Charmante Courage von Varlet ================================================================================ Kapitel 7: Shuichis erster Fall: Bewährungshelfer ------------------------------------------------- Nur widerwillig musterte Laura den fremden Mann. Er stellte so gar nicht das typische Bild eines Helfers der Justiz dar. Er trug blaue Jeans und ein T-Shirt der Eishockeymannschaft New York Rangers, während seine schwarze Jacke lässig über der Schulter hing. „Bewährungshelfer?“, murmelte Laura überrascht. „Können Sie sich auch ausweisen?“ Stephan schmunzelte. „Ich weiß, ich sehe nicht aus wie der typische Bewährungshelfer. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich in meiner Freizeit nie so herumlaufe wie jetzt.“ Er blickte sich um. „Aber Sie verstehen sicherlich, dass ich meinen Stil einer Gegend wie dieser anpassen musste. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, würde ich hier anders gekleidet…“ Sein Blick blieb bei Lauras Wagen hängen. „…oder mit einem solchen Wagen auftauchen.“ „Zum Glück sind Sie ja nicht ich“, entgegnete die Agentin ruhig. Dennoch fühlte sie sich angegriffen. „Und jetzt hätte ich gerne Ihren Ausweis.“ „Sie müssen ja nicht gleich schlechte Laune bekommen“, konterte er. „Vielleicht sollten Sie sich zuerst vorstellen, ehe Sie an meine Papiere wollen. Ich wäre auch für einen kleinen Snack zu haben.“ Laura seufzte innerlich. Dabei waren eigentlich nur Reporter nervig, aber dieser Mann wollte wohl, dass sie ihre Ansichten überdachte. „Special Agent McKnight“, stellte sie sich vor. „Das ist mein Partner, Agent Akai.“ „Partner? Oder Partner?“, wollte der Bewährungshelfer mit zweideutiger Betonung auf dem Wörtchen Partner wissen. Laura verdrehte die Augen. „Ausweis“, sagte sie erneut und hielt ihm die Hand hin. „Ja, doch“, murmelte Stephan und zog seine Geldbörse aus der Hosentasche seiner Jeans. Er holte seinen Ausweis und eine Karte, die seine Arbeit als Bewährungshelfer bestätigte, heraus. „Sie können die Daten gerne überprüfen.“ „Keine Sorge, das machen wir“, sagte Laura und schrieb sich seinen Namen sowie die Sozialversicherungsnummer auf. „Klein ist nicht hier. Kommen Sie bitte zu uns ins Büro zu einer Befragung. Mein Partner gibt Ihnen die Adresse“, fügte sie an und gab ihm die Dokumente zurück. Sie stieg in ihren Wagen und rieb sich den Nasenrücken. Der Fall stank. „26 Federal Plaza…nicht zu übersehen.“ Shuichi stieg wieder auf der Beifahrerseite ein, während Laura den Motor startete. Stephan spähte in den Wagen und klopfte gegen die Fensterscheibe, die Shuichi anschließend herunterkurbelte. „Brauchen Sie eine Wegbeschreibung?“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Aber jetzt mal im Ernst, ist sie vergeben?“, fragte er im Flüsterton. Shuichi rollte mit den Augen. „Wir erwarten Sie dann im Büro.“ Akai sah zu Laura. „Du kannst los fahren.“ Laura nickte und scherte aus der Parklücke aus. „Was für ein…ein…ah…“ „Reg dich nicht auf“, entgegnete Shuichi ruhig. „Er steht halt auf dich.“ „Ich aber nicht auf ihn!“ Akai schwieg. „Und dann noch diese plumpe Anmache…so billig…“ Sie aus dem Augenwinkel zu ihm. „Und sag jetzt nicht, dass ich froh sein sollte, dass mich dort draußen nur ein Bewährungshelfer angemacht hat. Ich weiß, er hätte auch ein Zuhälter oder Drogendealer sein können…“ „Ich hab nichts gesagt“, murmelte Shuichi. „Gut…“, sagte Laura und sah in den Rückspiegel. Zu ihrer Verwunderung war der Bewährungshelfer nicht mehr zu sehen. „Wenn er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, braucht er über eine Stunde um ins Büro zu kommen.“ „Wir haben genug zu tun“, antwortete Akai und sah auf die Straße. Mit erhöhtem Tempo sauste Laura über den Highway und bog ein paar Ausfahrten weiter ab. „Sicher…glaubst du der Bewährungshelfer wird uns irgendwie helfen können?“ So sieht also kein Interesse bei ihr aus, sagte sich der Agent und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht…wir werden es im Büro sehen. Wenn du willst, führe ich das Gespräch mit ihm.“ „Passt schon“, entgegnete sie und fuhr auf den Parkplatz. „Bevor Palmer kommt, sollten wir mit Kleins Therapeuten sprechen und uns schon einmal einen Termin geben lassen.“ „In Ordnung“, gab Akai von sich und stieg aus. Die beiden Agenten machten sich auf den Weg in ihre Büroräumlichkeiten. Sofort setzte sich Laura an ihren Computer und fuhr ihn hoch. Nach ihrer Anmeldung überprüfte sie die Daten des Bewährungshelfers. „Er ist sauber…“ „Mhm?“ Shuichi sah überrascht hoch. Er hatte gerade erst die Telefonnummer des Therapeuten herausgesucht, als Laura die Überprüfung fertig vollzogen hatte. Sie war schnell. Eine solche Vorgehensweise mochte er. „Palmer…ich hab seine Daten überprüft. Er arbeitet seit sechs Jahren als Bewährungshelfer, hatte aber bisher nur Strafgefangene mit kleineren Delikten. Klein ist der erste, der nach so langer Zeit aus dem Gefängnis entlassen wurde.“ Laura überlegte. „Glaubst du, er kam vielleicht mit Kleins Art nicht klar?“ Shuichi zuckte mit den Schultern. „Man kann nie in einen Menschen hineinsehen. Die Option können wir uns offen lassen.“ „Da hast du Recht. Es gibt Menschen die sich gut verstellen können und jahrelang einer normalen Arbeit nachgehen…“ Die Agentin überlege, wurde aber durch das Klingeln ihres Telefons aus ihren Gedanken gerissen. „McKnight“, sagte sie in die Hörmuschel. „Ja…schicken Sie ihn hoch.“ „Palmer?“ „Ja, er ist soeben unten eingetroffen. Scheinbar hat er doch nicht die öffentlichen Verkehrsmittel genommen“, sagte sie. „Gut, dann bringen wir es hinter uns“, entgegnete Akai und öffnete das Schreibprogramm an seinem Computer. „Ich mach mir ein paar Notizen.“ „Wir müssen aber aufpassen, dass er nicht das Gefühl bekommt, ein Verdächtiger zu sein.“ „Kriegen wir hin“, antwortete der Agent. Wenige Minuten später klopfte es an der Tür und Stephan betrat den Raum. „Hallo.“ „Mr. Palmer, schön, das Sie da sind. Setzen Sie sich doch.“ Fing Laura an. „Sie sind ja früher als gedacht hier. Ich nahm an, dass Sie nicht mit dem Wagen zu Klein fuhren.“ „Ich sagte nur, dass ich nicht mit dem Wagen in die Gegend fahren würde“, fing er an. „Ich hab ein paar Straßen weiter geparkt.“ „Machen Sie das häufiger?“, wollte Akai von ihm wissen. „Es kommt immer auf die Gegend an. Nachteil ist natürlich der Fußweg, aber es hat auch diverse Vorteile. Man kommt früher an einen Treffpunkt und hat noch genügend Zeit um sich die Gegend anzusehen. Da ich künftig schwerere Fälle betreuen soll, kann es nie schaden, wenn ich mir vorher alles genau ansehe. Und gerade in der Gegend von Kleins Wohnung möchte ich meinen Wagen nicht stehen lassen. Ich habe es einmal gemacht und brauchte neue Reifen…“ „Verstehe“, murmelte Laura. „Bestimmt haben Sie sich gefragt, warum wir Sie hierher eingeladen haben.“ Stephan nickte. „Auf dem Weg habe ich mir selbstverständlich meine Gedanken gemacht. Hat er irgendwas angestellt?“ „Das kann man so nicht sagen“, fing Laura an. „Klein ist tot.“ Stephan schluckte. „T…tot? Aber…wie? Ich mein…warum?...wann?“ „Zu den Hintergründen kann ich Ihnen nicht viel erzählen. Wir ermitteln noch.“ „Ich verstehe…“, murmelte er. „Er…er kann aber noch nicht so lange tot sein…nicht wahr?“ „Wie kommen Sie darauf?“, wollte Shuichi wissen. „Wir hatten heute um 11 Uhr unseren wöchentlichen Termin. Weil er nicht erschienen ist, habe ich das der Polizei gemeldet und bin zur Wohnung gefahren. Normalerweise findet unser Termin zwei Stunden eher statt, aber Klein bat mich gestern Mittag um Verschiebung.“ „Das ist eine sehr gute Information“, sagte Laura. „Damit können wir den Todeszeitpunkt besser eingrenzen. Wie lange treffen Sie sich schon?“ „Seitdem er aus dem Gefängnis draußen ist. Das erste Mal war am 17. April“, antwortete Stephan. „Klein war…naja er war…er war besonders…“ „Klein war besonders?“, wiederholte Laura. „Was heißt das?“ „Naja er war der Meinung, dass er doch gar nichts verbrochen hat und umsonst im Gefängnis saß. Wenn Sie mich fragen, hat er kaum Reue gezeigt. Allerdings wollte er wieder ein normales Leben führen und hat sich um Arbeit bemüht. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass es bei seinem Hintergrund nicht leicht war.“ Laura nickte verstehend. „Durch die sozialen Medien ist es nicht schwer etwas zum Hintergrund eines Bewerbers herauszufinden. Und wenn Sie mich fragen…“ Laura schüttelte den Kopf. „Entschuldigung, selbstverständlich darf ich mir kein Urteil über unser Opfer bilden.“ „Das tut man zwangsweise“, entgegnete Stephan. Laura räusperte sich. „Wir werden Ihre Aussage natürlich überprüfen. Was wussten Sie von Klein? Hat er alte Freunde getroffen oder hatte er andere Probleme?“ Der Bewährungshelfer überlegte. „In unseren wöchentlichen Treffen reden wir leider noch nicht so viel wie wir sollten. Aber ich habe das Gefühl, dass Klein von Mal zu Mal mehr auftaut. Ich weiß nicht warum, aber es gibt irgendwas, was er mir sagen wollte, es aber nicht konnte. Aber fragen Sie mich bitte nicht was…An anderen Terminen hatte ich das Gefühl, dass Klein gar nicht so viel über sich verraten wollte. Und dann waren da die Sachen, die ich ihm aus der Nase ziehen musste. Damit er durch das Programm besser resozialisiert wird, überprüfen wir seine Kontakte. Die, die er mir nannte, lernte er erst durch seine Wohnung kennen…keiner aus der Vergangenheit…“ „Ich verstehe“, sagte die Agentin ruhig. „Sie haben ja seine Wohnung und die Gegend in der er wohnt, gesehen…dort hat er es natürlich nicht leicht. Ich glaube auch, dass er am Anfang mit einigen Problemen zu kämpfen hatte.“ „Wie zum Beispiel?“ „Naja Sie wissen doch wie das so ist…er war der Neue und musste sich erst einmal beweisen. In der Gegend laufen viele muskelbepackte Männer herum. Sie suchen nur nach einem Fußabtreter oder nach jemanden, den sie in ihre krummen Geschäfte mit reinziehen können.“ Stephan seufzte. „An sich ist das gesamte System ja nicht schlecht, aber schauen Sie es sich nur genauer an. Als Straftäter hat man nichts, man kriegt keine Arbeit und keine Wohnung. Man kann nur in Gegenden mit hoher Kriminalitätsrate ziehen und läuft Gefahr wieder rückfällig zu werden. Es ist ein Teufelskreis aus dem man nicht herausbrechen kann“, erklärte er. „Und zu seinen Problemen…er hatte die normalen Probleme eines ehemaligen Häftlings…keine Arbeit, keine Freunde…niemand der ihm eine zweite Chance geben wollte.“ Laura nickte verstehend. „Denken Sie, dass er Drogen nahm um seinen Problemen zu entkommen?“ Sofort schüttelte Palmer den Kopf. „Definitiv nicht.“ „Wie können Sie da so sicher sein?“, wollte Akai wissen. „Sobald jemand auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wird, bekommt er nicht nur einen Bewährungshelfer sondern auch einen strengen Regelkatalog. Man darf sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen, da ansonsten die Rückkehr ins Gefängnis droht. Eine Regel ist ein regelmäßiger Drogentest. Am Anfang jede Woche, danach einmal im Monat. Klein hat immer eine Urinprobe abgegeben und bisher konnte nichts nachgewiesen werden.“ „Mhm…“, murmelte Laura. „Hatten Sie das Gefühl, dass er keinen Sinn mehr in seinem Leben sah?“ Stephan überlegte. „Dazu kann ich wirklich nichts sagen.“ Er sah zu Laura. „Starb er an einer Überdosis?“ Laura sah ihn überrascht an. „Ach bitte, Agent McKnight, ich bin nicht dumm. Sie hätten mich alles fragen können, haben aber das Thema Drogen angeschnitten…da muss man nur noch eins und eins zusammen zählen…“ „Sie haben Recht. Er wurde im Hinterhof eines Nachtclubs aufgefunden.“ Stephan seufzte. „Ich hab ihn gewarnt…er sollte nicht wieder an solche Orte zurück.“ „Scheinbar hat er sich nicht daran gehalten“, murmelte Akai. „Denken Sie, dass er wieder in sein altes Verhaltensmuster gefallen ist?“, wollte er wissen. „Dazu können wir Ihnen noch nichts sagen“, gab Laura von sich. „Wie schon gesagt, ermitteln wir in alle Richtungen. Zunächst einmal müssen wir Selbstmord ausschließen können.“ Stephan verschränkte die Arme. „Das wird schwer…ich weiß von vielen meiner Kollegen, dass ehemalige Häftlinge, die keine Familie haben, wieder zurück ins Gefängnis wollen, um ihrem routinierten Alltag nachzugehen. Einige gehen dafür so weit, dass sie Verbrechen begehen…“ „Oder sich etwas zu Schulden kommen lassen“, fügte Akai an. „In diesem Fall wäre es ein positiver Drogentest.“ „Spekulationen bringen uns nicht weiter“, warf Laura ein. „Mr. Palmer, danke, dass Sie hier gewesen sind. Bitte halten Sie sich für weitere Fragen bereit.“ „Selbstverständlich“, antwortete der junge Mann. „Wir können den Fall auch gerne bei einem Essen weiter besprechen.“ „Palmer!“ „Was denn? Jeder muss mal essen…“ Laura schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie es. Wir haben noch viel zu tun. Sie können gehen.“ Laura sah zu Akai. „Hast du die Nummer von Sullivan?“ Der Bewährungshelfer stand auf und ging Richtung Tür. „Sullivan?“ Er drehte sich zu beiden Agenten. „Kennen Sie ihn?“ „Nicht persönlich. Er war Kleins Therapeut. Aber den müssen Sie jetzt nicht mehr anrufen.“ „Und wieso nicht?“, wollte Laura wissen. Langsam wurde ihre Geduld überstrapaziert. „Er ist im Urlaub. Klein hat mir davon erzählt und er machte sich Sorgen, dass er die zwei Wochen ohne Therapiesitzung nicht überstehen würde.“ Laura sah ihn entgeistert an. „Und warum haben Sie uns das nicht vorhin schon gesagt?“ „Ich hielt es nicht für wichtig“, gestand Stephan. Die Agentin seufzte. „Bei Ermittlungen in diesem Ausmaß ist alles wichtig. Jedes Wort oder jede Geste.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)