Fokus von Glasrose (das Ziel verfehlt) ================================================================================ Kapitel 8: accelerate --------------------- Beharrlichkeit und Motivation sind Schlüssel zum Erfolg. Diese Gewissheit begleitete seine gesamte akademische Laufbahn. Was ihn motivierte, war die Beseitigung seiner Unwissenheit, in diesem Fall jedoch gepaart mit dem unerschütterlichen Willen ein Mysterium aufzudecken, über das sein Bruder seine schützende Hand hielt. Warum auch immer. Er überschattete damit lediglich das unverkennbare Muster, das den einen Menschen vom anderen unterschied. Wenn er sich nicht irrte, war er sogar sicher, dass Sasuke nicht einmal wusste, was genau er neben seinem eigenen Stolz verteidigte. Seine Integrität, seine Lüge oder seine kleine spanische Freundin. Seit sein Vater die Frage gestellt hatte, auf die Sasuke keine Antwort wusste, war Itachi besessen von den Geheimnissen seiner vermeintlichen Schwägerin in spe. Lebte seit weniger als einem Jahr in Konoha und hatte es geschafft einen dicken Strich durch seine Pläne für seinen kleinen Bruder zu machen. Hatte wie ein Sturm seinen Faden in ein Knäuel aus ineinander verschlungenen Farben verwandelt. Wie eine Katze, die mit der Wolle spielte, nur um sie ungebräuchlich zu hinterlassen. Itachis Logik ließ nur wenige Antworten auf das Thema zu, warum man mit seinem Nachnamen nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Für die Unwahrscheinlichste hielt er eine peinliche Bedeutung, das würde niemand so aussprechen, wie Tenten es getan hatte. Wie er sie einschätzte, könnte es der Wunsch nach Souveränität eines reichen, verzogenen Einzelkindes sein. Überzeugender war jedoch der Gedanke, irgendeiner ihrer Verwandten hatte einen großen Haufen Dreck am Stecken. Oder eine Kombination. Er würde es eher früher als später herausfinden. Er unterstellte ihr keine bösen Absichten. Sie war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Das war der ausschlaggebende Grund sie beide zu reizen. Die Provokationen mitten in ihre Schwachpunkte zu zielen, um dieselbe Wirre zu verursachen, die er selbst zu beseitigen versuchte. Sasuke zu zermürben, würde erfolglos bleiben. Sein Gesicht sprach Bände. Itachi musste ihr Aussagen entlocken, die ihm eine Hilfe sein konnten. Und doch war es Fugaku gewesen, der ihm das Ende seines Fadenknäuels wieder zwischen die Finger gelegt hatte. Der ihn dazu bewegt hatte, Sasukes Zimmer unter die Lupe zu nehmen, bis er schließlich eines ihrer langen, braunen Haare gefunden und zur Untersuchung aufgegeben hatte. Sie hätten über die Konsequenzen nachdenken sollen, bevor sie sich in ihrem Lügennetz verworren hatten. Ob Sasuke Tenten hineingeworfen hatte oder nicht, war ihm egal. Sie war ein Störfaktor. Er fokussierte sie, brannte sie aus bis kein gefährlicher Funke mehr davon ausging. Beseitigt wie alle anderen zuvor. Sein eigenes Opfer war dieses Mal um Welten kleiner. Beharrlichkeit und Motivation waren Schlüssel zum Erfolg. Doch seine Kontakte waren der Schlüssel, der die Tür sperrangelweit aufstieß.   Schon als Kind wirkte Regen im Auto immerzu beruhigend. Damals hatte jeder Tropfen einen Namen bekommen. Jedes Rennen die Scheibe hinab wurde mit einer Begeisterung verfolgt, die nur Kinder etwas so Schlichtem entgegenbringen konnten. Nun saß sie auf der Rückbank eines sportlichen Wagens, dessen Geruch sie insgeheim vermisst hatte, und versuchte ihre Gedanken mit einer Intensität auf die Regentropfen zu lenken, die beim Klang von Sakuras Lachen immer wieder verpuffte und neu aufgebaut werden musste. Worüber die drei anderen gerade sprachen, hatte Tenten erfolgreich ausgeblendet. Belangloser Smalltalk, an dem sich jemand beteiligte, der sonst nicht den Mund aufbekommen wollte, war uninteressant. Im Gegensatz zu Regentropfen an der Scheibe. Der Weg war nicht weit und doch kamen ihr die zehn Minuten zwanzigfach erlebt vor. Obwohl sie die vorbeiziehenden Gebäude nicht aus den Augen gelassen hatte, merkte sie erst als der Wagen Halt machte, dass sie vor dem Tor der Uchiha Villa standen. Verwirrt blickte Tenten Sakura hinterher, die die Tür des Autos hinter sich geschlossen hatte und schnellen Schrittes Richtung Haustür eilte. „Ich bringe euch nach Hause.“ „Danke.“ Es war Hinata, die auf seine Aussage reagierte. Tenten hatte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Tropfen gerichtet, aber nach Hinatas Hand gegriffen, um sich dankbar zu zeigen. Diese drückte kurz zu, sagte aber nichts. Der Wagen hielt wieder an. Sie lauschten für einen Moment dem Prasseln des Regens auf dem Dach, als würden sie auf etwas warten. Als Hinata den ersten Schritt Richtung Tor gegangen war, wandte Tenten ihre ersten Worte seit einer gefühlten Ewigkeit an Sasuke. „Bis morgen.“ Er schmunzelte, sie hatte verloren. Nicht gegen Sasuke, gegen ihre eigene Neugier.   Es war alles in bester Ordnung. Der Tag war bis auf den unerbittlichen Niederschlag nur positiv verlaufen. Ino hatte sie nicht bis in die Erschöpfung durch die Stadt laufen lassen. Sie hatte stattdessen einen neuen Lieblingsladen, in dem sie zukünftig ramschen würde, falls wieder Kleidungsnotstand ausbrach. Eigentlich hatte sie sich auf der Couch im Wohnzimmer niedergelassen, um in den gepflegten Garten schauen zu können, wenn sie von ihrem Buch aufsah. Gelesen hatte sie erst eine Seite und hätte man sie gefragt, was in dieser geschehen war, hätte sie es nicht beantworten können. Ihre Gedanken hingen alle paar Sekunden in dem verregneten Nachmittag fest, drehten sich um nichts. Sie saß mit einem Lächeln im Gesicht, einem Buch in der Hand und Leere im Kopf da und ließ die Minuten vergehen, bis ihr Klingelton die Ruhe in ihr störte. Ino. Sie konnte sich schon denken, worum es gehen würde. „Süße, was sagt Prince Charming zu deiner neusten Errungenschaft?“ „Der ist noch nicht zu Hause“, erwiderte sie, ohne ihre Freundin zu begrüßen, „also falls du deswegen anrufst, ist das Gespräch auch schon beendet.“ Das Kichern am anderen Ende der Leitung verhieß, dass das Gespräch eben erst begonnen hatte. Nicht, dass sie sich daran stören würde. Ein Handy am Ohr verhinderte nicht, dass sie weiterhin dem Regen zusehen und zuhören konnte. Die Bestätigung ihrer Vermutung kam einen Moment später. „Ach Saku, wir wissen beide, dass das ein bisschen länger dauern wird“, Inos spitzbübisches Grinsen war dabei nicht zu überhören, wandelte sich aber im Nachsatz zu einem theatralischen Seufzen, „immerhin wurde uns die Zweisamkeit vorhin genommen.“ „Du bist doch wie eine Irre im Regen davongerannt.“ „Ich habe Pflichten.“ „Männliche Pflichten?“ „Exakt.“ So war Ino. Kein leichtes Mädchen, nur zu eitel, um sich an jemanden zu binden, der nicht ihrer fehlerfreien Vorstellung eines Mannes entsprach. Zu voll von Mädchenträumen, um sich mit weniger zufrieden zu geben. Zu eigensinnig und engstirnig gegenüber Werten, die in der heutigen Gesellschaft immer weiter in den Hintergrund gerückt wurden. „Wo wir gerade dabei sind, war das nicht die beste Freundin von dem Uchiha mit dem schöneren Hintern?“ „Du meinst Tenten?“, erwiderte Sakura, im Wissen, dass Ino nur Sasuke meinen könnte und legte endlich das Buch zur Seite, das schwer in ihrer Hand wirkte, „Das ist seine Freundin.“ Ein leichtes Rauschen der Verbindung verriet, dass Ino sich noch in der Leitung befand. Sie sagte ein paar Sekunden gar nichts. „Du verarschst mich.“ „Wieso?“ „Zwischen denen ist so viel sexuelle Energie wie zwischen mir und Choji.“ Ein Kindheitsfreund, der so weit entfernt von Inos Traum des idealen Mannes war, dass die beiden nebeneinander als Bild komisch aussahen. Choji war mindestens das Dreifache von Ino und aß auch mindestens dreimal so viel und so ungesund wie seine Freundin. Hielt Ino eine Wasserflasche, hielt Choji eine Tüte Chips. Inzwischen riss er sich zumindest zusammen, wenn sie ihn zum Shopping zwang. „Kann schon sein, hab nie darauf geachtet.“ Das hatte sie tatsächlich nie, hatte Sasuke in ihrer naiven Haltung immer nur das Beste gewünscht und sie mochte Tenten. Und sie konnte in diesem Moment wieder nur an ihre Aussage ihm gegenüber zurückdenken, dass er geerdeter wirkte, wenn sie bei ihm war. Vielleicht hatte es als beste Freundschaft angefangen und wurde dann zu mehr. Anders konnte sie es nicht erklären. „Wenn die zwei ein Paar sein sollen, färb ich mir meine Haare pink, Sakura.“ „Was soll das denn heißen?“, erwiderte sie empört darüber, dass sich die stolze Blonde mal wieder unterschwellig über ihre Haarfarbe ausließ, „Ich begleite dich dann zum Friseur.“ „Glaub mir, niemals“, kam es ohne den Klang ihres typischen Lächelns von Ino zurück, „der Typ steht weder auf brünett noch auf den Kumpeltyp.“ „Sondern?“ „Blond und blauäugig natürlich.“ „Stimmt, hat richtig gut zwischen euch funktioniert“, stellte Sakura sarkastisch fest. Im Gegensatz zu ihrer Freundin vertrat sie selbst die Meinung, dass niemand einen bestimmten Typ für seinen Partner im Kopf hatte, von dem man sich niemals lösen würde. Das war bei ihr und Itachi nicht anders. Ihr Freund hatte ihr mehr als einmal gesagt, dass er eigentlich brünette Frauen bevorzugte. Das hatte sie anfangs beunruhigt und wurde immer mehr zu einem unbedeutenden Fakt. Er nahm sie wie sie war, hatte noch nie verlangt, etwas an sich zu ändern. „Hör mal. Typen wie Sasuke brauchen eine Frau, die sie beschützen können, um ihr riesen Ego aufzublasen.“ „Hat bei dir auch super funktioniert.“ Eine Wiederholung ihrer vorigen Aussage, war alles was sie dazu sagen konnte. Manchmal trieb das blonde Biest sie in den Wahnsinn. „Du wohnst da jetzt schon zwei Wochen und dir ist noch nicht aufgefallen, wie der spurt, wenn Mami und Papi rufen?“ Das brachte Sakura tatsächlich dazu, ernsthaft über Inos Aussagen nachzudenken und sie nicht zum Verstauben in ihre hintersten Hirnkämmerchen zu schließen. „Das tun sie beide.“ „Wer hat Recht?“ „Du“, gab sie geschlagen zu, „ausnahmsweise.“ „Konfrontier ihn.“ „Das geht mich nichts an.“ „Aber mich“, damit verwies sie subtil auf ihre gescheiterte Liebelei mit Sasuke, „also auch dich.“ „Warum denkst du, dass er ganz plötzlich ehrlich ist?“ „After-Sex-Intuition.“ „Ino!“ Ihr strafender Ton konnte nicht über die Belustigung hinwegtäuschen. „Sowas gibt es nicht.“ „Dann macht Itachi was nicht richtig“, ihre übliche künstlerische Pause fiel dieses Mal kürzer aus, „die kommt erst nach glückseliger Besinnungslosigkeit.“ „Ich lege auf.“ „Wenn du schon nicht mit Sasuke sprechen willst, sag wenigstens Itachi, dass er sich mehr Mühe bei der Suche nach dem G-Punkt geben soll.“ „Tschüss.“ „Mach’s gut, Süße“ Typisch. Ihre Telefonate endeten meist mit einer neckenden Bemerkung, die Sakura dazu veranlasste über Dinge nachzudenken, denen sie sonst weniger Beachtung schenkte. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich keinen Reim mehr auf das Verhalten des jüngeren Uchiha zu machen. Hatte nach der letzten ernsten Unterhaltung beschlossen, dass es keinen Wert hatte, sich in etwas hineinzusteigern, zu dem ihr jeglicher Zugang verweigert wurde. Es war als hätte Sasuke ihr zwar eine Tür in sein Alltagsleben geöffnet, die zu seiner Gefühlswelt aber mit einem siebenfachen Schloss vor ihrer Nase in die Angel geworfen. Jedes einzelne Klicken in seiner Haltung ersichtlich. Zumindest war sie nun der festen Überzeugung, dass sie sich nicht mehr in seine Beziehung oder Freundschaft, was auch immer es schlussendlich war, einmischen musste, um der schlechten Laune im Haushalt Abhilfe zu schaffen. Tenten hatte an diesem Vormittag zwar nicht positiv auf Sasuke reagiert, aber dass er die beiden ohne ihren Einwand nach Hause fahren durfte, ließ sie schmunzeln. Der Vormittag war im Allgemeinen viel erfolgreicher verlaufen, als sie sich erhoffen konnte. Zeit mit der besten Freundin verbracht, neue Kontakte geknüpft und ein Aufwärtstrend mit Sasuke. Die Krönung schließlich das Kleid, in das sie sich erst verlieben konnte, als sie die Begeisterung in Inos himmelblauen Augen aufblitzen sehen hatte. Sie konnte es kaum erwarten, den Stoff wieder an ihrem Körper zu spüren. Auch wenn sie nicht wusste, ob Itachi mit ihrer Wahl zufrieden sein würde. Ino hatte ihr subtil klar gemacht, dass sie gegen eine verführte Präsentation ihrer Auswahl war. Ihr Freund solle sich gefälligst wie alle anderen bis zum Abend der Gala gedulden. Für Sakura kam das nicht in Frage, zu unsicher war sie, das Kleid nicht doch umtauschen zu müssen, weil es ihm nicht gefiel. Tenten und Hinata hatten sie nach dieser Aussage mit kritischen Blicken bedacht und betont, dass sie sich keine Gedanken machen brauche. Itachi würde das nächtliche Auspacken mehr schätzen, wenn sie es ihm vorenthalten würde. Sakura versuchte abzuwägen, ob sie den weiblichen Meinungen folgeleisten sollte. Der Fluch gegen ihre eigene Unsicherheit ließ sie mit der Fußsohle auf den Teppich stampfen. Die Bestätigung, die richtige Wahl getroffen zu haben, würde sie sich einfach wo anders holen. Der Entschluss war gefasst. Ein Spiegel-Selfie an Naruto und sie hätte ihre Meinung. Mit gefasstem Entschluss schlug sie den Weg in Itachis vorläufiges Zimmer ein, nur um auf halber Strecke zu merken, dass sie dafür erst einmal das Kleid brauchte. Mit einem tiefen Seufzen gestand sie es sich ein. Sie brauchte Sasuke.   Er war auf der Überholspur. Im übertragenen Sinne. Das Auto hatte er in der Garage geparkt und war dann durch eine Durchgangstür und von dort aus direkt ins Gebäude gelangt. Den Schlüssel hatte er geradewegs auf den Schreibtisch befördert, sich aus seiner feuchten Kleidung geschält und dann in Boxershorts auf sein Bett geworfen. Das war nicht seine Art. Aber es war ebenfalls nicht seine Art, die Freundin seines Bruders abzuholen, weil es wie aus Eimern kübelte. Er war froh, dass seine Mutter darum gebeten hatte, es zu tun. Er hätte sonst nicht gewusst, wie er seine Handlung rechtfertigen konnte. Als er Itachi am Telefon gehört hatte, hatte er schon den Entschluss gefasst, Phase zwei zu beginnen. Nett sein war anstrengend. Anstrengungen waren nur dann annehmbar, wenn er den Erfolg erahnen konnte. Er atmete einmal genussvoll ein. In der Luft lag der Geruch seines Sieges. Neben seiner flickenreichen Freundschaft war er gerade dabei mehr Kontakte zu knüpfen. Er wusste, dass er das Desaster mit Tenten nur richten konnte, indem er einen anderen verbalen Prügelknaben für seine Familie suchte. Da er die Alibibeziehung sowieso hochgehen lassen wollte, war ihm der Effekt des Abendessens auf seine Familie gar nicht unrecht gewesen. Wäre nicht der unangenehme Nebeneffekt auf seine zwischenmenschliche Beziehung mit seiner Sparringpartnerin gewesen. Sie fehlte beim Training. Dass ihm der Rest genauso fehlte, gestand er sich in Momenten der Schwäche für den Bruchteil einer Sekunde ein und warf den Gedanken von sich, als sei er giftig. Zumindest hatte sie ihm vor einigen Minuten unterschwellig mitgeteilt, dass sie am nächsten Tag zum Training erscheinen würde. Auf dem Campus, aber besser als nichts. Er hatte den Kurs sowieso vernachlässigt, weil er zu beschäftigt mit der Vibration seines Handys war. So viel sozialer Kontakt war verdammt anstrengend. Es stand immer noch ein Date mit Hinatas Freundin aus. Bisher kamen sie nicht dazu sich zu treffen, weil bei ihr ebenfalls noch Prüfungen angestanden waren. Er war wieder im Rennen, machte in Gedanken einen Haken an alle Punkte seines eingehaltenen Zeitplans und entschied sich für ein kurzes Nickerchen, bevor er sich wieder der Erfüllung seines Plans widmen würde. So selig begleitet von Kindergelächter hatte er seit Nächten nicht mehr geschlafen.   Er versteckte sich hinter dem glänzend schwarzen Sportwagen seiner Mutter. Vorsichtig, darauf bedacht nicht versehentlich einen Kratzer im Lack zu verursachen. Mutter war das letzte Mal sehr sauer. Die zusammengezogenen Brauen machten sie weniger hübsch. Aber sie war immer noch die schönste Frau der Welt. Er hörte schnelle Schritte, lautes Schnaufen. Ein dumpfer Aufprall, lautes Weinen. Nicht aufhörendes Schniefen. Er begab sich nicht aus seinem Versteck, fürchtete immer noch entdeckt zu werden und lauschte stattdessen dem schmerzdurchtränkten Weinen des kleinen Mädchens auf der anderen Seite des Autos, das wie eine Barriere zwischen ihnen auftürmte, ohne die Geräusche auszublenden. Er hasste Weinen. Sein Vater hatte immerzu nur den Kopf geschüttelt, wenn er das Blitzen der Kindertränen in seinen Augenwinkeln bemerkte. Seitdem weinte er nicht mehr. Nicht einmal wenn sein Bruder etwas bekam, was ihm vorenthalten wurde. Er hörte sich selbst sagen, dass das Mädchen aufhören sollte zu jammern. Ohne Sympathie, ohne eine Spur Mitleid. Er hörte das Mädchen noch lauter schreien und sah dem Jungen zu, wie er sich aus dem Schutz des Sportwagens bewegte, um das Mädchen vor sich auf dem Boden anzusehen. Der Junge streckte seine Hand vor ihr aus, wendete seinen Blick ab und sagte sie solle aufstehen, er würde ihr helfen, wenn sie endlich aufhören würde so laut zu schreien. Sie nahm seine Hand, fing schenkte ihm ein breites Lächeln nachdem sie noch einige Male schniefte. Er blickte ihr erst wieder in die strahlenden Augen, nachdem er den nassen Stoff seines T-Shirts spürte und ihr glockenhelles Lachen vernahm. Sie rannte weg, die Wasserspritzpistole landete mit einem dumpfen Knall auf dem grünen Gras. Das Geräusch wiederholte sich mit jedem Schritt, den er den rosa Haarschopf durch den Garten jagte.   Das dumpfe Geräusch weckte ihn schließlich und ließ ihn laut Grummeln. Die Tür öffnete sich einen Spalt, ließ das Licht des Ganges einen schmalen Balken seines Schlafzimmers erleuchten. „Schläfst du?“ Die Frage wurde nur durch ein lauteres Grummeln beantwortet. Stand im dunklen Zimmer wie eine Barriere. Wie der Sportwagen vor zehn Jahren. „Kannst du meine Einkaufstüte aus deinem Auto holen?“, flüsterte die weibliche Stimme, die ihn langsam aus seinen Kindheitserinnerungen gezogen hatte, die sich immer nur im Schlaf in sein Gedächtnis schlichen. Sasuke wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte, dass sie ihm die von ihr überhaupt erst verursachten Erinnerungen wieder nahm, bevor er sie gewaltsam eingeflößt bekam. Nach solchen Träumen verblieb jedes Mal ein intensives Fiepen in seinem Kopf. Immer schwächer werdend bis es irgendwas aus seinen Gedanken verschwand genauso wie der Traum. Der Lichteinfall intensivierte sich, die Tür stand vollends offen. „Du kannst mir auch nur deinen Schlüssel geben, dann hol ich es selbst.“ Mit dem Vorschlag saß er aufrecht im Bett und warf seine nackten Füße über den Bettrand. Wenn etwas annährend so wertvoll war wie seine Ehre und Familie, dann war es sein Auto. Egal wie oft Naruto bisher gebettelt hatte, das Steuer blieb Sasukes. Genauso wie der Schlüssel zu seinem Heiligtum, den er von seinem Schreibtisch aufhob, kurz stoppte, um in feinsäuberlich an der Wand aufgereihten Hausschuhe zu schlüpfen und an Sakura vorbeilief, darauf bedacht sie mit entblößter Haut zu streifen. Er wollte sie wieder in die unangenehme Situation versetzen, seinen nackten Oberkörper zu mustern. Sie folgte ihm etwas zeitversetzt. Ziel erreicht. Der Weg in die Garage verlief ruhig. Hätte er nicht gewusst, wie verunsichert Sakura in diesem Moment sein musste, hätte er ein unbeschwertes Gespräch angefangen. Guten Willen beweisen. Genau wie vor zwei Stunden im Café und im Auto. Mit einem Tastendruck öffnete sich der Kofferraum. Sasuke bemühte sich nicht die Arme zu verschränken während er darauf wartete, dass sie die Tüte entnahm. „Kleid gefunden?“ Sakura zuckte kurz zusammen, sichtlich überrascht vom gebrochenen Schweigen. „Ja“, sie zögerte eine Sekunde, „glücklicherweise. Kann sich nicht jeder leisten in Unterwäsche durch die Gegend zu laufen.“ Damit entlockte sie ihm einen gehobenen Mundwinkel, nicht mehr. Ihr war es genug, um beide anzuheben und den Kopf schiefzulegen. Das Rascheln der Tüte war auf dem Weg zurück in die Villa das Einzige, was die Stille füllte. Sie liefen nebeneinander, mit sturem Blick geradeaus. „Du bist die Erste, die sich darüber beschwert.“ „Deine nudistischen Gewohnheiten?“ „Frauen mögen das.“ Sie stoppte auf der Stelle, griff federleicht nach seinem Handgelenk und drehte ihn zu sich. Das verwunderte augenscheinlich nicht nur ihn. „Du musst mir nichts vormachen“, die gehobene Augenbraue ließ sie weitersprechen, „ich weiß das mit Tenten.“ „Was meinst du?“ „Na, dass ihr kein richtiges Paar seid.“ „Kein richtiges Paar?“ Sie zögerte, räusperte sich und setzte einige Male zum Sprechen an. „Ihr seid nur Freunde.“ Dass er über ihre plötzliche Eingebung verwundert war, ließ er sich nicht anmerken. Sakura hatte gestern einen halben Tag mit Tenten verbracht. Sasuke hatte keinen Moment daran gedacht, dass seine Freundin plaudern würde, auch wenn ihr Verhältnis gerade nicht das Beste war. Es verärgerte ihn. Ein wenig. Vermutlich bei weitem nicht so sehr, wie er Tenten verärgert hatte. „Sagt wer?“ „Ich.“ „Ah.“ Es war sinnfrei eine Diskussion in die Länge zu ziehen, in der Sakura nicht zum Punkt kam. Dafür hatte er weder Zeit noch Lust oder Energie. Wenn er weiterhin freundlich bleiben wollte, sollte sie anfangen mit der Wahrheit herauszurücken. Es war wie verlieren. „Willst du nichts dazu sagen?“ „Nein“, grummelte er und verschränkte die Arme, entgegen aller Vorsätze, „warum sollte ich?“ „Weil ich dich infrage stelle.“ Er verschwand in seinem Zimmer, ging falsch mit der Annahme, dass sie ihm wie so oft nicht folgen würde. Er wusste nicht genau nach welchem Warum er fragen sollte. „Warum tust du das?“ „Ich will wissen, ob Itachi dich zurecht ignoriert“, erwiderte sie, die Lippen dabei kaum voneinander lösend. Die Anspannung ihrer Schultern ließ nach, nachdem Sasuke seinen Oberkörper mit einem schwarzen T-Shirt bedeckte. „Sicher.“ Triefende Ironie. „Ok, es interessiert mich“, gab sie sich geschlagen, „zufrieden?“ Das fragte er sich in diesem Moment selbst. War er zufrieden? War sie ehrlich? Interessierte es ihn überhaupt? Welche Vorteile hatte es, wenn er sie weiter im Dunklen lassen würde? Es war sinnlos. „Tenten ist meine beste Freundin.“ „Und weiter?“, fragte sie. Und er fragte sich, warum sie so schwer von Begriff war. Ihm wäre so viel beschwerte Konversation erspart geblieben. „Nichts weiter.“ Mit den Worten wandte er sich von ihr ab, hob die Hand in verabschiedender Geste und hoffte, dass der Wink offensichtlich genug war, um sie zum Schweigen und Gehen zu bewegen. „Warum das Theater?“, bewegte sie doch lieber ihren Mund als ihre Beine. „Frag deinen Freund.“ Er drehte alle Schlösser als er die Tür hinter sich schloss. Und trotzdem fühlte es sich an, als präsentiere er sein Innerstes auf dem Silbertablett.     Ich hab unsere Beziehung gerade offiziell beendet. Bis morgen     Es war nicht Hinatas schüchternes Lächeln auf ihrem Handydisplay, das sie zum Schmunzeln bewegte. Auch nicht Nejis leuchtende Augen, die durch den Winkel der Sonne wirkten wie sanft reflektierende Perlen. Eines der ersten Bilder zusammen mit den beiden bedeutendsten Menschen für sie selbst in Konoha. Für ihr Schmunzeln war der verantwortlich, der auch das Bild zu verantworten hatte. Damals standen sie sich überhaupt nicht nahe, hatten nur selten ein Wort gewechselt, das über Begrüßung und Verabschiedung hinausreichte. Tenten hatte Sasuke das Handy in die Hand gedrückt und ein Bild verlangt. Nur ein einziges, das die Schönheit des spätsommerlichen Tages einfing. Zwei Tage später fing sie sich das blaue Auge ein, dem sie eine Freundschaft verdankte, die in große Scherben zersprungen war. Groß genug, um sie wieder zusammenzusetzen. Der Klebstoff brauchte nur genug Zeit, um zu trocknen. Sasukes Nachricht zeigte sich seit Stunden auf ihrem Display. Sie wollte den Messenger nicht öffnen, das stetige Erblicken des Inhalts gab ihr das Gefühl es gehe wieder bergauf. Sie war noch weit davon entfernt, ihm zu verzeihen, doch er konnte von Glück reden, dass sie einen großen Teil ihrer Wut noch in derselben Nacht kompensieren konnte. Die Situation hätte noch explosiver, noch unverzeihlicher enden können. Erst fühlte sein Vater ihr auf den Zahn und dann musste sich auch noch Itachi einmischen, der es sich augenscheinlich zur Mission gemacht hatte, ihr Hausverbot im Uchiha-Anwesen zu verschaffen. Der Typ hatte etwas an sich, das sie zutiefst beunruhigte. Die ganze Familie hatte etwas an sich, das ihr unangenehm im Magen lag, wie zartbittere Schokolade. Der Umgang erinnerte sie an die stille Kriegsführung in ihrer eigenen. Drei Kreuze dafür, dass sie sich nicht mit Anlauf in die nächste Familienfehde katapultiert hatte. Zumindest nur leihweise. Für Sakura sah das ganze anders aus. Tenten fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihre neu gewonnene Freundin Familie Uchiha empfand während sie ihre Sporttasche packte. Sasuke wirkte im Café nicht wie er selbst. Er machte den Eindruck einer Version, die genau das sagte, was der andere hören wollte. Und Sakura wirkte wie jemand, dem gefiel, was er hörte, ungeachtet dessen, was tatsächlich gesagt wurde. Er hatte ihr nicht mit Worten geschmeichelt, sondern mit Blicken. Hatte sie nicht mit abschätzigen Blicken gestraft, sondern mit zuvorkommenden Gesten belohnt. Tenten hatte sich die ganze Nacht nur eine einzige Frage gestellt. Warum? Egal wie gut sie mit auch befreundet sein mochte, das war nicht seine Art, nicht einmal ihr gegenüber, nicht einmal nach fünf Runden Tequila und schon gar nicht freiwillig. Die Gedanken genauso untief wie das schwarz seiner Augen. In der letzten Nacht konnte sie ihre Gedanken fliegen lassen, hatte das erste Mal seit einer langen Zeit in ihrem eigenen Bett geschlafen. Nicht weil sie es musste, eher weil sie fürchtete ein Gespräch mit Neji nach den Vorkommnissen des Vortages in eine Richtung zu lenken, die ihm nicht gefielen. Sie hasste es, ihn zu verärgern, es ließ seine Augen zu Eis erstarren, jegliche Wärme abprallen. Das heutige Training ließ ihr zu genüge das Blut in den Adern gefrieren. Sie spürte den Schmerz in ihren Muskeln schon, der sie die nächsten Tage begleiten würde wie ein treuer Schoßhund. Die Prüfungsphase hatte ihre körperliche Fitness in Mitleidenschaft gezogen. Dafür war ihr Gefühl gut. Alles andere konnte sie sich nicht leisten. Der Preis ihrer Unabhängigkeit war zu teuer. Der Störfaktor Sasuke reichte, hatte viel zu viel Zeit beansprucht, die sie gar nicht hatte. Allein die Voraussicht ihn dafür büßen zu lassen, ließ sie dem Muskelkater genauso freudig entgegenlächeln wie der Nachricht, dass die Lügerei endlich ein Ende hatte. Sie war Sakura nie eine Rechenschaft schuldig und doch fühlte sie sich, als hätte sie eines ihrer wichtigsten Prinzipien auf den letzten Platz der Warteschlange gestellt. Lüge niemals ohne Scham. Die Scham kam erst Wochen zu spät. Tenten starrte sich selbst im schmalen Spiegel entgegen, der gegenüber von ihrem Bett aufgehängt war und ließ sich darauf nieder nachdem sie ihre Sporttasche mit einem dumpfen Ton auf dem Auflieger zu ihren Füßen fallen ließ. Sie hatte eigentlich den Eindruck mehr Schlaf als in den letzten Nächten gehabt zu haben und trotzdem sah sie aus als sei sie vor wenigen Momenten erst aus dem Bett gefallen. Sie sah den Sinn nicht, sich vor dem Training in Schale zu schmeißen, sah aber ein, dass sie in diesem Aufzug mehr auffiel als in der grauen Frühjahrsmaske unterzugehen. In schwarzen Leggings und Rollkragenpullover schloss sie schließlich die Tür zu ihrem Appartement ab, unsicher in Anbetracht des ausstehenden Gesprächs und voller Vorfreude Sasuke endlich mit ihrer Faust zu streicheln. Den muffigen Geruch, der die frische Frühlingsluft aus ihren Lungen vertrieb, hatte sie nicht vermisst. Genauso wenig wie die Lautstärke, die in der Sporthalle herrschte. Motivierte, schwitzende Männer mit erhöhtem Testosteronausstoß hatten die letzten Wochen ein Loch offengelassen, das sie gerne geöffnet gelassen hätte. Ungewöhnlich angenehm ohne Riesenegos und unüberwindbaren Stolz. Zumindest die Geräuschkulisse ließ sich in der Umkleidekabine ausblenden. Noch ein letzter Blick auf die schönste Nachricht der letzten Woche und das Handy wurde mit dem Rest der privaten Gegenstände im Spind verschlossen. Ihre Hände sangen vor Freude, schmiegten sich an die Bandagen wie an Seidenhandschuhe. Neji bekam ihren ersten Blick, Sasuke alle darauffolgenden. Sie suchte etwas darin, was sie als wortlose Entschuldigung deuten konnte. Ein kleiner Funke oder auch nur grenzenlose Überforderung und Unsicherheit. Sie fand letzteres. Prinzessin Uchiha und die Ignoranz verstanden sich nur, wenn sie auch auf seiner Seite stand. Tenten stand wie eine Wand, Hand in Hand mit genannter Ignoranz Meter von ihm entfernt und starrte ihn ohne eine Spur Bitterkeit in den schokoladenbraunen Augen entgegen. Er holte als erster mit dem Vorschlaghammer aus, um die Stille zu brechen, die sich in ihrer Blase gebildet hatte. „Sorry, Ten.“ Das hielt die Angesprochene nicht davon ab, ihre Fingerknöchel knacken zu lassen und ihren Kopf in den Nacken zu drehen, als hätte sie ihn überhört. Sein Gesicht sprach die Missgunst aus, die er nicht über die Lippen bringen konnte, ohne sich seine Chance zu verspielen. Das wusste sie und lächelte. Als er es wagte ebenfalls zurückhaltend seine Mundwinkel zu heben, ging sie einen Schritt auf ihn zu, ließ ihre Faust auf sein Gesicht zu schnellen. Er zuckte nicht einmal zurück. Hätte die blaue Wange vermutlich mit seiner verqueren Vorstellung von Verzeihung zur Schau gestellt. Hätte sie nicht kurz vor dem Aufprall gestoppt. Keiner von beiden rührte sich. Sasuke ergriff erst dann wieder das Wort, als er die schallende Ohrfeige realisierte, die er statt einem wuchtigen Fausthieb erhalten hatte. Seine Verwirrung sprach in Form seines schiefliegenden Kopfes und schließlich in leisem Ton aus seinem Mund. „Das hab ich wohl verdient.“ „Das hast du.“ Die neugierigen Augen lösten sich von ihnen, wie die Spannung, die sich in der Halle breit gemacht hatte. Die Hellsten als letztes. Tenten konnte die Wirre nicht aus ihren Gedanken vertreiben, die Sasukes Einsicht hinterlassen hatte. Sie hatten sich nie so fatal gestritten, dass eine ernste Entschuldigung nötig gewesen wäre, also war sie davon ausgegangen, dass er sich keines ihrer gesprochenen Worte zu Herzen nehmen würde. Sie hatte eine Spur Ernsthaftigkeit von ihm verlangt, die er ihr ohne weiteres Murren offenbarte. Dass es mehr als eine Nacht dauern würde wiederum hatte sie erwartet. Einsicht gepaart mit seinem seltsamen Verhalten gegenüber der liebreizenden Freundin seines unliebsamen Bruders, verleiteten sie dazu ihm das Training so schwer wie ihr möglich zu machen. Sasuke war bei Weitem besser als sie, was Kampfkunst anbelangte. Sie nutzte seine Überlegenheit dazu, sich selbst zur Bestleistung zu bewegen. Vor allem heute war der Wille ihn in die Knie zu zwingen besonders groß. Entschuldigung hin oder her. Er hatte die Bloßstellung vor seiner Familie zugelassen, genauso wie damals bei Ino. Im Nachhinein genauso wenig Verständnis entgegengebracht, wie ihr Unterbewusstsein ihr tagtäglich klarmachte, wenn sie über ihre seltsame Freundschaft nachdachte. Ihr Leben war gefüllt mit Menschen, von denen sie nichts erwarten durfte, wenn sie nicht Kopf voraus in Depression fallen wollte. Ihre Familie, Sasuke, Neji. Nur Hinata war ein konstanter Sonnenschein an regenreichen Tagen. Sie brauchte mehr Sonne, mehr Wärme, mehr Aufrichtigkeit. Mehr als eine Hinata. Der Gedanke blieb so hartnäckig in ihrem Kopf, dass sie zwischen dem stetigen Schlagabtausch und Ausweichen mit Sasuke ihr Trainingsventil, das immerzu zu innerer Ruhe verhalf, einfach nicht aufdrehen konnte. Sie wurde eher vehementer in der Stärke ihrer Schläge und Tritte. „Was?“ „Was, was?“, erwiderte sie geistreich, während sie seinen Schlag mit ihrem Unterarm abfing und ohne den Blick von seinem Gesicht zu lösen nach seinen Unterschenkeln trat. Einen Moment mehr Zögern von Sasukes Seite und er würde nun statt ihrem Handgelenk sein Schienbein halten. „Du bist noch sauer“, stellte er fest. Die Spannung war wieder dabei sich aufzuladen, verpuffte jedoch als Tenten sich ihm grob entriss und die Augen rollte. Typisch. Gerade als sie dachte, er hätte sich tatsächlich in ihre Situation versetzt, bewies er das Gegenteil. „Captain Obvious.“ „Hn.“ Und das Sparring setzte sich fort, ohne die aggressive Schnelligkeit zu verlieren. Wenn er seine spärlichen Gehirnzellen behalten wollte, müsste er bald anfangen seine Stimmbänder zu benutzen. Wie konnte sie mehr als einen Emotionskrüppel in ihr dummes, pumpendes Herz lassen, ohne an Konsequenzen wie gebündelte Wut zu denken. Das Leben in Konoha sollte anders verlaufen. Aber was konnte Sasuke dafür, dass sie ständig ihre Vorsätze am Straßenrand aussetzte. Nichts wirklich. Sie hatte ihn damals beinahe zu dieser Freundschaft genötigt, wollte den Stock aus seinem Allerwertesten ziehen. Dumm nur, wenn man nicht mit dem Rückstoß rechnet. In diesem Moment hatte sie keinen Grund ihren Groll weiter anzufachen. Sie hatte keine Lust mehr zu streiten. Und doch musste sie. Das war der Preis für einen weiteren Sonnenstrahl in ihrem Leben. „Was auch immer du für einen Stunt mit Sakura vorhast“, brachte sie aufgrund ihres schweren Atems zwischen ihren Bewegungen gebrochen hervor, „lass es.“ Er zog ihr die Füße unter den Beinen weg und sie lag mit einem dumpfen Aufprall, der wie ein Metronom in ihren Ohren widerhallte, auf der muffigen Matte, beide Arme gegen den Untergrund gepinnt und beide Beine von seinem Knie fixiert. Ihre Augen ertranken regelrecht in der funkenden Dunkelheit der seinen. Sie biss sich in die Unterlippe, um nicht schmerzhaft zu zischen. „Sonst?“ Er provozierte sie. Mit welchem Ziel auch immer, sie konnte es nicht sehen, hatte nur ihr eigenes im Sinn. „Ich weiß schon genau was ich dir am Wochenende in den Tequila mischen werde.“ „Hn.“ „Du überstehst das nicht trocken, red dir nichts ein“, presste sie zwischen den Zähnen hervor, sichtlich angespannt. Wenn er seine Hände nicht bald von ihren Handgelenken löste, könnte sie für nichts mehr garantieren. Sie spürte ihr Blut pulsieren. „Uchiha“, ertönte es von rechts, „ich rate dir von ihr abzulassen.“ Das tat er. Überrascht ließ sie ihren Kopf nach rechts schnellen und sah in ein ausdrucksloses Gesicht, das sich ein Stück senkte und fragend in ihres blickte. Ein zuckender Mundwinkel von ihr und er drehte sich wieder seinem Sparringpartner zu, der mit aufgerissenen Augen in ihre Richtung starrte. Genau wie der Rest der Halle. „Du kommst mit mir.“ Sie ließ Sasuke keine andere Wahl als ihr zu folgen. Ihr war klar, dass es keinen Sinn hatte zu diskutieren, während sie versuchte ihm den Kopf einzuschlagen. Er traf immer wieder einen Nerv, den er gerade lieber verfehlen sollte. Angefangen bei seiner wiederkehrenden Ignoranz, weiter zu seiner Affinität ihre Handgelenke zu packen. Es war ihr reichlich egal, dass sie ihn in die Frauenumkleidekabine winken musste, um ein gesittetes Gespräch führen zu können. Sie war heute sowieso wieder als einzige Frau im Kurs. Sobald die Tür ins Schloss fiel und er sich auf einer der Bänke niedergelassen hatte, brach sie die unangenehme Stille. „Die Sache neulich ist abgehakt, ich kann nicht plötzlich von dir erwarten, dass du dich um 180 Grad drehst. Du hast mich noch nie aktiv nach meinem Gefühlsleben gefragt. Aber“, sie sprach nun etwas lauter, „denk nicht, dass es mir nicht auffällt, wenn du plötzlich vollkommen nüchtern anfängst dich für Sakura zu interessieren, der du bis vor kurzer Zeit noch rigoros lachhaft aus dem Weg gegangen bist.“ Seine Antwort war nichts weiter als ein leicht geöffneter Mund. Ihre war verschränkte Arme und weitere Worte. „Uchiha, spuck’s aus. Ich hab das Schweigen zwischen uns satt, gib mir keinen Grund es aufrecht zu erhalten.“ „Ich mag sie.“ „Schön, noch was?“ „Du verstehst nicht. Ich mag sie.“ Es dämmerte. Erst zurückhaltend, dann so hell wie der Sonnenstrahl, nach dem sie sich selbst sehnte. „Wie bitte?“ „Ich wiederhole das nicht.“ „Du willst mir sagen, dass du plötzlich freundlich zu Frauen bist, die du magst?“ „Zu Sakura“, antwortete er nach einer langgezogenen Pause, die Tenten beinahe dazu verleitete weiterzusprechen, „ja.“ „Sonst nichts?“ „Sonst nichts.“ Tenten wollte nichts lieber, als ihm ihren Glauben zu schenken, aber die letzten Wochen hatten sie eines Besseren belehrt. Sasuke zeigte seine Zuneigung genauso verquer wie Neji. Weniger über Worte. Und genau das war es, was er zurzeit mit Sakura tat. Er sprach mit ihr. In der Öffentlichkeit. „Sie ist mit deinem Bruder zusammen“, bohrte sie weiter nach, nicht gewillt, das Thema ruhen zu lassen. „Umso mehr Grund.“ „Willst du mich verarschen?“ „Nein.“ „Das ist es? Du willst Itachi eins reinwürgen?“ „Halt dich da raus, Ten“, zischte er. „Dann halt dich von Sakura fern.“ „Jetzt hörst du mir mal zu“, erwiderte er ruhiger als gewöhnlich, während er sich langsam von der Bank erhob, um sich vor ihr aufzubauen. Als er direkt vor ihr stand und in ihre blitzenden Augen starrte, sprach er weiter. Als wolle er sicher gehen, dass er allein ihre Aufmerksamkeit auf sich hatte. Als seien da mehr als nur leise Trainingsgeräusche um sie herum. Selbst diese blendete aus und schluckte. Sasuke konnte genauso angsteinflößend sein wie sein verdammter großer Bruder. „Das ist ganz allein meine Sache, also tu mir ein einziges Mal den Gefallen und halt dich raus. Wir wissen beide, was das letzte Mal passiert ist, als dich eingemischt hast.“ Ein subtiler Hinweis darauf, dass sein von ihr erstelltes Tinderprofil allen Ärger losgetreten hatte, durch den sie sich in den letzten Wochen kämpfen mussten. Plötzlich war alles andere im spärlich beleuchteten Raum interessanter als Sasukes Augen, die sie mit ihrer Intensität beinahe erdolchten. Tenten versuchte Abstand zwischen sich und Sasuke zu bringen, ging einen Schritt auf den Spind zu, in dem ihre Tasche eingeschlossen war. Nur um im nächsten Moment von einem leichten Druck an ihren Fingern zurückgehalten zu werden. „Ich war noch nicht fertig, Ten.“ Mit einer Drehung ihres Kopfes fing sie seinen Blick wieder und entschied sich gegen eine bissige Antwort. Einfach zuhören würde einem neuen Streit vorbeugen. „Der einzige, der darunter leiden wird, ist Itachi.“ „Wie kannst du dir so sicher sein, dass das nicht nach hinten losgeht?“ „Ich weiß es einfach.“ Tenten wusste, dass es keinen Sinn hatte, darüber zu diskutieren, wenn Sasuke dachte etwas zu wissen. Er saß gesattelt auf seinem hohen Ross, auf jeglichen Versuch ihn abzuwerfen vorbereitet. „Schön. Du gewinnst.“ Fürs Erste, bis sie ihm tatsächlich glaubte. Beide atmeten hörbar aus. Die Hintergrundgeräusche drängten sich mit aller Macht zurück in ihrer beider Bewusstsein. „Versau es nicht.“ „Das passiert mir nicht nochmal.“ Sie ließ es unkommentiert, obwohl der Drang beinahe unaufhaltbar verlangte nachzufragen, was er damit meinte. Ein andermal. Er hatte die Tür zu seinen Gedanken schon wieder geschlossen, genauso wie die der Frauenumkleidekabine hinter sich, als er zum Training zurückkehrte. Sie folgte, endlich bereit das Aggressionsventil aufzudrehen. Sie lächelte Neji zu, knackte ihre Fingerknöchel und folgte Sasuke zu ihrer Matte. Endlich ein Stück Normalität zurück. Das einzige, was sich geändert hatte, war Sasukes versteinerter Ausdruck, der in Intervallen weicher wurde, wenn er vermutete, dass Tenten nicht hinsah. Er mochte die Frau an der Seite seines Bruders. Jetzt fehlte nur noch die Antwort auf das wieso und wie sehr.   „Dein Vater vermisst dich.“ – „Tut er das?“ – „Kommst du an seinem Geburtstag nach Hause?“ – „Ich bin zu Hause.“ – „Wie lange willst du dir das noch einreden?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)