The outer and personal space between me von Rix (OS-Sammlung zu KazeTsu) ================================================================================ Kapitel 2: II. What would you run a thousand miles for?[Haiji] -------------------------------------------------------------- “Slowly I dance out of the burning house of my head." Mark Strand I. Zum ersten Mal hörte Haiji den Satz, als er noch sehr jung war. Er kann sich nicht an das Alter erinnern oder an die genauen Begebenheiten. Er war sich nicht einmal sicher, welche Jahreszeit es gewesen war. Einzig und allein daran, dass ihm die Vorstellung fremd und unbegreiflich vorgekommen war. Seine Mutter zerrte ihn aufgebracht an der Hand hinter sich her. Sein Knie schmerzte dabei bei jedem Schritt, weil er es sich aufgeschürft hatte. Hinter sich konnte er noch die feixende Rufe der anderen Kinder vernehmen. Haiji erschien die Situation mehr als unfair und er verzog stur eine Schnute. „Sowas kannst du nicht machen!“, tadelte ihm seine Mutter. Ein heftiger Ruck an seiner Hand rüttelte ihn durch, als wollte sie ihm die Worte nicht nur verbal, sondern auch physisch einbläuen. Nicht das er es verstand. Immerhin hatte er es gekonnt. Er hatte Anlauf genommen. Hatte die Welt für einige Sekunden als Strudel aus Farben hinter sich gelassen. Dann kollidierten seine Hände und Füße mit der scharfkantigen Mauer vor sich, griffen nach jeder Unebenheit und zusammen mit dem Schwung vom Rennen, schaffte er es an die Spitze. Auf der anderen Seite der Mauer konnte er die weiten Felder sehen, die golden im Abendlicht strahlten. Für einen wundersamen Moment war Haiji der Herr der Winde persönlich. Dennoch erzählte ihm seine Mutter, dass er es nicht gekonnt hätte, obwohl er es getan hatte. Als wäre sein Erfolg nur purer Zufall gewesen. Aber er war sich sicher, dass wenn er es erneut versuchen würde, es auf das selbe Ergebnis hinauslaufen würde. Jedoch versuchte er es nicht erneut. Später verstand er, dass zwischen dürfen und können, ein großer Unterschied lag – und dennoch die Leute eines oft mit dem Anderem gleichsetzten. II. Er war ein wildes Kind gewesen und ein grauenhafter Teenager, als er erneut den Satz gegen ihn gerichtet hörte. „Du kannst nicht all deine Probleme mit Rennen lösen, Haiji!“, schrie ihm sein Vater wütend über ihren Wohnzimmertisch an. Provokativ hielt Haiji sich die Ohren zu und begann laut „Lalala“ zu trällern, während er aus dem Raum schritt. Sein Vater folgte ihm dicht auf den Fersen, eine Zeitung in der Hand umklammert, als wollte er eher eine lästige Fliege zerschlagen als seinen Sohn zurechtweisen. Womöglich war für ihn nicht einmal ein großartige Unterschied dazwischen. Auch nach all den Jahren konnte Haiji dieses Bitterkeit nicht von sich abschütteln. Im Flur angekommen, schlüpfte er ohne große Umschweifen in seine Laufschuhe. Sofort passten sie sich seiner Form an und mit einmal fühlte er sich unverletzlich. Auch wenn sie alt, abgetragen und beinahe auseinander fielen. Hinter sich hörte er seinen Vater seufzen, tief und ausgelaugt. „Haiji“, sagte er müde. „Bitte lass uns darüber reden.“ Eine Schallplatte, der Haiji überdrüssig war und zu oft gehört hatte, obwohl er niemals sagen könnte, was ihr genaues Lied war. Wie auf Autopilot band er seine Schnürsenkel, stand auf und trat durch die Eingangstür. „Haiji, warte!“ Aber er wartete nicht, sondern rannte einfach los. Rannte. Und rannte. Rannte. Und rannte. Rannte. Und rannte. Rannte und niemand stoppte ihn. Niemand hätte ihn stoppen können. Denn er konnte es so gut, dass er schneller als jeder Andere war. Manchmal so schnell, dass man meinen könnte, irgendwas wäre hinter ihm her. Haiji lernte Jahre später, dass nur weil man etwas konnte, es nicht unbedingt tun sollte. III. Beim nächsten Mal brennt sich der Satz so tief in sein Herz ein, dass er eine Ewigkeit brauchte, bevor er den Mut erneut aufbrachte, sich selbst auf diese Weise erneut zu zeigen. Die weichen Lippen auf seinen eigenen stürzten Haiji in einen Tumult aus Euphorie. Seine Beine wurden weich, jedoch auf eine angenehme Weise und sein Magen überschlug sich, aber in einer Art, die ihn hätte süchtig danach machen können. Seine Hände zitterten als er sie anhob, um das Gesicht vor sich zu erfassen. Bevor er jedoch dazu kam, verschwanden mit einmal die Lippen. Stattdessen schob ihn eine fremde Hand bestimmt von sich weg. Verwundert blinzelte Haiji einige Mal, bevor sein Gegenüber nur den Kopf schüttelte. Die Euphorie verwandelte sich innerhalb in einer Sekunde zu kalter Panik – und etwas, dem er keinen Namen geben wollte. „Kazuma?“, fragte er atemlos nach, seine Stimme ein zitterndes Frack aus Unsicherheit und Stimmenbruch. Der Größere schüttelt abermals den Kopf. „Wir können das nicht machen“, war seine Antwort nach einer unangenehm langen Stille und war so endgültig, dass Haiji nichts darauf erwiderte. Sie verharrten für einige Momente noch so, bis Fuijoka ihn unbeholfen auf die Schulter klopfte. So als hätte ihn Haiji nicht eine Minute zuvor geküsst, nachdem sie beide atemringend und lachend als Erste den Zenit des Berges erreicht hatten. Als wären sie nicht Monate umeinander herumgetänzelt und hätten festgestellt, dass sie mehr als nur die Freude ans Rennen miteinander verband. Fuijoka wandte sich von ihm ab, atmete tief ein und dann schüttelte er sich kurz, womöglich um jede Empfindung und jedes Verlangen von sich zu verbannen. Und Haiji begriff, dass nur weil es sich für ihn richtig anfühlte, womöglich für andere Menschen ein Fluch darstellte. Und dann rannte Fuijoka los, ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen. Natürlich könnte Haiji ihm folgen. Könnte ihn aufhalten. Könnte ihn überholen. Könnte ihn noch einmal küssen. Er könnte so vieles. Doch nur weil Haiji es konnte, hieß es nicht, dass andere Menschen es ebenso konnten oder sogar wollten. IV. Seine Welt, wie Haiji sie gekannt hatte, existierte nicht mehr und dennoch erschien der Satz wie ein Neonschild in der rabenschwarzen Dunkelheit. Irgendwas existentielles brach in Haiji. Es war unmöglich die exakte Ursache festzulegen, jedoch glaubte er, es waren sowieso mehrere Faktoren gewesen. Wie ein Damm, der auf zu langer Zeit zu viel Wasser halten sollte, aber dem niemand restaurierte, damit er dieser Aufgabe überhaupt gewachsen war. Und an den langen Nächten, in denen er zuschaute wie die Schatten über die Decke krochen, dachte er darüber nach, dass es seine eigene Schuld gewesen war. Denn die Missachtung seiner eigenen Gefühle und die Signale seines Körpers waren für ihn nur nervtötende Hintergrundgeräusche gewesen. Er hörte nicht richtig zu und am Ende bezahlte er den lebenslangen Preis. Beinahe wäre ihm nach Lachen zumute gewesen, da sein Vater am Ende recht behalten hatte. Doch alles was nur aus ihm herauskam, war ersticktes Schluchzen, während seine Hände sich in der weißen Bettwäsche verkrampften. „Sie können wahrscheinlich nie wieder rennen“, hatte der Arzt gesagt und es hallte wie ein Echo immer und immer wieder in seinem Kopf. Für Tage war es das Einzige, was er hörte. Für Wochen war es das Einzige, was er nicht hören wollte. Erst als er im Rollstuhl im Flur des Krankenhauses stand und lustlos einem Werbeslogan im Fernsehen verfolgte, während er auf die Krankenschwester wartete, flackerte die Kerze seiner einstigen Leidenschaft erneut auf. Ein Junge, höchstens sieben Jahre alt, rannte lachend an ihm vorbei. Sein Kopf kahlrasiert und eindeutig Pyjamas vom Krankenhaus tragend. Ein junger Mann rannte gespielt erbost hinter ihm her. Es brauchte kein Experte, um Haiji zu erzählen, warum der Junge hier war. Und dennoch rannte er, aus dem einfachen Grund, weil er es konnte. Weil es noch nicht zu Ende war. Weil noch etwas danach kommen konnte. Der Haiji, der er einst gewesen war, gab es nicht mehr. Jedoch bedeutete es nicht, dass er die Scherben nicht zusammenflicken konnte, um etwas Neues daraus zu erschaffen. Manchmal reichte es schon, es zumindest versuchen zu können. V. Das bisher letzte Mal hörte er den Satz in seinem ersten Studienjahr. Jedoch zum ersten Mal trug er keine Negativität mit sich. Sondern war nur aus der Neugierde einer ehrlichen Seele entstanden. Ein frischer Frühlingswind strich Haiji durch die Haare und er genoss die Abwechslung der Jahreszeiten. „Meinst du, du kannst es nicht?“, fragte Hana, ihre Knie angezogen und ihr Kinn auf ihnen ruhend. Ihre Schultasche lag achtlos neben ihr im Grass und beinahe hätte er gelacht, ihr erzählt wie klischeehaft sie Beide momentan waren. Dennoch hielt er sich zurück, da ihn das Mädchen so offen anschaute, dass er es nicht übers Herz brachte, sie in diesen Moment zu necken. „Was?“, stellte er also nur die nüchterne Gegenfrage. Hana legte leicht den Kopf schief. „Genügend Leute für das Team zu finden, um in Hakone antreten zu können.“ Haiji gab zuerst nur einen summenden Laut von sich. Schaute von ihr weg und vor sich auf den Fluss, der ruhig dahin plätscherte. „Wer weiß“, war schließlich seine schlichte Antwort. Dann stahl sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Das Erste in seinem Leben und dennoch fühlte es sich wie das Richtige unter tausenden zuvor an. „Finden wir es heraus“, fügte er an. Hin und wieder lagen das Können und das Nicht-Können so dicht beieinander, dass fast schon der Wink des Schicksals entschied, welches zutreffender war. Extra./VI. Entsetzt über sein eigenes Verhalten, schellte Haiji zurück. Dabei fegte er beinahe die leeren Gläser vom Essenstisch. Laut polterten sie gegeneinander, jedoch fingen sie sich nach einigen Sekunden wieder. Angespannt hielt er den Atem an, lauschte ob sich irgendwer im Haus zu so später Stunde rührte. Doch nichts bewegte sich oder verkündete sein Unmut über den kurzzeitigen Lärm. „Haiji“, sagte plötzlich sein Gegenüber in die Stille hinein und der Ältere wäre beinahe zusammengezuckt so neutral ist dessen Stimme. Panik kroch elend langsam seinen Körper empor, eine Empfindung, die er seit ewigen Jahren nicht mehr empfunden hatte. Abwehrend hob er rasch die Hände. „Hahaha, ups, da bin ich wohl ausgerutscht“, versuchte er die gesamte Situation zu retten. Sein Gegenüber schwieg und im schwachen Mondlicht, konnte er dessen Augen nicht erkennen. Nur seine Lippen, die als schmale Linie unzufrieden zusammengepresst waren. Lippen, die er impulsiv mit seinen eigenen wenige Sekunden zuvor geküsst hatte. Aber er hatte sich nicht zurückhalten können. Denn all die angestauten Gefühle für den anderen Mann vor sich, waren in ihrer vertrauten und warmen Interaktion in der Halbdunkelheit endgültig aus ihm herausgesprudelt. Dabei hatte Kakeru sich nur ein Glas Wasser gegen einen anbahnenden Kater holen wollen. Und Haiji lediglich einen kleinen Mitternachtsimbiss gönnen wollen. „Haiji“, fing Kakeru erneut an und dieses Mal klang er definitiv genervt. Aber auch etwas Anderes schwang in seiner Stimme mit, womit Haiji in seiner Panik nicht viel anfangen konnte. Plötzlich trat der Jüngere ohne Vorwarnung an ihn heran und im nächsten Moment berührten sich ihre Nasenspitzen. Haiji stockte. „Du kannst mich nicht einfach so küssen...“, erläuterte Kakeru sachte und Haiji spürte eine vernarbte Wunde pochen. „...zumindest nicht, ohne mir die Chance zu geben, ihn zu erwidern.“ „Oh“, war alles was Haiji dazu sagen konnte. Ein selbstgefälliges Kichern von Kakeru. „Verkorkster Idiot“, flüsterte er liebevoll. Dann zogen zwei warme Hände an seinem Gesicht Haiji in einen erneuten Kuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)