Die Drachenballade von Kylie (Band 1 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 2: Beginn einer langen Reise ------------------------------------ Nach einer Nacht voller Leidenschaft, war das Erwachen am nächsten Morgen beinahe magisch. Die Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Spalten der Vorhänge und spendeten ein bisschen Licht, wie auch Wärme. Der Gesang von Vögeln war auch schwach zu hören, trotz der langen Schlacht der letzten Tage. Hier fühlte Billiana sich sicher und geborgen. Zwischen Wyrnné und ihr herrschte etwas ganz Besonderes, was sie nicht in Worte fassen konnte. Ihr Vater hatte den Gedanken stets albern gefunden, dass es so etwas wie Schicksal oder Bestimmung geben könnte und hatte noch weniger von der Liebe auf den ersten Blick gehalten. Ironischerweise hatte er gerade diese Art der Liebe selbst erfahren, wenn sie auch kein gutes Ende nahm, sah man von ihrer Geburt ab. Sie aber glaubte sehr wohl an Schicksal. Was die Liebe anging, war sich die Blondine sicher, dass ihre Wege unergründlich waren und wenn man es verstehen konnte, es keine Liebe darstellte, sondern ein selbsterschaffenes Konstrukt. Bisher war es in ihrem Fall nur Sex mit einem aufregenden, interessanten Mann gewesen, der zudem wusste, wie er seinen Körper einsetzen musste. Gerade seine Ausdauer hatte die Elfe zutiefst beeindruckt, aber auch sein Wunsch, sie glücklich zu machen. „Wir könnten die ganze Zeit hierbleiben...“, murmelte das Ratsmitglied. Er tat sich schwer damit, aufzustehen und sich um seine Pflichten zu kümmern. Jene wurden immer zahlreicher und schwerer zu bewältigen für einen Mann alleine. „Du hast deine Aufgaben und ich muss bald aufbrechen.“, erwiderte Billiana, empfand aber durchaus bedauern. „Also wäre es keine gute Idee, wenn wir die ganze Zeit liegen bleiben würden.“ „Wohin willst du gehen? Suchst du ein neues Nest?“ Sie verzog das Gesicht und verstand durchaus, dass er auf ihre animalische Art zu denken anspielte: „Sehr witzig... Letzte Nacht hat es dir sehr gefallen.“ „Oh ja, allerdings. Man wird noch Jahre später deine Kratzer und Bisse an mir finden.“ „Du wolltest mehr und ich gab dir mehr. Wenn du nicht weißt, was du willst, dann sprich‘ deine Wünsche nicht aus.“ Wyrnné lachte zufrieden auf und schlug die Decke weg, um sich einfach über sie zu werfen. So wälzten sie sich nackt in den Decken, Kissen und Fellen, die ohnehin keine Ordnung mehr kannten. Hier und da benetzte er ihre Haut mit Küssen oder kleineren, neckischen Bissen, während seine großen Hände immer wieder über die leicht gebräunte Haut glitten. Natürlich hatte er sie letzte Nacht ausgiebig erkundigt, doch er bekam einfach nicht genug von der goldhaarigen Elfe mit den animalischen Augen. Sie gluckste und schlug nach ihm, machte aber keine ehrlichen Anstalten, ihn wirklich von sich zu werfen. Plötzlich klopfte es an der Zimmertür und sie erstarrten. Kurz darauf kamen drei Zofen herein und brachten Tabletts mit Frühstück, welche sie auf den Nachttischen abstellten. Es gab Brot, Wurst, Käse und sogar etwas Obst. Alles Dinge, die es in der Form nicht in der Unterwelt gab und wenn, dann viel ekliger. Nachdem die Frauen aus dem Zimmer waren, griff Billiana gierig nach einem Apfel und biss direkt ab. Der Saft floss aus ihren Mundwinkeln, was der Heerführer sofort nutzte. Zärtlich küsste er die Spur aus Süße fort, um nur kurz ihre Lippen zu berühren. Erst danach schnitt er sich eine dicke Scheibe Brot ab und belegte es sich mit etwas Wurst. Die grünen Augen von ihm richteten sich schließlich wieder auf die Elfe: „Wohin führt dich deine Reise?“ „Das weiß ich noch nicht.“ „Aber, wenn du nicht weißt, wohin du willst, warum bleibst du dann nicht bis du es weißt?“, hinterfragte er verwirrt. „Ich zwinge dich nicht, zu gehen.“ „Ich muss es einfach aufhalten, Wyrnné. Diese Krankheit, die alle so verrückt macht.“ „Du willst Zodiak aufhalten? Warum?“ Nun hatte sie den Namen zu all dem Übel und erinnerte sich gut daran, wie ihr Vater einst von dieser dunklen Bedrohung gesprochen hatte und welchen Preis sie einst forderte. Zwar hatte man ihn einsperren, jedoch niemals vernichten können. Das Böse konnte nicht sterben, weil es ein Teil dieser Welt war. Wo Licht ist, da fällt auch Schatten... Auch ihre Lehrmeister hatten ihr das bestätigt. Das, was am Ende nur noch als >Urböses< bezeichnet worden war, konnte keineswegs zerstört werden, doch um die Vernichtung der Welt zu verhindern, musste es in einen Kerker gesperrt werden. Jener Kerker war durch die Drachen auserwählt und bewacht wurden. Da die schwarze Schlacke sich wieder ausbreitete, mussten die Wächter tot sein. Vielleicht hatte auch jemand die Kreatur befreit... Es war schwierig zu sagen, aber sicher war, dass Zodiak alles vernichten würde, wenn er nur die Chance dazu bekam. Die Oberwelt wäre erst der Anfang... Langsam aß Billiana ihren Apfel und versuchte sich genau zu erinnern, wie Zodiak das erste Mal verbannt worden war. Ihr Vater sprach von einzigartiger Magie, Runen und Bannkreisen, allerdings auch von Gitterstäben. Von Katakomben, die fernab jeder Zivilisation errichtet worden waren unter einer Festung der Drachen. Nur erreichbar, wenn man auf Schwingen getragen wurde. Kein Mensch sollte diesen Ort jemals finden und noch weniger ihn erreichen. Im Herzen jedes Menschen schlummerte tiefste Dunkelheit und noch viel mehr Schwäche. Es gierte sie nach Macht. Sobald sie erreichbar schien, streckten sie die Hände danach aus, um sich die Finger zu verbrennen. Leider lernten sie aus dem Schmerz nicht... Danach wollen sie die Macht nur noch mehr! „Wo liegt der Ort, in dem Zodiak ursprünglich eingesperrt wurde? Es ist doch in irgendwelchen Bergen, oder?“ Wyrnné sah sie überrascht an, nickte dann aber: „Ja, das ist richtig. Die Drachen haben aber niemals gesagt, wo die Berge genau liegen, um zu verhindern, dass jemand ihm zu nah kommt. Er ist zu manipulativ und zu gefährlich, damit Ungelernte ihn bewachen.“ „Seine Wachen scheinen aber tot zu sein, wenn Zodiak ungehemmt durch die Welt streifen kann.“ „Das ist leider wahr...“ „Ich weiß, dass du kein Mensch bist, Wyrnné.“, sagte Billie streng. „Und ich weiß, dass du auch kein Drache, Zwerg oder Unterweltler bist...“ Er knirschte mit den Zähnen, während sich der Gesichtsausdruck zu hartem Stein verwandelte. Darüber sprach das Ratsmitglied definitiv nicht gerne. Einst hatten die Menschen ihn als seinen Vertreter erwählt, doch, wenn sie wüssten, dass er keiner der ihren war, würden sie ihn absetzen. Dann spielte es keiner Rolle mehr, wie viel er für sie getan hatte. Es zählte am Ende nur, ob er einer der ihrigen war oder einer der anderen. Stille breitete sich aus, während er sich seinem Brot hingab. Stück für Stück riss er ab, kaute es unendlich lange, um es dann zu schlucken. Der Elfe fiel auf, dass er es dabei vermied, sie anzusehen. Sie wusste nur nicht, ob er sich wegen seiner Herkunft schämte oder ob er sich vor der Wahrheit fürchtete. Ihre Finger glitten vorsichtig zwischen die seiner freien Hand, während ihre eisblauen Augen ihn fixiert hielten: „Es ist doch nicht schlimm, Wyrnné... Niemand muss es jemals erfahren.“ „Wenn es doch jemand erfährt, verliere ich alles.“ „Niemals würdest du alles verlieren...“, flüsterte die Blondine. „Ich werde immer an dich glauben. Für mich spielt es keine Rolle.“ Auch wenn sie einander kaum kannten, glaubte er ihr. Letztendlich auch, weil sie zu animalisch war, um ernsthafte Lügen aussprechen zu können. Behutsam beugte sich der Hüne zu ihr, um sachte ihre Lippen zu küssen. Sie schenkte ihm eine Erwiderung, die direkt mit einem liebevollen Biss in seine Unterlippe vergolten wurde. Ihr Vertrauensverhältnis würde stetig wachsen, selbst wenn sie Kilometer trennten. Ihr Zusammentreffen war vorherbestimmt gewesen, davon war Billiana fest überzeugt. „Du stammst aus der Zwischenwelt, oder?“ Wyrnné nickte bleiern: „Ja... Meine Mutter ist die Königin dort.“ „Und dein Vater?“ „Sataniel.“ Nun war sie es, die zerknirscht wirkte und sich zurücklehnen musste. Eigentlich hätte sie damit rechnen können! Alle großen Dinge hatten etwas mit ihm zu tun. Jede Veränderung der Welten war ihm zuzusprechen. Nur hatte er ihr niemals erzählt, dass er sogar schon Kinder hatte. Offenbar ja auch durch einen Pakt mit der Herrscherin der Zwischenwelt. Sie forderte hohe Preise. Da Wyrnné noch immer eine feste Gestalt hatte und zumindest eine gebrochene Seele, musste dieser sehr hoch sein. Vielleicht unbezahlbar. Wenn dieser fällig wurde, dann würde Wyrnné das bisschen Seele verlieren und wenn er Glück hatte, wurde er zu einem Schattenwolf. Hatte er Pech, wurde er zu einem dieser tanzenden Lichter... So oder so: Er würde sich nicht mehr an sein einstiges Leben erinnern, sondern nur noch nach Seelen gieren. Alles, was er mal gewesen war, wäre fort. Sie würden einander nicht mal erkennen, wenn sie sich dann dort begegneten. Es brach ihr das Herz, an diese ungewisse Zukunft zu denken, die vielleicht schon nah war. Wenn sie eines aus all den Büchern gelernt hatte, dann, dass es unmöglich war, alle zu retten. Manche musste man gehen lassen... Besonders dann, wenn es einem schwerfiel. Nur fragte sie sich, ob er um sein Schicksal wusste. „Was haben sie dir über deine Zukunft verraten?“, wollte Billie wissen, ohne mehr Details preiszugeben. „Gar nichts.“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Sie haben mir nicht mal gesagt, dass ich von ihnen abstamme.“ „Woher weißt du es dann?“ „Ich bin doch nicht dumm, Billie. Jedes Wesen, das ein Gespür für Seelen hat, merkt, dass mit meiner etwas nicht stimmt. Wie sollte sie auch normal sein, wenn meine eigene Mutter keine besitzt?“, sagte Wyrnné sichtlich verbittert. „Du ahnst nicht, wie viele ich töten musste, um dieses Geheimnis zu bewahren. Käme es heraus, würde man mich aufknüpfen... Oder Schlimmeres. Deshalb wissen nicht mal die beiden, dass ich es weiß. Trotzdem weiß ich nicht so viel über die Zwischenwelt und die Wesen dort, wie ich es wohl sollte.“ „Ich selbst war nur ein paar Mal dort. Ist nicht schön. Sei froh, wenn du so gut wie nichts weißt, Wyrnné. Manchmal ist Unwissenheit ein Segen...“ „Noch öfters eine Schwäche.“ Billiana nickte zustimmend. Sie selbst litt zurzeit unter ihrer Unwissenheit. Irgendwas trieb sie an, was sie nicht beschreiben konnte. Eine höhere Macht, eine verborgene Stimme, sie wusste es nicht wirklich. Doch es lockte sie an die Oberwelt und nun verlangte alles in ihr, sich gegen Zodiak zu stellen. Doch sie wusste an sich rein gar nichts... Nicht über Zodiak, die Oberwelt oder die Drachen. Leider schien alles irgendwie miteinander verknüpft zu sein, auch wenn es sehr verworren wirkte. Der Schwarzhaarige wusste aber vieles, weshalb sie immer mehr hoffte, dass er die benötigten Antworten lieferte. Sofort hoben sich ihre eisblauen Augen wieder zu ihm: „Wo sind die Katakomben? Wo ist Zodiaks Gefängnis genau?“ „Dyad meinte, dass die Katakomben im Norden zu suchen sind. Ganz, ganz tief dort... In den Regionen, die fast immer Winter haben. Unter Schnee und Eis soll die alte Festung begraben liegen.“, erklärte Wyrnné und trank einen Schluck Wasser. „Ich selbst war nie dort. Dyad genauso wenig... Es sind einfach nur alte Geschichten, dessen Wahrheit keiner von uns nachprüfen kann.“ „Mit diesem Dyad würde ich gerne sprechen. Vielleicht weiß er noch mehr.“, warf die Elfe sofort ein. Wyrnné schüttelte den Kopf: „Keine gute Idee. Zwar war Dyad im Rat und er war sogar der Drachenkönig, ist es nun aber nicht mehr.“ „Warum?“ „Offiziell ist er tot...“ Wieder wurde es ganz still zwischen ihnen und sie wusste beim besten Willen nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Immerhin hatte dieser Dyad sie auf dem Schlachtfeld gerettet und so wichtige Verpflichtungen, aber er sollte nicht mehr am Leben sein? Ich muss noch viel über diese Welt lernen... Die Gepflogenheiten scheinen mir noch weniger geläufig, als ich gedacht habe. „Er wollte sich seinen Pflichten entbinden lassen, Billie.“, erklärte er gelassen. „Deshalb täuschte er seinen Tod vor. Er fiel angeblich in einer Schlacht. Seither muss er sich versteckt halten und muss vorsichtig mit seinen Schritten sein. Ganz besonders so lange, bis sich ein neuer Drachenkönig oder eine neue Drachenkönigin erhebt.“ „Hat er denn keine Erben? Er könnte es doch einfach an sie abgeben, statt so dramatisch zu handeln.“ „Kennst du die Gesetze der Drachen nicht?“ Nach einer kurzen Überlegung, schüttelte die Blondine den Kopf. Die Drachen waren so gut wie ausgestorben. Die einzigen, denen sie jemals begegnet waren, lebten in den Kerkern ihres Vaters und hatten keinen klaren Verstand mehr. Sie waren nicht mal in der Lage, ihre Gestalt zu wechseln. Ihre Magie war tot, ebenso wie ihre Hoffnung, ihr Glaube und die Erinnerungen an ein Leben in Freiheit. Nur die Sprache der Drachen konnten sie noch sprechen. Allerdings blieb es stets gefährlich, sie in ihren Ketten zu besuchen, um mehr über ihre Kultur zu erfahren. Ständig schnappten sie nach einem... Wenn sie ganz schlechte Laune hatten, spuckten sie sogar Feuerbälle! Das Ratsmitglied erkannte ihre Ratlosigkeit und setzte sich aufrecht hin. Das Frühstück war für ihn mit dem einen Brot, ein bisschen Obst und Wasser beendet. Mehr brauchte er nicht. Seine grünen Augen behielten dafür die goldhaarige Elfe fixiert: „Ein Drachenkönig beziehungsweise eine Drachenkönigin wird weder gewählt noch gibt es eine Blutslinie oder Erbfolge. Bisher wuchsen die angehenden Herrscher nicht mal in den Reihen der Drachen auf, sondern in den Völkern der anderen. Sie wissen nicht, dass sie Drachen sind und sie wissen erst recht nicht, dass sie dazu bestimmt sind, zu herrschen. Jeder von ihnen wird in ein anderes Volk geboren... Elfen, Menschen, selbst schon Vampire. Ihnen allen kann plötzlich ein Nachfolger der Drachenära entspringen.“ „Aber wie? Das verstehe ich nicht...“ „Das ist nicht einfach zu erklären. Du weißt doch sicherlich, dass Drachen die allerersten Geschöpfe auf der Oberwelt waren, oder? Sie lernten früh, dass sie sich ihrer Umgebung anpassen müssen, wenn sie überleben und lernen wollen. Also nahmen sie die Gestalt von Tieren an.“, berichtete Wyrnné langsam. „Sie waren nicht perfekt. So konnte ein Fuchs plötzlich einige Schuppen haben oder ein Wolf echsenartige Flügel, doch, wenn sie sich gut machten und die Makel kaum zu erkennen waren, konnten sie im Einklang mit der Natur leben. Als dann die anderen Völker sich erhoben, versuchten sie dort das Gleiche. Sie nahmen die Gestalt von Elfen an, von Menschen und auch von Zwergen. Auch da konnte ihre neue Gestalt Makel haben und sie schnell auffliegen lassen, doch viele dachten, dass sie einfach krank seien oder vielleicht Missbildungen hatten. So mischte sich die Blutlinie der Drachen in alle Völker dieser Welt. Wenn du es so willst, sind wir alle zu einem Bruchteil ein Drache.“ „Es ist... faszinierend und unglaublich.“ „So sahen die Völker es auch. Besonders, weil die Drachen den unzivilisierten von ihnen einiges lehrten. Nehmen wir unsere Sprachen und pflügen sie auseinander, dann wird uns auffallen, dass zahlreiche Wörter und Sätze aus der Sprache der Drachen stammen oder davon abgeleitet sind. Viele unserer Ideen wirst du in Büchern finden, die viel älter sind und auf Drakonisch formuliert wurden. Sie gaben uns wahnsinnig viel. Leider sieht das nicht jeder so...“ Die Elfe verstand, worauf er hinauswollte und nickte: „Sie wurden verfolgt. Ihre Absichten wurden missdeutet und nun gelten sie als Feinde. Vermutlich als solche, die sich verborgen halten und dann zustechen...“ „So ist es.“, bestätigte der Schwarzhaarige ihre Vermutung. „Es ist etwas in den Genen der Drachen. Es verhindert, dass einer in ihren eigenen Reihen zum Nachfolger eines gefallenen oder abgetretenen Drachenkönigs wird. Das Gen taucht nur in jenen auf, die in anderen Rassen aufwuchsen und baut sich nur dann aus, wenn ein anderer abdankt. Ihre Merkmale sind ganz klar: Goldenes Haar. Alle Könige und Königinnen der Drachen hatten goldene Schuppen, die so glänzten wie ihr goldenes Haar.“ „Das ist alles? An mehr kann ein potenzieller Anführer der Drachen nicht erkannt werden?“ „So ist es. Und da es in jeder Rasse vorkommt, dass Blondinen zur Welt kommen, bringt es nicht sehr viel, sie alle zu töten. Es haben einige versucht, aber es bringt eben nichts... Nur viel Blut.“ „Aber, wenn sie niemals Drachen waren und keiner von ihrer Bestimmung weiß – geschweige denn sie selbst – wie sollen sie ihren Weg auf den Thron dann finden? Sie wachsen in fernen Ländern auf und haben vielleicht ihr Leben lang gehört, wie grauenhaft die Drachen seien... Viele von ihnen müssen doch lieber sterben, als zu einem von ihnen zu werden.“ „Offenbar spürt das Drachengen jene auf, die wirklich geeignet und bereit sind. Dankt einer ab, wird es nur bei einem potenziellen Nachfahren aktiv und der weiß es einfach.“ Skeptisch zog die Elfe die Augenbrauen zusammen: „Er weiß es einfach?“ „So hat Dyad es mir gesagt. Nachdem seine Gene erwacht sind, da wusste er einfach, was zu tun ist. Wenige Wochen später hat er sich das erste Mal verwandelt und seine menschliche Gestalt erhielt ihre Makel. Er war kein Mensch mehr...“ Diesen Prozess stellte sie sich schrecklich schmerzhaft vor. Ein Leben lang gehörte man einer Rasse und einem Volk an, lernte dessen Kultur und Religion. Eines Morgens jedoch erwacht man und man weiß, dass man niemals ein Angehöriger dieses Volkes war, nicht an ihre Religion glaubte und ihre Kultur nicht die eigene Zukunft bestimmte. Stattdessen warf man alles ab, um ein Gewand aus Schuppen zu tragen. Etwas in einem will, dass man seinen Ursprung findet. Plötzlich ist man kein Mensch mehr, sondern ein König und soll über die Leben seiner neuen Rasse bestimmen, die man nur aus Büchern kannte. Wenn Billiana ehrlich war, wusste sie nicht, ob sie das könnte. Natürlich war die Unterwelt kein schöner Ort, um aufzuwachsen und dass erst recht nicht, wenn man als Frau geboren wurde, aber es war ihre Heimat. Dort lebte ihre Familie und dort hatte sie alles gelernt, was sie heute wusste. All das hinter sich zu lassen, um einem Haufen von Fremden zu sagen, was sie zu tun hatten, erschien ihr sehr weit hergeholt. Aber es kam wohl auf die Mentalität an... „Dann werde ich noch heute in den Norden aufbrechen, um mehr in Erfahrung zu bringen.“, sagte Billie vollkommen überzeugt. „Es wird sich schon etwas finden lassen.“ „Wenn du bleibst, würde ich dich in feinste Kleider stecken und dir jeden Tag klarmachen, dass du die einzige Frau auf Erden für mich bist.“ „Ich weiß...“, schnurrte die Goldhaarige durchaus geschmeichelt und kroch zu ihm. Ihre Lippen berührten einander und wieder ließ sie es sich nicht nehmen, an seiner Unterlippe zu ziehen und sachte zu knurren. Die blauen Augen bohrten sich dabei tief in seine: „Aber ich muss den Ursprung von Zodiaks Macht finden und ich muss herausfinden, wie man ihn aufhalten kann.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst...“, murmelte Wyrnné und riss die Elfe um. Wenn er sie schon gehen lassen musste, dann wollte er sie wenigstens noch etwas besser kennenlernen. Leider musste er davon ausgehen, dass er sie niemals wiedersehen würde.   Wyrnné hatte wahrlich nicht zu viel versprochen: Er hatte ihr nicht nur neue Lederkleidung schneidern lassen, sondern sogar mehrere Sachen zum Wechseln! Hinzu kamen Umhänge. Einige waren aus feinsten Fellen, manche aus Stoff oder Leder, um die Möglichkeit zu haben, sich allen Wetterbedingungen anzupassen. Selbst unterschiedliche Stiefel, die es aus purem Leder oder mit Fellen und Stoffen gepolstert gab. Ein Paar hatte sogar etwas Metall an den Spitzen, um ihre Zehen vor Tritten zu schützen. Jedoch hatte er nicht nur an Kleidung gedacht, sondern auch an Waffen. Ein neues Schwert, einen Schild und auch einen Bogen mit einem Köcher voll Pfeilen. Es gab sogar einen Karren, in dem eine Menge Proviant lag. Ein bisschen gepökeltes Fleisch, Brot, einige Fässer voll Wasser und etwas Gemüse. Viel kam nicht für eine lange Reise in Frage, da das meiste nicht lange genug halten würde. Besser war es, wenn die Elfe frische Nahrung organisierte und schnell wieder verbrauchte, aber vorerst würde es keine weitere Stadt geben, um ihr irgendwas zu bieten. Nur enge Pfade, Berge und der kalte Wind. „Und du willst wirklich nicht bleiben?“, hinterfragte Wyrnné gedehnt. „Du weißt genau, dass ich gerne wollen würde...“, antwortete Billiana sofort. „Aber ich muss erstmal etwas erledigen.“ „Für den Karren können wir dir einen Ochsen oder ein Pferd zum Ziehen anbieten.“ „Beide mögen mich in der Regel nicht...“ Wyrnné lachte: „Diese Tiere ertragen auch die Anwesenheit von geborenen Drachen, also werden sie auch dich aushalten, Kätzchen.“ „Nenn‘ mich nie wieder so.“ Abwehrend hob das Ratsmitglied die Hände, ehe er unschuldig dreinblickte, als wüsste er gar nicht, weshalb sie so verärgert war. Ihre animalische Ader war aber nicht nur ihm aufgefallen, sondern auch vielen im Schloss. Zahlreiche Bürger und Diener tuschelten darüber, dass sie von Dämonen besessen sei und waren dankbar über ihre schnelle Abreise. Er aber empfand wirklich Trauer darüber. Khaleb brachte ein starkes Pferd herbei und band es an den Karren fest. Er hatte einst Drachen geritten und wusste durchaus, wie Seile und Riemen an einem Tier oder einem Wagen befestigt werden mussten, damit sie weder einschnürten noch nachgaben. Wie es sich gehörte, kontrollierte der beleibte Diener nochmals seine Arbeit und übergab die Zügel dann an die blutjunge, bildhübsche Elfe. Zwar blieben seine Augen kurz an ihr hängen, doch er richtete kein Wort an sie. Auch das qualifizierte ihn ungemein für seine Position. „Sei bitte vorsichtig.“, sagte das Ratsmitglied rasch. „Und vergiss mich bitte nicht. Wenn alles vorbei ist, dann komm‘ zurück und erzähle mir alles ganz genau.“ „In Ordnung.“ Für rührselige Abschiede war die Elfe nicht geschaffen worden und gab ihm deshalb nur einen Kuss auf die Wange. Dann ging sie auf ihren neuen Gefährten zu und hielt ihre Hand sanft an dessen Schnauze. Er blieb ganz ruhig, schnupperte an seiner neuen Herrin und schnaubte einmal verächtlich, weil sie kein Fressen hatte. Wyrnné lachte und ließ sich von Khaleb eine Karotte bringen, um sie an Billie weiterzureichen: „Belohne ihn und er wird dir ein treuer Gefährte sein.“ „Da kenne ich noch einen.“, schmunzelte die Blondine und nahm das Gemüse dankbar an. Als sie es dem Tier anbot, riss er es direkt an sich und zerbiss es mit knackenden Geräuschen und noch größerer Zufriedenheit. Sie hoffte, dass das reichte, damit er nicht doch noch seine Meinung über ihre Zweckgemeinschaft änderte. Geschickt sprang sie auf den Karren und trieb das Pferd mit den Zügeln an, das sich sofort in Bewegung setzte. Auch wenn sie es nicht wollte, mussten ihre eisblauen Augen nochmals zurücksehen. Sie wollte nochmals Wyrnnés Gestalt erblicken, die stetig kleiner werden würde. Es tat ihr wirklich leid, dass sie seinem Angebot nicht Folge leisten konnte, doch manchen Dingen konnte man sich eben nicht entziehen. Obwohl sie sich etwas Anderes wünschten, schien gerade er ihre Ambitionen zu verstehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, dass sie einem Mann irgendwann wieder begegnen würde...   Wenn Wyrnné etwas an Dyad mochte, dann war es seine fröhliche und unbekümmerte Art. Danach kamen seine goldenen Locken, die ihm bis zum Nacken reichten und diese strahlenden, eisblauen Augen. Nur wenn man sehr genau hinsah, dann konnte man im Schein des Lichtes erkennen, dass an seiner linken Wange Schuppen glänzten. Das war auch an seinem Rücken der Fall. Ansonsten war seine menschliche Gestalt absolut makellos und perfekt. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er tatsächlich ein Drache war. Trotzdem musste er sich verborgen halten, damit sein vorgetäuschter Tod nicht aufgedeckt wurde. Es hielt ihn nicht davon ab, ihm immer wieder Besuche abzustatten und für Wyrnné erreichbar zu bleiben. Netterweise hatte er ihn vor ein paar Tagen auch auf dem Schlachtfeld geholfen, indem er Billiana gesucht, gefunden und hierhergebracht hatte. Gedankenverloren schwenkte der Schwarzhaarige sein Glas und sinnierte zurück an die Vereinigungen und die Zärtlichkeiten, die er mit der Elfe geteilt hatte. Zwischen ihnen hatte alles gestimmt... Es hatte sich nicht falsch angefühlt, aber auch nicht richtig. Zuletzt hatte er diese Verbundenheit zu Faeel Thonalas empfunden, die Tochter von Elwalir. Das war alles gewesen, bevor man sie ins Exil gesperrt und ihre Seele für immer verdammt hatte. Er vertrug die Gedanken an sie nicht. Billie hatte ihm endlich Trost gespendet, aber nun war auch sie fort. „Sie fehlt dir...“, bemerkte Dyad und spielte an seiner silbernen Rüstung. An ihm wirkte sie beinahe zu groß, trotzdem sah er erhaben darin aus. Sein goldener Umhang war ein Geschenk der Drachen gewesen, als er sein Amt als der ihrige angetreten hatte. Auch wenn er es nun nicht mehr verfolgte, wollte er den Umhang nicht ablegen. Vermutlich Nostalgie. „Natürlich fehlt sie mir.“, brummte Wyrnné und sank etwas in sich zusammen. „Warum auch nicht? Wir haben wunderbar harmoniert. Bist du dir sicher, dass sie es ist?“ „Absolut.“ „Aber sie schien es nicht zu wissen. Du meintest, dass du es gespürt hast, als es losging.“ „Nicht sofort, Wyrnné, alles braucht seine Zeit.“, erwiderte er gelassen. „Sei nicht so melancholisch.“ Solche Stimmungsschwankungen war der ehemalige Drachenkönig bereits gewohnt, doch es besorgte ihn trotzdem. An sich war Wyrnné ein guter, starker Mann, doch er war auch ungemein emotional und perfektionistisch. Die schlimmste Kombination dazu war, dass er auch noch einen Idealisten verkörperte. Rückschläge konnten ihn hundertfach mehr niederringen als andere. Langsam erhob sich der Blondschopf von seinem Sessel und ging auf ihn zu, um sich stattdessen mit klimpernder Rüstung auf den Fußboden zu setzen. Seinen Kopf lehnte er auf den Schoß des Ratsmitglieds, um langsam zu ihm hinaufzusehen. Er wusste, dass Wyrnné diesem Hundeblick nur schwer widerstehen konnte! Auch dann nicht, wenn er an diesem Scheitelpunkt stand, wie es heute leider der Fall war. Die grünen, gebrochenen Augen senkten sich allmählich: „Langsam kommt es mir so vor, als sei ich dazu verdammt, alle Frauen sterben zu sehen, in die ich mich verliebe. Es war vielleicht noch keine Liebe, aber ich fühlte mich sehr verbunden...“ „Soweit ich weiß, ist sie nicht tot, Wyrnné.“ „Gegen Zodiak kämpfen? Alles über ihn erfahren? Sein Gefängnis besuchen? Ich denke, dass das durchaus als Todesurteil zu verstehen ist.“ „Vielleicht ist es ihr einfach bestimmt, dem ein Ende zu setzen.“, säuselte der ehemalige König. „In manchen schlummert Großes, auch wenn viele es nicht erkennen. Bei manchen ist es sogar so, dass alle es sehen, nur nicht die Person selbst.“ „Was siehst du nur in mir?“ „In diesem Augenblick ein Jammerlappen.“ Wyrnné nahm sich sofort eines der Kissen und schlug es dem vorlauten Drachen auf den Kopf. Dieser gluckste auf, tat aber zumindest so, als habe dieser heimtückische Angriff ihm ernsthaft wehgetan. Natürlich wusste er, dass er recht hatte. Den ganzen Tag über Dinge trauern, die man nicht hatte, brachten keinen weiter. Ich werde einfach hoffen, dass sie zurückkommt und nicht auch noch stirbt. Dies ist die Zeit des Kriegs... Viele verlieren alles und noch viel mehr., sinnierte der Schwarzhaarige und beschloss, dass er an ihr Leben glauben würde, bis jemand ihre Leiche zu seinen Füßen trug. Bis zu diesem Tag würde er gegen die Marionetten von Zodiak ankämpfen und mehr über ihn in Erfahrung bringen. Kam sie zurück, wollte er ihr notfalls helfen können. Wyrnné wusste nicht, was ihn mit Billiana verband, doch ihm war klar, dass er es noch erfahren würde. „Trinken wir, Dyad.“, sagte er mit fester Stimme. „Trinken wir auf das Ende von Zodiak und glorreiche Zeiten. Auf das die Zukunft bald beginnen möge.“ „Auf die Zukunft.“, erwiderte Dyad und hob einen Becher mit Wein an, damit sie anstoßen konnten. Damit legten sie ihre Hoffnungen in eine blutjunge Elfe, in der mehr steckte, als sie selbst sah...   Bedauerlicherweise musste Billiana das halbe Schlachtfeld überqueren, um die Pässe am Rand zu erreichen. Zahlreiche Arbeiter und Soldaten waren noch dabei, die unzählbaren Leichen zu sammeln, dann zu häufen und schließlich zu verbrennen. Als Billie sich erkundigte, weshalb sie die Leichen verbrannten und nicht einfach nur begruben, erklärten ihr die Männer, dass es vorgekommen sei, dass die Toten wiederauferstanden sind und erneut an Kämpfen teilnahmen. Seither hatten sie die Order, alle Toten sicherheitshalber zu verbrennen. Zusätzlich gab es Probleme, so viele Tote anständig zu beerdigen, weil die Friedhöfe schon vollkommen überfüllt waren. Für die Elfe klang es so, dass Zodiak einen Nekromanten in seinen Diensten hatte, der manchen Gefallenen Leben einhauchte und Zodiak dann seine Infektion nutzte, um ihnen weiterhin seinen eigenen Willen aufzuzwingen, statt gehirnlose Bestien toben zu lassen. Nicht so dumm, aber durchaus eine Bedrohung, wenn er das jedes Mal so handhabte. Die Nekromantie bot auch noch andere, gefährliche Vorteile für eine Kreatur wie ihn. Flüche, halbtote Männer am Leben halten, Wachposten an wichtigen Punkten zurücklassen... Ihr eigener Onkel betrieb diese Magie und er hatte ihr einige seiner Tricks gezeigt und erklärt, an welche Gesetze auch er gebunden war, um solche Zauber wirken zu können. Es hatte sie beruhigt, dass alles seine Grenzen hatte, auch wenn es in letzter Zeit nicht so wirkte, als wüsste das Urböse, dass auch er Grenzen hatte. Endlich ließ sie das offene Feld voller Toter hinter sich und damit auch vorerst die Zivilisation. Hier patrouillierten keine Soldaten mehr, da sie in und vor der Stadt dringender gebraucht wurden. Händler mieden es, in solchen Zeiten weit zu reisen. Besonders nicht durch enge Pässe, die von Bergen umrankt wurden und ein wunderbares Potenzial für Überfälle boten. So etwas konnten sich nur Händler wagen, die sich eine Eskorte leisten konnten, um weiter die Welt bereisen zu können. Die Karawanen, die den Weltenbaum versorgten, kamen sicherlich aus der anderen Richtung und bekamen Geleit zugesprochen. Billiana trieb ihren neuen Gefährten an, damit es nicht weiter trödelte. Desto schneller sie die andere Seite erreichten umso besser. Dieser Gedanke bestätigte sich, als sie das Klirren von Waffen und das Stöhnen kämpfender oder verletzter Männer hören konnte. Im ersten Moment haderte die Elfe, ob es nicht besser war, kehrt zu machen und einen anderen Weg in den Norden zu suchen, allerdings kannte sie sich auf der Oberwelt auch nicht gut genug aus. Am Ende war sie dann wieder abhängig von den Erklärungen Fremder, um vielleicht schon wieder dieselbe Situation zu erleben. Schnell griff die Blondine nach hinten auf den Karren und nahm sich den Bogen, wie auch den Köcher entgegen. Dann zwang sie das Pferd dazu, anzuhalten. An einem Felsen band sie ihn fest, nur falls es in Panik geriet und zu fliehen versuchte. Das Schwert steckte in der Scheide an ihrem Gürtel, das Schild schwang sie sich auf den Rücken. Innerlich war sie dankbar, dass Wyrnné sie so gut ausgestattet hatte, denn gerade jetzt konnte sie all das wirklich dringend brauchen. Auch die neue Kleidung bewies bereits ihren Wert. Das Leder war weich und anschmiegsam. Es passte sich an jede Bewegung an, als sie die Felswand hinaufkletterte. Hier und da schnitt eine scharfe Kante in ihre Haut, doch ansonsten hatte sie keine Probleme damit, einen besseren Aussichtspunkt zu erreichen. Geduckt schlich die Elfe schließlich dicht am Abhang entlang, wobei sie den Kampfgeräuschen folgte. Sehr bald schon konnte sie dessen Ursprung erkennen. Es war eine der seltenen Handelskarawanen, welche sich wirklich Söldner zum Schutz leisten konnten. Wie es an solch einem Ort nicht unüblich war, gab es Wegelagerer, die nun die Eskorte angriffen. Billiana konnte nicht sagen, woher der Händler und seine Männer kamen, doch sie wirkten sehr exotisch. Ihre Haut war stark gebräunt und überzogen mit Tätowierungen fremder Zeichen und Symbole. Obwohl es bereits sehr kalt war, trugen sie nur Lendenschurz und einige Riemen. Die weiblichen Krieger unter ihnen trugen dazu einen knappen Brustharnisch. Fast alle hatten rötliches bis schwarzes Haar und leicht gespitzte Ohren, aber sie waren keine Elfen. Es war gut möglich, dass es sich um Mischlinge handelte, die sich zu einem Stamm zusammengefunden hatten. Sie alle wirkten jedenfalls stark, groß und kriegerisch. Ganz anders als der Händler, der zwar dieselben, äußerlichen Merkmale besaß, jedoch in seinem Gewand und seiner Zurückhaltung wirklich wie ein Mann des Handelns schien. Vermutlich versorgte er so das Dorf, woher sie ursprünglich stammten. Die Angreifer hingegen waren einfache Menschen. Nichts deutete darauf hin, dass sie vielleicht durch Zodiak infiziert waren oder an einer anderen Not litten. Ihre Gier trieb sie an, weiche Ziele zu attackieren, um ihren eigenen Reichtum zu mehren. Deshalb fiel der goldhaarigen Elfe ihre Entscheidung auch leicht. Sie spannte einen Pfeil in ihren Bogen und zog die Sehne ganz durch, während sie zielte. Unten herrschte Chaos und alle bewegten sich wahnsinnig schnell, weshalb es nicht einfach war, sich auf ein Ziel festzulegen. Billie ließ sich Zeit. Es war besser, wenn am Ende ihre Muskeln wehtaten, als wenn sie versehentlich den falschen traf. Sie atmete die ganze Zeit flach durch den Bauch, um ihre Bewegungen und Einschätzungen nicht zu verfälschen. Just im nächsten Herzschlag tat sich eine Lücke auf, die sie sofort nutzte. Der Pfeil traf den Menschen direkt zwischen die Augen und ließ ihn sofort zusammensacken. Panik brach aus! Die Wegelagerer verstanden nicht, was passiert war und auch nicht die Karawane des Händlers, trotzdem beschlossen sie, ihren Kampf fortzusetzen. Wieder spannte sie einen Pfeil, fand aber wesentlich schneller eine Gelegenheit, einem der Männer direkt in die Hand zu schießen. Dieser kreischte panisch auf und ließ sein Schwert fallen, sodass einer der gebräunten Krieger ihn aufspießen konnte. Zeit zum Nachdenken oder Zögern gab es keine. Die Blondine legte den nächsten Pfeil auf, verengte die eisblauen Augen und hielt ihn, um dann einen Mann zwischen die Augen zu schießen. Sie traf noch einen in der Seite, der so von einem der Eskorte gefällt werden konnte. Der Kampf entschied sich so sehr schnell für den Händler, der sein Glück kaum fassen konnte. Seine Söldner waren da etwas vorsichtiger und auch klüger, weil sie immerhin gehört hatten, dass die Pfeile von den Abhängen gekommen waren. Solch spitze Ohren gaben Vorteile und so ein Pfeil zerschnitt im Flug die Luft. Sie hielten sofort Ausschau, um nach der Quelle zu suchen. Kurz darauf stiegen zwei von ihnen den Abhang hinauf, auf dem Billiana sich für einen Kampf wappnete. Zur Sicherheit zog sie ihr Schwert und sah den Kriegern entgegen, die sie bald darauf erreichten. „Eine Elfe?!“, fragte der Mann entsetzt. Er konnte es offenbar kaum fassen. Das stimmte Billie noch etwas skeptischer. Die weibliche Kriegerin, die ihn begleitet hatte, wirkte zwar auch überrascht, aber wesentlich entspannter: „An sich spielt es doch keine Rolle, Nestos, sie hat uns eben definitiv gerettet.“ „Das ist mir klar, Vylia, mir erscheint es einfach nur unglaublich.“ „Bitte, wir wollen Euch unseren Dank zeigen.“, sagte Vylia und ignorierte die Skepsis ihres Begleiters. „Esst doch heute Abend am Lagerfeuer mit uns.“ Billiana war sich nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee war, sich auf fremde Reisende einzulassen. Zwar wirkten sie durchaus nett, allerdings auch voreingenommen. Zumindest der Mann, den sie Nestos genannt hatte. Sie benutzen sicherlich Decknamen..., überlegte die Blondine und verstand diese Vorsichtsmaßnahmen durchaus. Es waren gefährliche Zeiten. Es ermahnte aber auch sie, dass sie ebenfalls nicht zu schnell Vertrauen fassen sollte, wenn ihr Fremde angeblich etwas Gutes tun wollten. „Ihr müsst mir nicht danken.“, sagte Billie mit fester Stimme. „Das waren einfach nur Halsabschneider, die ihre gerechte Strafe bekommen haben. Ich wollte selbst über den Pass und habe deshalb auch in meinem Interesse gehandelt.“ „Ehrlich seid Ihr zumindest.“, bemerkte Nestos zufrieden. „Aber Ihr habt ja gesehen, wie gefährlich es hier ist. Bleibt zumindest heute Nacht, weil Ihr nicht weggesehen habt und dann trennen sich unsere Wege.“ Sie haderte etwas, nickte schließlich aber doch: „In Ordnung. Es ist vermutlich sicherer so nah an den Pässen.“ „Ja, das ist es.“, bestätigte Vylia. „Diese Gegend ist sehr unsicher geworden. Die Soldaten patrouillieren nicht mehr.“ „Ist mir aufgefallen.“ Statt sich beleidigt zu fühlen, lachten die Beiden amüsiert. Billies nüchterne und direkte Ader schien ihnen zu gefallen und machte sie sympathischer. Auch Wyrnné hatte sofort bemerkt, dass sie nicht dem Standard der gewöhnlichen Elfen entsprach und man sie nicht in eine Schublade schieben konnte. Auch wenn sie nicht sicher war, was das genau bedeutete, weil sie niemals mit Elfen der Oberwelt in Kontakt getreten war. Die beiden Krieger waren zu ihren Leuten zurückgekehrt, während die Elfe wieder von den Felsen kletterte, um ihr Pferd samt Karren zu holen. Das Tier stierte sie vorwurfsvoll an, als wollte es ihr sagen, dass sie nie mehr so lange wegbleiben durfte. Oder es war genervt, weil es auch noch angebunden war und sich nicht viel bewegen konnte. Schwer zu sagen, da sie die Pferdesprache keineswegs verstand, durchaus aber die Sprache von vorwurfsvollen Augen, die einen fixierten. Um nicht doch noch von dem Ross überrumpelt zu werden, gab sie ihm eine Karotte und führte es erst dann zu der Karawane. Nachdem sie diese erreicht hatte, setzten sie ihre Reise fort. Niemand wollte auf solch einem Pfad sein Lager errichten und einen neuen Angriff provozieren. Landstreicher gab es viele, aber man musste ihnen ja nicht direkt ein so leichtes Angriffsziel bieten. Es kam zu keinem weiteren Angriff, weshalb sie schnell auf offenes Feld kamen. Die Sonne ging allmählich unter, weshalb sie nun auch dringend ein Lager aufschlagen mussten. Das Ganze lief gut organisiert ab. Jeder wusste, was seine oder ihre Aufgabe war und kümmerte sich ohne weitere Anweisungen darum. Vylia bat Billiana, sie bei der Suche nach Feuerholz zu begleiten und plauderte munter darüber, dass sie auch mal den Umgang mit dem Bogen hatte lernen wollen, es aber nie gemeistert hatte. Das verpackte sie in Schmeicheleien über die Schusstechnik der Elfe und wie beeindruckend sie in dem Kampf gewirkt hatte. Es interessierte sie nicht wirklich, trotzdem ließ sie die Kriegerin weiterreden, damit sie sich besser fühlte und keine unangenehmen Fragen stellte. Später am Lagerfeuer fanden sich alle in einer angenehmen Runde zusammen. Einer von ihnen hatte frisches Fleisch besorgt – vermutlich irgendein Wild aus der Gegend oder den Bergen – und wieder andere hatten Pilze gesammelt, Kräuter und ein paar Beeren. Die Gewürze, die der Händler bei sich führte, wurden genutzt, um alles in einem eingebeulten Kochtopf über dem Lagerfeuer zu verfeinern. Es gab auch behelfsmäßige Schalen, aus der sie speisen konnten. Nichts hier war glamourös, doch es war besser als die Alternative. „Billie, würdest du nicht gerne meiner Eskorte beitreten?“, fragte der Händler mit einem freundlichen Lächeln. „Natürlich würde ich dich auch bezahlen. So fähige Kämpferinnen kann ich immer gut gebrauchen und es reist sich als Gruppe leichter.“ Nestos schüttelte verzweifelt den Kopf: „Wir kennen sie doch kaum!“ „Das ist immer noch meine Karawane und wen ich zu meinem Schutz dabeihaben möchte, obliegt immer noch mir.“ „Das ist wirklich freundlich...“, erwiderte die Elfe beschwichtigend. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich für solch eine Aufgabe geeignet bin.“ „Du müsstest nicht so arbeiten, wie die Anderen. Du beschützt einfach nur die Karawane von Bäumen oder Bergen aus mit Pfeil und Bogen. Mehr erwarte ich nicht.“ „Wohin reist Ihr denn?“ Der Händler wirkte zufrieden, weil es für ihn wie Zustimmung klang: „Vorerst Richtung Norden. Bald frieren die Fjorde zu und wir wollen sie vorher überqueren. Sobald der Frost einsetzt, kommt auch der Schnee sehr bald...“ „Ein Stück kann ich Euch begleiten, Mylord.“, lenkte die Blondine ein. „In den Norden will ich sowieso, aber ab da trennen sich unsere Wege.“ „Sehr gut, sehr gut.“ Nestos folgte dem Gespräch aufmerksam und ihm war nicht entgangen, dass sie selbst nicht über ihre Ziele oder Beweggründe sprach. Er konnte nicht so blind vertrauen. Besonders dann nicht, wenn es um Elfen ging. Trotzdem ließ er vorerst Stille in das gemeinsame Essen einkehren, damit sie wenigstens etwas in Ruhe ihr Mahl genießen konnten. Nach der Zusammensetzung auf dem Pfad, erschien es ihm wirklich das Mindeste. Erst als alle soweit fertig waren und sie ihre Schalen reinigten, um im Anschluss die Schlafplätze aufzubauen, kam er auf die goldhaarige Elfe zu: „Hast du einen Moment?“ „Sicher.“, antwortete Billiana gelassen. „Du bist ausgewichen.“, sagte er recht barsch. „Du hast nicht gesagt, wohin du gehst oder worin deine Absichten bestehen.“ „Das habt ihr auch nicht getan. Ihr seid auch ausgewichen.“ „Wir waren offen!“ „Die einzige Angabe war, dass ihr Richtung Norden wollt, bevor der Frost kommt.“, warf sie gelassen ein. „Das ist äußerst vage. Außerdem habt ihr auch nicht gesagt, weshalb genau ihr in den Norden geht. Ich muss von Handel ausgehen, weil ihr große Wagen dabeihabt, aber ich weiß weder, was es für Waren sind noch, wohin ihr sie bringt.“ Leider konnte er das wirklich nicht abstreiten. Trotzdem missfiel es dem Krieger, dass er rein gar nichts über die Blondine wusste. Sie sah aus wie eine Elfe, benahm sich aber ganz anders! Es widerstrebte ihm, ihr irgendwie zu vertrauen. Schnaubend spuckte er auf den Boden neben sich: „Wieso verurteilst du uns nicht?“ „Weswegen?“, hinterfragte Billie skeptisch. „Weswegen wohl?“, zischte Nestos und deutete an sich herab. „Wir sind Mischlinge! Ihr Elfen hasst doch Mischblut... Jahrhunderte habt ihr Mischlinge gejagt und getötet, weil es angeblich eure Rasse bedroht und es sei widernatürlich. Nun sitzt du hier, brichst mit uns das Brot und tust so, als wären wir nicht anders als du.“ „Das interessiert mich nicht.“ „Wie bitte?!“, empörte sich der Gebräunte und sprang wütend auf. Seine Körperspannung sprach dafür, dass er jeden Moment zu seiner Waffe greifen würde. „Diese Elfen, die Euresgleichen verfolgt haben und von Unreinheit gesprochen haben, waren nicht ich. Mich schert es einen Dreck, ob du rein bist oder ein Mischling. Von mir aus kannst du ein Ork sein! Es ist mir vollkommen gleich...“ „Aber... Das verstehe ich nicht.“ Billiana sah ihn an und legte den Kopf schief. Er merkte es nicht, er sah es nicht. Vollkommen gelassen deutete sie an sich herab, wie er es zuvorgetan hatte: „Habt Ihr jemals zuvor eine reinrassige Elfe gesehen, die so mollig und kleingewachsen ist wie ich? Manche Elfen kann man vielleicht als schlaksig bezeichnen, aber viel mehr als das auch nicht. Ich bin nicht reinrassig.“ „Aber die Ohren...“ „Ja, sie sind verdammt spitz. Und ich habe vielleicht auch ein recht hübsches Gesicht und blondes Haar, aber damit hört es auch auf.“ „Was bist du?“ Sie zuckte mit den Schultern: „Ist das wichtig?“ „Für mich ist es das.“, sagte Nestos bestimmt. „Für viele Elfen ist es das auch. Danach kann sich deren Strafe richten.“ „Meine Mutter war ein Mensch.“, antwortete die Blondine wahrheitsgemäß. „Mein Vater ist ein Werwolf und Dunkelelf. Das Werwolfs-Gen ist bei mir nicht aktiv.“ „Bei den Göttern!“, keuchte der Krieger entsetzt. Er wich etwas zurück und war offenbar unentschlossen, wie er damit umgehen sollte. Nervös ging er auf und ab, setzte immer wieder an, etwas zu sagen, um es dann doch sein zulassen. Das beobachtete die Elfe mit hochgezogenen Augenbrauen und fragte sich allmählich, ob er auf diese Weise nicht einen Graben laufen konnte. Plötzlich drehte er sich dann wieder zu ihr: „Haben deine Eltern dich gehasst?! Wie konnten sie nur solch eine Vermischung des Blutes nutzen?!“ Seine Empörung war für sie nicht wirklich verständlich, aber wohl auch nur, weil sie niemals solch eine Verfolgung erlebt hatte wie er. Für sie war es vollkommen normal, ein Mischling zu sein und trotzdem aus der Menge hervorzustechen, weil keiner es ihr wirklich ansah. Es war ihr niemals wie eine Strafe vorgekommen... Also zuckte sie erneut mit den Schultern: „Mir ist es damit nicht schlecht ergangen.“ „Es gibt hier so gut wie gar keine Drow! Und ich bin auch noch nie einem Werwolf begegnet... Das wird wohl durchaus seine Berechtigung haben.“ Weil es Rassen der Unterwelt sind, die sich manchmal hierher wagen..., sinnierte Billiana für sich. Da sie hier nicht wirklich vorkommen, können sie hier auch nicht wirklich überleben. Es ist nicht ihre natürliche Umgebung. Hinzu kommt dieser Hass, der hier offenbar herrscht. Plötzlich hörte die Blondine etwas und schrak hoch. Nestos sah sie irritiert an und verstand nicht, warum sie jetzt so sehr unter Anspannung stand. Die blauen Augen sahen sich um, konnten allerdings nichts wirklich ausmachen. Keine Lichter, keinen Rauch... Es war zwar schon dunkel, doch ihre Drow-Sinne mussten gewisse Schemen dennoch einfangen können. Wärmesignaturen, wenn ein Feuer brannte – selbst wenn es nur der Kopf einer Fackel war. Normale Menschen, Elfen, Zwerge und was auch immer sich hier auf der Oberwelt befand, brauchte definitiv ein Hilfsmittel, um bei der Dunkelheit reisen zu können. Andernfalls würden sie über jeden Stock und Stein stolpern. Da gerade Menschen empfindlich waren, erschien es ihr wenig ratsam, dass diese im Dunklen reisen sollten ohne Hilfsmittel. „Irgendwas kommt...“, zischte die Blondine schließlich. „Und es braucht kein Licht.“ „Was? Wie kommst du darauf?“ „Weil ich ihre Schritte hören kann... Es sind viele Füße, aber ich sehe keine Fackeln.“ Nestos musste nicht lange nachfragen. Zwar wusste er kaum etwas über die Rassen, die in ihren Blutbahnen vereint waren, aber gerade die Dunkelelfen verdienten ihren Namen nicht grundlos. Ihre spitzeren Ohren machten deutlich, dass sie um Welten besser hören konnte als er. Ein Horn blies er nicht, sondern eilte zu den anderen Mitgliedern der Karawane, um sie leise zu warnen und auf einen eventuellen Kampf vorzubereiten. Alles, was Krach machte, würde eine Warnung für die herannahenden Unbekannten sein oder es lockte sie an.   Billiana war auf einen Baum geklettert und war jeder Zeit bereit, eventuelle Angreifer mit Pfeilen zu bespicken. Die anderen Mischlinge befanden sich unten und versuchten sich teilweise hinter Felsen zu verstecken. Der Händler befand sich nahe ihrer Position, um weit genug von den Kämpfen entfernt zu bleiben, aber noch so weit in Reichweite zu bleiben, dass sie ihn beschützen konnten. Da sie nicht sicher wussten, was nun auf sie zukam, gab es keine Garantie, dass nicht noch mehr aus anderen Richtungen kamen, also mussten sie dicht zusammenbleiben. In dem Fall eines Hinterhaltes hatten sie dann wenigstens noch einander. Außerdem hatten sie einige Lagerfeuer verteilt, um bei einer aufkommenden Schlacht eine bessere Sicht zu haben. Da die Unbekannten selbst keine Fackeln trugen, reagierten sie auf Licht vielleicht empfindlich... Dann kamen sie. Es waren zahlreiche Menschen und Nichtmenschen, die erst durch den Schein ihrer Feuer sichtbar wurden. Inzwischen waren sie längst auch für die Mischlinge zu hören gewesen, aber es war zu keinerlei Sichtkontakt gekommen. Billiana hatte schemenhafte Silhouetten erkannt, doch die Körpertemperatur dieser Leute war viel zu gering, um sie ohne Licht deutlich zu erkennen. Es ist beinahe so, als wären sie vollkommen unterkühlt... Ich habe das nur einmal so erlebt und da war meine Tochter sterbenskrank gewesen und beinahe erfroren., dachte Billie verbittert. Sie waren aber alle zu aufrecht und kräftig, um wirklich derartig unterkühlt zu sein. In so einem Moment dürften sie sich kaum auf den Füßen halten können! „Gebt euch zu erkennen!“, rief eine weibliche Kriegerin. An der Stimme vermutete sie, dass es Vylia war. Sie bekam keine Antwort von den Unbekannten. „Was sind eure Absichten?!“, rief dann ein Mann, hinter dem sie Nestos vermutete. Seine Stimme kannte sie durch ihre Unterhaltung etwas besser und kannte inzwischen auch seine Emotionsschwankungen, die in seiner Stimme deutlich wurden. Wieder nichts... Es herrschte eiserne Stille zwischen den Parteien. Nur Blicke wurden ausgetauscht, die aber gerade bei den Unbekannten absolut nichtssagend waren. Ihre Augen wirkten kalt. Billiana versuchte sie genauer zu erhaschen und meinte sogar, dass ihre Augen komplett schwarz waren. Endlich wurde die Stille gebrochen, wenn es auch keinen guten Anlass hatte. Einer der Unbekannten zog seine Waffe und mit ihm alle anderen. Das verlief vollkommen synchron, als bestünden sie nur aus einem einzigen Körper oder einem einzigen Verstand. Da wusste die Elfe, dass es Infizierte sein mussten... Die Meute sprang voran und stieß dabei keinen Kampfschrei aus und sie sagten auch sonst nichts. Mit erhobenen Klingen, Mistgabeln, Schaufeln, oder was sie auch immer als Waffe zu verwenden versuchten, preschten sie einfach los. Die goldhaarige Elfe fackelte nicht lange, denn es war offensichtlich, dass sie nicht hier waren, um mit ihnen das Brot zu brechen. Gezielt schoss sie auf jenen Mann, der nach ihrer Ansicht als erstes seine Waffe gezogen hatte. Der Schuss zwischen seine Augen offenbarte, was sie schon vermutet hatte: Die schwarze Schlacke. Sie kroch aus der Wunde, als der Mann zu Boden stürzte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass er vielleicht der Anführer dieser Gruppierung war, so wie der weißhaarige Hüne einst auf dem Hügel. Da die anderen Angreifer unbeirrt weitermachten, musste sie davon ausgehen, dass sie falsch gelegen hatte. Es war entweder eine bewusste Täuschung gewesen, um diese Hoffnung zu erwecken oder sie hatte sich geirrt, dass er vor allen anderen seine Waffe gezogen hatte. Es spielte keine Rolle: Sie mussten kämpfen. „Greift an!“, rief einer der Mischlinge laut und sie preschten ebenfalls voran. Der erste Aufprall der feindlichen Angriffslinien verlief unschön. Einer der Krieger wurde mit einer Spitzhacke erschlagen, die mit einem krachenden Geräusch einfach in seinen Schädel eindrang und nach dem Herausreißen eine Blutfontäne verursachte. Wenn auch nur kurz, tränkte es alle im Umkreis in einen Film aus dessen Blut. Die Besessenen wurden dafür zahlreicher von Äxten, Schwertern und Dolchen erlegt. Meistens mit sehr präzisen Angriffen, die auf Kehle oder Herz zielten, um lange Kämpfe zu vermeiden. Jeder der Angreifer hinterließ bei seinem Ableben eine schwarze Lache. Wie auch auf dem Schlachtfeld, verließ die Krankheit den sterbenden Körper, sodass die einstigen Menschen oder Nichtmenschen noch ihr Sterben in vollen Zügen mitbekamen. Es war bedauerlich, doch leider auch unvermeidlich. Immerhin konnten sie nicht die Waffen senken und sich ergeben, denn dann würden sie alle sterben oder selbst zu Marionetten werden. Wieder und wieder waren Schreie von den Mischlingen zu hören, wenn sie verletzt oder getötet wurden. Es waren einfach zu viele. Billie legte einen Pfeil nach dem anderen auf und schoss, aber es fühlte sich so an, als wurden es nicht weniger Angreifer. Die Krieger auf den Boden mussten es genauso empfinden, denn auf jeden, den sie fällten, schienen mindestens drei neue Infizierte zu kommen. Dann sah sie es: Einer der Angreifer trug zwischen seinen Augen einen Pfeil. Das war das, was die Menschen auf dem Schlachtfeld berichtet hatten und der Grund, weshalb sie die Leichen zu entsorgen versuchten... Hier ist irgendwo ein vermaledeiter Nekromant! Er erweckt sie wieder zum Leben..., dachte sie fluchend. So konnten sie so viele töten, wie sie wollten und erreichten doch nur, dass sie seine Armee aus Untoten erweiterten. Vielleicht waren diese langsamer und etwas schwerer zu steuern, aber sie waren weiterhin tödlich und nahmen dadurch auch kein Ende. Ihre eisblauen Augen glitten kurz über das Schlachtfeld und zu dem Händler. Bisher war hier hinten alles in Ordnung. Wenn es einen Nekromanten gab, dann würde er sich hinter seinen Schergen aufhalten, um seine Magie in aller Ruhe zu wirken und selbst außer Gefahr zu sein. Viele solcher Magier waren keine wirklichen Kämpfer. Natürlich gab es auch hier Ausnahmen, doch sie musste nun einfach hoffen, dass derjenige keine war. Geschickt und schnell kletterte die Elfe von ihrem Baum herunter und huschte direkt durch die Reihen ihrer Verbündeten. Niemand von ihnen nahm sie wirklich wahr. Es tobte immerhin eine Schlacht! Nun konnte sie aber hoffen, dass es auch ähnlich unübersichtlich für die Angreifer zuging. Selbst der größte Kommandant konnte in solch einem Chaos leicht den Überblick verlieren! Leider galt das wohl nicht für die Infizierten. Sie merkten sofort, dass eine Elfe sich durch ihre Reihen schleichen wollte und sie spürten, dass sie keine von ihnen war. Vermutlich erkannten sie einander an der schwarzen Schlacke, die durch ihre Adern gepumpt wurde... Oder sie war ihnen im Gedächtnis geblieben, weil sie immerhin gegen den weißhaarigen Mann gekämpft hatte. Jedenfalls wurden Mistgabeln auf sie gerichtet, was überdeutlich machte, dass sie hier nicht einfach durchlaufen konnte. Rasch zog sie blank und wehrte eine Mistgabel gerade so ab, um im Anschluss schnell das Schild zur Hilfe zu nehmen. Damit konnte sie die nächsten Angriffe von sich ablenken, um nicht doch schon aufgespießt zu werden. Gezielt schlug die Blondine nach den Angreifern und durchschnitt dabei manche Kehle oder stach sie zumindest direkt in die Seiten. Jedes Mal, wenn einer dieser armen Seelen zu Boden ging, bildete sich eine schwarze Lache und sie wurden zu weinenden, bibbernden Kindern. Sie waren nicht bereit zu sterben... Aber sie hatten keine Wahl, weil Zodiaks Einfluss sie zu seelenlosen Kampfmaschinen machte. Trotzdem versuchte Billiana, sie nicht alle gleich sinnlos abzuschlachten. Manches Mal stieß sie die Angreifer auch nur mit dem Schild zu Boden oder ließ sie taumeln. Es waren einfach zu viele! Sie konnte schubsen, stoßen und stechen, aber es füllten sich die Lücken einfach wieder. So würde sie niemals weit genug nach hinten kommen, um den Ursprung dieser dunklen Magie zu finden und zu vernichten. Plötzlich fielen neben ihr zwei Bauern zu Boden. Sie ächzten und kurz darauf weinten sie. Die schwarze Schlacke verließ ihre Körper und machte sie wieder zu den Menschen, die sie einst mal gewesen sind. Als ihre blauen Augen sich hoben, erblickte sie Nestos, der ihr zunickte. Er würde wohl aufpassen, dass ihr zumindest der Rücken frei blieb. Es war wohl ihre einzige Chance, um sich endlich konzentrieren zu können! „Halte sie fern von mir!“, rief sie über die tosende Schlacht hinweg. „Zumindest so lange, wie du es schaffen kannst!“ „In Ordnung!“ Sofort kämpfte er sich vor die goldhaarige Elfe und versuchte die Kreaturen von ihr fernzuhalten, die nach ihrer Goldkehle gierten. Sie selbst hockte sich hin und malte einen Kreis in den aufgewühlten Boden und in diesen Kreis malte sie zahlreiche Symbole einer toten Sprache. Kurz darauf murmelte sie eine Formel der Macht, die dafür sorgte, dass die grobe Malerei zu leuchten begann. Erst nur ganz schwach, dann immer greller und alarmierender. Es überraschte die Blondine nicht, dass es die Besessenen aufmerksam machte und sie immer mehr danach gierten, sie angreifen und vernichten zu wollen. Für Nestos wurde es immer schwerer, sie irgendwie zu bändigen, doch es blieb ihm auch keine wirkliche Wahl. Sein Glück war es, dass auch Vylia sich zu ihnen durchgeschlagen hatte und ihm nun den Rücken freihielt. Alle anderen waren hinter ihnen beschäftigt, bekamen nun allerdings langsam Luft. Billiana hielt nicht inne. Sie ließ sich nicht von dem Geschrei und dem Klirren ablenken, sondern setzte die Formel einfach fort. Aus der Zeichnung heraus, erhob sich etwas. Es zeichnete sich erst kaum ab, wurde dann aber immer deutlicher. Kreisrund, wie es auch ihre Malerei war, doch es wurde allmählich zu Metall und innen strahlte Licht. Es kreisten mehrere verzierte Platten darin, als es sich aufrichtete und eine Unmenge an Platz einnahm. Für einen Moment wurde es vollkommen still auf dem Schlachtfeld, als wären die Gegner besiegt und alles entschieden, aber eigentlich starrten sie alle auf dieses mächtige Relikt aus alter Zeit. Ein Portal... Jene, die schon zur Unterwelt oder von der Unterwelt zur Oberwelt gereist waren, kannten dieses Tor sehr gut. Für jene, die keine Verbindung zur Zwischenwelt hatten oder der Magie bewandert waren, die für Schattenschritte nötig waren, mussten solche Portale nutzen, um zwischen den Welten zu reisen. In der Regel hatte aber noch kaum einer solch eine Reise tatsächlich unternommen. So etwas taten eher die Unterweltler, die unter grauenhaften Qualen aufwuchsen und eher die Flucht als mögliche Option betrachteten. Durch die Stille und dieses Staunen konnte man sich mit einem Schwert durchschneiden, wenn man wollte. Billie brachte es zum Grinsen. Es fühlte sich gut an, wenn ihre Magie noch dafür sorgte, dass Menschen und Nichtmenschen in stiller Übereinkunft starrten und nicht fassen konnten, was da gerade geschehen war. Ehrfurcht war genauso spürbar. Aber nicht deshalb hatte sie sich die Zeit genommen, ein eigenes Portal zu erschaffen, welches sie viel Kraft kostete, sondern um es auch zu öffnen. Das geschah mit einem Lichtblitz, der alle kurzzeitig blendete. Keuchend griffen sie sich nach ihren Augen und verfluchten diese bösartige, fremde Magie. Als sie endlich die Augen wieder öffnen konnten, sahen sie durch die Relikte - die weiterhin kreisten - im badenden Lichteinfall eine andere Welt. Nur schemenhaft, doch es war ganz klar, dass es sich nicht um die Oberwelt handelte. Dort war der Himmel in einem gräulichen Orange gefärbt und es sah ausgetrocknet aus – fast leblos. Wenn die verharrenden Krieger die Augen schlossen, dann konnten sie den Geruch von Schwefel einatmen, aber auch von Verwesung und etwas, was sich giftig anfühlte. Die Unterwelt konnte für jene tödlich sein, die nicht an ihr Ökosystem gewohnt waren, doch das galt auch umgekehrt. Es war eine langsame Umgewöhnung notwendig, um lange oder dauerhaft in einer anderen Welt leben zu können. „Es ist ratsam, wenn ihr euch hinter mich stellt.“, sagte die goldhaarige Elfe und brach damit die unendliche Stille. Es riss alle aus ihrer Trance und sorgte dafür, dass Nestos und Vylia sofort der Aufforderung folgten, um sich hinter die Magierin zu flüchten. Sie schnippte. Mit einem Schlag erweiterten sich die Ornamente und hörten auf zu kreisen. Ein klares Bild der Unterwelt wurde sichtbar. Jedenfalls für einen kurzen Augenblick konnten sie in das Antlitz dessen gucken, was Menschen gerne als >Hölle< bezeichneten. Das war keineswegs zutreffend, sondern einfach nur närrisch. Die Besessen wollten angreifen und das Tor zerschlagen, doch es war bereits zu spät. Erst waren nur verzehrte Gesichter zu erkennen, dann schossen ganze Gestalten hervor. Es waren sogenannte >Seelenfänger<. Sie besaßen keine Augen, denn sie sahen mit ihren Sinnen, jedoch waren ihre Mäuler dafür umso größer. Gepflastert waren diese Mäuler mit spitzen, zahlreichen Fangzähnen, die sie noch unheimlicher machten. Statt Hände hatten sie riesige Klauen, die sich an ihren Füßen fortsetzten. Ihre hünenhafte Gestalt war nur mit einem Lendenschurz bekleidet und zeigte sonst deutlich die muskulöse Statur. Hörner rankten aus ihren Körpern hervor, wie Dolche, die einen Leib durchbohrten. Doch was für die Menschen wohl das Unheimlichste darstellte, waren die riesigen Fledermausflügel, deren Membran zum Teil zerrissen waren. Das waren jene Monster, von denen die Menschen ihren Kindern berichteten. Solche Kreaturen fürchteten sie bei dunkelster Nacht und fürchteten um ihre Seele, weil solch eine Bestie sie sich holen könnte. So etwas nannten sie einen Dämon! Das kam einer solchen Bestie wohl auch am nächsten, da sie tatsächlich Seelen von den Toten auflesen konnten. Jener Prozess war aber anders als bei einem Schattenwolf. Sie sammelten die Seelen für die Zwischenwelt und ihre Königin, aber Seelenfänger nutzten die Kraft der Seelen, um sich selbst zu stählern. Je mehr Seelen solch eine Kreatur gesammelt hatte desto größer und kräftiger war sie auch. Billiana war nicht dumm, also hatte sie Seelenfänger von mittlerer Größe beschworen, um nicht ein noch größeres Massaker anzurichten als die Besessenen. „Nun werde ich euch das Fürchten lehren.“, zischte die Elfe bitterböse. „Sie gehören euch.“ So etwas ließen sich die Kreaturen nicht zwei Mal sagen und stießen einen markerschütternden, schrillen Ton aus. Es war eine Art Kampfschrei, sollte aber auch Artgenossen klarmachen, dass es Zeit war zu kämpfen. Am liebsten agierten sie nämlich als Rudel, obwohl sie auch einzeln absolut tödlich waren. Die Seelenfänger schlugen einige Male mit ihren Schwingen und begaben sich so über die Köpfe der beiden Parteien, während alle Augen sie dabei beobachteten und kaum fassen konnten, was da vor sich ging. Als sie sich in schwindelerregenden Höhen befanden, begann es: Sie stürzten sich auf ihre Feinde herab und zerfetzten ihre Körper. Erstickte Schreie erklangen von nah und fern, während das rote Blut sich mit der schwarzen Schlacke vermischte. Körperteile flogen über den Boden und standen in einem absurden Einklang mit dem Erstrahlen der gestohlenen Seelen. Immer wieder wurden die Todesschreie von dem schrillen Kampfruf der Unterweltler begleitet, die keine andere Sprache kannten als diese. Rasch berührte die goldhaarige Elfe das Portal, wodurch die Ornamente sich wieder darüber ausbreiteten und kreisten. Noch mehr Bestien wollte sie vorerst nicht beschwören. Sie zu kontrollieren, war wirklich schwierig genug. Es gab noch ganz andere Schrecken in der Unterwelt, über die sie niemals auch nur ansatzweise eine Kontrolle bekam und jene würden sie auch nicht als ihre Gebieterin anerkennen. Als sie sicher war, dass es vorerst kein Durchdringen gab, drehte sie sich zu den entsetzten Mischlingen: „Bewacht das Portal! Lasst nicht zu, dass diese Idioten es zerstören.“ „J-Ja... Ja, natürlich!“, antwortete Vylia bibbernd. Diese armen Seelen würden die nächsten Nächte nicht ohne dunkle und grauenhafte Albträume verbringen... Es tat Billie auch leid um ihren Seelenfrieden, doch es war eine außergewöhnliche Maßnahme gewesen, um eine noch außergewöhnlichere Schlacht zu kippen. Um ihre Verbündeten nicht noch schlimmer fürchten zu lassen und ihren Verstand zumindest noch ein bisschen zu bewahren, preschte sie voran. Mit dem Schwert hieb sie einige der Besessenen nieder und ließ sie blutend auf dem Boden zurück. Sie suchte einen großen, dunklen Schatten, was auf einem offenen Feld gar nicht so einfach war... Erst nach einigen rollenden Köpfen - die nicht ihr zu verschulden waren, sondern den Seelenfängern - fand sie endlich einen großen Felsen, der durch die Lagerfeuer einen ebenso großen Schatten warf. Im Augenblick waren die Infizierten noch abgelenkt und versuchten den neuen Feinden irgendwie etwas entgegen zu setzen, was ihr Zeit gab, einen wesentlich kleineren Kreis zu malen, der andere Zeichen besaß und auch eine andere Zauberformel benötigte. Das ging viel schneller und der Prozess konnte sogar noch kürzer ausfallen, wenn sie größere Schatten und mehr Kraft zur Verfügung hatte. Beides war gerade rar... Doch es reichte, um ein viel kleineres Portal zu erschaffen, welches Ereinion ermöglichte, aus der Zwischenwelt zu springen. Sofort im Anschluss zersprang das Tor. Es war eine Einmalmöglichkeit für einen paktierten Schattenwolf, die Zwischenwelt zu verlassen und an der Seite seines Beschwörers zu kämpfen. Er wirkte jedoch noch etwas angeschlagen von der letzten Schlacht... „Kannst du kämpfen?“, fragte Billie etwas besorgt. Ereinion hatte noch die nebelhafte Gestalt der Zwischenwelt und bewegte sich einige Male hin und her. Es wirkte so, als habe er nicht die Kraft, eine fleischliche Hülle anzunehmen. Sie täuschte! Nur einige Herzschläge später, bildete sich daraus die Gestalt des gigantischen, schwarzen Wolfes, der an einigen Stellen rote Symbole leuchten hatte. Dessen rotleuchtenden Augen wandten sich auch direkt an seine Gebieterin: „Natürlich.“ „Hier muss irgendwo ein Nekromant sein, Schatti... Er beschwört die Toten wieder herauf und lässt so nicht zu, dass wir siegen können.“ „Das sollte kein Problem sein.“ Vielleicht für dich... Du spürst vermutlich schon, wo er sich befindet, aber ich könnte mich dumm und dämlich suchen!, dachte die Elfe fluchend und hasste es, dass sie so abhängig von dem Schattenwolf war. Er hockte sich hin, damit sie auf seinen breiten Rücken steigen konnte. Heute war er ausgesucht freundlich... Vielleicht hoffte er, dass sie ihn dann aus unmöglichen Kämpfen heraushielt und ihn nicht erneut gegen so einen Gegner kämpfen ließ wie den weißhaarigen Mann. Oder es war ihm eine Lehre gewesen... An sich spielte es aber keine Rolle. Sie mussten das Blatt wenden und das schafften sie nicht mit den Kreaturen der Unterwelt. Der Schattenwolf wusste es und lief los. Nicht so schnell, wie es Billiana gewohnt war, was ihr klarmachte, dass er danach eine längere Zeit der Ruhe brauchte. Der Kampf hatte ihn mitgenommen, genauso wie sie selbst und sie konnte nicht riskieren, dass er am Ende noch starb. Dafür, dass er so angeschlagen wirkte, kam er allerdings gut voran. Auf dem Weg sprang er zwei Männer um und riss ihnen ihre Kehlen auf, um ihre Seelen zu rauben. Ein guter Weg, um seinen alten Zustand zurückzuerlangen und sich schneller zu erholen. Leider wurde jeder Tote einfach wieder auf die Füße gebracht, auch wenn sie danach offenbar nicht mehr mit der schwarzen Schlacke infiziert werden konnten. Die mangelnde Seele war vielleicht der Grund... Die anderen Toten waren immerhin weiterhin besessen. Darüber musste sie unbedingt mehr in Erfahrung bringen! Nun aber konzentrierte sich Billiana eher auf das Schlachtfeld. Während des Ritts verstaute sie Schwert und Schild, um stattdessen den Bogen von ihrem Rücken zu nehmen. „Langsamer, Schatti.“, mahnte die Blondine. Der Schattenwolf drosselte sein Tempo und sah sich um, konnte aber offenbar nichts Interessantes entdecken: „Wieso langsamer?“ Auf diese Frage gab sie keine Antwort. Stattdessen zielte die goldhaarige Elfe und erwischte einen Mann genau zwischen den Augen. Er krachte zu Boden und kurz darauf floss die schwarze Schlacke aus ihm heraus. Ereinion sprang voran und verbiss sich in dessen Körper, um die blauleuchtende Seele zu entwenden. Dann preschte er weiter voran und stellte keine weiteren Fragen mehr, während sie von seinem Rücken aus, weitere Pfeile abgab. Vielleicht war es besser, wenn sie seelenlosen Kreaturen wurden und so nicht mehr infiziert werden konnten. Jeder Nekromant konnte nur eine begrenzte Anzahl von Dienern beschwören. Trieb er es zu weit, würde er die Kontrolle verlieren! Zodiak konnte ihm dann auch nicht mehr helfen, um die Untoten von sich abzubringen, die sich für ihre Entweihung grauenhaft rächten, wenn sie die Chance dazu bekamen. Also schoss sie eifrig weiter und ließ den Schattenwolf seinen Tribut einfordern. Alle gewannen etwas dabei auf lange Sicht.   Ihr Ritt durch die Feinde verlief weitgehend gut, was auch den Seelenfängern zu verdanken war, die ein wahres Blutbad anrichteten. Inzwischen mussten sie sich sogar auf ihre Sinne und Instinkte verlassen. Kein Lagerfeuer erleuchtete ihnen noch das Schlachtfeld, was das Unterfangen nicht einfacher machte. „Da vorne ist es!“, knurrte Ereinion in den Kopf der Beschwörerin. Mit seiner Schnauze ruckte er vor, damit sie wusste, was er meinte. Zwischen all den Kämpfen stand ein Mann. Ganz alleine, aber auffällig. Um ihn herum lagen einige Skelette, die gewiss sofort aktiv wurden, sobald ein Feind ihm zu nahekam. Gerade Unwissende konnten so in eine absolut tödliche Falle gelockt werden. In letzter Zeit schien Billie ein Händchen für große Männer zu haben. Schätzungsweise war er fast zwei Meter groß und er war von drahtiger, aber dennoch muskulöser Gestalt. Das schwarze Haar hang ihm lang und glatt bis zu den Schultern und gab ihm eine erhabene Ausstrahlung. Seine blasse Haut ließ ihn so wirken, als wäre er selbst eine der beschworenen Toten. Wäre er nur noch etwas blasser, dann könnte er sich vor eine weiße Mauer stellen und hätte dann eine perfekte Tarnung. Um seine Sicherheit fürchtete er auf gar keinen Fall, denn er trug nur eine Lederhose und ein weißes Hemd. Wenn er darunter ein Kettenhemd hatte, dann war es zumindest ausgezeichnet getarnt. „Er muss der Nekromant sein.“, sagte der Wolf deutlich. „Er strahlt eine große Macht aus, die ich bis zur Zwischenwelt spüren konnte.“ „Alles klar.“, erwiderte Billiana gefasst. „Dann kannst du wieder zurück und dich ausruhen.“ „Wie bitte?!“, empörte sich der Schattenwolf. „Erst rufst du mich, dann darf ich als Pferd dienen und schließlich schickst du mich weg? So nicht!“ „Aber... Dir geht es offenbar noch nicht gut.“ „Lass‘ das gefälligst meine Sorge sein! An solchen Seelen habe ich ein besonderes Interesse.“ Das stimmte sie stutzig und ließ sie noch einen Blick auf den unbekannten Mann werfen. Er sah nicht besonders aus... Natürlich durchaus gutaussehend, aber nicht mächtig oder beängstigend. Die Macht pulsierte um ihn, doch war es wirklich so enorm? Geistesabwesend klopfte sie dem Tier auf die Schulter: „Dann wird es Zeit...“ „Streng‘ dich dieses Mal richtig an.“ Als Antwort bekam er ein Knurren, das tief aus der Kehle kam. Billiana verstaute derweil den Bogen und zog nur das Schwert und just in diesem Moment stürmte der Schattenwolf los. Es war immer noch Nacht und er konnte die Dunkelheit nutzen, um mit ihr darin zu verschwinden. So überwanden sie die letzten Meter ungesehen. Die goldhaarige Elfe nutzte den Schwung des Laufes und sprang von Ereinions Rücken mit erhobener Klinge. In diesem Augenblick wurde sie wieder sichtbar, doch es war zu spät für die untoten Wächter. Nicht aber für den Nekromanten, um auszuweichen und seinen Degen zu ziehen, um sich für diesen Kampf zu wappnen. „Beeindruckend.“, sagte der Schwarzhaarige. „So weit ist bisher keiner gekommen.“ „Dann bin ich also deine Erste? Ich werde ganz zärtlich sein.“ Er grinste unbeeindruckt, akzeptierte jedoch ihre Lässigkeit. Derweil stürzte sich der Schattenwolf auf die Skelette und riss sie zu Boden. Hier gab es kein Fleisch mehr, das er zerfetzen könnte, also musste er sich daranmachen, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen. Das klang einfacher als es war. Immerhin besaß er keine geschickten Hände und konnte auch kein Werkzeug zur Hilfe nehmen... Trotzdem versuchte Ereinion sein bestes, indem er mit seinen Pranken auf die Skelette einstampfte oder mit seinem Kiefer versuchte, zumindest kleine oder poröse Knochen zu zerbersten. Der dunkelhaarige Nekromant winkte derweil die Elfe zu sich heran. Eine eindeutige Aufforderung zum Kampf, die er keineswegs wiederholen musste. Mit gezogenem Schwert preschte Billie voran und holte zu einem horizontalen Schlag aus, dem er tänzelnd entging und dann mit dem Degen zustach. Diesen Hieb lenkte sie mit ihrem Schwert rechtzeitig ab und trat nach dem Mann. Mit solch einem schmutzigen Kampfstil hatte er nicht gerechnet und bekam ihren Lederstiefel direkt in die Rippen. Das brachte ihn ein bisschen ins Straucheln, wodurch sie ihm einen Schnitt an der Wange verpassen konnte. Das rote Blut tropfte und machte deutlich, dass er kein Infizierter war. Da war keine Besessenheit durch Zodiak... Er war also eine Art Verbündeter. „Als er meinte, dass er einen Markrhon hervorlocken wolle, habe ich nicht mit dem jüngsten Kind gerechnet.“, sagte er plötzlich und ließ die Elfe blinzeln. „Das geliebte Töchterlein, das als einziges Kind wohl unter einem guten Stern geboren wurde.“ „Wer bist du?“ Der Hüne breitete seine Arme aus und zeigte eine lächerliche Show von Empörung: „Ihr enttäuscht mich, Prinzessin. Das wisst Ihr nicht mehr?“ „Würde ich denn fragen, wenn ich es wüsste? Du hast offenbar keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.“ „Offensichtlich... Aber es ist nie zu spät.“ Seine langen Finger strichen über die blutende Wange und ließen dann die Blutstropfen Richtung Boden fallen. Nur kamen sie dort nie an. Als wären die Blutsperlen an Fäden auf gehangen, blieben sie in der Luft stehen. Zu ihrer Gesellschaft schnitt er sich seinen Unterarm auf und erweiterte die Sammlung der fliegenden Blutstropfen. „Oh... Wage es ja nicht!“, knurrte die Blondine. Sein Grinsen machte deutlich, dass er es wagen würde. Sofort nahmen die Blutstropfen andere Formen an und wirkten wie rote Nadeln oder sehr feine Messer. Er wollte ihr keine Chance lassen, sich zu wappnen und bewegte die Hände ruckartig nach vorne, wodurch seine Blutsnadeln sofort auf sie zuschossen. Billiana schaffte es nicht rechtzeitig den Schild von ihrem Rücken zu nehmen und ihn schützend vor sich zu halten. Zahlreiche der Blutfontänen durchbrachen ihren Körper und durchschnitten die Haut und das Fleisch, als seien sie aus Butter. Hinter ihr zersprangen die magischen Waffen und besudelten den Boden. Aus ihren eigenen Wunden trat genug Blut aus, um in eine kritische Situation zu kommen. Nicht nur durch Schwäche, sondern auch, weil er ihr Blut genauso gegen sie einsetzen konnte. „Bastard!“, zischte sie wütend und griff nach ihrem blutenden Oberarm. Es brannte und zog überall. Eigentlich wusste die Elfe gar nicht, wo sie hin greifen sollte... „Hey, halt‘ meine Eltern da heraus!“, amüsierte sich der Schwarzhaarige. „Sie waren ehrbare Leute und verheiratet. Du bist immer noch das, was einem Bastard am nächsten kommt.“ Unrecht hatte der Nekromant damit nicht. Ihre Eltern waren zwar wahnsinnig verliebt gewesen, hatten aber niemals geheiratet. Soweit sie wusste, hatte es eine Verlobung gegeben, doch die Eheschließung hatte Eva niemals erlebt. Genauso wenig wie das Großwerden ihrer Tochter... In diesem Augenblick hasste sie den Blutmagier ungemein. Er hatte sie verletzt und an schmerzhafte Tatsachen erinnert. Vielleicht kam er sich nun mächtig vor und ungemein klug, doch zahlreiche Männer hatten sie bereits unterschätzt. Das würde auch ihm nicht gut bekommen! Dein Grinsen wische ich dir aus deinem verdammten Gesicht!, fluchte die Blondine innerlich. Die Wut in ihr wollte nicht sterben. Sie wuchs zu einem ungesunden Geschwür heran, das irgendwann platzen würde. Eine typische Markrhon-Krankheit. Er wog sich in Sicherheit und warf einen Blick auf seine vier Skelette, die inzwischen nur noch zu zweit waren. Gegen Ereinion sahen sie alt aus. Zwar fehlte ihnen das Fleisch und ihre Seelen waren längst fort, doch er war kräftig und schnell. Außerdem hatte er noch ein Gehirn und diese wandelnden Relikte nur Staub. Die Ablenkung nutzte die Elfe und hob ihre Hände mit geflüsterten Worten der Macht. Einige nahe Felsen schlossen sich zusammen und nahmen die Gestalt eines riesigen Steinsoldaten an. Solch eine Bestie besaß keinen Verstand und musste von ihr gesteuert werden, doch dadurch hatte es auch keinen eigenen Willen und entsprach stets ihren Wünschen. Als der Nekromant sich wieder zu ihr drehte, staunte er nicht schlecht. Mit diesem Golem hatte er definitiv nicht gerechnet. „Wir können doch über alles reden, Teuerste.“ Billiana verengte ihre blauen Augen und schüttelte direkt den Kopf: „Die Zeit des Redens ist vorbei. Nun ist die Zeit des Handelns angebrochen.“ Der Steingolem brauchte keine Worte als Befehl. Ihm reichten die Gedanken und Vorstellungen seiner Beschwörerin, die sich nun etwas weiter hinten halten konnte. Verletzt kämpfte es sich nicht gut, aber mit ihrem neuen Freund musste sie es auch nicht versuchen. Der bewegte sich zwar schwerfällig, schlug jedoch artig nach dem Schwarzhaarigen, der eine Ausweichrolle unternahm. Er entging dem Gestein nur sehr knapp. Unter der Steinfaust bildete sich ein enormer Krater, in dem Billie gerne die Überreste des Feindes gesehen hätte. Bevor der Magier überhaupt seine Sinne sammeln konnte, holte der Golem schon wieder aus und schlug nach ihm. Wieder entging er nur knapp dem sicheren Ende. Er war einfach zu langsam! Kraft war eben nicht alles und konnte auch unmöglich ausreichen, um solch einen Typen zu besiegen, das wusste sie sehr genau. Erneut holte ihre beschworene Kreatur zum Angriff aus und dieses Mal schloss sie sich an. Der Mann wich aus und bekam direkt ihre Klinge zu spüren, die sich tief in die Seite bohrte. Er keuchte ungläubig auf und riss sich von dem Schwert los, auch wenn er die Wunde offen bluten ließ. Ihm war anzusehen, dass ihn die neue Entwicklung sehr unglücklich machte und allmählich die Wut hochkochte. Als sie dieses Mal die Kontrolle über den Golem übernahm und ihn erneut nach ihm schlagen ließ, wich er nicht nur einfach aus, sondern sprang Billiana regelrecht an! Sie kullerten über den weichen Boden und verloren ihre Waffen dabei. Gerade, weil er die Riemen ihres Schildes einfach aufriss und den Bogen praktisch von ihrem Rücken warf. Es war nicht in seinem Sinne, dass sie weiterhin bewaffnet blieb. Da sie sich so nicht länger auf den Golem konzentrieren konnte, zerfiel er in seine Einzelteile und war einfach nur noch ein wertloser Haufen Steine. Die ideale Chance für den Nekromanten, um sich über sie zu lehnen und nach ihr zu schlagen. Der erste Fausthieb traf sie direkt ins Gesicht! Es knackte böse, als das Nasenbein brach. So schossen auch viele Schmerzen durch ihren Kopf und betäubten einen Moment lang ihre Sinne, sodass sie kaum sein Gesicht erkennen konnte, obwohl es direkt vor ihr war. Der nächste Schlag richtete sich gegen ihr rechtes Auge und sorgte für weitere Schmerzreize. Endlich fand sie die Kraft, um sich zu wehren und trat ihm mit dem Knie genau in den Magen. Er keuchte und rächte sich direkt, indem er ihr mit flacher Hand auf den Brustkorb schlug. Es trieb ihr die Luft aus! Sofort sprang der Blutmagier auf und trat ihr direkt in die empfindliche Seite. Es fühlte sich an, wie ein Déjà-vu... Nur hatte dieser Mann keine weißen Haare und wirkte wesentlich menschlicher. Gerade, als er wieder zutreten wollte, sprang Ereinion ihn an und riss den Magier auf den Boden. Die scharfen Fangzähne bohrten sich in den linken Arm, mit dem er versuchte, das Gesicht zu verteidigen. Natürlich bremste es den Schattenwolf nicht, der seine Klauen nun in den Bauch drückte und mit der anderen Pfote den Schwarzhaarigen auf den Boden hielt. Er war dem Tier gerade wehrlos ausgeliefert. Solche Verletzungen würden ewig dauern, um zu verheilen... Wenn er kein Unsterblicher war, dann würde er vermutlich sogar daran sterben. Eines war jedoch sicher: Wenn Ereinion es schaffte, seine Kehle zu bekommen, dann war er tot! Und zwar endgültig... Das war ihm offenbar genauso klar und er nutzte das ganze Blut, das seinen Körper verließ und auch das, was Billiana nicht in sich behalten konnte, um den Wolf mit einer Welle aus Blut von sich zu wischen. Es drückte Ereinion zu Boden, als hatte der Hüne vor, ihn mit dem Blut zu ertränken. Genauso hechelte er auch und strampelte mit den Beinen, um irgendwie der Lache zu entkommen. Es sah grotesk aus, wie eine Blutblase solch einen Schaden anrichten konnte und aus einem starken Tier, einen Fisch machte, der an einen Strand gespült worden war. Immer mal wieder war ein gurgelndes Winseln zu hören, das stets schwächer wurde. Seine rotleuchtenden Augen starrten Billie an, als wollte er ihr etwas sagen. Bestimmt jene Worte, die er bei ihrem Pakt ausgesprochen hatte... Irgendwann wirst du mein Tod sein..., dachte sie verbittert und hievte sich selbst hoch, Aber nicht heute. So schnell lasse ich dich nicht gehen. Ihre blutigen Finger griffen nach dem Bogen und einem Pfeil. Sie hatte nur diese eine Chance! Alle anderen Pfeile hatten sich durch das Gerangel auf den ganzen Boden verteilt und waren durch die Dunkelheit kaum auszumachen. Es gab keine Zeit, um lange zu zielen. Dies war die Zeit zum Handeln... Also spannte die Elfe den Pfeil und schoss. Er durchbohrte die Schulter des Nekromanten, der keuchend zu Boden ging, während die Blutblase zersprang. Kaum war der Schattenwolf frei, verschwand er auch in der Dunkelheit. Sie wusste, dass er in der Zwischenwelt war und er ohne sie nicht wieder zurückkehren konnte. Vermutlich war es auch besser so... So war er in Sicherheit und musste sich nicht weiter mit diesem Mann herumschlagen. Billiana war endlich wieder auf den Füßen und hielt ihr Schwert an die Kehle des Magiers, dessen roten Augen wütend zu ihr hinauf starrten. Sie war vollkommen gefasst und gelassen: „Das ist nicht mehr lustig, Andras.“ „Also erinnert Ihr Euch doch, Prinzessin?“, hinterfragte er außer Atem. „Habt Ihr es doch die ganze Zeit gewusst?“ „Du dienst meinem Vater.“ „Euer Vater will meinen Dienst nicht.“ „Und du offenbar nicht seine Herrschaft.“, zischte sie und spuckte direkt neben seinen Kopf Blut aus. „Das ist Verrat. Egal, wie du es auslegst.“ Andras verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse, die deutlich machte, dass er von diesem Wort nicht sehr viel hielt. Vielleicht sah er sich selbst auch nicht als einen Verräter, sondern eher als Befreier. Viele, die sich gegen ihren Vater stemmten, sahen sich als solche an und zerschellten dann an dem Widerstand. Seine roten Augen blieben ungebrochen, als er erneut das Wort an sie richtete: „Dann solltest du deine Pflicht tun, Prinzessin. Was tut dein Vater mit Verrätern?“ „Ich bin da gnädiger als er.“ Mit Schwung holte sie aus und hatte vor, das Schwert direkt in die Kehle des Nekromanten zu stechen. Falls er ein Unsterblicher war, dann würde sie die Klinge einfach stecken lassen, bis auch diese Macht ihn nicht mehr schützen konnte und sein Leben aus seinen Fingern wich. Es würde einiges vereinfachen. Andras sah dies offenbar anders und hob die Hand. Kurz darauf schossen einige Kugeln aus Blut hervor und glitten direkt in den Mund der Blondine. Da sie nicht darauf vorbereitet war, konnte sie nichts unternehmen und es wanderte direkt in ihren Hals. Es fühlte sich ein bisschen so an, als würde es sich ausdehnen und verhärten. Auf diese Weise bekam sie keine Luft mehr und verlor nach und nach die Kontrolle über ihre Muskeln, sodass sie auch schwächlich das Schwert fallen ließ. Es landete direkt neben seinen Kopf und verfehlte ihn nur knapp. Pures Glück, das wusste der Blutmagier durchaus. „Wie lange kannst du so überleben, Prinzessin?“, hinterfragte er bitterböse. „Sicherlich überlebe ich es länger als du. Ich bin auch ziemlich mitgenommen, aber meine Wunden werden heilen.“ Darüber konnte die Elfe nicht lachen, die auf den Knien zusammensackte und ein Stoßgebet ausstieß. Gott hatte vielleicht die Welt vieler verlassen, doch etwas in ihr klammerte an der Vorstellung, dass dieser liebende Vater über sie und viele andere wachte. Letztendlich auch durch den festen Glauben ihrer verstorbenen Mutter. Doch es kam keine Hilfe. Ihr wurde immer schwindliger und schlechter, während vor ihrem geistigen Auge ein Bild ihrer lächelnden, wunderschönen Mutter auftauchte, die sie kaum gekannt hatte und die ihr dennoch so sehr fehlte. Stets hatte Hades gesagt, dass sie einst die schönste Frau auf Erden gewesen sei und sie wusste, dass es wahr war. Niemand konnte ihr Licht erblassen lassen – selbst der Tod nicht.    „Hinter den Pässen soll es zu einer gigantischen Schlacht gekommen sein, Mylord.“, berichtete ein Botschafter mit straffen Schultern. Manche Männer hatten noch Haltung und wussten sich angemessen zu betragen. Selbst dann, wenn sie niedere Dienste verrichten mussten. Das verdankte dieser Mann Elwalir, der einen tiefen Hass gegen den Menschen hegte, dessen Ursprung Wyrnné nicht kannte und auch nicht hinterfragte. „Woher wissen wir das?“ „Die Späher, Sir...“, erinnerte er den Schwarzhaarigen. „Sie wagten sich weiter hinaus, weil Lärm zu hören war und an den Himmeln flogen gigantische Kreaturen herum. Sie sollen ausgesehen haben, wie aus einem wahrgewordenen Albtraum.“ „Konnten sie es beschreiben?“ „Viel besser... Einer hat sie gemalt.“ Wyrnné winkte den Boten heran, der sofort nähertrat und eine Schriftrolle aus dickem Pergament entfaltete. Darauf befand sich wirklich eine beeindruckend detaillierte Malerei von einer geflügelten Bestie ohne Augen, die er durchaus aus der Unterwelt kannte. Zwar war er nur einmal sehr kurz da gewesen, doch solche Kreaturen prägten sich ein. Nur leider wusste er nicht mehr, wie sie solche Ungeheuer schimpften... Das Ratsmitglied wusste aber noch, wie ihr Schrei das Mark erschütterte. Seine grünen Augen hoben sich zu dem ausgebildeten Soldaten aus gutem Haus, der als Bote versauerte: „Wer hat das gemalt? Das ist großartig geworden.“ „Sarazin, Sir.“, antwortete er sofort. „Seine Familie waren wohl einst große Künstler.“ „Das habe ich nicht gewusst...“ „Zu Zeiten wie diesen, Sir, braucht die Welt keine Künstler, sondern Soldaten. Er hat sich gerne gemeldet und dient mit vollem Einsatz seines Herzens. Danach kann er immer noch Künstler werden.“ Damit hat er eine bessere Einstellung, als viele unserer Anführer! Er schiebt seine Wünsche auf, um einem größeren Wohl zu dienen und größer zu sein als er selbst. Gerade Elwalir könnte sich davon eine Scheibe abschneiden..., überlegte Wyrnné und wusste doch, dass der Elf das niemals tun würde. Er wurde von niederen Gelüsten angetrieben und schien auch aus nichts anderem zu bestehen. „Konnten die Späher sonst noch etwas berichten?“ „Nein, Sir.“, sagte er und straffte sofort wieder seine Schultern. „Es waren nur definitiv Erkrankte, aber gegen wen sich ihr Zorn gerichtet hat, wissen wir nicht.“ „In welcher Richtung entfachte der Kampf?“ „Im Norden.“ Der Heerführer versteifte sich sofort und ahnte schon, dass auch Billie etwas damit zu tun gehabt hatte. Wenn es wirklich derartig ausgeartet war, dann war sie sicherlich nicht daran vorbeigekommen. Außerdem würde das erklären, wieso die Bestien der Unterwelt einfach an der Schlacht teilgenommen hatten. Normalerweise versuchten sie sich möglichst unentdeckt zu verhalten, wenn sie schon die Oberwelt aufsuchten. Es machte ihn rasend, dass er nicht nachgucken konnte! Früher wäre es kein Problem gewesen, wenn er aufgebrochen war, um Unruhen zu prüfen und eventuelle Aufstände zu zerschlagen, aber da war er auch noch nicht zum Anführer der Armee ernannt worden. Nun hatte er so viel Macht und war in der Politik so weit nach oben gekommen und war dennoch hilflos! Es ärgerte ihn ungemein. Kaum einer verstand es, dass er sich in seiner Position unbehaglich fühlte und er sich gerne mehr Möglichkeiten zum Handeln wünschte, denn kaum einer kam je an so viel Macht. Jene, die es schafften, starben zumeist jung. Nicht, weil sie Schlachtfelder überprüften, sondern weil Attentäter ihre Bettstätte aufsuchten. Gerade als er noch über einen eventuellen Anschlag nachdachte, erhellte sich sein Gesicht: „Was ist mit diesen Zwergen?“ „Mylord...?“, hinterfragte der Bote sichtlich verwirrt und verstand nicht, worauf er hinauswollte. „Es gab doch Streit, ist es nicht so? Waren sich die Zwerge nicht uneinig, wie sie mit der neuen Situation umgehen wollen?“ „Ja, Sir, das ist durchaus zutreffend.“ „Soweit ich gehört habe, wurde dabei ein Clan ausgestoßen und soll demnächst ausgesiedelt werden, ist das zutreffend?“ Der Bote nickte: „Das ist korrekt. Es ist eine nette Formulierung dafür, dass sie sie verstoßen wollen.“ „Dieser Clan war für die Rettung der Menschen und dafür, sie an sichere Orte zu bringen, solange es noch möglich ist.“, sagte Wyrnné durchaus zufrieden. „Der Rest möchte in den Minen bleiben und sich fernhalten von der Schlacke. Sie meinen, wenn sie nicht damit in Kontakt kommen, sind sie außer Gefahr.“ „Ihr seid sehr gut informiert, Herr, doch worauf wollt Ihr hinaus?“ „Wenn diese Zwerge sich gegen die eigenen stellen, weil sie für die Rettung aller sind, dann weiß ich eine Aufgabe für sie.“ „Wollt Ihr sie etwa zu dem Schlachtfeld schicken?“ Wyrnné nickte: „Wenn sie sich nun unter Beweis stellen und zeigen, dass sie recht haben, dann hören die anderen Zwerge ihnen auch wieder zu. Es ist die ideale Möglichkeit.“ „Es gibt nur einen Haken...“ „Und welcher soll das sein?“ „Die meisten Zwerge gehorchen nicht den Befehlen eines Menschen...“, erinnerte der Mann ihn behutsam. „Zwar haben sie sich dem großen Rat angeschlossen und versuchen sich in der Politik, aber das geschah auch eher unter Druck.“ Stille kehrte ein. Leider traf das durchaus zu... Politiker waren die Zwerge keine und sie waren auch niemals große Redner gewesen. Eher Krieger und Schmiede. Solch ein starrköpfiges Volk zu überzeugen, konnte eine wirkliche Herausforderung sein! Aber er wäre kein so gutes Ratsmitglied, wenn er sich nicht darauf verstehen würde, mit solchen unangenehmen Gesellen verhandeln zu können. Seine grünen Augen hoben sich deshalb wieder: „Bringt ihren Anführer zu mir.“ „Sehr wohl.“ Er ist wirklich ein guter Mann... Ich sollte ihn rehabilitieren. Elwalir ist nur ein kleines Ratsmitglied, dessen Macht immer weiter sinkt und ich brauche gute Männer in meiner Armee. Da ist er besser aufgehoben... Solch ein Thema würde er zu einer späteren Zeit ansprechen. Jetzt wollte er sich erstmal um eine Angelegenheit kümmern, die seinem persönlichen Interesse galt, auch wenn es egoistisch wirken konnte. Oft genug hatte er sich zurückgestellt. Zu oft hatte er dabei gelitten... Nur dieses eine Mal wollte er das Gefühl haben, dass er aus eigenem Antrieb das Richtige tat und vielleicht auch Leben dabei rettete. Der Anführer des Clans ließ ihn immerhin nicht lange warten. Wie Zwerge eben waren, war auch er von kleiner, aber stämmiger Statur. Wyrnné schätzte ihn auf etwa einen Meter vierzig, konnte es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Der braune, lange Bart machte deutlich, dass er bereits zu den älteren gehörte und viel Erfahrung mit sich brachte. Seine braunen Augen waren klug. Klüger als von den meisten seiner Art. Die wettergegerbte Haut signalisierte, dass er kein Mann war, der ständig drinnen hockte oder sich aus schwierigen Aufgaben zurückzog, sondern der sich auch schmutzig machte. Vor allem stach aber die Streitaxt auf seinem Rücken hervor, die größer als er selbst war. Ihr Gewicht müsste ihn herunterziehen, doch der Zwerg stand vollkommen gerade vor ihm. „Ihr habt nach mir verlangt?“, erkundigte er sich mit einer tiefen, kratzigen Stimme, die nicht feindselig klang. Aber vielleicht verbarg er auch düstere Gedanken hinter einer Maske aus Gleichgültigkeit. „Wie lautet Euer Name?“ „Argrim Jalgat.“ „Jalgat?“, hinterfragte Wyrnné überrascht. „Wie Kazagar Jalgat?“ „Das ist durchaus zutreffend.“ „Er war ein wirklich außergewöhnlicher Mann, der wesentlich größer war als seine Gestalt. Ich bedaure sehr, dass er nicht mehr unter uns ist...“ Argrim beeindruckte es offenkundig nicht, dass er seinen Urahnen gekannt hatte und es interessierte ihn wohl nicht, dass er diesen sehr verehrt hatte. Vielleicht ging er auch davon aus, dass der Heerführer sich einfach nur bei ihm einschleimen wollte und es nicht ehrlich mit ihm meinte. Es war auch möglich, dass er von seiner Hinrichtung ausging und möglichst gefasst bleiben wollte... Solche Absichten hegte der Schwarzhaarige eigentlich recht selten, doch viele neigten dazu, vom Schlimmsten auszugehen. „Ich benötigte Eure Dienste, Argrim Jalgat.“, sagte er aufrichtig und drückte seinen Rücken durch, um auch die Schultern zu straffen. „Ich kann nur Euch darum bitten, sonst keinen. Bitte brecht in den Norden auf und sucht nach einer blondhaarigen Elfe, die jünger aussieht als sie ist. Womöglich ist sie verletzt... Es gab eine Schlacht.“ „Wieso sollte ich das tun?“ „Ihr und Euer Clan wurdet verstoßen, weil ihr das Richtige tun wolltet und ich wäre bereit, Euch in dieser Angelegenheit zu helfen.“ „Dabei brauchen wir keine Hilfe.“ „Habt Ihr denn sonst keine Wünsche, die ich Euch dafür erfüllen könnte? Es ist viel, was ich verlange, doch ich würde Euch nicht darum bitten, wenn ich einen anderen Weg wüsste.“ Der braunhaarige Zwerg strafte ihn mit Schweigen und stierte das Ratsmitglied einfach nur an. Noch nie hatte Wyrnné braune Augen gesehen, die so stechend und unangenehm sein konnten. Nicht mal Kazagar war einst so einnehmend gewesen und auch nicht so starrköpfig. Schließlich trat er etwas näher: „Eine Sache gäbe es...“ „Und die wäre? Sprecht bitte offen.“, lenkte der Heerführer sofort ein und witterte seine einzige Chance, diesen Mann zu rekrutieren. „Mein Vater war einst ein großer Schmied gewesen und man sang Lieder auf ihn und seine Kunst, doch er fiel in Ungnade, weshalb seine Schmiede geschlossen wurde. Es ist sogar verboten, über ihn zu sprechen...“, erklärte der Krieger offen. „Ich kann meine eigene Unehre wiedergutmachen und brauche dabei keine Hilfe, aber mein Vater ist tot. Er kann nichts mehr tun, um sein Licht wieder hell erstrahlen zu lassen. Wenn Ihr mir versprecht, dass Ihr seinen Namen wieder reinwascht, dann werde ich nach Eurer... Elfe suchen.“ „Einverstanden.“, stimmte er zu. Darüber musste er sich keine Gedanken machen! Er wusste, dass sein Vater in Ungnade fiel, weil er einst dabei geholfen hatte, magische Klingen herzustellen, die auch Unsterbliche töten konnten und die Lebensjahre von Gefallen an den Träger übertrugen. Anfangs hatten die Zwerge es gutgeheißen und fühlten sich wichtig, doch dann wurde es zu Frevel erklärt. Zu viele hatten die Waffen genutzt, um ihr eigenes Leben zu verlängern, auch wenn sie dafür andere opfern mussten. Schuld waren aber nicht die Schmiede, sondern jene Verblendeten, die die Klingen geführt hatten. „Dann werde ich meine Sachen packen und mich auf den Weg machen.“, sagte Argrim gelassen. „Ihr wollt alleine gehen?“ „Ich werde meinen Clan fragen, ob sie mitkommen, aber ich werde keinen zwingen. Es geht um meinen Vater und ich werde niemanden ausnutzen, damit ich mein Ziel erreiche.“ Das erkannte Wyrnné an und senkte andächtig seinen Kopf: „Das ist sehr lobenswert... Ich wünsche Euch viel Erfolg bei Eurer Reise und danke Euch sehr.“ Hosted by Animexx e.V. 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