Die Drachenballade von Kylie (Band 1 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 8: Der Weg, den wir wählten -----------------------------------  Das schwarze Schwert knallte heftig auf den Schild der Blondine, die unter dem Hieb ächzte. Der braunhaarige Mann sah vielleicht nicht besonders kräftig oder beeindruckend aus, jedoch versteckte er sehr viel Kraft in sich. Oder Zodiak verstärkte seine einstigen Vorzüge, damit er solch ein Talent entwickelte... Ihr half es nicht zu wissen, was von beidem es war, denn er drängte sie in eine wirklich unangenehme Ecke, in der sie nicht sein wollte.  Immer und immer wieder schlug der Mann auf sie ein und sie hatte keine andere Wahl als zu blocken. Zum Gegenangriff kam die Elfe gar nicht! Er war wie ein Berserker vollkommen von Sinnen. Ihren Freunden schien es jedoch nicht besser zu ergehen. Sie mussten sich oftmals mehreren Angreifern gleichzeitig stellen und ihre Waffen auch von ihren Körpern fernhalten, um nicht noch zu lahmen. Dies war wohl eine verdammt große Banditenbande gewesen! Oder es gab noch weitere Eingänge, durch die Zodiak weitere Marionetten schleusen konnte, damit der Strom an Angreifern niemals ein Ende nahm. „Es ist so einfach, die Kontrolle zu behalten.“, kicherte der braunhaarige Mann, doch sie wusste, dass es Zodiak war, der eigentlich sprach. „Solch ein Gesindel ist durchzogen von heimlichen Wünschen und Sehnsüchten. Sie haben alle so viel verloren. Sind praktisch alleine auf dieser Welt.“ Das Sprechen strengte ihn nicht an. Ungehindert konnte er weiter nach ihr schlagen und mehr Land gewinnen. Er trieb sie immer weiter in den zerstörten, alten Kerker hinein, der keine Fluchtmöglichkeiten bot. Trotzdem ließ sie das schwarze Schwert nicht aus den Augen, sondern konzentrierte sich vollkommen darauf. Immerhin wussten sie nicht genau, was ein einziger Schnitt verursachen könnte. „Weißt du, Billie, es sind diese unbeantworteten Fragen, die euch Lebewesen so schwach werden lassen.“, säuselte er glücklich. „Hat er mich geliebt? Liebt sie mich? Bin ich schuld an allem? Man muss diese Fragen nur positiv für sie beantworten und sie tun alles für einen.“ „Aber nicht alle.“, keuchte die Elfe atemlos. „Manche können sich widersetzen.“ Kalter Schweiß breitete sich auf ihrer Stirn aus und verklebte bereits ihr honigfarbenes Haar. Immer wieder musste sie blinzeln, damit die Sicht nicht eingeschränkt wurde. Sie suchte nach einer Lücke, doch bisher ließ die Marionette keine zu. Er wurde einfach zu geschickt von dem Urbösen gelenkt... Seine anderen Lakaien waren wohl eher wie die untoten Diener: Zwar zahlenmäßig überlegen, doch im Kopf nicht besonders betucht. Endlich fand sie eine Lücke und stach mit ihrem Kurzschwert sofort zu. Solch eine Chance würde sich vermutlich nicht wieder bieten und musste genutzt werden! Auch wenn sie ihm letztendlich nur einen Schnitt an der Seite versetzte. Es tropfte etwas Blut vermischt mit sehr viel der schwarzen Schlacke, doch die Verletzung zog sich schnell wieder zu, als wurde sie von dem Gift verstopft. „Jaah~...“, säuselte der Brünette. „Es stimmt, dass manche meinem Einfluss widerstehen. Manche scheinen sogar vollkommen immun zu sein. Aber das trifft nicht auf besonders viele zu.“ Seine weißen Augen glitten zu dem Zwerg. Billiana wusste nicht wann, aber offenbar hatte er sich dem Einfluss vollständig entzogen. Das schien Zodiak zutiefst zu verärgern, weshalb seine Diener aggressiver angriffen. Es musste etwas Anderes sein, als es bei Andras und ihr gewesen war... Er hatte wohl nicht angestrengt dagegen ankämpfen müssen und musste sich auch nicht seinen Ängsten stellen. „Manche sind eben stärker als andere.“, flötete Billiana heiter. „Wenn ihr Wille stärker ist als deiner, dann kannst du da wohl einfach nichts machen.“ „Stärker als mein Wille ist keiner.“, zischte er zurück und schlug mit dem schwarzen Schwert zu, welches von ihrem Schild abgewehrt wurde. „Denke nur daran, wie spielend leicht es war, diesen Dieb zu verführen! Gaius... Innerlich immer noch ein Kind, das nach seiner Mami weint und schreit. Bietet man ihm seine schwache, selbstmörderische Mutter an, ist er sofort hörig.“ „Die Schwäche von verlorenen Seelen auszunutzen, erscheint dir vielleicht verdammt mächtig, doch eigentlich ist es nur schwach.“, erwiderte die Elfe. „Jeder kann Einfluss auf eine Sehnsucht oder einen Wunsch nehmen. Das macht dich nicht zu etwas Besonderem...“ Zodiak lachte verzerrt. Es klang vollkommen falsch! Als wüsste er nicht, wie man wirklich lachte und versuchte es nur zu imitieren. Das kam wahrscheinlich auch wirklich hin... Solch eine Bestie kannte keine wirklichen, aufrichtigen Gefühle und musste sie nachmachen. Die weißen Augen stierten sie aufmerksam an: „Wenn es so einfach ist, junge Billie, dann stelle es doch unter Beweis. Beeinflusse diesen armen Mann und bring‘ ihn zurück.“ Er weiß sehr genau, wie fest er die Klauen um ihn geschlossen hat..., dachte die Elfe verbissen. Sein Herz, seinen Verstand und alles, was dazu gehört, ist in seiner Gewalt. Er will mich nur provozieren... Mir meine Grenzen aufzeigen, damit ich verzweifle. Fast genauso, als er in meinem Kopf war. Kein zweites Mal wollte sie auf diesen Trick hereinfallen. Es brachte ihr nichts, wenn sie sich in Verzweiflung stürzte und sich selbst für Dinge bestrafte, die sie nicht verbrochen hatte. Durch Zodiak hatte die Blondine zumindest eine Sache begriffen: Man konnte sie nicht alle retten. Manche mussten sterben, damit alle anderen frei waren! Es ist das unumstößliche Opfer, welches man auch selbst bereit sein musste einzugehen. Diesen Weg hatten sie gewählt, als sie sich gegen das Urböse entschieden hatten...   Cazie war vollkommen alleine in der schwammigen Dunkelheit, welche nur von einigen Fackeln durchbrochen wurde. Seit einigen Minuten konnte sie aus dem Gang das Klirren von Waffen hören. Zumindest vermutete sie, dass es Waffen waren... Von dieser Entfernung war das nicht leicht zu sagen, außerdem kannte die Rothaarige sich damit nicht wirklich aus. Doch da sie alle von einer Falle gesprochen hatten, schien es sehr wahrscheinlich zu sein. Unruhig ging sie auf und ab. Immer wieder blickte sie zu dem Felsen, der den Eingang blockierte. Bisher hatte er sich keinen Millimeter bewegt und es klang auch nicht so, als versuchte jemand diesen Zustand zu ändern. Auch waren bisher keine Angreifer durch den Gang gekommen oder aus einer anderen Richtung. Trotzdem erschien ihr die Idee, hier alleine zu warten immer dümmer. Wenn ihre neuen Gefährten da unten starben, dann würde es nicht lange dauern, bis ihre Schlächter hierherkamen und das auch bei ihr taten. Doch sie wäre dort genauso tot wie hier oben... Nur hier fiel sie keinem zur Last. Diese Ungewissheit macht mich ganz krank!, fluchte sie innerlich. Ich möchte doch nur wissen, was da los ist und wie sie sich schlagen! Vielleicht hätte ich doch helfen können... Mit Mixturen oder meinem medizinischen Wissen. Hier oben nütze ich keinem etwas. Trotzdem widerstrebte es ihr, sich gegen den Befehl der Elfe zu stemmen. Gerade auch, weil sie nicht wusste, was sich zwischen den potenziellen Angreifern und ihren Freunden abspielte. Wenn sie unbedacht in eine tobende Schlacht stolperte, würde das kein gutes Ende nehmen. Nur leider kam sie in ihren Gedankenspielen nie auf ein gutes Ende... Es gefiel ihr nicht und schrie praktisch nach einer Niederlage für sie alle, statt nach einem Sieg über dieses Urböse, von dem sie alle ständig sprachen. In dem Moment, als sie sich umdrehte, glaubte sie, einen Herzinfarkt zu erleiden. Plötzlich stand da ein hünenhafter, weißhaariger Mann mit dämonischen, weißen Augen! Er stierte sie an, als habe er niemals zuvor eine Frau gesehen. Cazie war unentschlossen, was sie nun tun sollte, denn er stand zwischen ihr und dem Weg zu ihren Gefährten. Für einen Moment dachte sie darüber nach, lautstark um Hilfe zu schreien. Allerdings wusste sie weder, ob ihre Freunde es wirklich hören würden noch, wer er eigentlich war oder was er von ihr wollte. „Sie haben dich hier alleine zurückgelassen.“, sagte der Weißhaarige und seine Stimme schien von einem Chor tausender anderer Stimmen begleitet zu werden. „Deine Eltern haben einst genau das Gleiche getan. Daran erinnerst du dich sehr gut... Auch jetzt.“ „Wer sind Sie?“, wollte die Rothaarige beunruhigt wissen. „Wie konnten Sie sich so lautlos anschleichen?“ „Cazie Muriel...“, murmelte er wie ein Mantra. „Glaubst du denn wirklich, dass du die Antwort jemals finden wirst, wenn du nicht danach suchst? Immerhin ist dir klar, dass du einen Namen besitzt. Einen, der sogar einen Zunamen trägt... Und du weißt, was es bedeutet.“ „Ich will wissen, wer Ihr seid!“ „Das wusstest du von dem ersten Moment an, als du mich erblicktest.“ „Ich... Ich werde nicht auf dieses Gerede hereinfallen. So dumm bin ich nicht!“ „Nein, nein, das bist du nicht...“, stimmte er beschwichtigend zu. „Du bist eine kluge Frau, die ihren Weg ohne Hilfe gewählt und beschritten hat. Und dennoch stehst du hier... Hast immer noch keine Antwort auf irgendeine Frage. Du wagst es nicht mal, die Fragen zu stellen.“ „Das ist nicht wahr.“, widersprach die Heilkundige eifrig. „Ich kann die Fragen jeder Zeit stellen!“ „Dann tu‘ es.“ Es wurde still zwischen ihnen, während sich Cazie auf ihrer eigenen Unterlippe verbiss. Zodiak beobachtete sie dabei, sagte vorerst jedoch nichts mehr. Er hatte gewusst, dass sie dazu nichts Weiteres sagen konnte oder es wagen würde. Da waren diese Fragen, die herauswollten, die sie aber in sich verschloss. „Es ist nicht so, dass du die Antworten nicht wissen möchtest, aber du fürchtest dich davor, dass sie negativ ausfallen könnten.“, sagte das Urböse gefasst, während der Chor aus Stimmen ihn begleitete. „In dir ist diese tiefsitzende Furcht, dass deine Angst sich bewahrheitet und dich niemals jemand gewollt hat. Deshalb hast du aufgehört nach deiner Familie zu suchen.“ „Das... ist nicht wahr...“, stritt die Rothaarige kopfschüttelnd ab. „Du weißt überhaupt nichts über mich oder mein Leben!“ „Ich weiß mehr, als du von dir selbst weißt, Kind.“, sagte er mit kräftiger, deutlicher Stimme. „Ich weiß, dass du nachts stets geweint hast. Wie oft du nach deinen wahren Eltern gewimmert hast. Ich weiß, dass du zu Gott gebetet hast. Erst, dass er dir eine wahrhaftige Familie geben soll, dann nach Antworten. Doch er hat niemals etwas für dich getan und du hast aufgehört zu beten. Du hast deinen Glauben verloren, weil er dir nicht geantwortet hat.“ Die Rothaarige hob ihren Blick. Er war entflammt von dem Wissen, dass er nicht alles wusste. Vieles, aber solch eine Kreatur konnte die Informationen offensichtlich nicht richtig einsetzen: „Ich verlor meinen Glauben nicht, weil ich keine Antworten bekam, sondern weil ich ein Kind sterben sah. Man wollte mir sagen, dass nichts ohne Grund geschehen würde und das konnte ich ab diesem Tag nicht mehr glauben.“ „Zumindest versuchst du dir das eifrig einzureden, damit du denken kannst, dass du nicht schon lange vorher gottlos geworden bist.“ „Ich bin nicht gottlos!“ „Dein Gott hat dich schon lange verlassen, Kind, also bist du sehr wohl gottlos.“ Cazie wurde still und knirschte dabei unbewusst mit den Zähnen. Immer noch vollkommen unentschlossen, wie sie damit umgehen sollte und was sie tun sollte. Schreien oder weglaufen waren die einzigen Optionen, aber keine schien umsetzbar zu sein. Schrie sie, würde er sie vielleicht sofort umbringen... Versuchte sie an ihm vorbeizustürmen, geschah eventuell genau das Gleiche. Alles lief in dieselbe Richtung, was der Heilkundigen gar nicht gefiel. Die weißen, leeren Augen starrten sie dabei weiterhin an, als versuchten sie in ihr zu lesen. Vielleicht konnte er das... Wenn er nur genug Zeit bekam, wusste er vielleicht, in welchem Dilemma sie sich befand. Allerdings wirkte er auf sie immer noch unbeholfen. Etwas, wie ein Kind, das ohne Erwachsene aufwuchs und deshalb nicht wusste, wie die Welt funktionierte. Ihm fehlte die richtige Orientierung und Führung, um sich wie ein echter Mann zu verhalten. „Ich kann dir alle deine Fragen beantworten, Cazie.“, säuselte er schließlich verlockend. „Egal, ob es um deine Eltern, deine Vergangenheit oder deine Zukunft geht. Auf alles kann ich dir eine Antwort bieten.“ „Diese Antworten wären aber nicht wahr. Sie wären ausgedacht, um mir etwas vorzugaukeln.“ „Spielt das denn tatsächlich eine Rolle? Ob es nun vollkommen wahr ist oder nicht ändert nichts an deinen Gefühlen. Die Gewissheit wird dich befreien.“ „Aber ich könnte auch keine eigenen Entscheidungen mehr treffen und würde vielleicht sogar meine Freunde töten.“, warf die Rothaarige ein. „Mein Leben wäre in dem Moment vorbei, in dem ich die Kontrolle verliere.“ „Auch das würde keine Rolle mehr für dich spielen, Cazie.“, erinnerte er sie sanft. „Du müsstest nie wieder darüber nachdenken, ob du das Richtige tust. Es würde endlich nur noch um dich gehen... Das ist es doch, was du dir eigentlich wünscht. Antworten und dass du endlich wahrgenommen wirst.“ Darauf wusste sie keine Antwort. Sie wusste, dass sie ihre Vergangenheit loslassen musste. Cazie wusste, dass sie all das gehen lassen musste, damit sie endlich frei war. Doch bis heute hatte sie es nicht geschafft, das Ganze loszulassen und ihr eigenes Leben zu führen. Sie klammerte an ihrer Vergangenheit, als hätte es für sie einen hochtrabenden Effekt. Innerlich wollte sie mehr sein, als die Zweifel ihrer Vergangenheit. Da waren diese Schatten, denen sie nachjagte und die sie definierten. Da waren die dunklen, einsamen Nächte, die sich kalt um ihr Herz geschlossen hatten und sich tief in ihr Gedächtnis fraßen. Solche, in denen sie Eltern gebraucht hätte. Eine Mutter, die mit einem lieblichen Lächeln hereinkam, eine Kerze entfachte und sich ihre Sorgen anhörte. Da waren jene Tage gewesen, an denen hätte sie einen Vater gebraucht. Einen, der sie vor den Männern und dem Leid beschützte, doch er war nie da gewesen. Sie spürte, wie Tränen ihre Wangen herabliefen. Erst, als die Wärme ihre Haut küsste, war es ihr bewusstgeworden, in welcher Lage sie sich befand. Da waren keine Flügel, auf denen sie befreit fortfliegen konnte, denn ihre Eltern hatten ihr solche nie mitgegeben. Und selbst wenn, dann hätte sie keinen gehabt, die sie das Fliegen lehrten. Seit sie ein Baby war, war sie alleine auf dieser Welt... Er wusste um ihren eingepferchten Gemütszustand und er fackelte nicht lange, genau das auszunutzen. Als sie dastand und so zerbrechlich wirkte, kam Zodiak näher. Langsam und leise, damit sie nicht auf die Idee kam, sich eventuell abzuwenden oder zu fliehen. Sie sollte ruhig in ihrer Trance verharren, weinen und sich winden. Dabei würde sie sich immer wieder die Frage stellen, ob sie nicht ihm lieber das Ruder überlassen sollte, um endlich frei zu sein. Es war die ideale Chance! Brutal packte er den Oberarm der Heilkundigen, die in diesem Moment aus ihren Gedanken gerissen wurde. Sie wollte sich aus dem Griff des Urbösen befreien, war jedoch zu schwach. Egal, wie sehr sie sich wehrte, er umfing einfach ihren Arm und stierte sie an. Noch nie hatten ein paar Augen ihr solch eine Angst eingejagt wie diese. „Du zweifelst mehr als jeder Mensch vor dir, Kind.“, zischte der Chor aus Stimmen. „Jeder hat seinen Platz in der Welt gefunden, nur du nicht.“ „Ich habe einen Platz in dieser Welt! Es ist nicht der beste, doch es ist einer...“ „Rede es dir ruhig weiter ein, vielleicht glaubst du es dann irgendwann.“ Kurz nach seinen Worten drückte er seine Fingernägel tief in ihren Arm. Es brannte und tat so höllisch weh! So musste es sich anfühlen, wenn man ein Körperteil verlor oder eine Krankheit die Kontrolle über den eigenen Körper übernahm. Für sie waren es Schmerzen, die sie in der Intensität niemals zuvor verspürt hatte. Wahrscheinlich war es für ausgebildete Krieger lachhaft, wie heftig es für sie war, doch sie war eben nicht ausgebildet worden. Das Gefühl des Brennens wurde immer stärker und drohte sie in die Knie zu zwingen. Es fühlte sich an, als würde sich etwas in ihren Körper zwängen, was dort nicht hingehörte. Zodiak grinste zufrieden, während er sie nicht aus den Augen ließ. Um ihr Herz schlang sich etwas Kaltes, das sich immer heftiger darum klammerte. Sie fühlte sich klamm und alleine. In diesem Augenblick glaubte sie wirklich, dass sie nun sterben würde. „Vielleicht kannst du nun nach dir selbst forschen, Kind.“, flüsterte das Urböse im Chor. „Forsche nach den Antworten in deinem Herzen, deinem Verstand und deiner Seele. Ich bin gespannt, welchen Weg du wählen wirst, wenn du erstmals eine Wahl hast.“ Die Kreatur versetzte Cazie einen heftigen Stoß, sodass sie zu Boden fiel. Mit flackernden Lidern erkannte sie, dass seine Finger schwarz tropften, aber vor allem auch mit Blut verschmiert waren. Als der Schwindel einsetzte, verschwand die Gestalt Zodiaks einfach im Nichts. Es kam ihr vor, als sei er niemals da gewesen, doch der Schmerz sagte ihr etwas Anderes.   Für einen Augenblick schien die neuste Marionette Zodiaks nicht mehr ganz bei der Sache zu sein. Auch sprach er nicht mehr mit ihnen. Es ließ die Vermutung zu, dass sich das Augenmerk dieser Bestie vorerst auf ein neues Ziel gerichtet hatte. Kein guter Gedanke, dennoch war es vielleicht hilfreich, um diese Schlacht zu entscheiden. „Gaius!“, rief Billiana aus und parierte dessen Angriff. „Das ist doch dein Name, oder? Gaius... Du musst das alles nicht tun, wenn du es nicht willst.“ Erneut schlug der Banditenanführer nach ihr und schien sie nicht mal hören zu können. Seine Augen blieben weiß, sein Gemüt getrieben von den Wünschen des Urbösen. Immer und immer wieder holte er mit der gefährlichen, schwarzen Klinge aus. Es wurde immer schwerer dessen Gift zu entgehen. Desto länger der Kampf anhielt umso lahmer fühlten sich die Arme der Elfe an. Sie war Kämpfe gewohnt und sogar dafür ausgebildet worden, doch nicht für solch eine Kampfdauer. „Deine Mutter hätte das nicht gewollt!“, erinnerte sie ihn angestrengt. „Egal, was auch zwischen euch geschehen ist, sie hat sich sicherlich eine andere Zukunft für ihr Kind gewünscht. Ein anderes Leben...“ Gaius reagierte nicht auf die gutgemeinten Worte. Sie schienen in einem Rauschen unterzugehen. Letztendlich wusste die Blondine auch nicht, welche Sprache er mächtig war. Zwar befand er sich in der Gegend der Nordmänner, doch das bedeutete nicht, dass er auch dessen Sprache nutzte. Vielleicht kam er aus einem ganz anderen Land und verstand sowieso kein einziges Wort. Sie duckte sich rasch unter ihrem Schild. Kurz darauf schmetterte das schwarze Schwert darauf und drückte sie etwas tiefer in die Hocke. Die Elfe nutzte den Schwung beim Hochkommen und schnitt ihm einmal quer über den Oberkörper. Nicht tief genug, um ihn tödlich zu verletzen, aber es würde ihn einschränken. Schmerzen unterdrückte Zodiaks Gift sicherlich weitgehend, sodass er einfach weitermachen würde als sei nichts gewesen. „Du bist mehr als die Summe deiner Leistungen, Gaius!“, versuchte sie es dennoch weiter. „Mehr als das, was dir Zodiak ins Ohr flüstert. Du bist stark genug.“ „Spar‘ dir den Atem, Billie.“, ermahnte Andras sie tadelnd. „Er ist vollkommen von dieser Bestie eingenommen und kann sich vermutlich kaum an sein Leben erinnern.“ Ein bitterer, aber vermutlich wahrer Gedanke. Unglücklich presste sie die Lippen zu einem Strich zusammen und wartete auf den nächsten Angriff des Banditen. Just darauf kam dieser schon und sie konnte mir ihrem Schild voranpreschen. Das Schwert prallte dagegen, sie aber nutzte den Schwung, um mit einem mächtigen Schildschlag die Klinge zurückzuwerfen, sodass Gaius ins Straucheln geriet. Kurz darauf holte sie aus und schlug zu. Im letzten Augenblick konnte der Angreifer das schwarze Schwert heben, um den Angriff zu parieren. Wie ein Berserker war es nun Billiana, die in einer schnellen Abfolge immer wieder neu ausholte. Auf diese Weise trieb sie den Braunhaarigen immer weiter zurück und gewann wieder an Land. Er hatte keine andere Wahl, als sich in eine defensive Haltung zu begeben und die Angriffe irgendwie zu blocken, damit sie keine weiteren Treffer landete. In katzenhafter Anmut schaffte es die Elfe, ihnen schnell mehr Luft zu schaffen. Immerhin gab es nun genug Platz, damit Argrim eine Drehung mit der Axt machen konnte. Es kostete genug Feinde ihren Arm oder sogar die Kehle und schaffte für sie alle Luft. Vor allem konnte sich aber der Nekromant wieder einiger Leichen bedienen, damit diese ihre Unterzahl etwas anglichen. Seine letzten waren alle schon zerhackt worden... „Es wird Zeit, dass wir das Kraftverhältnis kippen.“, sagte Andras schmunzelnd. „Da Zodiak zurzeit offenbar nicht bei uns ist, gibt es keinen besseren Zeitpunkt.“ Seine Hand griff nach der Kehle eines schwer verletzten Feindes, um diese einfach zu zerquetschen. Für einen Augenblick glaubte Billiana zu sehen, wie seine Nägel sich spitzzulaufend verlängert hatten, um sich durch die Haut bohren zu können. Kurz darauf schien sich eine wahre Fontäne zu ergießen, welche der Blutmagier für sich beanspruchte. Aus ihnen formte er menschenähnliche Gestalten, die immer noch rot und unheimlich blieben. Dieser Anblick schien selbst die Besessenen vollkommen zu verstören. Sie starrten die blutigen Gestalten an, welche nun auf sie zustürmten. Erst als einer der Banditen angefallen wurde und gurgelnd nach Luft rang, begriffen sie, was hier vor sich ging und wie gefährlich diese Kreaturen waren. Es würde sich anfühlen, als tauchte man ihren Kopf unter Wasser, nur, dass es Blut war. Gaius war gezwungen, sich weiter nach hinten zurückzuziehen, während die stummen Blutgestalten ihr grausames Werk vollbrachten. Die anderen Untoten sorgten derweil dafür, dass es keine Fluchtmöglichkeiten gab. Eine der Blutmänner schaffte es sogar, Gaius im Gesicht zu berühren, bevor dieser das schwarze Schwert schwingen und ihn zerschlagen konnte. Leider wirkte es gegen die Kreatur... Es machte dem Anführer klar, dass er sich auch gegen die anderen Bestien aus Blut stellen musste. Dennoch nutzte Billie die Zeit weise. In einem Schatten beschwor sie das Portal zur Zwischenwelt, damit Ereinion sich zu ihnen gesellen konnte. Inzwischen war er wieder vollständig genesen und vollkommen kampfbereit. „Du hast mich lange nicht mehr gerufen, Fleischklops.“, knurrte er mit gebleckten Zähnen. „Ich habe dich lange nicht mehr gebraucht.“ „Das will ich überhört haben!“ Billie passte den Moment ab, bei dem sie auf den Rücken des riesigen Schattenwolfes springen konnte. Der preschte sofort los und warf sich auf einen Banditen, der gerade mit Pfeil und Bogen auf sie schießen wollte. Seine Reißzähne bohrten sich schnell und tief in dessen Kehle, um sie einfach zu zerfetzen. Seine bläuliche Seele forderte er direkt im Anschluss als Tribut ein. Sie selbst holte mit dem Schwert aus und schnitt einem anderen Angreifer die Kehle durch. Dessen Blut verteilte sich mit der schwarzen Schlacke auf dem Boden, während Ereinion sich umdrehte, damit er auf die nächsten Banditen zu preschen konnte. Gaius hatte es in der Zwischenzeit geschafft, die blutigen Gestalten alle zu vernichten, auch wenn er nicht glauben konnte, wie viel Zeit es der Beschwörerin verschafft hatte. Immerhin hatte sie in der Zeit Kontakt zur Zwischenwelt herstellen können. Es kippte wirklich das Verhältnis der Schlacht und mischte die Karten vollkommen neu. „Vernichtet sie!“, schrie er plötzlich lautstark. „Sie und ihren verdammten Wolf!“ Zodiak war also zurückgekehrt und ihm gefiel die Entwicklung ganz und gar nicht. Das verstand die Elfe durchaus, die mit einem Lächeln Ereinion antrieb. Es wurde Zeit, dass sie diese Ruinen verließen und dass möglichst lebendig und gemeinsam. Die Elfe holte mit dem Schwert aus und schlug nach Gaius, der seine schwarze Klinge rechtzeitig hochriss. Sie schmetterten hart gegeneinander. Ereinion preschte an ihm vorbei, drehte sich schließlich um und stürmte erneut auf den Mann zu. Sie holte erneut aus und wieder schlugen die Waffen gegeneinander, während die anderen sich den üblichen Dieben widmeten. „Du kannst nicht gewinnen.“, zischte das Urböse durch den Mund Gaius‘. „Niemals kannst du gewinnen.“ „Ich habe schon Größeres vollbracht.“, erwiderte die Elfe, während ihr Schattenwolf wieder umdrehte. „Und ich sah schon mächtigere Feinde. Du spielst lediglich schmutzig, was dich nicht ewig retten kann.“ Billiana nutzte den Schwung des Laufens, um vom Rücken des Wolfes zu springen und sich unerwartet auf Gaius zu stürzen. Der wurde von dem Sprung und ihrem Gewicht einfach brutal zu Boden gerissen. Sie thronte über ihm, damit sie schließlich mit dem Schwert einen Stoß mitten ins Herz vollführen konnte. Jedoch schaffte er es, auszuweichen, weshalb sie das Ziel leicht verfehlte. Doch als sie die Klinge zurückriss, wurde deutlich, dass sie gut genug getroffen hatte. Das Blut strömte samt der Schlacke aus der neuen Wunde heraus, während die Augen sich verdrehten. Sie wurden wieder menschlich. Sie sah die Furcht in den braunen Augen, die sich mit Tränen füllten. Gaius wusste, dass er sterben würde. Sein ganzer Körper rebellierte, doch diesem Schicksal konnte er nicht mehr entrinnen. Es tat ihr wirklich leid, dass sie nicht hatte mehr tun können, doch ihr waren die Hände einfach gebunden. Sobald Zodiak sich so tief gegraben hatte, konnte man sich seinem Bann kaum noch entziehen, egal, wie stark man eigentlich war. „Es wird alles gut...“, flüsterte die Elfe leise. „Scht~... Es ist bald vorbei.“ „Mir... Es-...“, begann er röchelnd und hustend. „Es... Es tut mir so leid~... So leid~...“ „Ich weiß... Ich weiß.“ „Bitte... Bitte verzeih‘ mir, dass-... dass ich den Apfel... genommen habe, Mama~...“, weinte er wie ein Kind. „Ich-... Ich hätte das nicht tun dürfen~... Ich hätte dich beschützen sollen! Es... tut mir so leid...“ Er sieht seine Mutter in mir., erkannte die Elfe mit großem Bedauern. Er ist so sehr im Delirium, dass ich für ihn genauso aussehe. Er will nichts weiter, als sich bei ihr entschuldigen... Offenbar hat er diese Chance damals verpasst. Auch wenn es nicht einfach war, zwang sich die Blondine zu einem liebevollen, mütterlichen Lächeln. Er war nicht ihr Kind und er würde es niemals sein, doch für diesen Augenblick konnte sie ihm eine Mutter sein, damit er Frieden fand. Nicht mit der Welt, aber vielleicht mit sich selbst. Vielleicht auch mit dem, was einst in seiner Vergangenheit geschehen war... Zärtlich umschlossen ihre Arme seinen Körper. Sie hielt den sterbenden Mann dicht an sich gedrückt und spendete ihm Nähe und Wärme. Es tat ihr weiterhin ungemein leid für ihn, doch innerlich hoffte sie auch, dass irgendwann jemand auch so etwas für sie tun würde. Wenn sie mal starb, dann wollte sie auch warm begleitet werden, um ohne Angst die Augen schließen zu können. Um nicht alleine auf die andere Seite zu gehen, sondern den Gedanken zu haben, dass da jemand war. Jemand, der sie liebte... „Ich vergebe dir, mein Sohn...“, flüsterte sie sanft. „Du warst noch ein Kind und wusstest es nicht besser. Ich habe dir schon lange verziehen... Dich trifft keine Schuld, Gaius. Wäre ich eher da gewesen, dann wäre es niemals so weit gekommen. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da gewesen bin, um dir zu helfen.“ „D-Dich... Dich trifft keine Schuld...“, widersprach er und schüttelte müde den Kopf. „Du... hast doch alles... versucht, um mir zu helfen... Hast wegen mir... so gelitten.“ „Und ich würde noch viel mehr für dich auf mich nehmen. Mehr, als Schmerzen, Demütigung und Folter. Du bist für mich mein Baby. Selbst heute noch... Selbst wenn deine Gebeine schon zerfallen, wirst du für mich immer mein kleines Baby sein, Gaius.“ Das schien zu wirken. Auch wenn er weiterhin bibberte, sah sie etwas in seinem Gesicht, das wie warme Hoffnung wirkte. Er war bereit zu gehen, wohin es auch sein mochte. Die Elfe senkte ihre Lippen und küsste die Stirn des sterbenden Mannes, um ihm noch etwas Mutterliebe zu schenken. Er schmunzelte für einen Augenblick, dann erschlafften alle seine Muskeln. Er war tot... Ganz sachte und vorsichtig legte sie den ehemaligen Banditenanführer nieder, der nicht mehr aufstehen würde. Ihre Augen huschten zu dem einst schwarzen Schwert, das nun nur noch eine einfache Waffe war. Andras hatte also recht gehabt. Nur durch Zodiak alleine konnte eine solche Klinge geboren und gehalten werden. Das Grundgerüst spielte hierbei keine Rolle für dessen Entstehung. Alles konnte zu einer tödlichen Waffe für alle werden, sobald Zodiak es wollte. Vorsichtig schloss die Blondine die Augen des Banditen. Er musste hier nicht in die Leere starren. All diese Leute hatten unter diesen schrecklichen Einfluss wirklich genug gelitten. Sie sehnten sich nach Vergebung, doch so würden sie diese nicht finden können. Ihr Blick hob sich, um sich umzusehen. Andras, Argrim und Ereinion besiegten gerade die letzten der armen Seelen. Eben diese riss der Schattenwolf auch an sich, damit er nicht umsonst gehorchte. Es wäre für sie einfacher, wenn es mal wirklich böse Menschen gewesen wären, die den Tod verdient hatten, aber doch keine Marionetten, die sich irgendwann auf ihrem Weg verloren hatten! Immer wurden Unschuldige vorangeschickt. Nicht nur durch Zodiak, sondern auch in all den Kriegen zuvor. Es musste einfach aufhören! Diese Welt muss sich verändern, sonst wird sie bald verloren sein., erkannte sie zähneknirschend. Die Freuden am Vernichten Schwächerer ist kein Zeichen von Stärke, sondern die Unterzeichnung eines Armutszeugnisses. Gerade jene, die Freude am Töten hatten und dabei noch gefördert wurden, waren wahnsinnig gefährlich. In einer Zeit wie dieser, stiegen Monster immer weiter hinauf, damit sie das ganze System nach ihren eigenen Wünschen formen und gestalten konnten. Es förderte den Zerfall, aber niemand erkannte es. Erst dann, wenn es zu spät war... Dann war das Gejammer dafür umso lauter, obwohl sie es einst selbst ermöglicht hatten! „Wir... müssen hier weg...!“, rief eine Frauenstimme sie wach. „Da... kommen noch mehr... und er... er ist hier!“ Cazie wirkte vollkommen atemlos und war offenbar hierher gerannt. Wie von einer Tarantel gestochen! „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Billiana mit verengten Augen. „Geht es dir gut?“ „Ja... Ja, mir geht es bestens.“ „Woher weißt du, dass da noch mehr kommen werden?“, erkundigte sich die Elfe weiter. „Sie haben den Felsen gerade weggesprengt.“, erklärte sie. „Habt ihr denn den Knall nicht gehört? Sie werden von einem weißhaarigen Giganten angeführt! Es sind so viele... Ich konnte sie nicht mal alle zählen!“ Endlich hatte die Heilkundige die Gruppe erreicht und Billie erkannte, was genau sie meinte. Durch den engen Gang folgten ihr unzählige Besessene, die sich wohl wirklich einen Weg durch den Eingang gebahnt haben mussten. Sie alle waren bewaffnet. Sei es mit Mistgabeln, Schaufeln, Schwertern oder Bögen. Alles tödlich, wenn es nur die richtigen Körperteile traf. „Lauft!“, schrie Billie und deutete auf einen Durchgang am anderen Ende. „Hier gibt es bestimmt noch weitere Ausgänge!“ Erst fackelten sie, nickten dann aber. Andras packte Cazie am Unterarm und zog sie mit sich, damit sie nicht trödelte und durch ihre mangelnde Ausbildung hinterher hing. Argrim folgte ihnen direkt, warf aber immer wieder einen Blick über die Schulter. Es fiel ihm schwer, sie hier zurückzulassen, doch ihm war klar, dass sie ihnen Zeit verschaffen wollte. Der Schattenwolf aber blieb an ihrer Seite. Seine rotleuchtenden Augen verengten sich bei dem Anblick der nahenden Gegner. Natürlich könnte er fliehen, indem er wieder in die Zwischenwelt abtauchte, trotzdem blieb er an der Seite der Beschwörerin. Nicht, weil er es musste, sondern weil er es einfach tun wollte. „Es bleibt also wieder an uns beiden hängen.“, murmelte Ereinion zähnefletschend. „Es sieht ganz danach aus...“ „Dann solltest du nun nicht schwanken, Kind.“, ermahnte er sie tadelnd. „Für Zweifel sind an Tagen wie diesen einfach kein Platz. Sie machen dich schwach.“ „Mir erscheinen diese Tage perfekt, um endlich an allem zu zweifeln und zu erkennen, dass es Zeit für eine Erneuerung ist.“ „Mag sein, schiebe es trotzdem auf später. Heute ist nicht der Tag, an dem wir sterben sollen.“ Die Elfe hob ihr Schwert und den dazu gehören Schild, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, während sie schmunzelte: „Ein guter Tag zum Sterben.“ Ereinion warf ihr zwar einen tadelnden Blick zu, verstand jedoch den schwarzen Humor von ihr. Also spannte er seine Muskeln an und machte sich ebenso bereit, die Verseuchten solange wie möglich in dem Gang zu halten. Sobald sie die Chance bekamen, in die Halle zu kommen, konnten sie sich ausfächern und ihre Überzahl ausnutzen. In dem Gang konnten ihnen zwei, höchstens drei Gegner gleichzeitig die Stirn bieten.   „Sollten wir nicht umdrehen?“, fragte Cazie atemlos. „Das kann sie doch alleine nicht schaffen!“ „Was sollte das bringen?“, hinterfragte Andras und öffnete jede noch so alte Tür. Er wusste nicht, wie lange sie nun schon nach einem anderen Ausgang suchten, doch bisher waren sie vollkommen erfolglos. Jede Tür führte in Räume, die in sich geschlossen waren. Keine Geheimgänge, keine Tunnel... Auch der Zwerg verzweifelte langsam an dieser Suche. Er hatte Billiana nicht gerne dort alleine gelassen und nun fanden sie nicht mal einen Ausweg! Nicht mal ein verdammtes Fenster! Das hier ist wie eine verdammte Rattenfalle., fluchte Argrim innerlich. Egal, wohin man läuft, man ist immer eingesperrt. Wer diese verdammte Festung gebaut hat, wollte offenbar, dass es nur einen Zugang gibt. Diese Tatsache hatte sie aber offenbar den Kopf gekostet, denn niemand war lebend herausgekommen. Außer der eigene Gefangene, der nun die Welt wie früher terrorisierte und unaufhaltsam wirkte. Es war wirklich ironisch, dass die Zeit so etwas ermöglicht hatte. Aber wenn er ehrlich war, dann glaubte er auch, dass alle Völker an diesem Unglück eine Mitschuld trugen. Billie hatte ihnen gesagt, dass alle Runen hier von drakonischer Herkunft waren. Auch die rostigen Überreste der Schmiedekunst sahen nach drakonischem Handwerk aus. Selbst die Architektur sprach Bände! Wenn Drachen in einer Sache wirklich gut waren, dann war es die Einzigartigkeit ihrer Handwerke. Sei es Bauwerke, Kunst oder eben das Schmieden. Gerade in Architektur waren sie wahre Meister und früher waren alle Leute von weit oder fern angereist, um die Drachenmeister zu bitten, für sie ihre großen Bauwerke zu entwerfen. Irgendwann wurde aus Bewunderung und Faszination plötzlich Angst und Hass. Das gigantische Wissen der Echsen machte den anderen Völkern klar, dass sie nur Kinder in einer alten, weiten Welt waren und niemals so viel Macht haben würden. Nicht, dass die Drachen diese Tatsache jemals für sich ausgenutzt hätten... Sie waren eher wie liebende Eltern, die ihre schützenden Hände über die noch lernenden Kinder hielten. Ihr Wissen hatten sie stets gerne geteilt. Gerade Magiebegabte hatten in dem drakonischen Geblüt ein Zuhause gefunden. Viele von ihnen wurden gejagt, eingesperrt oder verurteilt, weil sie der Magie mächtig waren. Nur, weil alle das fürchteten, was sie nicht verstanden oder begehrten, was sie stärken konnte. Die Drachen aber hatten jeden Magier, der es gewollt hatte, unter ihre Fittiche genommen, um sie zu unterweisen. Soweit es Argrim wusste, war ihre erste Lektion, dass man mit großer Macht mit ebenso großer Verantwortung umgehen musste und sie nicht ausnutzen durfte. Als Dank hatte man sie verfolgt und verurteilt! Ihnen Verbrechen angelastet, dessen Existenz der Zwerg inzwischen stark anzweifelte. Nicht sie hatten die Macht Zodiaks ausnutzen wollen, sondern eben jene, die diese Behauptung aufgestellt hatten und sie verfolgten. Anführer der Zwerge, der Elfen, der Menschen und all jener Völker, die sich als Anführer der Welt sahen. Alle waren sie die ersten Kinder der Muttererde. Alle weise genug, um andere Völker beurteilen, doch vor allem verurteilen zu können. Das Aussterben der Drachen hatte es ermöglicht, dass dieses Gefängnis nicht mehr gehalten werden konnte. Immer wieder waren Drachen da gewesen, um hier als Wache zu dienen bis es nicht mehr ging. Die Magie verlor sich an den Ketten, die Zodiaks Hals hatten fesseln sollen... Und nun litten alle darunter! Jene, die verurteilt hatten, aber auch die, die weggesehen hatten, statt zu handeln. Ihre Schuld war genauso groß... Es spielte einfach keine Rolle. Er öffnete erneut eine Tür und erwartete wieder Leere. Fast hätte Argrim die Tür einfach wieder zugeschlagen, damit er weitersuchen konnte, bremste sich aber im letzten Augenblick. Seine Augen weiteten, während sein Mund sich öffnete: „Bei Iduna... Das darf doch nicht wahr sein!“ „Was ist denn?“, erkundigte sich Andras, der wieder eine Tür hinter sich zuzog. „Sieh‘ dir das an!“ Der Nekromant zog skeptisch die Augenbraue in die Höhe, kam aber dennoch zu dem Zwerg. Erst als er an diesem vorbeisah, erkannte er die helle Aufregung. Natürlich hatte hier keiner mit solch einem Fund gerechnet, der hier stand, als sei es selbstverständlich! „Das ist... ein Portal.“, murmelte er trocken. „Es ist ein riesiges, uraltes Portal, das nicht beschworen wurde. Es sieht fast genauso aus, wie das zur Unterwelt...“ „Ja...“, stimmte Argrim zu. „Und es ist offenbar nicht beschädigt worden.“ „Nein, es sieht wirklich intakt aus. Es sind keine Risse zu erkennen oder dass Teile fehlen...“ Cazie stieß ebenfalls zu ihnen, verstand jedoch die Aufregung der Männer nicht. Natürlich kannte sie solch alte Relikte nicht, welche auf der Oberwelt nicht vorkamen. Eigentlich wusste der Schwarzhaarige aktuell nur von zwei Portalen dieses Ausmaßes! Das hier und jenes, welches als Durchgang zur Unterwelt diente. Es gab noch einige kleinere Pfade, um in die Unterwelt oder hinaus zu gelangen, doch die äußerten sich anders. „Was habt ihr denn?“, erkundigte sich die Heilkundige verwirrt. „Ist doch nur ein Kreisding aus Stein.“ „Kreisding...“, stieß der Zwerg spöttisch hervor. „Das ist ein Portal in eine andere Welt.“ „Woher willst du wissen, dass es in eine andere Welt führt?“ „Weil es so groß ist, Cazie. So große Portale wurden gebaut, um sehr, sehr, sehr große Wegstrecken zu überbrücken.“ „Funktioniert es denn noch?“, erkundigte sie sich verwirrt. „Es sieht irgendwie kaputt aus... Müsste es nicht leuchten? Magisch aussehen? Es steht nur da...“ Andras belustigte sich innerlich über ihre vagen Vermutungen und Beschreibungen, sprach es jedoch nicht aus. Er verstand durchaus, was sie meinte. Im Moment schien es wirklich nicht aktiv zu sein, denn die Steinringe kreisten nicht und das Becken erstrahlte nicht in einem Glanz aus flüssigem Licht. Vermutlich wurde die Verbindung zur Quelle gekappt. Der Nekromant kam näher und betrachtete es. Schäden waren keine zu erkennen, was seine Vermutung stützte, dass die Quelle entweder erloschen war oder die Verbindung gestört wurde. Theoretisch sollte es jedoch funktionsfähig sein, wenn man es mit Magie versorgte. Vielleicht würde es nur kurz funktionieren, doch das sollte reichen, damit sie entkommen konnten. Nur wissen wir dann nicht, ob es ein Zurück gibt. Es könnte das einzige Portal sein, welches uns mit dieser anderen Welt verbindet. Es kann aber auch sein, dass es uns in die Unterwelt bringt, was unproblematisch wäre..., überlegte Andras für sich. Es brachte eh nichts. Offenbar war es die einzige Chance, damit sie hier wegkamen! „Ich gehe Billie holen.“, sagte er schließlich laut. „Sucht nach einer Magiequelle oder einem anderen Ausweg in der Nähe. Wenn sich nichts Anderes finden lässt, müssen wir es eben für ein paar Minuten mit Energie versorgen, um dadurch zu fliehen.“ „Ist das nicht riskant?“, warf Argrim ein, der auch das Gerät musterte. „Wir wissen doch gar nicht, wohin es uns dann führt.“ „Natürlich ist es riskant, aber ob wir nun hier von diesen Verseuchten getötet werden oder bei dem Versuch der Flucht sterben, erscheint mir einerlei.“ „Da hat er allerdings recht.“, stimmte Cazie etwas unruhig zu. „Wir haben keine Alternativen, wenn wir in der Zwischenzeit keinen anderen Weg finden.“ „Na gut... Na gut! Ihr habt mich überstimmt. Dann machen wir es so.“ Die Chance, dass sie eine Energiequelle fanden oder einen anderen Fluchtweg war verschwindend gering. Auch, dass es beim Durchschreiten des Portals überhaupt einen Weg zurück gab... Aber das Wagnis mussten sie wahrlich eingehen, um überhaupt eine Chance auf das Überleben zu bekommen. Sich zu trennen war aber ebenfalls riskant, doch die Situation ließ eben keine anderen Optionen offen.   Inzwischen hatte sich die Kampfsituation vollkommen verändert. Die Besessenen hatten Billiana in den nächsten Gang gedrängt, wodurch sie nun weniger Platz hatten, während sie sich im Kerkerraum entfalten konnte. Dennoch kamen sie weiterhin nur in kleinen Gruppen zu ihr durch, weil sie keinen Kampf in der Halle zugelassen hatte. Ereinion blieb weiterhin an ihrer Seite. Auch ihm war es zu verdanken, dass sie rechtzeitig in den Flur entkommen war, als sie die Verteidigungslinie durchbrochen hatten. Trotzdem blieb die Situation vollkommen aussichtslos für die Elfe, die sich darauf vorbereitete, heute zu sterben. Kein glorreicher Ort um zu gehen, doch es schien nicht besser oder schlechter als jeder andere Platz. Letztendlich war der Tod niemals schön... Überall hatte sie kleinere oder größere Wunden. Sie kamen von Schwertern, Dolchen, aber auch von Mistgabeln und anderen ungewöhnlichen Waffen. Die meisten waren nicht wirklich schlimm, doch es reichte aus, damit sie immer wieder ins Straucheln geriet. Immer wieder brannte, zog oder schmerzte es bei einer unglücklichen Bewegung. Es schränkte so ungemein ein! So habe ich mir diese Reise an die Oberwelt wirklich nicht vorgestellt..., gestand sich die Blondine ein. Vielleicht sollte ich es zukünftig unterlassen, irgendwohin zu reisen. Um fair zu sein, hatte sich Ereinion das Ganze sicherlich auch anders vorgestellt! Diesen Pakt hatte er geschlossen, um möglichst viele Seelen für seine Königin einzufordern, aber auch, damit er mal aus der Zwischenwelt entkommen und eine Hülle haben durfte. Nun befand er sich laufend in der misslichen Lage, dass er sein Leben verlieren könnte. Oftmals ohne die Möglichkeit, regelmäßig die Seelen der Gefallenen aus ihren Leibern zu entreißen. Knurrend schnappte der Wolf nach einem Verseuchten, der gerade näherkommen wollte, um die Elfe in die Meute zu reißen. Dabei verbiss er sich heftig in den Unterarm des Mannes, der ihn abzuschütteln versuchte. Die mächtigen Reißzähne rissen aber stattdessen den Arm des wohl ehemaligen Bauers ab! Er kreischte, als er seinen Stumpf wegriss. Das Blut mitsamt der schwarzen Schlacke ergoss sich wie ein Eimer Wasser über den Schattenwolf, der sich daran keineswegs störte. Billiana war diesen Erguss inzwischen auch schon gewohnt. Allmählich wurde sie diesem Anblick sogar müde und befürchtete, dass sie zu kalt mit der Art von Gewalt umging. Vielleicht veränderte es sie schon... Eigentlich hatte sie das niemals zulassen wollen. Trotz ihrer Umgebung, wollte sie nicht so kaltherzig und brutal werden, wie all die anderen Einwohner der Unterwelt, sondern sich treu bleiben. Um nicht zu sterben, verlor sie sich aber offenbar immer mehr selbst... Plötzlich stürzte eine Blutfontäne vor ihr herab. Es war, wie eine Mauer aus rotem Lebenssaft, welche so undurchdringbar schien, wie ein richtiges Gemäuer aus Stein! Vor lauter Schreck kreischte die Blondine auf, während sie von dem Phänomen zurückwich. Hinter der Trennwand schien auch Chaos auszubrechen, denn unruhige Geräusche drangen durch den rauschenden Bach des Unerklärlichen. Das Schreien derer, die es wagten, das Blut anzufassen, wurden ebenfalls schnell bestraft. „Willst du da versteinern oder weiter wie ein Mädchen herumkreischen?“, erkundigte sich eine vertraute Männerstimme. Die Elfe drehte sich um und entdeckte in den Schatten Andras, der schief grinste. Ereinion knurrte ihn an, war aber offenbar eher wütend, weil er so plötzlich eingegriffen hatte. Einen Grund zu einer offenen Feindseligkeit gab es an sich nicht, wenn man das Dilemma des Schlachtfeldes außen vor ließ. „Aus, Bello!“ Natürlich fand der Schattenwolf das noch weniger lustig. Sein ganzes Nackenfell sträubte sich, während er die Zähne fletschte. Zum Angriff bereit waren die Muskeln allesamt angespannt und das konnte ein hässlicher Kampf werden. Statt das zu zulassen, griff die Blondine nach der Flanke des Tieres, um darüber zu streicheln. Er sollte sich erinnern, weshalb er hier war und was hier eigentlich vor sich ging. Letztendlich hatten sie einfach keine Zeit, um sich mit solchen Keilereien aufzuhalten oder sich sogar gegenseitig umzubringen. Ereinion gefiel es nicht, doch er ließ seine Angriffshaltung sein. Widerwillig setzte er sich auf seine Hinterläufe und beobachtete den Nekromanten mit rotleuchtenden Augen, um bereit zu sein. „Was machst du hier?“, wollte Billie wissen. „Ihr solltet doch fliehen. Ich habe euch doch dafür Zeit verschafft.“ „Ja, das hast du wunderbar gemacht und nun gehen wir. Wir haben womöglich einen Weg gefunden.“ „Dann geht endlich! Ich halte sie auf, damit ihr einen Vorsprung bekommt.“ Andras schüttelte den Kopf, während er das Gesicht verzog: „Nun spiel‘ nicht die Märtyrerin, Billie, wir gehen nicht ohne dich. Außerdem brauchen wir dich.“ „Wozu braucht ihr mich? Verlasst doch einfach diesen Ort und seht zu, dass ihr Land gewinnt.“ „So einfach ist das nicht.“, seufzte der Blutmagier. „Können wir nun bitte gehen?“ Sie hatten einfach keine Zeit zum Diskutieren oder Streiten, weshalb sie widerwillig nickte. Ereinion verschwand wieder in der Zwischenwelt, ehe sie sich endlich in Bewegung setzten. Die Blutfontäne würde sicherlich bald in sich zusammenfallen und danach würden sie ihnen einfach wieder folgen können. Es verschaffte ihnen wenigstens einen geringen Vorsprung, den sie nutzen mussten. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du ein Vampir bist?“, hinterfragte Billiana zähneknirschend. „Ah... Du hast es also gemerkt?“, amüsierte sich Andras. „Was hätte das schon geändert?“ „Einiges hätte es geändert. Bist du ein geborener oder ein gebissener Vampir?“ „Ein gebissener.“ „Seit wann?“, fragte sie überrascht. „Du bist verdammt mächtig für einen Gebissenen.“ „Kurz nachdem ich vor unserer Verlobung geflüchtet bin, wurde ich verwandelt.“, erklärte er. „Eure Familie versteht es, eine Blutsfehde zu führen. Dein ältester Bruder kam und biss mich mit den Worten >Blut für Blut<. Als ich wieder aufwachte, war ich ein Vampir.“ „Vento hat das getan? Er trinkt eigentlich kein menschliches Blut...“ „War wohl eine Ausnahme, weil ich seine Schwester sozusagen zurückgewiesen habe. War sicherlich schwer für ihn, danach wieder Diät zu halten, so köstlich, wie ich sein muss!“ „Macht dir das gar nichts aus? Plötzlich wurdest du zu etwas, was Unwissende als >Monster< bezeichnen würden.“ „Anfangs schon.“, gestand der Schwarzhaarige. „Aber inzwischen habe ich mich an die neue Situation gewöhnt und mich damit abgefunden. Trotzdem werde ich mich wohl niemals mit Vento anfreunden.“ Sie lächelte über diesen Sarkasmus und winkte ab: „Das kann ich verstehen.“ „Ganz im Ernst! Er wird von mir keine Blumen zum Geburtstag bekommen!“ „Ich werde es ihm ausrichten. Er wird sicherlich wahnsinnig getroffen davon sein.“ „Das sollte er auch!“, spottete Andras heiter. „Immerhin hätten wir Saufkumpanen werden können.“ Schmunzelnd gingen sie weiter. Solch eine Unterhaltung konnte ungemein entspannend wirken, wenn der Tod einem folgte. Besser, als permanent nur daran zu denken und nur noch dies als Thema zu führen. Immerhin wurden sie ohnehin ständig an die neuen Umstände erinnert und dass sie jeder Zeit getötet werden konnten. Das bewiesen auch die Leichen, die sie bisher hinterließen...   Es dauerte nicht allzu lange bis sie am Bestimmungsort ankamen. Cazie und Argrim waren auch wieder dort und berichteten, dass sie weder einen anderen Ausgang gefunden hatten noch irgendwas Magisches. Auch sonst hatten sie keinerlei Hinweise gefunden, die ihnen vielleicht verrieten, wohin das Portal sie womöglich führte. Billiana musterte die Schriftzeichen auf den massiven Stein- und Metallringen, die unter meisterlicher Arbeit gefertigt worden waren. Selbst das Portal, welches die Unterwelt mit der Oberwelt verband, war nicht so hochwertig! Außerdem waren hier drakonische Runen eingearbeitet. „Was sagst du dazu?“, erkundigte sich Andras leise. „Könntest du es für einige Minuten zum Laufen bekommen?“ „Ich denke schon.“, murmelte sie zurück. „Dann muss aber alles schnell gehen. Niemand darf beim Durchqueren zögern.“ „Kannst du so irgendwie ausmachen, wohin uns das Portal dann bringen wird?“ „Hier steht nur eines...“, gestand die Elfe. „>Drachen-Heimat<... Das kann alles Mögliche bedeuten. Ich weiß es also eigentlich nicht wirklich... Nicht mal, ob dieser Ort noch existiert.“ „Sollten wir es dennoch wagen?“ „Wir haben keine wirklichen Alternativen, also sollten wir es einfach machen.“ Der Blutmagier wusste, dass sie damit recht hatte und nickte nur. Er wies im Anschluss die beiden anderen Begleiter an, alles gut zu verpacken, was sie noch dabeihatten und sich darauf vorzubereiten, dass sie durch das Portal gehen mussten in eine fremde Welt. Keine einfache Aufforderung, doch sie mussten schließlich bereit sein, wenn es soweit war. Sie brauchten nicht lange, damit sie fertig waren. Immerhin hatten sie die meisten Dinge auf ihrer Reise irgendwann aufgeben müssen. Entweder, weil sie nutzlos gewesen waren oder die Situation ihnen so schweres Gepäck nicht mehr ermöglicht hatte. Nun reisten sie kaum mit mehr, als den Sachen, die sie am Leib trugen! „Brauchst du irgendwas, um das Portal in Betrieb nehmen zu können?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige. „Nein, ich brauche nur mich selbst.“, antwortete sie und erhob sich in voller Größe. „Seid ihr soweit?“ „Ja.“, antworteten die Drei wie aus einem Munde. Ihre Blicke waren ernst und standhaft. Für einige war es das erste Mal, dass sie solch ein Portal durchwanderten. Es war vielleicht auch ihr letztes Mal... Billiana legte ihre Hand an einen bestimmten Punkt des Portals. Dort, wo die Ringe einander kreuzten und die Schriften begannen. Ihre Augen schlossen sich, während sie sich konzentrierte, um nach etwas zu forschen, was tief in diesem Gerät verborgen lag. Es war eine Reise des Geistes, welche die Adern dieses Gerüstes durchwanderten, um alte Geister zu wecken. Gar nicht so unähnlich dem, was sich noch vor Tagen in ihrem Verstand abgespielt hatte! Nur eben lebloser... Sie fand das Herzstück des Portals, welches zurzeit noch leblos und einsam war. Es sehnte sich nach Energie, um wieder wie früher zu laufen und zwei Welten miteinander zu verbinden. Offenbar versuchte es sogar aktiv, Kraft aus der Umgebung zu saugen, jedoch war dieses Unterfangen erfolglos. Es gab nichts, was ansatzweise mächtig genug dafür war. Die Quelle, die das Portal ursprünglich angezapft hatte, war vermutlich durch diese Gier erloschen oder sogar zerstört worden, damit Zodiak es nicht nutzen konnte. Ein kleiner Stich war da. War es richtig, es zu aktivieren, wenn man verhindern wollte, dass Zodiak es nutzte? Vielleicht begriff er auf diese Weise, dass auch er es irgendwie wieder aktivieren konnte. Jedoch musste er dazu den richtigen Magier finden, der entsprechend erfahren war. Davon gab es heutzutage fast keinen mehr. Beschwörer waren rar geworden seit dem großen Krieg. Die Elfe streckte ihre innerliche Hand nach dem Herzen dieses Gerüstes aus und gab ihm die Chance, sich an ihrer Magie zu nähren. Dazu brauchte solch ein Objekt auch keine zweite Aufforderung mehr! So etwas wie Reue empfanden nur echte Lebewesen, welche aber genauso skrupellos nehmen konnten. In diesem Fall war es auch gut so, dass es nicht zu Verzögerungen kam, denn ihre Verfolger würden sie schon bald finden und keine Gnade walten lassen. Ihr wurde etwas schwindlig, als sich das Portal nahm, was es brauchte, doch sie musste es eben zulassen. Es saugte und saugte, dann endlich leuchtete das Becken auf! Es strahlte regelrecht und schien die Beschwörerin zu blenden, welche die Hand von den Ringen riss. Kurz darauf begannen diese sich von selbst zu drehen, um den Weg in die fremde Welt zu öffnen. Dazu musste es erstmal die Verbindung zum anderen Portal herstellen, welches nicht zerstört sein durfte. Endlich klappte es! In dem Becken konnten sie ein verschwommenes Bild einer fremden Welt erblicken. Es war aber nicht wirklich zu sagen, was sie darauf erkennen konnten, wenn sie sich nur genug darauf konzentrierten, denn die Unwissenheit machte es unklar. Es war nur definitiv nicht die Unterwelt. Auch nicht die Zwischenwelt, was auf jeden Fall gut so war, denn dort würden sie sterben. „Geht durch.“, forderte Billie sie auf, als die Ringe sich nicht mehr drehten. „Einer nach dem anderen, aber dennoch möglichst schnell.“ Obwohl sie alle etwas unsicher wirkten, war es Argrim, der als erster den Kopf reckte und einfach schnurstracks durch das Portal ging. Es war außergewöhnlich, wie viel Mut der Zwerg aufbrachte, wobei er sich dem Unbekannten stellte. Kurz darauf ermunterte Andras auch Cazie, die als Zweite in das Becken wanderte und verschluckt wurde. Ihnen würde die Reise wie einige Sekunden vorkommen, doch eigentlich dauerte sie ein paar Stunden. „Geh‘ durch.“, forderte Billiana den Nekromanten auf. „Warum gehst du nicht zuerst?“, hinterfragte er stattdessen. „Weil ich nicht weiß, ob der Durchgang dann nicht in sich zusammenfällt, wenn ich weg bin. Also muss ich als letzte gehen.“, erklärte sie streng. „Und nun beeil‘ dich endlich! Wir haben nicht ewig Zeit.“ „Na gut! Na gut... Wir sehen uns dann auf der anderen Seite.“ Er warf ihr noch einen mahnenden Blick zu, ehe er einfach in das Becken schritt und verschwand. Nun war es beinahe so, als wäre niemals jemand mit ihr zusammen hier gewesen. Als die Elfe sich umdrehte, sah sie den weißhaarigen Hünen und einige seiner Besessenen hinter sich. Die ebenso weißen Augen richteten sich auf das Leuchten. Er verstand offenbar nicht, wie es sein konnte, dass das Portal wieder in Betrieb war. Vermutlich hatte er selbst immer wieder versucht, diesen Durchgang für sich zu nutzen, war aber gescheitert. Sie schmunzelte und zuckte lässig mit den Schultern. Dann kanalisierte sie den Rest ihrer magischen Kraft und schleuderte eine Kugel auf die Tür. Alles krachte ein. Sie konnte hören, wie einige der Verseuchten ächzten und versuchten, dem Steinfall zu entkommen. Zufrieden wandte sie sich ab und ging durch die Pforte. Direkt hinter ihr schlugen die Felsen ein und versperrten jede Möglichkeit, das Portal zeitnah wieder zu befreien und zu nutzen. Vielleicht würden einige Steine sogar die Ringe zertrümmern... Dann wäre es nie wieder nutzbar.   Als sie auf der anderen Seite des Portals waren, waren sie wohl alle gleichermaßen überrascht. Das hier war definitiv nicht die Oberwelt! Höchstens jemand, der farbenblind war würde es nicht auf Anhieb erkennen können, denn gerade das Farbenspiel machte es überdeutlich. Die Grashalme waren nicht nur größer, breiter und kräftiger als auf der Oberwelt, sondern vor allem waren sie nicht Grün, sondern Magenta! Hier und da gab es blauviolette Blüten, die an ebenso magentafarbenen Stielen tanzten. Es gab aber ebenso weiße oder graue Blüten, die nicht ganz so außergewöhnlich waren wie die taubenblauen Blumen. Die blauen Blüten besaßen nämlich lavendelfarbene Stiele und Blätter, statt dem allgegenwärtigen Magenta-Ton. Ihre Augen konnten außerdem am Himmel erkennen, dass dies hier nicht ihre gewohnte Welt war. Sie waren ein sattes Himmelblau gewohnt und bei Unwettern eher ein schmutziges bis graues Blau. Hier aber wirkte der Himmel eher cremefarben oder vielleicht etwas wie Beige. Wolken stachen kaum hervor, die sich in weißen Tönen hielten, wodurch sie fast das normalste hier waren. Außerdem konnten sie zwei Sonnen entdecken! Zumindest vermuteten sie, dass es sich um Sonnen handelte, weil sie eben genauso aussahen. Weiter in der Ferne konnten sie einige Baumreihen ausmachen, die in wilder Weise wuchsen. Ihre Blätterkleider waren ebenso ungewöhnlich, denn es gab sie in Dunkelblau, Rosa, Blauviolett und auch sandfarben. Hier schien gerade Frühling zu sein, also standen wohl alle Pflanzen in voller Blüte. Bei manchen Bäumen konnte man auch Blüten erkennen. Als Billiana sich umdrehte, sah sie das Portal, durch das sie hierhergekommen waren. Es war von wuchernden Pflanzen eingenommen worden, welche durch das Kreisen der Ringe nun zerrissen worden waren. Dennoch war deutlich, dass sich viele der Pflanzen vorher darum geklammert hatten. Direkt an dem Durchgang wuchsen auch einige farbenprächtige Büsche, die ein paar Beeren und Früchte trugen, die in ihren Farben ebenso lockend wie auch verwirrend aussahen. Manche waren Grün, wirkten trotzdem irgendwie reif, andere waren bunt gestreift oder sogar gepunktet. Es sah viel eher gemalt aus! Als befanden sie sich im Bild eines sehr kreativen Kindes, welches gerne mit Farben experimentierte. Die Nährstoffe im Boden müssen ganz anders sein, als es an der Oberwelt der Fall ist. Vermutlich auch die Lichtverhältnisse..., überlegte die Elfe immer noch überrascht. Deshalb sieht hier einfach alles so vollkommen anders und fremd aus. Würden wir einen Setzling hierherbringen, würde er entweder sterben oder sich ebenso verändern. Das wäre fast einen Versuch wert... Jedoch würde sie niemals in solch ein Ökosystem eingreifen, weil es alles verändern oder sogar zerstören konnte. Falls es hier noch intelligentes Leben gab, würde das sich nicht freuen, wenn sie Spielchen trieben. Es würde vielleicht jede Chance auf ein Überleben zerstören, welche sie mal gehabt hatten! „Das ist ja... überwältigend...“, gestand Cazie als erste keuchend. „Ich habe noch nie so viele Farben auf einmal gesehen! Und schon gar nicht derartig kräftig...“ „Ja, geht mir auch so.“, erwiderte Argrim.  Billiana zuckte mit den spitzen Ohren. Der Zwerg klang nicht gut, also drehte sie sich zu ihm. Er wirkte nicht gerade glücklich mit dieser Art von Reizüberflutung, die für ihn befremdend sein musste. Zwerge waren in der Regel keine Künstler und hatten auch keinen Geschmack dafür. In ihren Gemäuern fand man eigentlich nur selten Gemälde, Glasbilder oder prunkvolle Teppiche. Sie zogen die rustikale Wohnweise vor. Nun war er natürlich extrem überfordert mit dieser Vielfalt! Noch mehr, als sie es waren. Als Kinder hatten sie vielleicht mal mit teuren Farben von Händlern hantiert oder sie besuchten einst Ausstellungen von Meisterwerken. Billie hingegen kam aus einer ganz anderen Welt und bereiste diese relativ furchtlos und kannte die Möglichkeiten, die daraus hervorgehen konnten. So oder so: Jeder hier war mehr mit so etwas in Kontakt gekommen als Argrim. Wenn er sich zu sehr übernahm, dann würde er sich vermutlich übergeben... Er sah schon jetzt etwas blass um die Nase herum aus und seine Beine wirkten seltsam unstabil. Es konnte auch von der Luft hier kommen. Die musste genauso anders sein als auf der Oberwelt. Wenn sie Pech hatten, würden die Umstände hier sie alle nach und nach krank machen... „Geht es dir gut, Argrim?“, erkundigte sich die Elfe besorgt. „Du siehst gar nicht gut aus.“ „Bestens, bestens...“, winkte er nur ab. „Ist nur ein bisschen ungewohnt. Wenn ich mich daran gewöhnt habe, wird es mir bestimmt bessergehen.“ „Ansonsten lassen wir dich zum Sterben hier zurück, keine Sorge.“, lachte Andras amüsiert. „Hier gäbe es zumindest ein paar wirklich schöne Blumen für ein Begräbnis.“, sagte Billie salopp. „Außerdem auch ein paar Beeren und Früchte zum Verzieren. Könnte eine wirklich schöne Zeremonie werden.“ Die Blicke wanderten langsam zu der Blondine, die sich weiter in der Umgebung umsah. Ihren Sinn für Humor kannten sie bereits etwas schwarzer, doch langsam schien er sich wirklich zu entwickeln. Wenn sie nicht aufpasste, wurde sie irgendwann doch noch ganz lustig! „Lasst uns aufbrechen.“, schlug sie schließlich vor. „Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir haben, bevor Zodiak einen Weg hierher findet, also sollten wir lieber nicht trödeln.“ „Außerdem haben wir nicht mehr besonders viele Vorräte.“, erinnerte der Nekromant sie. „Wir haben keine Ahnung, was hier giftig und was essbar ist. Wenn unsere Vorräte leer sind, müssen wir raten... Es wäre besser, wenn es nicht soweit kommen würde.“ „Du hast vollkommen recht. Diese Lage sollten wir auf keinen Fall riskieren.“ „Na gut...“, brummte Argrim erschöpft. „Lasst uns gehen. Ich packe das schon irgendwie.“ Auch wenn es anzumerken war, dass es dem Zwerg wirklich schwerfiel sich in dieser Umgebung zu bewegen oder umzusehen, zwang er sich dennoch dazu. Er versuchte sogar, sie nicht zu verlangsamen! Stets ging er mit schnellen Schritten hinter ihnen her und achtete dennoch akribisch auf die Umgebung. Sie wussten nicht, welche Gefahren hier auf sie lauerten, also mussten sie weiterhin wachsam sein. Zodiak konnte durchaus weltenübergreifend sein Unwesen treiben. Eventuell gab es auch hier bereits Verseuchte oder er hatte die Zivilisation schon lange ausgelöscht, um die Welt schließlich sich selbst zu überlassen. Es war gut möglich, dass das Portal deshalb einst abgeschaltet wurde, damit niemand hierher geriet. Im Augenblick konnten sie über diese Welt nur Vermutungen anstellen, die sie erst bestätigen oder widerrufen konnten, wenn sie Ruinen oder Städte fanden. Irgendwas musste es hier ja geben, falls es mal menschenähnliches Leben gegeben hatte! Kein Volk verließ eine Welt ohne Spuren zu hinterlassen. War es in Form von Runen, Schriften oder eben Ruinen. Argrim suchte nach eben solchen Anzeichen, die ihnen verrieten, ob es hier noch andere Menschen oder etwas Ähnliches gab. Dafür riskierte er, dass die Reizüberflutung ihm doch noch Übelkeit bescheren könnte. Dennoch war er derjenige, der direkt neben Andras stramm und mühsam sein Tempo hielt. Es half ihm offenbar, dass er sich mit dem Vampir messen konnte. Wer aber wirklich bei ihnen nun zurückfiel und sich seltsam verhielt, war eigentlich Cazie. Sie sah sich kaum um und suchte nicht mal nach eventuellen Lebenszeichen oder alten Relikten von früherer Zivilisation. Ihre grünen Mandelaugen waren eigentlich eher konsequent auf den Boden gerichtet. Nicht, weil sie dort die Farbenpracht faszinierte, sondern sie sah eher aus, als quälte sie etwas. Deshalb überließ die Elfe die Spitze und Führung den Männern. Sie ließ sich stattdessen zurückfallen, damit sie neben der Rothaarigen gehen konnte. Erst nur schweigend, während ihre eisblauen Augen sich umsahen. Cazie schien sie gar nicht wirklich wahrzunehmen. „Es ist doch irgendwie schön hier, wenn auch etwas sehr bunt, oder?“, plauderte die Elfe schließlich los. „Selbst die Vögel im Himmel scheinen wahnsinnig farbenprächtig zu sein. Ihr Gesang klingt außerdem irgendwie anders...“ Cazie schrak auf, als sie so plötzlich mit ihr sprach und riss den Kopf hoch. Nun wurde ihr offenbar erst bewusst, dass da wirklich jemand neben ihr wanderte. Sofort versuchte sie den Brustkorb durchzudrücken und etwas straffer zu wirken: „Oh ja, es ist wirklich traumhaft hier! So etwas habe ich noch nie gesehen... Ich kenne nur das Dorf.“ „Hast du denn nie etwas Anderes sehen wollen, als dieses kleine Dorf am Berghang?“, erkundigte sich Billiana neugierig. „Gab es nicht die Träume von eben solchen fremdartigen Welten? Den Wunsch, diese zu besuchen?“ „Nein.“, gestand die Heilkundige überaus ehrlich. „Ich war immer zufrieden.“ „Zufrieden wirkst du im Augenblick nicht gerade... Weil du das Dorf verlassen musstest?“ Es wurde still zwischen ihnen. Die Elfe schob es darauf, weil die junge Frau vermutlich nicht darüber sprechen wollte. Vielleicht hielt sie sie auch für die falsche Gesprächspartnerin... Immerhin sah Billie nicht so aus, als sei sie einige Jahrhunderte aus. Cazie wirkte sogar älter als sie! Für sie musste es sein, als sprach sie mit einer Jugendlichen, die alles besser wusste. Deshalb übte sie auch keinen Druck auf die Waise aus, die alles verloren hatte. Wenn sie sich jemanden anvertrauen wollte, dann würde sie es selbst wissen und wer es dann sein sollte. Vielleicht zog sie dann eher Andras vor... Ihr Verhältnis scheint recht eng zu sein... Vampire neigen dazu, nymphoman zu sein, aber für ihn war es offenbar nicht nur der Trieb nach Sex., überlegte die Blondine. Er ist kein geborener Vampir, also hat er vielleicht noch die Wünsche nach Monogamie in sich. Es wird sich aber sicherlich noch verlieren... Außer, er liebt sie wirklich aufrichtig. Danach konnte sie keinen der beiden fragen. Er würde es abstreiten und sie wäre vermutlich eher verlegen als offen. Neugier konnte zudem der Katze Tod bedeuten und das wollte sie ebenfalls nicht riskieren. Da gab es in ihrem Herzen genug eigenes Chaos, das sie zu bewältigen versuchte. „Weißt du, wer deine Eltern sind?“, fragte Cazie plötzlich und riss Billiana aus ihren Gedanken. „Ja, das weiß ich.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Meine Mutter starb an einer Krankheit, weil sie den Wechsel in eine andere Welt nicht verkraftet hat und mein Vater ist ein sadistischer Herrscher einer anderen Welt. Der Unterwelt...“ „Oh... Du bist nicht von der Oberwelt?“ „Nein, das bin ich nicht.“, gestand sie. Cazie war immerhin neu in ihrer Gruppe und hatte bisher kaum etwas mitbekommen. Nicht mal, wie diese Truppe entstanden war und weshalb sie diese Schwierigkeiten auf sich nahmen. Auch die Fähigkeiten der Einzelpersonen mussten für sie immer wieder erschreckend und überraschend sein. „Wie alt bist du?“ „Etwa zwei Jahrhunderte. Aber wer zählt schon mit?“ „Zwei Jahrhunderte?!“, hinterfragte die Rothaarige vollkommen schockiert. „Du siehst aus, als hättest du vielleicht sechszehn oder siebzehn Winter überstanden! Selbst für eine Elfe siehst du jung aus...“ „Das höre ich öfters.“, sagte sie gelassen. „Die Heiler vermuten, dass ich aus einer mentalen Blockade heraus nicht richtig erwachsen werde. Wenn ich die überwinde, kann ich diese Gestalt vermutlich ablegen...“ „So etwas habe ich noch nie gehört... Ich wäre auch nie darauf gekommen, dass das passieren kann.“, offenbarte Cazie. „Also bist du eine Langlebige, ja? So eine... Unsterbliche?“ „Ja, das ist korrekt. Wobei ich den Begriff Langlebige wirklich vorziehe. Unsterblichkeit trifft einfach nicht zu.“ „Faszinierend...“ Für die Blondine war diese Tatsache Alltag und nicht mehr so faszinierend. Trotzdem verstand sie durchaus, dass Außenstehende es nicht fassen konnten. Es war ebenso faszinierend für diese, wie es für sie faszinierend war, welche Vielfalt an Früchten, Pflanzen und Tieren die Oberwelt anbot. Ihr Blick huschte in den Himmel. War da eine gigantische Gestalt gewesen? Etwas wie eine riesige Fledermaus oder eine geflügelte Echse... Die Sonnen hatten sie wohl eher geblendet, denn einen solchen Schatten konnte sie nicht erneut ausmachen oder irgendwo in der Ferne erspähen. Mit den Gedanken war sie eben auch nicht ganz bei der Sache, wenn die Elfe ehrlich war. Über die Unterhaltung nachzudenken, sich an früher zu erinnern und die Umgebung zu sondieren war nicht einfach. Dabei würden ihr sicherlich die ein oder andere Sache entgehen oder sich Gebilde abspielen, die gar nicht da waren. Das gehörte wohl einfach mit dazu. „Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind.“ „Hast du nicht mal Hinweise?“, erkundigte sich die Elfe. „Doch, einen habe ich...“, gestand Cazie. „Ein Amulett, auf dem mein Name eingeprägt wurde. Also war meine Familie vermutlich wohlhabend.“ „Zumindest angesehen genug, damit sie einen Familiennamen tragen durften. Muriel, richtig?“ „Ja, ganz genau.“ „Machst du dir deshalb so viele Gedanken?“, hinterfragte sie schließlich. „Weil du nicht genau weißt, woher du ursprünglich gekommen bist?“ „Ja, genau.“, gestand die Heilkundige. „Es lässt mich nicht mehr so richtig los. Immer wieder frage ich mich, ob sie mich nicht gewollt haben oder weshalb sie mich dann weggeben haben. Um mich zu beschützen? Um sich selbst zu schützen? Wurde ich entführt, um verkauft zu werden? Haben sie mich selbst verkauft? Eine ganze Weile habe ich versucht, nicht mehr darüber nachzudenken. Doch desto mehr ich es versucht habe umso intensiver schlich es sich in mein Unterbewusstsein. Ich träumte von den Möglichkeiten, driftete am Tag mal sinnierend weg. Natürlich habe ich versucht anhand des Familiennamens Antworten zu finden, doch ich hatte keinen Erfolg. Die Reisenden und Händler kannten den Namen nie.“ „Ich kann deine Suche nach Antworten durchaus nachvollziehen und es würde mir vermutlich nicht viel anders gehen.“, erwiderte die Elfe im ruhigen Tonfall. „Dennoch will ich dich fragen, was die Antworten prinzipiell für dich ändern würden? Was erhoffst du dir bei dieser Suche zu finden?“ „Ich... Ich weiß es nicht.“ „Egal, wer deine Eltern einst waren und egal, aus welchem Grund sie dich nicht behalten konnten, es spielt letztendlich keine Rolle. Du hast ein Zuhause gefunden und auch eine Familie.“, sagte sie aufrichtig. „Man sagt zwar, dass Blut dicker sei als Wasser, doch das ist nicht wahr. Blut sagt letztendlich nicht aus, wer du bist oder sein wirst. Vielleicht solltest du dich eher fragen, ob du eine glückliche Kindheit in diesem Dorf hattest. Es könnte ratsam sein, wenn du mal darüber nachdenkst, ob du woanders jemals so glücklich hättest sein können. Wenn du diese Leute in dem Dorf geliebt und ihnen vertraut hast, dann ist es letztendlich alles, was zählt.“ Ihr fiel auf, dass der Rothaarigen die Tränen in die Augen schossen. Bei ihrer Suche hatte sie den Blick für das Wesentliche verloren und vergessen, was sie alles im Leben gehabt hatte, auch wenn jene, die es ihr gegeben hatten, nicht mit ihr blutsverwandt waren. Doch sie hatten sie geliebt! Soviel Liebe hätte sie vielleicht niemals von ihren wahren Eltern erfahren. Cazie versuchte die Tränen aus ihren Augen zu reiben, doch sie entstanden immer wieder neu. Es war ein ewiger Teufelskreis! Dennoch ließ Billie zu, dass sich die Rothaarige erstmal wieder beruhigte und die Gedanken sortieren konnte. Sie jetzt zu bedrängen oder direkt trösten zu wollen, würde keiner von ihnen helfen. „Nun kommt es mir vor, als hätte ich das Andenken des Dorfes beschmutzt!“, schluchzte sie aufgewühlt. „Hast du nicht. Sie würden es verstehen.“ „Alle haben sie mich so unendlich stark geliebt!“, gestand sich Cazie endlich ein. „Sie haben ihr ganzes Erspartes aufgegeben, um mich von diesem Menschenhändler zu kaufen. Im Anschluss gaben sie mir zu Essen, ein Dach über den Kopf, Liebe und später eine Ausbildung. Ich war für sie niemals eine Außenseiterin... Nie war ich eine Fremde.“ „Und das ist wichtig für das Großwerden eines Kindes. Ob diese Dinge ein direkter Verwandter gibt oder eigentlich Fremde spielt keine Rolle.“, sagte sie offen. „Dennoch ist die Frage nach der eigenen Herkunft keineswegs verwerflich oder falsch. Jeder versteht deine Suche nach Antworten. Nur muss man manchmal auch lernen, loszulassen. Besonders dann, wenn es einem im Weg steht.“ „Ja, damit hast du vollkommen recht.“, gab Cazie zu. „Es ist mir im Moment nur im Weg und ich hatte eine wundervolle Kindheit, die besser nicht hätte sein können. An sich habe ich nichts, was ich bereuen könnte. Wo warst du nur all die Jahre? Es wäre schön gewesen, wenn mir das mal einer früher hätte sagen können. Es hätte mir einiges erspart...“ „Alles was gut ist, braucht eben Zeit.“, schmunzelte die Elfe amüsiert. „Besser spät eine Antwort bekommen, die einem Frieden schenkt als nie.“ „Das ist wahr. Es schenkt mir jedenfalls viel Frieden. Vielen Dank, Billie... Vielen, lieben Dank.“ „Dafür nicht.“, erwiderte sie abwinkend. „Ich habe letztendlich rein gar nichts getan.“ Aber das was sie getan hatte, schien auszureichen, damit die Heilkundige ihre Schultern straffen und aufgemuntert voranschreiten konnte. Natürlich wusste sie immer noch nicht, woher sie gekommen war, doch nun spielte es auch keine allzu große Rolle mehr für sie. Es gab ihr Kraft, um vielleicht später in Ruhe nach dieser Antwort zu suchen. Wenn sie diese vielleicht mal fand, dann würde das Ergebnis sie vermutlich auch nicht mehr so erschüttern, auch wenn es ungünstig ausfiel. Nun gab es immerhin etwas Anderes, woran sie sich festhalten konnte, wenn sie mal schwankte. Lächelnd schritt Billiana wieder weiter voran, während Cazie zu den Männern aufschloss. Sie waren überrascht, dass die Damen so schwungvoll und heiter wirkten, stellten es jedoch nicht in Frage. Immerhin war es besser so! Stets mit hängendem Kopf und schwarzer Seele zu reisen, konnte dauerhaft für niemanden förderlich sein. So waren sie voller Energie, um auf ihre Umgebung zu achten. Trotzdem war es beunruhigend, dass es hier kein einziges Lebenszeichen gab. Doch irgendjemand musste einst das Portal aufgestellt und betrieben haben! So etwas entstand nicht einfach so... Das war kein Baum, dessen Samen irgendwann einen magischen Durchgang hervorbrachte, sondern ein Meisterbauwerk aus alten Tagen. Wobei sich Gelehrte aller Völker darum stritten, welches Volk ursprünglich die Erbauer waren. Billie war das vollkommen egal. Ob es nun Zwerge, Elfen, Menschen oder Drachen errichtet hatten, tat der Funktionalität keinen Abbruch, denn es verband immerhin zahlreiche Welten in einem großen Netzwerk miteinander. Wenn irgendwann herauskam, wer genau dafür verantwortlich war, würde sie diese Person von oben bis unten mit Küssen überhäufen! Danach hätte sie zahlreiche Fragen zu diesen magischen Relikten... Nun aber bestaunten sie alle lieber die Vielfalt und Farbenpracht dieser unbekannten, fernen Welt. Überall gab es Blumen, Bäume, Büsche und saftiges Gras. Die Oberwelt wirkte dagegen beinahe schon wie eine ausgedörrte Wüstenlandschaft, deren Glanz für immer verloren war. Was mag nur das Geheimnis dieser Welt sein? Wie können die Pflanzen hier derartig gedeihen...?, überlegte Billie. Es gab auf der Oberwelt auch sehr schöne Wälder, doch sie waren nicht ansatzweise so eindrucksvoll. Vor allem aber waren sie seltener geworden... Die Menschen holzten leider Unmengen an Bäumen ab. Andras, Cazie und Argrim plauderten ausgelassen miteinander über diese traumhafte Kulisse und deuteten hier und da mal auf bestimmte Pflanzen. Manchmal auch auf Steine, denn diese waren hier meistens kunterbunt! Als hätte man zahlreiche Farbtöpfe über sie verschüttet und hier und da verwischt... Das gab dem Ganzen eine ganz eigene Atmosphäre. „Vorsicht!“, schrie Billiana plötzlich und zerstörte das wundervolle Gespräch zwischen den Freunden. Sofort stießen die Männer Cazie zurück, um ihre Waffen verteidigend zu ziehen, doch noch erkannten sie nicht, was die Elfe gemeint hatte. Schließlich stürzte sich ein Tier wagemutig aus den Büschen hervor und stürmte direkt auf die kleine Truppe zu! Da es auf allen Vieren lief, ging es ihnen bis zur Hüfte, doch stünde es aufrecht, hatte es sicherlich die Größe eines Menschen. Dazu kam der üppige Körperbau der Kreatur, der von einem stabilen Panzer geschützt wurde. Als wäre das alleine nicht schlimm genug, waren darauf Stacheln! An ihnen klebte sogar noch Blut und Gewebe... Schnaubend steuerte das Tier direkt auf Billiana zu, die geschickt ausweichen konnte. Das hielt es natürlich nicht auf, denn es drehte sich einfach herum und stürmte nun auf die Männer zu. Argrim war es, der mit seiner mächtigen Streitaxt ausholte und sie direkt auf das Tier niedersausen ließ. Er traf den stabilen Panzer! Dennoch knackte es hässlich und das Tier kreischte lautstark auf, sodass die nahen Vögel aufgeschreckt wurden. Der Zwerg riss seine Waffe wieder aus dem Rücken und hoffte, dass sich das Tier nun aus Angst zurückziehen würde, jedoch wirkte es eher noch wütender. Angefacht von neuem Eifer nahm es Anlauf und stürmte direkt auf Argrim zu, der im letzten Moment einen Hechtsprung zur Seite machen konnte. Nur einen Herzschlag später und es hätte ihn erwischt! Stattdessen traf die Bestie die Heilkundige. Sie schrie schmerzhaft auf, als die Stacheln ihren Körper durchdrangen. Der braune und silberne Körper des Tieres verfärbte sich rot und schwarz. Es riss die junge Frau hin und her, ehe sie diese einfach über den Boden schleuderte. Just in diesem Moment stürzte sich die Blondine über die Kreatur und rammte ihr Schwert komplett durch den Körper des Tieres. Immerhin hatte die Axt einen Spalt in dem Panzer hinterlassen, den sie als Schwachpunkt nutzen konnte. Es ächzte und röchelte, dann sackte es in sich zusammen mit allen Vieren von sich gestreckt. Sicherlich kein ehrenvoller Tod, doch das Tier hatte selbst entschieden sie anzugreifen. Andras kniete derweil über Cazie und versuchte die stark blutenden Wunden irgendwie zu zupressen. Natürlich brachte das nicht wirklich viel. Gerade, weil auch die schwarze Schlacke aus den Adern suppte. „Seit wann...?“, hinterfragte der Nekromant atemlos. „Wieso hast du nicht gesagt, dass du infiziert wurdest?“ „Es... war nicht... die richtige Zeit...“, keuchte sie atemlos zurück. „Wir... mussten doch immer-... immer wieder fliehen...“ „Seit den Ruinen.“, beantwortete Billie die andere Frage des Vampirs. „Seitdem hat sie sich über alle möglichen Dinge Gedanken gemacht und mit sich selbst gerungen. Noch ein paar Tage länger und sie wäre auch ins Koma gefallen.“ Nur wäre sie wohl als Marionette zurückgekehrt, weil keiner von uns hier die Möglichkeit hätte, ihr zu helfen., dachte sie für sich. Es wäre taktlos, diese Gedanken laut auszusprechen. Für Andras war die Rothaarige offenbar wichtig und vor allem etwas Besonderes. „Es tut... mir sooo leid...“, richtete die Rothaarige wehmütig an Andras. „Ich war euch... die ganze Zeit bloß... eine Last...“ „Nein, nein...“, sagte er kopfschüttelnd. „Du warst uns keine Last... Du hast geholfen, Billie zu retten. Ich danke dir so sehr.“ Mit einem Lächeln schlossen sich die Augen der viel zu jungen Frau. Sie hatte so viele innere Konflikte gehabt und nur allzu gerne hätte die Elfe ihr mehr dabei geholfen, doch offenbar hatte es nicht sein sollen. Andras senkte den Kopf und machte sich offenbar Vorwürfe für ihren Tod. Plötzlich riss Cazie ihre Augen wieder auf, nur waren es nicht ihre! Sie waren dämonisch und weiß. Sie griff nach dem Gürtel des Nekromanten und riss einen Dolch an sich, der daran befestigt gewesen war. „Vorsichtig, Andras!“, schrie Billiana warnend. Es war zu spät, damit der Dunkelhaarige reagieren konnte. Sie rammte ihm einfach den Dolch in die Seite und stieß ihn dann von sich weg. Argrim hob verwirrt die Axt, denn er war sich so sicher gewesen, dass sie zu schwer verletzt sei und dementsprechend kein interessantes Ziel mehr. Bisher hatte er jeden Sterbenden im Stich gelassen... Zodiak schien sein Verhalten zu verändern. Seine Taktik einfach an die Situation anzupassen. Cazie lächelte, doch es war ein seltsam verzerrtes Lächeln. Es wirkte so falsch, als sei sie nur eine Puppe und ihre Lippen bloß aufgemalt. Immer wieder rotierte sie mit dem Dolch in den Fingern, als habe sie ihr Leben lang nichts Anderes getan. Derweil träufelte sie die schwarze Schlacke auf den gestohlenen Dolch. Wie ein Lebewesen schloss es sich um die Klinge und schien auf eine wirklich unheimliche Art und Weise damit zu verschmelzen. Als sei es eine sehr flexible Legierung... So schnell erschuf Zodiak eine absolut tödliche Waffe, die vermutlich auch schnell andere infizieren konnte, wenn man sie damit verletzte. Sie hatte sie noch nicht vergiftet, als sie nach Andras schlug..., dachte die Elfe beruhigt. Solange Zodiak darauf nicht kommt, kann er sich von dem Treffer vielleicht noch erholen. Wobei der Schaden in seiner Seele, seinem Herzen und seinem Geist wesentlich schlimmer sein würde, als der Stich mit der Waffe in seinen Körper. So etwas wog einfach schwerer... Auch wenn es nicht wirklich Cazie gewesen war, musste es dennoch ein furchtbarer Augenblick gewesen sein. Er hatte stark empfunden. „Alles um dich herum stirbt, Billie.“, sagte Cazie mit dieser hässlichen Fratze. „Ist es dir etwa noch nicht aufgefallen? Du ziehst einen Schwanz aus Leichen hinter dir her.“ „Das gilt auch für dich, Zodiak.“, erwiderte sie gefasst. „Nur bringt es dir Spaß, das zu tun und mir nicht. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht beenden kann.“ „Selbst, wenn du es schaffen würdest, mich aufzuhalten, würde es nichts an deiner Bestimmung ändern, Kind.“, erwiderte er mit der Stimme einer ehemaligen Freundin. „Du bist ein Splitter Gottes. Das macht dich mächtig, doch es zieht auch stets Übel an, weil all das Böse nach dieser Macht strebt. Dein Licht erstrahlt so hell, dass die Schatten umso dunkler werden, die sich um dich herum räkeln. Auch wenn ich mal weg bin, werden jene sterben, die du liebst und es werden sich immer wieder Verbündete gegen dich stellen. Immer und immer wieder wirst du kämpfen müssen. Du wirst das Licht verteidigen, das du ausstrahlst und welches dich warmhält. Ohne es, wärst du nur eine von vielen... Mit es, bist du eine laufende Gefahr.“ Billiana senkte die dunklen Wimpernkränze und presste die Lippen zu einem Strich zusammen. Sie wusste natürlich, dass sie stets vom Tod umgegeben gewesen war und ihr war auch stets klar gewesen, dass sie verhältnismäßig oft von machtgierigen Bestien attackiert worden war, doch bis heute war ihr nie der Grund bewusst gewesen. Sie trug offenbar eine uralte Macht in sich, die Wellen ausströmte, welche Haie anlockten... „Ich habe mir nie ausgesucht, geboren zu werden.“, sagte sie schließlich. „Und ich habe mir auch nie ausgesucht, als was oder wer ich geboren werde. Ich sehe es jedoch auch nicht ein, dass ich es als Strafe ansehen soll, dass es so ist. Wer ich bin, spielt einfach keine Rolle! Es ist entscheidend, was ich zu tun gedenke.“ „Es gibt aber auch viel einfacher. Du müsstest dich nur ergeben und ich würde es beenden.“ „Niemals. Ich gebe nicht auf! Nicht so kurz vor meinem Ziel.“ „Wie kommst du darauf, dass du nur ansatzweise am Ziel bist?“, amüsierte sich Zodiak über Cazies Gestalt. „Du bist irgendwo im Nirgendwo und weißt nicht, wohin du als nächstes gehen sollst.“ „Das glaubst auch nur du.“, erwiderte sie keck. „Ich spüre es überdeutlich. Und du spürst es auch, deshalb bist du hier.“ „Wenn es das ist, was du willst, will ich dir nicht im Weg stehen.“ Der Körper der Rothaarigen setzte sich rasend schnell in Bewegung, als habe sie sehr wohl das Kämpfen gelernt. Argrim war unwichtig geworden, der sich gerade um Andras zu kümmern versuchte. Da war nur Billie! Im letzten Moment schaffte sie es, den Schild zu heben, damit der schwarze Dolch dagegen schmetterte, doch Cazie trat direkt gegen ihr Schienbein. Schmerzhaft ächzte Billiana auf und taumelte etwas zurück. Man merkte sofort, dass Zodiak sich ganz alleine auf die Lenkung der Rothaarigen konzentrierte und nicht auf andere Marionetten. Sie bewegte sich geschmeidig, zielstrebig und nutzte jede Lücke sofort für sich aus. Unabhängig davon, dass sie an sich nicht trainiert oder ausgebildet war. Immer wieder musste Billiana ihren Schild hochreißen, um den schwarzen Dolch abzuwehren, gleichzeitig aber Fläche aufgeben, weil Cazie stets nach ihr trat oder schlug. Sauber war dieser Kampf ganz und gar nicht, was ihr aber auch nicht wirklich half. Sie selbst kam ja nicht mal dazu, selbst mit schmutzigen Tricks zu arbeiten! Zwar sah der Zwerg immer wieder zu ihnen, war jedoch mit der Verletzung des gemeinsamen Gefährten vollkommen ausgelastet. Ständig musste er sie zudrücken, während er nach möglichen Verbänden oder Salben fummelte. Irgendwas musste nun die Blutung dauerhaft stoppen! Schön musste es vorerst nicht sein. Nicht mal korrekt. Letztendlich sollte es dem Vampir lediglich dabei helfen, seine Verletzung zu heilen. Argrim konnte nicht wissen, dass Andras dabei keine Hilfe brauchen würde. Nicht solange der schwarze Dolch ihn nicht traf. Vampire waren unempfindlicher, wenn es um Verletzungen ging und waren sogar fast unmöglich zu töten! Außer ihr Feind war ein Lykaner, dann sah die Sache wieder ganz anders aus. Oder es ging um eine magische Waffe, die für die Jagd nach Vampiren entwickelt wurde. Dazu konnte man vermutlich auch die Waffen zählen, welche Zodiak mit der Schlacke versetzte. Dennoch war es besser, wenn niemand in den Kampf einschritt. Es sorgte nur für unnötiges Chaos, welches jetzt schon massiv genug war. Vor allem weil sich die Elfe gehemmt fühlte. Ihr Angreifer war kein Fremder und eigentlich war es auch kein Feind, sondern ein vertrautes Gesicht. Die Heilkundige hatte viel für ihre Rettung getan! Eigentlich verdiente sie etwas Besseres. „Cazie!“, rief sie keuchend ihren Namen. „Du musst das alles nicht tun! Du bist stärker als er... Wir hatten uns unterhalten und du weißt nun, dass die Suche nach mehr nichts ändert.“ „Glaubst du wirklich, dass ihr das reichen würde? Dass das überhaupt reicht?“, hinterfragte Zodiak kichernd. „Sie ist schwach, Billie. Sie ist nicht wie du.“ „Sie ist nicht schwach und ich bin nicht stark!“ „In ihren Augen bist du es, Kind. In den Augen deiner ganzen Gefährten bist du stark. Du bist ihr aufsteigender Gott.“ „Das will ich aber nicht sein...“, widersprach die Blondine und schlug mit dem Schwert endlich zurück. „Ich bin einfach nur Billie!“ Jetzt hatte Zodiak alle Mühe und Not sich gegen ihre Angriffe zu wappnen. Das gewonnene Land ging wieder verloren, während Cazies Körper an ihre Grenzen stieß. So viel Ausdauer, Kraft und Balance besaß sie einfach nicht, damit ein solcher Kampf dauerhaft möglich war. Billiana nutzte ihren Vorteil und holte zu einem mächtigen Schildschlag aus. So konnte sie Zodiak zurücktaumeln lassen und mit dem Schwert zu einem schwungvollen Hieb ausholen. Plötzlich riss die Rothaarige flehend ihre Hände hoch: „Nicht! Bitte nicht!“ Die weißen, dämonischen Augen waren verschwunden und auch die unheimliche Aura. Sofort stoppte Billiana ihren Angriff und starrte verwirrt auf sie herab. Die Heilkundige wand sich und schien nicht zu verstehen, was hier eigentlich los war. Das Urböse hatte die Kontrolle über sie verloren. „Cazie?“, hinterfragte Billie blinzelnd. „Wie ist das möglich?“ „Ich-... Ich kann es schaffen!“, schwor sie. „Ich bin stark genug, um Zodiak zu besiegen!“ Alles in der Elfe schrie danach, dass es eine Falle war, doch da war dieser hoffnungsvolle Teil, der etwas lauter klagte, dass sie es war. Jeder konnte die Kraft entwickeln, um solch einer Besessenheit zu trotzen, auch wenn es auf keinen Fall einfach war. Auch ein Menschenmädchen! Sie musste nur etwas in sich gefunden haben, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Deshalb nickte sie und streckte die Hand nach der Rothaarigen aus. Sie half ihr wieder auf die Füße zu kommen, dessen Halt sie selbst noch verhindert hatte. Erleichterung breitete sich in ihr aus und dann schließlich... Schmerz. „Du bist so naiv.“, säuselte Cazie direkt in ihr feines Elfengehör. „Glaubst du denn wirklich, dass ich die Kontrolle über so einen Jammerlappen verlieren würde? Bestimmt nicht unfreiwillig.“ Mit dem Schmerz kam die Einsicht. Das Urböse hatte nur die unschuldige Cazie gespielt, damit sie Vertrauen fasste und er nah genug herankam. Vermutlich war sie schon lange tot... Vielleicht schon seit dem Zeitpunkt, als er sie infiziert hatte. Zodiak war nicht dumm und er wusste durchaus im Kopf der Leute zu wühlen, damit er ihre groben Eigenschaften lernen und einsetzen konnte. Normalerweise gegen die Person selbst, doch so ging es natürlich auch. Die Blondine senkte den Blick und erkannte, dass Zodiak den schwarzen Dolch in ihre Seite gerammt hatte. Nun drehte er die Klinge genüsslich, was zu noch mehr Schmerzen führte und zu einem unsauberen Wundrand. Es tat so höllisch weh! Wobei sie nicht mal sagen konnte, wie tief die Waffe überhaupt in ihr steckte. Zodiak riss den blutigen Dolch wieder aus der Wunde und holte damit aus. Sie reagierte instinktiv und riss das Schwert in die Höhe, um es direkt durch den Kehlkopf bis tief in den Kopf zu rammen. In diesem Augenblick verlor sich Zodiak wirklich und gab Cazie frei, deren Augen vom Schock geweitet waren. Sie war sofort tot... Und Billiana mindestens genauso schockiert darüber wie die einstige Weggefährtin. Zitternd zog sie das Schwert heraus, wodurch der Körper jede Stütze verlor und einfach in das farbenprächtige Gras stürzte. Die schwarze Schlacke und das Blut breiteten sich darin aus, um in einer gigantischen Lache in die Erde zu sickern, als wäre nie etwas gewesen. „Bist du verletzt?“, wollte Argrim wissen und eilte zu der Elfe. Ihr war nicht mal bewusst gewesen, dass sie auf ihren Knien zusammengesackt war und apathisch den Leichnam anstarrte. Erst die Sorge des Mannes machte ihr das bewusst, der etwas an ihrem Leib schüttelte. Doch sie war wie in Trance und unfähig darauf richtig zu reagieren oder ihm zu antworten. Nur der gigantische Schatten von Andras machte klar, dass er wieder zu sich gekommen war. Er stand über ihr und der Leiche. Billie wagte es nur schwermütig den Blick zu heben und in den roten Augen danach zu forschen, ob er wütend auf sie war oder sie sogar verabscheute. Da war nichts. Nichts, außer aufrichtiger Trauer für seinen Verlust. „Es-... Es tut mir-... Es tut mir so-... so leid...“, stammelte die Blondine atemlos. „Das-... Ich wollte das... nicht...“ „Alles gut...“, flüsterte Argrim und drückte sie tröstend an sich. „Sie hat dir ja keine Wahl gelassen. Er hat dir keine Wahl gelassen... Das war nicht Cazie. Sie wäre niemals zu solch einem Verrat fähig gewesen.“ „Das ist wahr... Das war nicht Cazie, sondern Zodiak. Er hat sie getötet und nicht du.“ Obwohl Andras das zugestand, kam es Billiana nicht vor, als würde er es wirklich glauben. Ein Teil von ihm hasste sie. Ein Teil von ihm glaubte, dass wenn sie es nur mehr versucht hätte, sie den Tod von Cazie hätte verhindern können, indem sie sie zurückholte. Der andere Teil in ihm wusste, dass das unmöglich war, weil die Besessenheit zu weit fortgeschritten gewesen war... Dennoch brauchte er einen Schuldigen für seinen Verlust. Zodiak würde es definitiv bereuen, dass er sich gerade die Heilkundige als Waffe erwählt hatte. Einen so mächtigen Magier zu erzürnen, war selbst für das Urböse ein wahnsinniger Fehltritt.   Nachdem Billiana sich wieder einigermaßen gefasst hatte, schleppten sie den Leichnam der jungen Frau an einen etwas schattigeren Platz. Dort hoben sie mithilfe von Billies Schild und allem, was sich irgendwie anbot, ein Grab aus. Besonders tief konnten sie es ohne Schaufeln nicht buddeln, doch es reichte, damit sie die Rothaarige langsam darin herablassen konnten. Ihnen fehlte auch ein Sarg, um sie anständig beerdigen zu können, doch es musste so gehen. Es war Andras, der Cazies ehemalige Decke langsam über sie legte, damit er sie zudecken konnte. Kurz darauf warfen sie einige dieser exotischen, farbenprächtigen und wunderschönen Blumen und Beeren in das Grab hinein, um ihr Ehre zu erweisen. Gleichzeitig sollten es Gaben für ihre Reise in die nächste Ebene dienen. Sie ließen Andras eine Weile alleine mit diesem Meisterwerk. Es schien ihnen angemessen zu sein, nachdem er offenbar stark für sie empfunden hatte. Stärker, als er es jemals zugeben würde... Seine Verletzung war immerhin fast verheilt und er damit komplett außer Gefahr. „Es war nicht deine Schuld.“, sagte Argrim ernst. „Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, dann hättest du sie sofort ergriffen. Du hast sogar versucht, sie aufzuwecken! Es hat einfach nicht sein sollen...“ „Dennoch führte ich die Klinge, die ihr Leben schließlich beendet hat. Es fühlt sich so an, als hätte ich verdammt viel Schuld an all dem...“ „Gibst du dem Schwert die Schuld, wenn es jemanden umbringt oder gibst du die Schuld demjenigen, der die Waffe führt?“ „Natürlich dem Träger der Waffe.“, antwortete Billiana verwirrt. „Was hat das damit zu tun?“ „Cazie war nur das Schwert, welches von Zodiak geführt wurde. Vermutlich war sie längst tot oder hoffnungslos verloren.“, erklärte der Zwerg. „Genaugenommen hast du einfach ein Schwert getötet. Niemand würde sich schuldig fühlen, wenn er ein Schwert zertrümmert, bevor es einem anderen Menschen Leid zufügen kann. Du hast letztendlich verhindert, dass er sie zum Töten benutzt...“ „Aber sie war kein Schwert! Sie war nicht aus Metall, sondern aus Fleisch und Blut. Und sie war unschuldig...“ „Das streite ich keineswegs ab, Billie, aber du musst auch das ganze Bild betrachten und nicht nur diesen einen Augenblick.“, erinnerte er sie tadelnd. „Du hast nur versucht dich zu verteidigen und du hast verhindert, dass ihre Seele mit einem Mord beschmutzt wurde. Was hätte es geändert, wenn du die Augen geschlossen und dich hättest umbringen lassen? Gar nichts! Du wärst gestorben und Zodiak hätte über Cazie dann mich getötet und schließlich Andras. Im Anschluss hätte er die ganze Oberwelt um ihre Völker erleichtert. Meistens hat man sicherlich eine Wahl, aber in diesem Fall hattest du keine. Sich töten zu lassen, ist keine Alternative, sondern pure Dummheit.“ Die Blondine presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie wusste, dass er recht hatte, doch es fühlte sich dennoch falsch an. Da klebte dieses Blut an ihren Händen und sie würde es niemals abgewaschen bekommen! Trotzdem sah sie es, wenn sie auf ihre Finger blickte. Sie hatte einst Zodiak gesagt, dass jeder jeden Menschen so manipulieren konnte, wie er es tat, doch nun wusste sie, dass das nicht wahr war. Um derartig skrupellos zu sein und so eine massive Macht über den Verstand und das Herz zu erlangen, gehörte einfach viel mehr, als Wortklauberei. Er zertrümmerte das Innerste! Jedes Mal, wenn er sich eine Person zu eigen machte... „Du bist so wahnsinnig stark, Billie, und du weißt es nicht mal.“, sagte Argrim plötzlich mit einer viel sanfteren Stimme. „Wenn du dich nur mit meinen Augen sehen könntest.“ Ihr stand für einen Moment der Mund offen, während sie den Zwerg einfach nur anstarrte. Gerade, als sie etwas hatte sagen wollen, kam der Nekromant zu ihnen. Er tat gefasst und stark, doch ihm war anzusehen, dass es ihm nah ging und er auch geweint hatte. Blutige Tränen, die keine Menschlichkeit verraten würden und dennoch genauso aufrichtig waren. „Sollen... wir sie zu Ende beerdigen?“, erkundigte sich der Zwerg rasch. „Hast du dich verabschieden können?“ „Ja.“ Schweigsam gingen sie zurück zu Cazies Grab, in dem sich noch einige Blumen mehr befanden. Vermutlich hatte Andras sie noch beim Abschied zusätzlich hinein gleiten lassen. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, schütteten sie die Erde wieder über den Leichnam. Auf diese Weise konnten sie die ausgehobene Grube wieder verschließen und alles darunter begraben. Etwas weiter abseits fanden sie einen Felsen, der groß genug war, um die Stelle zu markieren, aber nicht so groß, dass sie ihn nicht hätten zusammen heben können. Gemeinsam hievten sie ihn zu der lockeren Erde und stellten ihn als Grabstein auf. Er war sehr schön. Wie die Felsen dieser Welt einfach waren, war auch er besonders bunt. In Wellen verschmolzen all die Farben ineinander. Sie schworen sich, dass sie zurückkommen und ihr ein vernünftiges Grab schenken würden, wenn sie das alles hinter sich gebracht hatten. Dann würde sie auch einen eigenen Schriftzug eingemeißelt bekommen. Da sie nun sicher wussten, dass Zodiak ihren Aufenthalt kannte, durften sie weiterhin keine Zeit vertrödeln, auch wenn es wirklich wehtat. Doch das Begräbnis würden sie dennoch nicht vergessen. Billiana war es, die noch einige frische Blumen auf die lockere Erde und vor den Stein ablegte. Es war nur ein kleiner Strauß, doch mit einer geflüsterten Entschuldigung und einem leisen Dank wollte auch sie von ihrer Retterin Abschied nehmen. Fest von dem Wunsch angetrieben, dass sie es Zodiak dreifach heimzahlen würde. Die Liste der Namen wurde länger, die durch Zodiak gestorben oder gelitten hatten. Trotzdem war seine Geschichte noch nicht beendet. Die Elfe sah nicht ein, dass er über das Ende selbst entschied! Sie würde es sein, die sein Ende besiegeln würde, damit er keine einzige Welt jemals wieder so terrorisieren konnte. Alle diese Leben werden nicht umsonst genommen worden sein. Er wird für sie bezahlen... Egal, was ich dafür tun muss, ich werde es tun! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)