zwischen den Tischen mit den wenigen Schülern, die sich noch während der Pause im Klassenraum aufhielten, entlang, wobei aus seinem schnellen Gehen erst ein Laufen und dann ein Rennen wurde. Und alle schienen ihn anzustarren. Roger schluckte. Das schmerzhafte Ziehen in seinem Nacken hatte für einen Augenblick nachgelassen, doch nun wurde es wieder stärker, noch intensiver als zuvor, und überschattete dabei sogar seine wirren, wild durcheinander rasenden Gedanken, wofür er für den Moment irgendwo sogar dankbar war. Er musste hier raus. Mit zitternden Händen griff er nach seiner Tasche und warf sich den Gurt über die Schulter, sie war noch offen ebenso wie sein Mantel, doch das interessierte ihn nicht. Er wollte einfach nur weg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)