Der Klang deiner Stimme von DragomirPrincess ================================================================================ Prolog: -------- Prolog Pubertät. Man kriegt unkontrollierbare Morgenlatten und Pickel und fettige Haare. Alle Mädchen, von denen man etwas möchte, haben eh keine Augen für dich, wenn du nicht gerade der Quarterback bist und gibt es wirklich Menschen, deren erstes Mal nicht das peinlichste Erlebnis ever war? Sam Winchesters größte Sorge, als sein Körper anfing, sich zu verändern, war, wie er Jessica am besten zu ihrem Mittelball abholen sollte, ohne dass er seinen Bruder fragen musste, damit er sie fuhr. Zumindest wäre das besser als von seinem Vater hingebracht zu werden… Den Wagen, sein Baby, würde er ihm jedenfalls nur über seine Leiche ausleihen. Mal davon abgesehen, dass Sam auch noch gar nicht fahren durfte. Also würde Sam wohl doch einfach ein Taxi bestellen… Jessica und er waren schon seit mehreren Monaten zusammen. Es hatte einfach so kommen müssen. Sie war Cheerleaderin und Sam war im Football-Team, einfach, weil sein Vater und sein Bruder ein Nein in dieser Hinsicht nie verstanden hätten. Er war nicht der Quaterback. Sie war aber auch nicht die Lead-Cheerleaderin und eigentlich hatten sie sich auch in der Bibliothek kennen gelernt, aber das war ja eigentlich auch egal. Jedenfalls wollten sie gemeinsam zum Frühlingsball gehen und eigentlich konnte Sam es auch kaum erwarten, wenn er nicht schon seit Wochen diese verdammten Schulterschmerzen gehabt hätte, die ihn morgens fast wie gelähmt ans Bett fesselten. Dean sagte, es wären Wachstumsschmerzen. Immerhin war Sam allein in den letzten Monaten wahrscheinlich mindestens zehn Zentimeter gewachsen. Seine Hemden waren jedenfalls inzwischen alle zu kurz. Auch an diesem Morgen kam der jüngste Winchester von Schmerzen gequält kaum aus dem Bett, aber er war mit Jessica verabredet und der Duft von frischgebackenen Kuchen zog durchs Haus, also zwang er sich irgendwie sich aufzusetzen und versuchte die brennenden Muskeln in seinem Rücken zu Bewegen. Sie waren verspannt. Dieses ätzende Gefühl, wenn irgendetwas einfach irgendwie… feststeckte und keine Bewegung es zu lockern wüsste. Mit einem gequälten Stöhnen legte Sam eine Hand an sein Schulterblatt und versuchte irgendwie dafür zu sorgen, dass es knackte, damit sich diese Spannungen lösten, aber wie immer blieben die Versuche unfruchtbar. Stattdessen war da wieder dieses… harte Ding, wie ein Knorpel oder so etwas, das auf der anderen Seite nicht war, vielleicht zwei Finger breit. Er würde damit zum Arzt gehen, beschloss Sam. Vielleicht brauchte er einfach einmal eine richtige Massage. Diese Verspannung nahm jedenfalls krankhafte Züge an. Er konnte sie ja beinahe unter seiner Haut hin und herschieben – etwas, das übrigens so ziemlich das ekligste Gefühl, das er je gespürt hatte, auslöste, und er hatte sich in der Grundschule mal einen offenen Bruch zugezogen! Das heiße Wasser unter der Dusche half ein wenig, aber das brennende Ziehen blieb auch, als er sich das Hemd überzog und es zuknüpfte. Hätte er an diesem Morgen einen Blick in den Spiegel geworfen, wäre er vielleicht sofort zum Arzt gegangen, so ging er mit feuchtem, haselnussbraunen Haar den Flur zu seinem Zimmer zurück, während er noch leise die letzten Zeilen eines Liedes sang, das ihm beim Duschen in den Sinn gekommen war. Sam konnte gut singen. Nicht dass er es jemals tat, denn ein Winchester sang nicht einfach so und wenn er es tat, dann grölte er lautstark und vollkommen schief klassische Rocklieder und keine Filmballaden oder summte wohlmöglich Mozarts 6. Symphonie vor sich hin, während man die Treppe hinunterstieg. Entsprechend verstummte er auch, bevor er die Küchentür öffnete. Sein Vater trug bereits den Blaumann, den er bei der Arbeit in der Werkstatt trug, Dean hatte die absolut und vollkommen männliche Schürze mit dem Flammenmuster an und produzierte gerade wohl bereits den zweiten Kuchen des Tages. Sein Vater hätte Dean gerne in der Werkstatt arbeiten sehen – Dean mochte Autos und hatte auch Ahnung davon, keine Frage –, aber irgendwann zwischen Pizzaschachteln und Asia-Takeout hatte Dean eins von Moms alten Kochbüchern gefunden und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion seinen ersten Kuchen gebacken, und selbst John Winchester konnte das Talent seines Sohnes nicht abstreiten, als dieser mit vierzehn Jahren plötzlich dreistöckige Sahnetorten backte, die einer jeden Bäckerei Konkurrenz machten. Dean schraubte dennoch an Autos herum, wenn auch nur zum Spaß und John hatte vielleicht sogar den Informationszettel von Konditorausbildungen auf Deans Schreibtisch gelegt. „Na Schlafmütze? Schon wieder gewachsen?“ Dean gab seinem 14-jährigen Bruder einen Klapps auf den Rücken, als dieser nach einem Glas griff, um es mit Orangensaft zu füllen. Sam stöhnte leise auf, als ein brennender Schmerz durch seine Nerven raste. Früher wäre Dean nie vor Sam wach gewesen, wirklich nie, aber die letzten Monate seit diese Schmerzen angefangen hatten, kam es immer öfter. „Lass mich“, brummte der jüngere Bruder. Sein Vater hatte nur ein ‚Morgen‘ für ihn übrig, als er sich hinsetzte. Dean hingegen stellte ihm ungefragt ein Stück Kuchen vor die Nase, der im Übrigen schon fast vollständig aufgegessen war. Wo Dean das alles hinsteckte, war ein absolutes Rätsel, aber eigentlich auch nicht wirklich, denn, wenn er nicht an Autos bastelte oder Kuchen backte, war er im Fitnessstudio oder auf dem Footballfeld (oder mit einer der Cheerleaderinnen im Bett – Etwas, was Sam lieber nicht gewusst hätte). An manchen Tagen hing Sam der Kuchen echt zu den Ohren raus, während Dean außer dem zuckrigen Zeug tagelang nichts Anderes zu essen schien, wünschte Sam sich manchmal auch einfach etwas Herzhaftes. Dean machte ab und an auch mal eine Quiche oder so etwas, aber der jüngste Winchester war manchmal beinahe froh, wenn es in der Mensa etwas gab, das zuvor nicht gebacken worden war. Heute war keiner dieser Tage. Er aß mit Begeisterung den Kuchen und trank den Saft aus. „Ich brauch nachher Hilfe in der Werkstatt“, meinte John dann mit einem Blick über die Zeitung und meinte damit eigentlich: Hilf mir nachher in der Werkstatt. „Ich treffe mich heute Nachmittag mit Jessica. Wir haben Karten für das Konzert in der Stadthalle.“ Sam hatte gewusst, dass sein Vater das vergessen würde, aber wahrscheinlich war das auch ganz gut, denn das Konzert war nicht das, was er sich unter einem Konzert vorstellte, sondern ein Auftritt des Schulchors. Dean sprang für seinen kleinen Bruder in die Bresche, denn immerhin hatte er ja ein Date, und meinte über die Schulter hinweg. „Ich kann dir helfen. Ich geh mit dem Team heute Abend feiern, aber vorher hab‘ ich Zeit.“ Dann kam ein Song von Kansas im Radio und Dean drehte ihn so laut, dass jedes Gespräch unmöglich wurde und Sam blätterte schweigend in dem Buch über berühmte Musiker, von dem er behauptete, dass er es für die Schule lesen musste, das aber wohl frühestens Stoff des Senior-Years enthielt. Als er aufblickte, weil sein Vater sein Frühstück beendet hatte, geschah es zum ersten Mal. Sein Blick schien verschleiert und für einen winzigen Moment schien sich ein helles rotes… Schimmern um die Form seines Vaters zu legen. Sam blinzelte und es war fort. Sam holte Jessica von zuhause ab. Ihr Haus lag ohnehin auf dem Weg. „Du siehst müde aus, Sam“, begrüßte sie ihn und manchmal war es beinahe erschreckend, wie gut sie ihn kannte. Er hatte ihr nicht von den Schmerzen in seinem Rücken erzählt und hatte es auch jetzt nicht vor, also nickte er einfach und küsste sie zur Begrüßung kurz auf die Wange. „Hab nur etwas schlecht geschlafen. Alles gut bei dir?“ Er lächelte, auch wenn er kurz wieder das Gefühl gehabt hatte, als würde sich etwas wie ein Farbschleier über seine Augen legen. Brauchte er jetzt auch noch eine Brille oder so? Innerlich seufzend beschloss er, dass er wohl auch einen Augenarzttermin machen sollte, griff dann aber einfach nach Jessicas Hand und ließ ihre Finger zwischen einander gleiten. Der Weg bis zur Stadthalle war nicht weit und gefüllt von sinnlosem Smalltalk über Schule, Familie und Freunde. Wie immer alles ziemlich unschuldig, aber hey, sie waren ja auch erst vierzehn. Es gab keine Schlange oder so etwas und als Schüler kamen sie so oder so umsonst rein, also konnten sie ohne die zwei Euro Eintritt zu zahlen reinschlüpfen und sich Plätze suchen. Sie waren ohnehin schon recht spät dran. Sam sah sich suchend um und dort, nahe der Tür, beinahe zum Greifen nah, sah er sie sitzen. Es waren nicht die ersten Engel, die Sam sah, immerhin war Lawrence keine kleine Stadt und nachdem die Kriege zwischen Engeln und Menschen vor bald hundert Jahren endlich durch ein Friedensabkommen beendet worden waren, war es immer mehr gefördert worden, dass beide Gesellschaften sich mischten. Sie hatten immer noch eigene Schulen und irgendwie wohnten sie letztlich doch wieder alle in einer Gegend, aber irgendwo in Kalifornien oder so gab es wohl Versuche von integrativen Schulen, ob die funktionierten oder nicht, hatte Sam aber keine Ahnung. In der Stadt begegnete man jedenfalls schon mal hier und da einem Engel, aber sie sprachen eigentlich ziemlich selten mit Menschen, wenn es sich vermeiden ließ, aber sie waren auch oft genug in den Medien. Hier in Kansas hatten sie meistens sogar ihre eigenen Ärzte und so etwas, aber in anderen Teilen der USA gab es gemischte Stadträte und so etwas. Ehrlich gesagt interessierte es Sam auch nicht so wirklich. Er wusste, was man in der Schule lernte: Über Jahrhunderte hatten Menschen und Engel im Krieg miteinander gelegen. Eigentlich hatten die Engel dabei einen ziemlichen Vorteil – Man beachte die mannsgroßen Flügel auf ihren Rücken –, aber umso länger der Krieg anhielt, umso mehr wurde deutlich, wieso sie den Krieg nicht schon beim ersten Schlag für sich hatten entscheiden können: Die schiere Überzahl der Menschen und vielleicht auch die Erfindung der Schusswaffen. Mehr wurde hier an den Schulen nicht gelehrt und Sam hatte auch nie den Wunsch verspürt mehr zu recherchieren, obwohl er eigentlich immer ein sehr neugieriger Junge gewesen war. Irgendetwas an der kleinen Gruppe ließ seinen Blick bei ihnen verharren. Es waren vier Stück: Zwei von ihnen hatten weiße Schwingen auf dem Rücken gefaltet, der älteste, wohl der Vater mit angegrautem, wohl einst blondem Haar, und ein junger Mann, vielleicht in Deans Alter, mit ebenholzschwarzem Haar; der jüngste, Sam vermutete, dass er vielleicht ein oder zwei Jahre älter als er selbst war, hatte karamellfarbene Schwingen, die irgendwie aufgeregt zu… zucken schienen? und hellbraunes Haar. Der letzte war… anders. Sam konnte nicht sagen, wie alt er war. Vielleicht so alt wie der ältere Junge, vielleicht noch älter oder auch genauso alt wie der jüngste. Irgendetwas machte es schwer sein Alter einzustufen, vielleicht waren es die Piercings, die sich über sein Gesicht verteilten, Snakebites, ein Augenbrauenpiercing, drei Stifte, die durch sein Nasenbein gestochen waren, von den Ketten-Ohrringen mal ganz abgesehen und kurz meinte Sam Metall an seiner Zunge aufblitzen zu sehen. Das blonde Haar lag ihm unsauber in der Stirn. Seine Flügel waren pechschwarz und er schaffte es sich so in seinem Stuhl zurückzulehnen, die Flügel hinter der Lehne gefaltet, dass er mit seinen Boots noch drei weitere Plätze einnehmen konnte, scheinbar die letzten freien Plätze im Raum. Sie wechselten schweigend Blicke, ab und an raschelte ein Flügel – angeblich hatte das eine Bedeutung, die aber außer Engeln wohl niemand verstand – und sprachen scheinbar kein Wort miteinander. „Sie sind schon irgendwie beeindruckend, oder?“, flüsterte Jessica dann plötzlich neben ihm und riss Sam aus seinen Gedanken. „Irgendwie… erhaben. Glaubst du Engel können dick werden? Wie ziehen sie sich mit diesen Flügeln überhaupt an?“ Sam drehte sich zu ihr um, zuckte die Schultern. „Keine Ahnung.“ Eigentlich wollte er auch nur an ihnen vorbei. Er hatte da vorne irgendwo noch zwei freie Plätze gesehen, doch plötzlich riss ihn eine Stimme aus den Gedanken, die eindeutig von den Engeln stammte: „Luzifer, nimm die Füße von den Stühlen und rutsch auf.“ Sie war nicht laut oder so, wenn auch mit väterlicher Autorität ausgesprochen und es war ziemlich klar, dass er gerade für sie Platz machte, denn sie waren die einzigen, die in der Nähe standen und während Jessica begeistert wirkte, war Sam da nur so halbherzig angetan von, beobachtete aber den Mann mit den schwarzen Flügeln, der kein Anzeichen machte, sich zu bewegen, aber seinen Vater anblickte als würde er einen bockigen Kommentar machen. „Luzifer“, wiederholte der junge Mann zur Linken seines Vaters kühl. „Benutz deinen Mund.“ Ein patziges Zucken war in den eisblauen Augen zu sehen, die den Engeln so eigen waren, aber wieder keine Antwort. „Ist schon gut“, wollte Sam murmeln – Sie würde schon noch zwei Stühle finden und wenn sie getrennt wären –, aber es ging in einem gezischten ‚Was hast du gesagt?‘ des dunkelhaarigen Engels unter. Sam war sich ziemlich sicher, dass Luzifer gar nichts gesagt hatte, aber jetzt kam Bewegung in den jungen Mann, als er ganz langsam die Füße absetzte und aufstand. „Ich sagte, dass ich lieber Urlaub bei Tante Amara machen würde, als mir dieses Konzert von Dads neuer Menschenschlampe und ihrem Haufen von nutzlosen Möchtegernsängern anzuhören.“ Er betonte jedes Wort mehr als deutlich und seine Augen glühten vor Hass beinahe auf oder froren vielleicht eher weiter ein? Dann ging er an seinen Verwandten vorbei und stieß Sam unsanft aus dem Weg, bevor er durch die Tür nach draußen verschwand. Sam konnte sich ohne Probleme abfangen. Er warf dem Engel dennoch einen eher unbegeisterten Blick hinterher. Der schwarzhaarige Bruder schien ihm folgen zu wollen, aber der Vater zog ihn zurück auf seinen Platz und blickte zu Sam und seiner Begleitung auf. „Entschuldigt sein Verhalten. Er ist im Moment etwas schwierig.“ Das klang beinahe menschlich. Er hätte den Satz auf mit einem geseufzten ‚Pubertät‘ beenden können, was er aber nicht tat. Sam wurde nur dieses komische Gefühl nicht los, während die drei Engel nach Innen rutschten und so Platz machten. Irgendetwas an der Art, mit der er, mit der sie alle sprachen, war einfach… komisch, nur konnte Sam einfach nicht den Finger darauflegen, was es war. Das Konzert war… schön. Es war natürlich keiner diese berühmten Chöre, in denen jeder Sänger theoretisch auch Solist sein könnte, aber die Schule hatte schon ein paar Talente dabei, das musste man ihr lassen. Jessica lehnte sich irgendwo zwischen den ersten paar Liedern gegen Sams Schulter, was ihn freute, aber so richtig konnte er das Konzert einfach nicht genießen, denn die Verspannung in seinem Rücken hatte zu pochen begonnen. Kurz wurde Sams ganzes Sichtfeld weiß, während er die Finger in seine Hose krallen musste, um den Schmerz auszuhalten. Blaue Schatten zuckten durch sein Blickfeld, bis er sie endlich wegblinzeln konnte. Er schaffte es am Ende des Stückes nicht einmal zu klatschen und Jessica sah besorgt zu ihm auf. „Ist alles in Ordnung?“, flüsterte sie leise, klatschte aber weiter. Sam wollte nicken, als ein stechender Schmerz ihn aufkeuchen ließ und er zitternd auf die Füße kam. „Ich bin gleich wieder da“, versprach er und versuchte ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen den Raum zu verlassen. Er rannte allerdings beinahe gegen die Tür, weil er sie nicht rechtzeitig öffnen konnte und hatte auch nicht wirklich ein Ziel vor Augen. Was sollte er denn auch tun, wenn er sich vor Schmerzen fast nicht auf den Füßen halten konnte? Die Tür fiel ein wenig zu laut hinter ihm ins Schloss, während der junge Teenager nach vorn auf seine Knie sackte und die Tränen wegblinzelte. Zitternd versuchte er auf die Füße zu kommen, tastete ungelenk nach seinem Handy in seiner Hosentasche und warf dabei einen Blick zu der Außenwand des Saales, wo der dritte Engel an die Wand gelehnt saß und scheinbar … zuhörte und das mit einer Ruhe im Gesicht, die jedem einzelnen seiner Piercings widersprach und ihn das erste Mal wirklich… naja, wie einen Engel aussehen ließ. Sam ließ das Handy fallen, als er es endlich aus der Tasche herausbekommen hatte. Es fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden und kurz öffnete der … Punk? seine Augen und ihre Blicke trafen sich. Er spürte nur Abneigung in den eisigen Augen, auch wenn sie kurz ruhig und tief wie der tiefste Ozean gewirkt hatten, doch eigentlich war ihm der Junge oder junge Mann oder was auch immer im Moment ziemlich scheiß egal. Die Schmerzen setzten für einen Moment aus, wenn er sich so wie jetzt halb nach vorne lehnte, und mit zittrigen Fingern entsperrte er sein Handy und klickte so schnell es ging auf den Namen seines großen Bruders. Dean, ich brauche Hilfe. Komm schnell., tippte er so schnell es ging und nicht ganz so sauber, von Groß- und Kleinschreibung mal ganz abgesehen. Er hatte gerade noch auf Senden drücken können, als der Schmerz ihm einen Schrei aus dem Körper riss und er vollkommen unkontrolliert nach vorne kippte. Ihm wurde vollkommen schwarz vor Augen und kurz spürte er einfach gar nichts und dann die feuchte Hitze auf seinem Rücken. Geistesabwesend und immer noch geblendet vom Schmerz griff er hinter sich, fasste dorthin und hätte sich beinahe vor Schreck übergeben, als er neben dieser Flüssigkeit etwas spürte, was er nur als Hautfetzen identifizieren konnte. Seine Haut auf Höhe der Schulterblätter, direkt über seiner Wirbelsäule war einfach aufgeplatzt und das Blut floss ungehemmt heraus über seine Finger. Entsetzt hob er auch noch die zweite Hand und streckte sie nach der Wunde aus. Es war unrational, aber zugleich erschien es wie das Einzige, was er tun konnte. Und dann spürte er es. Es streifte seinen Oberarm, beinahe weich. Warm und … fremd. Es war irgendwie fest und doch biegsam. Wie er überhaupt noch bei Bewusstsein sein konnte, wusste er nicht, aber er hob die linke Hand, fühlte es, tastete danach und konnte es nach vorne biegen, bis es in seinem Blickfeld war. Nur das, was er dann sah, konnte unmöglich real sein. In sein Blickfeld gedreht und noch voller Blutspuren war ein Flügel, voller brauner Federn. Zittrig suchte er das Gegenstück, doch auf seiner linken Seite gab es keinen zweiten… Flügel. Es fühlte sich falsch an, das Wort auch nur zu denken. Er war ein Mensch und… und… War das Ding unter seiner Haut gewesen?! Das konnte doch unmöglich unter seiner Haut gewesen sein! Sams Finger zitterten, als er den Blick hob und direkt in die eisblauen Augen des Engels blickte, der aber mindestens genauso wenig wie er selbst zu glauben schien, was er sah oder was er glaubte zu sehen oder… Die Tür zum Konzertsaal wurde aufgerissen. Dass der Chor aufgehört hatte zu singen, hatte Sam nicht bemerkt. Jetzt kamen jedenfalls die ersten durch seinen Schrei angelockt zu der Tür und starrten ihn an. „Luzifer!“, rief jemand aus, den Sam irgendwo in einem von Schmerz getrübten Meer aus Farben als den Vater erkannte, und blieb dann doch sofort stehen, als er ihn sah, wie wohl alle, die Blut und dieses, dieses… Ding sahen. „Sam!“, rief Jessica dann aus und schob sich durch die Gruppe nach vorn, nur um dann die Hände vor dem Mund zuzuschlagen und stehen zu bleiben, die blauen Augen vor Entsetzen aufgerissen. „Jess“, flüsterte Sam mit kratziger Stimme, kraftlos und auch ohne damit eine wirkliche Absicht zu verfolgen. Er hatte einfach das Gefühl etwas sagen zu müssen und wenn ihm jemand helfen würde, dann sie, nicht wahr? Jemand musste ihm helfen oder er würde elendig verbluten. Wieso bewegte sich denn niemand? Wieso war hier nur diese erdrückende Stimme, in der sich niemand bewegte oder etwas sagte? Sam spürte, wie das Blut seine Wirbelsäule hinab bis zu seiner Boxershorts lief und dort den Stoff tränkte. Jemand musste doch, irgendetwas tun, einen Arzt holen oder… Sam presste die Finger auf die Wunde um die Blutung zu stillen, aber natürlich war sie zu tief und eigentlich fasste er damit wohl nur in das offene Fleisch, was ihm beinahe den Magen umdrehte und gar nichts brachte und… da sollte kein… kein Knochen sein, oder? Was war dieses senkrechte Stück Knochen… Knorpel? da zwischen seinen Schulterblättern? An einem davon setzte dieses, dieses Ding an, was er nicht Flügel nennen wollte, weil er ein Mensch war und kein… kein Engel und überhaupt, wie konnte er denn nur eins davon haben? Und dann ging die zweite Tür zu diesem Raum auf und beinahe hätte Sam es schon an den Schrittgeräuschen erkannt, als Dean bereits „Sammy“ rief und neben ihm auf den Knien schlitternd zu sitzen kam. Als einziger schien er einfach zu handeln, packte das zerrissene Hemd von Sams Schultern und presste es in die Wunde. „Was ist passiert?!“ Er schien als einziger dieses riesige Ding, das aus seiner Schulter wuchs ignorieren zu können. Sam schüttelte den Kopf und ihm war das erste Mal seit langer Zeit wirklich zum Heulen zumute, fühlte sich einfach an Deans Bein fest. „Ich weiß nicht“, wimmerte er leise. „Was… was ist das?“ Er betete dafür, dass die Antwort irgendetwas Anderes war als Flügel und sei es ein Stahlträger, der aus der Decke gebrochen war und jetzt in seinem Rücken steckte. Dean starrte auf seine Finger an der Wunde, wo das Blut durch den Stoff sickerte und seine Finger in Rot tränkte. Er gab Sam keine Antwort, wusste wohl auch einfach keine, wusste nicht, was hier geschah. „Jetzt ruf doch endlich jemand einen Arzt“, brülle Dean dann plötzlich und es kam wieder Bewegung in die Menschen in der Tür. Pubertät. Für Sam der Tag, an dem sein Leben für immer den Bach runterging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)