Something Strange von ReptarCrane (Vanished) ================================================================================ Kapitel 8: Chapter 8 -------------------- Mit einem demonstrativen Blick auf die Uhr machte Mr. Lamb nun eine ausladende Handbewegung, die das gesamte Klassenzimmer umfasste, und dabei hatte er noch immer dieses eisige Grinsen im Gesicht, das eher zu einem Haifisch zu gehören schien, als zu einem Menschen. Nur waren Haie wohl weitaus weniger boshafte Kreaturen. „Ich wiederhole mich nur ungern, aber wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Wir haben einen Lehrplan einzuhalten! Des weiteren muss ich dich bitten, dich eigenständig über alles zu informieren, was wir bis jetzt gemacht haben. Und jetzt such dir einen Platz aus und setz dich!“ Die letzten Worte waren ein regelrechtes Fauchen gewesen, die Selbstbeherrschung, die er bis zu diesem Punkt aufgebracht haben musste, schwand, und Roger machte instinktiv einen Schritt zurück. Es war nicht direkt Furcht, die in seinem Gesicht zu erkennen war, eher tiefe Irritation und Verwirrung, und einen Moment lang sah es so aus, als wolle er auf Mr. Lambs Anweisungen etwas erwidern; und das wäre das gottverdammt Schlimmste gewesen, was er in dieser Situation überhaupt hätte tun können. Am liebsten wäre Randall aufgesprungen und hätte ihn angebrüllt, und den meisten anderen Schüler des Kurses erging es nicht anders. Setz dich einfach hin und diskutier nicht mit ihm! So lebensmüde kann man gar nicht sein! Doch niemand von ihnen sagte etwas. Alle saßen sie wie eingefroren auf ihren Plätzen, fürchtend, selbst mit der kleinsten Bewegung Mr. Lambs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und dann würden sie vielleicht das Ziel eines seiner berüchtigten Wutausbrüche werden, denn Mr. Lamb schien heute einen verdammt schlechten Tag zu haben. Sogar für seine Verhältnisse. Es waren nur wenige Sekunden, die vergingen, in denen Roger reglos vorne neben dem Lehrerpult stand, Mr. Lamb musterte und allem Anschein nach noch etwas sagen wollte, doch diese Sekunden fühlten sich an wie ungefähr drei Stunden. Und dann wandte er sich ab, wortlos, ging an den Tischen der anderen Schüler vorbei. Es gab noch genau ein einziges freies Pult im gesamten Klassenzimmer (such dir einen Platz aus, ha, ha), in der hinteren, linken Ecke, direkt neben den Schränken, in denen irgendwelche alten Unterrichtsmaterialien seit Jahren vor sich hin moderten...und neben Randall. Es war nicht verwunderlich, dass sich niemand dort hatte hinsetzen wollen. Als einzigen Sitznachbarn einen Typen, der des Mordes verdächtigt wurde? Nein danke, ich verzichte! Roger jedoch hatte, vermutlich zumindest, nicht die geringste Ahnung, wer sein neuer Sitznachbar war. Jedenfalls noch nicht. Natürlich würde es nicht allzu lange dauern, bis er es erfuhr, vielleicht nicht einmal bis zum Ende dieser Schulstunde, doch in diesem Moment warf er Randall einfach bloß einen kurzen Blick zu, ohne jede Spur von Abneigung oder auch Furcht darin, wie es bei den anderen Schülern stets der Fall war. Einfach ein kurzer, freundlicher Blick. Sogar mit einem Lächeln. Mit einem weiteren Blick auf Mr. Lamb zog Roger den Stuhl zurück – und ließ zeitgleich seine Tasche, die er gerade im Begriff gewesen war abzusetzen, in einer ungeschickten Bewegung zu Boden fallen. Ein lauter Knall fuhr durch den Raum, schien von den kahlen Wänden widerzuhallen wie in einer Kathedrale, und nicht wenige Schüler fuhren erschrocken zusammen, als die zuvor herrschende Stille so unvermittelt von einem derart lauten Geräusch durchschnitten wurde. Irgendjemand schnappte hörbar nach Luft. Mr. Lamb erschrak nicht. Er reagierte gar nicht auf das Geräusch, nicht im Sinne von zusammenzucken zumindest, nur seine Gesichtszüge schienen noch einmal um eine Spur härter, seine Augen noch ein wenig eisiger zu werden. "Ich glaube, ich habe gesagt, Sie sollen sich hinsetzen, Mr. Clarke.", begann er einen seiner berüchtigten, sarkastischen Kommentare, und seine Stimme klang so vollkommen emotionslos, dass man meinen konnte, er sei ein vollkommen unbeteiligter Beobachter eines langweiligen Bühnenspiels. "Hinsetzen bedeutet nicht, das ganze Gebäude einzureißen." Ja. Er klang wirklich, als würde ihm das Ganze nicht im Geringsten nahegehen, als schenke er dem keinerlei Aufmerksamkeit - so wie es jeder andere Lehrer bei solch einer banalen Angelegenheit getan hätte. So wirkte es - doch das stimmte nicht. Innerlich, das wusste jeder, der einen seiner Kurse besuchte und ihn schon einmal so hatte sprechen hören, kochte er vor Wut. "Oh, wirklich? Tut mir leid, dann habe ich Sie falsch verstanden..." Roger hatte selbst nicht die geringste Ahnung, warum er diese Worte ausgesprochen hatte. Vielleicht war es sein erster Tag an dieser Schule, doch dass dieser Lehrer dort vorne, dessen Namen er nicht einmal kannte, weil er sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich vorzustellen, kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse war, hatte er durchaus begriffen. Zweifelsohne hätte er am besten daran getan, einfach ruhig zu sein. Seine Tasche aufzuheben und richtig hinzustellen, diesmal darauf bedacht, in Gedanken nicht komplett abzuschweifen, und sich einfach hinzusetzen und am besten bis zum Ende des Unterrichts nichts mehr zu sagen, bloß nicht aufzufallen, bloß nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ja, das wäre definitiv das beste gewesen. Und trotzdem hatte Roger sich eine sarkastische Erwiderung nicht verkneifen können; darin, seine Gedanken in solchen Situationen für sich zu behalten, war er noch nie sonderlich gut gewesen, im Gegenteil. Das passierte ihm sogar ausgesprochen häufig. War nichts ungewöhnliches, war in gewisser Weise sogar ärztlich entschuldigt, doch wusste dieser Lehrer das natürlich nicht, und Roger hatte das ziemlich bestimmte Gefühl, dass es ihm auch herzlich egal gewesen wäre. "Hinsetzen." Mr. Lambs Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, ein knurrendes, vor kalter, nur noch mit aller Kraft kontrollierter Wut zitterndes Flüstern, er wirkte wie ein Raubtier, das kurz davor stand, sich auf seine Beute zu stürzen. "Hinsetzen, und zwar sofort! Was glaubst du eigentlich..." Er brach ab. Schloss die Augen, zog mit einem scharfen Zischen Luft in seine Lungen und fuhr dabei mit den Händen durch die Luft, als würde er ein unsichtbares Orchester dirigieren, und diese Handlung verlieh dem kleinen, massigen Mann ein unfassbar lächerliches Aussehen. Doch niemand lachte. Nach der Stunde, wenn Mr. Lamb den Raum verlassen haben würde, da würden sie sich alle über diesen Anblick amüsieren, über sein rot angelaufenes, speckiges Gesicht, die seltsamen Gesten, die keinerlei Sinn zu haben schienen und dieses geräuschvolle Einatmen, das viel mehr ein Pfeifen als ein Atmen war. Sie würden Witze machen über ihn und karikaturistische Abbilder von ihm in ihre Hefte kritzeln, doch all das würde erst nach Ende des Unterrichts geschehen. In Mr. Lambs Gegenwart würde niemand so etwas wagen. Roger hatte indes endlich auf seinem Stuhl Platz genommen, wobei in seinem Blick neben der Irritation und der Unsicherheit auch ein gewisser entnervter Ausdruck lag, und gerade in der Sekunde seine Tasche aufgehoben und betont vorsichtig an das Pult seines Tisches gelehnt, in dem Mr. Lamb seine Augen wieder öffnete, die wild dirigierenden Hände sinken ließ, und mit nun wieder lauterer, festerer, jedoch nicht weniger von Wut erfüllter Stimme seinen zuvor begonnenen Satz noch einmal aufgriff: "Was glaubst du eigentlich, was du bist?" Dieses Mal antwortete Roger nicht. Im Nachhinein wären ihm einige Erwiderungen auf diese Frage eingefallen, ob sarkastisch, ernsthaft, in Form einer Gegenfrage oder was auch immer. Doch für den Augenblick konnte er nichts anderes tun, als Mr. Lamb einfach nur anzustarren. Seine Kehle fühlte sich so trocken an, als hätte er seit Monaten nichts mehr getrunken, und der einzige Gedanke, der noch in seinem Kopf zu existieren schien, war der an diese eben in den Raum geworfene Frage: "Was glaubst du eigentlich, was du bist?" Und nun lächelte Mr. Lamb wieder. Es war dieses selbstgefällige, arrogante Lächeln, das zu ihm zu gehören schien wie Sonne und Mond an den Himmel, und es brachte vollkommen unmissverständlich zum Ausdruck, welche Genugtuung es ihm verschaffte, seinen neuen Schüler endlich zum Schweigen gebracht zu haben. Wieder einmal demonstriert zu haben, dass man sich mit ihm besser nicht anlegen sollte. Ja, er hasste Roger. Mehr noch, als er all seine anderen Schüler hasste. Mehr als Jake Howard, den er um die zwanzig mal in der Stunde anfuhr, wenn er auch nur mal wieder ein wenig den Blick von der Tafel abschweifen ließ. Mehr als Carrie Morse, die für ihn nichts weiter war als eine verzogene verweichlichte Heulsuse (sie war wirklich oft den Tränen nah, allerdings immer erst, nachdem Mr. Lamb ihr wieder eine seiner Bemerkungen an den Kopf geworfen hatte), und mehr als Patrick Fisher, der regelmäßig aus lauter Desinteresse im Unterricht einschlief. Mehr als Dale Nixon, den er einfach nur deshalb hasste, weil ihm sein Gesicht nicht passte, zumindest wäre niemandem ein anderer Grund eingefallen, denn Dale war ein vollkommen unauffälliger, dabei jedoch nicht fauler Schüler, der sich alle Mühe gab, gut im Unterricht mitzuarbeiten. Vielleicht hasste Mr. Lamb ihn auch gerade deshalb. Und auch mehr, als Randall. Woher genau dieser Hass kam, das wusste nicht einmal Mr. Lamb selbst. Es war nur als nur die Tatsache gewesen, dass Roger ihn zuerst korrigiert hatte und ihm dann noch mit Ironie gekommen war, und selbst die Tatsache, dass der Lehrer einen selbst für seine Verhältnisse verdammt miesen Tag gehabt hatte, erklärte diese extreme Abneigung nicht vollständig. Fakt war jedoch, sie war da. Und da sie nun einmal da war, sah er auch keinen wirklichen Grund, etwas gegen sie zu tun. Hass war ein großer Bestandteil seines Lebens, ein Gefühl, das er jedem gegenüber hegte, wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen, auf Außenstehende mochte das abnorm wirken, für ihn war das etwas vollkommen Normales. Mr. Lamb war wahnsinnig. Das sollte in nicht einmal mehr drei Monaten offiziell bestätigt werden, er war unberechenbar, und noch bei weitem gefährlicher, als es all diejenigen, die ihn kannten, jemals für möglich gehalten hätten. Mehr als nur exzentrisch und verbittert. Und hätte das an diesem Morgen bereits irgendjemand geahnt, so hätten sie sein soeben an den Tag gelegtes Verhalten nicht so ohne weiteres hingenommen und als einen weiteren, immer mal wieder vorkommenden Anfall eingestuft. Und wäre das der Fall gewesen, so hätte vieles von dem, was sich im Laufe der nächsten Monate ereignen sollte, höchstwahrscheinlich verhindert werden können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)