Fokus von Glasrose (das Ziel verfehlt) ================================================================================ Prolog: aim ----------- Ausatmen, das Ziel im Blick halten. Einatmen, den Arm in Position bringen, Fokus setzen.   Der Wurf traf sein Ziel, wie zu erwarten.   „Doppel-Zehn, her mit der Kohle!“, rief sie aus, drehte sich schwungvoll zu ihrem Gegner und setzte ihr einstudiertes, routinemäßig entschuldigendes Gewinnerlächeln auf.   „Warum spielen wir nochmal um Geld?“   „Tequila hat so eine Wirkung auf dich“, antwortete die strahlende Gewinnerin und quittierte den gespielt empörten Gesichtsausdruck ihres Freundes mit einem schwachen Fausthieb gegen seine Schulter.   „Sabotage! Kein Wunder, dass ich immer verliere, wenn du meinen Wurfarm so schamlos malträtierst.“ Sie verdrehte die Augen, packte ihn an der Gürtelschlaufe seiner blauen Jeans und zog ihn hinter sich her zur Theke ihrer Stammkneipe. Es war immer dasselbe. Er trank zwei Shots, wurde übermütig und forderte sie zum Dart heraus, was sie solange ablehnte, bis er den ersten Zehneuroschein zückte und vor ihrer Nase wedelte, bis sie seufzend nachgab.   „Ein Bier für den schlechten Verlierer zu meiner Rechten und eine Cola für mich“, flötete die Brünette dem Barkeeper entgegen, der die Bestellung einige Sekunden später vor ihr auf dem Bartresen abstellte. Wortlos übergab ihr Freund den Schein, um den sie soeben gespielt hatten. „Den Rest kannst du behalten, mein Lieber“, kam es bestimmt aus dem Mund der Frau und wurde mit einem Zwinkern von Seiten des Barkeepers akzeptiert.   „Hör auf ständig Trinkgeld in meinem Namen zu geben, Tenten“, beschwerte sich ihre Begleitung und verschränkte die Arme leicht bedrohlich vor der Brust. Dabei stellte er seine muskulösen Arme zur Schau, als hätte es irgendeine Wirkung auf sie.   „Was heißt hier in deinem Namen. Das Geld hast du vor schätzungsweise zwei Minuten an mich verloren“, erwiderte sie und stieß ihm dabei mehrfach mahnend mit dem Zeigefinger gegen die Brust, „Wettschulden sind Ehrenschulden und jetzt trink dein Bier und verkrafte deine Niederlage wie ein echter Mann.“   Resigniert seufzte der Mann auf, griff zu seinem Getränk und nahm einen Schluck. So lief immer ab, wenn sie sich hier den Abend vertrieben. Das Geld steckte Tenten niemals ein, sondern machte daraus immer wieder die Bestellung, die sie nach dem Spiel sowieso aufgeben würden. Manchmal trauerte er um sein Wechselgeld, das Studium zahlte sich immerhin nicht von allein. Der Umstand, dass er weiterhin zu Hause unterkommen konnte, machte seine Situation jedoch tragbarer. Bei ihr sah das allerdings etwas anders aus, weswegen er den stetigen Wetteinsatz als Ausrede nutzte ihr das ein oder andere alkoholfreie Getränk auszugeben. Die Brünette hatte sich in seiner Gegenwart noch nie einen Schluck genehmigt. Warum das so war, hatte er sie in dem Semester, seitdem sie sich kannten noch nicht gefragt. Sie winkte den Barkeeper noch einmal kurz zu sich, um nach einem Strohhalm zu fragen, den sie auch ohne Widerwort gereicht bekam, bedankte sich und wendete sich wieder ihm zu. „Hast du dir jetzt endlich Frust und Hemmungen weggetrunken und sagst mir, worüber du heute eigentlich reden wolltest?“   Während sie sich neckisch über die Tatsache lustig machte, dass er nach kleinen Mengen Alkohol anfing seine unnahbare Fassade stückchenweise zu senken, löste sie den Pferdeschwanz, in dem sie ihr langes Haar vor jedem Dart-Match bändigte, schüttelte es aus und ließ es daraufhin lose über ihre Schultern hängen. Sie lächelte ihm ermutigend entgegen, legte den Kopf schief und nahm einen Schluck von ihrer Cola.   „Ich wollte über nichts bestimmtes reden“, war die Antwort, die der schwarzhaarige versuchte mit einem starren Blick in ihre braunen Augen zu unterstreichen.   „Verkauf mich nicht für blöd, du schreibst in zwei Tagen die ersten Prüfungen und dein Streberarsch liegt seit vier Wochen auf Grundeis“, antwortete sie darauf leicht spöttisch und setzte erneut an, „Du kannst mir nicht erzählen, dass du freiwillig eine Nacht Büffeln versäumst“, stellte sie belustigt fest. Sie war bei Weitem nicht so engstirnig im Bezug auf lernen wie ihr Gegenüber, studierte nicht einmal ein Fach in derselben Fakultät, also war er auch nicht hier, um in verrauchter, wenn auch gemütlicher, Atmosphäre über fachliche Schwierigkeiten zu diskutieren. Sie hatten sich beim von der Universität angebotenen Sport kennengelernt. Sein Sparringpartner war ausgefallen, sie kannte niemanden, die Kombination hatte sich angeboten und seither waren sie irgendwie zu Freunden geworden.   Er fuhr sich genervt durch sein dichtes Haar und verdrehte die Augen kaum merklich, was ihm einen strafenden Blick der Brünetten bescherte. Nun war sie wieder an der Reihe die Augen zu verdrehen, schmunzelte danach leicht, zückte ihre Geldbörse und bedeutete dem Barkeeper mit zwei Fingern, dass sie etwas bestellen würde. „Zwei Tequila für die Dame.“ – „Du weißt eben, was ich will“, scherzte sie und legte das Geld in seine ausgestreckte Hand. Mit einem bestimmenden Ton folgte auch prompt die Forderung „Austrinken, Uchiha“, und er leistete murrend folge, ohne ein Gesicht zu verziehen. Weder beim im Rachen brennenden Schnaps noch bei der bitteren Zitrone.   „Neuer Versuch?“   „Willst du mich abschleppen?“, kam es ausweichend aus seinem Mund, was ihr ein Stöhnen entraubte.   „Je länger du deinen Mund nicht aufbekommst, desto mehr Schnaps muss ich dir bestellen ergo desto unkonzentrierter bist du morgen. Spuck’s aus, Uchiha. Tu es für die Zensur“, sagte sie beinahe gelangweilt und fügte kleinlaut, in den nicht vorhandenen Bart murmelnd, hinzu, „Und für meine Nerven.“   Eine Konversation mit ihm führen war unter normalen Bedingungen kaum möglich. Wenn sie sich auf dem Campus über den Weg liefen, beschränkte sich der Wortwechsel an guten Tagen auf ein halbherziges Hallo und an schlechten auf das übliche Kopfnicken mit kurzem Grummeln. Er war einfach nicht der gesprächige Typ. Erstrecht nicht bei Tageslicht. Das war in Ordnung, denn sie war jemand, der mit jedem Typ Mensch umzugehen wusste. In ihrer Heimatstadt hatte sie dadurch den Titel „Everybody’s Darling“ erhalten. Böses Blut gab es bei Tenten mit niemandem.   Sasuke hingegen war eher vom arroganten Schlag, der nur dann sprach, wenn er wirklich musste oder wollte. Für ihn war die brünette Frau daher schnell eine erträgliche Wegbegleitung geworden. Sie redete nicht zu viel, nicht zu wenig und vor allem auch nur wenn die Situation es von ihr verlangte.   „Itachi hat gestern seine Freundin zur Gala angekündigt.“   Daher wehte also der Wind. Das allein stellte in Tentens Gedanken noch keinen Grund dar sich, statt zu lernen, Mitten in der Prüfungsphase in ihrer Stammkneipe zu treffen, weswegen sie dem Thema noch weiter auf den Zahn fühlte. „Und das ist jetzt warum genau ein so bewegendes Thema für dich?“, erwiderte sie nachdenklich. Ihr war bekannt, dass sein Bruder und Sasuke ein angespanntes Verhältnis zueinander hatten. Das hatte sie beim typischen Kennenlern-Smalltalk festgestellt, als sie das Thema Geschwister angeschnitten hatte. Er war damals trotz nicht ganz nüchternem Zustand in eine Redestarre verfallen, die sie durch einen drastischen Themenwechsel lösen musste.   „Mutter hat ihn sofort mit Fragen gelöchert und darauf bestanden, dass ich ebenfalls mit Begleitung erscheine“, gab er mürrisch zurück und nahm daraufhin noch einen großen Schluck aus dem Glas, das vor ihm stand.   „Was wäre so schlimm daran allein zu gehen?“ Sie konnte die gehobene Gesellschaftsschicht schwer verstehen, es war nicht ihre Welt. Sasukes Vater war Vorstand in einer renommierten Softwarefirma, die sich auf Sicherheitssysteme spezialisierte. Dass die Familie also mehr als genug Geld und Ansehen besaß, war ihr bekannt. „Wenn du dich als Junggeselle präsentierst, beißt vielleicht sogar mal eine an, die mehr an dir sieht als deinen Bizeps“, fügte sie neckend hinzu.   „Versteh mal einer die Frauen“, antwortete er darauf und signalisierte damit, dass er ebenso wenig wusste, warum seine Mutter so dringend darauf bestand, „Es würde ihr eine Freude machen.“   Seiner Mutter konnte er keinen Wunsch abschlagen, das lag nicht in seiner Natur. Um sie drehte sich alles. Er hatte damals angefangen Wirtschaftsinformatik zu studieren, weil sie sich gewünscht hatte, dass er seinen Vater in der Firma entlasten konnte, um den beiden mehr Zeit gemeinsam zu ermöglichen. Sie hatte es nicht von ihm verlangt, aber er tat es trotzdem, da Itachi nach seinem Glanzleistungsabitur beschlossen hatte, Psychologie zu studieren, statt seinem Vater nachzueifern.   „Und du willst jetzt einen gut gemeinten Rat oder eine Lösung von mir?“   „Beides?“, gab er frustriert zurück.   „Versuch sie doch davon zu überzeugen, dass es gut für dich wäre allein zu gehen, weil du so die Möglichkeit hast jemanden kennenzulernen, der nicht vollkommen weltfremd ist“, war der erste Rat, den sie sich auf die Schnelle aus den Ärmeln ziehen konnte. „Eine Studentin mit nach Hause zu bringen, hat bisher nicht allzu gut funktioniert.“ Er quittierte die Aussage mit einem Schnauben und dachte an eine Situation, die noch nicht weit in der Vergangenheit lag. Anfang des Semesters hatte er seine inzwischen Verflossene zum Abendessen nach Hause mitgenommen und sein Vater konnte nicht von der Tatsache ablassen, dass sie ihn einmal im Blumenladen ihrer Eltern bedient hatte, als er ein Gesteck zum Hochzeitstag anfertigen ließ. Ihm entging im Laufe des Abends nicht, wie sein Vater immerzu den Kopf geschüttelt und seine Frau angesehen hatte als habe sie in Sasukes Erziehung etwas grundlegendes falsch gemacht. Ino war das nicht entgangen. Da konnten seine Arme noch so muskulös und sein Gesicht noch so hübsch sein, für sie war der Abend ein absolutes Desaster und der Schlussstrich folgte keine Stunde nachdem er sie nach Hause gebracht hatte.   Ich kann nichts mit dir anfangen, wenn du vor deinen Eltern nicht zu mir stehst und den Schwanz einziehst. Das war’s, Süßer. xoxo Ino   „Mutter kann die Weiber, die dort rumlaufen aber nicht leiden.“ Den Zusatz, dass er derselben Meinung war, schenkte er sich und schaute betrübt in sein Glas, das er beim Gedanken an seine Verflossene angefangen hatte zu schwenken.   „Wann ist die Gala nochmal?“, entgegnete Tenten, sich sehr wohl bewusst, dass sie das eigentlich wissen müsste, da sie für den Abend als studentische Aushilfe an einer der Bars engagiert wurde. Sie hatte vor einigen Jahren einen Kurs im Flair Bartending besucht und war seither leidenschaftlich bei der Sache geblieben. Ihre Wochenenden verbrachte sie im Normalfall in Clubs hinter der Bar, um sich Studium und Unterkunft finanzieren zu können.   „Etwas mehr als ein Monat“, kam es müde zurück, „Was tut das zur Sache, Ten, ich bin am Arsch.“   Sie belächelte ihn müde, boxte in seine Seite und nahm ihm das Bier aus der Hand.   „Ich mache dich jetzt noch eine Runde fertig und dann bringst du mich nach Hause.“   Den überhaupt nicht begeisterten Blick, den er ihr zuwarf, ignorierte sie gekonnt und lief gezielt den Weg zur Dartscheibe, um die Pfeile herauszuziehen. „Ich lasse sogar die Haare offen, vielleicht hast du dann ja zur Abwechslung mal eine Chance.“ Beide wussten, dass es nicht stimmte. „Hn.“   „301 ab, beendet wird nur mit Doppel. Wenn du gewinnst, suche ich dir eine Prinzessin für deine Gala“, legte sie kurzerhand fest, um ihren missmutigen Freund ein wenig zu motivieren.   „Und wenn du gewinnst?“   „Suche ich dir trotzdem eine.“   „Und wo zur Hölle liegt dann der Unterschied?“   „Glaub mir, Uchiha, dann habe ich definitiv mehr Spaß daran als du“, antwortete sie darauf, strich ihr schwarzes Top zurecht und reichte ihm die Pfeile mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht.   Er schlug sich besser als sonst.   „Jetzt bringst du mich nach Hause und ich zeige dir auf dem Weg die wunderbare Welt von Tinder.“   Sie setzte den letzten Wurf an, fokussierte das Ziel und beendete mit einer Doppel-Zehn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)