Die Drachenballade von Kylie (Band 1 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 3: Dem Tode so nah -------------------------- Vier Zwerge aus seinem Clan hatten sich bereit erklärt, ihn auf seiner Mission zu folgen. Ihre Hoffnung galt dabei nicht der Reinwaschung des Namens Jalgat oder der erneuten Eröffnung der besten Schmiede vor Ort, sondern ihrer eigenen Rehabilitation. Sie wollten sich beweisen und erhofften sich eine neue Chance bei den ihrigen. Das konnte Argrim ihnen nicht übelnehmen und es schmälerte auch nicht die Fähigkeiten, die sie mit sich brachten. Eigene Motivation war immer besser. Ob dieser Ansporn nun lobenswert war, blieb abzuwarten. Zumindest ermöglichte es ihm, dass sie mit einem Karren voll Vorräten und anderen nützlichen Dingen aufbrechen konnten. Den Karren zog ein Ochse, während die Zwerge zu Fuß die Reise antraten. In den Norden zu gehen war an sich nicht gefährlich, solange keine Besessenen oder Banditengilden den Weg blockierten, was in der letzten Zeit leider immer häufiger wurde. Allerdings waren sie keine wehrlosen Händler, sondern ausgebildete Krieger, die sich zu wehren wussten. Kam es zu einem Übergriff, dann würden die Angreifer erstmal beweisen müssen, ob sie mutig oder schlichtweg dumm waren. Die zweite Variante traf in der Regel eher zu. Gerade Menschen neigten dazu, die Zwerge zu unterschätzen, weil sie eher kleingewachsen waren und ein bisschen wie bärtige Kinder wirkten. Weltenbaum war in der Ferne noch zu sehen. Die Stadtmauern und Türme ragten bis in den Himmel und erfüllten das Herz des Anführers mit Wehmut. Einst hatte Kazagar dort seinen Alltag gelebt, indem er dem großen Rat gedient hatte. Viel hatte sich zu dieser Zeit getan... Doch er hatte ihn nie kennengelernt. Die Bücher aber erzählten von seinem Tatendrang und seinen idealistischen Wünschen, mehr zu erreichen. Dafür hatten sie sich auch an diese Meisterwerke von Waffen gewagt! Gerade diese Waffen hatten vielen Zwergen den Tod gebracht... Es waren klare Befehle gewesen, dass sie sich das Mithril nehmen und daraus nahezu perfekte Klingen schaffen sollten, um sie im Anschluss an die Elfen weiterzugeben, damit sie sie verzaubern konnten. Erst danach waren sie in der Lage, auch Unsterbliche oder außergewöhnlich zähe Kreaturen zu töten oder das eigene Leben einfach zu verlängern, indem man Leben nahm. Eben diese Gier war enorm gewesen und vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Besitzer der Waffen töteten ihre Familien und Freunde, damit sie niemals sterben mussten. Andere strebten zu mehr Macht und erhofften sich, dass sie durch die längere Lebensspanne mehr Möglichkeiten bekamen oder setzten die Waffe als Druckmittel ein. Als all dem ein Ende bereitet werden musste, wurden nicht nur die verurteilt, die ihre Macht missbraucht hatten, sondern ebenso die Hersteller jener magischen Waffen. Es hatte den Namen Jalgat fast endgültig zerstört... Das Ratsmitglied mit jenem Namen, hatte die Herstellung in Auftrag gegeben und war selbst einer davon zum Opfer gefallen, als Abtrünnige einbrachen und mehr von ihm verlangten. Die anderen Generationen hatten einen großen Teil der Waffen gefertigt. Alle fielen in Ungnade – selbst jene, die bereits verstorben waren – und man erkannte ihnen alles ab, was sie einst erreicht hatten. Trotzdem war es ihre Heimat gewesen. Trotz des Verrats... Argrim schnaubte und blickte voran, um nicht mehr an die Vergangenheit zu denken. An der Vergangenheit konnte er nichts mehr ändern, aber vielleicht konnte er für die Zukunft etwas tun. Nicht nur für seinen Vater, sondern für die Väter zahlreicher Söhne und Töchter, die damals ebenso involviert gewesen waren und auch rehabilitiert werden mussten, wenn sie es bei einem Namen zuließen. Anders würde es gewiss zu einem Aufstand kommen und genau das konnten sich die Zwerge nicht erlauben. Sie wurden immer weniger. Einige Gelehrte behaupteten sogar, dass sie bald aussterben würden, wenn sich nicht etwas änderte. Zu wenig Nachwuchs, so viele Alte... Außerdem dünnte auch diese furchtbare Seuche die Zwerge aus, ebenso wie der Fremdenhass der Menschen. „Ist denn das möglich?!“, riss eine lautstarke, lachende Frage ihn aus seinen Gedanken. „Dass die Gerüchte echt stimmen und dieser Wyrnné so auf Elfen abfährt... Unglaublich.“ „Er schickt sogar Zwerge, um seine Elfenhure zu retten.“ Argrim rollte mit den Augen: „Ist doch seine Angelegenheit. Wenn er auf diese dürren Dinger steht...“ „Du hast arrogant vergessen!“, warf Yadri spottend ein. „Und Klugscheißer sind sie auch noch!“ „Es reicht jetzt!“, wetterte der Anführer und warf ihnen einen tadelnden Blick zu. „Es geht uns einen Scheiß an. Und wenn er alle Elfen dieser Welt fickt, ist es immer noch seine verdammte Angelegenheit!“ Oldor verzog darüber das Gesicht und verstand nicht, wieso sein Clan-Anführer den Menschen so verteidigte. Das zeigte er auch, indem er verzweifelt die Hände hob und zu sprechen begann: „Was ist denn los? Sonst wetterst du doch immer als erster über diesen Bastard? Hast doch immer gemeint, dass du ihm nicht traust.“ „Ich traue ihm auch nicht.“ „Wieso verteidigst du ihn dann, wegen seiner... eigenartigen Vorlieben?“ Der Axtschwinger spielte allmählich mit den Gedanken, seine Gefährten zurückzuschicken und sich lieber selbst um den erteilten Auftrag zu kümmern. Sonst tratschten seine Artgenossen nicht so viel, doch heute waren sie offenbar besonders redselig. Also winkte er ab: „Ist doch vollkommen egal. Über so etwas will ich weder reden noch mir solch ein Geschwätz antun müssen.“ Selbst wenn seine Begleiter noch etwas einwenden wollten, war es vollkommen unnötig oder musste zumindest warten. Sie wollten gerade einen Pass überqueren und darauf pflasterten sich ein paar Leichen. Es handelte sich um Menschen, dessen Kleidung und Ausstattung zu urteilen, zu Lebzeiten einfache Verbrecher gewesen waren. Banditen, Wegelagerer oder Halsabschneider vielleicht. Ihr Ende hatten sie sich wohl selbst gewählt, indem sie die falschen Leute angegriffen hatten. Ein großer Teil von ihnen, hatte mindestens einen Pfeil abbekommen, auch wenn sie nicht alle dadurch gestorben waren, sondern eher durch Schwerter. Der Treffer hatte sie zu einem schnellen und leichten Ziel für die Kämpfer zu Boden gemacht, was aber auch von einer guten Planung sprach. Vielleicht Kopfgeldjäger... Sie wollten das Geld, welches auf die Typen ausgesetzt wurde und lockten sie in einen Hinterhalt. Dagegen spricht jedoch, dass sie alle noch ihre Köpfe haben und auch sonst alles, was sie identifizieren könnte., sinnierte Argrim für sich und durchsuchte die Leichen nach eventuellen Wertsachen. Eigentlich war er kein Leichenfledderer, doch sie konnten genauso Hinweise auf die goldhaarige Elfe bei sich haben oder andere hilfreiche Informationen. Da war aber nichts. Selbst den größten Teil ihrer Waffen hatte man ihnen abgenommen. Nur rostige, alte Dolche waren noch bei ihnen, weil sie auch kaum noch zum Kämpfen geeignet waren und es nie wieder sein würden. „Sie sind auf jeden Fall nicht von diesen Verseuchten getötet worden.“, machte Haakon klar. „Die hätten sie doch eher infiziert. Hier oben gibt es genug Zeit, um sie wiederauferstehen zu lassen oder sie vorher noch krankzumachen. Außerdem würden diese Verseuchten eher alle Waffen mitnehmen und den Proviant lassen sie zurück.“ „Da hast du auf jeden Fall recht.“, stimmte Argrim zu. „Diese Verseuchten brauchen keine Nahrung, aber sie nehmen jede verdammte Waffe. Sie waren aber auch keine von denen, denn dann wären hier irgendwo diese schwarzen Flecken.“ „Vielleicht hat die Elfenhure diese Typen ja erledigt?“, vermutete Dorin. „Soweit ich gehört habe, ist sie gut mit Waffen ausgestattet worden und hat auf dem Schlachtfeld zahlreichen Typen das Leben gekostet.“ Argrim erhob sich aus seiner Hocke und klopfte sich seine Rüstung ab: „Kann schon sein, aber den Verletzungen zu urteilen, kamen sehr viele verschiedenen Waffen zum Einsatz. Ich bezweifle, dass sie gleichzeitig mit dem Bogen schießt und dann zwischen verschiedenen Schwertern, Messern und Äxten wechselt, um ihnen den Rest zu geben.“ „Gibt es nicht diese bewachte Karawane, die hier manchmal den Pass überquert?“ „Ja, die waren das wahrscheinlich auch. Lasst uns weiter.“ Wer auch immer für die Toten gesorgt hatte, war wenigstens so freundlich, sie an den Rand des Pfades zu schieben, sodass weiterhin ein gutes Vorankommen möglich war. Auch der Karren, der immer noch von dem Ochsen geschoben wurde, kam problemlos weiter. Bedauerlich war nur, dass sie ihre eigenen Vorräte nicht erweitern konnten und es auch keine eindeutigen Hinweise auf die Elfe gab. Im Augenblick jagten sie einen Schatten und genau das gefiel Argrim nicht.   „Was meinst du, geschieht mit dir, wenn du in deinem momentanen Zustand stirbst, Billie?“, hauchte die Stimme mit ihren zahlreichen Begleitstimmen. Dieser Chor schmerzte furchtbar im Kopf und war dennoch nicht abzuschalten. Es erinnerte sie an die übliche Foltermethode, seine Feinde nicht schlafen und ausruhen zu lassen, indem man immer wieder für Lärm sorgte. Leider half das Wissen ihr auch nicht wirklich, sondern ließ sie eher immer mehr schwanken. Er führte das Gespräch jedoch unbeirrt fort: „So viel Schlacke, wie du abbekommen hast, wirst du zu einer Marionette werden. Mein Nekromant lässt dich einfach aufstehen und ich lasse dich dann tanzen. Du tanzt doch so gerne...“ „Noch lieber töte ich...“, zischte die Elfe wütend und wusste, dass dies wieder ein Traum war. Oder es spielte sich in ihrem Kopf ab. Fakt jedoch war, dass sie sich nicht in einem wachen Zustand befand und sie vermutlich noch irgendwo auf dem Schlachtfeld lag und von Andras erstickt wurde. „Sieben Tage...“ „Was?“ Zodiak lachte bitterböse mit seinem Chor aus Begleitstimmen: „Die Zeit, die ein Unsterblicher maximal einer tödlichen Wunde widerstehen kann. Dann sterbt ihr auf jeden Fall.“ Sie knurrte, fand aber im Moment noch keine Kraft, sich zu bewegen. Es war ein furchtbar anstrengender Kampf gewesen, in dem sie viel eingesteckt hatte und der sie gezwungen hatte, ihre Magie recht offen zu frönen. Am Ende hatte der Blutmagier sie dann doch noch überrascht! Mit solch einem Manöver hatte sie in seinem Zustand nicht mehr gerechnet und doch kostete es sie vielleicht ihr Leben. Blinzelnd schlug sie ihre müden, blauen Augen auf und entdeckte das Gleiche wie beim letzten Mal: Absolute Dunkelheit beherrschte diese Leere. Es drohte einfach alles zu verschlucken, einschließlich ihrer eigenen Person, was ihren eigenen Kopf zu einer Bedrohung machte. Ein Tier würde das Körperteil abreißen, der sein Leben bedrohte, doch das ging schlecht, wenn es sich dabei um den eigenen Kopf handelte. Kopflos würde er sie aber vielleicht nicht als Marionette nutzen können, was wiederum reizvoll war... „Sei nicht albern.“, kicherte Zodiak und ragte plötzlich über ihr. Das lange, weiße Haar stand hier und da ab, wirkte aber trotzdem gepflegt, während die weißen Augen immer noch diesen dämonischen Glanz hatten. Es verdeutlichte ihr, dass sie auf dem Hügel wirklich dem Urbösen persönlich gegenübergestanden hatte und nicht nur einem einfachen Lakaien, dem er ein bisschen mehr Macht gegeben hatte. Nicht wie bei Andras... Deshalb hatte er auch praktisch nur aus dieser schwarzen Schlacke bestanden. Sehr schwerfällig hievte sich die goldhaarige Elfe hoch, brachte sich vorerst nur in eine aufrechte Position und fand sich im Anschluss endlich auf den eigenen Füßen wieder. Eine wacklige Angelegenheit, aber immer noch besser, als dem Weißhaarigen zu Füßen zu liegen. Ob er nun fühlen konnte oder nicht, Zodiak genoss jedoch den Anblick ihrer schwachen Gestalt sichtlich. Er quälte gerne... Seine einzige Begierde war das Leid anderer Lebewesen, an denen er sich nähren konnte, nur wurde er niemals satt. Die treibende Kraft in ihm war der unstillbare Hunger und der Wunsch nach Zerstörung. Er wollte keine Macht und er wollte keine Krone. Da war kein Thron, der ihn irgendwann bezirzen könnte. Zodiak wollte die ganze Welt vernichten und nichts davon übriglassen. „Wo lebst du, wenn du dein Ziel erreicht hast?“, hinterfragte Billiana atemlos. „Irgendwann hast du die Welten alle zerstört und dann?“ „Dummes Kind.“, spottete er mit all diesen Stimmen. „Ich brauche keine Welt, um zu überleben. Was meinst du, warum ich nicht sterben kann?“ „Weil du kein Lebewesen im eigentlichen Sinne bist.“ „Das ist richtig, Kind, deshalb brauche ich solch einen Unfug nicht wie ihr. Es fühlt sich nur gut an, wenn alles zusammenfällt.“ Es schüttelte sie, mit welcher Leidenschaft er davon sprach, alles zu vernichten. Konsequenzen gab es für ihn keine und deshalb konnte er frei handeln. Solch eine Freiheit besaß sonst keiner. Trotzdem schrie etwas in der Blondine, dass das nicht alles sein konnte! Es musste mehr hinter ihm stecken. Also hob sie wieder ihren Blick: „Was bist du? Eine Bestie aus der Zwischenwelt?“ „Ich bin alles und gleichzeitig nichts.“ „Es freut mich, dass du so belesen bist, aber das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Die weißen Augen des Hünen verengten sich und kurz darauf stürmte er auf sie zu. Bevor die Elfe überhaupt reagieren konnte, packten seine großen Hände bereits ihre schlanken Schultern und rissen sie brutal herum. Der Schmerz schoss direkt durch ihren ganzen Körper und ließ sie innerlich fluchen. Selbst hier konnte er ihr wehtun. Vielleicht nutzte er aber auch andere Umstände aus, indem er seine Bewegungen nach den Empfindungen ihres Körpers lenkte. Durchzog sie ein Schmerz, koordinierte er in ihrem Kopf eine Bewegung, die sie glauben ließ, dass er ihr wehtat. Es war wirklich schwer einzuschätzen... Zodiak schüttelte sie einige Male und stieß sie dann zu Boden, um über sie zu steigen. Die dämonischen Augen behielten sie genau im Blick, während die großen Hände sie auf den Boden hielten. Er hatte Macht über sie. Genau das wollte er ihr damit zeigen. Zwar waren sie Beide in ihrem Verstand, doch er bestimmte die Regeln und konnte sich frei entfalten. Es machte ihr klar, dass ihre sterbliche Hülle wohl dem Tode recht nahe war. „Du hältst dich für unwahrscheinlich klug, Billie...“, zischte der Weißhaarige mit seinem Chorus aus Stimmen. „Aber das bist du nicht. Immerhin bist du mitten in meine Falle gelaufen und hast dich von einem der deinen überrumpeln lassen.“ Auch wenn die Karten für sie schlecht lagen, hinderte es die Elfe nicht, ihm direkt in die Augen zu starren und standhaft zu wirken: „Ich denke, dass du eher glaubst, du seist ungemein clever. Ohne die Angst, ohne die Furcht irgendwann einmal zu enden, bist du schwach. Was sollen all die Waffen bringen, wenn du selbst nicht weißt, was die Angst vor den Tod bedeutet? Gerade aber das ist dein Nährboden. Stirbt die Angst, bist auch du nur noch ein Schatten der Vergangenheit.“ „Das wirst du nicht mehr erleben. Gerade die Menschen fürchten die Furcht des Fürchtens wegen.“ „Ertränke mich, peitsche mich aus, aber ich werde nicht fallen.“, zischte Billiana und bekam kurz darauf eine schallende Ohrfeige von Zodiak. Ihre Augen aber richteten sich sofort wieder auf die blasse Gestalt, die er offenbar zu seiner menschlichen Form einst erkoren hatte. In ihr entfachte ein Feuer, das er nicht zu löschen vermochte. Zwar war Zodiak in ihrem Kopf, doch er erreichte nicht ihr Löwinnen-Herz. Ihre Hände hoben sich und stießen den Hünen herunter, als wog er nicht mehr als eine Feder, um sich dann zu erheben. Mit fester Stimme und feurigen Blick wandte sie sich an ihn: „Solange du dich nicht fürchtest, kannst du mich nicht besiegen. Du bist nur ein Nichts, das sich seine Existenz durch schwache Menschen aufbaut. Ich habe keine Angst vor dir.“ Zodiak kreischte wütend und machte einen Hechtsprung auf sie zu, wobei sein Körper sich veränderte. Er wuchs und verlor jegliche Menschlichkeit, die seine helle Gestalt ihm verlieh. Die Augen verschwanden und auch jegliche weiße Farbe. Sie wurde durch ein tiefes Schwarz ersetzt. Hände wurden zu Klauen, Füße zu Pranken. Wo eben noch anmutige Kiefer waren, war nun ein Maul mit vielen, spitzen Fangzähnen, welche nach ihrem Fleisch gierten. Es wirkte ein bisschen so, als wäre die Haut dieser Kreatur durchsichtig, wodurch die schwarze Schlacke zum Vorschein kam, die darunter tanzte wie Muskeln. Eine riesige Kreatur, die nur aus einem ansteckenden, toxischen Gift bestand, welches so viele Lebewesen um den Verstand brachte. Es lebte vielleicht oder auch nicht, doch es machte das Urböse definitiv aus. Ohne die Schlacke gab es keine feste Gestalt mehr, die er hätte annehmen können. Auch hier verlor er seine Macht, denn bevor er sie erreichen und angreifen konnte, zerplatzte das Bild der riesigen Gestalt und verschwand wieder in der Dunkelheit ihres Verstandes. Irgendwohin, wo er sicher war, ihr aber auch nichts mehr antun konnte.   Das Schlachtfeld fand seinen Anfang bereits recht nah an dem Pass, der schon die Leichen der Verbrecher beherbergt hatte und schien sich weit zu erstrecken. Hier setzte bereits der erste Frost ein, was Argrim gar nicht gefiel. Weiter im Norden lag sicherlich schon eine erste und frische Schicht Schnee! In den Bergen würden die Schneemassen wahrscheinlich bereits ein erdrückendes Maß annehmen und kaum für so kurze Beine zu überwinden sein. Sich zu dieser Jahreszeit so nah an den Gebirgen eine Schlacht zu liefern, war purer Selbstmord! Doch anhand der schwarzen Lache war deutlich, dass die Angreifer ohnehin wieder Besessene gewesen waren, denen diese Wetterbedingungen kaum etwas ausmachten oder es zumindest unterdrückten. Die anderen Leichen schienen nicht von der schwarzen Schlacke unterdrückt worden zu sein, sondern erinnerten ihn eher an Mischlinge. „Sind das nicht die Flüchtlinge aus dem Osten?“, hinterfragte der Anführer und untersuchte die Leichen. Die bereits erblasste, gebräunte Haut mit den Tätowierungen sprach dafür und ebenso die leicht spitzen Ohren, die zwischen dem elfischen und menschlichen Gehör lagen. Auch die relativ knappe Lederbekleidung, die kaum Metalle aufwies, sprach dafür. Sie waren eher schnelle Kämpfer und wollten keine Sachen tragen, die ihre Bewegungen viel zu stark einschränkten. Oldor hockte sich neben ihm und musterte ebenso die Leichname: „Ich würde es sagen... Arme Schweine.“ „Das verdient keiner.“ „Nein, wirklich nicht...“, stimmte der Zwerg zu und nickte. „Falls wir einen ihrer Stammesführer finden, kann ich dir mit Bestimmtheit sagen, ob sie es sind.“ Argrim nickte zufrieden und erhob sich: „Gut, dann sollten wir Ausschau halten. Männer!“ Sofort eilten die drei anderen Zwergen-Krieger herbei und waren bereit, Befehle anzunehmen. Der Anführer musterte sie, doch offenbar schlug ihnen die Entdeckung nicht sonderlich auf den Magen. Gemächlich nickte er und deutete auf die Leichen: „Prüft, ob sie wirklich tot sind. Sollte einer leben, stellt Fragen nach der Elfe und wenn sie nichts wissen oder nichts sagen wollen, erlöst sie von ihrem Elend. Nehmt Proviant und funktionstüchtige Waffen mit.“ „Jawohl!“, riefen sie im Chor und fächerten sich in unterschiedlichen Richtungen aus. Sie waren gedrillte Soldaten und brauchten nicht für jeden Furz eine gesonderte Anweisung. Er selbst machte sich in eine andere Richtung auf die Suche und entdeckte schon nach wenigen Schritten einen Mann, dem man ein Bein abgetrennt hatte. Er lebte noch gerade soeben und kroch schwach über den Boden. Mehr als einige Stunden, würde er nicht mehr durchhalten, ehe er endgültig verblutete. Seiner Kleidung zu urteilen, war er einst ein Bauer oder Bettler gewesen. Nie etwas besessen und nun endete er so auf einem Schlachtfeld, weil ein anderer ihn als Marionette eingesetzt hatte. Es war bedauerlich... Daran konnte Argrim nicht wirklich etwas ändern und es gab auch sonst nichts, was er für ihn tun konnte. Selbst wenn er ihn zu einem Heiler oder Arzt bringen würde, könnte der sein Bein nicht mehr retten. Ohne ein Vermögen konnte ein Mann mit nur einem Bein unmöglich überleben oder seine Familie versorgen. „Was ist hier geschehen?“, hinterfragte er mit ruhiger Stimme, während er sich zu dem Sterbenden hockte. „Könnt Ihr Euch an irgendwas erinnern?“ „I-Ich... Ich erinnere mich an alles...“ Das überraschte den Anführer des Zwergen-Clans durchaus. Bisher war es ihm immer so vorgekommen, als wären die Verseuchten so sehr von diesem schwarzen Zeug beeinflusst, dass sie keinen wachen Verstand mehr besaßen. Wenn er ehrlich war, erschien ihm diese Variante auch gnädiger... Leider bekamen sie aber offenbar doch mit, was sie alles anrichteten: „Das tut mir leid...“ „Muss... es nicht, ich... habe es zugelassen...“ „Wie meint Ihr das?“ „E-Er flüsterte in... meine Ohren... W-War in meinem Kopf... Erst... d-da hat er mich nur verspottet, doch dann... dann sprach er Dinge aus, die ich... nicht mal selbst von mir... mir gewusst habe...“, krächzte der Verwundete und seine Augen zeigten Erleichterung, weil er darüber sprechen konnte. „D-Diese Stimme wusste, dass-... dass ich meine eigene... To-Tochter begehrte... Da war keine... Verurteilung, sondern... I-Ich kann es... nicht richtig erklären...“ „Unterstützung vielleicht? Hat er dich in deinem Verlangen bestärkt?“, hinterfragte der Zwerg innerlich angewidert. „J-Ja! Ja... Ganz genau. E-Er bestärkte... mich und sagte mir, dass-... dass das mein Recht sei~... U-Und irgendwann war... seine Stimme kein Flüstern mehr und ich... ich tat es...“, erklärte er bitter. „Mei-Meine Tochter... weinte bitterlich, als ich... ich zu ihr kam und sie vergewaltigte... S-Sie flehte um Gnade... Ich konnte nicht aufhören. Auch nicht, als ich... ihr anfing, den Schädel... ein-einzuschlagen...“ Argrim spürte eine Übelkeit in sich hochkommen, die er kaum zu beschreiben wusste. Natürlich waren ihm Inzest und Vergewaltigung nicht neu, doch es dann auf diese Weise zu hören, war anders. Er hatte den Täter vor sich und müsste mit dessen Schicksal Mitleid empfinden, doch am liebsten wollte er ihm das Maul stopfen. Noch brauchte er dessen Informationen, also ließ er ihn fortfahren: „Eigentlich... wollte ich aufhören und... mich entschuldigen, aber... aber es ging nicht mehr! Auf diese Weise... tötete ich meine ganze Familie... I-Ich ließ alles... hinter mir und konnte meinen Körper... nicht mehr wirklich steuern... F-Fremde Menschen tötete ich mit Mistgabeln und... und mit Schaufeln und ich war... so wütend und so ängstlich! Mit jedem weiteren Schädel... verlor ich zunehmend die... die Kontrolle über meinen Körper und... tat irgendwann nur noch, was... diese Stimme von mir verlangte...“ „Wieso hat er dich hierherkommen lassen?“ „Das weiß ich nicht, Herr...“, sagte er wahrheitsgemäß und erschöpft. „I-Ich bin einfach... dahingegangen, wo er mich... haben wollte... Er-Erklärungen gab... es keine...“ „Hast du eine Elfe gesehen? Sie sieht etwas aus, als sei sie etwa sechszehn Winter alt, etwas mollig, blondes, langes Haar und ein hübsches Gesicht.“ „J-Ja! Ja... Sie war hier. Er wollte unbedingt, dass wir... wir sie schnell tö-töten...“ Solch ein Befehl war nie gut und ließ Argrim die Augenbrauen zusammenziehen: „Habt ihr es geschafft?“ „N-Nein...“, stotterte der Bauer und hustete kurz darauf Blut aus. „Sie rief grauenhafte... Bestien herbei, die... ihr halfen und kämpfte si-sich dann... zu ihm durch...“ „Ihm? Wer ist er?“ „Ein Magier, Herr... Ein mächtiger Magier, der... die Toten aufstehen l-ließ...“ „Ich verstehe... Danke sehr.“, sagte er und erhob sich wieder, um mit den kräftigen Händen nach dem Schaft seiner Streitaxt zu greifen. Der einst Verseuchte wusste, was es bedeutete und wirkte wirklich erleichtert, dass der Zwerg sein Leid beenden wollte. Er flüsterte etwas davon, dass er nun seine Familie wiedersehen würde und er ihm dankbar sei, als Argrim die Klinge niedersausen ließ. Mit einem kraftvollen Hieb köpfte er den armen Mann, dessen geheimen Gelüste gegen ihn verwendet worden waren. Ohne eine Kontrolle hatte er sich diesen ergeben und was irgendwann nur noch ein Zuschauer gewesen. Die grauenhaften Taten, die er begannen hatte und gleichzeitig auch nicht, hätte er niemals vergessen, selbst wenn er nicht das Bein verloren hätte. Schließlich hätte er es dann selbst beendet. Es war ein Nekromant hier... Dann bringt es nichts, wenn wir die Leichname verbrennen. Ob nun Skelette oder fleischliche Hüllen spielen für solche Magier keine Rolle. Alles ist nützlich, wenn es nur tot ist..., überlegte er und blickte auf die zahlreichen Toten herab. Nun fiel ihm auch auf, dass einige mehr Verletzungen hatten, als sie haben sollten. Das waren wohl die armen Tröpfe gewesen, die nach ihrem Ableben wieder eine neue Chance bekommen hatten. Einige von ihnen waren auch die Mischlinge, die nach ihrem Tod gegen ihre eigenen Leute gehetzt worden sind. Hoffentlich hat dieser Nekromant sein Fett wegbekommen! Das ist blasphemisch... Langsam stieg er über zahlreiche Tote hinweg und schlug von einigen die Köpfe ab, wenn er sich nicht sicher war, ob sie nicht doch noch lebten. Hier und da stieg er auch nur über einzelne Körperteile, die offenbar ihren ursprünglichen Besitzern mit ungebändigter Gewalt entrissen worden waren, um sie dann einfach wegzuschmeißen. Kannibalismus war es zumindest nicht, denn es gab keinerlei Bissspuren, die darauf hindeuten könnten. Ob es ihn wirklich beruhigen sollte, wusste der Axtschwinger nicht... Schließlich entdeckte er den Leichnam jener Bestie, die der Bauer wohl gemeint hatte. Flügel hatte diese und keine Augen. Alles an ihr wirkte absurd und falsch. Es erinnerte ihn an alte Kindergeschichten, in denen von Monstern die Rede waren. Sie waren recht ähnlich beschrieben worden und waren mindestens genauso unheimlich in seinem Kopf gewesen. Argrim kniete sich herunter und hob langsam den Lendenschurz an, der aus einem Leder war, das er nicht bestimmen konnte. Es war viel dicker und fester, als er es von den Tieren kannte, die sie sonst für Kleidung häuteten. Auch farblich hob es sich ungemein ab, denn es schien von Natur aus Schwarz zu sein und nicht durch Pflanzen oder Magie gefärbt zu sein. Schwer zu sagen, woran das lag, doch er hatte davon gehört, dass es noch andere Welten neben ihrer gab. Noch mehr überraschte es den Anführer aber, dass er unter den Schurz keine männlichen Geschlechtsteile fand und auch keine Anzeichen für eine Kastration, sondern eher etwas, was an eine weibliche Scheide erinnerte. Es war weiblich! Dabei deuteten die ungemein großen Muskeln an, dass es sich um ein Männchen handeln musste. Andere Welt, andere Gesetze, was? Nichts mit Brüsten und zierlicher Gestalt..., sinnierte er für sich, Scheint mir fast so, als könnten das so etwas wie Harpyien sein. Ihnen fehlt nur das Federkleid... Fast wie eine dunkle Variante von ihnen. Vielleicht gibt es auch keine Harpyien und die Geschichtenschreiber wollten sie nur aufhübschen und meinten das hier. Jedenfalls hoffte der Zwerg, dass er solch einer Kreatur niemals in einem lebendigen Zustand begegnen würde. Offenbar konnte sie mit Leichtigkeit menschliche Körper auseinanderreißen und Chaos in eine zahlenmäßig überlegende Armee bringen. „Argrim!“, rief ihn eine vertraute Stimme und ließ den Krieger hochzucken. Sofort nahm er seine Axt und trennte den Kopf von den Schultern des Seelenfängers, um einen Irrtum auszuschließen und nicht am Ende doch noch eine Begegnung der tödlichen Art zu erleben. Sofort eilte der Axtschwinger los, um dem Ruf zu folgen. Innerlich hoffte er, dass sie endlich eine Spur oder einen Hinweis gefunden hatten. Noch besser wäre die Elfe selbst! Dann wäre diese Mission sehr schnell erledigt und er konnte sich wieder um Clan-Angelegenheiten kümmern. „Was habt ihr gefunden?“, erkundigte er sich schließlich. Dorin sah auf und deutete auf den Karren: „Das müsste ihrer sein. Da ist Kleidung für eine Frau drin, ein paar Vorräte und auch Pelze. Das Pferd ist offenbar getürmt.“ Er fackelte nicht lange und trat heran, um einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Das sah wirklich nach den Sachen der Elfe aus. Wyrnné hatte davon berichtet, dass er ihr Kleidung hatte schneidern lassen und sie mit Proviant und Waffen versorgt hatte, damit sie für die Reise gewappnet war. Dazu hatte er ihr ein edles Ross gegeben, welches nun offenbar abgehauen war oder als Abendessen geendet hatte. Dem Seil zu urteilen, hatte eine Waffe es durchtrennt und der aufgewirbelte Boden erzählte die Geschichte eines durchdrehenden Tieres, das nur noch wegwollte. Abgesehen von dem geflohenen Pferd gab es keinen Grund, den Karren zurückzulassen oder zumindest nicht, dessen Inhalt. Es war also gut möglich, dass sie den Kampf nicht überlebt hatte. „Ladet alles auf unseren Karren, was noch gut ist und auch ihre Kleidung.“, befahl Argrim mit fester Stimme. „Solange wir ihren Leichnam nicht haben, müssen wir davon ausgehen, dass sie die Sachen noch braucht.“ „Natürlich, Argrim.“, erwiderte Dorin und winkte Yadri heran, damit er ihm zur Hand ging. Gerade bei den Wasserfässern mussten sie vorsichtig sein, damit sie nicht zu Boden gingen. Es war kostbar, wenn der Frost einsetzte! Erst Wasser auftauen zu müssen, konnte Leben kosten, wenn es auf jede Minute ankam. Fleisch zu jagen oder nach Pflanzen zu suchen, war da in der Regel wesentlich einfacher. „Ein Bauer hatte noch gelebt...“, erklärte er schließlich seinen beiden Artgenossen. „Er meinte, dass eine Stimme von ihm wollte, dass er diese Dinge tut und dass diese Stimme ganz besonders Billianas Tod wollte. Doch sie hat sich wohl zu einem Nekromanten durchgeschlagen. Mehr konnte er mir nicht sagen...“ „Es gibt viele Hinweise auf Nekromantie.“, erklärte Dorin und deutete auf die zahlreichen Verletzungen der Toten. „Viele scheinen mehrere Tode gestorben zu sein und es gibt auch ein paar Skelette, die nicht hierhergehören. Aber wir haben bisher nicht den Ursprung gefunden.“ „Und auch keine Überlebenden.“, ergänzte Yadri. „Haakon und Oldor wollten aber noch etwas tiefer in das Schlachtfeld und weitere Hinweise suchen.“ Argrim nickte zufrieden: „Wir sollten ihnen folgen, sobald alles umgeladen wurde.“   Die Umlagerung von den ganzen Sachen dauerte nicht allzu lange und so konnten sie zu den anderen Zwergen relativ schnell wieder aufschließen. Auf dem Weg dorthin, stachen sie in Herzen oder trennten Köpfe ab, um sicherzugehen, dass ihnen niemand in den Rücken fiel. Auch wenn sie weiterhin um eventuelle Untoten fürchten mussten, denen es nichts ausmachte, wenn sie einen Dolch oder eine Axt im Brustkorb hatten oder ihnen der Kopf fehlte. Zwar vermieden es die meisten Totenbeschwörer irgendwelche Kopflose zu beleben, weil sie immerhin noch planloser angriffen als jene, die zumindest noch Augen besaßen, aber es hielt sie zumeist nicht davon ab, es dennoch zu wagen. Argrim hatte es sogar schon erlebt, dass eine einzelne Hand sich samt Arm auf einem Schlachtfeld einfach an ihn geklammert hatte und partout nicht mehr loslassen wollte! Das Ärgerliche an der ganzen Geschichte war jedoch gewesen, dass dieser Arm zu einem Nekromanten gehörte, der eigentlich ein Verbündeter war, doch der Arm konnte schlecht noch unterscheiden. Es war ihm nichts Anderes übriggeblieben, als mit der Axt die Hand abzutrennen und von sich abzuschütteln. „Weißt du noch damals?“, spottete Yadri und der Anführer ahnte schon, worauf er hinauswollte. „Als du die untote Hand nicht mehr losgeworden bist? Du bist über das halbe Schlachtfeld gehüpft, um sie loszuwerden!“ „Amüsant daran ist, dass ihr jedes Mal die Distanz erweitert, die ich angeblich gerannt oder gehüpft bin. Die Legende scheint in einem dauerhaften Wandel zu sein...“ Dorin lachte spöttisch: „Das liegt daran, dass die meisten nicht dabei gewesen sind und nur das Hörensagen wiederholen. Ich habe es gesehen und es war wirklich witzig! Besonders wie du deine Streitaxt halten musstest, um sie abzutrennen!“ „Ich weiß wirklich nicht, was daran witzig sein soll...“ „Dein eigener Verbündeter hat dich attackiert und du wurdest ihn nicht los. Das IST witzig!“ Dass die beiden brüllend lachten, fand er ebenso beunruhigend wie die angebliche Legende, um die klammernde Hand. Sie wussten nicht, wer oder was sich hier noch lebend aufhielt und vielleicht ihren Tod wollte. Zischend pfiff er sie zur Ruhe und deutete um sich herum, damit sie sich erinnerten, wo sie sich befanden. Die Ruhe der Toten zu stören, war ohnehin frevelhaft. Das überließ er lieber den Nekromanten... Meine Güte! Wie weit sind denn die beiden gelaufen? Sonst bekommt man sie kaum aus dem Bett und hier laufen sie ganz neue Rekorde., fluchte Argrim gedanklich und witterte allmählich eine böse Überraschung. An sich war es unwahrscheinlich, dass ihnen wirklich etwas zugestoßen war, denn sie hatten keine Kampfgeräusche gehört, trotzdem beunruhigte ihre Abwesenheit ihn. Soweit er es beurteilen konnte, gab es auch keine frischen Kampfspuren. Keine... frischen Spuren... Nicht mal ihre Fußabdrücke!, dämmerte es dem Anführer und griff sofort zu seiner Streitaxt, um sie mit beiden Händen fest zu umfassen. „Was hast du, Argrim?“, hinterfragte Dorin ihn überrascht und zog zur Sicherheit sein Großschwert. „Hast du etwas gesehen?“ „Es ist eher das, was ich nicht gesehen habe.“ „Was? Bist du betrunken?“ „Leider heute noch nicht...“, grunzte der Axtschwinger humorvoll, wurde aber sofort wieder ernst. „Es gibt keinerlei Fußspuren von Haakon und Oldor. Es fehlen auch sonst Anzeichen davon, dass seit der Schlacht jemand hier gewesen ist. Wären sie vorgegangen, dann müssten hier doch Anzeichen zu erkennen sein.“ Yadri verstand, was er meinte und zog endlich seinen Schild und den Streitkolben, während er sich immer mal um die eigene Achse drehte: „Ja, du hast recht... Irgendwas stimmt hier nicht.“ „Aber sie sagten doch selbst, dass sie vorgehen wollen...“, warf Dorin immer noch irritiert ein. „Vielleicht sind sie das, aber vermutlich kamen sie bei ihrem Vorhaben nicht besonders weit.“ „Denkst du, dass sie tot sind, Argrim?“ „Ich hoffe es nicht...“ Sie gingen auf leisen Sohlen und sehr langsam weiter, wobei sie noch mehr auf die Umgebung und die Leichen achteten. Jedes Gesicht wurde genau betrachtet, um auszuschließen, dass es ihre Begleiter waren. Sie fanden jedoch weder Überlebende noch die beiden Zwerge. Dieser dauerhafte Nervenkitzel missfiel ihnen ungemein und am liebsten wären sie wohl alle umgekehrt, um zu der Hauptstadt zurückzugehen. Für einen Moment sinnierte der Anführer sogar über den Gedanken, dass sie einfach behaupteten, dass die Elfe tot sei... Doch just in diesem Moment – als wollte eine höhere Macht nicht, dass sie umkehrten – entdeckte er etwas. Goldenes Haar wehte nicht weit von ihnen im eisigen Wind wie ein Lockruf. Der Schnee war hier schon stark genug ausgebrochen, damit nicht erkennbar war, wem diese Mähne gehörte und was sich drum herum befand. Es wurde generell schon schwierig, sich ungehindert fortzubewegen und die Leichname genauer in Betracht zu ziehen. Argrim wusste nicht genau, wie weit sie bereits in den Norden vorgedrungen waren, allerdings waren die Berggipfel bereits zu erkennen, also war das Schlachtfeld wohl größer, als anfangs noch angenommen. „Da vorne...“, sagte der Anführer und deutete auf das goldene Haar. „Vielleicht ist das ihre Leiche.“ „Es wäre bedauerlich, wenn wir dafür zwei Zwerge verloren haben.“, bemerkte Dorin und arbeitete sich voran. Vorerst umkreiste er das wehende Haar und schaufelte etwas den Schnee mit dem Großschwert beiseite, um nach eventuellen Fallen oder Untoten zu suchen. Es war nichts zu finden, also winkte er seine Kameraden heran. Argrim rammte seine Streitaxt neben sich in den Schnee und watete dann ebenfalls durch Schnee, Eis und Leichenteile, damit er den Schnee mit seinen Händen zur Seite schaffen konnte. Dorin und Yadri halfen ihm dabei, damit sie nicht zu viel Zeit vertrödelten. Sehr bald deckten sie endlich den relativ kleinen Körper einer Elfe auf, die genau auf die Beschreibung des Ratsmitglieds passte. Ein bisschen mollig, blond, leicht gebräunt und hübsch anzusehen. Sie trug einige Verletzungen, die schon nicht mehr bluteten und wirkte beinahe... lebendig. Das kam dem Anführer seltsam vor, weshalb er sie aus dem kalten Schnee hievte und sie mit Dorin zusammen zum Karren schleppte. Die darauf befindlichen Kleidungsstücke und Felle legten sie übereinander, damit sie die junge Elfe darauf ablegen konnten und sie heraus war aus der frostigen Kälte. „Sie sieht mir nicht tot aus...“, murmelte Argrim. „Klar, etwas blasser vielleicht, aber nicht wirklich tot. Wenn, dann ist sie höchstens ein paar Stunden nicht mehr unter uns.“ „Da gebe ich dir recht.“, stimmte Dorin ihm zu, der einem Gelehrten am nächsten kam. Zwerge waren vielleicht nicht bewandert in Magie, Heilkunde oder darin, viele Bücher zu lesen, aber es gab ein paar Ausnahmen, die sich wenigstens etwas bildeten. Eine dieser Ausnahmen war Dorin. Er kannte sich sogar ein wenig mit Heilkunde aus und hatte einige Studien über Magie betrieben. Wenn er jemanden einen Verletzten anvertrauen würde, dann ganz bestimmt ihm! „Wie bekommen wir nun heraus, ob sie noch lebt?“ „Lasst mir ein bisschen Zeit, um Lebenszeichen bei ihr zu suchen.“, bat Dorin sofort. „Wir sollten aber auf jeden Fall zusammenbleiben, damit nicht noch mehr abhandenkommen. Macht am besten ein Feuer.“ Für einen Fall wie diesen, hatten sie ein bisschen Feuerholz mitgenommen. So mussten sie nicht erst welches suchen und eventuell noch irgendwie ermöglichen, feuchtes Holz zu entflammen. Nicht, dass sie es nicht konnten, jedoch kostete das einfach Mühe und Zeit. Erschwerend kam hinzu, dass sie sich trennen müssten, um nach einer anderen Holzquelle zu suchen und es wirklich nicht ratsam war, Dorin nun alleine zu lassen. Von Haakon und Oldor fehlten bisher immer noch jegliche Spur. Argrim bezweifelte langsam wirklich, dass sie die beiden jemals wiedersehen würden. Innerlich hoffte er aber, dass sie einfach umgedreht waren, um zurück in die Hauptstadt zu gehen. Es wäre nicht die feine Art, doch immerhin wären sie dann am Leben. „Sie hat einen Puls!“, rief plötzlich Dorin. Sie hatten das Feuer gerade erst entfacht, nachdem sie eine Stelle vom Schnee befreit hatten. Nah genug am Karren, dabei die Wärme dorthin gelangte, doch weit genug weg, damit es nicht übergriff. „Bist du dir sicher?“, wollte der Anführer sofort wissen und eilte an die Seite seines Kameraden. „Ja, absolut.“, bestätigte er ihm. „Er ist sehr, sehr schwach, aber er ist da. Seltsam ist, dass sie nicht atmet... Ab und zu meine ich, dass sie etwas Luft einzieht oder es versucht, aber sie atmet nicht wirklich.“ „Ist ihr Kehlkopf vielleicht verletzt wurden? Oder hat sie am Hals Verletzungen, die es ihr schwermachen, Luft zu bekommen?“ „Es ist nichts zu erkennen. Wenn, dann ist es im Hals.“ Yadri gesellte sich zu ihnen und warf einen nachdenklichen Blick auf die goldhaarige Elfe, die immer noch ohne Bewusstsein dalag: „Vielleicht hat sie sich ja verschluckt? Bin mal fast an einer Fliege erstickt...“ „Oh ja, wir erinnern uns. Das war ein wirklich lustiger Abend.“, amüsierte sich Dorin, wurde aber sofort wieder ernst. „Aber vielleicht hast du recht.“ Ihnen fehlte es an Hilfsmitteln und Werkzeugen. Ein Heilkundiger besaß in der Regel wirklich gutes Equipment, um seine Patienten untersuchen und behandeln zu können, doch hier konnte er sich nichts leihen oder organisieren. Selbst wenn es auf dem Schlachtfeld einen Mediziner gegeben hatte, müssten sie diesen erstmal finden und hoffen, dass seinen Sachen nichts zugestoßen war. So viel Zeit hatten sie definitiv nicht! Schnaubend sah Dorin zu seinen Kameraden: „Einer muss ihr den Mund aufhalten. So weit, wie es irgendwie geht. Und wehe, derjenige zittert!“ Yadri und Argrim wechselten einige Blicke aus. Es wurde schnell klar, dass diese Aufgabe von dem Anführer erledigt werden musste, da sich der jüngere Zwerg das nicht zutraute. An sich nicht schlimm, doch langsam fühlte es sich so an, als würde der Axtschwinger am Ende alles machen müssen. Niemand erledigte gerne unangenehme Aufgaben... Trotzdem atmete er zwei Mal tief durch und griff dann nach dem Kiefer der Elfe, um dessen Sperre mit einem geschickten Griff zu lösen. Erst danach war es ihm möglich, den Mund für Dorin so weit zu öffnen, wie es die Muskulatur und die Knochen zuließen. Es kam ihm nicht viel vor, doch sein Artgenosse beschwerte sich keineswegs über das Ergebnis. Lieber drückte er Yadri ein Scheit aus dem Lagerfeuer in die Hand, damit er ihnen zumindest etwas Licht spendete. Allmählich dämmerte es und er musste möglichst genau gucken können. Es wurde zu eng, wenn sie nebeneinanderstanden, weshalb Dorin langsam in den Karren kletterte und dann mit seinen Fingern das Zäpfchen zur Seite schob und die Zunge nach unten drückte. Er versuchte dabei keine Würgereflexe auszulösen, was sicherlich nicht besonders einfach war. Die würden ihm immer wieder die freie Sicht nehmen und bei sehr viel Pech verschleiern, was genau ihr Problem war. Hier und da zischte der Zwerg seine Kameraden an, damit das Licht anders gehalten oder der Mund besser aufgehalten wurde. Nicht gerade sanft ruckte er auch mal an dem Kopf der Elfe, damit dieser sich optimal neigte. „Bei Iduna!“, fluchte er schließlich und schrak hoch. „Das kann doch nicht wahr sein!“ „Was ist denn los?“, drängte Argrim. Er war sich nicht sicher, was er von alldem halten sollte. Außerdem war es ungewöhnlich, dass Dorin nach Gottheiten fluchte... Erst recht nach dieser! „Da steckt etwas in ihrem Hals!“ „Das hatten wir doch schon vermutet...“ „Es geht nicht darum!“, wetterte der Zwerg außer sich. „Es geht darum, WAS in ihrem Hals steckt!“ „Ist es ein roter Apfel?“, spottete Yadri und bekam gleich von zwei Artgenossen einen bitterbösen Blick. Wären Haakon und Oldor noch bei ihnen, hätten sie sich gewiss angeschlossen. „Nein, das ist es nicht, Yadri, du närrisches Kleinkind.“, zischte Dorin erbost und winkte dann ab. „Es sieht aus, als sei es Blut.“ „Hat sie vielleicht eine Verletzung im Hals, die eine Blutung verursacht?“, hinterfragte Argrim vorsichtig. Er wollte Dorin nicht noch mehr aufregen, der vollkommen außer Häuschen schien. Zumindest für seine Verhältnisse... Dorin schüttelte entschieden den Kopf: „Das ist keine Blutung... Es ist eine Kugel aus Blut, die sich perfekt angepasst hat und ihre Luftröhre zudrückt.“ „Magie...“ „Ja, ganz recht. Soviel ich weiß, kann so etwas nur Blutmagie bewirken. Der Magier hat sein oder ihr Blut genommen und versucht sie so zu ersticken.“ „Wie kann es sein, dass sie dann noch lebt? Sie muss hier doch schon seit einigen Tagen liegen!“ „Sie hat sicherlich Idunas Segen erhalten...“ Yadri blinzelte einige Male und sah dann verwirrt zwischen den älteren Artgenossen hin und her. Offenbar gingen sie davon aus, dass jeder ihnen folgen konnte und weitere Erklärungen nicht nötig seien. Behutsam hüstelte der Krieger deshalb: „Was soll das bedeuten?“ „Dass sie eine Unsterbliche ist, Yadri.“, erklärte Argrim nicht gerade wohlwollend. „Oder Langlebige... Manche nennen solche auch Dämonen oder Seelenlose. Sie können eigentlich durchaus sterben, aber es ist eben viel schwieriger. Derjenige, der das Blut in ihren Hals schaffte, wusste, dass er sie nicht einfach erdolchen kann und hat sich für die lange Methode entschieden.“ „Stirbt sie, wenn er das Blut lange genug in ihrem Hals behält?“ „So in etwa... Soweit ich weiß, kann man unter anderem Unsterbliche töten, indem man sie für mehrere Tage tödlichen Verletzungen aussetzt und ihnen keine Chance auf Selbstheilung lässt.“ Dorin nickte zustimmend: „So ist es. Er hat sicherlich auch gehofft, dass sie das Ganze nicht überlebt, wenn er sie so zurücklässt.“ „Wie bekommen wir das Blut nun heraus?“ „Ich habe keine Ahnung...“ „Nun haben wir sie endlich gefunden und du sagst mir, dass wir nichts tun können?“, erkundigte sich Argrim gereizt. Dafür hatten sie zwei Kameraden verloren und eine sehr gefährliche Reise auf sich genommen! Nun standen sie vor der goldhaarigen Elfe und konnten ihr beim Sterben zusehen. Das ist doch nicht fair... Sie ist noch so wahnsinnig jung! Wir stehen direkt bei ihr, halten ihre Hand und sind trotzdem unfähig, ihr zu helfen... Es ist eine Schande., dachte Argrim verbittert. So gerne hätte er um sich geschlagen, aber es würde seine Gefährten nur verunsichern, was er auf keinen Fall wollte. Dorin seufzte leise und forderte die beiden auf, von ihr abzulassen, damit sie den Mund wieder schließen konnte. Sie mussten sie nicht unnötig quälen. Schließlich begann er in dem Karren zu wühlen und hoffte, dass er vielleicht doch irgendwas finden konnte, um der blutjungen Elfe irgendwie zu helfen. Es musste nicht immer gleich alles vergebens sein. Zumindest wollte er gerne an ein Happyend glauben. Selbst dann, wenn Haakon und Oldor wohl nie eines bekommen würden...   „Schwesterchen... Wieso lässt du dich nur auf solche Risiken ein? Kaum verlässt du die sichere Bruststätte und schon bist du dem Tod zum Greifen nahe.“ „Das finde ich nicht witzig...“ „Ich finde das auch nicht witzig, Schwesterchen, und unser Vater sicherlich auch nicht, wenn er das erfährt.“ „Wieso kannst du nicht ausnahmsweise einfach den Mund halten? Ich weiß, dass ich es verbockt habe.“ „Oh große Retterin! Billie, die Heilige! Lobpreiset ihre wundervollen Träume und Ideale! Sie wird die Welt verbessern, mit ihren gutgemeinten Wünschen. Nur vergisst sie manchmal, dass Wünsche in Erfüllung gehen können...“ Sie riss die Augen auf und erblickte wieder die Schwärze ihres infiltrierten Verstandes. Irgendwo in der Dunkelheit lauerte immer noch Zodiak und hoffte darauf, dass sie wieder schwächelte. In den letzten Stunden... Tagen – eigentlich wusste sie es nicht genau – hatte er es unzählige Male wieder versucht. Er wollte die Kontrolle über ihren Körper, ihre Macht und erst recht über ihren Verstand. Bisher hatte sie sich dieser dunklen Absicht verweigern können und war noch Herrin über sich selbst. Das Eindringen hatte es aber offenbar ermöglicht, dass noch mehr Leute eine direkte Verbindung zu ihrem Geist aufnehmen konnten. Das stellte eine Belastung dar und machte es nicht unbedingt leichter, mit der neuen Situation umzugehen. Billiana sah sich um und entdeckte bald die vertraute Gestalt. Ihr Halbbruder trug – wie sie es auch von ihm gewohnt war – eine dunkle Kluft und eine Kapuze. Stolz behauptete er stets, dass er so richtig zwielichtig aussähe! Genau richtig für seine Geschäfte... Unter der Kapuze verbarg sich ein attraktiver, grinsender Mann mit schwarzem, kurzem Haar und grauen Augen. Obwohl er kein Krieger war und eher der Magie und Hinterlist frönte, hatte er ein breites Kreuz und breite Schultern. Notfalls wusste er sich gewiss zu wehren, jedoch gab es Weiber, die mehr Kraft im kleinen Finger hatten als er im ganzen Körper. Deshalb brauchte er auch seine hinterlistigen Intrigen, um überleben zu können und sich die Existenz innerhalb der Markrhon-Familie zu sichern. Die bestand aus Mördern, Vergewaltigern und Wahnsinnigen, was für viele Kinder bereits den Tod im Kindsbett bedeutete. Oder eine frühe Entjungferung... Da er äußerlich beinahe kränklich wirkte mit der blassen Haut, musste er sich eben anders wappnen. Das tat er durchaus erfolgreich! Kaum ein Magier des Hauses Markrhon hatte solch ein Potenzial und so viele verschiedene Talente. Niemand wagte es, die Zwischenwelt so aktiv zu nutzen wie er. Auch wenn sein Lebensstil gewisse Risiken barg, sah er keinen Grund, einen anderen Weg einzuschlagen. „Was machst du hier, Connar?“, wollte die Elfe wissen und er lüftete vergnügt seine Kapuze. Natürlich grinste ihr Halbbruder wieder breit und wirkte ein bisschen so, als wollten sie gleich zusammenspielen gehen. Nur waren sie beide aus dem Alter heraus und sie lag im Sterben... Er verlor dennoch nicht seine Heiterkeit: „Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen, liebste Schwester?“ „Sehe ich denn so aus?“ „Um ehrlich zu sein – und dass meine ich wirklich nicht böse – siehst du ganz schrecklich aus.“ „So habe ich das nicht gemeint... Was willst du hier in meinem Kopf, du verdammter Esel?“ Connar ging ein bisschen auf und ab, als müsste er über diese Frage erstmal sehr genau nachdenken. Grüblerisch glitten seine Finger dabei an das breite Kinn, während sich kleinere Fältchen auf der Stirn und zwischen den Augenbrauen bildeten. Seine Spielereien waren ihr nicht neu, doch in diesem Augenblick fand sie es unangemessen. „Herr Gott, Connar!“, spuckte sie aus wie einen Fluch. „Wenn du nichts von mir willst, dann verschwinde gefälligst!“ „Nun wirst du unhöflich...“, amüsierte er sich köstlich. „Deine Mutter wäre außerdem entsetzt, dass du den Namen eures Herren in solch einem Zusammenhang verwendest. Ich habe dagegen kein Problem damit, wenn du mich als >Gott< bezeichnest.“ Ihre innerliche Kontrolle war längst nicht mehr vorhanden, was seine Sprüche nicht unbedingt klug gewählt machten. Knurrend ging die Langhaarige in die Hocke und sprang dann auf ihren Halbbruder los, der just in dem Moment verschwunden war, als sie ihn gerade zu Boden reißen wollte. Sie landete auf allen Vieren und richtete sich sofort wieder auf, damit sie sich hektisch nach ihm umsehen konnte. Es war nichts zu entdecken. Für den Moment hatte sie ihn wohl vertrieben, merkte aber bald, wie sehr sie sich eigentlich täuschte. Von hinten umarmte der Schwarzhaarige seine Schwester und küsste ihre Wange sanft. Die Blondine wollte ihn abschütteln, doch er hielt sie einfach fest. „Scht~, Billie, scht~...“, flüsterte er liebevoll. „Es ist doch alles gut.“ „Du bist in meinem verdammten Kopf und ich kann dich nicht mal herauswerfen! Ich denke nicht, dass alles gut ist! Wäre alles gut, dann könnte ich selbst entscheiden, wer hier hausieren soll und wer nicht!“, wetterte sie lautstark. Irgendwann gab sie nach und ließ sich schlapp in seinen Armen hängen. Sie war so unendlich müde... Seit so langer Zeit kämpfte sie. Nicht nur heute gegen den Tod, sondern auch schon früher um alles. Ging es um die Anerkennung ihres Vaters oder darum, welche Ausbildung sie einst absolvieren wollte – es war stets ein Kampf gewesen. Vieles in ihr schrie danach, dass sie einfach aufgab und Zodiak an das Ruder ließ, damit es endlich besser wurde. Eine viel, viel stärkere Stimme aber flüsterte, dass alles gut werden würde, wenn sie nun nur nicht aufgäbe. Er sagte vorerst nichts mehr, sondern ließ ihr die Möglichkeit, zu toben, zu meckern und sich gegen alles zu wehren. Sollte sie ruhig ihrem Frust freien Lauf lassen. Connar wusste, dass es ihm an ihrer Stelle wohl ähnlich gehen würde und er genauso gerne einfach Dampf ablassen würde. Zum Glück war er bisher nicht in diese Lage gekommen. Zwar lebte er selbst ungemein gefährlich und bewegte sich wahnsinnig oft durch die Zwischenwelt, aber bisher war er stets heil in jenen Welten wiederaufgetaucht, die er besuchen wollte. Auch die schwarze Magie, die er nutzte, barg ungemeine Tribute. Jeden Zauber, den er beschwor, kostete ihn einen Teil seiner bereits kaputten Seele. Meistens versuchte er die Seelen anderer dafür zu verbrennen – besonders, wenn er große Zauberrituale ausübte – aber es war nicht immer einzuschätzen, wie viel der Seelenenergie gebraucht wurde. Dann kam es schon mal vor, dass er ungewollten Schaden erlitt, der nicht wieder repariert werden konnte und ihn irgendwann alles kostete. Dann wurde er so wie Ereinion, um den er Billiana so sehr beneidete. Allzu gerne wollte er einen Pakt mit einem Schattenwolf und seine Fähigkeiten für sich nutzen, jedoch besaß er nicht die Gabe des Schöpfens wie seine jüngste Schwester, weshalb er leider keinen solchen Pakt schließen konnte. Er sah die Schattenwölfe nur, wenn er die Pfade der Zwischenwelt für sich nutzte oder Billie ihren Gefährten rief. „Es wird passieren, dass du dich wieder in solch einer misslichen Lage befindest, Billie. Nicht ganz wie diese... Er wird eine Welt erschaffen, die dir vertraut vorkommt und wird Erinnerungen, Wünsche und Träume gegen dich verwenden. Wenn es so weit ist, musst du stark sein und dich wehren.“, flüsterte Connar mit klarer Stimme, während er die Blondine dichter an sich drückte. „Alles, was du dir vorstellen kannst, wird Zodiak gegen dich einsetzen, also sei darauf vorbereitet. Egal, wie vertraut dir die Gesichter sind, sie sind nur eine Lüge. Sei dann stark, sei aufrecht und hör‘ endlich auf, herum zu heulen! Es bringt dich nicht weiter.“ „Wieso sagst du mir das alles? Es bringt mir doch nichts mehr, wenn ich hier festsitze und sterbe...“ „Denkst du ernsthaft, dass ich dich sterben lasse, Schwesterherz? Aber bevor du wieder aufwachen darfst, muss ich sicher sein, dass du mir zugehört hast und begreifst, was ich dir zu sagen versuche.“ Die goldhaarige Elfe nickte ganz langsam, auch wenn sie nicht ganz sicher war, ob sie wirklich wusste, worauf sie sich da einließ. Es klang ein bisschen so, als würde das Urböse sie auf die Probe stellen und wenn sie dann versagte, würde sie sterben – endgültig. „Natürlich werde ich dir auch dann helfen, wenn ich es kann, doch ich bin mir nicht sicher, ob es mir möglich sein wird.“, sagte der Schwarzhaarige leise. „Es ist besser, wenn du dann niemandem vertraust. Du musst einfach seinen Illusionen entkommen und dich wieder der Realität stellen. Billie, du bist stark und du bist stark genug, um das alles durchzustehen.“ „Warum ich? Wieso zieht es mich so magisch zu dieser Aufgabe, die so unmöglich scheint?“ „Vielleicht weil den Narren meistens das Glück hold ist und das Schicksal meinte, niemand ist so närrisch wie eine Billiana Fayh Cailean Markrhon?“ Sofort trat sie nach dem Fuß ihres Halbbruders, der kurz keuchte, als ihre Hacke ihn traf. Es war vermutlich nicht besonders schmerzhaft, aber sie fühlte sich besser. „Ich kann dir nicht sagen, warum gerade du es sein musst, Schwesterherz... Wenn ich könnte, dann würde ich diese Last von deinen Schultern nehmen, aber ich kann nicht.“, flüsterte er mit ehrlichem Bedauern. „Manche Dinge können wir eben nicht nach unserem Willen beeinflussen. Oft kommen diese Fragen auf, doch am Ende tun wir eben, wofür wir geboren worden.“ „Werde ich am Ende meiner Reise sterben?“ „Wir alle sterben am Ende unserer Reise, Billie. Der Tod gehört genauso zum Leben wie das Leben selbst. Ohne den Tod macht das Leben keinen Sinn...“ „Wird mich denn schon diese Reise töten, Connar? Werde ich jetzt schon durch diesen Versuch sterben, so etwas wie Zodiak aufzuhalten?“ Zum ersten Mal in ihrem Leben wirkte Connar ernsthaft bedrückt und ihr tat es leid, dass sie ihn das gefragt hatte. Auch wenn er gerne scherzte, liebte er seine Familie und versuchte diese zu beschützen. Auch für ihn war das eine schwere Lage. Er war genauso hilflos wie sie... Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln: „Das weiß ich nicht, Billie, aber ich werde versuchen, dass dies nicht das Ende deiner Reise ist. Wenn es nach mir geht, sollst du noch viele Orte sehen und zahlreiche Männer kennenlernen. Oder Frauen...“ „Du weißt, was da zwischen Wyrnné und mir passiert ist, oder?“ „Natürlich. Ich werde Vater berichten, dass du dich an den Hals eines Wildfremden geworfen hast wie eine Dirne! Und dein Wasserfall strömte regelrecht!“ „Untersteh‘ dich!“, schimpfte die Blondine und trat dieses Mal auf den anderen Fuß. Er sollte sich gar nicht erst an den Schmerz gewöhnen, sonst wurde er noch immun. Immerhin gefiel es ihr, wenn er keuchte wie jetzt. Er küsste nochmals ihre Wange und streichelte schließlich über den etwas molligen Bauch seiner kleinen Schwester: „Es ist in Ordnung, dass du dich auf einen Blick verguckt hast, Schwesterchen. Liegt in unseren Genen... Vater hat sich damals auch sofort in Eva verliebt und daraus bist dann du entstanden. Verschließ‘ dich einfach nicht vor anderen Gefühlen, die vielleicht genauso echt sind. Leb‘ dein Leben, solange du die Möglichkeit dazu hast.“ „Das verspreche ich.“ „Sehr gut, dann wird es langsam Zeit.“, sagte er salopp und löste sich wieder von der Elfe. „Du hast nun wirklich lange genug eine Pause eingelegt. Es wird Zeit, dass du deinen Arsch wieder in Bewegung setzt und die Minnesänger dazu zwingst, Heldenlieder über dich zu trällern!“ In nur einem Wimpernschlag war die Gestalt ihres Halbbruders verschwunden und sie stand wieder alleine in der Dunkelheit ihres Verstandes. Irgendwo in der finstersten Ecke sah sie, wie Zodiak sich bewegte und krümmte. Er lauerte auf die Gelegenheit, die Connar eben noch angesprochen hatte. Jene Chance, um ihr Herz auf die schärfste aller Proben zu stellen. Auch wenn sie müde war, wusste sie, dass sie es schaffen konnte. Sie war nicht alleine... Ihr Bruder war immer da. Ich habe nur Angst, dass er etwas Dummes anstellt, um mich zu beschützen. Vor manchen Dingen kann ich ihn nicht beschützen, egal wie sehr ich es auch versuche.   Längst war die Nacht über die Zwerge hereingebrochen und sie hatten noch keine Lösung für das Problem von Billiana gefunden. Das überraschte Connar nicht. Von diesen kleinen Wesen hatte er nie besonders viel gehalten und er glaubte auch nicht, dass sie sonderlich intelligent waren oder es sein konnten. Manch einer konnte sich anstrengen und sich verbiegen, doch aus ihm würde niemals mehr werden, als ein ungeschickter Bauerntrampel. Andere - wie er - brauchten sich niemals anstrengen und schafften es trotzdem, Berge zu versetzen und in die Geschichte einzugehen. Obwohl er bezweifelte, dass er jemals in den Liedern von Minnesängern erwähnt werden würde, außer als Bösewicht. Seine eigene Familie hielt schon nicht viel von ihm! Abgesehen von seinen Schwestern wollte keiner den Kontakt zu ihm. Das basierte jedoch auf Gegenseitigkeit und war deshalb wenig schmerzhaft. Er agierte eh lieber in den Schatten. Das tat der Schwarzhaarige auch jetzt, der einfach an den drei Zwergen vorbeiging. Sie konnten ihn weder sehen noch hören oder anders wahrnehmen, solange sie keine außergewöhnlichen Magier waren. Er wusste, dass keiner von ihnen auch nur entfernt magisch war, weshalb er ganz unbekümmert über ihre Sachen steigen konnte. Fußspuren hinterließ er dabei auch keine oder zumindest wurden diese sofort wieder verwischt. In der Unterwelt gab es viele Blutmagier und noch mehr Schwarzmagier, doch an ihn ragte keiner heran. Er wurde eins mit den Schatten! Er nannte die Zwischenwelt sein Zuhause. Wer nicht bereit war, so einen tiefgründigen Schritt zu wagen, würde niemals an sein Talent heranreichen. Das bedeutete nämlich, alles aufzugeben. Auch jene, die man liebte und begehrte. Die wenigsten konnten das und blieben deshalb bestenfalls drittklassig. Er war zu Recht stolz auf sich! Zumindest wurde Connar niemals müde, sich das einzureden... „Wie lange gibst du ihr noch?“, hörte er Argrim fragen und verharrte. Einer der Vorteile des Schattenschritts war es immerhin, dass er unbemerkt Gespräche belauschen konnte. Spionage war so ein Kinderspiel! Außerdem wusste der Schwarzhaarige immer, was gerade in der Welt vorging. Sein Wissen setzte er dabei gerne gegen jeden ein. Dorin lehnte sich zurück und wirkte angespannt: „Das ist schwer zu sagen... Vielleicht einen Tag.“ „Vielleicht kann ihr ja jemand im Weltenbaum helfen?“, schlug Yadri hoffnungsvoll vor. „Sie haben doch Heiler und andere Magiebegabte. Irgendwer weiß sicherlich Rat!“ „Ich glaube nicht, dass ein normaler Heiler hier viel ausrichten kann. Sie ist ja nicht wirklich krank oder verletzt...“ Argrim seufzte leise und sah hinüber zum Karren: „Es scheint aber besser zu sein, als wenn wir hier erfrieren und keinen Schritt weiterkommen, Dorin.“ „Da hast du natürlich recht...“ Wieder kehrte Stille zwischen ihnen ein und sie hüllten sich in bedächtiges Schweigen. Alle wollten sie so wirken, als würden sie sich ernsthaft Gedanken um die goldhaarige Elfe und ihr Schicksal machen. Als suchten sie eine Lösung... Connar wusste, dass das nicht wahr war. Sie dachten an Zuhause, an ihre Familien und ihre Freunde. Das war es, was ihnen etwas bedeutete und sie antrieb. Wenn sie nicht daran dachten, dann an Bier, Feiern und das ganze Gold ihres Volkes. Selbst wenn einer von ihnen anders war, brachte es ja doch nichts, weil sie alle keine Magie beherrschten oder ansatzweise Wissen besaßen. Durch ihre Idiotie und Lähmung würde seine Schwester einfach sterben! Es machte ihn wütend, aber er wusste, dass es nichts brachte, wenn er seinen Jähzorn an ihnen ausließ. Stattdessen ging er zu dem Karren, in dem seine hübsche Schwester lag. Er musste schmunzeln. Es erinnerte wirklich an die Märchen der Menschen! Nur würde hier kein Prinz auftauchen, um sie wach zu küssen und selbst wenn, würde es gar nichts nützen. Dabei hatte sie diese Geschichten einst geliebt. Als Mädchen hatte sie stets davon geschwärmt, dass sie eine Prinzessin sein wollte und sie irgendwann einen richtigen Prinzen heiraten würde. Das hatte ihr gemeinsamer Vater nie gutgeheißen. Ihre Leidenschaft für Märchen hatte er als Kinderei abgetan und ihre Wünsche als lächerlich tituliert. „Hey, Billie...“, flüsterte er sanft und strich ihr durch das honigfarbene Haar. „Ich würde dir noch heute deine Lieblingsgeschichten vorlesen, das weißt du doch, oder? Vater hat es gehasst, dass ich dir die ganzen Märchen vorgelesen habe... Aber sollen wir mal ehrlich sein? Was hat er schon nicht gehasst?“ Mit einem Lächeln erinnerte er sich an damals. Sie war frischgeboren und noch abhängig von der Liebe ihrer Eltern gewesen. Ihre Mutter war hoffnungslos überfordert gewesen und ihr gemeinsamer Vater wollte seine Männlichkeit nicht missen und tat desinteressiert. Da hatte sie dann gelegen in ihrer Wiege und die Kälte der Unterwelt schlang die Klauen um ihren winzigen Körper. Jene Dunkelheit ließ böse Gestalten in den Schatten erscheinen. Es hatte sie so erschrocken, dass sie zu weinen und zu bibbernd begann. Keine Zofe hörte Billianas Ruf und die Eltern waren fernab dieser Realität, um zu streiten. Sie strampelte da, die Augen so nass vom Weinen und die Lippen schon bläulich von der Kälte. Jammernd nach Liebe und nach Wärme... Hungernd nach der dringend benötigten Milch. „Damals wollte ich dich hassen, Schwesterchen...“, flüsterte der Schwarzhaarige und strich eine ihrer Locken fort. „Das neue Kind war da und das ganze Königreich berichtete von ihrer Pracht. So wunderschön und einzigartig! Ich war da und ich sah nur ein Baby... Nicht anders, als all die anderen Babys. Und doch... Ich verliebte mich sofort. Du warst so hilflos... Ich nahm dich aus deiner Wiege und schaukelte dich in meinen Armen, während ich dir ein Schlaflied vorsang. Es hat dir gefallen... Du hast gelacht und bist dann eingeschlafen. Da konnte ich dir nicht mehr böse sein...“ Connar wusste, dass wenn er nicht gekommen wäre, dass Billie schon als Säugling erfroren wäre. Sie wäre niemals an die Oberwelt gekommen und hätte sich niemals Zodiak gestellt. Inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob es wirklich besser so war... Vielleicht wäre es gnädiger gewesen, er hätte sie damals liegen lassen, damit Eva ein erfrorenes Baby fand. Sie hätten dann um ihr Kind geweint, statt es zu stillen und die Tage wären dunkler für sie geworden. Noch dunkler... Er seufzte leise: „Sie war nicht bereit, ein Kind mit einem Monster zu bekommen. Zu jung, zu dumm... Du hast die Chance, dass es dir nicht so ergeht. Sei einfach vorsichtig, Schwesterherz.“ Sein Finger glitt an den Kehlkopf der Elfe. Er tippte diesen einfach nur an und dann platzte die Blase aus Blut, als habe er eine unsichtbare Nadel eingeführt. Er sog es hinaus und nahm es in sich auf. Sofort schrak die Langhaarige hoch und schnappte hektisch nach Luft. Genau wie damals hatte sie auch heute leicht bläuliche Lippen. Der mangelnde Sauerstoff und die bittere Kälte des nahenden Winters hatten sich auf sie ausgewirkt und ließen sie kränklich aussehen. Nun, wo Billiana wieder atmen konnte, würde das vergehen und sie würde sich erholen. Langsam, aber es würde geschehen. Auch die Zwerge eilten vollkommen überrumpelt herbei und boten ihr direkt einen Pelzmantel und etwas Warmes zum Trinken an. Sie wirkte noch perplex und wusste erst gar nicht, was sie tun oder antworten sollte. Wahrscheinlich haderte sie, ob das die Illusion war, von der er ihr noch berichtet hatte. Der Magier ging behutsam zu ihr und küsste die Wange der Jüngeren zart. Sie spürte die Wärme und auch die Berührung, konnte ihn aber nicht sehen. Ihre bläulichen Finger glitten nur irritiert an ihre Wange, während die eisblauen Augen nach ihm suchten. Zumindest nach einem Schatten oder eine Silhouette, doch es gelang ihr einfach nicht. Irgendwann wirst du mich auch dann erkennen, wenn ich es eigentlich nicht will, das weiß ich genau. Du hast das Talent dazu... Dir fehlt es nur noch an dem Glauben an dich, damit du es erkennst. Bis dahin wirst du wohl noch einige Male meine Hilfe brauchen., sinnierte er spöttisch und streichelte der Elfe nochmals durch das goldene Haar. Er sah nochmals durch die verwirrten Gesichter der Zwerge, dann drehte sich Connar um und ging in eine der Schatten. Dort wartete schon ein Portal, damit er sich in die Zwischenwelt begeben konnte. Er hatte noch so viel zu tun...   Hustend und röchelnd versuchte Billie zu begreifen, was eigentlich vor sich ging und wo sie war. Sie erinnerte sich dunkel an den Aufenthalt in ihrem eigenen Kopf und dass Zodiak sich dort häuslich einrichtete. Beunruhigend, wenn sie davon ausgehen musste, dass er nun über alles im Bilde war, was in ihrem Kopf vorging. Doch vor allem hatte sich das Gespräch mit ihrem Halbbruder eingeprägt, der sich gerne mal in ihre Gedanken schlich, aber offenbar niemals Grenzen überschritt. Oftmals wirkte Connar zwar hemmungslos, doch er bemühte sich sehr, sie nicht zu verärgern. Wenn das alles kein dummer Traum gewesen war, dann hatte er sie wieder mal gerettet und das absolut bedingungslos. Ungewöhnlich war gerade der letzte Punkt, weil er an sich alles an Bedingungen und Preise festmachte. Wer nicht zu zahlen bereit war, der bekam von ihm auch nicht das, was sein Herz sich begehrte. Meistens forderte er die Seelen seiner gegenüber, aber auch gerne die Lebensjahre, um seine eigenen zu erweitern. Billiana hatte auch davon gehört, dass er gerne auch Erstgeborene als Tribut für einen Wunsch forderte, womit er zumindest das Klischee einiger Märchen, Legenden und Geschichten der Menschen erfüllen würde. „Geht es Euch gut?“, hörte sie zum wiederholten Male die Frage von einer fremden Stimme. Noch war ihr ganz schwarz vor Augen und deshalb blinzelte die Blondine mehrmals, um endlich klarer zu sehen. Da waren doch tatsächlich drei Zwerge! Auch wenn sie sich kaum an die Schlacht erinnerte, war sie sich doch sicher, dass dort keine solcher Wesen involviert gewesen waren. Höchstens bei den Angreifern... An deren Gesichter erinnerte sie sich jedoch noch schwacher, weil alles so wahnsinnig schnell gehen musste und der Kampf mit dem Nekromanten so haarsträubend verlief. Andras!, fiel es ihr wieder ein und sie wollte schreien vor Wut. Dieser Bastard! Er hat sich bestimmt aus dem Staub gemacht und wollte mich ersticken lassen! Wutentbrannt donnerte die Blondine ihre Faust auf den Karren und sorgte dafür, dass die Zwerge etwas zurückwichen. Offenbar gingen sie davon aus, dass sie wütend auf sie war oder sie waren einfach nur irritiert. Ihr war das an sich egal, denn immerhin waren das weder Freunde noch Bekannte von ihr. „Mir geht es bestens.“, zischte die Elfe endlich und zog sich von dem Karren herunter. Ihr wurde kurz schummrig vor den Augen, aber sie fand schnell einen festen Stand. Ihre Finger krallten sich dennoch instinktiv an den Karren, um nicht doch noch umzukippen. „Vielleicht ist es besser, wenn Ihr Euch etwas ausruht...“, schlug Dorin vorsichtig vor und hoffte inständig, dass sie nicht nach ihm schlagen würde. „Ihr müsst Tage hier draußen gelegen haben. Ihr wart beinahe erstickt!“ „Es geht mir gut.“ Argrim schüttelte den Kopf: „So seht Ihr auch aus. Es ist wirklich besser, wenn Ihr nicht so störrisch seid und Euch einfach etwas ausruht.“ „Vor allem sollte ich mich von Leuten fernhalten, die mir sagen wollen, was das Beste für mich ist.“ „Ihr benehmt Euch wie eine bockige Prinzessin!“ „Und selbst wenn!“, zischte die Langhaarige angriffslustig. „Ihr müsst ja nicht bleiben und Euch das antun!“ Für einen Moment haderte der Axtschwinger und wollte wirklich gerne gehen. Dann fiel ihm wieder ein, was Wyrnné alles in Bewegung gesetzt hatte, nur um dieses Mädchen zu retten... Es kam ihm falsch vor, ihn zu enttäuschen und einfach davonzulaufen, weil es anstrengend wurde. Dann hätten sie auch schon vorher umkehren können! Also schnaubte der Zwerg und baute sich vor ihr auf: „Ob es Euch nun passt oder nicht, Fräulein Prinzessin, Ihr werdet uns nun erzählen, was hier passiert ist. AH! Ich sehe, dass Ihr wieder widersprechen wollt! Hinsetzen! Auf die vier Buchstaben!“ So getadelt hatte sie zuletzt... Keiner! Niemand hatte jemals so mit ihr gesprochen! Trotzdem wirkte es Wunder auf Billiana, die sich wieder hinsetzte und den Anführer mit offenem Mund anstarrte. Eigentlich fehlte nur noch, dass er sie ohne Nachtisch ins Bett schicken wollte, dann wäre er die ideale Verkörperung eines Vaters. Gut, dass es hier draußen so etwas nicht gab. „Was war hier also los?“ „Wir wurden angegriffen...“, brummte die Elfe schließlich schmollend. „Es war gerade dunkel geworden, da kamen diese Besessen und griffen uns an. Es waren viel zu viele und sie brauchten auch keine Fackeln, weshalb wir uns vorher Licht durch Lagerfeuer verschafften. Doch egal, wie viele wir auch töteten, sie standen wieder auf...“ „Also habt Ihr den Nekromanten gesucht, der die Toten immer wieder heraufbeschworen hat?“ Sie blickte überrascht auf und nickte dann: „Ja, das stimmt. Ihr seid wohl nicht so dumm, wie Ihr ausseht...“ „Danke, sehr reizend...“, murmelte Argrim. „Was ist genau passiert, als Ihr ihn gefunden habt?“ „Wir haben gekämpft und es ging für mich nicht besonders gut aus. Mehr gibt es dazu nun wirklich nicht zu sagen.“ „Ach wirklich? Und wie kam es bitte zu der Nahtoderfahrung?“ Die Goldhaarige verzog etwas mehr das Gesicht und verfluchte innerlich diesen verdammten Zwerg, der alles zu genau wissen wollte. Sie spuckte die Reste von Blut aus, um ein bisschen Zeit zu schinden und sah ihm danach zornig in das wettergegerbte Gesicht: „Ich habe einfach nicht aufgepasst. Habe mich zu sicher gefühlt und da hat er eben seine Blutmagie benutzt.“ „Also ist er nicht nur ein Nekromant, sondern auch noch ein Blutmagier?“ „Sehr weise geschlussfolgert...“, sagte sie sarkastisch. „Ja, so ist es. Nicht viele können ihre ursprüngliche Magie noch nutzen, wenn sie sich der Blutmagie verschrieben haben, aber er ist offenbar ziemlich mächtig.“ „Wie meint Ihr das? Wieso sollte er nicht beides nutzen können?“ „Ich wusste, dass Zwerge nicht besonders belesen sind, aber Ihr seid noch dümmer, als ich gedacht habe.“ „Auch, wenn Ihr uns ungemein schmeichelt, beantwortet das nicht meine Frage.“ „Blutmagie ist nicht irgendwas, was einem angeboren wird und man kann es... In der Regel geht man einen Pakt mit jemanden oder etwas ein, um mächtiger zu werden. Auch Nichtmagier können auf diese Weise die Blutmagie erlernen... Wenn sie schon vorher eine Magie beherrscht haben, wird diese verdorben und kann nicht mehr genutzt werden.“, erklärte die Elfe mit düsterem Blick. „Da die Blutmagie durch Gier angeeignet wird und stets den Tribut des Blutes einfordert, leidet der Organismus ungemein und die Quelle der Magie des Körpers wird ausgebeutet. Ohne solch eine Quelle kann natürlich kein anderer Zauber mehr wirksam gesprochen werden, sondern verpufft.“ Argrim nickte verstehend und setzte sich neben die Langhaarige: „Vielleicht ist er auch ein Frischling? Was ist, wenn der Quell seiner Macht einfach noch nicht ausgeschöpft wurde?“ „Ja, das könnte natürlich auch gut möglich sein, aber auf mich wirkte er dafür viel zu geschickt. Manche sind einfach so mächtig, dass sie beides nutzen können. Allerdings können sie so niemals eine der Begabungen richtig meistern.“ „Also bleiben sie bestenfalls mittelmäßige Magier?“ „Sozusagen...“ Dorin fand die Unterhaltung zwar interessant, wollte allerdings lieber andere Fakten klären. Nur deshalb mischte er sich ungefragt ein: „Wie habt Ihr es denn bitte alleine durch diese Masse an Angreifern geschafft?“ „Durch Magie und Geschick.“ „Was für eine Magie? Ist es auch so eine böse Magie wie die Nekromantie?“ „Davon gehe ich nicht aus.“, antwortete Billiana gefasst. „Ich bin einfach nur eine Beschwörerin. Den Rest löse ich mit Waffengewalt.“ „Sehr beruhigend...“, murmelte Yadri und brachte ihr eine Schüssel mit Fleischsuppe. Mehr hatten sie heute nicht zustande bekommen, doch es war besser als nichts. Immerhin hatte sie Tage lang in der Kälte gelegen und war dem Tod nur knapp entkommen. Er ging nicht davon aus, dass sie nach so einem Erlebnis wirklich wählerisch sein würde. Tatsächlich nahm sie sich die Schale dankend entgegen und ebenso den geschnitzten Holzlöffel. Sehr langsam nahm sie die heiße Speise zu sich, die sie von innen erwärmte. Die sonnengeküsste Haut bekam so auch wieder etwas Farbe und Argrim meinte sogar, ein paar schwache Sommersprossen erkennen zu können. Sie hatte jedenfalls genug erlitten, damit sie etwas Ruhe bekam und sie aufhörten, sie weiter ausquetschen zu wollen. Letztendlich gab es wohl wirklich nichts Wichtiges, was sie ihnen mitteilen könnte. Ihre Freunde waren lange danach verloren gegangen und bisher immer noch nicht wiederaufgetaucht. Je länger sie fortblieben desto geringer war die Chance, dass sie noch am Leben waren. „Ihr seid nur zu Dritt hier draußen?“, hinterfragte die Blondine plötzlich und riss ihn aus seinen Gedanken. „Was machen denn drei Zwerge hier?“ „Eigentlich waren wir zu fünft, aber zwei von uns sind seit einigen Stunden auf dem Schlachtfeld spurlos verschwunden.“, erklärte der Axtschwinger mit ruhiger Stimme. „Wir wurden von Wyrnné geschickt. Er hörte von der Schlacht hier und fürchtete um Eure Unversehrtheit und da bat er uns um Hilfe.“ „Ist das wahr?“, fragte sie ein bisschen verlegen. Die leicht gebräunten Wangen erröteten sogar etwas! Damit die Zwerge das nicht allzu genau sahen, drehte sie sich weg und verspeiste fleißig ihre Suppe weiter. „Ja, es ist wahr. Er wollte einfach sichergehen, dass Ihr überlebt.“ „Das ist sehr nett...“ Es wurde wieder still zwischen ihnen. Allmählich wurde es sogar ein bisschen unbehaglich, weil die Zwerge einfach nicht wussten, worüber man mit einem Elfenmädchen sprechen sollte. Immerhin wollten sie nicht unhöflich sein, aber gleichzeitig auch keine langweiligen Gespräche ertragen! Bisher hatten sie immer nur mit arroganten, nervigen und altklugen Elfen zu tun gehabt, wo auch sie keine Ausnahme machte, doch weitgehend schien sie angenehmer zu sein als ihre Artgenossen. Zumindest etwas... Obwohl sie jetzt wohl alle lieber in einer Taverne einige gute Mets kippen wollten, um Heldengeschichten ihrer Ahnen zu lauschen oder ein paar leichte Mädchen abzuschleppen. Das mussten sie ihr aber wirklich nicht unter die Nase reiben. „Habt ihr denn eure Freunde gesucht?“, wollte die Elfe wissen. „Sie können sich ja nicht wirklich in Luft aufgelöst haben, sofern sie keine Magier sind.“ „Ähm, nein, sie sind keine Magier...“, sagte Dorin verwirrt. „Aber Ihr habt immerhin gegen einen gekämpft... Vielleicht hat er etwas damit zu tun.“ „Ich denke nicht, dass er Zwerge verschwinden lassen kann. Es gibt zwar dieses Hütchen-Spiel auf den Straßen, aber das betreibt man eigentlich nicht mit Lebewesen...“ Lautstark fing Argrim an zu lachen und klopfte ihr dann applaudierend auf die Schultern. Ihrem Gesicht war zu entnehmen, dass sie keinen Witz gemacht hatte, trotzdem war das eine fabelhafte Äußerung! Betrugsspielchen von Obdachlosen in eine solche Unterhaltung mit einzubinden, war wirklich ein herrlich suspekter Weg sich unbeliebt zu machen. „Was ist denn bitte so witzig?“ „Ihr! Ihr seid wirklich verdammt witzig!“ Billie zog skeptisch die Stirn kraus, während sie mental das Gespräch nochmals durchging, konnte allerdings nichts Witziges entdecken. Allmählich war sie sich nicht mehr sicher, ob die Suppe nicht vielleicht vergiftet war oder Drogen beinhielt, welche ihn nun austicken ließen! Oder er war krank... Plötzlich fingen auch die anderen beiden Zwerge zu lachen an. Vollkommen haltlos und mit Tränen in den Augen! Vielleicht wäre ich bei den Besessen doch besser aufgehoben gewesen... Die verfallen zumindest nicht dem Wahnsinn., überlegte Billiana immer noch skeptisch und ließ die Zwerge lachen und sich amüsieren.   „Sind das da eure Freunde?“, brach sie das Gelächter und deutete voran. Es kamen zwei kleine Männer sehr langsam auf sie zu. Ihre breite Gestalt und die schweren Rüstungen sprachen sehr für Zwerge, doch noch waren sie zu weit weg, um es genau zu sagen. Die Dunkelheit hüllte die beiden auch noch ein und machte es nicht leichter. Argrim erhob sich, griff allerdings auch nach seiner Streitaxt, um sie mit beiden Händen zu halten und jeder Zeit für einen Angriff gewappnet zu sein. Von den Silhouetten her passte es durchaus, doch noch war wirklich nicht zu sagen, ob sie es nun waren oder ob es vielleicht nur Überlebende der Schlacht waren. Im schlimmsten Fall waren es auch noch Verseuchte! Er ging einige Schritte voran, ehe er rief: „Haakon? Oldor?“ Es kam keine Antwort zurück, doch die Gestalten schlürften weiterhin auf die Gruppe zu. Nun zückten auch die beiden anderen Zwerge ihre Waffen und Billie griff zu ihrem Schwert, auch wenn sie noch immer durchgefroren war. Ihre Angriffe wären sicherlich nicht allzu präzise, doch notfalls musste sie sich eben verteidigen. Ihr Herz zog sich in ihrem Brustkorb zusammen, während die Muskeln so sehr unter Anspannung standen, dass es schon wehtat. So gerne hätte sie nur einige Minuten Ruhe, doch das war auf dieser Reise wohl kein Bestandteil. Als sie endlich in das Licht des Lagerfeuers traten, war sofort klar, dass es sich zwar um Zwerge handelte, doch nicht um jene, die sie suchten. Es waren zwei Artgenossen, die sicherlich schon seit Wochen tot waren und zum Teil bereits verwest waren. An den Rüstungen haftete bereits Rost, aber auch Schmutz und Blut. Ihre Augen waren leer und ihre Bewegungen zäh. Es fiel ihnen schwer, durch den Schnee zu kommen, der immer weiter anstieg, da es nicht mehr aufhörte zu schneien. Für einen Untoten war das eine Herausforderung, weil seine Glieder nicht mehr besonders geschmeidig waren und er sich generell eher plump bewegen konnte. Dazu kamen die schweren Rüstungen, die die beiden Zwerge trugen und sie immer wieder versinken ließen. „Angriff!“, befahl Argrim seinen Kameraden, die sofort mit ihm voraneilten. Billiana blieb erstmal hinten. Auf diese Weise konnte sie auch in Erfahrung bringen, ob diese neuen Weggefährten auch etwas taugten oder ob Wyrnné ihr Nieten nachgeschickt hatte. Sie kamen schneller im Schnee voran, als ihre untoten Artgenossen, die in ihren kalten Finger ihre Waffen trugen. Der eine führte zwei kleine Äxte und der andere einen riesigen Streithammer. Ihre Waffen waren in einem ähnlich schlechten Zustand wie ihre Rüstungen. An ihnen haftete Rost, Blut und Schmutz. Hier und da waren im Lichtschimmer auch Kerben zu erkennen. Die Untoten konnten auf jeden Fall ein bisschen bessere Ausrüstung gebrauchen oder zumindest einen Wetzstein, um ihre jetzige minimal aufzuwerten. Der erste Schlagabtausch erfolgte. Dorin hatte mit seinem Großschwert ausgeholt, doch der Untote hatte den Hammer schneller gehoben als erwartet und konnte so den Angriff parieren. Sein Gefährte holte kurz darauf mit seinen beiden Äxten aus und hieb nach dem verblüfften Zwerg. Nur durch Argrim landete er nicht elendig blutend im unschuldigen Schnee, weil er vorher seine riesige Streitaxt hochriss und die Attacken abwehrte. „Danke, Argrim...“ „Konzentriert euch!“, rief der Zwerg als einzige Antwort. „Sie sehen vielleicht langsam und schwerfällig aus, aber sie sind es nicht!“ Spätestens jetzt wussten sie das zwar auch, doch es war seine Aufgabe, sie wachzurütteln und ihnen Befehle zu geben. Egal, wie sinnlos diese auch erschienen! Yadri war immerhin nun vorsichtiger und riss seinen Schild hoch, als ein Untoter nach ihm schlug und hielt erst Ausschau nach dem Zweiten, bevor er mit dem Streitkolben ausholte. Ihre Waffen prallten aufeinander und er war fest davon überzeugt, dass er viel stärker war als verwesende Arme, doch die Bestie hielt dagegen! Er stemmte sein ganzes Gewicht gegen ihn, aber er wankte nicht einmal... Bei Yadri trat hingegen schon kalter Schweiß auf die Stirn und es erinnerte ihn an seine Anfangszeit. Es war nicht unüblich, dass Rekruten bei den Zwergen gegen größere, ältere und erfahrenere Krieger antreten mussten, um ihr Können zu beweisen und eine geeignete Waffe für sie zu finden. Damals hatte er gegen einen wahren Berg antreten müssen, der sich auch keinen Millimeter bewegt hatte! Schweißnass hatte er es immer wieder versucht, doch er war immer chancenlos geblieben. „Schlag‘ nach seinen Beinen!“, durchbrach die Stille der Ruf einer weiblichen Stimme. „Wenn er zu stark ist, dann spiel‘ eben deine eigenen Vorzüge aus!“ Ein Blick über die Schulter reichte, damit klar wurde, dass es die Elfe war, die ihn dazu aufforderte, unsauber zu kämpfen. Yadri haderte erst noch und entschied sich dann dafür ihrem Rat zu folgen. Sie waren tot und es würde sie wohl kaum stören, wenn er nicht nach den ehrenwerten Regeln des Ringes kämpfte. Rasch hob er wieder seinen Schild, als die Bestie wieder mit den Äxten ausholte und hielt die Attacken so auf. Als sich die Waffen tief genug in den Schild bohrten, ging er etwas in die Hocke und hieb mit seinem stachelbesetzten Streitkolben nach den Beinen des Angreifers. Der Treffer war hart und der Untote stürzte zu Boden, versuchte aber weiter nach ihm zu schlagen. Ganz stolz auf sich, riss der Jüngste des Trupps seine Waffen in die Höhe: „Jaah! Seht euch diesen Versager mal an!“ „Yadri, pass‘ doch auf!“, schrie Argrim. Mit Dorin zusammen hatte er gerade den anderen Angreifer gefällt und enthauptet, was zu zweit wesentlich einfacher ging als alleine. Der Schildträger drehte sich verwirrt um und entdeckte einen weiteren untoten Angreifer, der aber dieses Mal kein Zwerg war, sondern ein Ork. Riesig, breit und absolut unheimlich in der Nacht. Gerade auch wegen den riesigen, verbogenen Zähnen, die er eher als Hauer bezeichnen würde! Die weißen, toten Augen stierten ihn an, während er die rostige, alte Streitaxt hob, die schon zahlreiche Kerben besaß, und nach ihm schlagen wollte. Yadri kniff die Augen zusammen und bereute so sehr, dass er niemals eine Partnerin gefunden hatte. Er sehnte sich nach seiner Familie und nach seinen Freunden... Nun würde er hier alleine sterben, wegen einer Mission, die nicht mal seine eigene war! Er war wütend, gefrustet und traurig zugleich. Erst als der Zwerg einen dumpfen Aufprall vor sich hörte, wurde ihm bewusst, dass er immer noch lebte, obwohl er längst tot sein müsste. Solange brauchte kein Untoter und dann hätte er auch den Angriff noch parieren können, wenn dem so wäre! Also blinzelte Yadri ein paar Mal. Vor im stand kein Ork mehr. Es war beinahe so, als habe er einfach nur einen schlechten Traum gehabt... Als er dann aber zu seinen Füßen starrte, lag die Bestie dort und war im Rücken und in den Waden bespickt mit zahlreichen Pfeilen. Er hob den Blick und erkannte, dass die Elfe mit den honigfarbenen Locken einen Bogen in der Hand hielt. Sie hatte ihm das Leben gerettet! Dankbar drehte er sich um, damit er endlich von dem anderen Untoten den Schädel einschlagen konnte. Es musste nicht sein, dass er ihm doch noch die Beine abhackte oder sich an diese klammerte. Dann hockte er sich zu dem Ork, damit er möglichst viele der heilen Pfeile aus dem Körper reißen konnte. Das Knurren verriet ihm, dass er noch lebte... Wahrscheinlich hatten ihre Pfeile zahlreiche Nerven- und Muskelstränge durchtrennt. „Wir sollten gehen!“, rief Billie schließlich und deutete in die Dunkelheit. „Da kommen noch mehr. Viel, viel mehr!“ „Okay, dann Rückzug, Männer!“, befahl Argrim sofort. „Treibt den Ochsen an, wir gehen in den Norden!“ Nun war der Süden vorerst keine Option mehr, denn aus dieser Richtung kamen die Untoten offensichtlich. So schnell es ging, kämpften sie sich durch den Schnee, verloren die Umgebung allerdings nicht aus den Augen. Dorin war es, der auf die Sitzfläche des Karrens kletterte und mit einer Gerte nach dem Ochsen hieb, der mit einem wütenden Schnaufen endlich die Hufe bewegte. Argrim ging derweil voran und versuchte mit der großen Klinge seiner Streitaxt den Schnee und auch grob die Leichenteile beiseite zu fegen. Es sollte die Fahrt wenigstens etwas vereinfachen und verhindern, dass der Karren mit ihrer wertvollen Fracht umkippte. Yadri hielt sich derweil hinter ihrer kleinen Karawane und drehte sich immer wieder um die eigene Achse, damit er eventuelle Späher rechtzeitig entdeckte und ausschalten konnte. Die Blamage von eben wollte er auf keinen Fall wiederholen. Es war beschämend! Besonders, weil er so schnell mit dem Leben abgeschlossen hatte, statt es zumindest zu versuchen... Sein Vater hätte ihn verstoßen, wenn er das mitbekommen hätte! Nun drehte er sich dafür aber sicherlich im eigenen Grab und schämte sich für seinen feigen Sohn. Zumindest wollte er aber nicht unhöflich sein und schloss schnell zu dem Karren auf: „Danke sehr... Es war sehr nett, dass du... auf diesen Kerl geschossen hast...“ „Schon in Ordnung.“, erwiderte Billiana leise. „Ihr habt mir ja auch geholfen. Damit sind wir quitt...“ „Eigentlich hatten wir gar nichts für dich tun können. Du wärst wohl erstickt, wenn das Blut nicht plötzlich aus deinem Hals verschwunden wäre.“ „Ihr habt mich gefunden, ausgegraben, ernährt und erwärmt, ich denke, dass das wirklich genug Leben retten ist.“, sagte sie mit einem sanften Lächeln, das selten geworden war. Er erwiderte das Lächeln und reichte ihr die Pfeile, die er noch hatte bergen können. Es waren vielleicht nicht viele, bewahrten die Elfe aber davor, allzu bald keine mehr zu haben. Dankend nahm sie diese entgegen und versuchte die Spitzen mit einem Ledertuch zu reinigen. Ließ sie das Blut daran, verkrustete es und es gab vielleicht Rost, was am Ende die Durchschlagkraft des Pfeils massiv beeinflussen konnte, ebenso wie die saubere Flugbahn. Zumindest schienen die Federn weitgehend unzerstört zu sein. An neue wäre sie so schnell nicht gekommen... „Wohin gehen wir nun?“, fragte sie in die Runde und hoffte, dass sie nicht gerade planlos davonliefen. So viele Untote, wie sich hier herumtrieben, wäre das wirklich kein guter Plan, um ihr Überleben zu sichern. „Es gibt in den Bergen einige Zwerge-Minen!“, rief Argrim angestrengt, der immer noch den Weg vor ihnen einigermaßen freiräumte. „Die meisten sind verlassen, aber noch nutzbar. Einige führen sogar durch die Berge hindurch! Es ist ein perfekter Ort, um sich zu verstecken oder sogar Fallen zu stellen. Notfalls kommen wir aber auf die andere Seite und können uns dort Hilfe suchen.“ „Ich verstehe.“ Auf der anderen Seite warten vermutlich nur Verseuchte und Kranke... Dort müsste die Schlacke wesentlich weiterverbreitet sein als hier. Zumindest wenn es stimmt und dort das Gefängnis von Zodiak lag..., sinnierte die Goldhaarige, beließ es aber dabei. Vermutlich hätten die Zwerge ohnehin nicht auf ihren Rat gehört oder es schlussweg nicht geglaubt, dass sie vielleicht in eine Falle stürmten. Eingekesselt zwischen Feinden und das mit nur vier Leuten... „Machst du dir Sorgen?“, fragte Yadri freundlich und hielt weiter Ausschau nach Feinden. „Du siehst so aus, als würdest du über etwas nachdenken.“ „Alles in Ordnung... Ich dachte nur über diese Situation nach.“ „Das ist gar nicht so einfach. Irgendwie drehen alle Leute durch und schon steckt man in so einem Schlamassel.“ Billiana nickte bitter: „Ja, das ist wahr. Sind bei den Zwergen auch schon diese Besessenen aufgetaucht?“ „Ein paar, aber wir nennen sie Verseuchte. Immerhin breitet sich das Ganze wie eine Seuche aus und es scheint hoffnungslos es zu behandeln. Fast wie die Pest...“ „Nur scheinen mir die meisten Krankheiten gnädiger zu sein als das...“, murmelte die Elfe traurig. Sie hatte gehört, was die Besessenen alles taten, wenn die schwarze Schlacke erstmal die Kontrolle übernommen hatte. Ihre eigenen Familien schlachteten sie ab, genauso wie ihre Freunde und Nachbarn. Es waren auch keine gnädigen Tode, sondern wirklich brutale, langsame... Natürlich erging es kranken Menschen stets schlecht und sie verzweifelten auch wahnsinnig schnell, tickten jedoch meistens nicht in solch einem Maßstab aus. Sie litten und fügten ihren Lieben anderen Schmerz zu, für den sie nichts konnten. „Vielleicht bekommen sie ja nicht mit, was sie da tun. Dann wäre es ja nicht ganz so schlimm.“ In diesem Moment mischte sich dann doch Argrim ein, der die Unterhaltung zumindest beiläufig verfolgte: „Leider bekommen sie alles mit. Sie haben irgendwelche kranken Begierden, die sie stets unterdrückt haben und dann flüstert ihnen etwas zu, dass sie sich nehmen sollen, was sie wollen. Sobald sie die Hemmschwelle überschreiten und es machen, verlieren sie die Gewalt über ihren Körper, bekommen aber alles noch mit. Oder sie können sich nicht mehr gegen die Befehle wehren, das ist mir nicht ganz klar...“ „Dann scheint beides zutreffend zu sein...“, schlussfolgerte Billiana. “Sie sind sowohl besessen als auch verseucht. Besessen von dieser Stimme und verseucht von der schwarzen Schlacke.“ „Ja, so sieht es aus.“ Yadri rutschte fast sein Herz in die Hose, als plötzlich ein Pfeil an seinem Ohr vorbeisauste. Die Erleichterung kam, als er sah, dass es wieder die Elfe war, die geschossen hatte. In der Ferne konnte er einen dumpfen Aufprall hören, der von dem Schnee abgeschwächt wurde. Gerne hätte er auch so scharfe Sinne gehabt, wie sie! In dieser Dunkelheit konnte er kaum etwas sehen. Nur die Fackeln an dem Karren gaben ihm einen kleinen Radius, den er bewachen konnte. „Sie versuchen uns einzukreisen.“, sagte die Goldhaarige beunruhigt. „Sie gehen größere Bögen, damit wir sie nicht abschießen können, aber sie versuchen uns einzukreisen. Oder zumindest uns den Weg abzuschneiden...“ „Woher weißt du das?“ „Ich kann sie hören... Sie bewegen sich nicht unbedingt grazil durch den Schnee. Er knarrt unter ihren Sohlen und verrät ihre Position zumindest grob.“ „Und den, den du erwischt hast? Hast du den auch nur durch dein Gehör treffen können?“ „Nein, den habe ich schemenhaft sehen können.“ Yadri war beeindruckt und pfiff anerkennend: „Das würde ich auch gerne behaupten!“ „So empfindliche Ohren und Augen sind nicht immer ein Vorteil, das kannst du mir glauben. Sie können sich schnell als tückisch herausstellen...“ „Aber im Moment nicht.“, warf der jüngste Zwerg ein. „Sie sind gerade einfach nur ein Vorteil.“ „Hör‘ auf sie abzulenken, Yadri!“, rief Argrim tadelnd. „Im Moment ist sie vor allem unsere beste Chance, um lebend die Minen zu erreichen! Wie weit sind sie, um uns den Weg abzuschneiden? Wie viele vermutest du?“ „Schwer zu sagen...“, überlegte Billie. „Ich würde sagen, dass es bisher drei auf der einen Seite und vier oder fünf auf der anderen sind. Sie sind auf jeden Fall zahlenmäßig überlegen. Bald müssten sie auch mit uns aufgeschlossen haben, wenn sie weiterhin so schnell vorankommen.“ „Der Karren bremst uns einfach aus...“, knurrte Argrim. „Er macht uns langsam“ Dorin verstand, was er meinte, schüttelte aber rasch den Kopf: „Wir können nicht alles zurücklassen, Argrim. Viele der Sachen brauchen wir, um den Weg zurück oder durch die Minen zu überstehen. Wir sind schneller verdurstet, als es uns lieb sein wird!“ „Ja, ich weiß...“ „Vielleicht sollten wir sie einfach ein bisschen beschäftigen, damit ihr mit dem Karren einen Vorsprung bekommen könnt.“, schlug die Elfe unverblümt vor. „Wie in aller Welt wollt Ihr das machen?“, hinterfragte der Anführer skeptisch. „Sie sind viel zu viele! Selbst wenn ich Euch schicken würde, wäret Ihr viel zu schnell tot. Ihr würdet uns nicht mal eine Minute einbringen.“ „Ich kam durch ein ganzes Schlachtfeld, um einen Nekromanten zu stellen, dann schaffe ich das auch.“ Argrim haderte mit sich selbst. Auf der einen Seite war die Tatsache, dass man ihn geschickt hatte, um sie zu retten und nicht von ihr gerettet zu werden. Die andere Seite der Medaille war, dass er hier nicht elendig verrecken wollte und sie vermutlich ihre beste Chance war, um zu überleben. Nur ein paar Minuten würden reichen und sie konnten schneller in den Minen sein als die Untoten. „Na gut...“, stimmte er schließlich zu. „Ihr lenkt sie ab, aber wenn es zu brenzlig wird, zieht Ihr Euch sofort zurück. Uns reichen einige Meter Vorsprung...“ „Das bekomme ich schon hin, keine Sorge.“   Der kleine Trupp aus Zwergen ging voran, während sie vorerst stehen blieb. Sie wartete, bis sie weit genug weg waren und suchte sich dann einen dunklen Schatten, um ein Einmal-Portal zu beschwören. Eigentlich hatte sie dem Schattenwolf etwas Ruhe gönnen wollen, doch es war einfach nicht die Zeit zum Ausruhen. Das konnten sie immer noch, wenn sie tot waren! Ereinion kam tatsächlich durch das Portal und wirkte erstaunlich munter. Die ganzen Seelen hatten wohl einiges für seine Gesundheit gebracht, was sie sehr zufrieden stimmte. „Durch den Schnee komme ich nicht schnell genug durch.“, erklärte die Blondine. „Ich brauche deine Hilfe, um diese ganzen Untoten ein bisschen abzulenken und ihren Weg zu erschweren.“ „Meine leichteste Übung.“, knurrte der Wolf zurück und hockte sich hin, damit die Elfe auf seinen Rücken steigen konnte. So oft, wie sie ihn in letzter Zeit rief, hatte er niemals gehofft auf der Oberwelt sein zu dürfen. Es war ein richtiger Hochgenuss! Besonders weil er stets seinen Tribut bekam. Auf leichten Pfoten rannte er los und versank kaum in dem Schnee. Zwar besaß er nun eine fleischliche Hülle, aber diese agierte nach anderen Gesetzen als die eines Menschen. Immerhin konnte er sich auch jeder Zeit in den Nebel der Zwischenwelt verwandeln! Notfalls wäre er aber auch kräftig genug, um sich durch den knietiefen Schnee zu kämpfen ohne wirklich erschöpft zu sein. So ging es aber natürlich schneller. Schon nach wenigen Metern erreichten sie die erste Truppe an Untoten, die nicht mit einem Angriff rechneten. Billiana zog einige der bereits benutzten Pfeile aus dem Köcher und schoss auf die etwa sechs Kreaturen. Gerade die Beine waren dabei interessant, weil es bei einem guten Treffer dafür sorgte, dass sie nur noch kriechen konnten. Aber auch die Wirbelsäule war ein nennenswertes Ziel. Die richtigen Nerven sorgten für das gleiche Ergebnis und machten ihr einen leichten Kampf! Zumindest zwei stürzten zu Boden und waren nicht mehr in der Lage, ihre Beine zu benutzen. Die ideale Gelegenheit, um den Bogen auf den Rücken zu schieben und stattdessen das Schwert zu ziehen. Als Ereinion auf einen der Untoten sprang, um sich in dessen Kehle zu verbeißen, hieb die Elfe rechts nach einem anderen und schlug ihm mit drei Treffern den Kopf von den Schultern. Unter dem Angriff des Sechsten duckte sie sich weg, sodass die Sichel ins Leere schlug und keinen Schaden verursachte. Nachdem sich ihr Wolf seinen Tribut gefordert hatte, drehte er sich knurrend zu dem sechsten Untoten und machte einen Hechtsprung, um sich in dessen Arm zu verbeißen. Die Kreatur konnte nun nicht mehr mit der Sichel nach ihnen schlagen, sodass es die ideale Möglichkeit war, ihm mit einem gezielten Stich die Wirbelsäule zu durchtrennen. Noch während er zitternd zu Boden ging, verbiss sich der Schattenwolf in dem Körper und zerfetzte ihn. Die anderen beiden Untoten ließen sie zurück. Sie waren wertlos und keine wirkliche Gefahr mehr. „In der entgegengesetzten Richtung müssten noch mehr von denen sein, Schatti.“ „Du sollst mich nicht so nennen!“, schimpfte der Wolf erbost. „Ansonsten muss ich dich abwerfen und mir einen anderen Beschwörer suchen!“ Billie lachte über diesen Einwand: „Dann viel Erfolg bei der Suche.“ Er würde sich niemals von ihr abwenden, das wusste sie. Obwohl die Elfe nicht genau sagen konnte, warum sie fest daran glaubte, dass dieses Bündnis für die Ewigkeit geschmiedet war, hatte er sie bisher nie enttäuscht oder das Gegenteil bewiesen. Irgendwas verband sie und das war nicht nur dieser Pakt, der ihm seine Vorteile verschaffte wie auch ihr. Schon nach wenigen Augenblicken erreichten sie den anderen Trupp aus Untoten. Das waren inzwischen schon an die acht Bestien geworden, was sie vermuten ließ, dass einige von ihnen unter den Schnee lagen und aufstanden, wenn sie Feindkontakt hatten oder ihre Artgenossen sie brauchten. Der schlimmste Fall war, dass ein Nekromant in der Nähe war und sie gerade alle heraufbeschwor, um ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Da kam auch zurzeit nur einer in Frage... Zeit zum Fackeln hatten sie keine, weshalb die Goldhaarige wieder zum Bogen griff und die Untoten erstmal mit Pfeilen bespickte. Dieses Mal erwischte sie nur einen gut genug, damit er die Fähigkeit des Laufens verlor, ehe sie den Bogen verstauen und wieder zum Schwert greifen musste. Ereinion war dieses Mal auch vorsichtiger und sprang nicht direkt einen der Gegner an, sondern hüpfte zwischen ihnen hindurch, sodass seine Reiterin nach ihnen schlagen konnte. Einen erwischte sie so, dass die Wirbelsäule durchtrennt wurde und er ebenfalls zu Boden ging. Wieder einem anderen schlug sie zumindest den Unterarm ab, wodurch er auch seine Waffe verlor. Der Schattenwolf machte einen großen Bogen, ehe er wieder zurückstürmte und dieses Mal einen der Untoten anfiel. Er verbiss sich brutal in dessen Kehle und ließ sich keine Zeit damit, sondern riss sie direkt heraus. Bevor ein anderer Angreifer ihnen auf die Pelle rücken konnte, peitschte er diesem bei einer Drehung die riesige Rute gegen die Beine. Als der untote Sklave zu Boden fiel, stürzte sich der Wolf sofort über ihn, damit er seine sterblichen Überreste zerfetzen konnte. Billiana sprang derweil von seinem Rücken und schlug dem Einarmigen direkt noch den anderen Arm ab, um dann eine schnelle Pirouette zu machen und aus dem Schwung der Bewegung heraus den Kopf abzutrennen. Nur knapp wich sie dem Angriff der Schaufel aus, der von dem letzten Gegner herrührte. Der durfte seine Hinterhältigkeit schnell büßen, denn Ereinion sprang ihn von hinten an und riss ihm brutal die Wirbelsäule aus dem Körper. Wenn er sich in diesem Zustand noch rühren konnte, wäre die Elfe zutiefst beeindruckt! „Wir müssen nun wieder zu den Zwergen.“, rief die Schönheit und schwang sich auf den Rücken ihres Gefährten. „Ich ahne Böses.“ „Zumindest sind diese Viecher verdammt langsam, da sollten sie es doch eine Weile ohne dich aushalten.“, knurrte Ereinion und lief sofort los. „Leider haben sie größtenteils keine Seelen mehr. Viel zu lange tot...“ „Das tut mir leid.“ „Dafür kannst du ja nichts. Beim nächsten Mal gibt es dafür vielleicht eine viel Größere.“ Es wäre schön, wenn sich das Ganze so für den Schattenwolf ausgleichen würde, der hart an ihrer Seite kämpfte. Immerhin waren sie beide in den letzten Tagen mehr als einmal dem Tod nur knapp entronnen! Allmählich mussten sich die ganzen Mühen bezahlt machen, sonst gab es noch eine Meuterei in ihrem eigenen Bündnis. Darüber dachte sie nicht lange nach, denn Ereinion sprang in einen der Schatten, damit sie sich über die Zwischenwelt schneller fortbewegen konnten. Die rotleuchtenden Augen behielten dabei die Fenster zur Oberwelt genau im Blick, damit er stets wusste, wo sie sich befanden. Der Aufenthalt fühlte sich wie eine Stunde an, ehe er mit ihr durch eines der Portale sprang und sie plötzlich an einer Bergwand waren. Es mussten jene sein, die Argrim erwähnt hatte und in der sich jene Minen befanden. Soweit sie es beurteilen konnte, gab es keine Spuren im Schnee, also waren sie noch vor allen anderen da. Ereinion hob den Kopf und schnüffelte, was für Billiana kein gutes Zeichen war. Anfangs sagte er nichts, sondern witterte einfach nur, um dann wieder zu laufen: „Es wird gekämpft! Ich rieche Blut.“ „Blut ist nicht gut... Die wenigsten Untoten bluten noch!“ Wenn der Trupp nun getötet worden war, weil sie sich um die anderen Angreifer gekümmert hatte, dann würde sie es sich niemals verzeihen. Es wäre dann besser gewesen, wenn sie bei den Zwergen geblieben wäre, um mit ihnen gemeinsam gegen die Flut an Untoten zu kämpfen, statt sie blindlings in eine Falle laufen zu lassen! Zwar war es nicht der Kampf des Schattenwolfes, doch er bemühte sich trotzdem, sich so schnell wie möglich fortzubewegen und sie zu der winzigen Karawane zu bringen. Die drei Zwerge waren umzingelt worden von etwa zehn Untoten. Yadri war es, der blutete... Das jüngste Mitglied hatte offenbar einen Treffer kassiert, der seinen Unterarm lecken ließ. Er war bereits so lahm, dass er kaum den Schild oben halten konnte! Sie waren wie Ratten aneinander gepfercht worden und warteten praktisch nur noch auf ihren sicheren Untergang. Selbst der Ochse schien bereits mit seinem Leben abgeschlossen zu haben und nur darauf zu warten, dass die Untoten ihn in Fetzen rissen. Die Rechnung haben sie aber ohne mich gemacht!, dachte die Elfe mit einem schiefen Grinsen. Noch hatte keiner ihre Anwesenheit bemerkt oder ahnte auch nur, dass es für die armen Zwerge überhaupt Verstärkung geben konnte. Zehn waren aber selbst für den schnellen Schattenwolf und die grazile Elfe zu viele Gegner. Selbst wenn die Zwerge versuchten, ihnen zu helfen... Ihr fehlte die Zeit und auch die Kraft, um ein großes Portal zu beschwören, aber es gab genug Eis, Schnee und Felsen, um diesen Leben einzuhauchen. Mit einigen Worten der Macht formten sich kleine und mittelgroße Golems, die wesentlich schneller und gelenkiger waren, als die riesige Variation. Der Kampf gegen Andras hatte ihr gezeigt, dass Kraft nicht ausreichte, sondern vor allem auch Schnelligkeit und die Überzahl einen Kampf sehr schnell kippen konnte. Ohne auch nur ein Wort sprechen zu müssen, schickte sie die beschworenen Kreaturen hervor, die sich sofort auf die überraschten Untoten stürzten. Die kleineren Golems unter ihnen, hangen sich einfach an Beine oder Arme, um die Bewegungen der ohnehin langsamen Kreaturen noch mehr einzuschränken, während die größeren ihrer Art nach ihnen schlugen. Recht unkoordiniert, weil sie sich nur dank ihres Willens bewegen konnten und es nicht einfach war, sich auf so viele gleichzeitig zu konzentrieren. Es reichte aber, damit die Zwerge mit ihren Waffen zurückschlagen und die Untoten wieder von ihnen wegdrängen konnten. Zwar waren sie genauso überrascht, wussten aber, dass sie keinem geschenkten Gaul ins Maul blicken sollten. Yadri hielt sich aber etwas mehr im Hintergrund, weil die Verletzung ihm wehtat, aber ihn vor allem einschränkte. Der Schattenwolf brauchte keine weitere Aufforderung, um zu wissen, was er nun zu tun hatte. Er preschte stattdessen voran und sprang einen der Untoten an, in dessen Schädel er sich knackend verbiss. Billie schlug derweil nach rechts und links, damit sie dessen Verbündeten fernhalten konnte, an denen zumindest ihre Golems klebten. Während Ereinion den Schädel zum Platzen brachte, sodass sich die vertrocknete Gehirnmaße samt Knochensplittern über das Schlachtfeld verteilen konnte, enthauptete Argrim mit einem gezielten Hieb einen der Untoten. „Was zur Hölle ist das für eine Bestie?!“, rief er vollkommen schockiert und fasziniert zugleich. So etwas wie Ereinion hatte er noch nie in seinem ganzen Leben gesehen und war froh, dass er offenbar nicht ihr Feind war. Obwohl er unter anderen Umständen ihn angegriffen hätte... „Später!“, antwortete die Elfe und durchtrennte die Wirbelsäule eines anderen Angreifers. „Sehen wir erstmal zu, dass wir den Weg frei bekommen und hier wegkommen!“ Argrim nickte zustimmend und befahl Yadri mit einer Handbewegung, dass er sich in den Karren setzen sollte und Dorin sich vorne rauf schwingen sollte. Kurz darauf schlug er einem Untoten die Beine ab und einem anderen trennte er den Schwertarm ab. Der Wolf wollte einem einfachen Zwerg in nichts nachstehen, auch wenn sie im Vorteil waren, durch die felsigen Ballaste an den Gliedmaßen und versuchte immer noch einen mehr zu erlegen. Sei es durch einen gezielten Biss oder ein brutales Zerfetzen des ganzen Körpers. Doch es wurden immer mehr Angreifer. Entweder befanden sie sich an einem wirklich gut bewachten Ort oder ein Nekromant gierte wahnsinnig nach einem schnellen Ende für sie alle. Zähneknirschend blickte sich die Blondine um, konnte allerdings keinen Magier erkennen, dafür aber immer mehr Untote. Sie kamen wellenartig auf sie zu und würden sie noch überrennen, wenn sie sich nicht bald in Bewegung setzten. Ihre Golems kamen gegen so viele nicht an, besonders weil sie ständig den Blick von ihnen abwenden musste und sie dann nur noch reglose Eisfelsen waren. Zu allem Überfluss waren der größte Teil der Leichname Zwerge, die offenbar hier gestorben waren. Vielleicht, weil sie die Minen nicht hatten verlassen wollen oder es war einst ein Schlachtfeld im großen Krieg gewesen. Genug von ihnen waren jedenfalls bereits Skelette und deshalb noch schwerer zu besiegen. Nervenbahnen waren bei ihnen keine Thematik mehr, weil sie vom Willen des Nekromanten bewegt worden und nicht durch ihre körperlichen Fähigkeiten. Endlich gab Dorin dem Ochsen die Spore, damit er sich in Bewegung setzte. Die Untoten gierten nach den Zwergen und versuchten den Karren zu erreichen, aber Billiana schoss einige Pfeile direkt in die Schädel der Bestien, um sie wieder zurückzuwerfen. Ereinion musste sich dann aber auf andere Angreifer stürzen, die nach ihnen schlagen wollten und auch Argrim war gut beschäftigt, Angriffe abzuwehren und Untote zu fällen. Erst der spitze Schrei von Yadri machte klar, dass sie sich zu sehr hatten ablenken lassen. Zahlreiche Untote rissen den verletzten Zwerg einfach von dem Karren herunter, der verzweifelt mit dem Kolben nach ihnen schlug. Der Schild lag noch bei dem Proviant und hätte ihn wohl auch nicht mehr gerettet. Die knochigen Finger bohrten sich nämlich schnell in die Kehle des armen Jungspundes und kurz darauf auch in sein Herz, nachdem sie das Kettenhemd weggerissen hatten. All die Schreie verstummten in einem Gurgeln und hüllten die Gedanken der Elfe in Dunkelheit. „Ereinion!“ Mehr brauchte Billiana nicht zu rufen, damit sich der Schattenwolf in die Masse an Untoten stürmte und mit einer geschickten Drehung wegschlug. Durch seine Größe war der Hieb mit der Rute ungemein schmerzhaft und erst recht, wenn nebenher noch eine Elfe mit einer scharfen Klinge nach ihnen schlug. Während Ereinion drohend knurrte, beugte sie sich nach unten, um Yadri auf den breiten Rücken zu ziehen. Sie sah sich kurz um und sah, dass Dorin bereits verschwunden war und nur noch Argrim auf sie wartete. Er wetzte seine Axt durch die untoten Gesichter und trennte genug Gliedmaßen ab, um als Schattenwolf oder Seelenfänger durchzugehen. Dabei achtete er stets darauf, seinen Rücken freizuhalten und sich nicht einkesseln zu lassen. „Geh‘ voran!“, schrie die Blondine über den Schlachtenlärm hinaus. „Wir müssen hier weg und ich kenne nicht den Weg!“ Der Anführer nickte und stieß eine der Bestien beiseite, damit er dann endlich kehrtmachen konnte. Das Klirren des Kettenpanzers war für sie deutlich zu hören, also folgten sie diesem Geräusch. Ereinion blickte nicht zurück und hoffte nicht mal darauf, dass er hier einige Seelen bekommen konnte, sondern wollte ebenso nur noch in Sicherheit sein. Es waren zu viele, die nach ihren Leben gierten. Jene Mine war aber wenigstens nur noch einige Meter von ihnen entfernt und Dorin hatte sie samt Karren sicher erreicht. Argrim erkundigte sich nach dessen Wohlergehen, bekam allerdings nur eine erschöpfte Erwiderung, dass es ihm besserginge als Yadri. Billiana und ihr Schattenwolf erreichten die Mine kurz nach Argrim. Sie sprang sofort von dessen Rücken und musterte die Verzierungen an dem Ein- und Ausgang. Es waren drakonische Runen, das wusste sie sofort und sie würden verhindern, dass die Untoten hier hereinkamen, sofern ihre Magie noch aktiv war. Dafür sorgte die Elfe, die ihre Hand an den Rahmen lehnte und einige Worte flüsterte. Nur einen Herzschlag später glitt ein blaues Licht aus ihren Kuppen und erfüllte alle Schriftzeichen mit einem strahlenden Licht und einem Pulsieren. Es würde keine Lebenden oder Besessenen fernhalten, doch zumindest waren sie die Armee der Kreaturen vorerst los und konnten sich wieder sammeln. „Ist er... Ist er tot?“, fragte Dorin vollkommen erschöpft und wagte sich nicht an den Schattenwolf heran. Auf dessen Rücken lag noch immer der dritte Gefährte und rührte sich nicht. Argrim war wesentlich mutiger und trat näher, damit er den armen Tropf von dem Rücken des Tieres heben konnte. Yadri zuckte nicht mal und die Augen waren von Schmerz noch weit aufgerissen. Er schloss sie langsam und vorsichtig, um diesen Anblick nicht mehr ertragen zu müssen. Er war vollkommen zerstückelt worden und überall klebte das Blut des ehemals stolzen Zwergs. „Wieso hast du ihn da herausgeholt?“, hinterfragte der Anführer mit bitterem Unterton. „Du musst doch gewusst haben, dass er keine Chance hat.“ „Ich hatte gehofft, dass ich es noch schaffe und ihm vielleicht helfen kann. Außerdem wollte ich ihn nicht dem Nekromanten überlassen...“ „Nun kann er sich ihn doch ohnehin nehmen.“ „Wenn wir ihn so verbrennen, dass nur noch Asche von ihm übrigbleibt, dann nicht.“, sagte sie mit ernster Stimme. „Mit Asche können die nichts anfangen und er muss sich nicht irgendwann gegen seine Freunde stellen.“ Die Zwerge zogen schwer die Luft ein. Es war für sie ein furchtbarer Frevel, Leichen zu verbrennen! Sie bekamen Särge in den Katakomben ihrer Minen und Städte. Richtige Helden bekamen sogar eine Statue ihrer Gestalt, die dann über dem Grab des Verstorbenen wachte. Sie glaubte fest daran, dass ihre Leichen irgendwann zu Stein wurden und sie dann eins mit ihren Bergen werden konnten. Alle Zwerge träumten davon, eines Tages ein Teil des Großen und Ganzen zu sein. Am besten war es aber, wenn sie zuvor zu Helden berufen worden waren! Trotzdem folgten sie ihrem Vorschlag und sammelten alte Holzblöcke zusammen, die hier noch von ehemaligen Möbeln zu finden waren und stapelten alles, was irgendwie brennbar war. Ereinion kehrte derweil in die Zwischenwelt zurück und überließ die Gruppe wieder sich selbst. Durch Feuersteine konnten sie den Scheiterhaufen entfachen, nachdem sie den Leichnam des Zwergs dort gebettet hatten. Auch wenn es schmerzte, ließen sie ihn verbrennen und hielten das Feuer solange am Leben, bis nicht mal mehr seine Knochen übrigblieben. Eine Rede schenkten sie sich, denn dafür war noch Zeit, wenn sie zu ihren Artgenossen zurückkehrten und von den großen Heldentaten Yadris berichten konnten. Das alles würde nicht vergebens sein... Zumindest er sollte seinen Wunsch erfüllt bekommen und als Held in die Geschichte eingehen, auch wenn er nicht zu Stein werden konnte. „Was hast du am Eingang getan?“, wollte Argrim wissen, dem die Verbrennung immer noch naheging. „Schutzrunen aktiviert...“, erwiderte die Elfe. „Deshalb kommen sie nicht hier herein. Wenn sie es versuchen, werden sie zu Asche zerfallen.“ „Das ist gut... Trotzdem sollten wir lieber weitergehen und keine Zeit verschwenden.“ Billie nickte und warf einen Blick zum trauernden Dorin: „Wir können noch später um die Toten weinen. Hier und jetzt wäre es eine dumme Idee.“ „Komm‘ schon, Dorin, wir müssen weiter! Treib‘ den verdammten Ochsen an.“ Auch wenn es kalt wirkte, war es genau der Befehl, den der Zwerg nun brauchte. Die Feuersteine warf er wieder in den Karren und warf einen letzten Blick auf die Asche, um dann wieder hinauf zu steigen und das Tier zum Gehen zu bewegen. Billiana und Argrim gingen neben diesen her und versuchten nicht mehr zurückzublicken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)