Die Drachenballade von Kylie (Band 1 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 7: Nichts als Ruinen ---------------------------- Sie hatten wohl mehr Glück als Verstand. In der Nacht kam es zu keinen Übergriffen und auch am Morgen waren noch keine Truppen von Zodiak zu entdecken. Auf diese Weise konnten sie in Ruhe alles zur medizinischen Versorgung einpacken und sich noch etwas Proviant sichern. Es gab sogar einen Karren, der nicht zerstört worden war und ihnen als Entlastung diente. Ziehen musste ihn vorerst Argrim. Cazie war zu schwach, während Billiana und Andras noch geschwächt waren. Dennoch hofften sie, irgendwo einen Ochsen, Esel oder ein Pferd zu finden, welches dann diese Arbeit übernehmen konnte. Billies Kleidung hatten sie längst verloren, aber da ihre getragene viel zu versaut war, hatte sie sich durch das Dorf auf die Suche begeben. Ein Hemd und eine Lederhose hatte sie gefunden, welche ihr passten und die Bewegungen nicht einschränkten. Vermutlich von einem Knaben des Dorfes. Es spielte aber keine Rolle! Um nicht zu frieren, hatte sich die Elfe einen Pelzumhang umgeworfen, der wohl aus einer Schneekatze hergestellt worden war. Zumindest meinte das Argrim. Er hatte ihr erklärt, dass das riesige Raubtiere waren, die im Norden lebten. Sie hießen deshalb Schneekatzen, weil sie die Kälte liebten und ebenso weißes Fell wie der Schnee hatten. Wobei das Weiß von schwarzen Streifen unterbrochen wurde. Es erinnerte ein bisschen an einen weißen Tiger, allerdings war der Pelz viel dichter und weicher. „Wo sind deine Eltern?“, erkundigte sich Billiana. „Das weiß ich nicht.“, antwortete Cazie, als ihr klarwurde, dass sie sie meinte. „Ich habe sie niemals kennengelernt.“ „Wie bist du dann in diesem Dorf gelandet?“ Diese Frage war für die Rothaarige offenbar unangenehm. Unbehaglich wand sie sich etwas und wich dem Blick der Blondine einfach aus. Alles in ihr sträubte sich gegen die Antwort, doch Billiana war ein stures Kind. Wer in der Unterwelt aufwuchs, wusste, dass Beharrlichkeit nicht unwichtig war. Wer Überleben wollte, musste die Beweggründe der Leute kennen, welche einen begleiteten. „Ich wurde... als Sklavin an das Dorf verkauft.“, gestand sie. „Ich war wohl noch ein kleines Mädchen von... höchstens vier Wintern. Kann mich selbst aber nicht wirklich an den Tag erinnern.“ „Du bist eine Sklavin? Und dennoch darfst du die Kunde der Medizin erlernen?“ Rasch schüttelte sie den Kopf und sah Billie entsetzt an: „Die Dorfbewohner kauften mich nicht, damit ich ihnen diene, sondern um mich zu retten. Der Händler hatte wohl mehrere Waren und lieferte ihnen öfters mal Felle, Nahrung oder Werkzeug... An diesem Tag hatte er außerdem ein kleines Mädchen bei sich. Der Bürgermeister fragte dann, was er mit mir vorhabe und da erklärte er feierlich, dass er bei der nächsten großen Stadt ein Bordell aufsuchen würde. Dort wollte er mich verkaufen. Alle wussten, dass ich in den ersten Jahren dort geputzt, aufgeräumt und das Essen zubereitet hätte. Irgendwann hätte ein Mann aber Interesse an meiner Jungfräulichkeit und würde Unmengen an Goldmünzen für meinen Körper zahlen... Ab dieser Nacht an würde ich dann jedem Mann zu Willen sein, der meine Dienste wollte. Gerade die Mütter des Dorfes ertrugen diesen Gedanken nicht, also beratschlagten sich alle. Statt das Werkzeug zu kaufen, legten sie zusammen und kauften mich. Ich wuchs erstmal bei einer anderen Familie auf, die sich schon lange ein drittes Kind gewünscht hatte und ging dann später bei der Heilkundigen in Lehre. Ich wollte ihnen... zurückgeben, was sie mir einst geschenkt haben: Das Leben.“ „Klingt nach wirklich gütigen und netten Leuten...“, gestand die Elfe säuselnd. „Es ist bedauerlich, dass sie solch ein Schicksal erlitten. Sie hatten Besseres verdient.“ „Ja, das hatten sie...“ Kaum vorzustellen, dass es noch Menschen mit Ehrgefühl gibt. Die meisten hätten sie als Sexsklavin erzogen, doch diese Leute haben sie zu einem Teil ihrer Gesellschaft gemacht., überlegte die Blondine schweigsam, Leider sterben die guten Leute viel zu früh. Das Böse allerdings existiert weiter und entwickelt sich dabei. Gerade Zodiak war dafür ein Beweis. Man hatte ihn nicht töten können, stattdessen sperrte man ihn einst ein. Nun kehrte er zurück und war mächtiger denn je! Wie eine Welle pures Gift, welches sich über das Land ausbreitete. So giftig, dass nicht mal Stein dem standhielt... Nur leider breitete es sich nicht wie eine normale Krankheit aus und ließ sich auch nicht so besiegen. Stattdessen griff es den eigenen Verstand an... Es überraschte Billiana nicht, dass so wenige Menschen gegen das Urböse bestanden, sondern stattdessen seiner Macht verfielen. Es gab nicht allzu viele Lebewesen, die sich ihren Wünschen entgegenstellten. Während Zodiaks Aufenthalt in ihrem Verstand hatten sie vieles miteinander geteilt. Dabei hatte sie eine Festung gesehen, die unter Schnee, Eis und Berggipfeln gelegen hatte. Der dunkle Himmel erinnerte sie an jenen, der heute über ihnen hing. Außerdem sahen auch die Bergformationen nicht ganz unähnlich aus, wenn sie ihre blauen Augen in die Ferne richtete und angestrengt etwas zu erblicken versuchte. Bei den Wetter- und Sichtbedingungen war gerade das nicht unbedingt einfach. „Gibt es weiter aufwärts eine Festung, ein Schloss oder etwas in der Art?“, fragte die Blondine und sah Cazie an. „Haben die Bewohner mal irgendwas in der Richtung gesagt?“ „Eine Festung oder ein Schloss? Nein... Ich wüsste nicht, dass es so etwas in der Nähe gibt.“, gestand sie unsicher. „Allerdings habe ich auch nicht oft mit ihnen über solche Dinge gesprochen.“ „Das ist sehr bedauerlich...“ „Jedoch sagte mal ein Reisender, dass es weiter im Norden einige alte Ruinen gäbe. Er wollte Werkzeug haben, damit er diese untersuchen konnte... Ihn interessierte der Ursprung.“ Das könnte es sein!, dachte Billie ganz aufgeregt und drehte sich zu der Heilkundigen. Ihre Aufregung unterdrückte sie dennoch, bevor sie fortfuhr: „Kam der Mann denn wieder? Konnte er irgendwas über den Ursprung sagen?“ „Nicht wirklich...“, offenbarte Cazie. „Er kaufte sich ein paar Pinsel, eine Schaufel, eine Spitzhacke und einige Kleinigkeiten. Am nächsten Tag brach er auf und kam nie wieder zurück.“ „Entweder nahm er einen anderen Weg zurück in seine Heimat oder er hat es nicht überlebt.“ „Das wäre möglich. Meine Meisterin meinte, dass so alte Katakomben nicht gerade ungefährlich sind.“ Billiana nickte und versank wieder in ihren eigenen Gedanken. Sie wusste, dass sie auf der richtigen Spur waren! Das könnte das Gefängnis von Zodiak gewesen sein und dort gab es vielleicht auch Antworten, wie sie ihn loswerden konnten. Töten war keine Option, aber ihn wieder einzusperren schon. Dieses Mal musste sein Gefängnis allerdings langlebiger und stabiler sein, damit er möglichst nie mehr daraus entkam. Wenn es im Norden wirklich mal eine Festung gegeben hatte oder etwas Vergleichbares, dann musste es hier einen ehemaligen Weg geben. Vor allem aber Hinweise, welche es den Händlern ermöglicht hatten, den Ort zu finden! Die Legende besagte zwar, dass die Festung ohne Schwingen nicht zu erreichen sei, doch so ganz glaubte sie nicht daran, weil die Drachen sich auch versorgen mussten. Nicht alles ließ sich problemlos an einen Drachen schnallen und nur wenige transportierten auf diese Weise freiwillig Waren von A nach B. Es war unter ihrer Würde! Auch, wenn ihre Gefährten ihr seltsame Blicke zuwarfen, schaufelte sie immer mal den Schnee von Steinen und Felsen weg, die vielleicht Wegmarkierungen sein konnten. Bisher allerdings ohne Erfolg. Leider waren es alles einfach nur Steine, die auf natürliche Weise hier gelandet waren. Ihre Reise wurde allmählich schwerer. Der Karren ließ sich nur noch zu zweit weiterbewegen und selbst das kostete ungemein viel Kraft! All die Steine blockierten ständig die Räder oder der Schnee machte es schwer. Gerade auch, weil es ständig schneite und sie die Unmengen an Schnee ständig aus dem Karren schaufeln mussten, damit er nicht noch schwerer wurde. Vor allem wollten sie aber auch nicht, dass er darin schmolz und ihre Sachen einweichte. Der Proviant würde schneller gammlig werden, das Zelt würde ebenfalls modern und auch das Holz sollte nicht feucht werden. Sie hatten sich auch Decken gesichert und einige Kleidungsstücke für den Notfall. Wenn es so weiterging, mussten sie alles bald zurück lassen... „Haben wir einen Eimer mitgenommen?“, erkundigte sich Billie geistesabwesend. „Ja, das haben wir.“, antwortete Argrim und holte aus dem Karren einen Holzeimer mit starken Eisenriemen. Ohne diese, konnte er nicht zusammenhalten. Sie nahm den Holzeimer und stellte ihn aufrecht zwischen die Sachen im Karren. Sie stützte ihn mit einigen ihrer Versorgungsgüter, damit er auch nicht durch Erschütterungen umkippte. Das konnte bei diesem steinigen Weg ziemlich schnell passieren! Gerade die Holzscheite gaben eine wunderbare Befestigung ab und würden einen versehentlichen Unfall verhindern können. Jedoch bewahrte es Billiana nicht davor, von ihren Kameraden schräg angeguckt zu werden. Sie gingen sicherlich bereits von einer Geisteskrankheit aus oder dass Zodiak doch gewonnen hatte! „Bevor ihr mich von der nächsten Klippe werft...“, murmelte die Blondine mit hochgezogenen Augenbrauen. „Damit will ich den Schnee auffangen. Wenn er nicht von selbst schmilzt, können wir es bei einem Feuer machen. Dann haben wir frisches, sauberes Wasser... So etwas ließ sich in dem Dorf ja nicht mehr auftreiben.“ „Eine wirklich gute Idee.“, gestand Andras mit einem Grinsen. „Ich wusste doch, dass du nicht verrückt bist!“ „Witzig... Du sahst eben so aus, als überlegtest du, wie du mich loswerden kannst, bevor ich euch zu töten versuche.“ „Quaaatsch!“, zog es der Schwarzhaarige in die Länge. „Ich vertraue doch deinem wachen, animalischen Verstand vollkommen! Ich hätte niemals darüber nachgedacht, dass du nachts vielleicht über uns steigst und uns die Kehlen aufbeißt... Wie kommst du bloß darauf?“ „Ich habe niemals etwas davon erwähnt, dass ich irgendwem die Kehle aufbeißen würde...“ „Hast du nicht? Oh... Verzwickt, wenn die Stimmen im eigenen Kopf so viel lauter sind als die Realität!“ „Ich weiß durchaus, was du meinst...“, erwiderte sie mit einem schiefen Grinsen. „Bis vor kurzen habe ich eine Stimme im Kopf gehabt, die von vielen begleitet wurde.“ „Klingt ja absolut mystisch und unheimlich!“ Eine Weile sah sie den Nekromanten einfach nur an. Dafür, dass er in ihrem Kopf beinahe gestorben war, wirkte er doch erstaunlich munter. Beinahe schon überaus heiter! Nach solch einer Erfahrung wären die meisten Leute zumindest für einige Stunden kaum noch ansprechbar. Dann steigerte sich ihre Euphorie vielleicht wieder schrittweise... Aber Andras wirkte so, als könnte kein Wässerchen ihn jemals trüben. Wenn sie ganz ehrlich war, wusste sie nichts über ihn oder seine Beweggründe. Erst hatte er sie bekämpft und beinahe getötet! Jetzt begleitete er ihre kleine Kompanie. Nicht nur das, er hatte ihr sogar das Leben gerettet und dabei sein eigenes riskiert! Das tat man nicht einfach so, sondern wenn man es ernst meinte. Nur wusste die Elfe nicht, womit genau er es eigentlich ernst meinte und ob man ihn trauen konnte. Vorerst musste sie es hinnehmen... „Du bist auch nicht verrückter als wir, Billie.“, warf der Zwerg plötzlich ein. „Immerhin ziehen wir das alle hier durch. Und wir wissen nicht mal, wo du genau hinwillst!“ „Ich will zum ehemaligen Kerker von Zodiak.“, sagte sie offen. „Natürlich hoffe ich, dass ich dort Antworten finde. Wie ich ihn aufhalten kann... Wie die Drachen ihn damals einsperren konnten. So etwas eben...“ „Du meinst, dass der Kerker hier in den Gebirgen ist?“ „Ich bin mir sogar ziemlich sicher! Die Seuche ist hier viel aktiver und stärker, außerdem konnte ich kurz auch in Zodiaks Erinnerungen blicken.“ „Das könnte aber doch auch eine Falle sein, oder?“, hinterfragte Cazie besorgt. „Vielleicht will er ja, dass du diesen Ort aufsuchst, damit er dich dort töten kann.“ „Das Risiko muss ich wohl leider eingehen, wenn ich Antworten möchte. Eine große Auswahl habe ich immerhin nicht.“ Die Unsicherheit in der Gruppe war beinahe greifbar. Für sie war die Suche ohne genaue Richtungen und Ziele zu kennen nicht unbedingt definiert. Es ließ Zweifel aufkommen und die Frage, ob Billiana nicht doch zu lange in ihrem Zwiespalt gefangen gewesen war. Allerdings konnten sie nicht von der Hand weisen, dass sie niemals so bodenständig und überzeugt gewirkt hatte wie sie es seither tat. Als hätte es sie irgendwie erleuchtet! Ihnen blieb ohnehin nichts Anderes übrig als zu folgen...   „Seht zu, dass ihr wirklich alles durchsucht! In solchen Ruinen muss es etwas Wertvolles geben!“, rief der braunhaarige Mann genervt. Sie waren nun schon seit einigen Stunden in diesen Ruinen unterwegs und rollten jeden Stein um. Bisher hatten sie jedoch nur Trümmer gefunden und Reste von den alten Wänden. Ein paar Gitterstäbe, die einst mal an den Fenstern gewesen waren. Nichts von all dem hatte einen Wert... Kein Gold, kein Silber, nicht mal Messing! Als wäre hier niemals etwas gewesen, was wertvoll gewesen war. Dafür fanden die Banditen zahlreiche rostige Waffen. Auch ein paar ebenso rostige Rüstungsteile... Sie lagen hier schon so lange herum, dass sie teilweise auseinander bröckelten, wenn man sie bewegte. Nur ansatzweise konnte man Verzierungen ausmachen, die verritten, dass es mal wirklich schöne Schmiedearbeiten gewesen waren. Viele Verzierungen und noch mehr Maserungen. Nun aber war es nur noch ein Haufen Müll! Das passiert eben, wenn man pausenlos mit Legierungen arbeitet, statt sich guten Erzen zu widmen! Kein Wunder, dass die ehemaligen Einwohner alle verreckt sind., dachte Gaius verbittert. Er führte diese Bande an Räubern und Halsabschneidern an. Er war ein gutaussehender Mann, was er von seiner Mutter geerbt hatte. Inzwischen verschandelte ihn zwar an der rechten Augenbraue und auch leicht über dem Auge eine Narbe, die von einem Schwertangriff verursacht worden war und das lange Leben auf der Straße hinterließ auch seine Spuren, doch im Großen und Ganzen war er attraktiv. Gaius besaß weiche, aber maskuline Gesichtszüge, die in einem gesunden gebräunten Ton ideal zu seinen braunen Augen passten. Auch wenn es vielleicht langweilig klang, besaß der Anführer ebenso braunes Haar, welches in unterschiedlich langen Stufen unsauber geschnitten war. Es wirkte jedoch durchaus lässig und gefiel der Damenwelt ungemein! Leider hatte er jedoch auch die Maße seiner Mutter geerbt... Mit seinen einen Meter und fünfundsiebzig Zentimetern gehörte er eher zu den kleinen Männern. Passend dazu war er eher schlank als muskulös gebaut, was selbst durch die Lederkleidung fabelhaft zu sehen war! Allerdings konnte er nicht von der Hand weisen, dass seine nahezu drahtige Gestalt ihm wahre Wunder hat wirken lassen. Denn er war beim Stehlen wesentlich unauffälliger und konnte wahnsinnig schnell laufen. Es hatte seine ganze Karriere geformt. Doch wenn der Brünette ganz ehrlich war, hatte er sich sein Leben anders vorgestellt. Einst hatte er sich noch gewünscht, dass er bei seinen Eltern aufwachsen würde. Um seine wunderschöne, kluge und junge Mutter stolz zu machen, hatte er lesen und schreiben lernen wollen. Mit diesen Gaben konnte man viele Berufe ergreifen! Gelehrter, Arzt, Berater bei Politikern... Bei ihren eher ärmlichen Verhältnissen wäre das ein wahrer Aufstieg gewesen. Er hätte seiner Familie nicht nur Wohlstand, sondern auch Ansehen gebracht. Gaius erinnerte sich noch sehr genau an seine Mutter... Ihre weichen, perfekten Gesichtszüge hatten stets so wundervoll warm gestrahlt. Sie hatte ebenso braune Augen, braune Haut und braunes Haar gehabt wie er. Nur eben alles viel femininer! Für ihren Status unüblich hatte sie dennoch längeres Haar gehabt. Bis über die Schultern war es gegangen, doch meistens hatte sie es in einem Dutt oder einem geflochtenen Zopf gezüchtigt. Wenn sie es mal nicht zusammengebunden hatte, dann lockte und wellte sich ihr schöner Schopf. Doch was sich am meisten bei ihm eingeprägt hatte, waren diese wundervollen, kirschroten Lippen! Sie waren voll gewesen und stets mit einem Lächeln gesegnet, welches ansteckend wirkte. Ihr Körper war schlank, aber mit üppigen Kurven gewesen, welche viele Männer hatten gieren lassen. Wenn sie etwas strebsamer gewesen wäre, dann hätte Gaius‘ Mutter einen reichen Mann verführen und ein Leben in Luxus führen können! Natürlich wäre er unter diesen Umständen niemals geboren worden, doch er sah es als das geringere Übel an. Sie hätte ein wundervolles, glückliches Leben führen können, in Reichtum und mit viel Macht, doch stattdessen hatte sie die Liebe gewählt. Sie heiratete einen Schuster, der kaum genug verdiente, um drei Mäuler zu stopfen. Trotzdem blieb sie bei ihm und half ihm sogar bei seiner Arbeit, wenn sie sich nicht um das einzige Kind oder den Haushalt kümmern musste. Schließlich kam jener Tag, der ihr aller Leben für immer verändern sollte... In dem Kopf des Braunhaarigen hatte stets etwas Dunkles gehaust. Es hatte ihm zugeflüstert, dass andere Leute Dinge hatten, die er wollte, aber partout nicht bekam. Aber nicht, weil sie diese Sachen verdienten, sondern weil sie den Armen alles nahmen! Seine Mutter hatte ihn immer ermahnt. Hatte ihm immer wieder gesagt, dass es normal sei, dass andere Menschen mehr hatten und sich für etwas Besseres hielten, er sich aber nicht zu bösen Dingen verleiten lassen durfte, nur, weil er sich das auch wünschte. Oft hatte er sich das ins Gedächtnis gerufen! Wie ein Mantra hatte er sich als 8-jähriger Junge stetig daran erinnert, dass manche einfach mehr hatten, er aber stärker sein musste als das. An jenem Tag war er mit seiner Mutter zum Marktplatz aufgebrochen. Sie wollten Besorgungen für die nächsten Tage machen, damit sie zu Essen hatten. Ebenso brauchten sie aber auch für die Schusterei seines Vaters einige Materialien. In solchen Geschäften wollten sie aber keine ärmlichen Kinder, weshalb seine Mutter ihn bat, auf dem Markt schon mal nach passenden Lebensmittel Ausschau zu halten. Natürlich folgte Gaius der Bitte seiner Mutter! Er war so wahnsinnig jung und wollte ihr unbedingt helfen. Alles in ihm wünschte sich, dass sie stolz auf ihn sein sollte und er dafür alles tun musste. Deshalb ließ er sich nicht von fremden Leuten ansprechen, während er über den Platz schlenderte und über die Stände schaute. Es gab allerlei Dinge! Stoffe aus fernen Ländern, teurer Schmuck, Fleisch und... Obst. Seine braunen Augen blieben bei einem perfekten, roten Apfel hängen. Er erinnerte sich genau, wie er ihn anstierte! Damals war ihm durch den Kopf gespuckt, dass dieser Apfel ebenso perfekt war, wie die Lippen seiner wunderschönen Mutter. Genauso rot und sicherlich ebenso süß. Gaius hatte an das freudige Gesicht von ihr denken müssen, wie sie ihn von ihm geschenkt bekam und dann in den süßlichen Saft beißen konnte, um richtig zu genießen. Für Leute wie sie, war Obst kaum zu bezahlen! Eigentlich gar nicht... In ihrem Land gab es kaum natürliche Vorkommnisse von Früchten, weshalb es Importwaren darstellten, die sich Händler teuer bezahlen lassen konnten. Er war noch ein Kind... Ein Kind, das sich vieles wünschte, es aber niemals bekam. Da entschied er sich, die dunklen Gedanken zuzulassen und das falsche zu tun, damit er seine Mutter glücklich machen konnte. Voller Tatendrang war der 8-Jährige an den Stand gekommen und erzählte dem Händler zur Ablenkung die herzerweichende Geschichte, dass er seine Mutter verloren habe. Mit feuchten Augen bat er um seine Hilfe sie zu finden! Währenddessen griff er unauffällig zu diesem einen Apfel, welcher solche Begierden in ihm weckte. Selbstverständlich war das ein erfahrener Händler, der laufend mit Dieben, Straßenkindern und anderen Dreckfinken zu tun hatte. Er hatte den Braten sicherlich schon gewittert, als er mit tränenden Augen zu ihm gekommen war! Nur hatte er wohl damit gerechnet, dass er ihn ablenkte, während andere Straßenkinder sich dann an den Waren vergingen, denn er hatte sich laufend umgesehen. Gaius hatte es fälschlicherweise für die Suche nach seiner Mutter gehalten und zugepackt... Ebenso packte auch der beleibte Verkäufer zu! Erst umgriff er den Unterarm des Kindes und drückte so fest zu, dass dessen Handgelenk weiß wurde. Als er endlich den Apfel fallen ließ, packte er dann den Oberarm und riss ihn zu sich herüber. Mit einem Schlag wurde es auf dem Marktplatz furchtbar still! Alle Anwesenden unterließen ihre Tätigkeiten, um mit offenen Mündern zu dem Stand zu stieren. Natürlich hatte keiner eingegriffen... Warum auch? Das war ihre Weise der Unterhaltung. „Du kleiner, dreckiger Dieb!“, schrie der Händler so laut, dass jeder es verstehen konnte. „Wie kannst du es wagen, meine Waren stehlen zu wollen?!“ „Bi-Bitte~...“, hatte Gaius damals unter Tränen geheult. „Meine... Meine Mami wird es bezahlen~... Es... Es tut mir so leid...!“ „Dieben muss man die diebische Hand abschlagen!“, schrie er und ignorierte die Entschuldigung. „Sonst stehlen sie immer weiter! Aus solch einem Bastard kann nur etwas werden, wenn er nicht mehr stehlen kann!“ Ganz nahe von den normalen Waren hatte der Mann etwas gehabt, was er damals erst für einen Dolch gehalten hatte. In Wahrheit war es ein Beil gewesen, wie es sonst Metzger für ihre Arbeit brauchten. Alles an der Situation wirkte so, als habe er nur auf die Gelegenheit gewartet, einem Dieb seine „diebische Hand“ abzuschlagen! Weiterhin griff keiner der Zuschauer ein, sondern starrten gebannt dabei zu, ob der Mann ihm wirklich die Hand abschlagen würde. Über Recht und Unrecht durften Händler natürlich durchaus in solch einer Situation walten, doch die meisten übergaben Diebe an die Wachen. Sie schlugen dann die Hand ab oder kerkerten die Täter ein. Bei schweren Vergehen wurden sie dann sogar öffentlich hingerichtet – auch Kinder. Er wollte aber offenbar nicht, dass ein Soldat für ihn das Abschlagen der Hand übernahm. Vermutlich hatte er zu diesem Zeitpunkt schon zahlreichen Dieben die Hand vor versammelter Mannschaft abgeschlagen! Für Gaius als 8-jähriges Kind war es eine absolut traumatische Erfahrung, als der beleibte Kerl das Beil hob und... „Bi-Bitte!“, hörte er schließlich durch die Menge eine atemlose, vertraute Frauenstimme rufen. „Bitte nicht! Das ist mein Sohn! Bitte~...!“ Sie schaffte es, sich durch den starrenden Mob zu drängeln und trug einen Korb mit Besorgungen bei sich. Offenbar war sie gerade erst aus dem Laden gekommen und hatte den Aufruhr bemerkt. „Er ist doch erst acht Winter alt!“, flehte sie bitterlich aus ihren kirschroten Lippen. „Wir haben nicht viel Geld und er muss Hunger leiden. Bekommt fast nie Obst! Ich werde die Ware bezahlen, mein Herr, aber bitte... bitte schlagt ihm nicht die Hand ab!“ Niemals würde Gaius den Blick vergessen, welcher sich kurz darauf auf das Gesicht des fetten Verkäufers legte. Die Gier, welches seine Schweinsaugen noch kleiner machte und seine Fratze zu einem perversen Grinsen verziehen ließ. Obwohl er erst acht Jahre alt gewesen war, hatte er gewusst, was geschehen würde. Was in dem Kopf dieses Monstrum vorging... Diesen Blick hatte er schon bei manchem Mann gesehen, wenn er seine Mutter gesehen hatte, doch diese Männer hatten nicht solche Macht gehabt. Er entschied immerhin darüber, ob ihr Kind seine Hand behalten durfte! Nicht selten verbluteten Diebe bitterlich, wenn man ihnen die Hand unsauber abtrennte... Der Fettwanst winkte seine Mutter herbei. Gaius wollte sich losreißen, schaffte es aber nicht. Er war viel zu schwach! Er hielt ihn so fest gepackt, dass es keine Möglichkeit für ihn gab, einzuschreiten oder seiner Mutter zu zeigen, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte. Sie sah nämlich nur, dass es für ihn kein Entkommen gab... „Nicht, Mutter!“, schrie er weinend. „Komm‘ nicht... nicht näher! Nicht näherkommen!“ So schön, wie seine Mutter war, genauso naiv war sie auch. Stets wollte sie an das Gute im Menschen glauben und daran, dass sie Gnade vor Recht walten ließen, wenn man nur hoffnungsvoll darum bat. Etwas in ihr war stets der Meinung, dass sich über alles irgendwie reden ließ. Reden wollte dieser Händler von Anfang nicht, was sie erst in dem Moment erkannte, als er Gaius zu Boden schleuderte und stattdessen ihren Oberarm packte. Er riss sie brutal herum, damit die gaffende Meute einen guten Blick auf seine wunderschöne, blutjunge Mutter werfen konnte. Seine widerliche Hand griff dabei nach dem Kinn der schönen Frau, um sie allen zu präsentieren. Es waren Freunde und Bekannte unter den Zuschauern, aber es griff keiner ein. Sie gierten auf das, was der Verkäufer vorhatte. Die Sensation war berauschender als der Wille, seine Lieben zu beschützen und einzugreifen. „Seht euch die Mutter dieses Bastards nur an! Kein Wunder, dass er so verdorben ist, wenn er solch eine junge Mutter hat.“, rief er laut heraus und lachte dreckig. „Ist bestimmt eine der Nutten vom Hafen und hat dieses Balg von einem ihrer Freier bekommen!“ „Bitte... Bitte...“, flehte seine Mutter weinend, während Gaius aufsprang und nach dem Händler schlug. Der aber verpasste ihm einen Hieb, damit er wieder zu Boden knallte. Jene Leute, die hätten bessere Menschen sein sollen, lachten kalt und amüsiert. Immer noch griff keiner von ihnen ein. Nicht mal, als der fette Händler seiner jungen Mutter die Kleidung vom züchtig bedeckten Leib riss. Er entblößte ihre runden, straffen Brüste, die strammen Schenkel und ebenso die leicht beharrte Scheide. Wenn ihr eines stets wichtig gewesen war, dann, dass sie sich regelmäßig wusch und die Haare ihrer Scheide mit einer Rasierklinge im Zaum hielt. Heutzutage wusste er, dass sie es für seinen Vater getan hatte, weil er es sicherlich so gemocht hatte. Da gab es keine wirklich hygienischen oder rituellen Gründe... All die Schaulustigen gierten und versuchten genauere Blicke auf ihren perfekt geformten Körper zu bekommen. Einige riefen laut: „Hure!“ Gaius hatte damals schon erkannt, dass einige, die sie gerade beschimpften, Freunde ihrer Familie waren. Sie wussten sehr genau, dass sie nicht ihr Geld verdiente, indem sie Männern ihre Dienste anbot. Sie wussten, dass sie eine treue Ehefrau und liebende Mutter war! Doch es war ihnen egal... Endlich konnten sie einen Blick auf den nackten, blutjungen Körper werfen. Einige Frauen – besonders jene, die eifersüchtig auf ihre Jugend und Schönheit waren – bewarfen sie mit Gemüse oder Eiern. Die Männer aber gierten und wollten sie sogar anfassen. In ihren Köpfen spielten sich zahlreiche Fantasien ab, was sie nun alles mit ihr hätten anstellen können, wenn sie nur an Stelle des Händlers wären. Das Flehen und Wimmern seiner Mutter würde Gaius auch niemals vergessen, als der Händler seine große Hand zwischen ihre Schulterblätter drückte und sie zwang, sich auf alle Viere zu begeben. Er thronte derweil hinter ihr und öffnete sich die Leinenhose, die kurz darauf zu Boden glitt. Seine Männlichkeit war zu diesem Zeitpunkt bereits hart und es war die erste, die Gaius in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Jedoch nicht die letzte... „Wenn du dir so sehr wünschst, dass ich deinem Bastard nichts tue, dann wirst du seine Rechnung bezahlen müssen, Hure!“, rief er laut heraus und die Meute jubelte. Sie freuten sich darauf, dass sie die Rechnung für ihren Sohn zu begleichen hatte. Unter Tränen drang das Monstrum einfach in seine Mutter ein. Vor seinen Augen und vor den starrenden Mob vergewaltigte er sie. Im Alter von vierundzwanzig Jahren entdeckte seine Mutter, wie tief die Abgründe der menschlichen Psyche wirklich waren. Niemand kam ihr zur Hilfe, während er sie brutal von hinten nahm und ihr den Dutt aufriss, damit er ihren Schopf packen konnte. Dass er ihr dabei Haarbüschel ausriss, um sie zu züchtigen oder in aufrechter Position zu halten, war dem Mann sichtlich egal. Ohne Hemmungen machte er weiter und ließ sich auch nicht von dem weinenden Gaius beirren, der schwächlich nach ihm schlug und flehte, dass er aufhören möge. Auch die gierenden Männer störten ihn nicht, die nach ihren Brüsten grabschten. Als er fertig war, seine Mutter zu demütigen und zu beschmutzen, nahm er ihre Kleidung an sich und schubste sie vor aller Augen in den Dreck. Ihr Blick war gebrochen, während sie sich schwächlich und zitternd aufzurichten versuchte. Der 8-Jährige hatte versucht, ihr dabei zu helfen, doch es brachte ihr natürlich nicht besonders viel. Erst zu diesem Zeitpunkt war ihm aufgefallen, dass sie weißlich gräuliche Flecken im Gesicht und teilweise am Körper hatten. Einige der männlichen Zuschauer hatten sich bei dem Anblick befriedigt und ihr das Sperma entgegengespritzt, um sie noch mehr zu demütigen. „Ich sehe es als gerechte Strafe an, dass du kleine Hure nackt nach Hause gehst!“, wetterte der Händler und warf ihre Klamotten in einen seiner eigenen Behälter. „Dann kannst du genau darüber nachdenken, was du für einen Bastard in die Welt gesetzt hast und was du für eine kleine Hure bist!“ Sie nahm ihren Korb und ging nackt nach Hause. Viele Kerle grabschten einfach nach ihrem nackten Körper, während andere sie weiter beschimpften oder Sachen nach ihr warfen. Gaius versuchte sie zwar zu beschützen, doch ein Kind in seinem Alter konnte nicht besonders viel für sie tun. Hier und da konnte er sie mal davor bewahren, von dem Gemüse oder den Eiern getroffen zu werden oder auch eine Hand wegschlagen, doch viel mehr konnte er nicht tun. Viele Frauen an ihrer Stelle hätten sicherlich geweint, doch er erinnerte sich sehr genau, dass ihr Blick vollkommen apathisch war. Da kullerten keine neuen Tränen mehr, sondern nur die alten trockneten. Der Pöbel wurde auch erst ruhiger und weniger, als sie langsam in ihrer eigenen Straße ankamen. Außerdem griffen einige Wachen ein und verhinderten eine schlimmere Eskalation. Es wäre sonst sicherlich zu einer Massenvergewaltigung gekommen, in der er nicht wirklich besser dran gewesen wäre. Mehr Menschen standen auf junge Knaben, als es die Gesellschaft jemals zugeben würde! Dieser verhängnisvolle Tag endete nicht mit dem Moment, als sie endlich durch die eigene Haustür traten und die Grausamkeiten draußen lassen konnten. Manchmal drangen sogar noch Rufe hinein... Beleidigungen darüber, was für eine Nutte seine Mutter angeblich doch sei. Natürlich auch darüber, dass sie einen widerlichen, diebischen Bastard auf die Welt gebracht hatte. Offenbar teilte sein Vater diese Meinung. Als seine bildhübsche Mutter berichtete, aus welchem Grunde sie nackt und geschunden nach Hause gekommen war und weshalb die Leute solch einen Aufstand machten, packte er den Arm von Gaius und warf ihn vor die Tür. In seinen hassverzerrten Blick war zu erkennen, dass er ihm die Schuld für all das gab! Vielleicht war er das auch... Auch wenn er seine Mutter niemals vergewaltigt oder gedemütigt hatte. Immer wieder kam der 8-Jährige nach Hause und bat darum, dass er zurückkommen dürfe, doch sein Vater lehnte es ab. Dabei betonte er, dass auch seine Mutter die Rückkehr nicht wünschte! Trotzdem hatte er als Kind noch Hoffnung gehabt... Er blieb in der Nähe der kleinen Hütte und wartete darauf, dass man ihm seinen Fehler verzieh. Es war gewiss nicht sein erster Fehler gewesen, doch der erste, welcher so eskaliert war. Verdiente er da nicht eine zweite Chance? Während er sich wie ein Straßenkind in den Gossen aufhielt, bekam er vieles mit. Zahlreiche Männer kamen zu ihrer Hütte und boten Kupfer- oder sogar Silbermünzen an, um mit seiner Mutter schlafen zu dürfen. Einige wollten sogar, dass sie sich gegen Bezahlung in der Öffentlichkeit nehmen ließ wie bei dem Händler! Selbst Freunde und Nachbarn zogen bei der Schikane mit und behaupteten, dass sie laufend Freier aus dem Haus ein- und ausgehen sahen. Sie logen aus Belustigung und weil es wohl menschlich war, doch vor allem, um sich wichtig zu machen. Das Leid einer anderen Familie war ihnen gleichgültig! Das war so, es blieb heute gleich und würde immer so sein, weil es der Abgrund des menschlichen Seins ist... Dieser Hunger nach Demütigung und Leid endete einfach nicht. Es war so schlimm, dass seine Mutter das Haus nicht mehr verlassen konnte, ohne erniedrigende Sprüche an den Kopf gedonnert zu bekommen. Als sie es eines Tages dennoch versucht hatte, sah sie furchtbar aus! Gaius hatte gelitten bei dem Anblick... Sie war um mindestens zwanzig Jahre gealtert. Ihre Haare waren nicht ordentlich gebunden, sondern vollkommen zerzaust und da waren dicke Augenringe. Ihre einst so roten Lippen waren blass und spröde geworden. Sie erinnerten weder an einen roten, knackigen Apfel noch an süße, verlockende Kirschen wie früher. Es war wohl zu viel gesagt gewesen, doch es hatte ihn als Kind an einen Schatten ihrer selbst erinnert. In Wirklichkeit war es weniger gewesen... Nur eine Woche später, nachdem Gaius sie zumindest aus der Ferne hatte sehen können, hörte er von ihrem Selbstmord. Sie hatte die Schikanen, Demütigungen und Erniedrigungen einfach nicht mehr ertragen können. Vor allem aber nicht die Erinnerungen an ihre Vergewaltigung, bei der die halbe Stadt zugesehen hatte. Zu diesem Übergriff war sogar ein Gemälde entstanden! Es hieß: Die Hure des Schusters. Natürlich verbreitete sich dies ebenfalls wie ein Laubfeuer und hatte ihren labilen Geisteszustand letztendlich gebrochen. Da seine Mutter die einzige Hoffnung für eine Heimkehr war, wusste er, dass er ab jetzt wirklich heimatlos bleiben würde. Deshalb verließ er als Kind dann das Viertel und kehrte niemals zurück. Um überleben zu können, ging er in eine Nachbarsstadt und verkaufte sich selbst an ein Bordell. Dort hatte er bereits mit elf Jahren die Gelüste nach Knaben stillen müssen. Selbst unter Zuschauern hatte er sich manch fetten, widerlichen Kerl hingeben müssen, wenn er nur genug Münzen gezahlt hatte! Es erinnerte ihn dann stets an den Händler... Wie er in der Öffentlichkeit über seine viel zu junge Mutter hergefallen und sie gebrochen hatte. Trotzdem schwor sich Gaius, dass er nicht an dieser Sache zerbrechen würde. Vielleicht war er verstoßen worden und vielleicht hatte er alles verloren, was er einst geliebt hatte, doch es gab etwas, was er sich noch nehmen wollte: Rache. Ein großer Meisterdieb bot ihm schließlich die Chance auf genau das! Whelos kam nicht in das Bordell, um sich selbst der Knabenliebe zu ergeben – obwohl er sich manch einer Frau hingab, wenn er schon da war – sondern weil er nach potenziellen, werdenden Dieben suchte. Wichtig war ihm, dass sie formbar waren, also durften sie nicht älter als vierzehn Jahre alt sein. Außerdem musste ihre Statur stimmen! Mit dicken oder besonders schlaksigen Jungen konnte er nichts anfangen, sondern eher mit drahtigen Knaben. Muskeln ergaben sich noch aus dem Training, aber dann auch an den richtigen Stellen. Gaius hatte dem Bild eines drahtigen, relativ kleinen Jungen entsprochen und war dazu in dieser Zeit gerade zwölf Jahre alt geworden. Damit war er ideal für die Zwecke von Whelos geeignet! Er bot ihm an, dass er ihn aus dem Hurenhaus freikaufen würde, aber dafür musste er dann für ihn arbeiten. Whelos erwartete Loyalität ihm gegenüber, wenn er sich die Mühe machte, einen freizukaufen und im Anschluss auszubilden. Wer ihn nicht respektierte oder sogar zu fliehen versuchte, durfte keine zweite Chance erwarten. Das hatte er auch ihm klargemacht. Als er ihn fragte, ob er dann auch Rache nehmen dürfe, wenn er so weit war, stimmte er dieser Bedingung zu. Er sei nicht der erste Knabe, der danach sann und gewiss auch nicht der letzte. Whelos ging aber sicherlich davon aus, dass er seine Freier oder den Zuhälter meinte. Vielleicht noch einige Dreckssäcke aus dem Bordell. Immerhin hatte Gaius den Ort gewechselt und hier kannte niemand ihn oder seine Mutter. Aber er hatte einmal auf dem Markt diesen widerlichen Händler gesehen! An jenem Tag hatte er für das Bordell Erledigungen getätigt und musste dafür von Stand zu Stand schlendern. Die zahlreichen Einkäufe waren ungemein schwer, doch es war besser, als wenn er sich einem Mann anbieten musste. Schließlich hatte er für die wohlhabenden Freier noch einiges an Obst besorgen sollen. Nicht allzu viele Händler boten diese exotischen, teuren und süßen Sorten an, die sich eben diese Freier wünschten. Deshalb war es ein erschreckender Zufall, dass dieser eine Händler, der alles hatte, was er brauchte, jener fetter, schweineäugige Kerl von damals war... Als Gaius damals an dessen Stand gekommen und ihn erkannt hatte, war er erstarrt. Vor allem, weil er Angst hatte, dass er ihn vielleicht erkennen würde! Doch der Verkäufer reagierte nicht... Er nannte das Freudenhaus und dass er eine Bestellung abholen solle und er gab ihm den Korb. Im Anschluss bekam er von Gaius das versprochene Geld. Mehr passierte nicht. Dieser Mistkerl hatte ihn einfach nicht erkannt und wirkte nicht mal reuevoll! Während seine Mutter in den Selbstmord getrieben worden war, lebte er sein Leben weiter wie bisher. Es war ihm nicht fair erschienen. Nicht, nachdem dieser Kerl seine ganze Familie zerstört hatte! Und es war sicherlich auch nicht die erste Familie gewesen, die unter seiner Perversität gelitten hatte. Gewiss auch nicht die letzte... Doch er hatte gewusst, dass er nichts hätte tun können. Er konnte mit keinen Waffen umgehen, besaß keine Gifte und hatte keinerlei Verbündete. Deshalb hatte er die Einkäufe genommen, hatte sie in das Bordell gebracht und versucht, diesen Zwischenfall zu vergessen. Nur leider tat sich Gaius bis heute schwer mit dem „vergeben und vergessen-Prinzip“. Da war ihm Whelos Angebot wirklich gelegen gekommen. Die einzige Chance, die er wohl jemals für seine Rache bekommen würde! Natürlich war die Ausbildung zum Dieb schwieriger, als er es sich anfangs vorgestellt hatte. Zwar war er damals selbst erwischt worden, als er den Apfel zu stehlen versucht hatte, doch Gaius hatte es darauf geschoben, dass der Händler einfach so viel Erfahrung gehabt hatte. In Wahrheit war er zu ungeschickt an die Sache herangegangen! Das zeigte ihm Whelos in zahlreichen Übungen, in denen er die Taschen von seinen Kameraden versuchen sollte, auszuleeren. Dafür stellten sich diese so auf, wie es befohlen wurde, damit er entscheiden konnte, wem er ausnehmen wollte. Anfangs entschied er sich immer für Personen, die alleine am Rand standen! Die merkten sofort, wenn er versuchte, die Finger in die Tasche zu stecken... Schließlich erklärte man ihm, dass das eine dumme, wenn auch verlockende Idee war. Isolierte Personen wirkten wie leichte Ziele, um ihnen ein Unrecht zu tun, doch in Wahrheit waren sie aufmerksamer und bekamen eher mit, wenn man etwas versuchte. Daraus zog Gaius seine Lehre und versuchte es schließlich bei den Gruppierungen. Anfangs auch erfolglos, bis man ihm erklärte, dass er einfach so tun sollte, als rempelte er die Leute an. Dabei musste er dann wirklich flink in die Taschen langen und sofort weitergehen! Der Rempler vertuschte die eigentliche Tat. In Menschenmengen war das auch nicht ungewöhnlich, weshalb es meistens unbemerkt geschah. Endlich hatte er das Grundprinzip verstanden und wieso er damals am Obst-Stand versagen musste! Vor einem aufmerksamen Einzelverkäufer einen Apfel stehlen zu wollen, war eine wirklich dumme Idee gewesen, die hatte scheitern müssen! Tatsächlich hätte er abwarten sollen, bis zahlreiche Kunden um seine Aufmerksamkeit bettelten und dann wäre ein erfolgreicher Diebstahl möglich gewesen. Für solche Situationen gab es Lockvögel. Solch einer wurde jedes neue Mitglied am Anfang! Sie dienten dazu, den Händler von seiner Ware abzulenken, damit die geschickteren Diebe sich an den wertvollen Dingen vergreifen konnten. Entweder lenkten sie ihn ab, indem sie ihn in ein Gespräch verwickelten und sich nach seinen Waren erkundigten oder indem sie nahe seinem Stand einen Streit anzettelten. Ob dieser unter den Dieben selbst stattfand oder tatsächlich mit Unbeteiligten provoziert wurde, spielte keine wirkliche Rolle. Es musste nur Aufsehen erregen! Sobald der Händler sich dann von seinem Stand losriss, konnten die anderen ihn leerräumen. Je nach Situation mussten die Lockvögel überlegen, welche Taktik ratsam war. Es hing von dem Stand ab, wie viel Beute sie sich sichern wollten, wie viele Händler und vor allem, wie viele Passanten da waren. Auch die Anzahl der Wächter, die plötzlich dazu kommen konnten, waren nicht unwichtig. Wobei einige von ihnen durch Whelos geschmiert worden waren und bei solchen Manövern wegsahen. Dafür bekamen sie einen ausgehandelten Anteil der Beute für sich selbst. Nachdem Gaius den Umgang mit Waffen gelernt hatte und auch seine Prüfungen als Lockvogel und im Anschluss als Dieb bestand, sah er die beste Zeit, um seine Rache zu wagen. Dafür wollte er aber seine neue Familie nicht einspannen, weil das Ganze vor ihnen geschehen war. Durch seine neue Ausbildung war es nicht schwierig herauszufinden, wann der Händler wieder in die Stadt kam und wo er meistens unterkam. Es war eine Taverne, die dem mittleren Standard entsprach und deshalb zumindest von den Wachposten mit geprüft wurde. Außerdem kamen manche Ritter dort vorbei, um dort zu essen, sich einzuquartieren oder sich Huren zu ergeben. Es war auch nicht so eine dreckige oder düstere Absteige, wie es sie in den schlechten Vierteln gab, sondern eher sauber und fast edel. Ideal für den jungen, angehenden Dieb! Die wenigen Ritter und Wachen waren leicht zu bestechen und durch seine frühere Zeit im gängigen Bordell, konnte er die leichten Mädchen ebenso verlocken, ihn zu decken. Gerade bei den wenigen Personen, die sich nicht bestechen lassen wollten. So würde er zumindest nicht direkt im Gefängnis landen, wenn doch etwas schieflief. Vor allem würde es ihm aber nicht so schnell den eigenen Kopf kosten! Trotzdem endete der Übergriff natürlich im Chaos! Er hatte den Händler unbedingt an die Schandtaten erinnern wollen, welche er seiner Mutter und sicherlich vielen Frauen angetan hatte. Er wollte hören, dass er es bereute! Natürlich bereute er es keineswegs und er erinnerte sich weder an ihn noch an seine tote Mutter. Dieses Schwein hatte sich sogar angemaßt, ihn auszulachen! Da war die Lage endgültig eskaliert... Das halbe Zimmer des Verkäufers hatte er auseinandergenommen und ihm schließlich die Kleidung vom Leib geschnitten. Er bekam keine Chance auf Flucht. Unter Schreien und Hilferufen ritzte er ihm ein einziges Wort direkt in den Bauch: Frauenschänder. Tief genug, damit es eine Narbe werden könnte, falls er entkommen sollte. Jeder sollte wissen, was er war. Falls er ein eigenes Weib hatte, würde sie es spätestens dadurch auch erfahren! Voller Zorn schubste er den Händler nackt und blutig die Treppe herunter. Alle lachten lautstark und zeigten mit den Fingern auf ihn und riefen immer wieder „Frauenschänder!“. Es war wie ein Schlachtruf bald in der ganzen Straße zu hören, welche Gaius ihn herab schubste. Dabei kam es unter den Bürgern zu Schlägereien, welche zwiegespalten waren. Die einen waren Schaulustige und wollten mehr sehen, aber die anderen fanden das Ganze nicht gut und wollten es gerne beenden. Doch da bei seiner Mutter niemand eingegriffen hatte und man sie stattdessen in den Selbstmord getrieben hatte, sah er nicht ein, weshalb er Schluss machen sollte. Stattdessen zwang er den Mann vor einem riesigen Mob zu verkünden, wie viele Frauen er geschändet und gedemütigt hatte und wie vielen Kindern er schon die Hände abschlug. Er musste sich dafür entschuldigen. Als er so seine ewig lange Liste an Gewalttaten aufzählte und in Tränen ausbrach, erkannte Gaius seinen fatalen Fehler. Es gab ihm keinen Frieden, keine Befriedigung und auch kein gutes Gefühl! Seine Mutter wäre enttäuscht gewesen, hätte sie das alles mitbekommen... In seinem Wahn war er zu dem geworden, was er so sehr gehasst hatte. Er selbst hatte einen Menschen gerade gedemütigt, bloßgestellt und vollkommen erniedrigt. Diese Dinge, die er so sehr hasste... Durch ihn vollendet! Nachdem sich die Traube an Menschen aufgelöst hatte, beendete er die Qual für den Mann. Er musste nicht ebenso leiden wie einst seine Mutter. Deshalb stach er ihm den Dolch direkt in die Brust und warf seinen Leichnam in den Fluss. Vielleicht würde der Strom des Wassers diesen Händler von all seinen Sünden reinwaschen, wie er das Blut von Gaius‘ Händen wusch. Nur leider musste er feststellen, dass kein Fluss dieser Welt solch eine Schande abwaschen konnte. Bis heute lebte er mit seinen Vergehen von damals. Noch heute bereute er, welchen Weg er für seine Rache eingeschlagen hatte, die rein gar nichts geändert hatte, außer ihm selbst! Seine Mutter war immer noch tot, sein Vater gab ihm an allem weiterhin die Schuld und er war immer noch alleingelassen in dieser großen Welt. Dafür war er besudelt von zahlreichen Sünden, Schuldgefühlen und verschmäht von der Gesellschaft. Von dieser Schuld konnte ihn niemand befreien oder freisprechen. In seinen Augen hatte er nicht nur diesen fetten Händler getötet, sondern ebenso seine Mutter, weil er seine eigenen Gelüste nicht hatte beherrschen können. Sein Herz bestand seit dieser Erkenntnis aus nichts als Ruinen. Unrettbar... Nicht zu heilen! Und nun stand er in diesen echten, wahrhaftigen Ruinen im Norden und suchte nach wertvollen Dingen, die er verkaufen konnte, als wollte die Welt ihn verspotten. Als wollte diese ihn mit diesem Trümmermeer aufzeigen, wie es eigentlich in ihm selbst aussah. Chaotisch, demoliert und nur noch Fragmente von einst besseren Zeiten, jedoch vollkommen vergessen von jeglicher Zivilisation.   „Wir haben etwas gefunden, Gaius!“, rief einer seiner Offiziere. Wenn man eine große Diebesbande betrieb, brauchte man eine feste Rangordnung und Struktur. Gaius brauchte keine zweite Aufforderung, um sich aus den Gedanken seiner Vergangenheit zu lösen. Wieso er gerade heute daran dachte, wusste er nicht, aber es war besser, wenn er sich nicht weiter ablenken ließ. All das konnte man inzwischen nicht mehr ändern. Der Brünette musste endlich damit abschließen und im Hier und Jetzt leben lernen! Im Hier und Jetzt hatten sie vielleicht etwas Wertvolles gefunden, was sie über den Winter bringen konnte. Sein Offizier führte ihn tief nach unten. Sie hatten so viele Fackeln zu entzünden versucht, wie es eben gegangen war. Viele davon waren zu eingeweicht gewesen, um ein Feuer zu entfachen. Diese hatten sie dann durch eigene ersetzt, damit sie genug Licht in diesen Katakomben bekamen. Eine mühselige Arbeit, aber wenn man sich dafür nicht die Zehen brach, war es das durchaus wert. Gaius fühlte sich etwas, wie in einer Tropfsteinhöhle! Es war dauerhaft ein feuchtes Klima, düster und ständig tropfte Wasser auf die Schultern oder die Haare. Nirgendwo schien es wirklich ruhig zu sein, denn ständig hörte man das Tropfen des Wassers. Es plätscherte in Pfützen, was durch das Hallen hier verstärkt wurde. Ein wirklich unheimlicher Ort, den ein normaler Mensch wohl sofort verlassen und abergläubisch von Geistern schreien würde. Abergläubisch war er selbst nicht, jedoch einige aus seiner Bande. Die saßen bibbernd in Ecken oder zwangen sich, hier nach wertvollen Dingen zu suchen. Schließlich kamen sie in eine Art Kerker an. Die Fenster waren mit alten Gittern gesichert worden und die ganze Front bestand nur aus massiven Eisenstangen. Das Tor stand offen und war offenbar nicht gewaltsam aufgebrochen worden. Weder von ihnen noch von den vorherigen Insassen. Es deutete sonst auch nichts darauf hin, dass hier jemand versucht hatte, durch reine Gewaltanwendung zu entkommen. Jedoch gab es in der Zelle auch keinerlei Skelette, gammelnde Kleidung oder Überreste, die daran erinnern könnten, dass hier überhaupt mal ein Mensch eingesperrt worden war. Dafür lagen aber vor der Zelle einige Skelette und rostende Rüstungen! Nach ihrer Ausrüstung und ihren Standorten zu urteilen, waren das einst Wachposten gewesen, doch sie hatten offenbar eine leere Zelle bewacht. Wer gibt denn Ressourcen aus, um eine leere Zelle zu bewachen? Hier stimmt doch irgendwas nicht..., überlegte der Anführer der Diebesbande, Ist ja fast so, als hätte man den Gefangenen vor irgendwas noch retten können, aber die Wachen mussten sie zurücklassen. Kein Gefangener ist normalerweise die eigenen Leute wert... Hier aber deutete alles daraufhin, dass die eigenen Leute zum Sterben zurückgelassen worden waren. Der Sinn dahinter ließ sich aber ohne ein genaueres Wissen nicht wirklich erschließen. Immerhin bestand das hier eher aus Staub und Asche! Die Schriftzeichen, welche in den klammen Wänden eingeritzt waren, konnte hier zudem keiner lesen. Anfangs hatte Gaius noch geglaubt, dass es daran lag, dass der Zahn der Zeit alle Zeichen verunstaltet hatte, aber schließlich waren die klügeren seiner Einheit zu dem Entschluss gekommen, dass dies eine unbekannte, vielleicht tote Sprache war. Alles ergab hier einfach keinen Sinn! Nichts schien zueinander zu passen... Eine Ruine, die kaum zu erreichen war, weil sie mitten in den Bergen lag. Kein wirklicher Pass, der zu ihm führte oder einst mal hingeführt hatte. Es gab Hinweise darauf, dass hier welche gelebt hatten, aber keine wirklichen Wertsachen. Jene Dinge, die beschriftet zurückgelassen worden waren, konnte hier niemand übersetzen. Und offenbar hatte es einen Gefangenen gegebenen, den man aus seiner Zelle gelassen hatte. „Was habt ihr gefunden?“, wollte der Anführer schließlich wissen. „Abgesehen von noch mehr Geröll.“ „Guck‘ dir mal die Gitterstäbe an, Gaius.“, sagte sein Offizier und deutete auf eine Stelle, welche die Männer wohl schon mit einem Tuch abgewischt hatten. Anfangs wollte der Anführer sie nach ihrem Verstand fragen und sich erkundigen, seit wann sie sich für Gitterstäbe so brennend interessierten. Dann aber fielen seine braunen Augen auf die abgewischte Stelle. Er wurde ganz still und trat näher heran, damit er einen besseren Blick bekam. Parallel dazu glitten seine Kuppen darüber. Es waren zahlreiche Zeichen minimalistisch und sehr fein in die Gitterstäbe eingeritzt. Gaius hob den Blick und erkannte, dass diese Symbole tatsächlich bis oben zur Decke gingen. Er musste nicht nach unten schauen, um zu wissen, dass es bis dorthin ebenfalls Gravierungen geben würde. So akribisch, wie sie eingearbeitet worden waren, mussten sie einst wichtig gewesen sein. Er hatte von Magie gehört, die durch solche Runen bestimmte Feinde fernhalten konnte. Sein früherer Meister hatte ihm außerdem berichtet, dass es auch Magie gäbe, welche in Form von Runen in Wände eingearbeitet wurde und dann durch Kontakt mit einem Magiebegabten aktiviert werden konnte. Gesehen hatte er es jedoch selbst niemals... Magier mussten sich gut verstecken, weil viele ihre Macht fürchteten oder begehrten. „Lass mich raten...“, begann Gaius schließlich. „Mir kann auch hierbei keiner sagen, was das bedeutet, oder? Eine unbekannte Sprache...“ „So ist es.“, bestätigte ihm der Offizier. „Aber vielleicht sind diese Gitterstangen ja etwas wert. So feinsäuberliche Schriftzeichen... Außerdem scheint das irgendein Mischstoff zu sein und nicht einfach nur Eisen.“ Nun, wo er es explizit ansprach, bemerkte er es auch. Die Stangen schimmerten ganz schwach in einem bläulichen Farbton. Zwar wurde der Schein von Schmutz, Staub und Rusch größtenteils verdeckt, doch die gesäuberten Stellen ließen den Eindruck bei Fackelschein zu. Mithril!, erkannte er überrascht. Zumindest die Legierung besteht aus Mithril. Das ist ein ungemein seltenes und teures Erz. Und wer weiß schon, was unter der Legierung schlummert? „Diese Stäbe sind gigantisch.“, erinnerte Gaius seinen Mann. „Außerdem wirken sie sehr stabil... Es würde uns zudem nichts nützen, wenn wir sie eventuell beschädigen.“ „Einige der Gitterstäbe sind inzwischen ganz locker, Gaius.“, erklärte der Offizier und ging zu einer dieser besagten Stangen, um daran zu rütteln. Sie schwankte wirklich bedrohlich hin und her. Oben hatten sich offenbar mit der Zeit die Befestigungen gelöst. Vermutlich durch den Rost, welcher sich durch die Verankerungen fraß. Bei ihnen war wohl kein Mithril benutzt worden! Sein Offizier grinste breit: „Wir holen die lockeren Stangen einfach heraus und spannen sie dann an die Pferde, damit sie sie ziehen. Ich denke, dass sie es verkraften werden, wenn sie über den Schnee schlittern.“ „Na gut, aber seid vorsichtig. Ich will nicht, dass ihr die Ruinen zum Einsturz bekommt, während wir noch drin sind.“ Was waren das nur für Zeiten? Immer wieder huschte diese Frage durch Gaius‘ Kopf. Nun stahlen sie schon Gitterstäbe einer uralten Zelle, damit sie über die Runden kamen! Die ruhmreichen Streifzüge, in denen sie die Reichen bestohlen hatten, waren wohl endgültig vorbei. Stattdessen durchforschten sie Katakomben in der Ferne und nahmen mit, was andere als Müll betrachten würden. Trotzdem war hier immerhin Mithril im Spiel! Vermutlich nicht besonders viel, doch es konnte ihnen dennoch das Abendessen sichern. Inzwischen sind wir nur geschicktere Schrottsammler, die um Geld betteln für die Sachen, die sie ausgraben..., dachte der Anführer verbittert. Dann plötzlich hörte er etwas. Erst war es nur leise, dann immer eindringlicher. Wie das Wimmern eines Kindes im Wind... Das aber war unmöglich! Seit Jahrhunderten lebte hier niemand mehr, es gab im Umkreis keine bewohnten Ortschaften und sie nahmen selbst auch keine Kinder mit. Natürlich hatten sie welche in der Ausbildung, doch Gaius achtete sehr genau darauf, dass sie nicht frühzeitig eingesetzt worden. Die Fehler seiner Meister wollte er nicht machen, um sich nicht als Schänder fühlen müssen. Seine Berufung war schon schlimm genug! Er sah sich um und stellte fest, dass alle ihrem geschäftigen Treiben nachgingen. Sie drehten fast jeden Stein um, weil sie nach wertvollen Relikten suchten oder nach Hinweisen, wo diese zu finden sein könnten. Niemand sonst schien das zu hören. Oder sie ignorierten es, weil sie es für das Flüstern des Windes hielten. Jedoch gab es hier nirgendwo Fenster! Sie waren tief unter der Erde... Wo sollte hier nur ein Lüftchen wehen können? Eventuell wurde er auch nur verrückt, weil er schon so lange von seiner Heimat fort war und bisher immer noch nicht die Grabstätte seiner eigenen Mutter besucht hatte. Sie fehlt mir noch heute... Mir fehlen ihre roten Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen, wenn sie mich sieht. Mir fehlt ihr Lachen... Ihre Wärme. Inzwischen wusste Gaius sehr genau, dass Menschen dazu neigten, Dinge zu vermissen, die sie verloren hatten. Davor nahmen sie diese für selbstverständlich und neigten dazu, sie als unwichtig zu erachten. Seit Gaius‘ Mutter gestorben war, sehnte er sich nach den Dingen, die mit ihr zum Alltag geworden waren. Ohne sie gab es keine Freude mehr... Keine Wärme. Kein Licht! Er hatte sich in der Dunkelheit verirrt und fand den Weg nicht mehr nach Hause. Deshalb war er auch niemals zu ihrem Grab gegangen... Solche Gefühle würden seine Männer niemals verstehen. Auch sie hatten Dinge oder Leute verloren, doch sie taten die Sehnsucht nach dem Verlorenen als Schwäche ab. Verdammten Gefühle, welche sie von gezielten Richtungen abbringen könnten. Anders könnten sie sich nicht die Dinge von Leuten nehmen, welche diese vielleicht sogar zum Überleben brauchten und ihnen nicht gehörten. Sie sagten sich nur, dass sie es dringender brauchten. Ohne ihr Diebesgut überlebten auch sie den nächsten Winter nicht. Oder sie hatten nichts, um Soldaten zu bestechen... Er folgte dem vermeidlichen Wimmern, auch wenn es vermutlich nichts war. Nur eine Einbildung... Innerlich schwor sich Gaius, dass er solche Ausflüge zukünftig einstellen würde. Sie würden sich ein reiches Königreich suchen und sich dort am Adel bereichern. An Königen! Das erschien ihm glorreicher und weniger... unheimlich. Dieser ganze Ort war Gaius einfach nicht geheuer. Seit er hier war, hatte er pausenlos eine Gänsehaut und fühlte sich so, als schloss sich eine eiskalte Hand um seinen Brustkorb. Draußen im Schnee herrschte schon fast ein angenehmes und schönes Klima. Ihn zog es tiefer in die alte Zelle hinein, während hinter ihm seine Männer tüchtig weitersuchten oder alte Fackeln entzündeten, damit sie genug Licht hatten. Hier drin gab es keine Fackeln und auch keine alten Ständer oder Halterungen dafür. Die Gefangen hatten wohl ohne viel Licht auskommen müssen. Es gab auch sonst nichts, was vielleicht mal ein Bett gewesen war. Wem auch immer dieser Kerker gehörte, dessen Besitzer hatten nichts davon gehalten, es ihren Gefangenen bequem zu machen. Eventuell wollten sie so verhindern, dass ihr Volk Verbrechen begann. Die Strafe sollte genug zum Fürchten sein, damit sie nicht stahlen, mordeten oder vergewaltigten. An sich erschien das Gaius weise, aber auch grausam und ein bisschen kaltblütig... Der braunhaarige Meisterdieb kam schließlich an einer Wand an. Erst hielt er es für eine gewöhnliche Mauer und wollte sich für seine Halluzinationen schon selbst tadeln, dann bemerkte er, dass es ein riesiges Loch darin gab. Ganz nahe am Boden! Durch die Dunkelheit war es erst gar nicht aufgefallen und man musste schon sehr nah dran stehen, um es wirklich zu bemerken. Es sah ein bisschen so aus, als hätten die Zwerge mit ihrem Schwarzpulver experimentiert. Ganz vorsichtig ging der Anführer in die Hocke, damit er einen genaueren Blick darauf werfen konnte. Das Jammern schien hierher zu kommen. Es war so laut und intensiv! Er verstand nicht, warum seine Mannschaft nicht darauf reagierte. Doch vor allem verstand er nicht, wieso er sich an etwas erinnert fühlte... Es klang so unheimlich vertraut. Als habe er genau diese Stimme schon genauso jammern hören - vor langer, langer Zeit... Nun, wo er so dicht dran war, konnte Gaius hören, dass ein Knabe nach seiner Mutter weinte. Er flehte um ihre Vergebung und schwor, dass er sich bessern würde. Deutlich hörte er, wie er ihr versprach, dass er sich nie wieder so benehmen würde. Er schwor, dass er es dieses Mal wirklich verstanden hatte und sie Besseres verdient hatte. Einen besseren Sohn... Ein besseres Zuhause. Er wolle ihr all das ermöglichen, wenn sie ihm nur seine Schwäche verzieh. Gaius wusste, dass er es war. Diese Dinge hatte er geweint, nachdem sein Vater ihn auf die Straße gesetzt und ihn verstoßen hatte. Es war seine Art des Gebets gewesen, denn innerlich hatte er gewusst, dass wenn nur sie ihm vergab, er zurückkehren dürfte. Sie war immer so energisch gewesen! Wenn sie etwas gewollt hatte, dann hatte auch sein Vater ihr keinen Wunsch abgeschlagen. Wäre sie nur stark genug gewesen... Er spürte, wie ihm eine Träne die Wange herunterlief. Auch wenn seine Männer es wohl als Schwäche ansehen würden, wischte er diese nicht weg. Sie war ein Zeichen dafür, dass er niemals vergessen würde, was er einst verloren hatte. Die einzige, wahre Liebe, die ihn jemals erfüllt hatte... Es erinnerte ihn daran, dass sein Drang dazu, sich zu nehmen, was ihm nicht gehörte, alles zerstört hatte. Nicht dieser Händler war schuld am Selbstmord seiner schönen Mutter oder dieser gierige, perverse Mob, sondern er. Weil er sich nicht beherrschen konnte! Weder damals noch heute. Diese Schuld lastete seit Jahren wahnsinnig schwer auf seinen Schultern. Ohne, dass er sich wirklich beherrschen konnte, streckte er seine Finger nach etwas aus, was weit in diesem Krater verborgen schien. Eigentlich wusste er selbst nicht, weshalb er das eigentlich tat, aber er konnte auch nicht aufhören. Er streckte sie weiter und weiter... Plötzlich spürte er etwas! Erst wollte Gaius seine Hand zurückziehen und es einfach dabei belassen, doch da war dieser Ruf in ihm, dem er folgen musste. Es fühlte sich warm an... Es gab nach, wenn er es berührte. Ein bisschen so, als berührte er etwas Lebendiges... Während er sich an das gebrochene Gesicht seiner Mutter erinnerte, nachdem man sie vergewaltigt hatte, zog er mit seiner anderen Hand seinen Dolch. Gaius versuchte sich zu erinnern, wie ihr Lachen geklungen und wie ihr Lächeln ausgesehen hatte, doch er wusste es einfach nicht mehr. Doch er wollte sich erinnern! Er wollte sich in jeder Einzelheit an seine liebste Mutter erinnern, wie sie vor diesem Zwischenfall gewesen war. Nicht, wie sie um sein Leben bettelte und auch nicht, als der fette Händler sich ihr aufzwang... Ein brennender Schmerz breitete sich in seinen Arm an! Entsetzt blickte er in das düstere Loch, in dem nun beide Hände steckten. Er hatte sich mit seinem eigenen Dolch den Unterarm aufgeschlitzt. Vollkommen in Trance! Bis eben hatte er so sehr an seinen Verlust gedacht, dass er seine Umgebung vollkommen ausgeblendet hatte. Und selbst jetzt war er nicht wirklich Herr seiner Sinne. „He, hast du etwas gefunden, Gaius?“, fragte ihn einer seiner Männer, der näherkam. „Oder hoffst du, dass dir das die warmen Schenkel einer Frau ersetzen kann? Scheint zumindest ein tiefes Loch zu sein.“ Seine Mannschaft lachte, doch ihm war nicht danach. Nicht nur, weil diese Aussage kein bisschen witzig war, sondern vor allem auch, weil er nicht wusste, was er da tat. Gaius konnte nicht mal sagen, wie lange er gebraucht hatte, um beide Hände hinein zu stecken oder wie lange er gebraucht hatte, sich selbst den Unterarm aufzuschneiden. Urplötzlich schrie er auf. Gellend und lautstark! In seinem Unterarm spürte er, wie sich etwas in seine offene Wunde quetschte. Es brannte und tat so höllisch weh! Er wollte seinen Arm aus diesem verdammten Loch reißen, doch das funktionierte nicht. Gaius war unfähig, sich noch ansatzweise zu bewegen! Doch dieses Zeug dagegen kroch mit brennenden Schmerzen einfach durch seinen Arm zu seinem Herzen. Von dort aus schien es durch jede Ader gepumpt zu werden... Der Schmerz betäubte ihn so sehr, dass er ein Gefühl der Ohnmacht spürte. Hinter ihm brach derweil absolute Panik aus. Was sie anfangs für einen dummen Scherz gehalten hatten, entpuppte sich als furchtbare Realität. Eine schwarze, schleimartige Schlacke schoss an ihm vorbei aus diesem furchtbaren Loch und warf sich über die Banditen, die am nächsten waren. Nicht nur das, von ihnen aus sprang es zu den nächsten. So breitete es sich ungemein schnell aus! Wie ein Feuer, das sich durch trockenes Laub fraß... Alle schrien, sobald sie mit diesem schwarzen Zeug in Kontakt kamen und versuchten es verzweifelt abzuschütteln. Dann wurde alles Schwarz...   „Das könnten die Ruinen sein, die der Mann erwähnt hatte.“, sagte Cazie und deutete voran. „Sie sind ungemein schwer zu erreichen... Wie hat er sie bloß gefunden?“ „Auf dieselbe Weise wie wir.“, sagte Andras belustigt. „Er hatte einen irren Führer, der Dinge sah und hörte, die sonst niemand sah oder hörte. Plötzlich war er hier und kam sich ganz großartig vor.“ „Das habe ich gehört.“, zischte die Elfe und stapfte durch den hohen Schnee voran. Inzwischen war es für sie alle wahnsinnig schwer, sich durch diesen zu kämpfen. Argrim hatte es natürlich am schwersten, weil er seine Beine gar nicht erst aus der weißen Unendlichkeit bekam, aber auch ihre Beine verloren sich inzwischen bis zu den Knien. Den Karren hatten sie schon vor Tagen aufgeben müssen! Sie hatten alles verbraucht und mitgenommen, was ging, aber den Rest hatten sie zurücklassen müssen. Es machte die Reise nicht unbedingt leichter oder angenehmer, weil es immer schwieriger wurde, Feuer zu entfachen, wenn sie sich nachts ausruhten. Der einzige Vorteil an den Gebirgen war, dass es oftmals Höhlen oder Felsen gab, die einen vor Wind und Wetter schützen konnten. Obwohl sie alle erschöpft waren, gaben sie dennoch nicht auf. Sie folgten Billie, auch wenn sie nicht verstanden, wie genau sie den Weg gefunden hatte. Sie war Hinweisen gefolgt, die für sie überdeutlich gewesen waren, aber nicht für ihre Gefährten. Für sie waren es nur Steine, Stöcke oder Verwehungen gewesen! Eine innere Macht schien die Blondine aber zu führen, denn sonst würden sie in der Ferne nicht die Andeutungen von Ruinen, Türmen und alten Mauern sehen können. Was sie auch immer in sich gefunden hat, es führte uns hierher..., dachte Argrim wirklich überrascht, Ob es uns wohlgesonnen ist, werden wir aber wohl erst später erfahren. Sobald wir dort sind... Bisher schien uns nichts wirklich wohlgesonnen zu sein und ich bezweifle, dass es dieses Mal anders sein wird. Über Zweifel sprach hier keiner. Billiana hatte deutlich gemacht, dass sie weitergehen würde, sie aber niemand begleiten musste. Sie wüsste, was sie zu tun habe und brauchte keinen, der ihr dabei zur Last wurde. Letztendlich waren sie dann doch alle geblieben. Sogar Cazie, die solch eine Reise keineswegs gewohnt war! Immer nur hatte sie im gleichen Dorf gelebt, damit sie sich um dessen Verletzten und Kranken kümmern konnte. Dafür war sie höchstens mal die Pässe herunter gereist, um neue Kräuter zu besorgen. Meistens hatten sich aber auch darum die Bewohner gekümmert. Ihre Heilkundigen taten viel für sie und dafür organisierten sie ihnen ihre Zutaten. Schlimm war aber nicht nur, dass sie solche Anstrengungen nicht gewohnt war, sondern vor allem, dass Cazie keinerlei Kampferfahrungen hatte. Erst vor kurzem hatte sie ihr erstes Lebewesen getötet... Den Umgang mit einer Waffe hatte sie niemals lernen müssen, was sie bei einem Angriff zu einem Klotz machen würde. Zwar hatte der Zwerg bemerkt, dass Andras die junge Frau immer wieder heimlich trainierte, während die anderen schliefen, doch die Fortschritte waren minimal. Im Ernstfall würde die Rothaarige sich immer noch nicht verteidigen können. Allerdings gab es wohl für keinen von ihnen eine wirkliche Alternative. Ihre Heimaten waren zerstört, die Lieben zerstreut oder tot. Selbst wenn sie versuchten, eine neue Heimat zu finden, würden sie in den meisten Orten genau das vorfinden, was sie einst verließen: Krieg, Tote und Chaos. Ob sie nun dort starben oder hier schien sich nur in einer Sache zu unterscheiden: Sie starben in der Gewissheit ihren eigenen Willen zu haben. Außer Billie... Sie scheint von einer anderen Macht gelenkt zu werden. Nicht von Zodiak, das würde sich anders zeigen, aber irgendwas ist da... „Du bist so still, kleiner Mann.“, spottete Andras plötzlich. „Was ist denn los? Gefällt dir dieses angenehme Klima etwa nicht?“ „Alles bestens.“, schnaubte der Zwerg angestrengt. Die Schneemassen waren wirklich schwer! Und gefühlt wurden sie auch immer schwerer je weiter sie gingen... Billiana hörte wohl die Unterhaltung, denn sie warf einen Blick zurück über ihre Schulter. Für einen Moment meinte Argrim, dass er Besorgnis in ihren eisblauen Augen erkennen konnte. Sie tauschten sich aber schnell wieder gegen Überzeugung aus, während sie sich zurückfallen ließ. Ihr schien die Kälte am wenigsten etwas auszumachen, obwohl sich unter den Handschuhen verfärbte Finger befanden. Abends an den Lagerfeuern hatte er es bemerkt... Auch ihr machte der Frost etwas aus. „Geht es dir gut?“, erkundigte sie sich. „Du siehst erschöpft aus. Brauchst du eine Pause?“ „Wir sind ja fast da, Fräulein Elfe, alles gut. Ich werde es schon überleben.“ „Vielleicht wäre es ohnehin besser, wenn wir uns vorher mal ausruhen.“, warf Andras ein. „Wir wissen ja nicht, was uns in diesen Ruinen erwartet. In der Regel ist es besser, wenn man sich vorbereitet und ausgeruht ins Unbekannte stürzt.“ Einen Moment wirkte es so, als wollte die Elfe diesen Vorschlag abtun, nickte dann aber. Es wurde ohnehin bald dunkel! Andras‘ Vorschlag war durchaus weise und vorausschauend. Immerhin wussten sie wirklich nicht, weshalb es sie so magisch zu diesem Ort zog und was dort auf sie lauerte. Bisher hatten sie keine herzlichen Empfänge bekommen und mussten dauerhaft in Bewegung bleiben. Obwohl Argrim nichts gegen ein reichhaltiges Menü an einem Kaminfeuer einzuwenden hätte. Dazu noch ein leckeres, schäumendes Met... Leider konnte er mit solchen Dingen nicht rechnen. Eher mit Sachen, die Andras gejagt bekam und Kräuter, die Cazie irgendwo verborgen fand. Dazu dann die mageren Reste des Proviants, die sie aus dem Wagen gerettet hatten. Die letzten Mahlzeiten hatten alle gleich geschmeckt. Vor allem waren sie aber nicht sättigend... Nach einer gefühlten Minute begann der Magen wieder zu knurren und verlangte nach richtiger Kost! Langsam kam sich Argrim wie ein hungernder Bettler vor, der einfach keine Münzen für Essen hatte. „Da vorne ist eine Höhle.“, sagte Andras und deutete voran. „Dort können wir unser Nachtlager aufschlagen, damit wir morgen in alter Frische aufbrechen können.“ „Sehr gut.“, murmelte Billie gedankenabwesend. „Ihr organisiert wieder etwas zu Essen und wir versuchen uns an einem Lagerfeuer.“ Umgekehrt hatten sie es auch schon versucht, jedoch würde der Nekromant als Pfadfinder keine Auszeichnung bekommen. Er war gut darin, sich einen Hasen zu schnappen, aber im Entzünden von feuchtem Holz war er eine Katastrophe! Er fand nicht mal welches... Billiana war zwar eine bessere Jägerin, doch vor allem hatte sie ein Gespür dafür, Holz zu finden. Meistens war es sogar relativ trocken. Argrim konnte aus jeden Stück Holz eine Flamme entlocken, doch er war zu laut und plump, damit er erfolgreich jagen konnte. Um Kräuter und Pilze zu sammeln fehlte ihm das Wissen... Wenn Andras mal kein frisches Fleisch fangen konnte, brachte er Grünzeug mit, welches er fand. Manchmal waren es Pilze, manchmal Kräuter oder undefinierbare Stängel. Im Scherz sagte der Schwarzhaarige dann, dass er damit eigentlich die Häschen hatte anlocken wollen, doch da die nicht angebissen hätten, mussten sie sich nun damit vergnügen. Argrim glaubte, dass das weniger Scherz als ernst war... An solchen Tagen kümmerte sich Billie dann um die Fleischversorgung. Sie schaffte es irgendwie immer, etwas zu fangen. Auch hier hatte der Nekromant einen passenden Witz. Sie ginge auf alle Viere und holte ihre animalische Seite heraus. Dann glaubten die Tiere, dass sie eine von ihnen sei und liefen freiwillig in ihre Arme. Das fand die Elfe weniger witzig, doch offenbar hatte sie tatsächlich ein Händchen für die freie Wildnis. Billiana kam wieder und trug einige Zweige, Äste und ein paar dickere Holzstücke. Wo sie diese immer fand, stellte der Zwerg nicht in Frage, sondern nahm sie ihr stattdessen ab. Er hatte derweil schon etwas Laub auf den Boden verteilt und mit einigen Steinen einen Rahmen geformt. Er sollte das Feuer dann im Zaum halten, wenn es erstmal loderte. Das Holz konnte er bedenkenlos auf das Laub legen. Im Anschluss holte Argrim zwei Feuersteine aus seiner Tasche, die er stets mit sich herumtrug. Man wusste nie, wann man ein Feuer dringend brauchte! Als Zunder benutzte er stets etwas trockenes Seil, welches er sich ebenfalls aus dem Karren gesichert hatte, um solche Flammen möglich zu machen. „Ist es nicht geschummelt, dass du dich über Andras lustig machst, obwohl du eigentlich Hilfsmittel benutzt?“, erkundigte sich die Blondine und beobachtete den Zwerg dabei, wie er den einen Stein hielt, während er den anderen seitlich dagegen schlug. Schon nach wenigen Versuchen entstanden die ersten Funken, jedoch entfachten sie noch nicht das Feuer. Manchmal brauchte das einfach einige Anläufe und viel Geduld, besonders wenn es kein trockenes Holz zu finden gab und sie stattdessen in der Kälte hockten. Da konnten sie es nicht mal so an der Luft trocknen lassen, denn bis dahin waren sie erfroren... „Ich bezweifle, dass er die Hasen wirklich mit den Händen fängt.“, warf Argrim ein. „Er wird sicherlich auch Fallen nutzen oder etwas in der Richtung.“ „Kaninchen.“ „Was?“ „Er bringt uns Kaninchen, keine Hasen.“, korrigierte die Elfe ihn. „Er holt die Kaninchen bestimmt direkt aus ihren Bauten heraus oder versperrt ihre Tunnel, damit er sie bekommt. Bei Hasen wäre das Fangen viel schwerer...“ „Ich dachte, du seist nicht von hier?“ „Bin ich auch nicht.“, stimmte sie nickend zu. „Aber, wenn man überleben möchte, dann muss man schnell lernen. Sonst kann man es vergessen, fremde Welten zu besuchen.“ „Du hast offenbar schnell die Unterschiede zwischen Hasen und Kaninchen gelernt.“, sagte er amüsiert. „Oh, es gibt noch mehr! Zum Beispiel leben Kaninchen eher im Rudel, deshalb ist es ebenfalls leichter, sie eben zu fangen. Hast ja mehr Chancen...“ „In Ordnung!“, warf der Zwerg ein. „Bitte nicht noch mehr Details! Ich glaube dir ja.“ Billie zuckte mit ihren Schultern und verstand offenbar nicht, was ihn an ihrem Wissen so störte. Vielleicht hielt er es für pure Angeberei, doch eigentlich war sie nur stolz auf sich. Sie hatte in kurzer Zeit etwas gelernt, was die eigenen Einwohner dieser Welt wohl nicht wirklich wussten. Ihr hatte es bei der Jagd schon sehr geholfen! Bisher sicherte es ihnen eine tägliche Zufuhr von Fleisch oder Fisch. Aus einem Sack holte sie den alten Kochtopf und die alten Teller, wie auch Holzlöffel. Sie wechselten sich untereinander ab beim Schleppen, weil sie solche Dinge eben brauchten. Es gab auch einen großen Stock zum Umrühren der Speisen, aber auch einige Seile, um Gerüste bauen zu können. Es ermöglichte ihnen ein angenehmeres Leben in der Wildnis. Um Argrim zu entlasten, baute sie ein Gerüst, an dem sie im Anschluss den Kessel hängen konnten. Es war keine Option, dass einer den Topf festhielt, während ein Süppchen über dem Feuer kochte. Es würde ihnen nur die Finger verbrennen und keinem helfen! Als es sicher stand, befeuchtete sie alles mit Schnee, damit es nicht versehentlich entfacht wurde. Inzwischen hatte Argrim es auch geschafft, ein Feuer zu entfachen. Nun warf er noch etwas von einem gerissenen Seil herein, damit es auch schön weiter fackelte. Bald würde Billiana wieder nach neuem Holz suchen müssen, doch das war vollkommen in Ordnung. Solange sie ein Lagerfeuer hatten, froren sie zumindest nicht ganz so stark. „Hast du dir so deinen ersten Ausflug auf die Oberwelt vorgestellt?“, erkundigte sich der Zwerg, während er das Zeug zum Kochen bereitstellte. In den Topf tat er derweil Schnee, den sie über dem Feuer schmelzen würden. Anders kamen sie zurzeit nicht an sauberes, frisches Wasser ohne welches zu schleppen. „Nicht ganz so.“, gestand die Blondine. „Ich hatte es mir zumindest etwas fröhlicher und heller vorgestellt.“ „Wie ist es in der Unterwelt so? Ich hörte immer nur, dass es die Hölle sei.“ Sofort verzog sie das Gesicht und schüttelte den Kopf. Diesen falschen Vergleich hörte sie ständig! Also sahen ihre eisblauen Augen ihn an: „Die Unterwelt ist nicht gleichzusetzen mit der Hölle. In die Hölle geht man, wenn man mal stirbt und ein sündiges Leben geführt hat, aber die Unterwelt ist eine eigenständige Welt. Es ist nicht so schön wie hier, das streite ich nicht ab, aber es ist grundsätzlich nicht viel anders.“ „Also keine Flüsse aus Seelen und Feuerregen? Keine Bestien, die nach meiner Seele trachten?“, hinterfragte Argrim grinsend. „Du guckst so, als hätte ich gerade voll ins Schwarze getroffen.“ „Ja, ja, schön!“, winkte sie ab. „Ein paar eurer Klischees treffen natürlich zu.“ „Nun würde mich interessieren, welche unserer Klischees alle zutreffend sind und welche nicht.“ „Es gibt einen Seelenfluss, doch er funktioniert anders als ihr denkt. Dort landen lediglich die Seelen, die zu Lebzeiten einen Pakt mit einem Unterweltler geschlossen haben und ihm ihre Seele versprachen. Unabhängig vom Inhalt des Paktes oder des Charakters desjenigen, landet sie dort.“, erklärte sie mit verzogenem Gesicht. „Diese Seelen stehen größtenteils dem Herrscher zu, doch einige bekommen auch die Paktierenden selbst. Sie landen aber normalerweise nicht im Fluss. Allerdings gibt es keinen Feuerregen! Jedoch kommt es vor, dass Schwefel und Asche vom Himmel fallen... Es gleicht dann eurem Phänomen eines... Wie heißt das? Vulkanausbruch? So in etwa äußert sich das dann bei uns. Wir haben nämlich tatsächlich flammende Berge und Lavaströme. Sie verpesten die ganze Atmosphäre. Aus diesem Grund ist unser Himmel nicht blau, sondern eher in einem schmutzigen Orangeton. Einige unserer Einwohner brauchen Seelen, um zu überleben oder sich zu stärken. Deshalb stimmt es durchaus, dass du an einige deine Seele verlieren könntest. Dadurch landest du aber nicht in der Hölle... Wohin du gehst, hat nicht so viel mit deiner Seele zu tun, sondern viel mehr mit dir selbst.“ „Und dieser Wolf, der dir manchmal hilft? Kommt er aus der Unterwelt?“ „Nein... Nein, er stammt aus der Zwischenwelt.“ „Was ist die Zwischenwelt?“, hinterfragte der Zwerg verwirrt und rammte die Holzstücke in die Erde, um den Topf über das Feuer hängen zu können. „Wie es die Bezeichnung schon sagt, ist es eine Welt, die zwischen den Welten existiert. Sie ist eine Art Puffer, bietet aber zugleich die Wege an, um andere Welten besuchen zu können. Nutzt du ein Portal, wanderst du auch durch die Zwischenwelt, um die andere Seite zu erreichen.“, erklärte Billie sachlich. „An sich ist die Zwischenwelt genau das, was ihr so gerne als >Hölle< bezeichnet. Verlierst du deine Seele – sei es durch einen Pakt oder weil du sie zerstört hast – dann landest du dort, statt im Himmel oder der echten Hölle. Du verlierst deine fleischliche Hülle und wirst zu einem... unsteten Nebel... Sehr schwierig zu beschreiben! Wenn du lange genug dortbleibst, kannst du jedoch lernen, eine Gestalt anzunehmen. Bis dahin wirkst du wie ein Irrlicht... Jedoch verlierst du jegliche Erinnerungen an dein früheres Leben und wirst nie wieder der sein, der du einst warst. Du wirst zum Knecht der Königin dort. Das einzige Gefühl, welches du kennst, ist Gier. Die Gier nach Seelen, um sie deiner Königin als Tribut zu bringen und deine Existenz zu sichern. Die Kreaturen dort kennen viele Tricks, um dich zu verführen. Kommst du ihnen zu nahe, wirst du ohne deine Seele weiterziehen müssen... Schließt du einen Pakt mit der Zwischenwelt, wirst du bei der Erfüllung deine Seele verlieren und definitiv dort landen. Dann gibt es keine Heilung mehr... Niemand hat es bisher geschafft, eine Seele aus der Zwischenwelt zu retten. Die Königin krallt sich fest an ihre Beute.“ „Klingt so, als wären die Geschichten eher von diesem Ort und nicht von deiner Heimat.“, murmelte er erstaunt. „Nur der Ascheregen und die unheimlichen Monster sind wohl durch euch ins Leben gerufen worden.“ „Ja...“, stimmte sie zu. „Ich vermute, dass diese Geschichten durch Leute entstanden sind, die beide Welten gesehen haben, es jedoch nicht verstanden. Menschen neigen dazu, Sachen falsch zu interpretieren oder zu übertreiben.“ „Es könnte doch auch ein Zwerg gewesen sein oder eine Elfe.“ „Nein... Ich denke, dass es ein Mensch war. Die anderen Rassen haben ein höheres Verständnis für Magie und das Zusammenspiel der Welten.“ „Bis eben wusste ich nicht, dass es eine Zwischenwelt gibt.“, warf der Zwerg ein. „Und ich dachte, dass du aus der wortwörtlichen Hölle stammst.“ „Aber du hast auch weder den einen Ort jemals besucht noch den anderen.“, erinnerte die Blondine ihn lächelnd. „Wenn du beide mal gesehen hättest, bin ich mir sicher, dass du diese Fragen nicht gestellt hättest.“ „Das sehe ich als großes Kompliment an, Fräulein Elfe, vielen Dank.“ Sie lächelte nur wohlwollend und half ihm bei den weiteren Vorbereitungen. Kurz darauf kamen Cazie und Andras zurück und brachten ihnen reiche Gaben. Daraus konnten sie wieder eine relativ geschmacksneutrale Suppe zaubern, die sie alle hassten, aber dennoch speisen würden, um nicht zu verhungern. Hier traf durchaus zu, dass der Hunger es hinein trieb... Im Normalfall hätte keiner von ihnen solch einen Schlangenfraß heruntergewürgt. Aber niemand konnte abstreiten, dass es besser war als die Alternative.   Der nächste Tag kam zu schnell. Keiner von ihnen war wirklich ausgeruht oder irgendwie gesättigt. Auch nicht, als sie gefrühstückt hatten. Selbstverständlich wieder das, was die Wildnis zu solchen Zeiten hergab – was nicht wirklich viel war. Dass so viele Menschen im Winter Hunger litten und starben, überraschte sie nicht mehr. Wenn sie jemals wieder eine solche Reise antreten mussten, würden sie zukünftig für eine bessere Verpflegung sorgen, damit sie nie wieder in solch eine Situation kamen. Nach dem mageren Frühstück hatten sie alle Sachen gepackt, um direkt aufzubrechen. Der Schnee lag noch höher und darunter gab es inzwischen eine Eisschicht. Wahrscheinlich hatte es mal kurz etwas getaut, um in der Nacht dann sofort wieder zu frieren. Das machte diese Wege noch gefährlicher. Gerade weil sie eher einen Abstieg hatten und deshalb ständig aufpassen mussten, dass sie nicht den Abhang herunterrutschten. Diese Bruchlandung wollten sie alle lieber nicht erproben! Unten angekommen fanden sie ein verlassenes Lager vor, welches wohl schon seit einigen Tagen nicht mehr genutzt worden war. Es gab Feuerstellen, die bereits verschneit waren und nach ein bisschen Wühlen fanden sie einige alte Decken. Da hier zuvor dafür gesorgt worden war, dass es nicht verschneit wurde, war der Schnee hier niedriger. Hier fanden sich sogar Beutel mit Münzen oder anderen Wertsachen, die unbeachtet zurückgelassen worden waren. Am Klima konnte es eigentlich nicht liegen, denn es war ein optimaler Platz! Zwischen den alten, zerbrochenen Säulen und vermoderten Mauern war es vor Wind geschützt. Selbst der Schnee fiel hier nicht so extrem nieder. An sich gab es keinen ersichtlichen Grund, alles stehen und liegen zu lassen, um stattdessen zu türmen. Es gab nicht mal Leichen, die auf ein Unglück deuteten... Sie suchten auch nach Kampfspuren oder Hinweisen einer Krankheit, doch diese Theorien konnten sie ebenfalls schnell verwerfen. Aus welchem Grund diese Leute hier nicht mehr waren, es hatte keine offensichtliche Ursache. „Wir wollen wahrscheinlich gar nicht wissen, weshalb sie ihr Lager aufgegeben haben...“, murmelte die Rothaarige unsicher. „Zumal sie dabei all ihre Sachen aufgegeben haben.“, stimmte Andras ihr zu. „Selbst Zeichnungen von Familien sind noch hier.“ „Vielleicht kommen sie noch wieder.“, warf Argrim schließlich ein. „Es kann gut sein, dass sie sich nur nach einem besseren Platz umsehen und in den Schnee geraten sind. Nun warten sie nur darauf, dass sie wieder freikommen und bleiben bis dahin in einer Höhle oder so...“ „Das kann natürlich auch sein.“, gab Andras zu. Ihre Blicke huschten fast gleichzeitig zu Billie, die schon die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt hatte. Stattdessen stand sie ganz angespannt da. Es wirkte ein bisschen so, als stünde jeder einzelne Muskel in ihrem Körper unter Anspannung. Als sei sie bereit, jeden Moment einfach wegzuspringen und sich in einer Höhle zu verkriechen. Ihre animalische Körpersprache konnte sie noch nicht ganz ablegen, doch vermutlich war es der beste Schutzmechanismus, den sie besaß. Sie drehte die Augen, aber nicht den Kopf. Sah sich auf diese Weise hektisch um. Wie eine Katze, die geduckt eine Fliege beobachtete, nur, dass sie sich nicht in den Schnee drückte. Es wäre wohl auch wahnsinnig kalt... „Ist alles in Ordnung?“, hinterfragte Argrim irritiert. „Geht es dir nicht gut?“ „Hört ihr das denn nicht?“ Alle hielten den Atem an und lauschten angestrengt. Sie versuchten sich genauso hinzustellen wie die Elfe, doch sie konnten nichts hören. Jedenfalls nichts, was nicht vollkommen normal wäre. Der Wind sang ein Lied in den Bergen, etwas wie eine Flagge schien von genau diesem Wind in der Ferne getragen zu werden und ihre eigene, flache Atmung. Sonst war da einfach nichts zu vernehmen. Jedoch besaßen sie auch nicht ansatzweise so ein gutes Gehör, wie es eine geborene Elfe hatte! Zu irgendwas mussten die spitzen Ohren ja gut sein... „Nein...“, gestand der Zwerg. „Was soll denn da sein? Außer dem Wind höre ich gar nichts.“ „Knarzen...“, murmelte die Blondine. „Ich höre das Knarzen vom Schnee. Als würde sich jemand dadurch schleichen...“ Die Anspannung schien sie alle vollkommen in den Bann zu schlagen. Unentschlossen, ob sie vielleicht verrückt wurde oder ob da doch noch Menschen waren, denen das Lager gehörte und denen es nicht gefiel, dass sie hier waren. Mit einem Mal kam ihnen die Umgebung noch kälter vor. Die ganze Atmosphäre wirkte noch unheimlicher... Dann hörten sie es auch. Ganz plötzlich sauste etwas durch die Luft! Direkt neben Cazie schlug ein Pfeil in den Boden ein. Sie kreischte erschrocken auf und wich zur Seite weg! Das rettete sie vor dem nächsten Angriff, der sie sehr knapp verfehlte. Nur wenige Augenblicke später kam es zu einem regelrechten Beschusshagel aus Pfeilen. Zielsicher waren die Schützen nicht und genau das rettete ihnen schlussendlich das Leben. „Schnell!“, rief Billiana. „Wir müssen in die Ruinen rein! Hier draußen geben wir wunderbare Ziele ab!“ Und selbst ein blindes Huhn findet mal ein Korn., dachte sie grimmig. Irgendwann treffen auch so ungeschickte Schützen ihr Ziel. Durch einen Guss aus Pfeilen rannten sie los. Dabei versuchten sie immer wieder Deckung zu suchen. Sei es hinter einem Felsen oder in einem engen Spalt. Manchmal mussten sie letztendlich abwarten, dass es endlich aufhörte, ehe sie weiterrennen konnten. Die Schützen rannten dabei über die alten Mauern. Jetzt konnten selbst die Nicht-Elfen das Knarzen ihrer Schritte hören und dass sie manches Mal fast abrutschten. Billiana erkannte, dass die Pfeile billig verarbeitet waren. Die meisten besaßen nicht mal eine Metallspitze! Man hatte das eine Ende einfach angespitzt und am anderen Ende billige Federn verarbeitet. Eine übliche Qualität bei Banditen und Halsabschneidern, die es sich nicht leisten konnten, richtige Pfeile zu kaufen. Erze konnten teuer sein und wenn man sie dann nicht mal selbst verarbeiten konnte, brachten sie einen nicht wirklich voran. Holz war da einfacher zu bearbeiten. An einige Federn zu kommen, stellte sich auch nicht als Herausforderung heraus. Nur die richtige Balance hinzubekommen, wenn man nicht das richtige Material hatte, konnte wirklich schwierig werden. Hier war aber nicht das Material problematisch, sondern viel eher die ungeübten Schützen. Sie versuchten mit Kurzbögen auf zu weit entfernte Ziele zu schießen, was ein fataler Fehler war. Eigentlich brauchten sie für diese Distanz Langbögen! Und bei der mangelnden Qualität der Pfeile, mussten sie die Sehne sehr stramm anziehen, damit sie etwa die selbe Durchschlagskraft besaßen, wie ein gewöhnlicher Pfeil mit Metallspitze sie hätte. Doch sie spannten nicht mal die Sehnen ansatzweise so stark, wie es eigentlich nötig wäre. So konnten sie kaum ein Eichhörnchen erlegen! Doch es brauchte nur einen vernünftig abgeschossenen Pfeil und einer von ihnen wurde ein Teil einer nie erzählten Geschichte. Das könnte eine Falle sein..., überlegte Billie bitter. Vielleicht wollen sie uns in die Ruinen bekommen. Um uns dort einzukesseln ohne Fluchtmöglichkeiten... Dann würden wir wie Vieh in der Falle locken! Nur gibt es gerade keine andere Möglichkeit, als es zu wagen. Gerade diese Tatsache gefiel ihr noch weniger. Blindlings in eine Falle zu laufen, die für sie alle das Ende bedeuten konnte. Doch sich dem Pfeilhagel zu stellen, war noch weniger eine Option. Da hätten sie keine Chance! In einem direkten Kampf lagen ihre Karten besser, um doch noch heil herauszukommen. Endlich erreichten sie den Eingang, der schon bessere Zeiten gesehen hatten. Sie schlüpften nacheinander hinein, aber alle mit gezogenen Waffen. Abgesehen von Cazie, die keine Waffe besaß und erst recht keine Instinkte, wann es angebracht war, solche zu ziehen. Andras und Argrim gingen etwas tiefer hinein, um die Lage zu sondieren und die Umgebung zu sichern, während Billie Pfeil und Bogen zog, um das Feuer zu erwidern. Das trieb die vermeidlichen Diebe zurück, die es nicht wagten, ihnen nachzusetzen. Es bestätigte ihr ihre Vermutung einer Falle. „Alles sauber.“, sagte Andras als er zurückkam. „Aber jemand hat hier schon alle möglichen Fackeln entzündet. Wir waren es nicht...“ „In Ordnung.“, sagte Billiana grimmig. Eilig zog sie sich von dem Eingangsbereich zurück und spannte den Bogen wieder auf ihren Rücken. Mit einem Nicken deutete sie dem Nekromanten an, ihr mal zur Hand zu gehen. Zusammen schoben sie einen riesigen Felsen vor den Eingang, der einst als Türmechanismus gedient hatte, welcher inzwischen nicht mehr funktionierte. Die Scharniere, Zahnräder und Führungen waren vollkommen verrostet und zum Teil schon abgebrochen. Es knirschte, knarrte und knallte fürchterlich, dennoch schafften sie es zu zweit, den Eingang zu versperren. Von außen würde es nahezu unmöglich werden, diesen Felsen wieder zu entfernen. Außer sie besaßen Sprengstoffe... Dann waren sie schnell hier drin. Ansonsten gab es nur von innen genug Gripp, damit man zu zweit den Felsen bewegen konnte. Zumindest unter großen Anstrengungen war dies möglich. „Wir sollten tiefer hineingehen.“, schlug die Elfe schließlich vor. „Wir müssen kontrollieren, ob da noch mehr böse Überraschungen lauern. Da könnten noch mehr von denen sein.“ „Ja, da hast du natürlich recht...“, gab Andras besorgt zu. „Aber was ist mit Cazie? Diejenigen, die die Fackeln entzündet haben, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit bewaffnet. Sie wäre uns nur im Weg... Vor allem wäre sie aber in Gefahr.“ „Sie sollte ohnehin hierbleiben und den Eingang bewachen. Wenn sie merkt, dass sie den Felsen doch bewegt bekommen, soll sie uns warnen kommen. So bleibt uns der Rücken zumindest frei.“ „Was ist, wenn es mehrere Wege gibt und sie von woanders in diese Halle gelangen?“ „Sollte sich der Weg irgendwo spalten, bleibt einer von uns als Wache dort, während wir einen von ihnen abgehen. Sollte es tiefer hineingehen, müssen wir ohnehin vorerst umkehren. Ist es eine Sackgasse, schließt es Überraschungen aus.“ „Mir gefällt das Ganze nicht.“, gestand er. „Es fühlt sich nicht richtig an.“ „Ja, ich weiß, was du meinst.“ „Es war zu einfach.“, warf Argrim ein, der gerade wieder vom Sondieren zurückkam. „Sie hätten uns doch an sich abschießen können... Wären sie einfach etwas heruntergekommen, hätten sie schon getroffen. Stattdessen haben sie uns hierher fliehen lassen.“ Cazie beunruhigte dieser Gedanke. Unwohl blickte sie zwischen ihren neuen Gefährten hin und her: „Sollten wir dann nicht lieber die Nacht abwarten und dann fliehen? Es erscheint mir nicht so klug, wenn wir dann in eine eventuelle Falle laufen...“ „Ich denke nicht, dass sie weiterhin danebenschießen, wenn wir nun versuchen abzuhauen.“, klärte Billie sie auf. „Wenn sie uns wirklich hier haben wollen, dann werden sie alles unternehmen, damit wir dahingehen, wo sie uns auch haben wollen.“ „Ich schließe mich Andras an...“, murmelte der Zwerg. „Mir gefällt das Ganze nicht.“ „Nur haben wir leider keine andere Wahl, als weiter geradeaus zu gehen. Der Weg zurück ist vorerst versperrt...“ „Na gut...“, seufzte Andras. „Cazie, du hast es gehört. Du bleibst hier und achtest auf den Eingang. Wenn du etwas Auffälliges bemerkst, dann kommst du uns bitte nach und warnst uns.“ „Gut.“, stimmt die rothaarige Heilkundige zu. „Ich werde hierbleiben und nur folgen, wenn ich einen Grund dazu habe.“ „Notfalls schreist du, so laut du kannst.“, sagte Billie trocken. „In solchen Katakomben sollte es genug hallen, damit wir es sogar in weiter Ferne hören.“   Sie ließen Cazie wie besprochen zurück. Es gefiel keinen von ihnen, doch es war für sie alle am sichersten. Wenn es zu einem Kampf kommen sollte, war sie eine Gefahr für sich und die anderen. Als Torwächterin war sie in Sicherheit und trotzdem nützlich, um sie bei drohender Gefahr zu warnen ohne selbst ein Risiko zu sein. Aber es fiel ihnen auf, dass Andras sich immer wieder umdrehte und sich umsah. Er sorgte sich offenbar wirklich um die Menschendame! Was genau zwischen ihnen gewesen war, stellte jedoch keiner in Frage, denn dann stellte auch er unbehagliche Fragen. Bisher gab es nur einen einzigen Gang und der führte sie immer weiter in die Tiefe. An jeder Wand gab es zahlreiche Runen, die Billiana als drakonische Schutzzauber identifiziert hatte. Es waren fast die gleichen, die es auch in der zwergischen Mine gegeben hatte, nur sollten diese nicht vor willenlosen Kreaturen schützen, sondern vor etwas viel Größerem. Größer, als es eine Riesenspinne jemals werden könnte und auch wesentlich gefährlicher. Hier hatte man keine einfachen Diebe eingekerkert... Die Runen wurden immer zahlreicher und aggressiver desto tiefer sie in die Katakomben vordrangen. Alles schrie danach, dass es einst das Gefängnis von Zodiak gewesen sein könnte, bevor er ausgebrochen war. Auch vom Alter schien es zu passen... Alles fiel schon auseinander, staubte und es gab dichte Spinnenweben. Hier war seit Jahrhunderten niemand mehr, wenn man von den Banditen absah, die offensichtlich vor ihnen diesen Ort erreicht hatten. Doch sie hatten sicherlich nicht gewusst, welch ereignisreichen Areal sie sich als Beutezug erwählt hatten. Vor allem aber, wie gefährlich es hier sein konnte. Endlich waren sie ganz unten angekommen. Hier breitete sich ein gigantischer Raum aus mit wahnsinnig hohen Decken. Der Zerfall war auch hier deutlich zu erkennen und machte die Umgebung nicht unbedingt vertrauensselig. Gerade, weil vor ihnen ein riesiger Kerker war! So dicke Gitterstäbe hatte Billie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Nicht mal in den Gefängnissen der Drachen ihres Vaters und die mussten einiges aushalten können. Es zog sie dichter heran und sie bemerkte, dass kürzlich jemand die Stäbe etwas abgewischt hatte. Darunter gab es wieder drakonische Runen... Von oben bis ganz unten. Es sollte eine böse Macht zwingen, in diesem Raum zu bleiben und verhinderte den Wechsel einer Gestalt. Vermutlich wollten sie verhindern, dass Zodiak sich in die schwarze Schlacke verwandelte, um dann durch die Lücken der Stäbe zu gleiten. Überall lagen alte Rüstungen und Gebeine herum. Wer auch immer einst der Hüter dieses Ortes gewesen war, war schon lange tot. Kampfspuren gab es keine, doch Billiana war sich sicher, dass dies der Kerker Zodiaks war und dass er sich nicht ganz ohne Gewalt aus dieser Lage befreit hatte. Er hatte diesen Ort in den Ruin getrieben, doch vermutlich war es unabwendbar gewesen. Irgendwann hätte Zodiak sich ohnehin befreien können... Argrim lauschte auf. Er meinte etwas zu hören, konnte es aber nicht einordnen. Es klang nach einer weiblichen Stimme, die verlockend seinen Namen rief. Der Zwerg packte seine Streitaxt fester und ging auf leisen Sohlen in den Kerker hinein. Was es auch war, schien von hinten zu kommen. Vom anderen Ende dieses Gefängnisses. Er verengte die Augen und meinte etwas wie ein Loch entdecken zu können, doch durch das kaum vorhandene Licht konnte er es nicht beschwören. Immer noch vorsichtig kam er näher. Die Stimme schien lauter zu werden und lüstern nach ihm zu keuchen und zu stöhnen. Inzwischen war er sich sicher, dass es Billianas Stimme war. So stellte er sie sich vor, wenn sie in Ekstase und voller Hochgefühle war! Noch zwei Nächte davor hatte er von ihr geträumt und musste seine Schande am nächsten Morgen verborgen halten... Nun schien diese Fantasie so real und zum Greifen nahe zu sein. Seine Hand streckte sich voller Sehnsucht nach dem tiefschwarzen Loch aus, während er sich so sehr wünschte, offen seine Gefühle aussprechen zu können. Das hatte er bisher nur gekonnt, als die Elfe im Sterben gelegen hatte und er sich nicht anders zu helfen wusste. Seither war solch ein Thema nicht mehr zur Sprache gekommen, obwohl er es so gerne wollte. Nun drängte ihn aber irgendwas, in dieses Loch zu greifen und etwas Unsichtbares zu umfassen. Es wisperte, dass es ihm seine Wünsche erfüllen würde und er wollte es so sehr... „Argrim!“, riss ihn eine Stimme aus der Trance. Es war Billie, die seinen Namen rief und verhinderte, dass er diesem Bedürfnis nachging. Sofort riss er seine Hand zurück und drehte sich um. Mit einem Schlag war klar, weshalb sie so hektisch nach ihm gerufen hatte. Nicht, weil er gerade in ein Loch einer Wand hatte greifen wollen, sondern weil zahlreiche Männer aufgetaucht waren und sie einkesselten. Ihrer Kleidung zu urteilen, waren es die restlichen Banditen von draußen. Sie trugen alte, rostige Waffen, die schon lange keinen Schleifstein mehr gesehen hatten. Ihre weißen Augen machten deutlich, dass sie schon vollkommen von Zodiak besessen waren. Da gab es keine Chance auf Rettung... Sie griffen die Gruppe an, bevor sie sich formieren oder sammeln konnten. Keine dumme Idee, denn so könnten sie sie vielleicht voneinander trennen und separat umbringen. Billiana zeigte dennoch keine Furcht, sondern griff nach Schild und Schwert, um sich vor Andras zu stellen. Der Mann wirkte deshalb etwas irritiert, sagte jedoch nichts dagegen, sondern zog stattdessen seinen Degen. Er war wohl wirklich nicht der geborene Nahkämpfer, sondern eher der geschulte Magier. Als einer der Diebe mit einer rostigen Axt nach der Elfe schlug, hob sie den Schild, damit sie den Schlag ablenken konnte und stach ihm im Anschluss direkt in die Leber. Der Mann brach röchelnd zusammen. Ein anderer Angreifer wollte die Gunst der Stunde nutzen und sie angreifen, wurde dafür aber von dem Nekromanten bestraft, der ihm seinen Degen mitten durch die Kehle rammte. Durch den Schwung des Angriffs war es ein Kinderspiel, ihn so zu töten. Nun hatte Andras immerhin zwei Leichen, die er mit einem kurzen Murmeln zu seinem Dienern machen konnten. Die Diebe standen also wieder auf, hoben dieses Mal aber die Waffen für die Gruppe. Sie griffen ihre früheren Gefährten sofort an und sorgten dafür, dass die einst feste Front sich selbst etwas zerrieb. Inzwischen war auch der Zwerg zu ihnen gestoßen und schwang seine mächtige Streitaxt, um einen vorschnellen Banditen den Kopf abzuschlagen. Das Blut spritzte, doch vor allem die schwarze Schlacke, die in ihnen im Überschuss quoll. Was immer hier passiert war, es hatte genug Zeit gegeben, um diese Männer für immer zu brandmarken. „Es wäre mir lieb, wenn du sie nicht köpfen würdest!“, rief der Schwarzhaarige. „Sie taugen dann nicht als untote Diener.“ „Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich uns zu beschützen versuche!“, antwortete Argrim mit verzogenem Gesicht. „Ich werde versuchen dir zu verzeihen. Aber nur, wenn du Besserung gelobst.“ „Ich gelobe es sogar feierlich!“, antwortete der Zwerg und schlug dieses Mal nicht den Kopf ab, sondern rammte seine Axt direkt in den Brustkorb es Mannes. Damit würde er das Herz schwer beschädigen. Andras wirkte sehr zufrieden mit diesem Resultat und drehte sich zu dem neuen Leichnam. Der Mann war kaum zu Boden gegangen, da stand er schon wieder mit toten Augen auf. Die Freude des Nekromanten war spürbar: „Vielen Dank. So machen wir unsere Unterzahl schnell zu einer Überzahl.“ „Weniger reden, mehr kämpfen!“, keuchte Billie. Die Elfe hatte es besonders schwer an der Front. Alle Banditen und Diebe wollten sie unbedingt fällen, während sie die Schläge kaum noch parieren konnte. Diese Kreaturen waren ohnehin mehr auf sie versessen als auf ihre Gefährten. Vermutlich wollte das Urböse auch lieber ihren Tod. Sollten ihre Freunde überleben, konnte er sich danach immer noch ihnen widmen. Eine Option, die nicht in Frage kam! Der Zwerg nutzte es, dass die Menschen sich so sehr auf die Blondine einschossen. Mit viel Schwung riss er seine Streitaxt hoch und ließ sie kurz vor Billianas Waffen niedersausen. So schlug er zwei Männern ihre Schwertarme ab! Einem dritten brach er den Kiefer, als er seine Waffe wieder nach oben riss und die Kehrseite ihm dagegen geschmettert wurde. Das krachende Geräusch hallte durch den ganzen Kerker und sorgte dafür, dass die übrigen Angreifer zurückwichen. Bald erkannten sie, dass das nicht der wahre Grund ihres Zögerns war, sondern ein brünetter Mann, der aus der Dunkelheit trat. Seine Augen waren vollkommen weiß und dämonisch, während er ein Langschwert in den Fingern hielt, welches vollkommen schwarz war. Es trifte und tropfte richtig! So hinterließ der Mann – der offenbar der Anführer dieser Bande war - eine Spur. Sein Blick war kalt. Er war bereit, sein Leben für das Urböse zu lassen, welches seinen Verstand beherrschte. „Wenn er uns mit dieser Waffe tödlich verwundet, dann hilft uns auch keine Unsterblichkeit mehr...“, murmelte Andras. „Sie ist so sehr von dem schwarzen Gift versetzt, dass es uns töten wird. Vielleicht reicht es schon, wenn er uns nur eine kleine Schnittwunde verpasst...“ „Dann sollten wir uns lieber nicht von ihm treffen lassen.“, schlug die Elfe zähneknirschend vor. „Wenn es möglich ist, sollten wir sogar diese Waffe vernichten.“ „Ich denke nicht, dass etwas Besonderes an dieser Waffe ist.“, erwiderte er. „Es wird einfach nur ein Schwert sein, das Zodiak mit seiner Schlacke versetzt hat. Vermutlich kann er das mit jeder beliebigen Waffe tun, wenn er nur genug Zeit dafür hat.“ „Na gut... Dann ist die oberste Priorität, dass wir hier lebend herauskommen und dabei so viele umbringen, wie es nur irgendwie geht.“ „Einverstanden.“, sagten beide Männer im Chor und packten ihre Waffen fester. An ihrer Situation hatte sich nicht viel geändert. Sie waren weiterhin in der Unterzahl, auch wenn einige der Angreifer als Untote dienten. Nur kam jetzt noch eine Waffe ins Spiel, die jeder Heilung und jeder Unsterblichkeit trotzen konnte. Wenn Zodiak mehr von ihnen besaß, dann kam vielleicht bald Verstärkung, die ihnen noch gefährlicher werden würde als diese Banditen. Sie wappneten sich innerlich für eine Schlacht, die sie wohl nicht gewinnen konnten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)