Something Strange von ReptarCrane (Vanished) ================================================================================ Kapitel 2: Chapter 2 -------------------- In der Sekunde, in der Liv verschlafen die Augen öffnete und orientierungslos in die Dunkelheit ihres Zimmers starrte, die lediglich leicht von den Ziffern ihres Radioweckers durchbrochen wurde, hatte sie nicht die geringste Ahnung, was genau sie aus ihren Träumen gerissen hatte. Eben noch hatte sie tief und fest geschlafen, davon träumend, wie sie in wenigen Tagen das Haus ihrer Kindheit verlassen und in ihre eigenen Wohnung ziehen würde, wie sie es sich seit Jahren so sehr wünschte, und urplötzlich war da irgendetwas gewesen, ein Geräusch oder was auch immer, das ihre Ruhe gestört und sie hatte aufschrecken lassen, und nun saß sie aufrecht im Bett, sich perplex umblickend, ohne viel zu erkennen, und dabei lauschend. Sie konnte den Wind hören, der pfeifend um die Mauern des Hauses wehte, doch dieser Klang war ihr so vertraut, dass er es niemals geschafft hätte, sie zu wecken. Die giftgrüne Anzeige des Weckers, die sie immer an radioaktives Material erinnerte, teilte ihr mit, dass es 2:38 Uhr war, und Liv, sollte sich gleich wieder hinlegen, noch gut vier Stunden würde schlafen können, bevor sie aufstehen musste... Angestrengt dachte sie nach. Ihr Gehirn schien noch nicht ganz begriffen zu haben, dass es sich nicht mehr im Land der Träume befand, sondern in der Realität, und so kostete es sie eine Unmenge an Anstrengung, um auch nur einen klaren, vernünftigen Gedanken zu fassen. Da war etwas gewesen, definitiv, etwas, das sich ganz knapp außerhalb des für sie Greifbaren befand, ähnlich den sich flink bewegenden Schatten, die man manchmal im Augenwinkel wahrnahm, etwas, von dem sie eigentlich wissen müsste, was es war, wenn sich ihr dämliches Hirn nur endlich einmal dazu bequemen würde, in einem normalen Tempo zu arbeiten... Und dann hörte sie etwas. Ganz leise war es, kaum hörbar durch das laute Heulen des Windes, und dennoch eindeutig vorhanden; ein kratziges, verzweifeltes Wimmern, das klang wie das eines verwundeten hilflosen Tieres, doch Liv war auf der Stelle klar, dass es das nicht war. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter als sie endlich begriff, was sie aus dem Schlaf gerissen hatte; ohne zu zögern warf sie die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante, sich selbst dabei Innerlich fragend, wie sie so lange hatte brauchen können, um zu erkennen, was vor sich ging. Es war schließlich nicht das erste Mal. Der Boden unter ihren nackten Füßen fühlte sich eisig kalt an und die alten Holzdielen knarrten unter ihrem Gewicht, doch weder das eine noch das andere störte sie, sodass sie unbeirrt weiter zu ihrer Zimmertür ging und die Hand auf die kühle Klinke legte. Die Scharniere waren seit Jahren nicht geölt worden, und so durchschnitt ein lautes, schrilles Quietschen die ansonsten ruhige Geräuschkulisse, das klang, als kratze jemand mit den Fingernägeln über eine Kreidetafel. Angewidert schüttelte Liv sich. Der Gang vor ihr lag vollständig im Dunkeln, es gab keine Fenster, durch die ein wenig blasses Mondlicht hätte hineinscheinen und Licht spenden können, und so tastete sie sich vollkommen blind vorwärts, nicht wagend, die Deckenlampen einzuschalten, auch wenn sie nicht sagen konnte, was genau sie davon abhielt. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis sie zum ersten Mal mit dem Schienbein gegen etwas hartes prallte. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, gleichzeitig fiel der dafür verantwortliche Gegenstand - ein Stuhl, wie sie am nächsten Morgen feststellen würde - mit einem lauten Poltern zu Boden, und ein lautes "Scheiße!" entschlüpfte ihrem Mund. Wie eingefroren hielt sie inne, lauschte, doch nichts hatte sich verändert, da war immer noch bloß das Heulen des Windes und das nun etwas lauter klingende Wimmern, das vom anderen Ende des Ganges zu ihr drang. Keine Tür öffnete sich. Niemand fragte verschlafen, was zur Hölle denn los sei. Wie denn auch? Ihre Mutter hatte in dieser Woche Urlaub und verbrachte drei Tage mit einer Freundin in irgendeinem Wellness Hotel, ihr Vater hatte wieder einmal Nachtschicht, und die einzige Person, die sich abgesehen von Liv derzeit im Haus aufhielt, war entweder bereits wach und zu nichts weiter fähig, als zitternd im Bett zu kauern, oder aber, es würde ihr gut tun, geweckt zu werden. Mit Bedacht setzte Liv ihren Weg fort. Es war nicht mehr weit, auch wenn es sich in der Dunkelheit anfühlte wie ein fünf-Kilometer-Marsch, und sie hatte diese Strecke bereits so oft unter gleichen Bedingungen zurückgelegt, dass sie keine weiteren Schwierigkeiten hatte, die Türe zu finden, hinter der sie das Wimmern nun ganz deutlich vernehmen konnte. Ein weiteres Quietschen von Scharnieren. Wann hatte ihr Vater gesagt, dass er sich darum kümmern würde? Vor fünf Monaten? Das Licht der auf dem Nachttisch stehenden, brennenden Lampe ließ die Dunkelheit des Fluges zurückweichen, reflexartig kniff Liv die Augen zusammen, der Kontrast des warmen Leuchtens zu der vorherigen tiefen Finsternis hätte kaum größer sein können. Eigentlich hätte sie darauf vorbereitet sein müssen. Die Lampe brannte immer, jede Nacht, seit einem dreiviertel Jahr nun, doch hatte sie schlicht und ergreifend nicht daran gedacht. Es dauerte einige Sekunden, bis ihre Augen sich an die doch eigentlich recht gedämpfte Helligkeit, die das Zimmer erfüllte, gewöhnt hatten. Sobald es jedoch so weit war, fiel ihr Blick sofort auf den zuckenden, wild um sich schlagenden Körper, der auf dem Bett direkt unter dem großen Erkerfenster lag, durch das der Mond seinen silbrigen Schein warf und so zusätzlich zu der elektrischen Nachttischlampe Licht spendete. Liv spürte, wie ihr abwechselnd heiß und kalt wurde. Sie hatte diesen Anblick schon so viele Male vor Augen gehabt, doch jedes Mal wieder war es grauenhaft. Fühlte sich an wie ein seelischer Schlag ins Gesicht unfassbar ließ sie sich so unendlich hilflos vorkommen, ihr das Gefühl gebend, dass sie nichts, aber auch gar nichts tun konnte, dass es nichts gab, was in ihrer Macht stand, um irgendwie hilfreich zu sein... Nun, das stimmt nicht ganz. Auf kurze Sicht konnte sie sehr wohl etwas tun. Dieses furchteinflößende Szenario beenden, versuchen, irgendwelche beruhigenden Worte zu finden, die zwar letztendlich kaum von Bedeutung, letztendlich jedoch besser als nichts waren. Nur verhindern, dass es sich wiederholte, das konnte sie nicht. Versuchend, so ruhig zu bleiben wie nur irgend möglich, durchquerte sie das Zimmer, ignorierte ihre weichen Knie und das schnell pochende Herz, das ihr so laut vorkam, dass es in jedem Haus der Straße zu hören sein musste, und blieb schließlich neben dem Bett ihres Bruders stehen. Ein Blick in sein vor Panik verzerrtes Gesicht verriet ihr, dass er noch schlief; ob das nun gut oder schlecht war war eine Frage, die sie sich schon lange nicht mehr stellte. Die Alpträume, von denen er nur selten wirklich etwas erzählte, mussten unfassbar grauenhaft sein, doch der einer Schlafparalyse ähnelnde Zustand, in dem sie oder ihre Eltern ihn bereits einige Male angetroffen hatten; wo er mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen bewegungsunfähig da lag und an die Decke starrte, erschien ihr nicht wirklich angenehmer. Sanft und vorsichtig berührte sie ihn an der Schulter, ganz leicht nur, obwohl sie ihn am liebsten gepackt und so lange geschüttelt hätte, bis er endlich aufwachte; doch sie wusste sowohl durch die Aussagen des Arztes als auch aus eigener Erfahrung, dass ihn das nur noch mehr in Panik versetzen würde. "Hey!", flüsterte sie, und der Versuch, die Angst und Nervosität, die ihren gesamten Körper erfüllten, nicht in ihre Stimme mit einfließen zu lassen, misslang kläglich. "Ich bin's! Liv! Wach auf!" Seine Augenlider zuckten, der Blick dahinter war leer, ausdruckslos und blind, doch würde sich das bald ändern, wenn sie nur dafür sorgte, dass er sich nicht zurück in den Traum fallen ließ. "Hörst du mich?", fuhr sie daher fort, sie merkte selbst, wie aufgebracht sie klang, doch konnte sie nicht viel dagegen tun. "Ich weiß, dass du das tust! Wach auf, komm schon." Keine Antwort. Mit immer weiter steigender Panik beobachtete Liv, wie ihr Bruder hektisch nach Luft schnappte, wie ein Taucher, der seine Sauerstoffflasche verloren und es gerade noch so wieder an die Oberfläche geschafft hatte; eine Hand hatte er auf seine Kehle gelegt, mit der anderen schlug er weiter wild in der Luft herum. "Randall! Wach auf!" Nichts. Was, wenn er nicht aufwachte? Was sollte sie dann tun? Bisher hatten sie es immer irgendwie geschafft, ihn zu wecken, allerdings hatte sie mit einem Mal das sichere Gefühl, dass es bisher auch noch nie so schlimm gewesen war. Und ausgerechnet heute Nacht war sie allein Zuhause. Sie würde einen Krankenwagen rufen müssen. Das war die einzige sinnvoll Option, die ihr in diesem Augenblick einfallen wollte; mochte es vielleicht auf Außenstehende übertrieben wirken, so wusste sie selbst, welche Ausmaße derartige Anfälle annehmen konnten. Doch wäre sie bei all der Panik, die von ihr Besitz ergriffen hatte und ihr fiel Kehle zuschnürte als sei sie eine sich zu ziehende Schlingen überhaupt in der Lage, einen vernünftigen Satz hervorzubringen? Wie schafften es all die Leute, die Zeugen eines grausamen Unfalls oder eines anderen schrecklichen Ereignisses wurden, die Fragen, die ihnen am Telefon gestellt wurden, zu beantworten? Wie war überhaupt die richtige Nummer? Ihr Kopf war mit einem Mal wie leergefegt, kein klarer Gedanke schien mehr darin vorhanden zu sein, keine Spur der Notrufnummer, die man ihr als Kind so häufig eingetrichtert hatte... Eine leise Stimme riss sie aus ihren von Furcht vernebelten Überlegungen. Sie war schwach und immer wieder von Wimmern und Keuchen unterbrochen, und klang so unfassbar seltsam, dass Liv im ersten Moment gar nicht begriff, dass sie von ihrem Bruder kam. "Nein! Hör auf! Ich war das nicht..." Liv spürte, wie eine Gänsehaut ihre Arme überzog. Eine Welle des Mitleids überrollte sie innerlich, mischte sich mit dem unendlich widerlichen Gefühl der Hilflosigkeit, und sie musste die Zähne fest zusammenbeißen, um nicht selbst ein lautes Schluchzen auszustoßen. "Du träumst!", versuchte sie noch einmal, ihn aus seinem Alptraum zu reißen, mit lauterer Stimme diesmal als zuvor, doch mit eben so wenig Erfolg. "Hörst du mich? Wach auf!" "Ich hab das nicht getan!" Er reagierte wirklich nicht auf ihre Worte. Schien ganz in seinem Traum gefangen zu sein, trotz der Tatsache, dass seine Augen sich immer wieder kurz öffneten, und Liv hatte das dringende Bedürfnis hier und jetzt auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Reiß dich gefälligst zusammen! Der Gedanke klang laut und harsch in ihrem Kopf, streng wie eine verbittert Lehrerin, und fast wäre sie leicht zusammen gezuckt in dem Moment, in dem er ihr kam, doch es gelang ihr gerade noch, zumindest äußerlich die Fassung zu bewahren. Es stimmte. Sie musste sich zusammenreißen. Am besten einmal tief durchatmen, versuchen, wieder klar zu denken, ihre Optionen durchgehen, überlegen, ob es nicht doch irgendetwas gab, was ihr in ihrer Panik nicht in den Sinn gekommen war, etwas, das... Weiter kam sie nicht in ihrem Gedankenfluss. Als wäre er eingefroren, verharrte Randall mitten in der Bewegung, seine Lider öffneten sich wieder und er starrte einige Sekunden lang scheinbar blicklos ins Nichts, ohne dabei wirklich etwas wahrzunehmen, dann ließ er den Arm, mit welchem er eben noch um sich geschlagen hatte sinken, löste den anderen von seiner Kehle, richtete sich ein wenig auf und krallte seine Finger in die weiche Decke, unter der er sich wahrscheinlich am liebsten verkrochen hätte. Nur zu gerne hätte Liv laut aufgeatmet. Er war endlich aufgewacht! Wirkte zwar noch ein wenig desorientiert und apathisch, doch das war nichts ungewöhnliches nach derartigen Anfällen; es würde vorüber gehen, und davon einmal abgesehen schien es ihm, den Umständen entsprechend selbstverständlich, regelrecht gut zu gehen. Er hatte aufgehört, zu zittern. Ebenso, zu wimmern und zu zucken, und sein Blick wurde mit jeder Sekunde im Wachzustand klarer, seine verkrampfte Körperhaltung löste sich ein wenig und die Furcht, die sich deutlich auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte, verblasste, wich langsam aber stetig der Gewissheit darüber, wo er sich befand, dass das, was auch immer er gesehen und gehört hatte, nicht real gewesen war; bloß ein Traum. Nichts weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)