Hüll dein Herz von DragomirPrincess ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- „Und du willst wirklich, dass ich das lese?“ Skeptisch ließ der einst so bekannte Schauspieler, der Hauptrolle um Hauptrolle im Globe gespielt hatte, den Blick über das Gedicht in seiner Hand gleiten, das sein Geliebter ihm gereicht hatte. „Ja, ich habe es für uns geschrieben, John“, flüsterte der ewig junge Mann mit den schwarzen Locken gegen seinen Handballen und platzierte einen hauchzarten Kuss dort. Johns Haut trug die Spuren, dass er älter geworden war, doch seine waren unberührt von den Jahren, die sie gemeinsam verbracht hatten, und trotzdem strichen seine Fingerkuppen über die altersgegerbte Haut als wäre sie das schönste, was er je gesehen hatte. John schluckte leicht und senkte den Blick wieder auf das Sonett. Seine Stimme hatte die Kraft verloren, die die Zuschauer einst auf der Bühne bewundert hatten, und doch tat er seinem Geliebten diesen Gefallen. Seine Stimme war von der Krankheit geprägt, die ihn Tag für Tag dem Tod näherbrachte. „Shall I compare thee to a summer’s day? Thou art more lovely and more temperate: Rough winds do shake the darling buds of May, And summer’s lease hath all too short a date:“ Die Worte waren gefüllt mit all den Emotionen, die John auch in den Augen seines Geliebten beobachten konnte: Liebe, Trauer, Geborgenheit, Einsamkeit und Wärme. Das Versmaß floss von seinen Lippen, altbekannt auch in noch fremden Worten. John wusste, wofür die Pacht des Sommers stand, und seine Stimme war für einen Moment an den Worten hängen geblieben, als Traurigkeit ihn befiel. Während ihn der Tod dahinraffte, würde sein Geliebter allein weiterleben, wohl wissend, wie anders es sein könnte, nachdem er seinen Gefährten endlich getroffen hatte. Johns Gedanken wurden von der Stimme unterbrochen, die sich seit jenem Tag, als er den Autor zum ersten Mal getroffen hatte, noch kaum bekannt und mittellos, nicht im geringsten verändert hatte. Er sprach die Zeilen auswendig, jedes Wort eingebrannt in seinen Verstand. „Sometime too hot the eye of heaven shines, And often is his gold complexion dimm’d; And every fair from fair sometime declines, By chance, or nature’s changing course, untrimm’d:“ Es waren Worte voll Liebe, melancholisch und doch so von Wärme durchzogen als wären sie selbst das Licht der Sonne. John wusste, dass das einer der Namen war, die sein Geliebter ihm gegeben hatte. Er war sein Licht, seine Sonne, seine Wärme und Geborgenheit. Er hatte 2000 Jahre allein gelebt, hatte gesehen, wie alle, die er kennen lernte, starben. Einige von ihnen kehrten wieder, in anderen Gesichtern konnte er niemanden wiedererkennen, doch niemand konnte sich nach dem Tod an ihn erinnern. Jeden musste er erneut kennen lernen, neu herausfinden, was sie in diesem Leben zu dem gemacht hatte, was sie waren. Das einzige, was ewig gleichblieb, waren sein Bruder und er und seine Eltern, die im Moment irgendwo auf der anderen Seite der Erde leben mussten, das und sein Aussehen, eingefroren und scheinbar ewig konserviert wie an jenem Tag im alten Griechenland. An jedem Tag wachte er auf und die Welt war einen Tag älter geworden, doch sein Körper war noch genauso jung wie am Tag zuvor. Schon damals hatte er sich die Zeit mit Philosophie und Kunst vertrieben, malte und schrieb; anders als sein Bruder hatte er nie Interesse an Politik und Handel gezeigt. Und dann an diesem schicksalshaften Tag 1598 änderte sich plötzlich alles, als er mit seinem Skript zum Globe kam und dort den Mann traf, der den Cäsar in seinem Stück spielen würde: John Morris. Er hatte ihn gesehen und gewusst, was er war, wer er war, und gegen alle Konventionen dieser Zeit hatte er Johns Herz erobert und ihn nicht mehr gehen gelassen: seinen Gefährten. 15 wundervolle Jahre hatten sie miteinander gehabt und doch sah der Mann, der unter dem Namen Shakespeare als Teilinhaber des Globe bekannt geworden war, noch genauso jung aus wie damals, auch wenn er es in der Öffentlichkeit gut zu verbergen wusste. Johns Stimme klang belegt, als er leise die nächste Strophe las: „But thy eternal summer shall not fade, Nor lose possession of that fair thou ow’st; Nor shall Death brag thou wander’st in his shade, When in eternal lines to time thou grow’st:“ Sein Geliebter würde niemals sterben. John wusste noch, für wie absolut wahnsinnig er den Mann vor sich gehalten hatte, als er ihm erzählte, dass er mehrere hundert Jahre vor dem Jahr null geboren worden war. Es hatte wie eines seiner Stücke geklungen, wie eine fantastische Geschichte von Feen und Magie, doch umso länger er sprach, umso bewusster wurde John, dass es keine Lüge war, dass das, was er Gefährten nannte, etwas war, was über menschliche Liebe hinausging, und dass er wirklich um keinen Tag gealtert war, seit sie sich kannten. John hustete, als sein Herz für einen kurzen Moment in einem zitternden Schlag auszusetzen drohte und er sich an der Luft verschluckte, die er eben eingeatmet hatte. Die Krankheit zerrte an seinem Körper und sein Geliebter, sein Gefährte, strich sanft über seinen Rücken, während er ihn besorgt betrachtete. Er wollte nicht, dass er Schmerzen hatte und leiden musste. Sie schwiegen einen Moment, als das Husten verstummt war, dann lehnte der Autor seine Stirn gegen die des Sterbenden und flüsterte die letzten Zeilen des Gedichts kaum hörbar und einzig für Johns Ohren bestimmt: „So long as men can breathe, or eyes can see, So long lives this, and this gives life to thee.“ Ein Versprechen, dass er niemals vergessen sein würde in wunderschöne Worte gefasst und voller Emotion vorgetragen. Keine zwei Stunden später tat der Schauspieler John Morris seinen letzten Atemzug und schloss die Augen zum letzten Mal, als die Wärme eines letzten Kusses von seinen Lippen schwand. „Ich werde dich wiederfinden“, versprach der unsterbliche Jüngling gegen die toten Hände in seinen Fingern. In dieser Nacht starb auch William Shakespeare. Es würde über 200 Jahre dauern, bis William, Sherlock wie er dann genannt werden würde, sein Versprechen wahr machen konnte, in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben und doch in derselben Stadt an der Themse. John trug nun einen anderen Namen, doch er war derselbe Mann, den er einst seinen Gefährten genannt hatte: Arthur Conan Doyle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)